BORIS: Programmheft (Auszüge) | Staatsoper Stuttgart

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BORIS GODUNOW SECONDHAND-ZEIT

Sรกndor Szรกsz, The Harvest of Lost Souls, 2014 (Detail)


Modest Mussorgski BORIS GODUNOW ↓ Oper in vier Teilen und sieben Szenen Libretto von Modest Mussorgski nach dem gleichnamigen Drama von Alexander Puschkin Urfassung von 1869 Uraufführung des Werkes in einer NeuFassung von 1872 am 27. Januar 1874 (Julianischer Kalender) im Mariinski-Theater, St. Petersburg, Uraufführung der Fassung von 1869 am 5. März 1929 im Stanislawski- und Nemirowitsch-Dantschenko-Musiktheater, Moskau

Boris Godunow

Adam Palka

Fjodor

Alexandra Urquiola

Xenia

Carina Schmieger

Xenias Amme

Maria Theresa Ullrich

Fürst Wassili Schuiski

Matthias Klink/Torsten Hofmann

Pimen, ein Mönch und Chronikschreiber

Goran Jurić

Grigori Otrepjew

Elmar Gilbertsson Urban Malmberg Ramina Abdulla-zadè

Eine Schenkwirtin

Stine Marie Fischer

Warlaam

Friedemann Röhlig

Missail/Ein Leibbojar

Charles Sy

Der Gottesnarr

Petr Nekoranec

Schtschelkalow, ein Dumaschreiber

Paweł Konik

Mikititsch (Aufseher)/ Offizier der Grenzwache

Ricardo Llamas Márquez

Mitjucha

Matthias Nenner/Heiko Schulz


Sergej Newski SECONDHAND-ZEIT ↓ Auftragskomposition der Staatsoper Stuttgart (2019) Text nach Secondhand-Zeit. Leben auf den Trümmern des Sozialismus von Swetlana Alexijewitsch in der Übersetzung von Ganna-Maria Braungardt

Musikalische Leitung Titus Engel Regie Paul-Georg Dittrich Bühne Joki Tewes, Jana Findeklee Kostüme Pia Dederichs, Lena Schmid Video Vincent Stefan Licht Reinhard Traub Chor Manuel Pujol Dramaturgie Miron Hakenbeck Live-Kamera Tobias Dusche, Lukas Rehm Chor und Kinderchor der Staatsoper Stuttgart Staatsorchester Stuttgart Staatsoper Stuttgart Premiere/ Uraufführung 2. Februar 2020

Die Aktivistin Die Geflüchtete Die Mutter des Selbstmörders

Der Jüdische Partisan Der Jüdische Partisan (als alter Mann) Der Jüdische Partisan (als Kind) Die Frau des Kollaborateurs

Der Obdachlose


Inhalt Vorab in Kürze

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Handlung Boris Godunow

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Figuren Secondhand-Zeit

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Synopsis Boris Godunov

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Characters Secondhand Time

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Die Polyphonie der Wirklichkeit Der Komponist Sergej Newski und der Dirigent Titus Engel im Gespräch mit Miron Hakenbeck

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Bruchstücke lesen, Leerstellen hören Paul-Georg Dittrich im Gespräch mit Miron Hakenbeck

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Stimmen im Chor: eine Epoche zur Sprache bringen Karl Schlögel

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Mit den Toten leben Miron Hakenbeck

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Fotos der Klavierhauptprobe von Matthias Baus

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Impressum und Nachweise

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VORAB IN KÜRZE Mit der Krönung des Bojaren Boris Godunow verbindet sich nach dem Zusammenbruch der alten Welt die Hoffnung auf einen Neubeginn. Der Zar wird jedoch bald von der Vergangenheit eingeholt: Jahre zuvor ist der Zarewitsch Dimitri, Nachfahre des früheren Zaren Iwan IV, als Kind ermordet worden. Wie der Chronist Pimen geben nicht wenige Boris die Schuld an dem Verbrechen: Um an die Macht zu kommen, hätte er den Mord in Auftrag gegeben. Doch nicht genug: Ein junger Mann nimmt die Identität Dimitris an und erhebt Anspruch auf den Thron. Fakten, Ge­ rüchte und Intrigen bilden ein schwer zu durchdringendes Geflecht. Das dem Zaren eben noch zujubelnde Volk fällt bald von ihm ab und setzt auf kommende Herrscher. Während Modest Mussorgskis Zar Boris am Be­ wusstsein seiner Schuld zerbricht, verschaffen sich in Sergej Newskis Secondhand-Zeit traumatische Geschichten einer jüngeren Vergangenheit Gehör. Subjekte der Geschichte In seiner 1869 komponierten Oper Boris Godunow hat Mussorgski einen Krisenmoment der russischen Geschichte in Szene gesetzt: den Aufstieg und Fall des Zaren Boris Godunow nach dem Ende der Dynastie der Rurikiden. Es ist der Beginn einer „Zeit der Wirren“ (Smuta), in der gleich mehrere Herrscher einander in rascher Folge auf dem Thron ab­ wechseln. Auch wenn die Oper den Zaren im Titel führt, gibt Mussorgski einem anderen Protagonisten eine ebenso wichtige Stimme: dem Volk. Dessen Haltung äußert sich nicht nur in einhelligem Jubel oder Wehklagen, sondern in durchaus unterschiedlichen und widersprüchlichen Meinungen und Stimmungen. Indem Mussorgski mit einer Wirtin oder Bettelmönchen auch einzelne Stimmen aus dem Volk zu Wort kommen lässt, nimmt sein düsteres Geschichtspanorama immer wieder auch die Perspektive einer Geschichte von unten ein. Das wirft die Frage auf, wer Geschichte schreibt und über wen sie geschrieben wird. Sergej Newskis Uraufführungskomposition Secondhand-Zeit ver­ stärkt diesen Fokus auf die Erfahrungen der namenlosen, ungekrönten Einzelnen, für die in der Geschichtsschreibung oft genug kein Platz ist. Newski hat sechs Lebensgeschichten vertont, die die weißrussische Auto­ rin Swetlana Alexijewitsch in Gesprächen zwischen 1991 und 2012 aufgezeichnet und in ihrem „Roman der Stimmen“ Secondhand-Zeit zu einem vielstimmigen Chor kollektiver Erinnerung verwoben hat (→ S. 12 – 23): Sie zeugen von der Erfahrung des Umbruchs und des Verlusts von Lebens­ entwürfen und Sicherheiten mit dem Zerfall der Sowjetunion. Und sie erinnern traumatische Erfahrungen, die jahrzehntelang verschwiegen und damit auch aus der offiziellen Geschichtsschreibung ausgeblendet

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wurden. Sergej Newski hat sechs Geschichten ausgewählt, in denen deutlich wird, wie sehr die politischen Ereignisse, Kriege um Macht und um Ideologien die private Existenz des Einzelnen durchkreuzen. Zwei Partituren, zwei Zeiten In der Urfassung seiner Oper – seinerzeit vom Marinskii-Theater abge­ lehnt und erst ein halbes Jahrhundert nach dem Tod des Komponisten zur Aufführung gebracht – bringt Mussorgski den Weg des Zaren von der Krönung bis zum Tod in sieben exemplarischen Bildern auf die Bühne. Sergej Newski setzt die dokumentarischen Geschichten aus SecondhandZeit in Form eines Prologs, sechs Intermezzi und eines Epilogs als sich nach und nach zusammenfügende Erinnerungssplitter in die Zwischen­ räume dieser Tableaus. Gesungen werden sie von den Sänger*innen von sechs Figuren in Mussorgskis Historiendrama. Xenia und ihre Amme, Fjodor, der Gottesnarr, Grigori und die Wirtin der Schenke erhalten dadurch eine Parallelgeschichte. Oder anders gedacht: In ihnen erhalten Geschichten einer anderen Zeit die Chance einer zweiten Existenz. Simultanerleben Newski erzählt mit Secondhand-Zeit diese singulären Lebensläufe nicht nacheinander. Durch das dem Musiktheater mögliche Mittel simultanen Erzählens geht er ihren Verbindungen nach: Bei aller Unterschied­ lichkeit teilen sie erschütternde Erfahrungen in der Liebe, mit Gewalt und Verlusten. Er verstärkt die Polyphonie, die schon Mussorgskis Partitur aber auch die Dramaturgie des gesamten Abends kennzeichnet. Oper wird zum Multiversum: So wie in jedem Einzelnen in jedem Moment un­ terschiedliche Zeitschichten und Lebensalter anwesend sind, bestimmen auch verschiedene Zeiten zugleich die gemeinsam geteilte Gegenwart. Wie unsere Konzepte von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenhängen, ob Geschichte einfach nur eine Folge von abgeschlos­ senen Ereignissen auf einem Zeitstrahl ist, oder ob nicht vielmehr ver­ schiedene Schichten von Zeit ebenso wie Lebende und Tote koexistieren – diese Fragen haben Paul-Georg Dittrich und sein Team beschäftigt. Sie lösen beide Stoffe aus ihrer ursprünglichen Chronologie und stiften so ein neues Verhältnis zwischen den Zeiten: Boris Godunow wird zur düsteren Vision der Errichtung eines Neo-Zarentums auf den Trümmern einer un­ tergegangenen Welt. Auch wenn diese aus den Relikten des Vergangenen aufgebaut wird, ist in ihr der Blick zurück verstellt. In der kollektiven Amnesie flackern die Erinnerungen aus Secondhand-Zeit immer wieder auf. Wie Untote fahren die vor langer Zeit geträumten Träume und erleb­ ten Enttäuschungen in die Menschen der Zukunft und geben ihnen ein Gefühl für ihr Gestern zurück.

Vorab in Kürze

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HANDLUNG I – Hof des Nowodjewitschi-Klosters bei Moskau oder Alles auf Anfang Nach dem Zusammenbruch der alten Welt ist die Zukunft ungewiss. Der Bojar Boris Godunow soll die Gesellschaft als neuer Zar aus ihrer Erstarrung führen. Er zögert jedoch, seine Wahl anzunehmen. Das orientie­ rungslose Volk wird dazu angetrieben, ihn mit lautstarkem Flehen umzu­ stimmen. Eine Gruppe Gläubiger weckt in allen Zuversicht. Da ergeht ein neuer Befehl: Das Volk soll sich am nächsten Morgen vor dem Kreml einfinden. Noch weiß niemand, was das bedeutet. II – Platz vor dem Kreml oder aus Alt wird Neu Unter Glockengeläut und Jubelrufen des Volkes wird Boris Godunow zum Zaren gekrönt. Der neue Herrscher nimmt seine Aufgabe demutsvoll an. Dann lädt er die Massen großzügig zu einem Fest. Die Mutter des Selbstmörders  Der Jüdische Partisan III – Pimens Zelle oder In die Tiefen der Vergangenheit Der junge Mönch Grigori schreckt aus einem Alptraum hoch, von dem er regelmäßig heimgesucht wird. Er vertraut sich Pimen an, der unermüd­ lich an einer Chronik Russlands schreibt: Seit seiner Kindheit kenne er nichts als das Klosterdasein, dabei fühle er sich zu anderem berufen. Pimen ermahnt ihn, sich der Vergangenheit zu besinnen und berichtet von der Größe vergangener Zeiten. Grigori interessiert sich vor allem für die Geschichte eines Verbrechens: Vor Jahren ist der Zarewitsch Dimitri, letzter Spross der alten Dynastie, in der Stadt Uglitsch ermordet worden. Pimen, der zu jener Zeit in Uglitsch zugegen war, erinnert sich lebhaft: Die vom Volk aufgegriffenen Mörder hätten als ihren Auftraggeber den jetzigen Zaren Boris Godunow genannt. Als Grigori begreift, dass der Zarewitsch, würde er noch leben, sein Alter hätte und regieren würde, schwört er, Godunow für die Tat zur Rechenschaft zu ziehen und fasst einen folgenschweren Entschluss. Die Frau des Kollaborateurs  Die Mutter des Selbstmörders IV – Eine Schenke an der litauischen Grenze oder Wer bist du wirklich? Grigori wird als Ketzer und Volksverhetzer landesweit steckbrieflich ge­­ sucht. In Begleitung der zwielichtigen Bettelmönche Warlaam und Missail hat er sich zur Grenze durchgeschlagen. In einer Schenke betrin­ ken sich Grigoris Weggefährten. Grigori erfährt, dass die Grenzpat­ rouillen verstärkt wurden. Die Wirtin verrät dem jungen Unbekannten aber einen sicheren Weg auf die andere Seite. Da erscheint die Grenzwache und befiehlt die Verlesung des Streckbriefes. Grigori, der als einziger kein Analphabet zu sein scheint, kann den Verdacht auf Warlaam lenken. Um sich vor der Verhaftung zu retten, buchstabiert Warlaam mühselig die Personenbeschreibung des Steckbriefs zusammen. Grigori wird als der Gesuchte erkannt, ihm gelingt jedoch die Flucht. Der Jüdische Partisan

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Die Geflüchtete  Die Mutter des Selbstmörders V – Im Kreml oder Nachricht von einer Auferstehung Boris’ Tochter Xenia ist in Trauer: Ihr Bräutigam ist noch vor der Hoch­ zeit verstorben. Weder ihre Amme noch ihr Vater können Trost spenden. Xenias Bruder Fjodor erfreut seinen Vater mit seinen Kenntnissen der Geographie des riesigen Reiches, das er einmal beherrschen soll. Boris vertraut ihm seine Sorgen an: In seinen bislang sechs Regierungsjahren ist es ihm nicht gelungen, die Zuneigung des Volkes zu gewinnen. Statt­ dessen gibt dieses ihm für jedes Unglück die Schuld. Fürst Schuiski, den Boris geheimer Machenschaften verdächtigt, bringt eilige Botschaften: Ein junger Mann würde sich als Zarensohn Dimitri ausgeben und vom Ausland aus Anspruch auf den Thron erheben. Die Erwähnung des Namen Dimitri beunruhigt Boris: Sei dieser nicht in Uglitsch zu Tode umgekommen? Schuiski, der damals zur Untersuchung an den Tatort geschickt worden war, schwört, den Leichnam des Zarewitsch zweifelsfrei identifiziert zu haben. Mit einem sonderbaren Detail er­ schüt­tert Schuiski Boris zutiefst: Auch nach Tagen hätte der Leichnam kei­ ne Spuren von Verwesung gezeigt und wie lebendig ausgesehen. Allein zurückgeblieben wird Boris vom Bild des ermordeten Kindes heimgesucht. Die Aktivistin  Der Obdachlose  Die Geflüchtete VI – Platz vor der St. Basilius-Kathedrale oder Wer ist unser Zar? Während man in der Kathedrale Grigori mit dem Bann belegt und dem toten Dimitri Seelenmessen liest, verbreiten sich auf dem Platz unter dem Volk widersprüchliche Nachrichten über das Näherrücken des Zarewitsch Dimitri und seiner Söldnertruppen. Nicht wenige glauben an die Echtheit seiner Identität. Unzufrieden mit Boris und seiner Politik würde man den Sturz des aktuellen Zaren durchaus begrüßen. Ein Gottesnarr wird von Kindern gedemütigt. Als der Zar den Platz betritt, betteln alle um Almo­ sen. Der Gottesnarr bezeichnet Boris unverhohlen als Mörder des Zaren­ kindes und weigert sich, für seine Seele zu beten. Die Frau des Kollaborateurs  Der Jüdische Partisan VII – Boris’ Tod oder Schuldbeladen in alle Ewigkeit Auf Geheiß des Zaren sollen die Bojaren ein Urteil über den falschen Zarewitsch fällen. Sie verhängen über ihn und seine Unterstützer in Ab­ wesenheit die Todesstrafe. Der spät eintreffende Schuiski sorgt erneut für Verunsicherung: Er berichtet, der Zar würde unter Wahnvorstellungen leiden. Boris selbst liefert den Bojaren ein Zeugnis seiner psychischen Zerrüttung. Schuiski zieht in seiner Intrige gegen den Zaren eine letzte Karte: Er lässt Pimen vorführen. Dieser berichtet von Wundertaten der Gebeine des toten Dimitri. Boris erleidet einen Zusammenbruch. Er lässt seinen Sohn Fjodor rufen, nimmt Abschied von ihm und erklärt ihn zu seinem rechtmäßi­gen Nachfolger. Im Bewusstsein seiner Schuld stirbt er, ohne Vergebung erlangt zu haben. Der Jüdische Partisan  Der Obdachlose  Die Frau des Kollaborateurs Die Geflüchtete  Die Aktivistin  Die Mutter des Selbstmörders Boris Godunow

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Folgende Seiten: Videostills der Produktion von Vincent Stefan

„Almosen der Erinnerung … ich sammle jeden Krümel auf … Davon kann man zehren, davon zehre ich jetzt.“ „Diese Normalität im Umfeld des Todes … die ist gefährlich. Da kann man den Tod leicht mit dem Leben verwechseln.“

Die Mutter des Selbstmörders


Die Geschichte einer Frau, die alles daran setzt, ihre Erinnerungen an die glücklichen Jahre mit ihrem Sohn wachzuhalten. Gemeinsam mit ihrem Mann hatte sie ihm eine Kind­heit in familiärer Geborgen­heit geboten. Der Junge teilte die Begeis­terung der Mutter für Literatur und Poesie. Zu verstehen, warum er sich trotz der großen Liebe seiner Eltern mit 14 Jahren das Leben nahm, ist der Mutter unmöglich.

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„Ich erinnere mich an unseren Umzug ins Ghetto … Ich nahm meine Schmetterlingssammlung mit.“ „Es war ganz still. Sie werden fragen –  warum? Ich habe darüber nachgedacht … Wenn ein Mensch von einem Wolf angefallen wird, fleht er auch nicht und bittet, ihn am Leben zu lassen. Oder von einem wilden Eber … Irgendwann waren wir an der Reihe …“

Der Jüdische Partisan


Die Geschichte eines Mannes, der erst im hohen Alter über einen lang ver­­ schwie­genen Teil seines Lebens zu spre­ chen beginnt: Als Kind wird er von den deutschen Besatzern ins Ghetto von Minsk deportiert, später überlebt er eine Vernichtungsaktion der Deutschen als einziger seiner Familie. Er wird von Partisanen aufgelesen und kämpft in ihren Reihen gegen die Besatzer. Weil er erleben muss, dass das Leben eines Juden auch unter einigen Partisanen wenig zählt und er leicht ihrem latenten Antise­mi­tis­mus zum Opfer fallen könnte, nimmt er ei­nen russischen Namen an. Er lernt, seine Herkunft ein Leben lang zu ver­­ber­gen.

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„Ohne die Liebe war ich ein einfaches Mädchen gewesen, ein ganz gewöhnliches Mädchen.“ „Ringsum herrschte Krieg, aber wir waren glücklich. Ein Jahr lebten wir zusammen als Mann und Frau … Er hatte doch niemanden getötet! Ich glaubte ihm das! Und ich glaube es ihm noch heute.“

Die Frau des Kollaborateurs


Die Geschichte einer Frau, die sich an den Krieg und die deutsche Besatzung als die Zeit ihrer Jugend und ihrer großen, glücklichen Liebe erinnert. Mit dem Abzug der Deutschen endet ihr privates Glück: Weil ihr junger Ehemann unter den Besatzern eine Stellung als Polizist angenommen hatte, richten Partisanen ihn als Kollaborateur hin. Die Geschichte hat im Buch Swetlana Alexijewitschs eine Fortsetzung, die nicht Eingang in die Partitur gefunden hat: Der Partisan, der ihren Mann exekutiert hat, zwingt die junge schwangere Witwe nach dem Krieg zur Ehe. Sie lebt fünfzehn Jahre mit dem Mörder ihres ersten Mannes Seite an Seite und bekommt mit ihm ein weiteres Kind.

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„Wir lebten in Hausfluren … in Treppenhäusern … Niemand bot uns Hilfe an, niemand stellte uns Fragen … Was ich von den Menschen halte? Die Menschen sind weder schlecht noch gut, es sind einfach Menschen, mehr nicht.“

Der Obdachlose


Die Geschichte eines jungen Mannes, der mit dem Anbruch eines raubtierartigen Turbokapitalismus mit seiner Mutter aus einem sorglosen Leben in Armut gerät. Die plötzlich arbeitslose Mutter und ihr Sohn verlieren ihre Wohnung an kriminelle Makler, als sie Geld für eine würdevolle Beerdigung der Großmutter brauchen. Für beide beginnt eine Odyssee von Tür zu Tür gutwilliger Verwandter und Freunde und schließlich ein Leben auf der Straße – bis sich die Mutter aus Verzweiflung über ihre Verelendung das Leben nimmt.

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„Ich denke zuviel an den Tod … Ich bin nur noch damit beschäftigt … Ich bin natürlich krank … krank … Warum vergesse ich nichts …“ „Sterben! Ich bin ans Meer gegangen. Habe mich in den Sand gesetzt. Mir zugeredet, dass ich keine Angst haben müsse vor dem Tod. Der Tod, das ist Freiheit.“ „Im letzten Augenblick wollte ich wieder leben. Und der Strick riss. Und nun lebe ich doch.“

Die Geflüchtete


Die Geschichte einer Frau, in deren Alltag urplötzlich das Erlebnis des Krieges hereinbricht: Sie wird Zeugin, wie im Bürgerkrieg zwischen Georgien und dem nach Unabhängigkeit strebenden Abchasien in ihrer Heimatstadt Suchumi Nachbarn, Kollegen und ehemalige Freunde einander wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit massakrieren und Söldner Jagd auf Zivilisten machen. Der jungen Frau gelingt die Flucht nach Russland, aber traumatisiert von den zahllosen Bildern eines zum Alltag gewordenen Tötens, ringt sie immer wieder mit der Sehnsucht, selbst zu sterben.

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„Als wir beide durch Moskau gegangen sind, hatte ich kein Gefühl für diese Schönheit. Wenn ich die neuen Gebäude sehe, denke ich immer: Hier sind zwei Tadschiken umgekommen, vom Baugerüst gefallen … Hier ist einer im Zement eingemauert worden.“

Die Aktivistin


Die Geschichte einer Frau, die vor dem Bürgerkrieg in Tadschikistan geflohen ist. In ihrem Exil Moskau setzt sie sich für die Rechte von Geflüchteten und Billiglohnsklaven aus ihrer Heimat ein. So erfährt sie von der Ausbeutung der Tadschiken auf den Großbaustellen Moskaus, von täglicher Diskriminierung und straflos bleibenden Übergriffen durch Polizei oder rassistische Gruppen. Dieses Wissen macht es der Frau unmöglich, den rasanten architektonischen Wandel der Metropole zu bewundern.

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SYNOPSIS I –  The Courtyard of the Novodevichiy Monastery near Moscow or Starting from Scratch The future is uncertain after the collapse of the old world. The boyar Boris Godunov has been chosen as the new tsar to lead society out of its torpor. However, he hesi­tates in accepting this choice. The disoriented people are then driven to plead loudly with him to change his mind. A group of believers inspires confidence in the masses. A new command is issued: the people should assemble before the Kremlin in the morning. Nobody knows why. II –  The Square in Front of the Kremlin or Old Becomes New Bells ring out and the people cheer as Boris Godunov is crowned Tsar. The new ruler humbly accepts his task, then generously invites the masses to a party. III –  Pimen’s Cell or Into the Depths of the Past The young monk Grigoriy awakes from as nightmare that regularly haunts him. He entrusts himself to Pimen, who is writing a chronicle of Russia: since his childhood, he has known nothing but life in a monastery, and he feels a call to something else. Pimen exhorts him to remember the past, and tells him of the greatness of former times. Grigoriy is especially interested in the story of a crime: years ago, Tsarevich Dmitriy, the last child of the old dynasty, was murdered in the city of Uglich. Pimen, who was in Uglich at the time, remembers the story vividly: the murderers seized by the people had named the current Tsar Boris Godunov as the one who had ordered the crime. When Grigoriy learns that the Tsarevich, had he still been alive, would have been his age and the ruler, he swears to hold Godunov to account and makes a momentous decision. IV –  An Inn at the Lithuanian Border or Who Are You Really? Grigioriy is wanted throughout the country as a heretic and hatemonger. Accompanied by the unsavoury men­ dicant monks Varlaam and Misail, he has made his way to the border. While his companions get drunk in a tavern, Grigoriy learns that border patrols have been reinforced. The landlady tells the young stranger of a safe way to the other side. Suddenly, a border guard appears and orders the reading of an edict. Grigoriy, as the only literate one, is able to divert suspicion from him to Varlaam. In order to save himself from arrest, Varlaam painstakingly spells out the description of the profile Grigoriy is then recognised as the fugitive, but manages to escape.

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V –  In the Kremlin or News of a Resurrection Boris’ daughter Xenia is in mourning, as her groom has died before the wedding. Neither her nurse nor her father are able to comfort her. Her brother Fyodor delights his fa­ ther with his geographical knowledge of the empire he once himself shall rule. Boris entrusts his worries to his son: in his six years of governing, he has yet to win the affection of the people. They even blame him for every misfortune. Prince Shuysky, whom Boris suspects of intrigue, brings urgent news: a young man is pretending to be Dmitriy, the true heir to the throne, and is laying claim to the throne from abroad. The mention of Dmitriy’s name worries Boris: did he not die in Uglich years before? Schuysky, who was l ater dispatched to the crime scene, swears that he unequiv­ ocally identified the body as that of Dmitriy. However, Shuysky shakes Boris deeply with mention of a strange de­ tail: even after a couple of days, the body would have shown no signs of decay and appeared to look alive. Left alone, Boris is haunted by the picture of the murdered child. VI –  The Square in Front of the Cathedral of St Vasiliy or Who Is Our Tsar? While Grigoriy reads the banns and the requiem to Dmitriy in the cathedral, confusing messages spread around the square about the approach of Tsarevich Dmitriy and his mercenaries. Many believe the authenticity of his iden­ tity and, unsatisfied with Boris and his politics, would certainly welcome the fall of the current Tsar. A Holy Fool is humiliated by children. When the Tsar enters the square, the people beg for alms. The Holy Fool openly decries Boris as the murderer of the Tsar’s child and refuses to pray for his soul. VII –  Boris’ Death or Guilty Forever At the Tsar’s behest, the boyars are to pass judgement on the fake Tsarevich. They impose the death penalty on him and his supporters in absentia. Schuysky arrives late and again causes uncertainty: he reports that the Tsar is suffe­ ring from delusions. Boris himself provides the boyars with a testimony of his psychological deterioration. Schuysky plays his last card in his scheme against the Tsar: he com­ pels Pimen to speak. Pimen tells of the miracles of the dead Dmitriy’s bones while Boris suffers a breakdown. He calls for his son, bids him farewell, and declares him his rightful successor. Conscious of his guilt, Boris dies without having been forgiven.

Boris Godunov


The Mother of the Boy who committed suicide The story of a woman who does everything to keep alive her memories of her happy years with her son. Together with her husband, she had given him a childhood in safety and security. The boy shared his mother’s enthusiasm for literature and poetry. She finds it difficult to understand why, despite his parents’ love, he committed suicide at the age of 14.

The Jewish Partisan The story of a man who only begins to speak about a long-hidden chapter of his life at a very old age: as a child he was deported by the German occupiers to a ghetto in Minsk, and was the only one of his family to survive extermination by the Germans. He was later discovered by the partisans and joined their ranks in fighting the occupying forces. Experi­ encing that the life of a Jew counted even among the partisans for very little, and that he could easily fall prey to their latent anti-semitism, he took on a Russian name, and learned to hide his origins for a lifetime.

The Collaborator’s Wife The story of a woman who remembers the war and the German occupation as the time of her youth and her happiness in love. This personal happiness ended with the Germans’ withdrawal: because her husband worked with the occupiers as a policeman, the partisans executed him as a collaborator. (The story continues in Svetlana Alexievich’s book, which has not found its way into the score: the partisan who executed her husband forces the young, pregnant widow to marry him after the war. She lives for fifteen years with her first husband’s murderer and has another child with him.)

Secondhand Time

The Homeless One The story of a young man who, with the advent of predatory turbo-capitalism, falls from a carefree life with his mother into poverty. The suddenlyunemployed mother and her son lose their apartment to criminal agents when they need money for the grandmother’s funeral. For both of them, a door-to-door odyssey of helpful relatives and friends begins, and finally a life on the streets, until the mother takes her own life out of despair at their impoverishment.

The Refugee The story of a woman whose everyday life collapses under the sudden experience of war: she witnesses how, in the civil war between Georgians and independence-striving Abkhazians in her town of Sukhumi, neighbours, colleagues and former friends massacre each other in the name of ethnicity, and mercenaries hunt down civilians. She manages to flee to Russia, but traumatised by the countless images of day-to-day killing, she struggles constantly with the desire to take her own life.

The Activist The story of a woman who fled from civil war in Tajikistan. In exile in Moscow, she campaigns for the rights of refugees and low-paid slave labour from her homeland. She learns about the exploitation of Tajikistanis on Moscow’s major construction sites, daily discrimination, and the assaults by the police and racist organisation that go unpunished. This knowledge makes it impossible for her to admire the rapid architectural changes to the metropolis’ skyline.

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Morten Shelde, Windows: Harlem, 2015

Die Polyphonie der Wirklichkeit Der Komponist Sergej Newski und der Dirigent Titus Engel im Gespräch mit Miron Hakenbeck SN

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Wie würdet Ihr beschreiben, was wir mit BORIS auf die Bühne bringen? Das Projekt ist das große Abenteuer, zwei Werke, ihre Emotionalität und Musiksprache interpretatorisch auf eine Ebene zu bringen. Sergej hat Secondhand-Zeit so komponiert, dass sich einerseits die einzelnen Teile als Intermezzi in die Erzählung von Boris Godunow einfügen lassen, andererseits aber eine eigenständige musikalische Sprache anbieten und als Werk auch gesondert aufgeführt werden könnten. Mir ging es bei der Komposition von Secondhand-Zeit darum, eine plausible, in sich geschlossene Geschichte zu erzählen, die dann aber zusammen mit der existierenden Partitur von Boris Godunow etwas Drittes ergibt. MH Am Anfang stand der Gedanke, Sergej mit dieser Komposition auch inhaltlich auf Mussorgskis Geschichtsentwurf Boris Godunow reagieren zu lassen. Wir haben dafür bewusst die Urfassung der Oper gewählt, weil sie präg­ nanter erzählt ist als spätere Fassungen und erstaunlich wenige Zugeständ­ nisse an Opernkonventionen ihrer Zeit macht. Ihre offene Erzählstruktur schien sich sehr gut zu eignen, diese Oper mit etwas Neuem zu erweitern. Mussorgski präsentiert Bilder von bestimmten Etappen im Leben des Zaren Boris. Dabei ist die Handlung aber nicht durchgängig erzählt, sie verläuft in Zeitsprüngen. In späteren Fassungen wählte Mussorgski eine andere Szenenabfolge. Da ist zum Beispiel der Tod des Zaren nicht mehr die letzte Szene und es gibt einen ganzen zusätzlichen Akt, der in Polen spielt. Aber natürlich reagiert nicht nur Sergej auf Mussorgski, im Gesamtprojekt beeinflussen beide Stücke einander, inhaltlich wie auch musikalisch. Ich dirigiere Mussorgskis Partitur anders, wenn ich zwischendurch Newski diri­ giere und wahrscheinlich dirigiere ich auch Newski anders, weil ich immer wieder den Weg über Mussorgski nehme. Im Vorfeld haben wir in gemeinsamen Treffen mit dem Regisseur PaulGeorg Dittrich genau überlegt, wie die ausgewählten Passagen aus Swetlana Alexijewitschs Buch mit der Handlung von Boris Godunow und mit be­ stimmten Figuren korrespondieren und wann meine Musik als Unterbre­ chung der Szenenfolge Mussorgskis auftauchen wird. Ich wusste also, an welche Harmonik und Klangwelt ich jeweils anschließe. Abgesehen von einigen Nahtstellen, die bewusst Übergänge zu Tableaus der Oper ermög­ lichen, habe ich beim Komponieren von Secondhand-Zeit nicht daran gedacht, Verbindungen zu Mussorgskis Stilistik oder einzelnen musikalischen Ideen in Boris Godunow zu schaffen. MH Die von Titus beschriebene offene Dramaturgie von Boris Godunow lässt inhaltlich Leerstellen und Lücken. Es gibt natürlich den Rückgriff auf den historischen Boris Godunow, der gewaltsame Tod des Zarewitsch Dimitri kommt als Vorgeschichte der Oper ins Spiel, als früheres Verbrechen, das den Zaren einholt. Das vollzieht sich rasch ohne Zwischenschritte, die Vorgeschichte wird nur in Andeutungen erwähnt. Die sechs Geschichten von Alexijewitsch fügen sich in diese Leerstellen, als Zeugnisse von ganz anderen traumatischen Ereignissen, ohne direkt mit der Zarengeschichte verbunden zu sein. Aber es gibt Analogien von Erfahrungen. MH

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Gespräch mit Sergej Newski und Titus Engel

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Die Verbindung liegt auch in der Frage, über wen Geschichte erzählt wird, wer in der Geschichtsschreibung Platz findet. Man kann von Puschkin über Mussorgski zu Swetlana Alexijewitsch eine klare Linie der wachsenden Bedeutung von Nebenfiguren ziehen. Puschkin erfindet ein polyphones Schreiben, er behandelt viele Nebenfiguren mit nahezu gleicher Wichtigkeit, Empa­thie und Aufmerksamkeit wie die Hauptfiguren. Mussorgski betont das noch stärker, indem bei ihm Nebenfiguren wie Warlaam Lieder oder ariose Momente bekommen, die genauso gewichtig erscheinen, wie die Monologe von Hauptfiguren. Wie zufällig tauchen mit Namen versehene Einzelstimmen wie Mitjucha für Momente aus der Menge auf. Swetlana Alexijewitsch baut nun ihr ganzes Buch aus biographisch-dokumentarischem Material, aus den Aussagen einfacher Leute, die ihre ganz persönliche Sicht auf historische Ereignisse wiedergeben, vor allem aber zeigen, wie stark das private Leben vom Gang der Weltgeschichte und der Politik verändert wird. MH Vielstimmig ist Mussorgskis Partitur durch das Nebeneinander ganz unter­ schiedlicher Gesangs- und Ausdrucksweisen: Religiöse Gesänge, derbe Lieder, politische Ansprachen, offizieller Jubel und Protest folgen dicht aufeinander. Diese Vielstimmigkeit wird auf der Ebene der Musik von Mussorgski zu Newski nochmal gesteigert, wenn solistische Stimmen zugleich singen. Die Polyphonie ist eine zentrale kompositorische Praxis in Secondhand-Zeit. Nehmen wir als Beispiel das Intermezzo IV: Das ist eine Straßensituation in Moskau. Die darauffolgende Szene von Boris Godunow spielt auf dem Platz vor der Basilius-Kathedrale, wo sich das Volk versammelt. Mussorgski lässt zu Beginn der Szene durch einzelne Chorgruppen verschiedene Haltungen im Volk anklingen. In Sergejs Intermezzo wird diese Vereinzelung noch weitergetrieben: Mehrere Stimmen singen gleichzeitig auf verschiedenen musikalischen Zeitebenen. MH Auch in Alexijewitschs Buch gibt es chorisch anmutende Passagen von auf Straßen aufgeschnappten Stimmungsbildern. Sergej, du hast dich letztlich für sechs längere Geschichten entschieden, die man am ehesten mit der Form des Erinnerungsmonologs beschreiben könnte. Auch wenn diese Biographien durch ähnliche soziale und politische Gegebenheiten bestimmt sind, also Teil einer kollektiven Erfahrung, werden sie doch als Einzelschicksale erzählt. Was war für dich bei der Auswahl ausschlaggebend? Ich habe Geschichten ausgewählt, die die Wichtigkeit der privaten Exis­tenz oder der privaten Gefühle gegenüber dem politischen Geschehen her­ vorheben. Das fand ich interessanter als ein allgemeines Philosophieren der Menschen über die Politik und über die Ereignisse um den Zerfall der Sowjetunion. Außerdem zeigen sie die Komplexität von Entscheidungen und die Unmöglichkeit eines eindeutigen politischen Urteils. In ihnen werden Ambivalenzen deutlich, mit denen auch wir in Situationen leben müssten, in denen moralische Entscheidungen nicht leicht zu treffen sind. Da wird zum Beispiel die Geschichte einer Frau erzählt, für die ihre Liebe zu einem Mann wichtiger ist, als die Tatsache, dass dieser Mann mit den deutschen Besatzern kollaboriert. Die Polyphonie der Wirklichkeit


Diese sechs Lebenserinnerungen tauchen an ganz unterschiedlichen Stellen im Buch auf. Es sprechen Menschen unterschiedlicher Generationen, sie erinnern sich an unterschiedliche Lebensphasen. Was macht es mit ihnen, dass sie in der Komposition Secondhand-Zeit oft gleichzeitig erklingen, manchmal in Paarkonstellationen, später in größeren Ensembles? Es gibt natürlich Reibungen. Obwohl es auch Themen gibt, mit denen all diese Held*innen in Berührung sind. Da ist die Erfahrung des Verlusts: Bei der Mutter, deren Sohn sich das Leben genommen hat. Auch beim Obdachlo­ sen, dessen Mutter diesen Weg gewählt hat. Die aus dem Krieg in Abchasien geflüchtete junge Frau wiederum hat mehrfach versucht, sich umzubrin­ gen. Ich habe ein großes Duett der Mutter und der Geflüchteten kompo­ niert, mit ihm beginnen wir den zweiten Teil nach der Pause. In diesem Lamento artikulieren die beiden Frauen Erfahrungen mit dem Tod, die sich nicht in das Leben integrieren lassen. Während die Mutter sich den Selbstmord ihres Sohnes zum wiederholten Male vergegenwärtigt, singt die Geflüchtete von einem grausamen Krieg, den sie genauso unmöglich einordnen kann, weil er das Alltägliche in sich aufsaugt. Die Stadt, aus der sie kommt, Suchumi, war ein friedlicher und recht wohl­ habender Kurort an der sogenannten sowjetischen Riviera, ein Nizza des Ostens. Dass da 1992 plötzlich geschossen wurde, war für alle unbegreiflich. Die beiden anderen Figuren, die sich musikalisch zu einem Paar formiert haben, sind die Bäuerin, deren Geliebter und späterer Mann unter den Deutschen Polizist wird, und der jüdische Partisan. In beiden Biographien spielt Verdrängung eine Rolle: Die Frau verdrängt die Realität des Krieges, der Partisan verdrängt lange seine jüdische Herkunft – einfach um zu überleben. Ich habe mehrere Duett-Konstellationen für die beiden kom­ poniert. Im Fall dieser Geschichten sehe ich übrigens die größte Möglichkeit von Protest voraus. MH Weil sie im Widerspruch zum Geschichtsbild eines geeinten Kampfes im Zweiten Weltkrieg stehen? Ich habe Verwandte gefragt, wie sie die Zeit der Besatzung erlebt haben. Die Antworten sind sehr widersprüchlich. Zu beiden Biographien finde ich auch Anknüpfungspunkte innerhalb der Geschichte meiner eigenen Fami­ lie: Meiner Großmutter ist die Flucht von der Halbinsel Krim nicht gelun­ gen. Sie musste sich während der deutschen Besatzung für eine Weile unter Partisanen verstecken, weil sie verwundete Rotarmisten bei sich aufgenommen hatte. Andererseits hat sie sich später ganz einfach auf eine Normalität unter der deutschen Besatzung eingestellt. Es gibt recht hübsche Fotos von ihr, die wurden von Deutschen gemacht, mit einer Agfa-Kamera. Als die vielen Deutschstämmigen, die schon vor dem Krieg auf der Krim lebten, mit der Wehrmacht abzogen, ist ihre Familie in eines der verlassenen Häuser gezogen. MH Haben diese Erinnerungsspuren, wie sie Alexijewitsch festhält, Platz in der öffentlichen Wahrnehmung von Geschichte in Russland? MH

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Gespräch mit Sergej Newski und Titus Engel

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Es gibt so viele Schattierungen, die nicht in den Geschichtsbüchern stehen. Obwohl mit Ende der 1980er Jahre eine lange Phase der Aufarbeitung von Geschichte einsetzte. Die hielt bis etwa zum Jahr 2000 an. Seither ist Sowjetnostalgie zu einer Art offiziellen Ideologie geworden. Daher waren für mich diese Kriegserinnerungen spannend, gerade jetzt, wo man in Russland versucht, die Geschichte wieder zu vereinheitlichen. MH Gibt es Momente, wo die Figuren mit ihren Erinnerungen konkurrieren, sich widersprechen? Das passiert, wenn die Erinnerungen des Jüdischen Partisanen und der Frau des Kollaborateurs an den Krieg aufeinanderprallen. Die beiden stehen sich dann auch szenisch wie bei einem Disput gegenüber. MH Übersetzt du bestimmte erinnerte Erlebnisse und damit verbundene Emoti­ onen mit musikalischen Mitteln in musikalische Affekte? Oder gehst du vor ­ allem dem Prozess des Freilegens von Erinnerungen durch Sprache nach? Mir war es wichtig, die musikalische Struktur so zu organisieren, dass sie den Affekt, den die Erinnerung auslöst, in sich aufnehmen kann und gleich­ zeitig verfremdet. Das erlaubt immer wieder Präsenz und Distanz gleich­ zeitig. Auch die Polyphonie erlaubt uns, eine Erinnerung beispielsweise nicht nur als endlose Klage zu hören, sondern als Möglichkeit der Besin­ nung. Wenn man als Komponist zwei Texte überlagert, spürt man bereits, wie sie miteinander korrespondieren. Diese Überlagerungen öffnen einen Raum für die Reflexion über die Geschichten. Die Musik hat die Aufgabe, ein Zeitkontinuum zu schaffen, in dem wir die Geschichten parallel erfah­ ren können. Wenn die Berichte der Frau des Kollaborateurs und des Jüdischen Partisanen sich überlagern, gibt es noch einen dritten Text, gesungen vom Tenor und der Mezzosopranistin als das kindliche Alter Ego des Partisanen. Das habe ich als zweistimmigen Choral angelegt, um Klarheit zu erreichen. Ich hatte übrigens die Prüfungsszene aus der Zauberflöte im Hinterkopf: ein protes­ tantischer Choral urplötzlich in einer Freimaurer-Oper – ein musikalisches Zeichen von etwas Schicksalhaftem. Sergejs Musik zeichnet eine klare formale Sprache aus. Auch ein Traditi­ onsbezug, der nicht immer im ersten Moment zu hören ist. In jedem Inter­ mezzo steht nicht nur ein Affekt im Vordergrund, sondern es gibt jeweils auch eine zugrunde liegende Form, die ein Vorbild in der Musikgeschichte hat. Das ist aber alles andere als ein Komponieren in Zitaten. Traditionelle Formelemente werden durch Sergejs eigene Musiksprache transformiert oder gefiltert. Oftmals sind diese Formelemente älter und traditioneller als die Mittel, die Mussorgski verwendet. Die bereits erwähnte Straßen­ szene ist beeinflusst von einer Vokalkomposition aus dem frühen 16. Jahr­ hundert, Les cris de Paris, in der Clément Janequin die Ausrufe der Markt­ schreier festgehalten hat. Wenn in einem der ersten Intermezzi der Jüdische Partisan auftaucht, erklingt ein Tango, gespielt von Klavier, Kontra­ bass und Schlagzeug.

Die Polyphonie der Wirklichkeit


Morten Shelde, The Seer, 2018


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Das ist eine Reminiszenz an das Gefangenenorchester des Konzentrationslagers Lemberg-Janowska bei Lviv, das bei Exekutionen einen „Tango des Todes“ spielen musste. Das hat natürlich eine bewusste inhaltliche Analogie zur Kindheitserfahrung dieses Mannes. Aber die Verwendung der musikgeschichtlichen Rückbezüge hat zunächst auch einen starken formalen Aspekt: Sie helfen, die Strukturen zu organisieren. Meine Vorlage ist ja ein ziemlich langer Prosatext. Mussorgski arbeitet in seiner Oper mit einer offenen Form, obwohl ihr ein in Versen geschriebenes Drama zugrunde liegt. Er öffnet diesen Dramentext ins Prosahafte. Ich versuche umgekehrt, Alexijewitschs Texte so zu organisieren, dass ich einen geschlos­ senen Charakter erreiche. Auch im Wissen darum, dass ich mich zwischen diese großartigen Tableaus von Mussorgski hineinzwänge. Auch wenn ich zu keinem Zeitpunkt die Idee gehabt habe, mit Mussorgski zu konkurrieren, musste ich ihm eine starke Struktur gegenüber stellen. MH Mussorgski gilt neben Alexander Dargomyschski als Erfinder einer neuen Art von rezitativischem Gesang. Wie bist du mit Stimme umgegangen? Diese Erinnerungen sind ursprünglich mündliche Berichte. In Secondhand-Zeit habe ich versucht, meine speziellen Ausdruckstechniken mit den besonderen Stimmfarben der Sänger*innen unseres Projekts zu verbinden. Am liebsten habe ich eine barocke Stimmbehandlung, ein Dehnen des Textes, ein melismatisches Aussingen von Silben. Für mich ist es normal, wenn sich ein Satz über mehrere Seiten der Partitur erstreckt. Das war angesichts der Textfülle dieser Geschichten nicht immer möglich. Von der angesprochenen Errungenschaft Mussorgskis sind wir Komponisten heute übrigens fast alle beeinflusst: Bei ihm sind Intonation und Melodie der gesprochenen Sprache in Musik übertragen. Mussorgski ging nicht von den musikalischen Konventionen vokalen Komponierens seiner Zeit aus, sondern von seiner Beobachtung. Er war dahingehend ein empirischer Komponist. Außerdem trage ich vielleicht doch auch so etwas wie den Melos russischer Volksmusik in mir, auch das schafft eine Korrespondenz zu Mussorgski. Mein Intermezzo vor der Schenkenszene ist der wahnwitzige Versuch, eine osteuropäische romantische Volksoper von drei Minuten Länge zu schreiben (lacht), wobei die Solistinnen, ein 16-köpfiger Frauenchor und das Orchester in vier Tempi und fünf Tonarten gleichzeitig musizieren, als wären mehrere Volkslieder übereinander geschichtet. In Secondhand-Zeit reicht der stimmliche Ausdruck von freiem Sprechen über den Sprechgesang bis zu unterschiedlichen Gesangsstilen. Da wiederum gibt es Barockgesang, hochdramatischen Gesang oder eben ganz eigene, von Sergej entwickelte experimentelle Techniken. Das ermöglicht eine unglaubliche Differenzierung im Umgang mit Text. Bei den ersten Proben schien es, als hätte Sergej Newski unglaublich komplizierte Rhythmen für die Sänger*innen geschrieben. Hat man diese aber erst einmal verinnerlicht, merkt man, dass das nicht so weit weg davon ist, wie wir ohnehin mit Sprache umgehen. Die Polyphonie der Wirklichkeit


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Genau, ein auskomponiertes Rubato. MH Sergej, von Anfang an stand fest, dass du mit der Orchesterbesetzung von Boris Godunow arbeiten wirst. Du hattest dir nur eine entscheidende Erweiterung gewünscht: die Vergrößerung des Schlagwerks. Außerdem gibt es neben dem Klavier noch ein Harmonium. Bringst du permanent den gesamten Orchesterapparat zum Einsatz? Eigentlich schon. Es gibt zwei Ausnahmen. Im Intermezzo V spielen nur die Schlagwerker, sehr ungewöhnliche Instrumente übrigens: verschiedene Luftschläuche und Mundharmonikas, die nur mit dem Harmonium kombiniert werden – das schafft eine akustische Traumlandschaft. Und in der Moskauer Straßenszene habe ich eine Mischung geschaffen aus Aufnahmen von Stadtgeräuschen, Orchesterpassagen und davon unabhängigem Gesang a capella. Paul-Georg Dittrich und ich teilten übrigens früh die Idee, die geschlossene Präsentationsform des Guckkastentheaters zu erweitern, so sind auch immer wieder Sänger*innen im Zuschauerraum verteilt. Auch in Mussorgskis Orchestrierung stehen extrem kraftvolle Tutti neben einer sehr sparsamen Instrumentation. Oft lässt er nur wenige Instrumente spielen. Es gibt unglaublich viele Bläser-Soli, die Fagotte haben so viele solistische Passagen wie in kaum einer anderen Oper. Auch die Bratschen-Gruppe verwendet Mussorgski immer wieder auf sehr charakteristische Weise. Das ergibt wiedererkennbare Leitklänge. MH Wie konnte sich nach Mussorgskis Tod jahrzehntelang das Vorurteil halten, er müsse als Autodidakt zugleich ein technischer Dilettant gewesen sein? Warum konnte erst Nikolai Rimski-Korsakows Neufassung der Instrumentierung dem Werk zu Erfolg verhelfen? Man vermisste die handwerkliche Perfektion nach den Regeln, die trotz des romantischen Individualitätsbegriffs als allgemein gültig betrachtet wurden. Tatsächlich wundere ich mich auch an der einen oder anderen Stelle: Ist das jetzt ein Fehler oder in seiner Klangfreiheit wirklich genial? Wenn zum Bei­ spiel ein Instrument aus der dynamischen Balance herausfällt, Mussorgski es lauter spielen lässt, müssen wir versuchen zu verstehen, was er damit erreichen wollte. Oft ergibt das sehr besondere Klangfarben. Überall in der Partitur lässt sich ein ganz eigenständiger Ausdruckswille ablesen. Man kann bei Mussorgski die kammermusikalische Behandlung des Orchesters in der Oper lernen. Damit hat er unter anderem Alban Berg und Claude Debussy beeinflusst. Sein freier Umgang mit der Form hat ihn auf einem völlig anderen Weg als Richard Wagner zu durchkomponierten Strukturen geführt. Dabei spielt immer der gesungene Text die zentrale Rolle. Wobei auch Leitmotive wichtig sind – kompositorisch wiederum anders verwendet als von Wagner. Sie charakterisieren Figuren oder wiederkehrende Situationen: Boris spricht zu seinen Kindern mehrfach mit dem gleichen Motiv. Wenn Grigori auftaucht erklingt das gleiche Motiv, wie wenn vom falschen Dimitri gesprochen wird.

Gespräch mit Sergej Newski und Titus Engel

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Morten Shelde, The Staircase II, 2019


Der Aufseher über die Menge vor dem Kloster hat das gleiche mechanisch anmutende Motiv wie die Grenzwachen bei Litauen. Abgesehen davon, dass meist der gleiche Sänger in beiden Szenen besetzt wird – Mussorgski lässt alle Funktionäre der Überwachung die gleiche Sprache sprechen, eben uniform erklingen. Die Motive sorgen für Wiedererkennung. Sie sind sehr gestisch und eng mit den Regieanweisungen verbunden. Dieses gestische Komponieren ist äußerst kleinteilig, was vor allem in der Schenken-Szene auffällt: Fortwährend wechseln die Emotionen und Tempi. Alle zwei Takte ist man mit dem Ohr bei einer anderen Figur. Das hat etwas Filmisches, ist eine Schnitt­ technik in Reaktion auf die Handlung. Das ist bereits musikalischer Expressionismus. MH Kommen wir noch einmal auf Secondhand-Zeit zurück: Nach dem Tod des Zaren Boris werden die Stimmen aus Secondhand-Zeit in einem Finale zusam­ mengeführt, wobei sogar der Chor singt. Was heißt es, diese Einzelschick­ sale am Ende in so eine kollektive Struktur einfließen zu lassen? Egal wie modern wir in unserem formalen Denken sind, bei einem dreistündigen Opernabend erwarten wir eine Katharsis als Schluss. Der Anfang dieses Finales knüpft nahtlos an das Ende der Todesszene von Boris Godunow an, mit dem gleichen Des-Dur-Akkord, der dann in meiner Komposition zu einem Spektralklang wird. Mehr als jedes anderes Musiktheaterwerk haben mich Bernd Alois Zimmermanns Die Soldaten beeindruckt. Ich habe Die Soldaten übrigens als Gastspiel der Stuttgarter Oper in Moskau 1989 das erste Mal auf der Bühne erlebt. Da gibt es auch ein großes Finale, in dem sich viele Erzählebenen gleichzeitig abspielen und alle Figuren zugleich singen. Natürlich versteht man dort nicht jeden Text im Wortlaut. Aber man wird emotional geführt, hört eine Apokalypse. Ich hoffe, dass sich dem Publikum auch die Aspekte von Secondhand-Zeit durch die musikalische Form erschließen, auch hier im Finale. Mir war es wichtig, dass die Sänger*innen am Ende aus ihren Rollen heraustreten können und wie Menschen auf der Straße zum Publikum sprechen. Der Schlusschor mit seinem ganz eigenen Rhythmus und Atem schafft dafür einen Raum der Reflexion, wie es vielleicht nur Musik kann. Er steht verbindend und vielleicht versöhnend über allen Geschichten. MH Der Chor singt auf Russisch eine Gedichtzeile, geschrieben von dem Jungen, der sich mit 14 Jahren getötet hat. Vielleicht stammt die Zeile aus einem längeren Gedicht, aber darüber wissen wir nichts Konkretes. Ich habe extra bei Swetlana Alexijewitsch nachgefragt, aber sie hat den Kontakt zu dieser Frau verloren, nachdem diese aus Russland ausgewandert ist. MH Die eine Zeile ist wie eine finale Flaschenpost. Aber eine, die nicht zu schwer zu entziffern ist. Es geht darum, dass die Menschen kommunizieren müssen. MH

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Gespräch mit Sergej Newski und Titus Engel

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In meinen Büchern erzählt der „kleine Mensch“ von sich. Das Sandkorn der Geschichte. Er wird nie gefragt, er verschwindet spurlos, er nimmt seine Geheimnisse mit ins Grab. Ich gehe zu denen, die keine Stimme haben. Ich höre ihnen zu, höre sie an, belausche sie. Die Straße ist für mich ein Chor, eine Sinfonie. Es ist unendlich schade, wie vieles ins Nichts gesagt, geflüstert, geschrien wird. Nur einen kurzen Augenblick lang existiert. Im Menschen und im menschlichen Leben gibt es vieles, wo­ rüber die Kunst nicht nur noch nie gesprochen hat, son­ dern wovon sie auch nichts ahnt. Das alles blitzt nur kurz auf und verschwindet, und heute verschwindet es be­ sonders schnell. Unser Leben ist sehr schnell geworden. Flaubert sagte von sich, er sei „ein Mensch der Feder“, ich kann von mir sagen: Ich bin ein Mensch des Ohres. Swetlana Alexijewitsch

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Wo immer ich eine Rede höre, und wer es auch ist, der da redet, vor allem: was er auch sagen mag – gleich nimmt die musikalische Wiedergabe einer solchen Rede in meinem Gehirn Gestalt an. Modest Mussorgski an Nikolai Rimski-Korsakow

... Das ist lebendige Prosa in Musik; nicht Geringschätzung der Tondichter gegen­über der schlichten menschlichen Rede, die in kein heroisches Kostüm gehüllt ist – das ist Achtung vor der menschlichen Sprache, Reproduktion des einfachen Gespräches. Modest Mussorgski an Ludmilla Schestakowa über seine Arbeit an der Oper Heirat

Genau dort, in der warmen menschlichen Stimme, in der lebendigen Widerspiegelung der Vergangenheit, verbirgt sich die ursprüngliche Freude und offenbart sich die unab­ wendbare Tragik des Lebens. Sein Chaos und seine Lei­ denschaft. Seine Einzigartigkeit und seine Unbegreiflich­ keit. Alles ist echt. Swetlana Alexijewitsch

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Bruchstücke lesen, Leerstellen hören Paul-Georg Dittrich im Gespräch mit Miron Hakenbeck PGD

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Christian Fogarolli, Trompe l’oeil, 2018

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Gespräch mit Paul-Georg Dittrich


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Ist die Oper eine geeignete Form, um Geschichte zu vergegenwärtigen? PGD

Da in der Oper viele Ausdrucksformen zusammenkommen und sie mit dem Me­ dium Musik ein Transmitter körperlicher Erfahrungen sein kann, ist sie geradezu prä­ destiniert dafür, den emotionalen Kern his­ torischer Ereignisse zugänglich zu machen. Dabei geht es nicht so sehr um die Vermitt­ lung historischer Fakten, die durch eine Re­ por­tage oder in dokumentarisch arbeitenden Theaterformen besser aufgearbeitet wer­ den können. Wobei diese versuchen, einen objektiven Zugang zu finden, wozu Distanz nötig ist. Die Oper überwindet diese Distanz. Sie transportiert nicht nur historische Er­ fahrungen, vielmehr ist sie sogar in der Lage, gleich­zeitig Visionen von Alternativen zu entwerfen. Damit verankert sie die Gegen­ wart in mehrere Richtungen: die Vergangen­ heit, wie sie war, wie sie hätte gewesen sein können und die Zukunft, mit ihren vielen Optionen. MH

Wir verbinden zwei Werke aus zwei Zeiten miteinander, die wiederum auf zwei verschiedene historische Zeiten blicken. Du hast gleich zu Beginn entschieden, dass die Inszenierung einen erzählerischen Zusam­ menhang stiften soll. Welchen Zugang hast du zu dieser Konstruktion gefunden? PGD

Das war ein recht langer Prozess, weil das Panorama, das durch die unterschied­ lichen Bestandteile aufgemacht wird, auf den ersten Blick erschlagend groß ist. Den­ noch steckt im Kern dieser Kombination ein grundlegender Gedanke: Geschichten sind miteinander verbunden und auch die Dimensionen der Zeit durchdringen sich gegenseitig. Gegenwart ist mit dem Vergan­ genen verwoben, auch wenn wir das nicht immer bewusst wahrnehmen. Alles, was wir

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täglich erleben und tun ist eine Konsequenz von dem, was einmal war. Zugleich wirken sich unsere Gedanken, Träume und Hand­ lungen auf die Zukunft aus. Mein Grundim­ puls war, mit den Verbindungslinien unter den Zeiten zu spielen: sie sichtbar zu ma­ chen und noch stärker miteinander zu ver­ weben. Es geht darum, Zeit nicht als Pfeil zu begreifen, der in Richtung Fortschritt weist, sondern als Landschaft. Durch jeden von uns fließt ein Strom mehrerer Zeiten. MH

In der Inszenierung werden keine de­ finierten historischen Zeiten in scharfer Abgrenzung gegeneinander gezeigt. Die Übergänge sind fließend, Schichten über­ lagern sich. PGD

Im Fall von Mussorgskis Boris Godunow ging es uns zunächst darum, eine Gesetz­ mäßigkeit herauszuschälen, anstatt ein his­ torisches Kolorit zu wählen. Diese Oper er­ zählt sehr exemplarisch vom Aufstieg und Fall eines Mächtigen, was wiederum eng mit der Situation des Volkes verbunden ist – mit seiner Orientierungslosigkeit, seinen Irrtümern, seinen Bedürfnissen und seiner Wechselhaftigkeit. Wir zeigen eine fiktive und modell­ hafte Gesellschaft nach einer Katastrophe, die zu einem Bruch mit der Vergangenheit geführt hat. Die Menschen suchen hier nach der Möglichkeit eines Neuanfangs. In der Bühne von Jana Findeklee und Joki Tewes, aber auch in den Kostümen von Pia Dederichs und Lena Schmid verbinden sich Elemente aus der Vergangenheit mit Zeichen, die auf eine fiktive, dystopische Zukunft verweisen. Statt der Reproduktion einer konkreten his­ torischen Zeit sehen wir die Studie einer Ge­ sellschaft, die es in der einen oder anderen Form schon einmal gegeben hat oder die in gar nicht so weiter Zukunft einmal existie­ ren könnte.

Bruchstücke lesen, Leerstellen hören


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Deren Form entsteht nicht aus dem Nichts sondern aus Relikten einer Vorzeit. Vergangenheit ist als Müll, Schrott und Ru­ i­ne überliefert. In der freigelegten Archi­ tektur sind Elemente einstiger Zukunfts­ vorstellungen sichtbar: kommunistischer Futurismus, ein Mosaik, das die Kernspal­ tung als heroische Bezwingung der Elemen­ te durch den Menschen glorifiziert, daneben auch Herrschaftszeichen des Zarentums, Elemente orthodoxen Glaubens. Alles ist be­ reits da gewesen. Ist das nicht pessimistisch? PGD

Das ist einerseits ein Zeichen dafür, dass grundlegende gesellschaftliche Mecha­ nismen sich wiederholen, auch wenn Ge­ sellschaftssysteme sich ablösen. Andererseits – und das ist vielleicht im Detail versteckt – gibt die Verwebung oder Collage unterschied­ licher ästhetischer Ebenen ein ganz gutes Bild unserer Gegenwart ab. Wir leben – zu­ mindest nehme ich es so wahr – in einer Zeit des Copy-and-paste oder des Sampling. Das ist an sich sehr sympathisch: Anstatt unter dem Vorzeichen permanenter Innovation etwas vermeintlich authentisch Neues zu er­ finden, lesen wir fortwährend Bruchstücke oder Relikte der Vergangenheit auf, befra­ gen sie, tragen sie weiter, wobei wir sie neu kombinieren oder überschreiben. Bei allem Remix geht es aber um ein Bewusstsein da­ für, welche Wurzeln diese Spuren des Ver­ gangenen haben, woher sie kommen und mit welchen Bedeutungen sie ursprünglich aufgeladen waren. Es gibt in einem Interview mit dem Filmemacher und Schriftsteller Alexander Kluge übrigens einen Gedanken, der für mich einen Aspekt unseres Projektes sehr gut be­ schreibt. Kluge bezeichnet Träume als „die Nahrung auf dem Weg zum Ziel“ und trennt sie damit von dem Begriff der großen, nie einlösbaren Utopie. Für ihn haben Träume vielmehr mit Heterotopien zu tun, das heißt,

Gespräch mit Paul-Georg Dittrich

sie stellen andere, alternative Wirklichkeiten dar, die gleichberechtigt und gleichzeitig nebeneinander existieren. In jedem Moment und jeder Biographie steckt damit ein ganzes Spektrum verschiedener Möglichkei­ten. Auch wenn wir immer wieder Richtungen und Wege wählen – vielleicht leben Teile von uns doch auch andere Optionen. MH

Du hast davon gesprochen, dass wir nicht nur in Relikten der Vergangenheit leben, sondern sogar in uns selbst andere Zeiten wirksam sind. Durch die Kombination mit der Neukomposition Secondhand-­ Zeit werden in sechs der Figuren aus Boris Godunow ganz konkret zusätzliche Biographien oder Zeitschichten lebendig. Was bedeutet ist, dass in diesen Fällen immer zwei Biographien von ein und derselben Person gesungen werden? PGD

Die Überblendung von Boris Godunow mit Einzelschicksalen aus Secondhand-Zeit bietet zunächst einmal die Chance von Closeups auf einzelne Personen aus der Menge. Mussorgski porträtiert in unglaublich großen Chorszenen ein leidendes und kaum aufbegehrendes Volk. Dieses Leiden wird nur als das der Menge beschrieben. Newskis Nah­aufnahmen auf die existenzielle Situation Einzelner erlauben, genauer nachzufragen: Wieso wird da gehungert und gelitten? Hunger und Leid sind dabei nicht ausschließ­lich materiell, sondern auch seelisch zu verstehen. Oft kristallisiert sich eine solche Einzelgeschichte aus der Menge heraus: Am Ende der Krönungsszene und in der Schenkenszene beispielsweise friert eine kollektive Situation ein und wir zoomen wie mit einer Kamera in die Seele einer Figur hinein. Das wirft ein anderes Licht auf das Verhalten dieses Volkes. Letztlich könnten dort alle Menschen ähnlich komplexe und widersprüchliche Erfahrungen

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schildern, wenn jemand sie zum Sprechen brächte. Auf einer zweiten Ebene lässt sich durch diese Verbindung mit Secondhand-­Zeit sehr viel über das Wesen von Erinnerung erzählen. Jeder Mensch trägt sichtbare und unsichtbare Narben. Mit unsichtbaren meine ich eigene aber auch schmerz­hafte Erfahrungen, die in einer Familie oder Gesellschaft von Generation zu Generation unbewusst weitergegeben werden. In dieser dystopischen Godunow-Welt tauchen die Ge­ schichten aus Secondhand-Zeit als Spuren einer Zeit auf, die wir alle eindeutig als Teil der jüngeren Vergangenheit einordnen kön­ nen. Wir zeigen sie nicht konkret, aber sie kehrt wieder und artikuliert sich in sechs Figuren von Mussorgskis Oper. Geschichte steckt wie eine DNA in jedem Körper. Man kann sie bewusst wahrnehmen, analysieren und weitertragen. Der Zugang zu ihr kann aber auch verstellt sein. Ein Bild, ein unvorhergesehenes Ereignis oder die Begegnung mit einem Menschen verweisen einen dann unerwartet auf einen Aspekt der eigenen Vergangenheit und Vorvergangenheit, den man noch gar nicht bewusst wahrgenommen hat. Auf diese Weise wird das Unterbewusstsein getriggert und wir beginnen uns zu erinnern. Das kann auch als surreal erlebt werden, als Déjà-vu. Erinnern ist also ein Prozess, oft ein dialogischer, der von einem Gegenüber oder einer Situation ausgelöst werden kann. MH

Das beschreibt in etwa die Pimen-Szene in Boris Godunow. Pimen will eine ganz wesentliche Geschichte endlich in seiner Chronik festhalten, schließlich erinnert er sich an das Ereignis in aller Detailliertheit, als würde er es noch einmal erleben, weil Grigori ihm Fragen stellt. Im Libretto beschreibt Mussorgski ganz naturalistisch einen schreibenden Mönch in seiner Zelle. In

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der Inszenierung wird Pimen aus der Erde hervorgeholt, mit der er über Schläuche oder Fäden verbunden ist. PGD

Pimen ist für mich eine Schlüsselfi­ gur, auch für unsere Verzahnung der beiden Partituren: Er ist der Chronist, der beklagt, dass die kommende Gesellschaft den Blick zurück verlernt hat und die Erfahrungen ver­ gangener Tage ignoriert oder vergisst. Die Szene hat auch damit zu tun, auf welche Wei­ se Erinnerung gespeichert sein kann – in der Sprache, in der Schrift, in den Körpern. Ich sehe Pimen als eine Art metaphysisches We­sen, das sämtliche Geschichten aller Zei­ ten archiviert, als eine Geschichte, die sich buch­stäblich in die Körper einschreibt. Man kann ihn befragen. Er kommt aus der Ver­ gessenheit an die Oberfläche, weil es mit Grigori ei­nen Suchenden gibt, der durch einen biographischen Nebel irrt. Das wird natürlich dadurch verstärkt, dass der Sän­ ger des Grigori auch den Jüdischen Parti­ sanen aus Secondhand-Zeit singt. MH

Was das Erinnern im Verhältnis zur Wahrheit betrifft, gehen beide Figuren ei­ nen unterschiedlichen Weg: Grigori nimmt eine fremde Identität an, indem er sich als Thronfolger Dimitri ausgibt. Der Jüdische Partisan kommt in mehreren Intermezzi von Secondhand-Zeit dem traumatischen Kern seiner Kindheit schrittweise näher. Du hattest die Aufteilung dieser Figur in unterschiedliche Lebensalter vorgeschla­ gen. Sergej Newski hat das musikalisch auf­ gegriffen: Wir hören einen Tenor, den Sänger des Grigori, einen Bariton und eine Mezzo­ sopranistin, als Verkörperung des Kindes. Alle drei sind immer gemeinsam präsent, als würden alle drei Lebensalter in diesem Mann zugleich existieren. Über ihr Verhält­ nis schaffst du sehr eindrücklich ein Bild von der Haltung zur eigenen Erinnerung:

Bruchstücke lesen, Leerstellen hören


Zu Beginn will der Mann in den mittleren Jahren sie noch unterdrücken und das Kind zum Schweigen bringen, das er ja selber ist. Das Kind ist in ihm alt geworden. Das würde bedeuten, dass Erinnerung gar nicht unbedingt an die Gegenwartsperspektive gekoppelt ist, dass wir ungefiltert und direkt auch die vergangene Erfahrung abrufen können. PGD

Zum großen Teil konstruieren wir unsere Erinnerungen sicherlich. Wenn wir feststellen, dass uns Bruchstücke des Geschehens fehlen, füllen wir ihre Leerstellen mit unserer Phantasie auf. Das Hinzuphantasierte interpretieren wir dann als Tatsache. Erinnerung kann also auch eine Fälschung sein. Die Möglichkeit, Erinnerung zu konstruieren, kann so weit gehen, dass unsere Erinnerung von anderen instrumentalisiert wird. Schuiski zum Beispiel benutzt Pimen, um Boris den Todesstoß zu versetzen. Man kann den Bericht des herbeigeschleiften Pimen von einer Wunderheilung durch den toten Dimitri auch als manipulativ eingesetzte Legende ansehen. MH

Auf der Ebene des Videos geht es auch noch einmal darum, worum die Erinnerungen einzelner Figuren kreisen. Die Figuren aus Secondhand-Zeit haben in diesen Videos alle Doppelgänger, die gemeinsam diese Erinnerungsbilder live herstellen. PGD

Was es auf den ersten Blick komplizierter aussehen lässt, weil das Publikum mit noch mehr Zeichen und Bildebenen konfrontiert ist. Ich glaube aber, diese Dopp­ lung der Figuren schafft einen direkteren Zugang zu den Geschichten: Körperliche Erfahrungen und Situationen im Video verweisen auf ein Kerntrauma oder eine grund­ legende Sehnsucht jeder Figur. Diese Erfahrungen stecken in den Figuren, aber der

Gespräch mit Paul-Georg Dittrich

Zu­gang zu ihnen ist manchmal deutlicher, manchmal verborgener, wie ein Nebel, der sich lichtet und wieder dichter wird. Manch­ mal kann dieser Zugang bewusst geöffnet oder geschlossen werden. MH

Boris Godunow wird durch Schuiski auf eine Vergangenheit gestoßen, die für ihn selbst hinter einem Nebel zu liegen scheint: den gewaltsamen Tod des Zaren­ sohns Dimitri, für den er verantwortlich ist und der lange Jahre später sein Gewissen be­ lastet. Du hast seinen Weg von der Krönung bis zum Tod auch als Modell für die Wieder­ kehr ähnlicher Mechanismen in der Aus­ übung von Macht beschrieben: Ist es die Er­ fahrung, dass Macht auch bei den besten Absichten auf Opfer gebaut ist? PGD

Mussorgski gestaltet den Niedergang des Zaren sehr psychologisch: Das ist kein kaltblütiger Mörder, sondern ein von Am­ bivalenzen geprägter Mensch. Er sieht eine Aufstiegschance, zögert, sie anzunehmen, gefällt und vergisst sich dann aber selbst in dieser Position. Und als würde ganz Russ­ land auf seinen Schultern lasten, scheitert er daran, den Wünschen und Ansprüchen des Volks gerecht zu werden. Vor allem aber hält er dem Druck der politischen Intrigen Schuiskis und der Bojaren nicht stand. Aber natürlich ist er ein Täter. Er weiß, dass er Blut vergossen hat, um selbst an die Macht zu kommen. Daran zerbricht er. In dieser Bedrängnis empfindet er den Tod vielleicht sogar als willkommene Erlösung, als ein­ zigen Moment von Freiheit. MH

Du lässt ihn in der Kammer einmauern, aus der er zu seiner Krönung herausgeholt wurde. Ein wachgerufener Geist, der zurück soll?

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Er geht freiwillig in diese Grabkammer, baut selbst an seiner Einmauerung mit. Das Individuum stirbt, aber wie andere Träger von Macht geht Boris als Abbild, als Ikone oder Statue unsterblich in die Geschichte ein. Das hat sogar einen tragischen Aspekt. Im Gegenzug zu dieser Verewigung eines Einzelnen ringen die Newski-Figuren im Finale darum, mit ihren Geschichten gehört zu werden. Und das ist wie ein Auftrag: Vergesst meine Geschichte nicht! Wenn sich niemand an mich erinnert, dann sterbe ich nach meinem Tod vielleicht ein zweites Mal, und mit mir auch die, von denen meine Erinnerungen Zeugnis ablegen. MH

Mit ihrem Anspruch, Gehör zu finden, steht für die Menschen doch nicht nur die Frage im Mittelpunkt, welchem Zaren sie als nächstes folgen sollen. Ist der Kreislauf der Geschichte doch nicht alternativlos? PGD

Es entsteht zumindest ein Raum für die Gleichwertigkeit und Gültigkeit aller Ge­ schichten. Die Zarengeschichte rückt wie eine siebente Geschichte auf die Ebene von Secondhand-Zeit. Wir lassen den Schlusschor im Zuschauerraum singen. Das weckt hoffentlich eine Sensibilität dafür, dass diese Geschichten stellvertretend für die Geschich­ ­ten stehen, die in jedem von uns sprechen. Das Finale ließe sich also auch radikal erwei­ tern: Man könnte im Sinne dieser Gleich­be­ rechtigung aller Geschichten ein Mikrophon herumgeben und jeden hinein­­sprechen lassen. Am Ende steht für einen Moment alles still und alle – Mitwirkende wie Publikum – teilen einen Klangraum. Das ist ein Dialog auf vielen Ebenen: darüber, woher wir kommen und welchen Rucksack an Erfahrungen und Beziehungen wir mit uns tragen.

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Bruchstücke lesen, Leerstellen hören


Christian Fogarolli, Shape roller, 2018

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Gespräch mit Paul-Georg Dittrich


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