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Zum Gedenken an Dietrich Mateschitz, 1944–2022

die nAchRuFe AuF den Red bull-GRündeR Weisen einen TRend Zum inFlATionäRen AuF. die einen Wollen ihn so inTensiV GekAnnT hAben, dAss sie sich moTiVieRT sehen, sein leben und hAndeln Zu inTeRPReTieRen. die AndeRen lAssen liebeR oFFen, ob sie übeR eRlebTes odeR übeR Gelesenes und GehÖRTes beRichTen, dAs sie nAchTRäGlich Zu sich VeRselbsTändiGenden nARRATiVen VeRdichTen. Am leichTesTen VeRdAulich isT noch die ReToRTenkosT PRoFessionell FAbRiZieRTeR nekRoloGien Aus den medienFAbRiken.

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Ein wenig bizarr ist das alles, aber dann doch nicht verwunderlich. Natürlich bietet ein Österreicher, der sich kraft eigener Leistung in die Liga der Multimilliardäre katapultiert, Stoff für Legendenbildung und damit vielen Menschen Identifikationsflächen. Der zurückhaltende Gestus des Verstorbenen, der keine persönliche Aufmerksamkeit, aber alle Begeisterung, Popularität, Wertschätzung und Spannung für seine Marke wollte, hat dazu beigetragen. „Einer von uns!“, mögen sich manche seiner – unserer – Landsleute gedacht haben. Um vielleicht bei nächster Gelegenheit ironisch zu kommentieren, wie leicht man es mit einem süß schmeckenden, perlenden, koffeinhaltigen Getränk und einer „Marketing-Idee“ in die zweistelligen Ränge bei Forbes schaffen könne. Mateschitz war freilich keiner von uns. Zumindest hat sich das Profil seiner Eigenschaften von dem der meisten Menschen deutlich unterschieden – durch Attribute, die ihn auszeichneten, wie seine Überzeugung, seine Bestimmtheit oder seine Fokussiertheit. Und ebenso durch Eigenschaften, die ihm deshalb niemand nachsagen kann, weil er sie nicht besaß, etwa Opportunismus, Wankelmut oder Zögerlichkeit. Eine Vision zu entwickeln, sie in Zeiten geschäftlicher Dürre weiterzudenken und sie mit enormer Entschlossenheit against all odds umzusetzen – das beschreibt den Weg der Marke Red Bull und ihres Masterminds an die Spitze. Dazu hatte Mateschitz Glück, das sprichwörtliche Glück des Tüchtigen. Und das nicht knapp. Er hat eine Marke geschaffen, die unverwechselbar wie keine andere ist. Und er ließ ein Unternehmen entstehen, wie es kein zweites gibt. Das gilt nicht nur für die Profitabilität, sondern noch mehr für eine Kultur, die den Vorstoß in die wirtschaftliche Stratosphäre erst ermöglicht hat. Der sprichwörtliche Spirit von Red Bull hat es zu dem werden lassen, was es nach dem Wunsch seines Gründers sein sollte: ein Ort der Durchbrüche und der Erfolge, in dem sich Projektionen nahezu in Echtzeit realisieren. Da der Autor dieses Nachrufs – im Unterschied zu Mateschitz – so ist wie alle anderen, kommt noch Anekdotisches. Wenigstens geht es um Erlebtes: Es war wohl Ende der Achtziger Jahre, als beim damaligen lebensmittelrechtlichen Referenten des Fachverbands der Nahrungs- und Genussmittelindustrie das Festnetztelefon auf dem Schreibtisch schellte. Am anderen Ende der Leitung stellte sich – damals nicht selbstverständlich – höflich und in angenehmem Ton ein Unternehmer vor, der meinte, seine Marke kenne man schon, ihn selbst aber sicher nicht. Damit traf er ins Schwarze. Mateschitz erklärte, dass er einen Termin im Gesundheitsministerium vereinbart habe, um die Einstufung seines Produkts abzuklären. Dabei sei ihm an der Fachexpertise und Behördenerfahrung des Fachverbands gelegen. Man vereinbarte also einen gemeinsamen Auftritt im Ministerium und einen Treffpunkt in der dortigen Aula. Um einander spontan zu erkennen, wurden am Telefon äußerliche Merkmale wie Größe, Alter, Haar- und Barttracht wechselweise und mit subtilem Amüsement geoutet. Es ging schließlich um ein Business Meeting und nicht um ein Blind Date. Zehn Tage später kam es zur physischen Begegnung der fernmündlich verabredeten Akteure am Treffpunkt. Sie identifizierten einander anhand der ausgetauschten Steckbriefe mühelos,

 dietrich mateschitz

© red Bull Media house

der erste Schritt war also geschafft. Bis zum Beginn der Besprechung mit den Ministerialräten hatte man sich noch fünfzehn Minuten für die Vorbereitung eingeräumt, auf Kaffee vom Buffet wurde dennoch verzichtet. Spontan bekannte Mateschitz, dass ihn eine gar nicht unbedeutende Sorge umtreibe: Er sei unsicher, ob er mit den Beamten zurechtkommen werde. Das sei freilich nicht das Wesentliche. Viel wichtiger sei, dass die ministerielle Hierarchie ihn vertrage. Denn da liege das Problem. Als Mann, der er war, mit Zielen, Plänen und einer großen Leidenschaft könne es passieren, dass er den Ton nicht ganz treffe, sollten sich vor ihm Hindernisse auftürmen. Mateschitz' Vorbehalt war realitätsnah, immerhin steckte Österreich noch mitten in der Ära einer verabsolutierenden lebensmittelrechtlichen Schutzphilosophie einschließlich des behördlichen Anspruchs auf umfängliche Verwaltung des explizit als unmündig deklarierten Konsumenten. Von der Konsumentin war damals noch keine Rede, mitgedacht wurde sie freilich intensiv, wie die bei Energy Drinks bald ins Treffen geführten Argumente Schwangerschaft und Stillzeit dokumentierten. Mateschitz befürchtete also, er könne dem Gesprächsverlauf durch zu wenig abwägende, äußerstenfalls sogar als undiplomatisch empfundene Äußerungen einen ungünstigen Spin verpassen. Und so forderte er seinen Gesprächspartner aus dem Fachverband mehrfach und nachdrücklich auf, etwas Unkonventionelles zu tun, sollte am Horizont eine Szene drohen, in der er sich verbal nicht ausreichend kontrolliere: „Treten Sie mich fest unter dem Tisch und setzen Sie sich so zu mir, dass ich das wirklich spüre!“ Unnötig zu erwähnen, dass im folgenden Gespräch alle Beteiligten Aufgeschlossenheit und professionelle Contenance an den Tag legten. Für bodennahe Interventionen gab es nicht den geringsten Anlass. Dietrich Mateschitz hat seiner Marke Flügel verliehen. Nun mögen sie auch ihn tragen!

Michael Blass Lebensmittelrechtlicher Referent des Fachverbands der Lebensmittelindustrie 1983 bis 1997, danach Geschäftsführer bis 2012, Wien

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