Zeitung No. 2 | Staatsoper Stuttgart

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wirklich neu! Alle Premieren der zweiten Spielzeithälfte!

K nzert Ko Márton Illés – composer in focus im Gespräch → S. 28

DIE ZEITUNG DER STAATSOPER STUTTGART

ISSUE No. 2 03/19 — 07/19

Es gehe nicht darum, zu zeigen, wie wirklich die Dinge sind, sondern darum, wie die Dinge wirklich sind, heißt es bei Bertolt Brecht. Das umreißt ziemlich genau das Spannungsfeld, in dem sich unser Frühjahrsfestival wirklich wirklich bewegt, mit dem wir die zweite Hälfte der Saison 2018/2019 eröffnen werden:

Essay Maria Muhle über Neue Wirklichkeiten → S. 3

wirklich wirklich Alles über das Frühjahrsfestival der Staatsoper Stuttgart → S. 14

JOiN Uraufführung! Leo Dicks Antigone-Tribunal nach einem Text von Slavoj Žižek → JOiN S. 16

wirklich gut! Unsere Wiederaufnahmen → S. 22 Unser Ensemble → S. 26

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Die Neuproduktionen von Hans Werner Henzes Der Prinz von Homburg mit einem Libretto von Ingeborg Bachmann, die Uraufführung von Leo Dicks Antigone-Tribunal im JOiN nach einem Text von Slavoj Žižek sowie die Stuttgarter Erstaufführung der Minimal-Oper Nixon in China von John Adams bilden den Rahmen für zahlreiche kurzweilige, neue Formate im und in der Nähe des Opernhauses zu Fragen der Wirklichkeit(en), mit denen wir uns heute konfrontiert sehen. Im Frühsommer werden mit der Premiere von Christoph Willibald Glucks Iphigénie en Tauride in der Regie von Krzysztof Warlikowski und der musikalischen Leitung von Stefano Montanari dann Fragen nach unserer europäischen Identität zentral: Calixto Bieitos Inszenierung von Der fliegende Holländer ist bereits Kult, genauso wie die legendäre Salome-Inszenierung von Kirill Serebrennikov aus dem Jahre 2015, die wir in der Originalbesetzung wiederaufnehmen. Neu ist Àlex Ollés (La Fura dels Baus) Deutung des Faust-Mythos in der fulminanten Version von Arrigo Boito: Mefistofele ab Mitte Juni. Cornelius Meister wird sich um die Wiederaufnahmen von Mozarts Così fan tutte sowie Strauss’ Ariadne auf Naxos kümmern und um einen Schluss- und Höhepunkt der Konzertsaison: das 7. Sinfoniekonzert mit einer Uraufführung von Márton Illés, unserem ersten composer in focus, und Strauss’ Ein Heldenleben. Auf dass wir uns wirklich häufig treffen – um gemeinsam den Fragen nicht aus dem Weg zu gehen! Ihr Viktor Schoner und das gesamte Team der Staatsoper

staatsoper-stuttgart.de

hrs a j h frü #1 l a v i fest 3. – 17. .19 4 . 5 1

No.

SAISON 18/19


RICHARD STRAUSS

ARIADNE AUF NAXOS Musikalische Leitung Cornelius Meister Regie & Dramaturgie Jossi Wieler, Sergio Morabito 2., 10., 15., 21. Juni 2019

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ISSUE No. 2

Essay

It’s all new sincerity to me

nen kann. Derzufolge gäbe es also eine jedem Bild, Text, Theaterstück etc. eingeschriebene binäre Logik, deren einer Pol die Inszenierung, d.h. bspw. durch Nachstellungen erreichte Fiktionalisierung ist, die somit einer Logik der Identifizierung und Affizierung durch dasselbe Bild, den Text, das Stück stattgibt. Der andere Pol entspricht einer dokumentarischen Logik, die sich eben jener Fiktionalisierung versagt und die gezeigte Wirklichkeit möglichst neutral in die Abbildung übersetzt, das Dagewesene streng realistisch reproduziert und damit zugleich einen Raum für die kritische Reflexion auf dieses Dargestellte öffnet, die sich der Rezeption im affektiven Modus gegenüberstellt. Nun weisen aber nicht zuletzt die Irrungen und Verwirrungen um den Begriff der Wirklichkeit darauf hin, dass es eindeutig zu kurz gegriffen wäre, den „richtigen“, „realistischen“ Zugriff auf die Wirklichkeit auf einer Seite dieser Opposition zu verorten, also entweder als Inszenierung und in der Folge im affektiven Rezeptionsmodus zu verstehen oder aber als Realismus, der in der Folge einen reflexiven Raum eröffnet, in dem mit dem Gezeigten kritisch gearbeitet werden kann. Vielmehr scheint die derzeitige Diskussion auf ein generelles Oszillieren im Umgang mit dem realistischen Anspruch der Bilder zu verweisen: So wird ein rein, naiv, eindeutig dokumentarisch-realistischer Modus, in dem die Bilder dasjenige zeigen, was ist („das Leben, wie es ist“, in den Worten Dziga Vertovs), mit mindestens zwei Argumenten verabschiedet: Erstens aufgrund der Diskussion um die subjektive Durchdrungenheit der dokumentarischen Aufnahmetechniken, d.h.

Neue Wirklichkeiten Maria Muhle

1  Gideon Kiefer,  Eisbären Müssen Nie Weinen 2  Gideon Kiefer,  The Equirectangular Equilibrium

Wenn einerseits Kellyanne Conway, 2017 Beraterin des US-Präsidenten, von „alternativen Fakten“ spricht, um Falschaussagen des damaligen Pressesprechers des Weißen Hauses Sean Spicer über die bei der Vereidigung des amerikanischen Präsidenten angeblich anwesenden Menschenmassen zu rechtfertigen; und wenn andererseits der nicht mehr ganz so neue amerikanische Präsident Donald Trump die Verbreitung von „fake news“ als politische Strategie in Anspruch nimmt und sie zugleich seinen Gegner*innen aus den sogenannten liberalen Medien unterstellt, und wenn zuletzt der ehemalige Chefstratege von Trump, Steve Bannon dazu rät, man müsse angesichts der derzeitigen politischen „Krise“ (?) den „administrativen Staat dekonstruieren“, um die Politik wieder zu beleben, dann scheint diesen Behauptungen oder Imperativen eine grundlegende Verunsicherung eines tradierten Wirklichkeitsbegriffs zugrunde zu liegen – eine Verunsicherung, die im Fall der US-amerikanischen Administration zugleich als Verfallsthese und als politische Strategie zum Einsatz kommt. Dass dies bei Weitem kein US-amerikanisches Phänomen ist, zeigen u.a. die Operationsweisen der neuen Rechten in Europa, die gegen einen „neuen Relativismus“ mobil machen, der im Namen einer „postmodernen Identitätsdiversifizierung“ und damit einhergehender totaler Kontingenzversprechen die althergebrachten Werte, Zuordnungen und Verteilungen preisgebe. So konnte man auch in den deutschen Medien kürzlich verfolgen, wie sich der zunächst als linker Terrorakt und Mordversuch eingestufte tätliche Angriff auf einen AfD-Abgeordneten nach Sichtung eines Videos aus einer Überwachungskamera vom Tatort ganz anders dargestellt hat. Jene, die ihren politischen Gegner*innen die Verbreitung falscher Tatsachen als politische Strategie unterstellen, sind also offensichtlich auch jene, die diese Verfälschung von Wirklichkeit selbst schonungslos zum Einsatz bringen, um ihre politischen Ziele durchzusetzen. Die sogenannte politische Bühne inszeniert also einen Kampf um Wirklichkeit, d.h. um deren Interpretationshoheit, die zugleich, und darin liegt der entscheidende Zug, nicht als Interpretation, sondern eben als Wirklichkeit selbst ausgeflaggt wird, nicht als falsche oder richtige Darstellung des wirklich Geschehenen, sondern als selbstevidente, unmittelbar erfahrbare – und damit politisch eindeutig „richtige“ oder „falsche“ – Sachlage.

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aufgrund der Tatsache, dass immer „jemand“ (Fotograf*in, Filmer*in, Regisseur*in) den Ausschnitt, die Bildperspektive, die Szene, etc. bestimmt, und es sich daher – entgegen André Bazins Ontologie des fotografischen Bildes – nicht um einen reinen Automatismus handelt; der zweite, und vielleicht interessantere Grund, aus dem ein „naiver“ oder reiner Dokumentarismus hinterfragt wird, ist die Einsicht darein, dass die Annahme, man könne Wirklichkeit quasi unmedialisiert wiedergeben, also problemlos und neutral das Wirkliche darstellen, den Charakter des (fotografischen, kinematographischen, theatralen) „Bildes“ selbst verfehlt, das eben gerade kein Fenster auf die Welt ist, also eine an sich transparente, seine Existenz verneinende Folie. Vielmehr sind es je schon Bilder, die eine Verkettung oder Verflechtung von Betrachtenden und Welt-Referenz einrichten. In diesem Sinne wären Betrachter*in und Wirklichkeit eben gerade keine unabhängig von den Bildern gegebenen Terme, wie dies ein naiver Dokumentarismus annehmen muss. Eine Antwort auf die politische Verunsicherung des Wirklichkeitsbegriffs ist die sich allseits verbreitende Beschwörung und Anrufung der Rückkehr zu den „harten“ Fakten, die den „alternative facts“ entgegen gehalten werden müssen, sowie die etwas leiser geäußerte Vermutung, es sei eine dekonstruktive, ironisierende und Ununterscheidbarkeiten produzierende Post-Moderne gewesen, die „uns“ in eine solche Situation geführt habe, in der es der populistischen extremen Rechten möglich ist, „falsche“ Fakten zur Grundlage ihres Regierungsgeschäfts zu machen und gleichzeitig andere der ideologischen Propaganda durch Verbreitung falscher Fakten zu beschuldigen. In diesem Zusammenhang wurde auch die bereits zitierte Aufforderung von Steve Bannon – „to deconstruct the administrative state“ – von einigen Stimmen als Bestätigung dafür verstanden, dass die neue Rechte sich die theoretischen Begriffe der alten Linken angeeignet hätte und nun aus der theoretischen Verunsicherung, die u.a. im Zuge der Dekonstruktion um sich gegriffen habe, politisches Kapital schlage.

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Diese Diskussion ist nicht neu, vielmehr wird sie besonders im ästhetischen Feld der medialen Historiographie und dokumentarischen Bildtheorie seit Langem geführt und hier zwischen zwei Polen aufgespannt, die man als Inszenierung und Reflexion, Fiktionalisierung und dokumentarische Abbildung, Nachstellung und Darstellung bezeich-

Als Antwort auf diese Gemengelage scheint ein neuer Konsens eben jenen Unterschied zwischen fact und alternative fact zum zentralen Einsatz von Politik zu machen und dabei vorauszusetzen, dass ein solcher Unterschied gezogen werden kann und daher muss. Dass aber gerade eine solche Rückkehr zu einer politischen Faktologie ihrerseits wiederum Probleme in sich birgt, die der Darstellung, Weiterverbreitung und Einordnung von Wirklichkeit in kausallogische Handlungsanordnungen inhärent sind, scheint dabei in den Hintergrund zu rücken.


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In diesem Sinne handelt es sich um ein Problem, das eben nicht nur den Wirklichkeitsbegriff und seine Zugänge in der Kunst betrifft, sondern ein weitaus allgemeineres philosophisches, politisches und eben ästhetisches Problem anspricht: Ein gegenwärtiges Schlagwort, unter dem diese Fragen verhandelt werden, ist dasjenige der „new sincerity“, das eine neue Aufrichtigkeit oder auch Ernsthaftigkeit meint, die sich Ende der 1980er Jahre aus dem akademischen Milieu der post-strukturalistischen, postmodernen Theorie heraus und gegen diese, bzw. gegen eine vorgebliche „Tyrannei der postmodernen Ironie“ in den Geistes- und Kulturwissenschaften und von hier aus in der gesamtem Kulturlandschaft entwickelt hat.

3  Gideon Kiefer, Der Darsteller 4  Gideon Kiefer, I’ll Paint You As You Used To Be 5  Gideon Kiefer, You Got Up The Tree So You Can Get Down Alle Werke von Gideon Kiefer Courtesy Galerie Geukens & De Vil, Antwerpen © Gideon Kiefer

Bevor die „new sincerity“ sich jedoch in der literarischen Diskussion etabliert, betrifft sie zunächst, so weiß der ausführliche WikipediaArtikel zu berichten, die Musikszene, und zwar extrem konkret eine Gruppe alternativer Rockbands in Austin, Texas, zwischen 1985 und 1990, die die neue Ernsthaftigkeit als Reaktion auf und als Absetzung von Punk und New Wave verstanden. Der Begriff „new sincerity“ geht dabei anscheinend auf einen Kommentar des Punkrockers Jesse Sublett zurück, der eben jene neue Szene eher despektierlich folgendermaßen beschrieb: „It’s all new sincerity to me... It’s not my cup of tea.“ Die positive Indienstnahme des Begriffs versteht hingegen die ästhetischen Äußerungen einer „new sincerity“ v.a. als Abwendung von einer Post-Moderne, deren verallgemeinerte Ironisierung einen konsequenten ethischen, moralischen, politischen Standpunkt unmöglich machen soll. In diesem Sinne erläutert auch der Literaturwissenschaftler Adam Kelly die „new sincerity“ als „post-postmodernism“: „In popular usage, the contemporary turn to sincerity tends to be regarded as a sturdy affirmation of nonironic values, as a renewed taking of responsibility for the meaning of one’s words, as a post-postmodern embrace of the ‚single-entendre principles‘ invoked by Wallace in an essay now regularly cited as an early manifesto for the New Sincerity movement.“ I Bei diesem Essay handelt es sich um den literaturkritischen Text „E Unibus Pluram: Television and US Fiction“, den der amerikanische Schriftsteller David Foster Wallace bereits 1993, also drei Jahre vor seinem monumentalen Werk Infinite Jest, veröffentlichte und der als frühes Manifest der „new sincerity“Literatur gelesen wird. Wallace führt dieses Verlangen nach einer neuen Ernsthaftigkeit über die Notwendigkeit eines neuen literarischen Rebellentums ein, die dem theoretisch-politischen Verständnis der 1990er Jahre als „some weird bunch of anti-rebels“ erscheinen  musste, als „born oglers who dare somehow to back away from ironic watching, who have the childish gall actually to endorse and instantiate single-entendre principles“ – die also dem ironischen double entendre, der Mehr- oder Doppeldeutigkeit, ein Prinzip der Eindeutigkeit entgegensetzen. Diese neuen „literary heroes“ bearbeiten, so Wallace, „plain old untrendy human troubles and emotions in U.S. life with reverence and conviction. Who eschew self-consciousness and hip fatigue. These anti-rebels would be outdated, of course, before they even started. Dead on the page. Too sincere. Clearly repressed. Backward, quaint, naive, anachronistic. Maybe that’ll be the point.“ II

I Adam Kelly, „The New Sincerity“, in: Jason Gladstone, Andrew Hoberek, Daniel Worden (Hg.), Postmodern/ Postwar – and After. Rethinking American Literature, Iowa: University of Iowa Press 2017, S. 198. II David Foster Wallace, „E Unibus Pluram: Television and US Fiction“, Review of Contemporary Fiction, 13:2, Summer 1993, S. 192–193. III Vgl. Thomas Melle, Die Welt im Rücken, Berlin: Rowohlt 2016. Der  Roman, der von der bipolaren Störung des Autors handelt, wurde 2017 von Jan Bosse am Wiener  Burgtheater inszeniert. IV Eine Doppeldeutigkeit, die das Englische durch den Unterschied von history und story, das Deutsche durch denjenigen von Historie und Geschichte löse. V Jacques Rancière, Die Wörter der Geschichte, Berlin: August Verlag 2015, S. 25.

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Und auch wenn der Gegensatz zwischen einer postmodern informierten Tyrannei der Ironie in der amerikanischen Kulturlandschaft und einer neuen Generation aufrichtiger, echter, wahrer, ernsthafter AntiRebell*innen in diesem Text allzu scherenschnittartig hervortritt, so beschäftigt er doch weiterhin die literarische Arbeit von Autor*innen wie Wallace selbst, Junot Diaz, Tao Lin und Colson Whitehead, aber auch publikumswirksamere Autor*innen wie Zadie Smith und Jonathan Franzen oder in Deutschland bspw. Thomas Melle, der selbst seine autobiographische Bipolaritäts-Schilderung hier verortet.III Dabei scheint das „post-“ des „post-postmodernism“ weniger auf ein Ende der Ironie hinzudeuten als vielmehr auf eine Verarbeitung von Ironie als grundsätzliche conditio gegenwärtiger westlicher Gesellschaften (in Analogie zu der Diskussion um Post-Digitalität, die keinesfalls ein Ende des Digitalen, sondern vielmehr dessen Verallgemeinerung für die Generation der digital natives oder millennials beschreibt). Und auch hier scheint eine Antwort in der (literarischen, künstlerischen, theatralen) Produktion von Eindeutigkeit, Klarheit, Echtheit zu liegen, die sich der postmodernen Ununterscheidbarkeit von Lebens- und Kapitalformen genauso wie der rechtspopulistischen Funktionalisierung alternativer Fakten entgegenstellen soll. So richtig ein Widerstand in beiden hier sehr verkürzt skizzierten Fällen ist, so problematisch scheint doch weiterhin der Versuch, der allgegenwärtigen Uneindeutigkeit eine neue Eindeutigkeit entgegenzustellen: Dies hat u.a. Jacques Rancière immer wieder in seinen politischen und ästhetischen Arbeiten herausgestellt, ebenso wie in seinen historiographischen, die erst zuletzt stärker rezipiert wurden und die auf ganz spezifische Weise mit der Frage des Wirklichen interagieren: Zu Beginn seiner 1992 unter dem Titel Die Wörter der Geschichte veröffentlichten Studie verweist Rancière auf die Doppeldeutigkeit von Geschichte, die einerseits die historischen Ereignisse und ihre Akteure bezeichnet, andererseits aber auch den Bericht oder die Erzählung dieser historischen Ereignisse und Subjekte meint. IV Anstatt jedoch diese Doppeldeutigkeit im Namen der Geschichte aufzulösen, gilt es vielmehr, so argumentiert Rancière, ihr Rechnung zu tragen und zwar nicht durch den Versuch, sie durch Eindeutigkeit zu ersetzen – also eine Geschichte als entweder historische Wirklichkeit oder fiktionale Erzählung zu verstehen. Vielmehr gilt es, das Prinzip des „sowohl als auch“ anzuerkennen und Geschichte aufzuspannen zwischen ihrem rein realistischen und ihrem fiktionalisierenden Anspruch: Andernfalls würde gerade der besondere Status von Geschichte verfehlt, der darin begründet liegt, dass sie die Homonymie ihres eigenen Namens nicht zu überwinden trachtet. Denn dieses „Spiel der Homonymie“ ermöglicht es der Geschichtsschreibung, „die Disjunktion in Konjunktion zu verwandeln: sowohl Wissenschaft als auch Erzählung, das heißt: Nicht-Geschichte und Geschichte [...].“ V In diesem Sinne kann auch die politische Antwort auf die Verunsicherung von Wirklichkeit nicht, zumindest nicht allein, die Affirmation einer wirklicheren, kritischeren, reflektierteren Wirklichkeit sein, noch die Aufforderung zur Rückkehr jener traditionellen (Wirklichkeits-)Werte, die der anstürmenden Kontingenz durch die Stiftung neuer alter Einheiten (Familie, Glaube, Nation) Einhalt gebieten sollen. Vielmehr muss die politische Antwort die ästhetische Verunsicherung von Wirklichkeit immer mitdenken, denn diese erlaubt es ihr zuletzt auch, den angeblich faktischen Wirklichkeiten andere, mögliche Wirklichkeiten entgegenzusetzen, für deren Verwirklichung es sich einzusetzen gilt.

Prof. Dr. Maria Muhle studierte Philosophie, Spanische Philologie und Politikwissenschaften in Madrid und Paris. Seit 2014 ist sie Professorin für Philosophie/ästhetische Theorie an der Akademie der Bildenden Künste München. In ihren Arbeiten beschäftigt sie sich mit den politischen Implikationen ästhetischer Fragestellungen.

Gideon Kiefer wurde an der Königlichen Akademie der Schönen Künste in Antwerpen ausgebildet. Er lebt und arbeitet in Belgien. Seine Arbeiten sind in internationalen Ausstellungen und Galerien zu sehen. www.gideonkiefer.com

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Wann ist echt echt REGISSEURIN ANNA-SOPHIE MAHLER IM GESPRÄCH MIT INGO GERLACH ÜBER REALITÄTEN AUF DER BÜHNE IG Du arbeitest als Regisseurin sowohl im Schauspiel als auch im Musiktheater und hast darüber hinaus mit Capri Connection noch eine freie Gruppe, mit der Du dokumentarisches Theater machst. Was ist Theater für Dich? Was bildet es ab? Versuchst Du, im und mit dem Theater eine Wirklichkeit herzustellen? ASM Ich finde es toll, wenn man im Theater an einen Moment kommt, der real ist. Selbst wenn drum herum alles gebaut ist. Bei Die sieben Todsünden/Seven Heav­ enly Sins gibt es zum Beispiel das Boxen. Das ist für die Darsteller*innen so anstrengend, dass ihre Erschöpfung real wird. Die wird nicht gespielt, sondern erlebt und dadurch auch für die Zuschauer*innen erlebbar. Auf der Bühne etwas zu sehen, das mit dem Inhalt zu tun hat, aber nicht gespielt wird, sondern sich unmittelbar überträgt, finde ich extrem spannend. Als Regisseurin versuche ich, an diese Punkte zu kommen. IG Kommt man im Schauspiel schneller auf solche Momente des Realen als im Musiktheater? Oder muss man in der Oper einen anderen Weg gehen? ASM Man kann in der Oper trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer Künstlichkeit Momente des Realen erzeugen, nicht zuletzt über die Körper der Darsteller*innen und ihre Energie. Abgesehen davon ist natürlich der Vorgang des Singens, also die Technik, immer ein sehr realer Moment. In der Arbeit mit meiner Gruppe Capri Connection ist das andersherum. Da führen wir anderthalb Jahre Interviews zu einem Thema, gehen also von der Realität aus, auch von biographischem Material, und setzen das, was wir sammeln, in einen Kontext. Wir verdichten das. Für mich ist dann wiederum sehr wichtig, welche Musik dazu kommt. Das hat in meinen Arbeiten starke Auswirkung auf die Struktur des Abends. Ob man sich jetzt wie bei Tristan oder Isolde an der fast gleichnamigen Oper von Richard Wagner entlangarbeitet, oder ob man Musik nimmt, die auf den ersten Blick nichts mit dem Gegenstand zu tun hat: Mit der Musik versuchen wir, etwas rauszufiltern, was unter oder hinter dem Ganzen liegt, was die Interviews miteinander verbindet, vielleicht auch auf eine Art und Weise, die man sprachlich nicht fassen kann, weil das Wort bereits eine Abstraktion ist. An dem Abend Ars moriendi beispielsweise ging es um eine Diskussion über Baudrillards Der symbolische Tausch und der Tod, die 1983 in Tübingen von hochkarätigen Philosoph*innen geführt und unter dem Titel Der Tod der Moderne auch verlegt wurde. Diese Gruppe hat sich die Köpfe heißgeredet, ohne zum Kern vorzustoßen, weil

Fotos: Bernd Weissbrod

Neuproduktion

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sie natürlich auch nichts über den Tod sagen konnte, was über die Spekulation Sterblicher hinausgeht. Diesen Moment des Unsagbaren haben wir dann über die Musik einfangen können, die das Unsagbare eben doch emotional nachvollziehbar gemacht hat: Purcells Funeral Music for Queen Mary, gespielt von der Schola Cantorum Basiliensis. Einer der Diskutanten von 1983, war sehr angetan von Ars moriendi und meinte, dass sie damals völlig aus den Augen verloren hätten, worum es eigentlich geht. Und dass die Musik genau die Leerstelle gefüllt habe, die sie damals nicht gefüllt gekriegt hätten. IG Das Bemerkenswerte war aber auch, dass in der zwar dokumentarischen, aber ja doch sehr künstlichen Welt von Ars moriendi die auftretenden Musiker*innen mit ihrer anderen Form von Künstlichkeit ein Moment des Realen waren. ASM Das finde ich großartig am Theater, dass solche Verschiebungen möglich sind. Je nachdem, wie man etwas komponiert oder zusammenstellt, verändert sich die Bedeutung. Es ist nie eine Eins-zu-eins-Abbildung von Leben. Es geht vielmehr um die Frage, auf welche Weise man etwas verknüpfen kann, damit dann etwas in Erscheinung tritt, das man vorher gar nicht gesehen oder bemerkt hat, das nicht sichtbar oder hörbar war. IG Gibt es in den Sieben Todsünden auch so einen Einbruch des Realen? ASM Wenn man so will, haben wir mit Peaches etwas Reales reingeholt. Es ging uns darum, sie mit dem Stück von Brecht und Weill in Beziehung zu setzen, bzw. sie Brecht und Weill entgegen zu stellen. Das wäre dann das „Live Testimonial“, also Teile aus ihrer Show, die wir hier als zweiten Teil eines Doppelabends präsentieren. Das ist nicht von uns inszeniert, sondern es kommt etwas rein, das es schon gibt. Also Anna-Sophie Mahler featuring Peaches. Der Unterschied ist nun, dass es mit Josephine Köhler und Louis Stiens Darsteller*innen gibt, die sowohl bei Brecht und Weill also auch bei Peaches mit dabei sind. Dadurch wird der Gegenstand des Abends in einen größeren Zusammenhang gesetzt. IG Ihr nehmt die Kunstfigur „Peaches“ also als eine Art Readymade-Wirklichkeit mit in den Abend? ASM Ja. Wobei das ja keine Rolle ist, in die jemand vor Vorstellungsbeginn reinschlüpft. Peaches hat sich als Peaches erfunden und ist seitdem Peaches. Und das war für uns ganz zentral, weil sie eben als Peaches Erfahrungen gemacht hat, einen Background hat und somit auch einen Diskurs mitbringt, der mit der Brecht/ Weill-Setzung extrem viel zu tun hat. Dadurch, dass es Peaches gibt, die sich im Showbiz behauptet, wird die Verbindung gezogen zu dem Showbiz, das Brecht/Weill

als Rahmung für ihre Geschichte von den Todsünden erfunden haben. Und die verschiedenen Zeiten beginnen, miteinander zu korrespondieren. Die deutlich spürbare Historizität, die die Brecht/Weill-Erfindung aus den 1930er Jahren hat, wird mit der Realität der Gegenwart konfrontiert. Und Peaches kann dann eben auch davon erzählen, dass Geschichte, so wie sie bei Brecht/Weill in einer Zwangsläufigkeit abläuft, für sie so nicht mehr gilt. Peaches würde sagen, dass so, wie die Todsünden enden, und das, wo Frauen landen, für sie nicht mehr stimmt. Sie ist ganz woanders. Und dadurch ist man eben im heute. IG Aber die Peaches-Show ist ja auch Kunst. Das ist ja keine dokumentarische Abbildung von Wirklichkeit, sondern es gibt einen Abstraktionsgrad. ASM Das stimmt: es bleibt eine Erfindung, die aber an etwas angebunden ist, das über den Abend hinausgeht. Und darüber hinaus gibt es noch einen weiteren Moment der Realität: Den Abschnitt des Altwerdens, des Abschieds, bestreitet mit Melinda Witham die ehemalige Erste Solistin des Stuttgarter Ballets, die nun nach einem Leben auf und für die Bühne mit dieser Produktion ihren Abschied nimmt. Auch hier verquickt sich also die Biographie und der Körper der Darstellerin mit einem Teil der Narration des Abends. Wenn jemand anders den letzten Teil tanzen würde, würde dieser Aspekt fehlen. Und obwohl das alles choreographiert und gebaut ist, schwingt da eben doch eine andere Wirklichkeit neben der Bühnenwirklichkeit mit. Das finde ich sehr reizvoll. IG

In wie vielen Wirklichkeiten lebst Du?

In vielen. Je nachdem, in welchem Kontext man sich befindet. Und die sind schon sehr unterschiedlich. Privat, zu Hause, mit den Kindern, da bin ich vollkommen anders als wenn ich probe. Also ich rauche zum Beispiel nur, wenn ich inszeniere. Zu Hause käme ich gar nicht auf die Idee, eine Zigarette anzufassen. Das ist wirklich als wäre man ein anderer Mensch. Man funktioniert ganz anders, man teilt sich seine Energien anders ein. ASM

IG

ASM

Wie stabil ist deine Wirklichkeit?

(lacht) Sehr labil. IG

Bist Du bereit für neue Wirklichkeiten?

Immer. Ich finde nichts langweiliger als wenn man das Gefühl hat, zu wissen, wie die Dinge laufen. Das ist auch ein Grund für die Arbeit mit Capri Connection. Ich will mich nicht nur in Bereichen bewegen, die ich schon kenne und in denen ich mir bestätigen lassen kann, was ich weiß. Im Gegenteil: ich will mich überraschen lassen und neuen Aspekten nachgehen, die mich interessieren oder irritieren oder vielleicht auch verunsichern. Deswegen liebe ich es, in die verschieASM

densten Kontexte zu springen. Ich bin immer sehr skeptisch, wenn ich Leuten begegne, die davon überzeugt sind, sehr genau zu wissen, was die Wahrheit ist. Das kann nicht sein. Wir wissen ja noch nicht mal, warum wir da sind. Wie sollen wir dann wissen, wie die Welt funktioniert? IG Hat das Projekt, das du über die physikalische Grundlagenforschung am CERN gemacht hast, Der Urknall oder Die Suche nach dem Gottesteil­ chen, dein Denken über die Wirklichkeiten verändert? ASM Ehrlich gesagt: völlig. Wenn man in die Quantenphysik eintaucht, ist das unglaublich faszinierend und unfassbar verstörend. Wenn man merkt, dass das, was wir als unumstößliche Wahrheit oder Realität bezeichnen würden, nur für unsere Größendimensionen gilt. Wenn es kleiner wird, funktioniert alles anders. Wenn es größer wird auch. Beides können wir nicht mehr emotional nachvollziehen. Und damit ist doch eigentlich klar, dass wir absolut beschränkt sind, in dem, was wir wissen und was wir über die Wirklichkeit sagen können. Das übersteigt unsere Vorstellungskraft. In einem der Gespräche, die wir mit Quantenphysiker*innen geführt haben, ging es darum, dass sich die Teilchen anders verhalten, wenn sie beobachtet werden. Einmal sind sie ein Punkt, dann wieder eine Welle. Aber es ist bis jetzt völlig ungeklärt, woher das Teilchen überhaupt weiß, dass es beobachtet wird. Einsteins polemisch gemeinte Frage, ob der Mond auch da sei, wenn niemand ihn beobachtet, macht das Thema ja ganz plastisch. Denn es ist physikalisch nicht nachweisbar. Andererseits ist es mathematisch möglich, dass immer, wenn wir eine Entscheidung treffen, sich Millionen von Paralleluniversen bilden, mit all den anderen möglichen Entscheidungen, die wir nicht getroffen haben. Das sind Momente, in denen man sehr kleinlaut wird in Bezug auf die Frage, was wir über die Wirklichkeit wissen. Da haben wir nämlich keine Ahnung. Und insofern kann man nur neugierig bleiben. IG

Brauchen wir mehr Wirklichkeitssinn?

Ich würde sagen: es gibt ja eben nicht die eine Wirklichkeit. Und trotzdem braucht man ein stärkeres Bewusstsein für das, was gerade passiert und für die Gefahren. Da ist für mich der Klimawandel ein ganz zentraler Punkt. Und das ist übrigens auch etwas, was alle Physiker*innen in den Interviews gesagt haben, dass es sich dabei um die größte Katastrophe handelt, die auf uns zukommt. Man kann das zwar errechnen, aber der Mensch kann das nicht erfassen, weil er emotional nur 50 Jahre überblickt. Erst, wenn etwas näher als 50 Jahre ranrückt, erfassen wir auch emotional, dass da etwas passiert. In diesem Kontext oder für diese Wirklichkeit bräuchte man definitiv mehr Wirklichkeitssinn, denn wir handeln ja nicht, obwohl wir unserem Klima vollständig ausgeliefert sind. Also: Ob es den Mond wirklich gibt, wenn keiner ihn beobachtet, wissen wir nicht. Aber dass wir die Welt in eine Katastrophe stürzen, wenn wir jetzt nicht handeln, ist leider wahrer, als mir das lieb ist. ASM


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Peaches SEVEN HEAVENLY SINS Live Testimonial by Peaches

noch 4 Vorstellungen im März

Mit Elliott Carlton Hines, Josephine Köhler, Gergely Németi, Peaches, Christopher Sokolowski, Florian Spiess, Louis Stiens, Melinda Witham Staatsorchester Stuttgart

2019 Mrz

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So

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im Schauspielhaus Koproduktion mit dem Stuttgarter Ballett und dem Schauspiel Stuttgart

#StgtTodsuenden

← Josephine Köhler, Christopher Sokolowski, Gergely Németi, Louis Stiens, Florian Spiess, Elliott Carlton Hines, Staatsorchester Stuttgart 1 Peaches 2 Louis Stiens, Peaches 3 Louis Stiens 4 Josephine Köhler, Peaches, Louis Stiens

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* Uraufführung 1933 in Paris

Regie Anna-Sophie Mahler featuring Peaches Musikalische Leitung Stefan Schreiber Choreografie Louis Stiens Bühne Katrin Connan Kostüme Marysol del Castillo Licht Jörg Schuchardt Dramaturgie Katinka Deecke

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DIE SIEBEN TODSÜNDEN * Ballett mit Gesang von Kurt Weill, Text von Bertolt Brecht

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Sonn- und Feiertage

„Es ist immer einfach, längst offene Türen einzurennen. Aber obwohl die queer-feministische Lebensweise, die ich verfolge, mehr und mehr Aufmerksamkeit bekommt, leben wir nach wie vor in einer Blase. Wir müssen rausgehen, um die großen Institutionen einzubeziehen, und ihnen eine Chance geben, Teil der Revolution zu sein.“ Peaches

Von wem lebst du?

Kurt Weill

Die sieben Todsünden / Seven Heavenly Sins

Die sieben Todsünden/Seven Heavenly Sins


Die und die

sieben Todsünden Athletik der Affekte

Ach ja, die Sünde ist auch nicht mehr das, was sie einmal war: damals in den Zeiten, „als die Religion noch nicht langweilig war“, wie Hans Conrad Zander titelte, in den wilden Zeiten der ägyptischen Wüstenväter und frühen Mönche des 4. Jahrhunderts. Gebildete Asketen und spirituelle Athleten, wie sie sich selbst verstanden, analysierten die „Hauptlaster“ und „fatal don’ts“ auf dem Weg der spirituellen Vollkommenheit, die seit dem 7. Jahrhundert unter dem  Akronym „S-A-LL I-G-I-A“ fester Bestandteil der christlichen MoralLlehre sind: Stolz und Hochmut (superbia ( ), Habgier (avaritia), Ausschweifung und Vergnügungssucht (luxuria), Zorn (ira), Unmäßigkeit und Völlerei (gula ( ), Neid (invidia) und Überdruss, Unlust und Trägheit (acedia). 1

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superbia avaritia luxuria ira gula invidia acedia

Erstaunlich, dass diese „Todsünden“ sich bis heute ungebrochener, zumindest ästhetischer, Beliebtheit erfreuen. Sie haben sich gehalten sowohl gegenüber der kirchlichen Lehre als auch gegenüber dem säkularen Diskurs. Denn selbst nach kirchlicher Lehre sind die „Todsünden“ in der Regel gar keine Todsünden. Diese bestehen in einer spezifischen Handlung (und nicht einer Haltung), in der ein Mensch frei, willentlich, bewusst und in Abwendung von Gott schwerwiegend gegen das göttliche Gebot verstößt. Selbst die Kirche spricht da nur von „Hauptsünden“: Es ist gefährlich, aber bringt einen nicht unbedingt in die Hölle, wenn man die Taschen, den Hals oder das Bett nicht voll kriegen kann oder ansonsten seine Impulse nicht im Griff hat. „Aufgeklärte“ Zeitgenossen fangen ihrerseits mit dem Begriff der „Sünde“ nur noch ironisch etwas an. Wo wir „Verkehrssünder“, „Steuersünder“ oder „Umweltsünder“ kritisieren oder „Kaloriensünden“ und „Modesünden“ bedauern, glauben wir nicht ernsthaft, dass diese gegen Gebote Gottes verstoßen haben könnten. Mehr noch scheinen moderne Zeitgenossen mit dem Konzept von Sünde und Todsünde, inklusive der entsprechenden Bestrafung, nichts mehr anzufangen, weil sie ja zumeist daran gar nicht mehr glauben mögen: dass ein strenger Richtergott Menschen in die Hölle werfe, die selbst doch nur ein überholtes mythologisches Ammenmärchen aus tausend und einer orientalischen Nacht sei, ja, dass überhaupt ein Gott sei, der Menschen nach ihrem Ableben einer „stricta discussio“ unterziehen und verdammen könnte. Wo „Sünde“ als religiöses und biblisches Konzept das Vergehen gegenüber dem Gesetz Gottes meint, bleibt, wo dieser Gott nicht mehr geglaubt wird, neben der ironischen und eher spielerischen Rede von „Sünde“ für die echten Vergehen nur noch die soziale Dimension der Schuld, die in einer gesellschaftlichen oder individuellen Moral geächtet oder von den Normen des weltlichen Strafrechts geahndet wird. Säkulare Rechtsordnungen sind per definitionem auf immanente, und damit konventionalistische Legitimationsgründe verwiesen und damit kontingent. Das macht sie in gewisser Weise auch banal. „Sünde“ hingegen eröffnet einen phantastischen Horizont: dass sich da an transzendenter, ewiger, kosmischer, ja göttlicher Ordnung vergangen wird, und nicht nur gegen § 370 der aktuell gel-

von Dr. theol. Christian Hermes Stadtdekan von Stuttgart

tenden Abgabenordnung verstoßen wird. Sünde „macht“ in buchstäblicher Weise viel „mehr Sinn“, indem sie einen umfassenden interpretativen Kontext (wenn auch im Modus der Negativität und des Verstoßes) beansprucht und das individuelle Handeln wie die Geschichte des Menschengeschlechtes in einen totalen, nicht nur kosmischen, sondern schöpfungs- und erlösungstheologischen Gesamtzusammenhang, eine jener „großen Erzählungen“ einordnet, deren Ende für Lyotard die Postmoderne markierte. Es ist dieser Sinn-Überschuss, sind diese ins Große und Ganze, Mythologische und Theologische überschießenden Bilder und Begriffe, die Jürgen Habermas im Blick hat, wenn er Religion als „Sinnressource“ aufruft, deren „kognitiver Gehalt noch nicht abgegolten“ sei. Wenn er recht hat, dass solche aus den „fremdgewordenen Kulturen der Alten Reiche“ überkommenen und im begrenzten Blick szientistischer Rationalität überholten religiösen Überlieferungen „eine inspirierende Kraft für die ganze Gesellschaft entfalten, sobald sie ihre profanen Wahrheitsgehalte preisgeben“, gibt es gute Gründe, sich dem Motiv der Todsünden auch unter nachreligiösen oder postmetaphysischen intellektuellen, gesellschaftlichen und künstlerischen Aspekten mit Neugier zu nähern. Dass die „sieben Todsünden“ historisch im Umkreis des frühen christlichen Mönchtums als asketischmoralischer Topos Profil gewannen, korrespondiert mit dem Übergang popularethischer Diskurse aus der antiken, insbesondere stoischen Philosophie in das kulturell dominant gewordene Christentum. Diogenes Laertios hatte im 3. vorchristlichen Jahrhundert den vier Kardinaltugenden Mäßigung, Mut, Klugheit und Gerechtigkeit die Zügellosigkeit, Feigheit, Unbesonnenheit und Ungerechtigkeit als grundlegende Übel gegenübergestellt; Zenon von Kition vier Hauptaffekte Begierde, Furcht, Trauer und Lust hinzugefügt. Diese Tradition fließt in der christlichen Spätantike zusammen mit der weniger systematischen ethischen Paränese der alttestamentarischen Überlieferung, die freilich theologisch eingebettet ist in den Zusammenhang einer lebenstragenden Gottesbeziehung. Schon aus den Zehn Geboten als prominentem Beispiel erschließt sich ein Katalog zu meidender Handlungen und Verhaltensweisen, die nicht nur ob ihrer Sozialschädlichkeit, sondern als Verstöße gegen Gottes Gesetz und Bund verurteilt werden. Nach der „Gesinnungsethik“, die Jesus selbst den pharisäisch-oberflächlichen Reinheitsvorstellungen gegenüberstellt, gilt: „von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Verleumdung, Hochmut und Unvernunft. All dieses Böse kommt von innen und macht den Menschen unrein.“ (Mk 7,21 – 23) Paulus stellt verschiedentlich Sünden und Laster des geistlosen, „fleischlich“ und „irdisch“ gesinnten Menschen zusammen, die nicht nur ethisch verworfen werden, sondern zum Ausschluss aus dem Reich Gottes führen: „Die Werke des Fleisches sind deutlich erkennbar: Unzucht, Unsittlichkeit, ausschweifendes Leben, Götzendienst, Zauberei, Feindschaften, Streit, Eifersucht, Jähzorn, Eigennutz, Spaltungen, Parteiungen, Neid und Missgunst, Trink- und Essgelage und Ähnliches mehr … Wer so etwas tut, wird das Reich Gottes nicht erben.“ (Gal 5,19 – 21, vgl. Röm 1,29 – 31; 1 Kor 6,9 – 10). Über die späte Stoa und ihre christliche Rezeption prägen diese Kataloge auch jene kirchliche Bewegung, die sich am Übergang zum 4. Jahrhundert herauszubilden beginnt: „Aussteiger“ ziehen sich aus religiösen, aber auch sozialen und manchen anderen Gründen als Einsiedlermönche in die Wüste zurück oder eröffnen abgeschiedene und geschlossene Kommunen, in denen sie einem strengen geistlichen und asketischen Ideal nacheifern. Von einem der „Wüstenväter“, Evagrios Pontikos (um 345 bis 399), einem in der Eremiten-Siedlung im westlichen Nildelta hochangesehenen Mönch, übernimmt Johannes Cassianus (360/365 bis 432/435) die Achtlasterlehre und trägt sie in die lateinischsprachige Kirche: Gefräßigkeit, Schlemmerei und Genusssucht (gastrimargia, gula), Unzucht und Ehebruch (fornicatio), Geldgier (philargyria, avaritia, amor

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pecuniae), Zorn und Wut (ira), Traurigkeit (tristitia), Überdruss, Verzagtheit und Trägheit (acedia, anxietas, taedium cordis), Eitelkeit und Ruhmsucht (cenodoxia, vana seu inanis gloria) und schließlich Hochmut und Stolz (superbia). Der spätlateinische Dichter Prudentius (349 bis um 405) beschreibt in seiner großartigen allegorischen Dichtung Psychomachia den „Seelenkampf“ zwischen Tugenden und Lastern, in dem der Glaube über den heidnischen Götzendienst siegt, Keuschheit über Wollust, Geduld über Zorn, Demut und Hoffnung über Betrug und Überheblichkeit, Nüchternheit über Ausschweifung, Vernunft und Mildtätigkeit über Habgier, Einigkeit und Rechtgläubigkeit über Zwietracht und Häresie. Schließlich gibt der gelehrte Mönch und spätere Papst Gregor der Große (um 540 bis 604) in seinem Hiobkommentar den sieben Hauptlastern ihre kanonische Form. Der Stolz ist für ihn, mit Hinweis auf Sir 10,13, der Anfang der Sünde,  denn nach alter Mönchsweisheit macht er blind für die eigene Sündhaftigkeit und öffnet Tür und Tor für das „teuflische Heer“ aller anderen Laster und Sünden. Verloren geht durch die Kanonisierung, Popularisierung, Moralisierung und kasuistische Judikalisierung die Einbettung der Lehre von den „Todsünden“ in den Kontext einer philosophisch-religiösen Lebenskunst, die von der antiken Tugendlehre bis in die stoisch geprägte Spätantike und das Mönchtum moralische Werte und Normen in das Gesamtprojekt eines möglichst weisen und gelingenden, reflektierten und autonomen Lebens einzuordnen bemüht war. Aus der reflektierten Kunst, seinem Leben eine gute Form zu geben, Genüsse durch maßvolle Dosierung zu maximieren und nach habitueller Verwirklichung seiner höchsten, d.h. geistigen oder geistlichen Anlagen zu streben, wird eine massentaugliche, oft kleinteilige und kasuistische Moral, die in einem theodramatischen Kontext von Heil und Gericht, Heiligkeit und Sünde, Erlösung und Verwerfung, Gott und Teufel, Gnade und Verdammnis, weniger von der Hoffnung auf ethische Vervollkommnung als von der Angst vor ewiger Verdammung motiviert wird. Schließlich mutieren die Hauptlaster als gewohnheitsmäßige und persönlichkeitsprägende Fehlhaltungen zu „Hauptsünden“ oder werden in der spätmittelalterlichen Bußpredigt gar als „Todsünden“ populär und entfalten damit, in Frömmigkeit, Kultur und Kunst ein bis heute vitales Eigenleben. Vermutlich liegt in einer weithin säkularen Kultur die bis heute ungebrochene Attraktivität in der anthropologischen und psychologischen Relevanz der „sieben Todsünden“ in den darin angesprochenen Herausforderungen und Gefährdungen menschlicher Existenzgestaltung. So übernimmt auch Immanuel Kant in seiner Religionsschrift im Rahmen einer vernunftbegründeten Ethik die klassische Lasterlehre und unterscheidet „Laster der Rohigkeit der Natur“ bzw. „viehische Laster“, die sich aus der „Tierheit“ im Menschen und dem Trieb zur Selbst- und Arterhaltung ergeben (Völlerei, Wollust, wilde Gesetzlosigkeit) und sich aus der „vergleichenden Selbstliebe“ ergebende „teuflische Laster“ bzw. „Laster der Kultur“ (Neid, Undankbarkeit, Schadenfreude u.a.). In der „Pädagogik“ warnt er vor den Lastern des Neides, der Undankbarkeit und Schadenfreude, Ungerechtigkeit, Untreue (Falschheit), Liederlichkeit, sowohl im Verschwenden der Güter als auch der Gesundheit (Unmäßigkeit) und der Ehre, Lieblosigkeit, Kargheit und Trägheit (Weichlichkeit).

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1 Otto Dix, Die sieben Todsünden, 1933 Staatliche Kunsthalle,  Karlsruhe 2 Giorgio Vasari, Das Jüngste Gericht (Ausschnitt), 1572 Santa Maria del Fiore, Florenz 3 Hieronymus Bosch, Die sieben Hauptsünden und die vier Letzten Dinge, um 1490/1500,  Museo del Prado, Madrid akg-images, Berlin

Hinsichtlich der eigenen Person wie im Zusammenhang sozialen Zusammenlebens störende, destruktive und dysfunktionale situative Impulse und deren charakterliche oder habitualisierte Haltungsund Einstellungsbasis werden in der Selbstbetrachtung, der Auseinandersetzung mit gruppenbezogenen oder gesellschaftlichen Erwartungen von Sitte und Moral oder mit den geltenden Gesetzen und ihrer sanktionierten Durchsetzung zur Herausforderung. Gebote und Verbote, Tugend- und Lasterkataloge dienen dabei als „Definitionen“, Grenzziehungen und Beschreibungen des zu verwirklichenden Guten und zu meidenden Bösen im Raum menschlicher Freiheit sowie der Herausbildung und des authentischen Vollzugs einer gelingenden Lebensform. Entgegen der kantischen Unterscheidung handelt es sich dabei durchgängig um Herausforderungen, die der Mensch als soziales Kulturwesen in der Auseinandersetzung mit seiner körperlichen und psychischen Bedürfnissen und Impulsen zu ordnen oder, wie man vielleicht heute sagen würden, zu managen hat. Das Ich hat, freudianisch gesprochen, sowohl die Andersheit sozialer normativer Ansprüche und Interaktionen wie in ihm selbst sich Geltung verschaffender Impulse zu integrieren: hinsichtlich seines narzisstischen Selbstwerts (Demut und Bescheidenheit vs. Stolz und Neid), seiner verfügbaren und statusrelevanten Ressourcen (Habgier vs. Großzügigkeit), seines sexuellen, gastronomischen und leiblichen Genießens (Keuschheit und Maß vs. Ausschweifung und Unmäßigkeit) und seiner aggres-

siven und depressiven Stimmungen (Geduld und „guten Mut“ vs. Zorn oder Resignation bzw. Antriebslosigkeit). Die „Todsünden“ markieren dabei Grenze und Exzess moralischen Verhaltens und bekräftigen zugleich nicht nur die ihnen konträren Tugenden, sondern auch die zugrundeliegende anthropologisch-ethische Denkfigur von kulturell einzuhegenden natürlichen menschlichen Antrieben. Sie vermessen und eröffnen dabei zugleich den Bereich eines Genießens, das just an dieser Markierung und nur in der Spannung zu ihr und ihrem verbotenen Übertritt emergiert. Es ist in einer eigentümlichen Dialektik gerade die Sanktionierung der „Todsünden“, die diese als Möglichkeit des Genießens in ihrem Verbot zugleich in verlockende Aussicht stellen. Die „sieben Todsünden“ können so als eine ethisch-spirituelle „Athletik“ der Affekte angesehen werden, oder, wie Peter Sloterdijk sagen würde, einer „Anthropotechnik“. Im Gegensatz zu früheren Jahrhunderten mit ihrer klaren Entgegensetzung von Tugend und Laster zeigt sich freilich in der kapitalistischen Moderne, dass das moralische Feintuning von Verhalten und Haltungen insofern anspruchsvoller wird, als die vormodern eindeutig verurteilten Fehlverhalten und Laster nun selbst sogar zu Schlüsselqualifikationen im modernen Glücksprojekt des „pursuit of happiness“ werden. „Private vices“ sind nicht nur „public benefits“, wie Bernard Mandeville Anfang des 18. Jahrhunderts schrieb.  Selbstbewusstsein, Gewinnstreben, Konkurrenz, „kreative Destruktion“, Sex, Drugs and Rock’n Roll und jede Art von gechillter Freizeit erscheinen geradezu als Triebfedern moderner kapitalistischer Konsumgesellschaften. Dieses Vergnügen kostet seinen Preis. Denn nach dem Ende eines christlichen Sünden-Diskurses steht dem modernen oder postmodernen Menschen nur scheinbar jedes Vergnügen offen. Fjodor Dostojewskis Wort: „Wenn Gott nicht existiert, ist alles erlaubt“, hat Slavoj Žižek − durchaus mit Bezug zu  Michel Foucaults Analysen nachrepressiver Machtausübung − widersprochen: „Wenn Gott nicht existiert, ist alles verboten.“ Wo kein Gott die Sünden verbietet und damit die Freiheit des Genießens eröffnet, sondern stattdessen das Genießen zum vergnügungsindustriellen Zwang wird, gerät das Subjekt in einen Konflikt, der ihm genau jenes Glück unmöglich macht, für das es so sehr arbeiten muss. In Die sieben Todsünden der Kleinbürger lassen Bert Brecht und Kurt Weill die Protagonistin Anna dementsprechend auch eine „Psychomachia“, einen Seelenkampf, nicht nur mit sich selbst, sondern auch den kapitalistischen Verhältnissen austragen. Da ist die Verlogenheit der ausbeuterischen Familie, die Anna auf ihren Weg durch die amerikanischen Städte schickt, um ihr „Glück zu machen“, und sie mit moralinsauren Chorälen christlich-bürgerlicher Bigotterie zur Gewinnmaximierung antreibt: „Der Herr“, so wird im Namen des „Wohlstandsevangeliums“ gebetet, möge die Kinder erleuchten, dass „sie den Weg erkennen, der zum Wohlstand führt. Er gebe ihnen die Kraft und die Freudigkeit, dass sie nicht sündigen gegen die Gesetze, die da reich und glücklich machen.“ Da sind die im Sinn Brechtscher Amerika- und Kapitalismuskritik entfremdenden „Prüfungen“: Anna muss fleißig sein, sie muss künstlerischen Ambitionen abschwören und den Hauptsatz der Unterhaltungsindustrie kapieren. Sie muss lernen, Unrecht und Gemeinheit ohne Protest zu ertragen, ihren Körper in gutem Zustand zu Markte zu tragen und ihre romantische Liebe zugunsten eines lukrativeren Sugar-Daddy-Arrangements zu opfern. Anna muss die Regeln des ökonomischen Tausches lernen und, statt neidisch auf das gute Leben der anderen zu blicken, sich − Arbeitszwang  und Triebverzicht − auf das „Endziel“ konzentrieren: „Schwes ter, folg  mir und verzicht auf die Freuden, nach denen es dich wie die andern verlangt. Ach, überlass sie den törichten Leuten, denen es nicht vor dem Ende bangt!“ Die eschatologische Warnung: „Sie aber stehen, o schreckliche Wende, zitternd im Nichts vor verschlossenem Tor“, offenbart sich als zynisch-verlogener Bluff protestantischer Arbeitsethik im Geiste des Kapitalismus. Denn die kleinbürgerlichen Todsünden sind allenfalls noch Sünden gegen den Geist des entfremdenden und ausbeuterischen Kapitalismus, und die kleinbürgerliche Seligkeit ist nicht der Himmel der christlichen Mönche, auch nicht das Himmelreich auf Erden, sondern nur noch „das kleine Haus in Louisiana“. Der moralische Diskurs der christlichen Religion ist für Brecht ebenso wie der eines zur Ersatzreligion gewordenen Kapitalismus und schließlich deren beider bigotte Koalition desavouiert. Der in der Vergnügungsindustrie zur Ware degradierte und als sich selbst ausbeutende Aufziehpuppe abstrampelnde Mensch endet, wie Anna, in einem leeren und traurigen Zustand: Eine resignierte Anna ist schließlich nicht nur am Ziel, sondern auch am Ende. Diese gespaltene Persönlichkeit sagt von sich selbst: „Meine Schwester ist schön, ich bin praktisch. Sie ist etwas verrückt, ich bin bei Verstand“. Wo „Anna 2“ die Schwundstufe menschlicher Existenz in ihrer pragmatisch-vernünftigen und verwerteten Zivilisationsform vorführt, erinnert jedoch gerade „Anna 1“ an jene schöne Verrücktheit, die  an der Freiheit des Menschen festhält und für die anderthalb Jahrtausende zuvor schon die „Athleten Gottes“ in die ägyptische Wüste emigriert sind.


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Neuproduktion

Wirklichkeit träumen REGISSEUR STEPHAN KIMMIG IM GESPRÄCH MIT MIRON HAKENBECK MH In einem Text über seine Oper Der Prinz von Homburg behauptet Hans Werner Henze, wirklich erhellende Erfahrungen spielen sich wie im Fall der Titelfigur „im Traum ab, nicht im Laboratorium.“ Er zielt dabei auch darauf ab, mit welcher Rezeptionshaltung man sich seiner Musik am besten nähert. Welche Erhellungen erfahren die Figuren dieser Oper? Oder wir selbst? SK Das Stück spielt ja in einem militärischen Umfeld – auch wenn wir das Militär in unserer Inszenierung nur als Modell für Ordnungssysteme überhaupt lesen. In solch einem Umfeld gelten sehr starre Regeln, die man nicht ohne weiteres am helllichten Tag aushebelt. Um Grenzen zu verschieben, zuallererst im Denken, muss man manchmal träumerische Zwischenbereiche aufsuchen, wie sie vor allem die Nacht ermöglicht. Bei Kleist spielen fast alle Szenen in der Dämmerung. Henze sieht in seiner Wahlheimat Italien die Geschichte vielleicht aus der Sicht des Südens. In der Mittagshitze der südlichen Sonne kann schon einmal alles zu flimmern beginnen, sodass die Gedanken und Empfindungen in Unordnung geraten. Dieses Flirren der Wahrnehmung höre ich zu Beginn der Oper. Henzes Musik führt uns ganz tief in seltsame Seelenstrukturen. Die locken wie Gerüche oder wie das Meer, wenn man es von der Reling eines Schiffes anschaut. Der Prinz scheint im nächtlichen Garten nach etwas zu suchen, nach sich selbst vielleicht oder nach verborgenen Zeichen, um sich selbst näher zu sein. Er ist mit etwas beschäftigt, das er selbst nur halb versteht. Die anderen verstehen es überhaupt nicht, werden davon aber angezogen und zugleich in Unruhe versetzt. Sie kommen mit Lichtern angelaufen. Wenn man in die Nacht hineinleuchtet, um etwas zu sehen, nimmt man neben den angestrahlten Dingen auch andere Strukturen wahr. Das setzt die Phantasie in Gang. Den Figuren bieten sich in dieser Nacht also Möglichkeiten, ihre Empfindungsräume zu erweitern. Plötzlich scheint viel mehr möglich als am Tag mit seinen festgelegten Zeitstrukturen. Dieses nächtliche Verirrtsein erlaubt, aus den Zusammenhängen auszusteigen, die sinnvoll erscheinen, mit denen wir aber oft auch erst Sinn erzeugen, weil wir Sinnlosigkeit nicht aushalten. Man muss dieses Verirrtsein zulassen können. Das ist mutig.

Um Grenzen zu verschieben, zuallererst im Denken, muss man manchmal träumerische Zwischenbereiche aufsuchen, wie sie vor allem die Nacht ermöglicht. So verunsichert die anderen Figuren von der Nacht und vom träumenden Prinzen auch sind: Es gelingt ihnen einfacher, in die Ordnung des Tages zurückzukehren. Verschwimmt nur dem Prinzen die Trennlinie zwischen Nachttraum und Tagesgeschäft? SK Durch die vielen feinnervigen Bewegungen der Musik erscheint mir tatsächlich jegliche Ordnung im Verlauf der Oper unsicher zu werden. Auch außerhalb des eigentliches Traums. Der Prinz kehrt für einen Moment in die Realzeit zurück und erlebt einen Filmriss: Er kann das real Anwesende nicht mit seinem Traum verbinden. Dann taucht er wieder ab, surft im Zustand dieser Nacht und kommt in einer anderen Realität an als der, die wir gemeinhin als Realität bezeichnen. Wenn er in der Schlacht gegen den Befehl angreift, dann nicht nur, weil er bei der Befehlsausgabe zerstreut war oder weil er bewusst auf die Regeln pfeift: Er ist tatsächlich in einem ganz anderen Wahrnehmungsmodus. Der lässt ihn intuitiv spüren, dass es richtig ist, genau in dem Moment anzugreifen. Das Verhalten des Prinzen zeigt, dass wir Menschen viel mehr diffundieren könnten zwischen freieren und festgezurrteren Zuständen und Erfahrungsräumen. Das ist von Henze stark intendiert. Selbst bei einer militärischen Szene wie der Befehlsausgabe werden die Verhältnisse unsicherer. Die Musik folgt hier strengen Ordnungsprinzipien. Trotzdem wirkt sie tänzerisch, beinahe wie Jazz, als ob das Militär selbst ins Tanzen geraten könnte. Henze komponiert also in den Jahren, in denen beide Teile Deutschlands wiederbewaffnet werden, eine Form des Militärischen, die weniger rigide ist. Er träumt davon, dass wir vieles an uns abstreifen, was uns einengt, dass wir uns verpuppen und entpuppen. Das macht er auch an der Figur des Kurfürsten deutlich, der zwischen der Hinrichtung des Prinzen und Begnadigung entscheiden muss: Angespornt vom Prinzen lässt er sich auf die Suche ein, innerhalb seiner Funktion jemand anderes zu sein. So werden die strengen Gegenüberstellungen aufgelöst. MH Für die 1950er Jahre scheint es einfacher, die Gegensätze von  rigider Ordnung und Freiheitsimpulsen auszumachen oder Strukturen der Autorität und Disziplinierung zu erkennen, zu denen Henze eine Gegenwelt entwirft. Wir scheinen aber doch heute viel freier von Reglementierungen zu sein. Und leben in einer Gesellschaft, die den träumerisch-kreativen Impuls des Einzelnen sogar fordert. SK So ein Homburg’sches Träumen würde auch heute in vielen Betrieben und Institutionen für Verunsicherung sorgen. Sehr viele Menschen beklagen sich derzeit darüber, dass sie immer besser funktionieren müssen und die verfügbare Zeit immer knapper wird. Das ist das Ergebnis einer langjährigen Entwicklung: In den 1990er Jahren gingen Berater*innen von McKinsey  in alle Institutionen, auch in die Theater. Sie forderten, jede Stelle wegzurationalisieren, die nach irgendwelchen Richtlinien nicht zum Funktionieren beitrug. Es galt nur noch, was messbar war. Durch dieses Denken wurden zwischenmenschliche Atmosphären beschnitten. Vielleicht war ein*e Mitarbeiter*in zu langsam und schaffte in einer Stunde weniger als die anderen, hatte aber einen besonderen Blick auf die Materie und einen besonders menschlichen Kontakt mit den Kolleg*innen. Im Theater bringen manchmal gerade Dinge, die nicht messbar sind, eine Probe oder eine ganze Produktion weiter. Der Gedanke der Rentabilität und Nützlichkeit hat sich in vielen Bereichen durchgesetzt und viel in uns angerichtet, auch persönlich: Man haut sich mit Aufgaben zu und glaubt, man folge dabei ganz selbstbestimmt der eigenen Neugier oder Lebensenergie. Vor allem aber haben diese Prinzipien alles Soziale abgehakt und den Leuten den Gedanken eingepflanzt, dass Empathie etwas ganz Schreckliches ist. MH Unter dem Vorzeichen, dass man als Einzelne*r viel erreichen und für sich verwirklichen kann. Dass man letztlich viele Träume ausleben darf. SK Das negiert aber, dass man sein noch so traumhaft individuelles Leben mit anderen teilt. Die McKinseys der Welt waren natürlich schlau mit ihrem Versprechen: Wir helfen euch, individueller zu werden! Letztlich wurde unter den Vorzeichen von Effizienz und Verbesserung eine Verknappung an warmen, menschlichen, solidarischen Räumen betrieben. Im Gegenzug sehnen sich jetzt Menschen paradoxerweise wieder nach autoritären Systemen. Es ist ganz interessant, diese Oper in einer Zeit aufzuführen, in der weltweit der Ruf nach Gleichmachung lauter wird, und Menschen Lust verspüren, alles zu zerstören, was phantasievoll ist. Aus solchen MH

Erfahrungen heraus hat Henze letztlich vor sechzig Jahren diese Oper komponiert: Als junger Erwachsener hatte er noch den Krieg erlebt und später mit Kleists Prinzen einen Stoff gefunden, mit dem er der unglaublichen Verhärtung begegnen konnte, die der Krieg und die Nazizeit hervorgerufen haben. Die war noch weit in die Nachkriegszeit hinein wirksam. Erst 1968 kam dann eine wirklich große Gegenbewegung, die aufgezeigt  hat, welcher Hass und welche Verletzungen lange zugedeckelt wurden. MH Du beschreibst das Träumen als eine sehr soziale, kollektive Kompetenz. Sich in andere Wirklichkeitserfahrungen hineinzubegeben, kann auch einsam machen. Das ist zunächst einmal die Erfahrung des Prinzen. Wie kann ich das Träumen mit anderen teilen, wenn ich die allgemein akzeptierte Realität verlasse? SK In seinen Lebenserinnerungen beschreibt Henze auch die Jahre, die er mit Ingeborg Bachmann in Neapel zusammengelebt hat: Jeder Tag und jede Tätigkeit waren ein Fest, obwohl die beiden kaum Geld hatten. Das Essen war ein Fest, das Weintrinken war ein Fest, die Spaziergänge waren ein Fest. Das ist zwangsläufig eine Öffnung, denn allein kann man kein Fest begehen. Den profanen Alltag bewusster zu leben, ihn als etwas Buntes, Phantasievolles zu zelebrieren, ist tatsächlich ein wichtiger Traum. Aber das macht natürlich auch viel Arbeit! Schon einen guten Salat zuzubereiten, macht Arbeit. Der beste Sushi-Koch in Japan ist 80, hat drei Sterne und schneidet den Fisch so, dass alle in Entzücken geraten. Aber er träumt ständig davon, den Reis noch zu verbessern, den alle anderen bereits perfekt finden. Wenn man so denkt, wird alles fließender. Man sucht und bleibt neugierig. Und diese Neugierde kann man teilen. So könnte man das ganze Leben gestalten. Jeder Moment ist dann aufregend, weil er unzählige Möglichkeiten enthält, obwohl man viele Dinge schon oft getan hat. Auf diese Weise erlebt der Prinz die Schlacht: Er nimmt sie wahr. Würde er sich einfach an das halten, was vorher besprochen wurde, hätte sie im Grunde schon stattgefunden. MH Man könnte böswillig argumentieren, dass die Träume, die du formulierst, nicht unbedingt radikal sind im Sinne einer Systemveränderung. Der Prinz wird für einen Moment aber auch zu einer Gefährdung. SK Der Prinz nimmt sich ganz aktiv den Raum für andere Erfahrungen, folgt dem, was ihn anlockt. Damit kommt auch das Denken der anderen in Unordnung. Letztlich sollte jede große gesellschaftliche Veränderung diese gedankliche Freiheit ermöglichen. Wenn von Anfang an in vorgefassten ideologischen Kategorien gedacht wird, dann können bei jeder noch so idealistischen Weltverbesserung nur Gefängnisse herauskommen. Für die großen und wichtigen Weltveränderer sind Menschen wie Homburg natürlich lächerliche Gestalten, Idioten, Clowns, die nichts richtig hinbekommen. Man braucht so jemanden wie den Prinzen aber, um daran erinnert zu werden, was es heißt, lebendig zu sein. MH Henze und Bachmann brauchen eine geographische Entrückung, um dieser Lebendigkeit Raum geben zu können: Beide ziehen Anfang der 1950er Jahre in den Süden Italiens. Du bist in den 1980er  Jahren für ein paar Jahre in die Niederlande gegangen, um einen ähnlichen Perspektivwechsel zu erleben. Heute ist es vielleicht einfacher denn je, woanders zu leben, zumindest als Europäer*in. Wie groß muss der Bruch mit dem Gewohnten sein, um anders über die Wirklichkeit und ihre Möglichkeiten denken zu können? SK Man muss nicht unbedingt weit reisen, um diese Vitalität zu spüren und sich zu verändern. Ich kann mich mit meiner unmittelbaren Umgebung, mit meinem Nachbarn zum Beispiel, auseinandersetzen. Egal, wo ich mich aufhalte: Ich muss mich auf jeden Fall Menschen öffnen, die die Welt anders sehen, die anders denken und empfinden. Wenn ich mich nicht auf die Erfahrungen anderer einlasse, bleibe ich immer in derselben Blase. Als ich nach Holland ging, war übrigens die Besetzung durch die Deutschen in der Erinnerung noch sehr präsent. Mein Auto wurde mehrmals demoliert. Die holländische Polizei hat nur gemeint, ich brauche mich darüber nicht wundern, wenn ich in Amsterdam mit einem deutschen Kennzeichen parke. Es war eine merkwürdige Erfahrung, vor allem über seine Nation definiert und mit den deutschen Kriegsverbrechen in Verbindung gebracht zu werden, obwohl ich als später Geborener nichts damit zu tun hatte. So etwas lässt einen nachdenklicher werden über die eigene Identität. Und zugleich sucht man in diesem abwehrenden Umfeld dann nach anderen, inneren Inseln, um als Mensch anzukommen.

Egal, wo ich mich aufhalte: Ich muss mich auf jeden Fall Menschen öffnen, die die Welt anders sehen, die anders denken und empfinden. Wenn ich mich nicht auf die Erfahrungen anderer einlasse, bleibe ich immer in derselben Blase. Wir haben von der Bereitschaft des Prinzen gesprochen, sich in andere Zustände zu begeben. Wohin begibst du dich mit den Sänger*innen bei den Proben? SK Ich habe Kleists Schauspiel vor gut zwanzig Jahren auf die Bühne gebracht und musste beim Hören der Musik überrascht feststellen, wie sich meine Vorstellungen von den Figuren aufweichen. Alle Figuren, auch die höheren Militärs, muten in Henzes Interpretation viel suchender an. Das berührt mich wahnsinnig. Zu meiner Zeit musste man als junger Mann den Wehrdienst noch aktiv verweigern. Dazu wurde man einem Prüfungsausschuss gegenüber gesetzt. Das war in meinem Fall hier in Stuttgart. Da saßen dann der Bäcker und der Metzger neben dem Beamten vom Kreiswehrersatzamt und stellten einem Fangfragen: Ob man sich mit einem Gewehr gegen gewaltbereite Einbrecher verteidigen würde und so weiter. Ich habe versucht, diese Zivilisten auf meine Seite zu ziehen mit meinen Argumenten, dass ich das Konzept des Sich-Verteidigens komplizierter sehe, als einfach im Töten des Feindes. Dieses Gespräch, das anfänglich einem Verhör glich, wurde nach und nach zu einer gemeinsamen Suche nach Argumenten mit den Ausschussmitgliedern. Die Lust auf eine gemeinsame Suche nach anderen Wegen des Denkens leitet mich auch bei den Proben. Es ist die Lust an der Beunruhigung, nicht sofort alles zu wissen, aber unbedingt wissen zu wollen. Die Sänger*innen werden diese Unruhe hoffentlich mit auf die Bühne bringen, damit sie für alle Zuschauer*innen spürbar wird. In den 1970er Jahren gab es das Motto  „Mehr Demokratie wagen“. Heute hieße das vielleicht, gemeinsam zu schauen, was möglich ist, ohne immer schon vorab Bescheid zu wissen. Durch diese gemeinsame Suchbewegung entstehen vielleicht Räume und Situationen, in denen wir uns wohler und lebendiger fühlen, anstatt nur vom Funktionieren aufgefressen zu werden. MH

Fragen an: Robin Adams Prinz Friedrich Artur von Homburg In wie vielen Wirklichkeiten leben Sie? Ich lebe in verschiedenen Wirklichkeiten: als Performer, als Mann, als Vater, als Freund, als Fragender an der Wirklichkeit! Im Analogen, im Digitalen, im Sport, in der Überforderung, im Glück, in der Verwirrung, in der Klarheit, im Denken, im Nichtdenken und am meisten … im Jazz. Wie stabil ist Ihre Wirklichkeit? Meine Wirklichkeit ist genauso instabil wie die anderer Menschen auch. Alle Versuche von Stabilität töten die Kunst. Ich glaube, alle Wirklichkeiten sind instabil, auch wenn sie anders erscheinen und anderes behaupten, deshalb sollten wir Traumwelten genießen, wahrnehmen und auch kreieren. Sind Sie bereit für neue Wirklichkeiten? Ich bin bereit für viele neue Wirklichkeiten, für eine jedoch nicht: den Brexit. So etwas Hirnloses habe ich noch nie erlebt. Ich befinde mich aber in der glücklichen Situation, dass ich als Engländer in der Schweiz lebe und mit Abstand beobachten kann, was in meiner Heimat passiert. Aber es tut weh! Wir sollten längere Tische bauen und nicht Grenzen. Ich glaube, neue Wirklichkeiten sind mit Vorsicht zu genießen, auch wenn sie an sich notwendig sind, da Veränderungen schließlich zum Leben gehören. Denn was ist schließlich wirklich? Was ist real? Wissen wir das tatsächlich? Wirklichkeit ist schlussendlich eine Frage von Wahrnehmung, und unsere Wahrnehmung ändert sich andauernd und hängt von vielen Faktoren ab. Brauchen wir mehr Wirklichkeitssinn? Unbedingt! Wir brauchen aber auch mehr Traumweltsinn. Das Reale ist meist nicht so greifbar, wie es scheint. Es ist flüchtig. Würde man  alleine in eine Höhle gehen, könnte man in sich selbst tausende Wirklichkeiten erleben und entdecken. Das Theater soll Fragen stellen und nicht konkrete Antworten liefern. Die Grenze zwischen Wirklichkeit und Traum ist eine Grauzone, ein fließender Übergang – dort spielt das Theater. Diese Grauzone hat auch etwas hoch Erotisches und Sinnliches. Foto: Matthias Günter

Fragen an: Helene Schneiderman Die Kurfürstin In wie vielen Wirklichkeiten leben Sie? Ich lebe hundertprozentig in der Wirklichkeit. Das heißt, dass ich in Beziehung stehe zu der Welt um mich herum und wahrnehme, was sich in ihr abspielt. Für mich ist die persönliche Realität – die Menschen, die ich liebe – das Wichtigste. Ich bin Mutter und Ehefrau. Schon beim Aufwachen frage ich mich, wie es den Menschen geht, die mir nahe sind. In meiner Familie bin ich die Diplomatin, die zwischen den anderen vermittelt. Ich bin auch Tochter gewesen. Seit meine Eltern verstorben sind, kann ich mich noch mehr um den Rest meiner Familie kümmern: meine Töchter, meinen Mann, die Haustiere. Ich bin darin sogar etwas neurotisch – slightly jewish neurotic vielleicht – und mache die anderen manchmal mit meinen Sorgen um sie verrückt. Mich selbst bringe ich dabei um den Schlaf. Natürlich hat man nicht auf alles Einfluss, aber doch vieles in der Hand. So konnte ich beim Tod meiner beiden Eltern jeweils anwesend sein, obwohl ich auf der anderen Seite des großen Teichs lebe. Das war eine Entscheidung. Genau vor einem Jahr ist meine Mama gestorben. Und ich war mit ihr. Das war für sie aber auch für mich enorm wichtig und ist für mich Teil der Wirklichkeit. Meine Mama lebte nicht immer vollkommen realitätsnah. Sie hatte ihren eigenen Blick auf die Wirklichkeit. Auch als Mutter von vier Kindern blieb sie irgendwie immer das 14-jährige  Mädchen, als das sie aus Auschwitz gekommen war. Sie wollte von meinem Leben immer nur die traumhaften Seiten wahrnehmen, nicht die Probleme. Also habe ich sie geschützt und viele Aspekte meiner Wirklichkeit für mich behalten. Wie stabil ist Ihre Wirklichkeit? Ich kenne Leute, die in einer ganz eigenen, abgekapselten Welt leben, welche nur um sie selbst herum Bestand haben kann. Natürlich nehme auch ich mir regelmäßig Zeit, in der ich mich nur um mich selbst kümmere. Aber ich lebe vor allem mit und für die Menschen um mich herum, und das erfordert eine Menge Pragmatismus. Auf der Bühne lasse ich diese Wirklichkeit für ein paar Stunden hinter mir. Das ist nicht immer einfach, weil ich ein Kontrollfreak bin. Die Verbindung mit meiner Realität habe ich nie zu lose werden lassen. Ich verliere nie die Bodenhaftung. Sind Sie bereit für neue Wirklichkeiten? Manche der heutigen medialen oder technischen Veränderungen finde ich gefährlich. Wenn jemand unbedingt jede Stunde ein Selfie posten muss, soll er das tun … Aber diese totale Offenlegung von Daten macht mir Angst. Ich brauche Kontrolle. Ganz und gar in einer anderen Wirklichkeit will ich nicht sein! Brauchen wir mehr Wirklichkeitssinn? Wirklichkeit ist wirklich wichtig. Wir vergessen manchmal, worauf es ganz grundsätzlich im Leben ankommt, weil wir uns medial zu weit aus der Wirklichkeit entfernen. Es gibt natürlich Menschen, deren Realität – eine Krankheit, Behinderung oder eine erlebte Misshandlung – kaum auszuhalten ist, und die mit ihrer Phantasie eine eigene innere Wirklichkeit schaffen. Andererseits: Eine Realität, die alle gleich erleben, gibt es ohnehin nicht. Allein meine drei Brüder und ich – wir vier haben komplett unterschiedliche Einstellungen zur Politik, zum Umgang mit Geld, zum Stellenwert von Familie. Ich kann mir nicht vorstellen, dass selbst zwei Menschen die Wirklichkeit gleich erleben. Aber wir alle müssen uns natürlich in einer Realität zusammenfinden. Auch in der Oper: Bei den Proben muss jeder ein wenig von seinem Ego aufgeben, damit wir zusammen etwas kreieren können.


Kein ge­ringerer als der renommierte Filmemacher Luchino Visconti drängte Hans Werner Henze 1957 dazu, sich des Textes von Heinrich von Kleist anzunehmen. Henze scheute sich, „Vis­conti konnte als Italiener nicht wissen, dass für einen Deutschen die Kleistsche Spra­ che ja selbst schon Musik ist, die klingt wie ein großes, von Stür­men geschüttel­ tes Orches­ter.“ Um die enge Freundschaft nicht aufs Spiel zu setzen, willigte Henze letzt­endlich ein und stürzte sich zusammen mit Ingeborg Bach­mann in die Arbeit an der Kleist-Oper. „… Jeanne d’Arc warf sich in ihre Rüstung, spitzte die Feder und schrieb mir ihr schönes und kluges Homburg-Libretto, das mich absicherte gegen jede Schmach.“ Zitate aus: Hans Werner Henze, Auto­­ bio­graphische Mitteilungen

Wovon träumst du? l # va sti .19 e f 4 s hr  15. hja 3.– frü 17.

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Hans Werner Henze DER PRINZ VON HOMBURG Oper in drei Akten nach dem Schauspiel von Heinrich von Kleist, für Musik eingerichtet von Ingeborg Bachmann Uraufführung 1960 in Hamburg Revidierte Fassung von 1991 in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Neuproduktion ab 17.3.19 Musikalische Leitung Cornelius Meister, Thomas Guggeis Regie Stephan Kimmig Bühne Katja Haß Kostüme Anja Rabes Video Rebecca Riedel Licht Reinhard Traub Dramaturgie Miron Hakenbeck

Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg Štefan Margita Die Kurfürstin Helene Schneiderman Prinzessin Natalie von Oranien Vera-Lotte Böcker Prinz Friedrich Artur von Homburg Robin Adams Graf Hohenzollern Moritz Kallenberg Feldmarschall Dörfling Michael Ebbecke Obrist Kottwitz Friedemann Röhlig Wachtmeister Johannes Kammler Erster Offizier Mingjie Lei Zweiter Offizier Paweł Konik Dritter Offizier Michael Nagl Erste Hofdame Catriona Smith Zweite Hofdame Anna Werle Dritte Hofdame Stine Marie Fischer Staatsorchester Stuttgart

2019 Mrz

Apr

17

20

22

29

So

Mi

Fr

Fr

6 Sa

Mai

4 Sa

Einführungsmatinee am So, 3.3. im Opernhaus, Foyer I. Rang

#StgtHomburg

Worum geht’s? Der Prinz von Homburg begibt sich in Traumzustände, so intensiv und greifbar wie die Wirklichkeit. Seinem Traumsinn folgend handelt er in der Schlacht gegen höchsten Befehl, greift zu früh an – und sorgt für den Sieg. Dennoch: auf Befehlsverweigerung steht die Todesstrafe. Soll mit dem unberechenbaren Träumer nach dem Gesetz verfahren werden? Nur der Kurfürst könnte das Todesurteil aufheben. Er überlässt die Entscheidung dem Prinzen selbst. Trotz seiner Todesangst erkennt dieser sich als schuldig an und erlebt auf dem Richtplatz dann nochmal einen unerhörten Traum.

Der Prinz von Homburg

© Hans Werner Henze Stiftung, München

„Der Prinz von Homburg für unsere Freundschaft.“

Hans Op de Beeck, Room (10), 2017

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ISSUE No. 2

Der Prinz von Homburg


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Der Prinz von Homburg

Freiheit und Ordnung Ein Gespräch über den Opernkomponisten Hans Werner Henze mit Bernhard Kontarsky BK, über viele Jahre ein Experte für neue Klänge am Pult des Staatsorchesters. Herr Kontarsky, Sie haben in Stuttgart aber auch andernorts viele Opern Hans Wernzer Henzes dirigiert. Henzes Präsenz auf der Stuttgarter Bühne begann Mitte der 1970er Jahre, als er – obwohl einer der produktivsten Opernkomponisten der Bundesrepublik – durchaus noch umstritten war. Welche Rolle hat Stuttgart für ihn gespielt? BK Henze war ab Mitte der 70er Jahre an der  Stuttgarter Oper etwas, was man heute com­ poser in residence nennen würde. Er wohnte dafür zeitweilig sogar in der Stadt. Seine frühe Oper Boulevard Solitude, eine Version des Manon-LescautStoffes, war 1976 das erste, was Dennis Russell Davies  hier dirigiert hat. Henze, der bei der Produktion selbst Regie führte, hatte Davies in Amerika entdeckt und nach Stuttgart geholt. Dann kam Henzes damals jüngstes Werk Wir erreichen den Fluss mit dem Text von Edward Bond auf die Bühne. Mit der Londoner Uraufführung war Henze nicht sehr glücklich gewesen, und so hat er das riesige Stück mit drei im Raum verteilten Orchestern selbst inszeniert. Die Partitur verlangt außerdem eine Militärkapelle, die durch den Zuschauerraum marschiert. Es kam eine Kapelle der Bundeswehr, in voller Montur. Ich bezweifle, dass die Heeresleitung wusste, welche Rolle das Militär in dem Stück spielt. Die englische Katze kam mit dem Stuttgarter Ensemble in Schwetzingen zur Uraufführung. Die Kinderoper Pollicino hatte in Stuttgart ihre deutsche Erstaufführung, nebenbei die erste große Arbeit der Bühnen- und Kostümbildnerin Rosalie. 1985 dirigierte Davies die  Commedia-dell-arte-Oper König Hirsch zum ersten Mal in voller Länge. Dreißig Jahre vorher war die Oper in Berlin uraufgeführt worden – zu einem Torso gekürzt. Der Dirigent Hermann Scherchen hatte alle Arien entweder ganz gestrichen oder auf wenig Takte gekürzt, getreu dem Motto „wir schreiben heute keine Arien mehr.“ Stuttgart hat das Stück mit einem Riesenerfolg rehabilitiert. Nicht zu vergessen sind Die Bassariden in der Regie von Götz Friedrich. Sie sind ein Experte für Neue Musik, waren 1965 als Korrepetitor bei der Kölner Uraufführung von Bernd Alois Zimmermanns Jahrhundertwerk Die Soldaten dabei. Wann sind Sie auf Henzes Musik gestoßen? BK Die ist mir tatsächlich erst hier in Stuttgart begegnet. Ich bin als Student estmals 1957  zu den Darmstädter Ferienkursen gefahren, damals das Zentrum für Neue Musik. Henze war zu dieser Zeit in Darmstadt schon nicht mehr präsent und hatte dort auch keinen guten Ruf mehr. Im gleichen Jahr hat die Uraufführung seiner Nachtstücke und

Der von den Nazis missbrauchte Rundfunk war von den Alliierten als Erziehungsmittel schnell in Gang gesetzt worden. BK Der Rundfunk hatte europaweit einen Auftrag. Sie können auf YouTube einen Radiomitschnitt der legendären französischen Inszenierung von Kleists Prinz Friedrich von Homburg beim Festival von Avignon 1951 hören, mit Gérard Philippe in  der Titelrolle und Jeanne Moreau als Natalie. Der Rundfunksprecher vermittelt den Hörern in seiner begeisterten Anmoderation das Gefühl, durch den Rundfunk an etwas ganz Außergewöhnlichem teilzuhaben.

So wie das missbrauchte Radio neu erfunden wurde, hätte man auch das beargwöhnte Genre Oper einer Radikalerneuerung unterziehen können. BK Es sind ja zahlreiche Opern nach dem Krieg Arien nach Gedichten von Ingeborg Bachmann bei den komponiert worden. Aber unter den VertreDonaueschinger Musiktagen einen Eklat ausgelöst: tern der Avantgarde gab es eine Skepsis geNono, Stockhausen und Boulez haben den Saal türen- genüber allem, was auch nur entfernt mit Pathos im schlagend verlassen. Zusammenhang stehen konnte. Dieses Denken bestimmte auch die Architektur. Das können Sie auch Noch zehn Jahre später, in seinem auf Krawall gebür- hier in Stuttgart sehen, wo nach den Kriegszerstörunsteten Spiegel-Interview „Sprengt die Opernhäuser in gen viel abgerissen statt wiederaufgebaut wurde, weil die Luft“ von 1967 hat Pierre Boulez Henze als „lackier- das Repräsentative verschwinden sollte. Ein Kaufhaus ten Friseur“ bezeichnet, „der einem ganz oberfläch- sollte das Neue Schloss ersetzen. Das hat seinerzeit lichen Modernismus huldigt“. Woran stießen sich die einen der ersten Bürgerproteste ausgelöst. Diese Skepradikal-avantgardistischen Komponistenkollegen? sis gegenüber dem Pompösen erklärt übringens auch BK Mir fällt als Vergleich der Konflikt zwischen den Boom der Kammerorchester in dieser Zeit. Das 1945  Moses und Aaron ein. Henze wäre in dem Fall gegründete Stuttgarter Kammerorchester war beiAaron: Er hat durch Schönklag die reine Wahr- spielsweise der wichtigste Kulturbotschafter der jungen heit verfälscht. Die Aversion beruhte aber auf Gegen- Bundesrepublik: Bachs Brandenburgische Konzerte auf seitigkeit. Wobei es ein berühmtes Foto vom Fest der Konzerttournee in Frankreich waren für beide Seiten Internationalen Gesellschaft für Neue Musik 1955 in  ein Gewinn – deutsche Kultur, aber nicht pompös sonBaden-Baden gibt, auf dem sind Boulez und Henze zu dern bescheiden. Auch der Rundfunk gründete eigene sehen – sichtlich vergnügt. Ihre Eintracht könnte aber Kammerorchesterformationen. Der WDR war dadurch inszeniert sein. Vielleicht hat der Chef der Musikab- beispielsweise in doppelter Hinsicht experimentell: teilung des SWF, Heinrich Strobel, sie aufgefordert, sich Neben dem Experimentierfeld der Elektronik – ganz zusammen vor die Kamera zu setzen. Andererseits vorne das Kölner Studio für Elektronische Musik – gab schreibt Henze in seinen Lebenserinnerungen begeis- es mit der Gründung der capella coloniensis den Vertert von Stockhausens Stücken Momente und Kontakte, such, den Originalklang des 17. und 18. Jahrhunderts  die er beim IGNM-Fest in Köln gehört hatte. Eine Musik, wiederherzustellen. Man ging also entweder ganz nach die ganz weit entfernt ist von seiner eigenen Ästhetik. vorne, hat Stockhausen in seinem Studio die verrückAuch Mauricio Kagels verrätseltes Anagrama fand er testen Wünsche erfüllt, oder schaute zurück in die Musik bezeichnenderweise ganz stark. Die Abgrenzungen einer fernen Vergangenheit. sind also nicht so scharf, wie man sich das vorstellt. Und übersprang dabei die Romantik. Verstieß nicht Henze ganz produktiv gegen einen BK Romantik und vor allem Spätromantik waren per se verdächtig. Mahler zum Beispiel wurde damaligen Konsens der Avantgarde? Der lautete: Man schreibt nach dem Krieg keine Oper mehr. in Deutschland erst wieder akzeptabel, nachBK Oper war als repräsentative Kunstform miss- dem Adorno über ihn geschrieben hatte. Liszts Klavierbraucht worden. Neue Musik spielte sich vor musik wurde durch Alfred Brendel rehabilitiert. Davor allem im Rundfunk ab. Der Rundfunk als Auf- war Liszt kontaminiert, wegen Les Préludes, das zur traggeber war geradezu der Motor für ihre Entwicklung. Untermalung der Siegesmeldungen der Wehrmacht missbraucht worden war. Die Erkenntnis, dass Liszt Da gab es immerhin das Genre der Funkoper. einer der großen Innovatoren war, haben wir ausgeBK Dieses Genre hat Henze Anfang der 1950er  rechnet Boulez zu verdanken, der beim New York PhilJahre auch erkundet, mit Ein Landarzt und Das harmonic in seiner ersten Saison Liszt als Schwerpunkt Ende einer Welt. Das ging Hand in Hand mit aufs Programm gesetzt hat. Das war 1971. der Weiterentwicklung des Hörspiels. Es war die Kunstform der Stunde. Bernd Alois Zimmermann hat jahre- Wenn so viel obsolet geworden war, woran knüpfte lang als Hörspielkomponist für den WDR gearbeitet. der junge Henze dann an? BK Nach dem Krieg holte die junge Komponistengeneration erst einmal auf, was durch die Nazi-Kulturpolitik als „entartet“ gegolten hatte: Hindemith, Strawinsky, Bartók und natürlich ↓ Die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann und der Komponist Schönberg. Vor allem bei den Darmstädter FerienkurHans Werner Henze bei einer Wahlparty von Willy Brandt in   Bayreuth 1965, Foto: Stefan Moses, SWR sen für Neue Musik. Relativ früh kamen René Leibowitz und Wolfgang Fortner als Dozenten dorthin – zwei Gegenpole – und beide wichtig für Henze. Henze ist eigens nach Paris gefahren, um bei Leibowitz zu studieren, der abgesehen von seinen profunden Kenntnissen der Zweiten Wiener Schule und der Zwölftontechnik ein großer Interpret der Beethoven-Sinfonien war. Zudem hat er legendäre Einspielungen von Offenbach-Operetten hinterlassen. Dagegen Fortner: nach Kompositions- und Orgelstudium in Leipzig war er zu Beginn der 30er Jahre Dozent am Evangelischen Kirchenmusikalischen Institut in Heidelberg. Nach dem Krieg wurde er sehr bald ein gesuchter Kompositionslehrer und damit für viele Jahre  Mentor einer ganzen Komponistengeneration. Spätestens mit seiner Oper Bluthochzeit hat er sich als Komponist etabliert. Henze hat sich auch auf Strawinsky bezogen, der mit alten Formen kreativ umgegangen ist. BK Strawinsky war für das traditionelle Publikum immer noch Neue Musik, während die Avantgarde ihn ähnlich wie Hindemith als demodé betrachtet hat. Henze und übrigens auch Bernd Alois Zimmermann, der ja ebenso bei Fortner und Leibowitz gelernt hatte, hielten Strawinsky zu Recht für einen der ganz großen Komponisten des Jahrhunderts. Das entspringt einem Differenzierungsbedürfnis: Anstatt alles Überlieferte über Bord zu werfen, wollten sie es auseinander nehmen und die einzelnen Elemente auf ihr Gegenwartspotenzial untersuchen. Mit dem Umzug nach Süditalien 1953 eröffnet sich Henze auch musikalisch noch eine weitere Welt. BK Da hört er wahrscheinlich zum ersten Mal bewusst Bellini und Verdi und ist fasziniert. Die italienische Oper wurde in Deutschland nach dem Krieg häufig nicht in ihrem Stellenwert erkannt. Dabei gab es vor dem Krieg eine große Verdi-Renaissance mit großartigen Dirigenten wie Fritz Busch, was mehr oder weniger endete, als die Nazis Busch in Dresden niederbrüllten. Manche Komponisten der Zweiten Wiener Schule wiederum maßen Verdi etwa an den Streichquartetten des späten Beethoven. Das verleitete sie dann irrtümlicherweise zu dem Schluss, dass seine Musik nicht auf gleicher kompositorischer Höhe sei. Diese Haltung hat sich auf die nächste Generation übertragen. In einem berühmten Gespräch zwischen Klemperer und Boulez fragt Klemperer sinngemäß: Finden Sie Verdis Musik wirklich scheußlich? Ja. Auch Falstaff? Ja. Was zumindest beweist, dass auch ein genialer Musiker zuweilen Nonsens redet.

Wo in der Partitur des Prinzen von Homburg findet man den Einfluss der italienischen Oper des 19. Jahrhunderts? BK Das Stück beginnt mit einem großen Tableau, einem echten Opernensemble. Und auch wenn alle Szenen durchkomponiert sind, schreibt Henze hier veritable Arien und Duette. Der Einfluss zeigt sich aber auch in der instrumentalen Farbgebung. Wenn der Prinz in Erwartung des Todes singt „Nun, o Unsterblichkeit, bist du ganz mein“, gibt es eine wunderbare Passage von Flöte, Bratsche und Stimme, die quasi verschwebt. Das klingende Arkadien. Auf der anderen Seite gibt es strenge Zwölfton-Abschnitte, etwa bei der Befehlsausgabe vor der Schlacht. Die Kontrabässe spielen pizzicato ein Ostinato, das aus der Zwölftonreihe gebildet wird – Reihentechnik als Inbegriff von Ordnung und Strenge. In der Instrumentierung dieser Szene klingt auch Ironie an. Vielleicht weil Henze dieser Ordnung anders gegenüberstand als Kleist. BK Das mag an den Synkopen im Schlagzeug und den Klaviereinwürfen liegen. Im Übrigen vertont Henze ja auch nicht Kleist, sondern eine Interpretation von Kleist. Ingeborg Bachmann hat eine ganze Menge von Offizieren und Bediensteten aus dem Schauspiel gestrichen und den wesentlichen Konflikt zwischen Phantasie und Staatsräson damit in die Figuren verlegt. Auch hat sie in den Text entschieden eingegriffen, nicht nur durch Kürzungen, auch inhaltlich. Aus „Der wird dich lehren, das versichr’ ich dich, Was Kriegszucht und Gehorsam sei!“ wird bei ihr  „Der wird euch lehren, […], was Freiheit und was Würde sei.“ Und das „deutsche Herz von altem Schrot und Korn“ hat sie kurzerhand eliminiert. Was Bachmann von diesem patriotischen Ton beibehalten hat – nach einigen verworfenen Versuchen, ein alternatives Finale zu entwerfen – ist der berühmte Schlusssatz: „In Staub mit allen Feinden Brandenburgs!“ Stephan Kimmig sagt, mit diesem Brandenburg ist eine noch zu errichtende Welt der Phantasie und Kunstsinnigkeit gemeint. Trotzdem verstört dieser Schlachtruf, als konterkariere er alle Veränderung, die zuvor passiert ist. Vielleicht geht es nicht um einen konkreten Feind, sondern um ein feindliches Prinzip, das in einem selbst steckt und der Phantasie entgegensteht. BK Phantasie gegen Ordnung. Gefühl gegen Gesetz. Zu allem gibt es ein Gegenstück. Die musikalische Struktur folgt dieser Dualität, arbeitet mit ihrer Spannung und Auflösung. Es gibt musikalisch verschiedene Ebenen. Neben den Reihentechniken verwendet Henze bestimmte Intervallkonstellationen. Natalie ist zum Beispiel durch aufsteigende Terzen gekennzeichnet, dem Prinzen sind Sexten zugeordnet. Diese Modelle sind aber nicht akademisch durchbuchstabiert. Dass Henze mit solchen Strukturprinzipien frei umgeht, ist seine große Stärke. Er bezeichnet den Prinzen von Homburg später einmal als seine strengste Partitur, die er ganz bewusst geschrieben habe, um seinen Kollegen nördlich der Alpen zu beweisen, dass er genauso strukturell arbeiten könne wie sie. Henze unterstreicht die Wichtigkeit von Kontrast und Kontrapunktik in der Homburg-Partitur. Die revidierte Fassung aus dem Jahr 1991, die wir in Stuttgart jetzt aufführen, macht diese Kontrapunktik noch plastischer. BK Die erste Fassung, die 1960 in Hamburg uraufgeführt wurde, verlangt eine sehr große Orchesterbesetzung und einen Chor. Die für das Münchner Cuvilliés-Theater reduzierte Fassung rückt das Stück klanglich in größere Nähe zu Strawinsky, dem es ja gewidmet ist. Während das Klavier in der ursprünglichen Version im Gesamtklang unterging, ist es in der revidierten Fassung in mehr als der halben Partitur sehr präsent. Henze hat also den Klang insgesamt transparenter gemacht. Man kann so beweglichere Stimmen einsetzen, was dem Charakter eines Kammerspiels sehr gut tut. 1960 hatte man noch  schwergewichtige Stimmen gebraucht, die sich gegen einen gewaltigen Orchesterklang durchsetzen mussten. Ich habe nur die spätere Version dirigiert. Da ist das Stück brillant und mit größter Ökonomie instrumentiert. Klangausbrüche in voller Orchesterstärke und mit der gesamten Schlagzeugbatterie spart Henze für wenige Momente auf, wie für das letzte große Zwischenspiel vor dem Monolog des den Tod erwartetenden Prinzen. Es ist der Klang einer Mahlerschen Abschiedssinfonie. Das Gespräch führten Barbara Eckle und Miron Hakenbeck.

Bernhard Kontarsky Der Dirigent und Pianist Bernhard Kontarsky kam 1969 als Solorepetitor an die Staatsoper Stuttgart. Er dirigierte diverse Ballettproduktionen und leitete eine Reihe für Experimentelles Musiktheater. Auch nach seiner Berufung als Professor für Klavier und Leiter des Studios für Neue Musik an die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main blieb er der Stuttgarter Oper als Gastdirigent verbunden, etwa mit Werken wie Bernd Alois Zimmermanns Die Soldaten oder Luigi Nonos Intolleranza. Er dirigierte zahlreiche Werke Hans Werner Henzes, darunter die szenische Erstaufführung von El Rey de Harlem an der Hamburgischen Staatsoper, Das Verratene Meer sowie Venus und Adonis an der Oper Frankfurt, Boulevard Solitude in Stuttgart, Frankfurt und am Royal Opera House Covent Garden, We come to the River an der Santa Fe Opera und Der Prinz von Homburg an der  Vlaamse Opera in Antwerpen  und Gent.


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ISSUE No. 2

Die Schlagzeugerin Sabrina Ma. (Foto: Philine Rinnert)

Frühjahrsfestival

Butterfly stirbt und Sarai kommt Grellbunte Stoffe aus dem Asia-Laden, Chinavasen aus Pappe, Puccini-Arien mit Schlagzeugbegleitung, Rokoko-Porzellanfiguren, die in Farbe getaucht werden und vielfältige Perspektivwechsel: In der Musiktheater-Performance White Limozeen werden eurozentristische und chauvinistische Opernstereotype durcheinander gewirbelt. Im März ist die Produktion zu Gast beim Frühjahrsfestival der Staatsoper Stuttgart. Eckhard Weber EW traf die Bühnen- und Kostümbildnerin Philine Rinnert PR, den Regisseur Johannes Müller JM und die Sopranistin Sarai Cole SC vorab zum Gespräch in Berlin. In euren Produktionen greift ihr immer auch auf klassisches Repertoire der Oper zurück. In White Limozeen untersucht ihr am Beispiel von Madama Butterfly Exotismusklischees und Rassismus. Wie kam es zu dieser Stückentwicklung? JM Wir interessieren uns seit langem für diese Themen. Davor haben wir in Reading Salome anhand von Richard Strauss’ Salome Frauenbilder in der Oper untersucht. Die weiblichen Partien wurden dabei von Dragqueens verkörpert. In einem weiteren Schritt wollten wir uns nun damit beschäftigen, wie das „Fremde“ in der Oper dargestellt wird. PR Das Thema ist ja sowohl in Salome als auch in Madama Butterfly enthalten: Ein europäischer Komponist stellt sich eine diffuse exotische Welt vor. Mit Blick auf die Kostüme, die Bühne, die Gestaltung der Szenen war das also schon bei der Vorbereitung zu Reading Salome für uns wichtig. Das Thema „gärte“ bereits in uns. EW Eure Arbeit im Bereich des Musiktheaters vergleicht ihr mit der von Archäolog*innen. Was meint ihr damit? PR Zu Beginn steht immer eine konzeptionelle Idee, ein bestimmtes Thema, wie im Fall von White Limozeen exotistische und rassistische Klischees in der Oper. Daraufhin suchen wir ein bestimmtes Werk aus, hier Madama Butterfly. Und dann beginnen wir unsere Recherchen. JM Viele Opern haben ja eine lange Aufführungstradition, sodass es sich wirklich lohnt, die Rezeptionsgeschichte zu erforschen. Wir untersuchen dann tatsächlich erst einmal historische Texte über das Werk, Fotos von Produktionen, Regiebücher, Filmaufnahmen, Interviews und vieles mehr. EW Wie bringt ihr die Ergebnisse eurer Recherchen aber schließlich in eine musiktheatrale, künstlerische Form? PR Wenn wir die Recherche abgeschlossen haben, versuchen wir, das Material wie Archäolog*innen zu sortieren, also in eine neue Ordnung zu bringen. So entsteht eine Struktur für das Stück, das wir entwickeln wollen. Und danach geht es in die Proben. EW Ihr nennt euer Stück über Madama Butterfly anspielungsreich White Limozeen … JM Es ist eine Anspielung auf die Oper an sich, diese große, weiße Limousine, eine luxuriöse Einrichtung, die von Weißen dominiert wird. In Deutschland ist es noch immer eine sehr weiße Angelegenheit. SC In den USA ebenfalls, überhaupt der gesamte Klassik-Bereich. Es wird heute oft davon gesprochen, ihn für neues Publikum zu öffnen. Aber wenn man nicht mehr Diversität bei den Mitwirkenden im Orchester oder im Ensemble schafft und mit der eigenen Arbeit nicht viel mehr unterschiedliche EW

Besucher anspricht, besteht für viele Leute kein Anlass, solche Aufführungen zu besuchen. EW In White Limozeen verkörperst du, Sarai, eine afroamerikanische Sopranistin, die Japanerin Cio-Cio San aus Madama Butterfly. Das Schlagzeug spielt die Chinesin Sabrina Ma. Eine bewusste Setzung? PR Wir suchten eine Besetzung jenseits der herkömmlichen Kategorien. Sabrina Ma würde man gemeinhin als Madama Butterfly erwarten, aber sie spielt das Schlagzeug. Was auch interessant ist: Sabrina ist Chinesin, und Butterfly ist ja Japanerin. Für Sabrina ist das ein großer Unterschied, den Europäer*innen oft gar nicht bemerken. Sabrina ärgert es, dass Europäer*innen sie oft für eine Koreanerin oder Japanerin halten. Sarai und Sabrina brachten noch einmal ganz neue Ideen ein. JM Eine entscheidende Inspiration war für mich die letzte Staffel der Netflix-Comedy-Serie Unbreakable Kimmy Schmidt. In einer Szene singt ein schwarzer, schwuler Broadway-Sänger namens Titus Andromedon inbrünstig einen traurigen, biografisch gefärbten Song – im Kostüm der Butterfly und als Geisha mit weiß geschminktem Gesicht. Und im Zuschauerraum sitzen Japaner*innen, die völlig verstört sind. Diese Szene ist wirklich schockierend, denn sie durchkreuzt alle Kategorien. Wir Theatermacher*innen setzen uns ja mit Fragen wie Blackfacing auseinander, ein sehr sensibles Thema in Deutschland. Und dann sieht man auf einmal so etwas wie Yellowfacing bei dieser Geisha-Performance. SC Da schwingt ein Gefühl des Unbehagens mit. JM Man sieht also diesen schwarzen Darsteller, der als Asiatin auftritt. Da tauchen gleich eine Menge Fragen auf. Darf er das? Darf er es eher als andere, weil er schwarz ist? EW Eure Überlegungen zu Madama Butterfly verknüpft ihr mit einem geschichtlichen Abriss über die Geschichte afroamerikanischer Opernsänger*innen. JM Wir wollten die Perspektiven der beiden Darstellerinnen im Stück einbeziehen und haben deshalb vorher Interviews mit Sarai und Sabrina gemacht: über Rassismus in der Oper, über Madama Butterfly, über ihren eigenen künstlerischen Werdegang und ihre Erfahrungen als nicht-weiße Künstler*innen. Sequenzen daraus zeigen wir im Stück als Videos. Sarai schilderte, welche Sänger*innen sie beeinflusst haben und welche afroamerikanischen Idole sie hatte. SC Ich bin in Los Angeles in einem Umfeld aufgewachsen, wo es für Afroamerikaner*innen überhaupt nicht ungewöhnlich war, sich mit der Oper zu befassen. Es war einfach selbstverständlich. JM So kam die Idee auf, während des Abends den Fokus von Madama Butterfly auf die Ge-

schichte der schwarzen Opernsänger*innen zu verschieben, die vielleicht ein Publikum in Deutschland nicht so kennt. Und das geht gut zusammen in unserem Stück. EW Mit Sabrina als Schlagzeugerin und Performerin spielt auch das Thema Gender in eure Produktion ein. PR Wir haben sie in erster Linie angefragt, weil sie eine großartige Schlagzeugerin ist. Aber es stimmt, das Schlagzeug ist noch immer von Männern dominiert. Sabrina ist eine sehr moderne Frau, sie ist sehr tough, sie liebt es, mit ihren Instrumenten laut zu sein. Ihre Energie ist somit jener der unterwürfig agierenden Butterfly extrem entgegengesetzt. EW Das Klischee wird also ausgehebelt. JM Auch im Klangbild. Die Erwartungshaltung ist ja der Gesang mit dem süffigen Orchesterklang Puccinis oder mit dessen Nachahmung im Klavier. Aber mit dem Schlagzeug wird es zum Kommentar der Vorlage, es ergibt einen Verfremdungseffekt. EW Auch in Arbeiten wie Aids Follies, in denen ihr nicht das Opernrepertoire zum Ausgangspunkt eurer Wirklichkeitsuntersuchungen macht, ist für euch das Musiktheater das bevorzugte Medium, um die Ergebnisse der Recherchen künstlerisch umzusetzen. Wieso? Denkbar wären ja etwa auch ganz andere Performance-Formate. PR Ich glaube, gerade weil Oper und Musiktheater nicht so realistisch sind. Diese Kombination von Bild, Aktion, Text und Musik schafft einen offenen Raum, der von der Realität abgehoben ist. Damit ist vieles möglich. JM Mit Blick auf die übrigen Gattungen finde ich das Musiktheater im positiven Sinne am „verrücktesten“. Diese Gattung ist nicht perfekt, sie ist auf gewisse Weise wie ein Monster. Sie vermittelt mir das Gefühl: Ich liebe es, aber was machen sie da eigentlich auf der Bühne? Menschen singen ihre Dialoge, dadurch ist es ja gleichzeitig sehr technisch und kann sehr artifiziell sein. Es gibt also viele seltsame Aspekte, bei denen wir uns als Künstler*innen einhaken können. EW Und wie kann diese artifizielle Kunstform Oper somit nun Wirklichkeiten beschreiben oder reflektieren? PR Das geschieht durch die gesamte Ästhetik unserer Inszenierung, durch Verfremdungsund Montagetechniken, durch eingeblendete Texte oder durch kommentierende Videos. Auf diese Weise bringen wir uns selbst, unsere Zeit und unsere Positionen ein. Denn für uns sind diese Werke, die vor über einhundert Jahren entstanden sind, ja tatsächlich archäologisches Material. SC Ich persönlich würde noch nicht einmal sagen, Oper ist artifiziell. Sie ist doch der Ansatz, diese großen, starken Gefühle zu zeigen, die man im Alltag nicht offenbaren darf. Ich kann zum Beispiel nicht auf die Straße gehen und herausschreien, wie glücklich ich bin oder wie schrecklich deprimiert. Diese Möglichkeit gibt es nicht im wirklichen Leben. Aber im besonderen Kontext der Oper schon. Wir alle haben solche Gefühle, aber im Alltag wäre es deplatziert, ihnen eine Stimme zu geben. In der Oper dagegen ist es tatsächlich nicht einmal unhöflich oder merkwürdig, wenn die Sopranistin in der Partie der Butterfly äußert, dass sie sich töten will und mit einem Dolch sehr detailreich vor dem Publikum ihren persönlichen Schmerz ausstellt. Das wirkt zwar unrealistisch, weil es nicht angemessen wäre in der Realität, gleichzeitig aber ist jede*r zu solch starken Gefühlen fähig.

Eckhard Weber arbeitet als freier Musikjournalist in Berlin für Printmedien und Hörfunk und schreibt Programmheftbeiträge für Festivals, Konzert- und Opernhäuser. Als Gastdozent an der Kunstuni Graz leitet er Seminare zu Gender und Diversity in der Musik.

White Limozeen eine Musiktheater-Performance von Johannes Müller/Philine Rinnert Regie Johannes Müller Sopran Sarai Cole Schlagzeug Sabrina Ma Die beiden Vorstellungen am 23.3. finden im Rahmen der Langen Nacht der Museen statt.

23./24.3.19 Gastspiel in Kooperation mit dem Württembergischen Kunstverein Stuttgart Eine Produktion von „BAM! – Berliner Festival für aktuelles Musiktheater“. BAM! ist eine Initiative des ZMB – Zeitgenössisches Musiktheater Berlin e.V., realisiert aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds, der Schering Stiftung und der Rudolf Augstein Stiftung.

2019 Mrz

Spielort: Württembergischer Kunstverein Stuttgart

23 Mo

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20.30 + 22.30 Uhr, Karten: lange-nacht.de

18 Uhr, Karten: staatsoper-stuttgart.de

#1 al tiv 19 s e sf 4. hr 15. hja 3.– frü 17.


frühjahrsfestival #1 wirklich wirklich 17.3.– 15.4.19

Antigone-Tribunal Leo Dick

Die sieben Todsünden / Seven Heavenly Sins

Uraufführung Auftragswerk der Jungen Oper Stuttgart Libretto nach dem Stück Die drei Leben der Antigone von Slavoj Žižek Fassung von Blanka Rádóczy und Leo Dick

Ballett mit Gesang von Kurt Weill, Text von Bertolt Brecht / Live Testimonial by Peaches Koproduktion von Staatsoper Stuttgart, Stuttgarter Ballett und Schauspiel Stuttgart

Musikalische Leitung Christopher Schmitz Regie und Bühne Blanka Rádóczy

Musikalische Leitung Stefan Schreiber Regie Anna-Sophie Mahler featuring Peaches

Mit Carina Schmieger, David Kang, Ida Ränzlöv / Deborah Saffery, Chor der Bürger*innen

Mit Elliott Carlton Hines, Josephine Köhler, Gergely Németi, Peaches, Christopher Sokolowski, Florian Spiess, Louis Stiens, Melinda Witham

Staatsorchester Stuttgart

Staatsorchester Stuttgart

Uraufführung 9.3.19, 19 Uhr, Nord

ab 23.3.19, 20 Uhr, Schauspielhaus Mrz

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Karten 8 – 60 €

Modern Times Charlie Chaplin

Karten 18 / 7 €

Filmkonzert im Opernhaus, Stummfilm mit Live-Orchester

Der Prinz von Homburg Hans Werner Henze Oper in drei Akten nach dem Schauspiel von Heinrich von Kleist, für Musik eingerichtet von Ingeborg Bachmann Musikalische Leitung Cornelius Meister, Thomas Guggeis (29.3.,6.4.) Regie Stephan Kimmig

Staatsorchester Stuttgart

Premiere 17.3.19, 18 Uhr, Opernhaus

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Elektronische Live-Performance Electric Indigo E-Gitarre Thilo Ruck Cembalo/Keyboard Rita Kaufmann, Alan Hamilton Viola da Gamba Hélène Godefroy, DJ Acid Maria, Klangregie Christoph Kirschfink, Günter Schlienz, Dieter Fenchel

30.3.19, 17– 2 Uhr Karten 12 / 12 / 8 € Einzelveranstaltungen, 25 € Gesamtpaket Eine Kooperation mit der Staatsgalerie Stuttgart, dem Württembergischen Kunstverein und dem Schauspiel Stuttgart

Musikalische Leitung Alejo Pérez Regie Axel Ranisch Mit Goran Jurić, Kai Kluge, Stine Marie Fischer, Shigeo Ishino, Daniel Kluge, Johannes Kammler, Michael Ebbecke, Carole Wilson, Aytaj Shikhalizade, Fiorella Hincapié, Esther Dierkes, Matthew Anchel, Christopher Sokolowski Staatsopernchor Stuttgart, Staatsorchester Stuttgart

ab 9.4.19, 19 Uhr, Opernhaus Apr

5. Kammerkonzert Transatlantische Bahnen Steve Reich Mallet Quartet Dmitri Schostakowitsch Sinfonie Nr. 15 (Bearb. von Viktor Derevianko) Mit Jewgeni Schuk, Vache Bagratuni, Christoph Wiedmann, Thomas Höfs, Marc Strobel, Jürgen Spitschka, Klavier Ilonka Heilingl

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Karten 8 – 108 €

radioshow nr. 2 freifunker fm Mit Björn Gottstein (SWR2-Redakteur, künstl. Leiter Donaueschinger Musiktage), Prof. Dr. Irmela Schneider (Medienwissenschaftlerin) und Musiker*innen der Staatsoper Stuttgart

Musikalische Leitung Cornelius Meister Staatsorchester Stuttgart

Karten 16 / 7 €

Karten 10 € / 5 € ermäßigt

Nixon in China John Adams

5. Sinfoniekonzert Was ist wirklich?

Oper in drei Akten, Libretto von Alice Goodman

Salvatore Sciarrino Efebo con radio Fausto Romitelli Audiodrome – Dead City Radio Ludwig van Beethoven Sinfonie Nr. 4 B­Dur op. 60

Karten 16 – 39 € / 10 € Kinder

White Limozeen

Musikalische Leitung André de Ridder Regie Marco Štorman

eine Musiktheater-Performance von Johannes Müller/ Philine Rinnert

Mit Jarrett Ott, Michael Mayes, Shigeo Ishino, Ida Ränzlöv, Fiorella Hincapié, Luise von Garnier, Matthias Klink, Esther Dierkes, Gan-ya Ben-gur Akselrod

Regie Johannes Müller

Die beiden Vorstellungen am 23.3. finden im Rahmen der Langen Nacht der Museen statt.

23.3.19, Württ. Kunstverein Stuttgart

Staatsopernchor Stuttgart, Staatsorchester Stuttgart

Premiere 7.4.19, 18 Uhr, Opernhaus

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20.30 + 22.30 Uhr, Karten lange-nacht.de 18 Uhr,  Karten staatsoper-stuttgart.de

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Musikalische Leitung Hossein Pishkar Alt Stine Marie Fischer Staatsorchester Stuttgart

14.4.19, 11 Uhr Liederhalle, Beethovensaal 14 So

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Karten 8 – 42 € , 8 – 37 € Montagspreis Am Sonntag wird zu diesem Konzert ein Kinderworkshop angeboten.

Karten 8 – 108 €

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Gastspiel in Kooperation mit dem Württembergischen Kunstverein Stuttgart Eine Produktion von „BAM! – Berliner Festival für aktuelles Musiktheater“. BAM! ist eine Initiative des ZMB – Zeitgenössisches Musiktheater Berlin e.V., realisiert aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds, der Schering Stiftung und der Rudolf Augstein Stiftung

am 10.4.19, 21 Uhr, Opernhaus

Apr

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Karten 8 –108 €

Oper in vier Akten und einem Vorspiel Libretto von Carlo Gozzi vom Komponisten

3.4.19, 19.30 Uhr Liederhalle, Mozartsaal

Mit Sarai Cole, Sopran und Sabrina Ma, Schlagzeug

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Musiker*innen des Staatsorchesters Stuttgart, Sänger*innen der Staatlichen Hochschule für Musik und darstellende Kunst Stuttgart

Die Liebe zu drei Orangen Sergej Prokofjew

Filmphilharmonic EditionFilm mit Genehmigung von Roy Export SAS. Musik mit Genehmigung von Bourne Music Publishers

24.3.19, 11 Uhr, Opernhaus

Mit Štefan Margita, Helene Schneiderman, Vera-Lotte Böcker, Robin Adams, Moritz Kallenberg, Michael Ebbecke, Friedemann Röhlig, Johannes Kammler, Mingjie Lei, Paweł Konik, Michael Nagl, Catriona Smith, Anna Werle, Stine Marie Fischer

Lange Nacht der Minimal Music

Wirklichkeitskongress 5. Liedkonzert In Zusammenarbeit mit der Internationalen Hugo-WolfAkademie Werke von Walton, Barber, Ives, Gershwin u.a. Mit Helene Schneiderman, Catriona Smith, Mingjie Lei Klavier Alan Hamilton

8.4.19, 20 Uhr Opernhaus, Foyer I. Rang Karten 25 / 7 €

→ Detailliertes Programm im Kasten auf der Folgeseite und  unter: staatsoper-stuttgart.de/wirklichkeitskongress

13.4.19, 13 – 21 Uhr anschließend Lounge, Nord Karten 12 / 8 €, Gastronomie geöffnet


Richard Nixons Chinareise zu Mao Tse-tung war eher ein mediales als ein politisches Ereignis: Es ging vor allem um die Bilder, die dieser Besuch lieferte und weniger um konkrete außenpolitische Ergebnisse. Auch in John Adams’ Oper Nixon in China steht der Aspekt des Bildmachens und Bildwerdens im Zentrum. Der Prinz von Homburg in Hans Werner Henzes gleichnamiger Oper glaubt wiederum, einen Handschuh aus seinem Traum mit in die Realität genommen zu haben. Was ist Traum? Was Wirklichkeit? Wie lassen sich beide voneinander unterscheiden? Und welche Wirklichkeit ist wirklich wirklich? Im diesjährigen Frühjahrsfestival wollen wir uns ausgehend von diesen beiden Neuproduktionen im Gespräch mit Künstler*innen und Wissenschaftler*innen, in Vorträgen, Diskussionen und Performances mit Fragen nach Wirklichkeitskonstruktionen und Realitätsverschiebungen beschäftigen.

Lange Nacht der Minimal Music 30.3.19

17– 18.30 Uhr Staatsgalerie

Als klassische Vertreter der Minimal Music gelten Komponisten wie Steve Reich, Terry Riley, La Monte Young – oder auch John Adams, dessen Oper Nixon in China am 7. April an der Staatsoper  Premiere feiert. Minimal Music ist meist tonal, harmonisch einfach, aber rhythmisch komplex. Im Begriff „Minimal Music“ – in Analogie zur „Minimal Art“ entstanden – versammelt sich aber eine große Vielfalt von Ideen, die um Reduktion, Einfachheit, Wiederholung und Zeitauflösung kreisen. Diese Ideen beschäftigten nicht nur eine Gruppe amerikanischer Komponisten der 60er- und 70er-Jahre. Vereinzelt tauchen sie schon in früheren Epochen der klassischen westlichen Musik auf. Ihre Ursprünge liegen aber fern der westlichen Musikkultur in Afrika und Asien. Auch Komponisten der Gegenwart bauen in unterschiedlicher Weise darauf auf und transportieren sie in jeweils eigene Klangwelten. In einer Langen Nacht zieht die Staatsoper Stuttgart durch die Nachbarschaft und führt durch die Ideenwelten der Minimal-Pioniere, ihrer Vor- und Nachfahren und Verwandten – vom Händeklatschen und Hölzchenschlagen über Klanginstallationen, bewegliche Raumkompositionen, kammermusikalische Besetzungen, das afrikanisch gestimmte Cembalo, die E-Gitarre mit Loop Generator bis hin zu einer neuen elektronischen Komposition von Electric Indigo und einem MinimalDJ-Set.

Wirklichkeitskongress 13.4.19 Zwischen dem, was wir für wirklich halten, und dem, was wirklich ist, gibt es nicht selten eine Kluft. Für einen Nachmittag und Abend lädt die Dramaturgie der Staatsoper Stuttgart Akteur*innen aus Kunst, Wissenschaft und Publizistik ein, um in Vorträgen und Diskussionen, Performances, FilmScreenings und Installationen, gemeinsam mit dem Publikum zu erforschen, was für sie wirklich wirklich ist. Wir erkunden, auf welche Art von Evidenzen wir uns einlassen können und müssen, wollen wir ein produktives Verhältnis zur Realität einnehmen – sei es in der mündigen Nutzung neuer Medien, sei es im eigenen Wirklichkeitsempfinden, oder sei es als Bedingung für eine engagierte Haltung der Kunst.   Los geht es um 13 Uhr mit dem Medienwissenschaftler Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Eberhard Karls Universität Tübingen). Er eröffnet den Kongress mit dem Vortrag „Illusionen der Wahrheit. Von der Gefahr der Gewissheit und der Nützlichkeit des Zweifels“ und anschließender Publikumsdiskussion. Anekdotisch und ernst, mit Lust an der Zuspitzung und einem Gespür für die fatale Macht der Ideologien erkundet der Wissenschaftler und Bestsellerautor die Grenzen unseres Erkenntnisvermögens. Er zeigt, wie Wirklichkeiten und Wahrheitsillusionen entstehen, lässt uns über die Geschichten spektakulärer Fälschungen in Wissenschaft, Medienwelt und digitaler Öffentlichkeit schmunzeln. Der Einzelne, so Bernhard Pörksen, ist unvermeidlich für seine Sicht der Dinge verantwortlich; Wahrheit entsteht stets im Auge des Betrachters. Wir setzen fort mit dem Vortrag „Immersion, Fake & die Macht visueller Filter“ von Prof. Dr. Oliver Grau (Donau Universität Krems): Facebook mit vielleicht bald 2 Mrd. Nutzern zielt auf emotionale Erlebniswelten für seine Kunden und erfüllt zugleich Wunschszenarien der Geheimdienste. Mit der Kontrolle der Räume für möglichst viele Sinne aber fügt sich Mark Zuckerbergs gigantisches Projekt in die Geschichte der problematischen

SG

MINIMAL – IN SIGHT, SPACE AND MOTION Steve Reich Pendulum Music (1968) für Mikrophone, Verstärker, Lautsprecher und Performer John Cage Ryoanji (1983/85) Soli für Stimmen mit Schlagzeug Steve Reich Piano Phase (1967) Video-Screening der Choreographie von Anne Teresa de Keersmaeker Karten 12 €

22 – 2 Uhr Foyer Schauspielhaus

SH

PRE- AND POST-MINIMAL Yannis Kyriakides/Andy Moor Underground Migration (2014) Improvisation für E-Gitarre und LiveElektronik (Tonaufnahme) Bernhard Lang Differenz/Wiederholung 6b (2001) für E-Gitarre und Loop-Generator Anton Bruckner Streichquintett F-Dur: Scherzo (1878/79) Electric Indigo Neues elektronisches Werk (2019) UA DJ Acid Maria

19 – 21.30 Uhr Württ. Kunstverein

WKV

Karten 8 €

MINIMAL – CLASSICS Louis Andriessen Workers Union (1975) für eine laute Gruppe von Instrumenten Terry Riley In C (1964) für beliebige Instrumente in beliebiger Anzahl MINIMAL – ROOTS Steve Reich Clapping Music (1972) für 2 Performer Kevin Volans White Man Sleeps (1982) für 2 afrikanisch gestimmte Cembali, Viola da Gamba und Schlagzeug Vykintas Baltakas Sandwriting I (2018) für 2 Keyboards und Live-Elektronik

Oberer Schlossgarten

SG Eckensee

SH

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Karten 12 €

Seite der Immersion, in der es immer wieder darum ging, visuelle Macht und Kontrolle über Seher*innen zu erlangen. Der Vortrag greift wichtige Etappen dieser von Brüchen und Umwegen gekennzeichneten Bildgeschichte heraus und mündet in Betrachtungen zur allerjüngsten Gegenwart. Das Jahrhundert der Panoramen, Eisensteins Raumfilm, Fresken der Renaissance und das Phänomen Weltausstellungen werden ebenso aufgegriffen, wie Phänomene der Popkultur, der Oper und jüngste Entwicklungen Digitaler Kunst. Der Beitrag markiert zugleich mit Warburg, Foster und Gouveira die kritische Distanz als Grundvoraussetzung von ästhetischer Wahrnehmung und Erkenntnis. Im Anschluss diskutieren wir mit Oliver Grau im Panel „Kunst-Räume. Werk, Betrachtung, Was ist dazwischen?…“ zeitgenössische Darstellungsweisen des Realen zusammen mit den Kuratorinnen Dr. Anne Vieth (Kunstmuseum Stuttgart) und Dr. Eva Huttenlauch (Lenbachhaus München). Anne Vieth ko-kuratierte zuletzt die Ausstellung „Ekstase“ als kunstgeschichtliche Nachverfolgung eines jahrtausendealten Diskurses, der sich immer wieder mit den realen Bedingungen und der Abbildbarkeit von Ausnahme- und Rauschzuständen beschäftigt. Eva Huttenlauch ist ebenfalls auf der Suche nach neuen Präsentationsformen von Kunst und erarbeitete dabei z.B. 2017  mit dem Komponisten Ari Benjamin Meyers eine große immersiv-performative Musikinstallation im Lenbachhaus. In einem Panel mit Prof. Martin Schüttler vom Campus Gegenwart der HMDK Stuttgart und Regisseur Marco Štorman, dessen Premiere von Nixon in China wir ab dem 7. April im Opernhaus  zeigen, diskutieren wir am Nachmittag ästhetische Strategien eines zeitgenössischen Musiktheaters. Martin Schüttler ist Komponist und beschäftigt sich in seinen Arbeiten immer wieder mit der Rekontextualisierung sozialer, medialer und physischer Realitäten in der Musik und ihrer Produktion. Im Gespräch mit Regisseur Stephan Kimmig und Prof. Dr. Katja Diefenbach (Merz Akademie Stuttgart) gehen wir bei einem Afternoon Tea der Frage nach, welches anarchische Potential

das Verhältnis des Einzelnen zur Masse birgt – als Grundfrage einer Philosophie des Seins und auch als Bedingung für die Formulierung alternativer Subjektivität auf der Szene. Stephan Kimmig inszeniert die Premiere Der Prinz von Homburg, mit der wir unser Frühjahrsfestival am 17. März eröffnen. Der Theater- und Filmemacher Andres Veiel bewegt sich in seinen Arbeiten im Grenzbereich zwischen Dokument und Fiktion. Er präsentiert das Projekt „Welche Zukunft?!“ des Deutschen Theaters Berlin und des Humboldt Forums, in dessen Rahmen zuletzt sein Stück „Let them Eat Money“, eine Paraphrase von Ergebnissen einer spekulativen Konferenz zu neuen großen gesellschaftlichen Krisen entstanden ist. Wissen, Vorhersage und Gestaltung werden in diesem Fall zum Ort der Überschneidung zwischen Realität, Fiktion und Prognose. Johannes Müller vom Duo Müller/Rinnert, die ihre jüngste Arbeit AIDS FOLLIES im Februar am Theater Rampe zeigten, trifft am Abend auf Anna-Sophie Mahler, die sich in ihren Arbeiten immer wieder mit Fragen der Dokumentation auseinandersetzt. Beide lassen reale Erfahrungen in ästhetische Kontexte einfließen, und bedienen sich dabei immer wieder musikalischer Mittel. Bei einem Getränk unterhalten wir uns mit den beiden über das Verhältnis von Recherche zu Fiktion auf der Bühne und welche Rolle die Musik dabei spielt. In den Foyers Performances, Film-Screenings und Installationen von und mit der Dramaturgie der Staatsoper Stuttgart, Perspektivenbox (Stuttgart/Wien), Hans op de Beeck, Musiker*innen der JOiN-Produktion Rotkäppchen (Premiere 4. Mai 2019), u.v.m. Ab 21 Uhr JOiN-the-Bar mit Musik  und Gesprächen. Gastronomie geöffnet. Aktuelles Programm: staatsoper-stuttgart.de/wirklichkeitskongress (Änderungen vorbehalten)

13 – 21 Uhr, anschließend Lounge Nord 13 Uhr

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Eröffnung und Vortrag: Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Eberhard Karls Universität Tübingen), anschl. Publikumsdiskussion Gläserne Opernwerkstatt: Musikalischer Kurzeinblick in Proben zu Georges Aperghis Rotkäppchen (Premiere 4.5. JOiN) Vortrag: Prof. Dr. Oliver Grau (Donau Universität Krems) Panel: Prof. Dr. Oliver Grau (Donau Universität Krems), Dr. Anne Vieth (Kunstmuseum Stuttgart), Dr. Eva Huttenlauch (Lenbachhaus München) Lunch Panel und Diskussion: Regisseur Marco Štorman (Nixon in China), Komponist Prof. Martin Schüttler (Campus Gegenwart, Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart) Pause Afternoon Tea: Regisseur Stephan Kimmig (Der Prinz von Homburg), Prof. Dr. Katja Diefenbach (Merz Akademie Stuttgart) Pause und Snackcercise: „Falscher Hase“ Präsentation und Vortrag : Andres Veiel (Dokumentarfilmer und Theatermacher, Berlin) Pause Cocktail: Regisseurin Anna Sophie Mahler (Die Sieben Todsünden/ Seven Heavenly Sins) und Johannes Müller (Müller/Rinnert, White Limozeen, Berlin) Screening: Kubrick, Nixon und der Mann im Mond (50 Min.) JOiN-the-Bar bis open end …


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JOiN

Hans Op de Beeck, Determination (NY KIDS) 14, 2003

PREMIERE

ROTKÄPPCHEN Georges Aperghis Musiktheater für Kinder ab 6 Jahren und ihre Familien Choreografie & Regie Guillaume Hulot, Elena Tzavara Bühne & Kostüme Elisabeth Vogetseder Mit Lisa Kuhnert, Andrea Nagy, Olga Wien, Adam Ambarzumjan, Markus Hein, Mark Lorenz Kysela

Georges Aperghis komponierte sein Rotkäpp­ chen 1985 auf die Version von Charles Perrault.  Mit viel musikalischem Witz und Esprit findet er in der Geschichte um den Wolf, Rotkäppchen und die Großmutter immer wieder neue überraschende Konstellationen. Dem sechsköpfigen Instrumentalensemble überträgt er dabei auch szenische Aufgaben, sodass aus dem bekannten Märchen ein hochvirtuoses musiktheatralisches Kammerstück entsteht.

ab 4.5.19 2019 Mai

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beitreten verbinden teilnehmen eintreten verknüpfen sich anschließen hinzukommen zusammentreffen zusammenfließen hingehen zusammenstoßen sich treffen koppeln zusammenwachsen einfließen verbinden aneinanderfügen anfügen angliedern angrenzen ansetzen eintreten kombinieren vereinigen verschmieren sich zusammentun sich beteiligen eingreifen sich einschalten einschreiten einstimmen mitmachen sich melden sich zu jmdm. hinsetzen sich jmdm./etw. anschließen sich zu jmdm. gesellen sich jmdm./etw. zugesellen sich in etwas einreihen zusammenfügen …

Eine Produktion von ACHT BRÜCKEN / Musik für Köln gemeinsam mit JOiN Gastspiel Köln: 11. Mai 2019 um 11 Uhr

PREMIERE

LOLLO Elisabeth Naske Interaktives Musiktheater für Kinder von 3 bis 6 Jahren zum Thema Müll, Umweltschutz und Nachhaltigkeit von Ela Baumann (Libretto und Konzept)und Elisabeth Naske (Musik und Konzept) Regie Lovinia Schuchert

Auf dem Müll liegt eine Puppe. Mitten zwischen alten Kannen und Dosen, Kleidern und Hosen. Lollo. Jemand hat sie weggeschmissen. Aber Lollo will kein unbrauchbares Gerümpel sein. Auf dem Müllberg findet sie anderes kaputtes Spielzeug. Sie sammelt es ein, fährt damit in den Wald. Dort wird alles, was kaputt ist, repariert. Bald spricht es sich im Wald herum, dass Lollo allen Wald- und Spielzeugtieren helfen kann.

Preview Club 2018/19 Neuproduktionen vorab sehen, Künstler*innen treffen, diskutieren

ab 25.5.19

Für alle zwischen 16 und 30 Jahren bietet die Staatsoper Stuttgart auch in dieser  Spielzeit die Möglichkeit, kostenlos Generalproben im Opernhaus und in der Liederhalle zu besuchen – vor allen anderen, bestens informiert und mit der herzlichen Einladung zu einem Nachgespräch. Im Anschluss an die Probe trefft ihr bei einem Get-together in der Kantine auf künstlerisch Verantwortliche und Beteiligte der Produktion für Fragen zur Inszenierung, zum Probenprozess, zum Theater allgemein oder einfach nur auf eine Runde Smalltalk. Von uns für euch, auf Augenhöhe und mit vielen spannenden Einblicken. Alles, was du dafür tun musst: Melde dich kostenlos an und erhalte deine Membercard! Aufgrund begrenzter Ticketanzahl nur mit vorheriger Anmeldung unter preview@staatstheater-stuttgart.de Mehr Infos unter: www.staatsoper-stuttgart.de/previewclub oder Telefon 0711 20 32 498

Generalproben-Termine *

Schul- oder Kindergartenvorstellungen

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In Zusammenarbeit mit der Abfallwirtschaft Stuttgart

STÜCKENTWICKLUNG

CONTROL CTRL Musiktheater-Installation von, mit und für Jugendliche ab 12 Jahren

Antigone-Tribunal Nord

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Der Prinz von Homburg Opernhaus

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Nixon in China Opernhaus

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5. Sinfoniekonzert Liederhalle

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Iphigénie en Tauride Opernhaus

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Mefistofele Opernhaus

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14.6.

7. Sinfoniekonzert Liederhalle

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* Die Generalproben können aus künstlerischen Gründen kurzfristig geschlossen werden. Über weitere mögliche Zusatzveranstaltungen werden wir Euch rechtzeitig informieren.

Für diese Vorstellungen gibt es ein begrenztes Kartenkontingent für Gruppen.

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In Kooperation mit dem Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

Wir rufen die digitale Republik CONTROL aus und suchen nach virtuellen Antworten auf brennende Fragen: Was heißt Gerechtigkeit? In was für einem Staat wollen wir leben? Wie organisieren wir unsere Zukunft? In einer breit angelegten und semidigitalen Installation erproben junge Bürger*innen neue und schöne Welten zwischen Wirklichkeit und Avatar, zwischen Kontrolle und Kontrollverlust.

ab 22.6.19 2019 Jun

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Gefördert vom: Bundesministerium für Bildung und Forschung


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ISSUE No. 2

Uraufführung

„Man kommt da nicht raus“ Blanka Rádóczy im Gespräch mit Christoph Sökler

Rhetorik und Emotion: Der Komponist Leo Dick Titus Engel 1

Lass uns mit Sophokles beginnen. Er hat seine Antigone vor über 2000 Jahren geschrieben und auch heute werden wir nicht müde, uns an ihr abzuarbeiten. Sie wird nicht nur häufig gespielt oder in der Schule behandelt, neben Hamlet ist sie auch das Stück Weltliteratur, das in der Philosophie und der politischen Theorie den größten Widerhall gefunden hat. Antigone ist gleich in mehrfacher Hinsicht ein Mythos: als Gestalt aus der griechischen Mythologie, als Theaterstück, das immer wieder neu für die Gegenwart „entwickelt“ wird, und als eine Figur des Widerstands, die es fast zu einer Art Popstar-Status gebracht hat. Was heißt das für dich, wenn du dich dieser Figur und diesem Stück als Regisseurin näherst? BR Ich frage mich häufig – und nicht nur bei Antigone –, warum wir uns wiederholt mit denselben Geschichten beschäftigen. Ich glaube, neben den „zeitlosen“ Themen, geht es auch um die Wiederholung selbst. Diese interessiert mich sowohl formal als auch inhaltlich, wobei sich beides gegenseitig bedingt. Die Überschreibung einer uralten Geschichte ist auch eine Art Wiederholung, zumal wenn man wie wir nicht nur eine zeitgenössische Überschreibung des Stoffes als Basis nimmt, sondern auch noch eine Oper daraus macht. CS

Als wir darüber gesprochen haben, wie Antigone in der ersten Szene auftaucht, hast du gesagt: „Die sitzt da seit 2000 Jahren!“ BR Ja, Antigone ist alt. Auch das Theater ist alt. Und es hat auch was unglaublich Altmodisches. Darin liegt seine Kraft. Wenn wir ins Theater gehen, nehmen wir uns Zeit für etwas, das viel Ruhe und Konzentration erfordert. Schon dieser Vorgang schafft eine eigene Zeitlichkeit und ist heutzutage eher selten. Außerdem kann das Theater unser Zeitempfinden manipulieren, es kann die Zeit dehnen, beschleunigen. Mir gefällt es, mit diesen unterschiedlichen und verschobenen Zeitlichkeiten zu spielen. Dazu gehört auch die Wiederholung. Etwas parallel zu erzählen, mehrere Bilder gleichzeitig zu zeigen, in der Zeit vor- und zurückzuspulen, so dass man sich in ihr verliert. CS

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Das Zurückspulen und die Wiederholung spielt auch in unserem Ausgangstext eine wichtige Rolle, weil es in Slavoj Žižeks Die drei Leben der Antigone diese drei unterschiedlichen Enden gibt, die er hintereinander ablaufen lässt, indem immer wieder ein Stück zurückgespult wird. Insgesamt ist Žižeks Stück in einer ziemlich trockenen, undramatischen Sprache geschrieben, er bezeichnet es ja auch ausdrücklich nicht als Kunstwerk, sondern als eine ethisch-philosophische Übung nach Art eines Lehrstücks. Ein Lehrstück allerdings, aus dem sich nicht direkt eine Lehre ziehen lässt, schließlich sagt der Chor am Ende, dass man keines der drei Enden empfehlen könne, weil man es eben auch nicht weiß. Das Schematische dieser „Erzählweise“ verstärkt sich durch die für ein Opernlibretto notwendigen Kürzungen. Wie man das zum „Glänzen“ bringt, damit also nicht nur denkerisch, sondern auch performativ und ästhetisch fesselt – diese Frage hat uns in der Vorbereitung viel beschäftigt. BR Diese kurze, gedrängte und konzentrierte Form mit realistischen Bildern zu erzählen, halte ich für aussichtslos. Wir suchen eher nach einer Übersetzung in Vorgänge, die sich wiederholen, sich gegenseitig zitieren. So verstehe ich auch die Bühne: als Zitat einer realen Welt, die selbst schon zitiert. Wir haben ein Gewächshaus auf der Bühne, das – fast unmerklich – Bauformen griechischer Tempel wiederholt. Alle Teile der Bühne sind irgendwie unfertig oder verfallen, weil sich diese Mehrdeutigkeit für etwas Gegenwärtiges öffnet. Für mich müssen in diesem Stück alle Darsteller*innen immer auf der Bühne gegenwärtig sein. Es macht keinen Sinn, so zu tun, als könnten sie sich dem, was da passiert, entziehen. Die Leute kommen da nicht raus. Man glaubt vielleicht, dass man rauskönnte, wenn man wollte. Kann man aber nicht. CS

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Die Leute kommen da nicht raus … Es ist ja auch die Frage, wer „die Leute“ überhaupt sind. Neben den drei Solist*innen haben wir einen im Alter bunt gemischten Laienchor, dem wir zwei Rollen zugedacht haben: Einerseits wollen wir den Chor nicht einfach nur auf der Bühne „einsetzen“, sondern auch am für das JOiN so wichtigen Austausch zwischen Akteur*innen und Publikum beteiligen, sie quasi zu Vermittler*innen dieser Produktion machen, ohne dass wir dabei vorschreiben wollen oder wissen können, was vermittelt werden soll. Seit Anfang November arbeiten wir mit dem Chor und ich bin sehr gespannt darauf, wie sich diese Vermittlungsarbeit nach der Uraufführung gestalten wird. Aber die Haltung des Chores wirft auch im Stück Fragen auf, auf die man inszenatorisch antworten muss. „Die Leute“ haben ganz offensichtlich keine vollkommen konsistente Haltung. Mal kritisieren sie Antigone, weil sie sich zu wichtig nimmt und weil sie „an ihrem Mythos arbeitet“, mal erhebt sich unter ihnen ein „drohendes Geraune“, weil Kreon Antigone so hart bestrafen will. Darauf einfach nur mit dem Finger zu zeigen, fände ich langweilig. Ich frage mich manchmal eher, wer sich hier in welcher Szene was zurechtfantasiert: Sind „die Leute“ die Fantasie der Herrschenden oder ist es andersherum? BR Während der Chor in der Antike eine Art Stellvertreterfunktion für ein ideales Publikum übernommen hat, ist das heute nicht mehr möglich, weil wir gar nicht wissen können, was ein ideales Publikum überhaupt ist. „Das Publikum“ gibt es genauso wenig wie „die Leute“, deshalb finde ich es spannend, wenn deine Frage letztlich unentscheidbar bleibt. Es ist gut, dass wir einen Chor haben, der bunt gemischt ist, aber trotz allem ist dieser Chor ja nicht repräsentativ für irgendetwas. Eines haben aber alle gemeinsam: Sie haben sich dafür entschieden, bei diesem Blanka Rádóczy Projekt mitzumachen – anders als ein Profichor. Ich habe vor ein paar Tagen mit Árpád Schilling telefoniert, der an drei Wochenenden mit unserem Chor arbeiten Regisseurin wird, worüber wir uns wahnsinnig freuen. Er liebt genau das ganz besonders an dieser Arbeit: Dass die Leute sich aktiv dafür entschieden haben, mitzumachen. CS

Ich kenne Leo Dick seit meiner Studentenzeit. Er wurde mir in Salzburg, wo ich damals als Hospitant arbeitete, von Benedikt von Peter vorgestellt, mit dem wir zusammen dann unser erstes gemeinsames Opernabenteuer bestritten. Unvergessen daraus der Sprechchor „Wir wollen einen Vorschuss, wir wollen endlich Geld“. Geld war aber nicht unser Thema, wir waren jung, motiviert und ungeduldig, wollten die Operngeschichte revolutionieren. Das ist uns nicht wirklich gelungen, aber die Energie stimmte ... Schon damals war klar, was Leo Dicks Musik von vielen seiner Generation unterschied. Er schrieb echte Theatermusik. Sie war pulsdurchsetzt, hatte eine Richtung, war dramatisch. Nicht zuletzt deswegen hatte sein Lehrer Friedrich Goldmann ihn für unser Projekt, Donizettis Viva la Mamma in eine neue moderne Rahmenhandlung mit Neuer Musik zu legen, mit Herzblut empfohlen. Leo Dick ist sehr breit gebildet. In seiner Jugend in Basel war er ein großer Wagnerianer. Er kann noch immer alle großen Wagner-Partien auswendig und so setzt er sich gerne nach einer konzentrierten Probe seiner Musik an den Flügel und schwelgt in Tristan­ Sequenzen. Nach seinem Kompositionsstudium an der UdK Berlin hat er noch Regie studiert an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin, die beiden Studiengänge dann gleichsam verbunden mit dem neugeschaffenen Studiengang Théâtre Musical an der Hochschule der Künste Bern. Dort machte er schlussendlich auch noch einen Doktor in Musikwissenschaft zum Thema Stimmbehandlung in der Neuen Musik. Seine Einflüsse sind also sehr vielfältig, sie reichen von der an Brecht geschulten Dialektik eines Gerd Rienäcker, dem großen Musikwissenschaftler der DDR, der sein Lehrer in Dramaturgie war und ihm die Theatertradition von Heiner Müller und Ruth Berghaus vermittelte, bis hin zu den französischen Feingeist Georges Aperghis, bei dem er seine Vokaltechnik verfeinerte. So war es ein künstlerischer Quantensprung nach Viva la Mamma zu seinen folgenden Musiktheatern Kann Heidi brauchen, was es gelernt hat? und Der Wunsch, Indianer zu werden, deren musikalische Leitung ich innehatte. Bei beiden Werken war Leo Dick ganz in dem Sinne Richard Wagners für Text, Musik und Regie zuständig. Heidi war ein Musiktheater zu dem bekannten Roman von Johanna Spyri mit Einflüssen von Schweizer Volksmusik und Kagels Musiktheater, sehr assoziativ, skurril und liebevoll. Mit Der Wunsch, Indianer zu werden hat er im Stadttheater Bern ein außerordentliches Theaterereignis geschaffen. Es ging um unser Amerika-Bild inspiriert von Kafka und Karl May, das Werk spielte in den Katakomben des Theaters, im Bühnenraum und im Zuschauerraum, wohin aber das Publikum nie gelangte, wie die sehnsüchtigen Auswanderer nie an ihr imaginiertes Ziel kommen. „Wir sind nur Schatten. Vor euch breiten wir drei verschiedene Schicksale aus.“ „Ihr habt die Wahl, auf eigene Gefahr müsst ihr sie treffen. Niemand kann euch dabei helfen, ihr seid allein.“

URAUFFÜHRUNG

ANTIGONE-TRIBUNAL Leo Dick

Leo Dick Komponist

Antigone-Tribunal Ein Auftragswerk des JOiN

ANTIGONE TRIBUNAL U FFÜ UR A

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3  Decebal Scriba,  Nothing about drowning, 1985,  Courtesy de l’artiste et de la galerie Anne-Sarah Bénichou

Libretto nach dem Stück Die drei Leben der Antigone von Slavoj Žižek Auftragswerk der Jungen Oper Stuttgart Fassung von Blanka Rádóczy und Leo Dick Musikalische Leitung Christopher Schmitz Regie & Bühne Blanka Rádóczy Kostüme Andrea Simeon Dramaturgie Christoph Sökler Mit Ida Ränzlöv* / Deborah Saffery, Carina Schmieger*, Andrew Bogard *Mitglied des Opernstudios der Staatsoper Stuttgart Staatsorchester Stuttgart

1  Jan von Holleben,  my pubescent friends and I, 1999 2  „La Raison“, Französische  Revolution. Punktierstich, 1794

Jetzt wendet er sich in Stuttgart Žižeks Antigone zu. Als Autor einer Kammeroper konzentriert er sich auf sein Kernmetier, das Komponieren. Was macht Leo Dicks Musikästhetik aus? Seine Musiksprache gründet in seiner Liebe zur Musik in ihren zahlreichen heute existierenden Idiomen. In diesem Sinne ähnelt seine Herangehensweise Bach, Mozart, Ligeti, weniger Wagner, Boulez und Stockhausen. Er sieht die Musikgeschichte nicht als linear teleologische Entwicklung, sondern an einem Punkt, wo der Versuch, im Sinne Adornos das Material immer weiter zu entwickeln, an einen toten Punkt gekommen ist. Aber das muss kein Nachteil sein. Leo Dick sieht das positiv. Er bedient sich der zahlreichen existierenden Musikidiome, tut dies aber keineswegs eklektizistisch, sondern schafft mit dem vorhandenen Material Neues, zum Beispiel auf der rhythmischen Ebene. In einem großen Teil der zeitgenössischen Musik Mitteleuropas hat der Parameter Rhythmus durch die serielle Aneinanderreihung von einzelnen Notenwerten seinen Groove, ganz im Gegensatz zum zeitgenössischen Jazz, verloren. Leo Dicks Musik ist da anders, die Wahrnehmbarkeit eines Pulses ist für ihn zentral und nimmt den Hörer sofort für seine Musik ein. Seine Werke sind formal sehr klar strukturiert, für mich immer ein Qualitätsmerkmal von guter Musik. Dieses formale Gerüst gibt ihm die Freiheit, im Innern kreativ zu sein. Antigone ist im Grunde eine klassische Nummernoper. Sie beginnt mit einer Ouvertüre, es folgt eine Introduktion und es gibt Arien. Leo Dick ist ein großer Melodiker. Er komponiert ausgehend vom Libretto zuerst die Gesangstimme. Es ist wichtig für ihn, dass der Text von den Zuhörer*innen gut verstanden werden kann, nicht die Textlaute stehen im Vordergrund, sondern der narrative Gehalt. Jede Figur in Antigone hat eine spezielle Melodik. So ist Antigone eine agile Sopranistin, Kreon hingegen ein fast statischer Bassbariton. Komplex für die Sänger*innen sind die mikrotonalen Elemente seiner Melodik und Harmonik, die von seiner Faszination für die französische Spektralmusik sowie für außereuropäische Musiktraditionen ausgeht. Zentral in Antigone ist aber auch eine einfache musikalische Ebene, die des Bürgerchores. Es ist fast durchgängig ein Sprechchor, der von echten Stuttgarter Bürger*innen interpretiert wird und so die Neue Musik aus dem Elfenbeinturm in die Mitte der Gesellschaft trägt. Rhetorik und Emotion sind die beiden entscheidenden Parameter in Leo Dicks Musik. Obwohl mit viel Geist geschrieben ist sie keine Konzeptmusik. Das Drama steht im Zentrum, der Melos transportiert Gefühle, das macht ihn zu einem echten Opernkomponisten. Ich kenne Leo Dick aus zahlreichen Proben und auch persönlichen Gesprächen. Was ich neben seiner Bildung, seiner politischen Wachheit und seinem Humor (der übrigens immer wieder in seiner Musik durchscheint) besonders schätze, ist seine menschliche Wärme. Und das nicht nur im privaten Umfeld, sondern auch auf den Proben. Gleiches habe ich nur bei Christoph Marthaler erlebt. Leo Dick liebt seine Sänger und seine Musiker, gemeinsames Essen ist genauso wichtig, wie das gemeinsame Proben, denn aus seiner Sicht entsteht gute Kunst nur in einer freundschaftlichen Atmosphäre.

Titus Engel Dirigent Herzog Blaubarts Burg

Dreimal wird in Slavoj Žižeks 2015 erschienenem Theaterstück Die drei Leben der Antigone der Widerstand Antigones gegen jede staatspolitische Vernunft zu einem jeweils anderen Ende geführt. Der Chor, das Volk oder die Bürger*innen kommentieren dabei nicht nur, sondern werden selbst zum Akteur. Mit einem eigens gecasteten Bürgerchor beleuchten wir auf und hinter der Bühne Fragen nach dem Erhalt, der Veränderung, der Auflösung oder der Neuschaffung politischer Ordnung, die sich angesichts der unsicheren Zukunft Europas immer drängender stellen.

ab 9.3.19 2019 Mrz

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Neuproduktion

Alles auf Auf dem Weg… Anfang

Marco Štorman, André de Ridder und Ingo Gerlach im Gespräch über ihre Vorbereitungen zu Nixon in China

REGISSEUR MARCO ŠTORMAN ÜBER DIE ARBEIT IN STUTTGART Zurückkommen. Wiederkehren. Was bedeutet das eigentlich? Älterwerden? Einen Weg gegangen sein? Etwas geschafft haben? Was ist in der Zeit zwischen der letzten Begegnung und dem Wiederkommen passiert? Was hat sich erfüllt? Gab es überhaupt einen Plan? Zurückkommen ist ein erstaunliches Zurückgeworfensein auf sich selbst. Konfrontiert werden mit den Träumen eines Anfangs, den Ängsten vor einer Zukunft und den Fragen danach, ob man bestehen können wird. Und? Sind sie getilgt, die Ängste? Konnte man bestehen? Oder sind die Fragen geblieben? Zurückkommen bedeutet, ehrlich zu sich sein zu müssen. Was hat sich erfüllt? Hat man sich belogen? Hat man es sich zu einfach gemacht? In Stuttgart liegen meine Anfänge als Regisseur im Musiktheater. Die damalige Leiterin der Jungen Oper, Barbara Tacchini, kannte mich aus meiner Assistenzzeit am Schauspiel in Hannover und nahm mich mit. Sigurd, der Drachentöter wurde die erste von drei gemeinsamen Arbeiten und die erste Inszenierung eines Musiktheaterstückes. Vielleicht war das meine wichtigste Erfahrung in Stuttgart damals: Musik hört man, Musik spürt man, Musik gibt die Bilder und Situationen vor, Musik bringt dich in Bewegung. Als Regisseur muss ich nicht konstruieren sondern vielmehr zuhören, zulassen. Musik berührt direkt und kommt aus dem Filter des eigenen Körpers, Erlebens, Erinnerns zurück auf die Szene, ins Bild. Musik ist immer Jetzt. Es geht darum, die vielen Beteiligten mitzunehmen in diesen Filter, ihren Filter mit dem eigenen zu vermischen und so ein Kaleidoskop aus gemeinsamen Eindrücken und Empfindungen zu kreieren. Musik hilft, Ängste gar nicht erst zuzulassen. Musik schafft eine Verabredung der sofortigen Begegnung weil sich alle auf dem Boden des Klangs bewegen und durch ihn geschützt sind. Musiktheater wurde durch das in mich gesetzte Vertrauen in Stuttgart für mich zu einem Ventil des gemeinsamen Erzählenkönnens, die Grundidee des Theaters als Kunstform des Wir löste sich endlich ein. Und als sich herausstellte, dass unser Inspizient derselbe war, der mich als Junge im Kinderchor in der Hamburgischen Staatsoper damals auf die Bühne schickte: da war das erste mal dieses Gefühl von Zurückkommen, Wiederkehren – Vertrautheit. Vielleicht ist es letztlich das: Zurückkommen bedeutet immer auch, sich zu kennen, bedeutet Weitermachen, Weiterkommen. Und auch wenn die Ängste vor dem Scheitern nach jeder Probe, nach jeder Premiere aufs Neue kommen. So lösen sie sich auf ins Nichts, wenn man gemeinsam den Klang des Stückes sucht. Die Angst bleibt ein Motor. Das Zurückkommen schafft den Raum, diesen mutig laufen zu lassen. Und so freue ich mich außerordentlich auf mein Wiederkehren nach Stuttgart, an dieses Haus, an dem ich meine ersten Schritte gemacht habe. Ich freue mich über ein lachendes Gesicht der Mitarbeiter*innen beim Wiedersehen, ein Zunicken von Techniker*innen beim Besuch von Vorstellungen, ein Weiterringen mit den Künstler*innen um Form und Inhalt. Gab es überhaupt einen Plan? Keinen bewussten. Außer dem, einen Weg zu gehen. Dabei den Ort meines Anfangs wieder zu kreuzen, das macht im Zurückblicken glücklich. Aus der guten Erinnerung und Begegnung nun hier weiterzumachen mit allen dazwischen gesammelten Eindrücken, das macht ein bisschen stolz. Und gleichzeitig trommelt der Respekt da drinnen in mir. Der Motor läuft. – Und jetzt auf die Probe. Anfangen.

Fragen an: Marco Štorman Regisseur

In wie vielen Wirklichkeiten leben Sie? Hier und jetzt in jeweils einer: Meiner. Wie stabil ist Ihre Wirklichkeit? Begreift man die Summe aller Wirklichkeiten nicht als sich konfrontierend sondern als große, morphende, sich ergänzende Blase, dann hält die schon was aus. Die Frage ist also eher: Wie stabil bin ich? Sind Sie bereit für neue Wirklichkeiten? Bereit je nach Verfassung. Aber im Versuch immer offen für sie. Hab mir die Bereitschaft zum Beruf gemacht. Brauchen wir mehr Wirklichkeitssinn? Oder haben wir schon zu viel davon?

Ingo Gerlach

Zur Uraufführungskritik zu Nixon in China titelte Der Spiegel: „Wenn die Tagesthemen gesungen werden“. Damit wurde unterstellt, dass es in der Oper vornehmlich um tagesaktuelle politische Ereignisse gehe. Abgesehen davon, dass der Besuch von 1972 bei der Uraufführung auch schon 15 Jahre her war, würde mich interessieren, ob es John Adams und seinen Mitautor*innen Alice Goodman und Peter Sellars tatsächlich um die dokumentarische Abbildung eines politischen Ereignisses ging oder um etwas anderes? André de Ridder

Der Spiegel-Titel ist – genauso wie die Bezeichnung „CNN-Opera“ – eine ziemliche Vereinfachung, gleichzeitig aber natürlich auch sehr griffig. Goodman hat für das Libretto ja tatsächlich auf Gesprächsprotokolle und Tagebücher zurückgegriffen. Das heißt, das meiste, was an dem Abend gesungen wird, wurde von den historischen Persönlichkeiten auch tatsächlich formuliert. Aber das ist eher Mittel als Ziel. Das Stück ist wesentlich vielschichtiger. Die eigentliche Qualität des Stückes liegt nicht in dem Nachrichtenwert, sondern in den verschiedenen Ebenen. Musikalisch wechseln sich beispielsweise repräsentative Musik, satirische Passagen und sehr lyrische Stellen ab. Je mehr ich mich mit dem Stück beschäftige, desto mehr Schichten finde ich. Und das Abbilden des Staatsbesuchs ist nur ein kleiner Teil. Marco Štorman

Im Endeffekt ist es wie mit allen großen Stoffen: Es sind Geschichten im doppelten Sinne. Dadurch, dass es Fernsehbilder von Nixons Chinabesuch gibt, scheint das näher an uns dran oder objektiver, dokumentarischer zu sein. Deswegen fällt es zunächst schwer, das als eine Geschichte zu begreifen. Wenn Mozart den römischen Kaiser Titus auf die Bühne stellt, hat das eine andere Distanz, einen anderen Grad an Abstraktion. Auch bei Nixon in China sind die gesungenen Nachrichten der unwesentlichste Teil, auch wenn das auf den ersten Blick mehr mit unserem gegenwärtigen politischen System zu tun hat als La clemenza di Tito. Dadurch können wir das nicht so einfach wegschieben, nach dem Motto: So war das früher eben. Es geht um die Mechanismen, in denen wir leben, um immer noch relevante Strukturen: Arm gegen Reich, Ost gegen West, Kommunismus gegen Kapitalismus. Was ist Demokratie? Wer macht Geschichte? Und dann hat der Stoff in den letzten Jahren auch wieder an Aktualität gewonnen. Dass man bei Donald Trump viel an Nixon und dessen Amtsenthebungsverfahren denkt, dass man bei Xi Jinping, der den Personenkult wieder aufleben lässt und sich als Staatschef auf Lebenszeit hat wählen lassen, viel an Mao denkt, macht den Stoff natürlich heute interessant. Aber diese Aspekte sind ja so offensichtlich, dass man sie nicht inszenieren muss. Das wäre dann wieder Tagesschau. Mir geht es in der Konzeption eher um die ganz grundlegenden Strukturen. Das ist das, was ich auf die Bühne bringen möchte: Die mediale Konstruktion und auch Dekonstruktion von Heldenfiguren – jenseits oberflächlicher Politsatire.

Ingo Gerlach

Ist die Vorbereitung und Herangehensweise bei Nixon in China anders als bei Opern zum Beispiel von Wagner oder Verdi? Marco Štorman

Eigentlich nicht. Ob ich was von 1790 nach heute denken muss oder von 1970 oder von 2012, das macht keinen wirklichen Unterschied. Das hängt aber auch damit zusammen, dass ich in der Theaterarbeit weniger über die Bebilderung nachdenke, sondern eher über Strukturen und Prinzipien komme. Ebenso wenig wie ich bei einer Shakespeare-Inszenierung darüber nachdenke, die Darsteller*innen in heutige G.I.Uniformen zu stecken, denke ich auch bei Nixon in China darüber nach. Das wäre ja nur eine oberflächliche Verkleidung. Ich sehe die Aufgabe eher darin, die Stoffe aus ihren vordergründigen Zeitbezügen herauszulösen, um herauszufinden, was an ihnen heute noch Gültigkeit hat. Eine Eins-zu-eins-Bebilderung oder die Verschiebung eines Stoffes in einen anderen Zeitkontext, vornehmlich über Kostüme, schafft das meines Erachtens nicht. Ich versuche eher, einen Moment zu finden, die Zuschauenden zu Teilhabenden und Erlebenden der Inszenierung zu machen, nicht bloß zu Konsumierenden. Ingo Gerlach

Welche Rolle spielt die Musik in diesem ganzen Komplex? Marco Štorman

Ich finde es ganz interessant, dass die Musik von John Adams etwas sehr Filmmäßiges hat. Das ist ja fast wie ein Soundtrack. Und mit unseren heutigen Seh- und Hörgewohnheiten lande ich erstmal auch musikalisch in einem Hollywood-Ost-West-Konflikt-Film. Adams selbst sprach ja von einer „technicolor orchestration“. Also einem kino-affinen Publikum wird das Stück glaube ich sehr nah sein. Ich bin fast eher gespannt, wie ein klassisches Opernpublikum auf diese Form von Musik reagiert. André de Ridder

Was John Adams komponiert hat, und auch das Libretto von Alice Goodman sind ja keine avantgardistischen Formen. Das ist ja nicht experimentell. Es ist linear erzählt, zumindest weitestgehend. Und es orientiert sich formal sehr spürbar an historischen Vorbildern der Oper: Es gibt große Chor-Tableaus, Theater auf dem Theater, Smalltalk-Parlando und Arien mit Innenschau. Das sind ja durchaus bewusste Entscheidungen für die traditionelle Formensprache der Oper. Und dementsprechend werden die zunächst bedient, selbst wenn sie später in etwas anderes überführt werden. Durch den Minimalismus von Adams wird die Musik zu einer Art Trägerschicht. Sie hebt die Handlung auf eine andere Ebene. Und selbst, wenn die Musik manchmal emotionaler wird oder auf Emotionen reagiert, ist das ja doch fast eher Ambient. Das ist wie eine Leinwand, die erstmal eine eher gemeinsame Grundlage bildet, auf die dann wiederum durchaus individuelle Farben aufgetragen werden.

News! News! News!

„News! News! News!“ – ganze zwölf Mal wiederholt die Titelfigur in John Adams’ Nixon in China am Beginn ihrer Arie das, worum es ihr bei dieser ersten Reise eines amerikanischen Präsidenten in die Volksrepublik China eigentlich geht: „News! It’s prime time in the USA!“ Während Nixon mit Premierminister Chou En-lai die Ehrenformation in Peking abschreitet, sinnt und singt er darüber, welche Wirkung die Bilder des Staatsbesuchs 1972 auf die amerikanischen Fernsehzuschauer*innen daheim haben wird – schließlich stehen die nächsten Wahlen vor der Tür und „das Wohnzimmer ist zur Wahlkabine geworden“, wie der Medientheoretiker Marshall McLuhan bereits 1967  formuliert hatte. Der Komponist John Adams, die Librettistin Alice Goodman und der Regisseur Peter Sellars wollten bei ihrer 1987 uraufgeführten Oper Nixon in China keine Politsatire auf Basis des mehr oder weniger aktuellen Zeitgeschehens auf die Opernbühne stellen. Es ging ihnen – im Gegenteil – darum, eine „heroische Oper“ zu schreiben, darum, zu überlegen, wer die Heldinnen und Götter des 20. Jahrhunderts sein könnten. Und es ging ihnen um das Mediale, die Konstruktion von Bildern, die Wirkungsmacht des Fernsehens und um Politik als Inszenierung bzw. die Inszenierung von Politik. John Adams’ Komposition greift die repetitiven Strukturen und rhythmischen Patterns der Minimal Music auf, baut aus ihnen allerdings wieder großflächigere Formzusammenhänge. Zudem überlagert er diese Strukturen mit traditionellen Mitteln der europäischen Oper, mit musikalischen Zitaten und musikhistorischen Verweisen. Nixon in China versucht sich somit nicht als experimentelles Theater, sondern eher als eine postmoderne Opernkomposition im 20. Jahrhundert. Seine „technicolor orchestration“ (Adams über Adams) macht das Stück zu einer farbenreichen, fast soundtrackhaften Auseinandersetzung mit der Medialisierung von Politik, zu einer Reflexion über das Medium und die Message. IG

Wem glaubst du? ↓ Der chinesische Premierminister Chou En-lai mit US-Präsident Nixon bei einem Emfangsessen in Pekin, China 1972 akg-images / WHA / World History Archive


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ISSUE No. 2

Nixon in China

John Adams NIXON IN CHINA Oper in drei Akten Libretto von Alice Goodman Uraufführung 1987 in Houston in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Neuproduktion ab 7.4.19 Musikalische Leitung André de Ridder Regie Marco Štorman Bühne Frauke Löffel Kostüme Sara Schwartz Licht Reinhard Traub Video Bert Zander Choreografie Alexandra Morales Dramaturgie Ingo Gerlach Chor Bernhard Moncado

Chou En-lai Jarrett Ott Richard Nixon Michael Mayes Henry Kissinger Shigeo Ishino Nancy T’ang (First Secretary to Mao) Ida Ränzlöv Second Secretary to Mao Fiorella Hincapié Third Secretary to Mao Luise von Garnier Mao Tse-tung Matthias Klink Pat Nixon Katherine Manley Chiang Ch’ing (Madame Mao Tse-tung) Gan-ya Ben-gur Akselrod Staatsopernchor Stuttgart Staatsorchester Stuttgart

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#StgtNixon

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Worum geht’s? Februar 1972: Mit Richard Nixon reist zum ersten Mal ein USPräsident auf Staatsbesuch zu Mao Tse-tung ins kommunistische China. Schon bei der Ankunft sinnt Nixon vor allem über die Nachrichtenbilder, die sein Besuch erzeugt. Bei oberflächlichen Gesprächen mit Mao, einem alkoholgesättigten Staatsbankett, der Absolvierung des fast musicalhaften Rahmenprogramms und dem Besuch einer kulturrevolutionären Modell-Oper überlagern sich Realität, Polit-Inszenierung und Erinnerung und verbinden sich zu einem Ort –  oder einem Zustand –  außerhalb der Zeit.

Nixon in China

l # iva est 4.19 f s . hr  15 hja 3.– frü 17.



Fragen an: Małgorzata Szczęśniak Bühnen- und Kostümbildnerin In wie vielen Wirklichkeiten leben Sie? Künstler*innen leben immer in zahlreichen Wirklichkeiten. Auch meine Lebenswelten ändern sich durch die vielen Projekte und Arbeitsorte sehr schnell und häufig. Damit einher geht eine Vielfalt der Sprachen, der Stile, der Gefühle und Perspektiven. Die Welt ist ein Kaleidoskop. Trotz dieser Vielfalt sollte man versuchen, seine eigene Individualität und seine eigene Hierarchie an Werten zu bewahren. In gemeinsam wahrgenommenen Kunsträumen ist es für uns alle – für mich als Künstlerin und für die Zuschauer*innen – möglich, diese Vielfalt zu teilen. Die Erkundung der Vielfalt. Die Erweiterung unserer Kenntnisse hin auf die Vielfalt – das verdanken wir der Kunst. Wie stabil ist Ihre Wirklichkeit? Meine Realität – also das, was ich in der Definition eines „Ich“ einschließe – ist so stabil, wie es überhaupt möglich ist. Ohne eine möglichst maximale persönliche Integrität wäre ich nicht in der Lage, zu Erkundungen der mich umgebenden Welten aufzubrechen. Die Stabilität meiner inneren Welt ist eine Grundbedingung für Erkenntnis, Wahrnehmung und Erforschung. Um die Unterschiedlichkeit und Komplexität der Wirklichkeit zu begreifen, braucht es Intuition, Talent, Mut, Fähigkeiten und Arbeit. Diese Erkundung beginnt beim Individuum. Erst danach bildet sich das System der offiziellen Denkwege und -ströme. Ich glaube vollkommen an die Stärke des Individuums als eine ursächliche Kraft von allem. Sind Sie bereit für neue Wirklichkeiten? Ich denke schon. Es reizt mich absolut, immer wieder neue, unbekannte Realitäten zu entdecken. Das ist immer auch ein Risiko, öffnet aber die Möglichkeit zu neuem Denken. Die Welt bereichert uns und die Kunst durch ihre Verschiedenartigkeit. Brauchen wir mehr Wirklichkeitssinn? Ohne Wirklichkeitssinn gäbe es auch die Kunst nicht. Was uns derzeit fehlt, ist ein Sinn für die Unterscheidung der objektiven Realität von den Manipulationen aufgrund politischer oder sonstiger Partikularismen. Mir scheint wichtig anzuerkennen, dass die Welt trotz aller möglichen unterschiedlichen Perspektiven auf objektiven Fakten basiert. Deren Bedeutung für irgendwelche persönlichen Zwecke zu manipulieren, ist Betrug. Betrug ist auch ihre Neuinterpretation auf der Basis einer vorher aufgestellten These. Ich mag persönlich auch keine vorgeblichen, illusionistischen Wirklichkeiten. Vielmehr als ausgedachte Handlungen, als die Betrachtung der Wirklichkeit durch einen gekrümmten Spiegel faszinieren mich Dokumentarfilme, die versuchen, einen Ausschnitt aus der realen Welt wiederzugeben und mit ihr in eine narrative Reflexion zu treten.

Foto: Roberto Cifarelli

Wem vergibst du?

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ISSUE No. 2

Flashback Tauris MIRON HAKENBECK Wem könnte diese Opernheldin vergeben? Ihrem Vater, der ihr auf dem Opferaltar das Messer an die Kehle setzt? Der Göttin, die dieses Menschenopfer fordert? Die sie dann aber unversehrt an einen Ort versetzt, der nicht weniger traumatische Erfahrungen bereit hält? Dem fremden Herrscher, der sie dort zwingt, regelmäßig junge Männer zu töten, im Namen wiederum der gleichen Göttin? Mit ihren obskuren Opfermotiven handelt diese Oper von gottverlassenen Menschen, der Gewalt zwischen Männern und Frauen, vom Ringen um selbstbestimmtes Handeln angesichts fataler Vorbestimmung. Iphigénie en Tauride ist vor allem aber das letzte Kapitel einer langen Familiengeschichte. Wie sehr diese von Gewalt und Zerfall gekennzeichnet ist, verdeutlichen allein deren jüngsten Ereignisse: Für den Krieg ist der Vater zur Opferung seiner ältesten Tochter bereit, nach dem Krieg tötet die Mutter mit ihrem Geliebten den heimkehrenden Ehemann. Der Sohn rächt den Vater, indem er die Mutter erschlägt, und verliert darüber den Verstand. Diese Gewalttaten sind nur eine Wiederholung dessen, was sich in dieser Familie bereits über Generationen abspielt, setzen eine Reihe von Morden und inzestuösen Beziehungen fort. Gewalt bringt ständig neue Gewalt hervor, angeheizt durch Eifersucht, ungebremstes Machtstreben oder blutige Racheinstinkte. Es scheint, als würde von jeder Generation immer wieder aufs Neue ein zerstörerisches Verhaltensmuster der Vorfahren wiederholt werden, wie sehr man ihm auch zu entkommen versucht. Psychologie und Traumaforschung haben dafür Erklärungsmodelle. Der Mythos erklärt diese Verdammung zur Gewalt mit seinen eigenen Bildern: Orakelsprüche, beleidigte Gottheiten, Verfluchungen. Die Götter sollen tatsächlich einen Fluch über diese Familie verhängt haben, als Strafe für den Frevel ihres Ahnen Tantalos. So begründet zumindest der mehr als 2500 Jahre alte Mythos des Artriden-Geschlechts den Urgrund für das nicht endende Morden. Der griechische Tragödiendichter Euripides und alle Dramatiker und Komponisten, die den Stoff nach ihm zur Hand genommen haben, unter ihnen Christoph Willibald Gluck, bringen diese blutige Familiengeschichte mit Iphigénie en Tauride zum Abschluss. Sie erfinden eine Version des Mythos, die vorher, etwa bei Homer oder Aischylos, nicht existierte: Bevor sie einen Strich unter den Stammbaum des verfluchten Geschlechts ziehen, entwerfen sie dessen letztes Kapitel als Versöhnungsgeschichte. Sie lassen Iphigenie nicht auf dem Opferaltar in Aulis sterben, sondern im fernen Tauris wiederauferstehen – für die Erfüllung einer höheren Aufgabe. Iphigenie löst dort den Fluch, der ihrer Generation als schweres Erbe auf den Schultern lastet. Als sie in einem zu opfernden jungen Fremden ihren Bruder Orest erkennt, verweigert sie weitere Menschenopfer. Indem sie den Mörder ihrer Mutter und den Erben des so geliebten wie gehassten Vaters nicht tötet, beendet sie das jahrhundertelange Töten. In diesem späten Happy-End drückt sich die Notwendigkeit von Vergebung und Entsühnung aus. Ob Iphigenie und ihr Bruder damit tatsächlich von ihren Verwundungen geheilt und von den sie zermürbenden Schuldgefühlen befreit werden, ob sie den

Stefano Montanari über sein Stuttgart-Debüt Iphigénie en Tauride von Christoph Willibald Gluck – eine Oper, die ich hier zum ersten Mal dirigieren werde und zwar als Debüt an diesem Haus: eine große Herausforderung! Ich finde es aufregend, mit den Musiker*innen eines stehenden Opernorchesters zusammenzukommen um mit ihnen einen eigenen Stil zu entwickeln, Gedanken auszutauschen und meine eigenen künstlerischen Erfahrungen zu teilen, um ein einzigartiges musikalisches Resultat zu erarbeiten. Dabei freue ich mich auch darauf, auf Grundlage meiner solistischen Erfahrungen als Barockgeiger die individuellen Eigenschaften und Fähigkeiten der einzelnen Musiker*innen zu einem besonderen Ergebnis im gemischten Orchesterklang zu bündeln. Christoph Willibald Glucks Iphigénie en Tauride war Gegenstand heftiger Polemik seines Komponistenkollegen Niccolo Piccini. Es ist ein Meisterwerk, eine echte „Tragédie Lyrique“, ein echter Gluck. Aus kulturellen Gründen fühlt es sich als Italiener immer ein wenig eigenartig an, wenn man sich dem Kosmos der französischen Oper dieser Epoche nähert. An der Opéra de Lyon habe ich unlängst Alceste dirigiert. Diese Oper hat mir einmal mehr bestätigt, was für ein außergewöhnlicher Komponist Gluck war. In seiner Musik mischen sich die Emotionen auf eine Weise, wie es nur in den großen Opern der Musikgeschichte passiert. Ich freue mich auf faszinierende, aufregende, elektrisierende Projekte mit einem Reichtum an Musik, der entdeckt und belebt werden will.

Christoph Willibald Gluck IPHIGÉNIE EN TAURIDE Oper in vier Akten Libretto von Nicolas-François Guillard Uraufführung 1779 in Paris

Albträumen von Aulis und Tauris entkommen, darüber schweigt der Mythos. In Krzysztof Warlikowskis Version der Iphigénie en Tauride hat die Titelheldin ihr unfreiwilliges Exil Tauris bereits verlassen. Zugleich hat sie diesem Ort niemals den Rücken gekehrt. Sie trägt ihn lebenslang in sich und wird in unangekündigten Flashbacks regelmäßig auf das dort Geschehene zurückgeworfen: in Form nächtlichen Aufschreckens, als ein Krampf in der Magengegend beim Wiedererkennen eines Geräusches oder beim Anblick einer ganz bestimmten Landschaft. Indem Warlikowski die Titelfigur durch eine Schauspielerin verdoppelt, entfaltet er mit Glucks tragédie lyrique ein Theater der Erinnerung: Die räumliche Trennung Iphigenies von ihrer Heimat Mykene wird zur unüberwindbaren zeitlichen Entfernung. Keine jungfräuliche Opferpriesterin im Tempel der Diana ersehnt hier das Ende ihrer Leiden sondern eine „Heldin des 20. Jahrhunderts“ (Warlikowski). Deren Heroismus besteht darin, die Katastrophen ihres Zeitalters überlebt zu haben und sie in sich zu tragen – als ein Zeugnis, nach dem niemand fragt. Sie lebt in einem Altenheim Seite an Seite mit anderen Frauen, die Ähnliches in sich bewahren. Gemeinsam bilden sie einen Chor des würdevollen Überdauerns. Hier brechen die Erinnerungen über Iphigenie herein, unangekündigt wie die Rachegöttinnen, die Orest anfallen, sobald er ein Auge schließt. Die Eltern, die Schwestern Elektra und Chrysothemis, der geliebte Bruder Orest und dessen Freund Pylades, der sich bereitwillig für Orest opfern würde – sie alle bevölkern als Phantome Iphigenies einsamen Tage und Nächte, bis sie irgendwann im Nebel eines sich auflösenden Gedächtnisses verschwinden werden. Die Figur der Iphigenie ist im Theater Warlikowskis noch ein weiteres Mal aufgetaucht, in (A ( )pollonia, einer Produktion des von Warlikowski gegründeten Nowy Teatr Warszawa, uraufgeführt 2009 beim Festival von Avignon. In dieser Mythencollage erscheint Iphigenie tatsächlich als junges Mädchen. Mit ihrem weißen Hochzeitskleid scheint sie mehr dem Vater gefallen zu wollen als dem Bräutigam Achill. Euphorisch wirkt sie in ihrer Todesangst und stolz über ihre Einwilligung, für Vater, Krieg und Vaterland geopfert zu werden. Freiwillig opfert sich dort auch Alceste, gibt ihr Leben allerdings nicht für eine höhere Sache sondern für das Weiterleben des todgeweihten Gatten hin. Die beiden antiken Opfergeschichten enthüllen ihre rätselhafte Bedeutung in dieser Aufführung aber erst in Konfrontation mit den Tragödien des 20. Jahrhunderts, von denen die wahre Geschichte der Apolonia Machczyńska zeugt, die der Inszenierung den Titel gab. (Die polnische Schriftstellerin Hanna Krall hat sie in einem ihrer unbedingt lesenswerten Erzählbände festgehalten.) Die junge Polin hatte während der deutschen Besatzung Juden versteckt, wurde denunziert und zum Tod verurteilt. Die SS stellte den Vater Apolonias vor eine Entscheidung von vorgeblich antiker Dimension: Er könne die Tochter retten, wenn er sich an ihrer Stelle hinrichten ließe. Die Todesfurcht war stärker als die Vaterliebe. Von den durch Apolonia versteckten Juden hatte nur ein kleines Mädchen überlebt, aber: „Wer immer ein Menschenleben rettet, hat damit gleichsam eine ganze Welt gerettet.“ So steht es auf der Medaille, die Apolonia Machczyńska sechzig Jahre nach ihrer Hinrichtung zusammen mit dem Ehrentitel „Gerechte unter den Völkern“ verliehen wird. Die posthume Ehrung Apolonias in der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem nimmt stellvertretend ihr Sohn entgegen. Dass seine Mutter sich für die Rettung anderer geopfert hat, hat er ihr nie vergeben können. Und so fragt er am Schluss der Aufführung die von seiner Mutter gerettete Ryfka: „Hat der Mensch nicht das Recht, sein eigenes Leben zu retten?“ Auch in (A ( )pollonia erzählt Warlikowski Familiengeschichten. Sie sind unauflöslich verbunden mit den Leiderfahrungen und schuldhaften Verstrickungen des 20. Jahrhunderts. Immer überkreuzen sich im Theater Warlikowskis intimste und kollektive, gegenwärtige und historische Erfahrungen. Jede seiner Inszenierungen zielt darauf ab, das Verborgene, Verdrängte und Tabuisierte freizulegen. Zuallererst in Bezug auf das Individuum: seine Ängste und Obsessionen, sexuellen Wahrheiten, Verletzungen, Schuld- und Schamgefühle. Der französische Theaterwissenschaftler Georges Banu nennt das Theater Warlikowskis deshalb das „gehäutete Theater“. Diese schmerzhafte Häutung der Figuren steht in keinem Widerspruch zur ästhetischen Brillanz der szenischen Darstellung, zur Eleganz perlenbesetzter Abendroben oder, im Fall von Iphigenie, eines goldenen Zweiteilers à la Christian Dior: Der durch seine Schmerzen gehende Mensch erscheint in glamouröser Schönheit. Die theatrale Offenbarung der verborgenen Aspekte des Einzelnen geht einher mit dem Durchleuchten der tabuisierten oder mühevoll anästhesierten Zonen kollektiver Vergangenheit. Durch die emotionale und intellektuelle Beteiligung der Zuschauer*innen vollzieht sie sich als gemeinschaftliche Angelegenheit: Halbtransparente Spiegelwände vervielfältigen auf der Opernbühne Iphigenies phantomhafte Besucher. Sie spiegeln immer wieder auch die dekorative Architektur des Zuschauerraums und alle, die sich darin versammelt haben. Im jahrtausendealten Mythos und in Glucks musikalischen Zeichnungen menschlicher Seelenturbulenzen sollen sie letztlich nichts auffinden, als die eigene Wirklichkeit.

in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Neuproduktion ab 28.4.19 Musikalische Leitung Stefano Montanari Regie Krzysztof Warlikowski Bühne und Kostüme Małgorzata Szczęśniak Licht Felice Ross Choreografie Claude Bardouil Video Denis Guéguin Dramaturgie Miron Hakenbeck Chor Bernhard Moncado

Iphigénie Amanda Majeski Orest Jarrett Ott Pylade Elmar Gilbertsson Thoas Alfred Walker Diane Carina Schmieger Aufseher des Thoas/Skythe Elliott Carlton Hines Griechin/Priesterin Ida Ränzlöv Iphigénie (Schauspielerin) Renate Jett Staatsopernchor Stuttgart Staatsorchester Stuttgart

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Eine Produktion der Opéra national de Paris Einführungsmatinee am So, 14.4. im Opernhaus, Foyer I. Rang

#StgtIphigenie

Worum geht’s? Nachdem Iphigenie wie durch ein Wunder der Opferung durch ihren Vater Agamemnon entkommen ist, lebt sie im Reich des König Thoas. Dort muss sie als Priesterin im Tempel der Diana jeden auftauchenden Fremden opfern. Zwei griechische Gefangene bringen traurige Nachrichten aus Iphigenies Heimat und reißen alte Wunden auf: von ihrer Familie scheint kaum noch jemand zu leben. Einen der beiden Fremden wird sie retten können, einen muss sie töten. Zu einem fühlt sie sich hingezogen. Was Iphigenie nicht weiß: einer der beiden ist ihr totgewähnter Bruder Orest.

Iphigénie en Tauride

Iphigénie en Tauride


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Repertoire

Das Spezifische am Theater, hat Heiner Müller gesagt, sei die Anwesenheit potenziell Sterbender. Und zwar sowohl auf der Bühne als auch im Saal. Auch wenn diese Überlegung bei Müller eher philosophisch oder sogar metaphysisch gedacht ist, hat sie auch im Bereich des Physikalischen durchaus Berechtigung. Dass sich die Theatermacher*innen in den Proben und Konzeptionsphasen intensiv Gedanken über die Körper der Darsteller*innen auf der Bühne machen und vielleicht doch zu wenig an die Körper der Zuschauenden im Saal denken, ist möglicherweise ein professioneller blinder Fleck. Umso wichtiger, dass man ab und zu daran erinnert wird, dass nicht nur die Körper auf der Bühne, sondern auch die Körper im Zuschauerraum eine ganz eigene Wirklichkeit haben bzw. in der Lage sind, eine unmittelbare Dringlichkeit zu schaffen. Folgender Schriftwechsel eines Zuschauers mit dem damaligen Chefdramaturgen Sergio Morabito angesichts eines Besuchs der Ariadne auf Naxos bringt Bühnenkunst und Zuschauerkörper so präzise wie unterhaltsam zusammen. Selbstverständlich drucken wir diesen Mailverkehr mit beidseitigem Einverständnis ab. Und aus gegebenem Anlass sei darauf hingewiesen, dass Ariadne auf Naxos auch in der Wiederaufnahmeserie ohne Pause gespielt wird. Hallo, Herr Regisseur,

18.11.14

am Samstag, 15.11.2014, haben wir zusammen mit der Tochter meiner Cousine Ariadne auf Naxos bei Ihnen besucht. Wir, meine Frau und ich, sind „alte“ Opernbesucher aus Frankfurt. Wir haben an dem Wochenende unsere Verwandten in Stuttgart besucht. Und haben die Tochter (Ü50) der Cousine in die Ariadne eingeladen. Sie war noch nie in der Stuttgarter Oper, obwohl sie dort lebt … aber lassen wir das. So, und nun kamen Sie und haben die Reihenfolge der Oper einfach umgestellt. Ich hatte auf der Fahrt und Gang zum Opernhaus meiner Verwandten mühsam versucht, die verquere Handlung dieser Oper zu erklären. Und dann dieses! Sie stellen einfach die Oper auf den Kopf!!?? Da passte nichts mehr an dem, was ich vorher erklärt hatte. Ich selbst glaubte in der falschen Vorstellung zu sein. Was für ein Unfug: da holen Sie sich sogar noch die Genehmigung dafür, die Reihenfolge der Akte zu ändern. Etwas was kein Haus auf der ganzen Welt täte. Wir haben die Ariadne vor kurzem in Wiesbaden gesehen und einige Jahre davor in Frankfurt. Da war es aber immer klar, was das sollte, jedenfalls so einigermaßen; dieses Theater im Theater. Jetzt haben Sie einen richtigen Bruch da hinein gemacht. Der jetzige erste Teil war für sich eine eigene Oper; sehr gut, sehr musikalisch, alles bestens, fast wie der Rosenkavalier. Hat der Ü50 sehr gefallen. Dann kommt ein Bruch: Man ist in einer anderen Vorstellung. Und man weiß nicht was man damit anfangen soll. Wir hatten hinterher viel Mühe da überhaupt eine Erklärung für nach zu schieben. Wir haben es versucht. …

UND DANN: alles ohne Pause!! Das ist ein Frechheit: 2¼ Stunden auf einer Blase sitzen, die sich stetig und unbarmherzig füllt. Das grenzt an Körperverletzung! Wir hatten nämlich ausgiebig Kaffee und Kuchen genossen am Nachmittag bei den Verwandten. Dann sind wir hin zur Oper – und dann arbeitete der Körper wie er es sollte: das was man oben rein geschüttet hatte, wollte unten wieder raus. Ging aber nicht; man traut sich nicht durch die Reihe zu stolpern. Also war diese Oper eine Tortur – sowohl geistig wie körperlich. Guten Tag Dr. Klaus B. Sehr geehrter Herr Dr. B.,

25.11.14

haben Sie vielen herzlichen Dank für Ihre – trotz Ihrer offenbaren Verärgerung – freundlichen, ja humorvollen Zeilen! Auch dafür, dass Sie und Ihre Begleitung so rücksichtsvoll waren, nicht „durch die Reihe zu stolpern“ danke ich Ihnen im Namen unserer anderen Gäste sehr. Insofern fühle ich mich doppelt verpflichtet, Ihnen auf Ihre Kritik eine fundierte Antwort zu geben. Bleiben wir zunächst bei der Dauer: 2¼ Stunden sind lang, gewiss! Aber nirgendwo – auch nicht bei Strauss/ Hofmannsthal – steht, dass zwischen „Vorspiel“ und „Oper in einem Akt“ eine Pause zu setzen ist, das Werk legt eine unmittelbare Abfolge durchaus nahe. Und Sie als erklärtermaßen „alten“ Operngänger muss ich kaum daran erinnern, dass Wagners pausenloses Rheingold uns sogar nötigt, 2½ bis 2¾ Stunden „abzusitzen“… Dennoch nehme ich mir Ihre Worte sehr zu Herzen, denn Sie waren einfach nicht darauf vorbereitet, und ich werde in Zukunft auch bei meiner Einführung in den Abend ausdrücklich drauf hinweisen. Und jetzt zur Umstellung beider Teile. Sie sprechen von „Akten“ – Vorsicht! Das „Vorspiel“ und die „Oper in einem Akt“(!) Ariadne auf Naxos sind nicht zwei Akte eines Stückes. Es sind zwei Stücke, die aus völlig unterschiedlicher Perspektive verwandte Motive verfremdend bearbeiten und beleuchten! Die Ariadne des Operneinakters ist nicht die „verkleidete Primadonna“ aus dem Vorspiel. Nein: Ariadne spielt nicht Theater sondern ist eine verletzte weibliche Seele! Deshalb funktioniert diese Oper viel besser, wenn man nicht versucht, sie als Fortsetzung des „Vorspiels“ zurecht zu biegen – und sie hat ja offenbar auch in Ihrer Wahrnehmung als „eigene Oper“ wunderbar funktioniert! Sie schreiben: „eine eigene Oper … fast wie der Rosenkavalier“. Aber genau das ist dieses Stück: eine eigene Oper, die fertig und in sich abgeschlossen gedichtet und auch musikalisch konzipiert war, bevor die Autoren entschieden, sie durch Koppelung mit einem zweiten Stück auszuweiten! Also: Genau das, was Sie beschreiben, entspricht der tatsächlichen Unabhängig beider Teile voneinander. Sie haben völlig recht: mit dem „Vorspiel“ beginnt ein neues Stück, mit anderen Figuren, die in eine andere Situation gestellt sind. Es geht nicht mehr um die Auslotung weiblichen Empfindens in den konträren Lebensentwürfen zweier Frauen, Harald Schmidt übernimmt in der Wiederaufnahme-Serie der Ariadne auf Naxos die Partie des Haushofmeisters Die Überlegung, zwei Kunstwerke nicht nacheinander, sondern ineinander zu spielen, ist nicht nur eine erfreuliche Zeitersparnis beim Warten auf das Feuerwerk, sondern könnte im besten Falle auch dazu führen, dass die Ödnis des mythischen Naxos nicht ganz so öde wird, wie zu befürchten steht. Klingt doch ganz praktisch. Im nachgereichten Vorspiel zu Ariadne auf Naxos überbringt der Haushofmeister den Künstler*innen die zeitsparenden Überlegungen seines Arbeitgebers. Wie gemacht für den leicht snobistischen Zynismus dieser Rolle ist der in Nürtingen aufgewachsene Harald Schmidt, der nach zwei Spielzeiten als Ensemblemitglied im Schauspiel Stuttgart in der Intendanz von Hasko Weber mit der Wiederaufnahme der Ariadne sein Debüt an der Staatsoper Stuttgart gibt.

← Harald Schmidt, als Moderator für das Public Viewing vor dem Stuttgarter Opernhaus, 2012, Foto: Bernd Weissbrod, SWR

ARIADNE AUF NAXOS

„Hallo, Herr Regisseur!“

sondern es geht nun um Künstler, die sich auf dem Markt der Unterhaltungsbedürfnisse behaupten müssen. Wenn aus diesem im „Vorspiel“ geschilderten Desaster wie üblich die wunderbare „Oper in einem Akt Ariadne auf Naxos“ hervorginge, würde das Problem auf heute unzulässige Weise verharmlost – fanden wir. Möglicherweise spielen Sie darauf an, wenn Sie von der „verqueren Handlung“ sprechen. Sehr geehrter Herr B., es liegt mir ganz fern, Sie belehren zu wollen, aber jedes „verstehen“ setzt – zumindest hat Hegel das so gesehen – ein „nicht verstehen“ voraus, ja erst die zeitweilige Bereitschaft zum „nicht verstehen“ kann einen vertieften Verstehensprozess auslösen. Die „Ver-Rücktheit“ von „Oper“ und „Vorspiel“ ist jedenfalls nicht unserer Umstellung geschuldet, das bitte ich Sie zu bedenken. Wenn Ihnen meine Zeilen im Rückblick eine positivere Bewertung des gesehenen Abends ermöglichen, oder vielleicht sogar Lust machen sollte, sich der Inszenierung ein 2. Mal zuzuwenden, würde mich das außerordentlich freuen. Bleiben Sie uns bitte in jedem Fall gewogen! Mit freundlichen Grüßen und in der Hoffnung Sie in näherer Zukunft wieder unter unsern Gästen zu wissen verbleibe ich Ihr Sergio Morabito Sehr geehrter Herr Morabito

26.11.14

herzlichen Dank für Ihre freundliche Antwort. Ihre Erläuterungen nehme ich natürlich sämtlich achtungsvoll entgegen. Mit einem Regisseur kann der Zuschauer sowieso nicht mithalten ... Die Regisseure unterstellen ja immer, dass im Zuschauerraum äußert kluge Menschen sitzen, die genau wissen, was der gnädige Herr sich bei der Inszenierung gedacht hat. Das ehrt den Zuschauer. Aber die Regel ist eher, dass die Leute in die Oper gehen, ohne sich groß Gedanken zu machen, worum es überhaupt geht. Zu denen gehöre ich. Wenn man in Opern rein geht, die man eher selten anschaut, wie Ariadne auf Naxos, dann steht man eben nicht voll im Stoff. Beim Rheingold und Holländer dagegen stehe ich voll im Stoff. Da weiß ich, dass die 2½ Std lang sind und (meist) ohne Pause gespielt werden. Da trinke ich natürlich vorher nicht so viel. Bei sonstigen Opern gehe ich naiv davon aus, dass da ordentlich Pausen drin sind. Außerdem machen Sie Ihrer Gastronomie sonst das Geschäft kaputt. Für mich gehört die Gastronomie zur Oper einfach dazu. Da kann man sich während der Vorstellung schon auf die Pause freuen, auf die man sehnlichst wartet, wenn Inszenierung und Handlung die Geduld überstrapazieren. Dann wissen wir schon aus der Schule, dass nach 45 Minuten Pause gemacht wird, weil die Aufmerksamkeit bei den Schülern danach abrupt gegen Null geht. Und dabei sind die Gehirne der Jungen viel aufnahmefähiger als die der Alten. Aber den Alten muten Sie zu, 2¼ Stunden, in Minuten: 135, geistig voll dabei zu sein!? Wie das tatsächlich dann aussieht im Zuschauerraum, wissen sie wahrscheinlich nicht. Meine Frau pennt dann ein, ich genauso; manchmal muss ich sie anstoßen, weil sie zu schnarchen beginnt. Im Laufe des Opernlebens hat sie sich allerdings eine Technik antrainiert, aufrecht sitzend zu schlafen, ohne zu schnarchen. Bei mir habe ich diesen Sekundenschlaf-Effekt: die Birne baumelt zur Seite und man schreckt auf. So wird also ein erheblicher Teil einer gut gemeinten Inszenierung, weil keine Geist und Körper erholende Pause drin ist, von Morpheus vernebelt. Wir hatten tatsächlich vor, nochmal Ihre Oper zu besuchen. Den Tristan. Da haben Sie doch wohl nicht die Reihenfolge der Akte vertauscht? Würde aber nichts machen, das fiele mir sofort auf – und ich wäre sofort im Stoff. Der dritte Akt zuerst, wäre sowieso gut, denn das ist der nervigste. Wenn man den gleich am Anfang brächte, hätte man das Schrille hinter sich und könnte sich viel mehr auf die beiden ersten freuen. Mit den besten Grüßen nach Stuttgart Ihr Klaus B.


Così fan tutte WOLFGANG AMADEUS MOZART Opera buffa in zwei Akten Libretto von Lorenzo da Ponte Uraufführung 1790 in Wien

Was eigentlich sollen wir heute aus einer „Schule der Liebenden“ – wie der Untertitel von Da Pontes und Mozarts Così fan tutte lautet – noch lernen? Dass Frauen untreu sind? Dass man die Wechselfälle des Lebens vernünftig hinnehmen und darüber lachen soll, wie Alfonso, der Philosoph, Experimentator und Strippenzieher, meint? Ist denn Liebe tatsächlich so unbeständig? Ja, sie ist es – zumindest ihre Definition, ihre Konzeption. Erotik, Liebe, Treue, Ehe – im achtzehnten, bürgerlichen Jahrhundert gehen diese Begriffe eine Liaison ein, eine Liaison dangereuse im Zeichen von Aufklärung und Empfindsamkeit. Es heiratet, was sich liebt; es ist sich treu, was sich verführt. Basta!    Das Ancien Régime hatte noch die Institution der Ehe von amourösen Abenteuern und erotischen  Praktiken unterschieden. Und wenn wir heute auch von Polyamorie, freier Liebe oder offenen Partnerschaften sprechen, bleiben wir doch größtenteils der Einheit von Ehe, Liebe und Erotik verpflichtet, versuchen ihr die Treue zu halten, dieser relativ neuen Idee, mit der sich das ebenso neue Bürgertum von der höfischen Gesellschaft zu emanzipieren suchte. Die Männer in Così fan tutte sitzen, streiten und debattieren so auch im Kaffeehaus, dem Ort bürgerlicher Öffentlichkeit, und erwägen ein Experiment, um Klarheit zu schaffen, was die Treue der Frauen betrifft. Diese wiederum werden von Da Ponte in einen Garten gestellt. Der Garten als Ort der Verführung und aristokratischer Ordnung – man denke an die Lustgärten des Barock – ist dem Kaffeehaus entgegengesetzt. Hier treffen Welten aufeinander, Weltordnungen und Liebeskonzeptionen zwischen Verschleierung und Transparenz. Und so führen die Herren ein Theater auf – alles im Zeichen der Aufklärung und des Experiments. Und dennoch verlieren sie sich im Feld ihrer Forschung, verlieben sich in den Gegenstand ihrer Untersuchung. Ferrando will nur allzu gern mit den Schwestern aus Ferrara alles Vergangene vergessen, sich dem Moment, der neuen Leidenschaft und der neuen Liebe verschreiben. Nur keine Aufklärung jetzt! Mozarts Musik ist Ausdruck echter Gefühle und das Theater der Ort wahrer Verführung. Così fan tutte zeichnet sich durch eine Vielzahl von Ambivalenzen aus. Zwischen Liebeskonzeptionen wandelnd changiert die Oper zwischen Ernst und Karikatur. Und hieraus entwickelt sie vielleicht bis heute ihre Kraft und Faszination. Theater ist eben kein Experiment, das sich der Transparenz verschreibt. Was können wir aus Così fan tutte oder besser mit ihr lernen? Dass wir ein Auskommen brauchen mit den Wechselfällen der Liebe. Aber dies muss nicht heißen, der Welt und der Liebe stoisch gegenüberzustehen und über sie zu lachen. Es kann auch heißen, sich lustvoll in einer Welt zu bewegen, die vielschichtiger ist als ihre Beschreibung, sich zwischenmenschlichen Verbindungen zu öffnen, die vielseitiger sind als ihre Konzeptionen. Hören wir also auf, alles unter einen Begriff zu fassen. Amors Pfeile fliegen noch, und sie treffen unerwartet.

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

ab 26.5.19 Musikalische Leitung Cornelius Meister Regie Yannis Houvardas Bühne Herbert Murauer Kostüme Anja Rabes Licht Reinhard Traub Dramaturgie Patrick Hahn Chor Manuel Pujol

Fiordiligi Laura Wilde Dorabella Stephanie Lauricella Guglielmo Johannes Kammler Ferrando Mingjie Lei Despina Catriona Smith Don Alfonso Georg Nigl Staatsopernchor Stuttgart Staatsorchester Stuttgart

2019 Mai

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SALOME

Regie aus der Ferne Sergio Morabito über die Arbeit mit einem fehlenden Regisseur

von Fotos aller Mitwirkenden die Solisten- und Chorkostüme sowie das Bühnenbild, richtet in Moskau einen Klavierauszug als detailliertes Regiebuch ein und filmt sich selbst dabei wie er viele Sequenzen in seiner 32qmWohnung durchspielt. In einlässlichen Videobotschaften richtet er sich regelmäßig an das Ensemble. Sobald sein Mitarbeiter, der Regisseur und Choreograph Evgeny Kulagin eine Szene im Umriss angelegt hat, wird diese aufgezeichnet. Digitaler Datentransfer – selbst wenn er den Umweg über Serebrennikovs Anwalt nehmen muss – macht es möglich, dass die Mitwirkenden innerhalb kürzester Zeit ein Feedback erhalten. In einer Mail kann ich am 24. Oktober berichten: „Ich habe heute Abend eine Bühnenprobe von K’s Così miterlebt (…) Kirills Idee, dass die beiden Männer ihren Frauen ihre Avatare auf den Hals schicken, funktioniert verblüffend. Durch die Doppelbesetzung von Ferrando und Guglielmo durch je einen Sänger und einen Schauspieler sieht man gleichsam zwei Filme gleichzeitig, einmal den Thriller oder momentweise auch: den Horrorfilm, durch den die Frauen durch die überfallartigen Attacken der „Albaner“ geschickt werden, und parallel dazu den Genuss, den die beiden Sängermachos aus ihrer Beobachtung ziehen. Die gesungenen schadenfrohen À parts und Kommentare müssen nicht mehr in das simulierte Spiel integriert werden, und je asynchroner die Aktionsebene und die Beobachterebene werden, desto spannender wird es.“ Die Premiere wird zu einer Sternstunde in der Rezeptionsgeschichte dieser unendlich schwer zu ins zenierenden Oper, deren Regie meist wahlweise in wohlfeile Veralberung oder prätentiösen Tiefsinn ausweicht. Serebrennikovs filmisch präzise und zugleich surreal entrückte Inszenierung beglaubigt die Grenzerfahrungen, durch die Mozarts Musik die Figuren führt (Ferrando und Guglielmo fallen an der Front und werden sogar kremiert!), gleichwohl ist sie geprägt von „Witz“, wie das 18. Jahrhundert dieses Wort verstand: nicht gewollte Komik, sondern geistreiche Skepsis und Beweglichkeit. Die Aufführung triumphiert über alle Widrigkeiten und belegt, dass in der Kunst ein geglückter Wurf alle ästhetischen Ferndiagnosen auszuhebeln vermag.

↓ Kirill Serebrennikov im Gespräch mit seinem Team bei den Proben zu Nabucco an der Hamburgischen Staatsoper (Premiere 10. März 2019).

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Madama Butterfly

Ariadne auf Naxos

GIACOMO PUCCINI

RICHARD STRAUSS

Japanische Tragödie in drei Aufzügen Libretto von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica

Oper in einem Aufzug nebst einem Vorspiel Libretto von Hugo von Hofmannsthal

Uraufführung 1904 in Brescia

Uraufführung 1912 in Stuttgart

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Noch 4 Vorstellungen in März /April

ab 2.6.19

Musikalische Leitung Eun Sun Kim, Thomas Guggeis Regie Monique Wagemakers Bühne Karl Kneidl Kostüme Silke Willrett Licht Reinhard Traub Dramaturgie Prof. Klaus Zehelein Chor Bernhard Moncado

Cio-Cio San Karah Son Suzuki Maria Theresa Ullrich Pinkerton Ivan Magrì Sharpless Michael Ebbecke Goro Heinz Göhrig Onkel Bonze David Steffens, Valentin Anikin Staatsopernchor Stuttgart Staatsorchester Stuttgart

#StgtCosi

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Ariadne Simone Schneider Bacchus David Pomeroy Zerbinetta Beate Ritter Harlekin Paweł Konik Scaramuccio Heinz Göhrig Truffaldin David Steffens Brighella Mingjie Lei, Torsten Hofmann Najade Josefin Feiler Dryade Ida Ränzlöv Echo Carina Schmieger Haushofmeister Harald Schmidt Komponist Diana Haller Musiklehrer Michael Ebbecke Tanzmeister Daniel Kluge Lakai Jasper Leever Perückenmacher Elliott Carlton Hines Offizier Moritz Kallenberg Staatsorchester Stuttgart

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Musikalische Leitung Cornelius Meister Regie und Dramaturgie Jossi Wieler, Sergio Morabito Bühne und Kostüme Anna Viebrock Licht Reinhard Traub

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Konzertantes Gastspiel an der Philharmonie Köln am 5. Juni 2019

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#StgtAriadne #StgtButterfly

Salome RICHARD STRAUSS

Der fliegende Holländer

Norma

RICHARD WAGNER

Tragische Oper in zwei Aufzügen Libretto von Felice Romani

Musikdrama in einem Aufzug Libretto vom Komponisten nach Oscar Wildes gleichnamiger Dichtung

Romantische Oper in drei Aufzügen Libretto vom Komponisten

Uraufführung 1905 in Dresden

Uraufführung 1843 in Dresden

in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

ab 6.7.19

ab 20.6.19

Musikalische Leitung Roland Kluttig Regie und Kostüme Kirill Serebrennikov Bühne Pierre Jorge Gonzalez Video Ilya Shagalov Licht Reinhard Traub Dramaturgie Ann-Christine Mecke

Musikalische Leitung David Afkham Regie Calixto Bieito Choreografische Mitarbeit Lydia Steier Bühne Susanne Gschwender, Rebecca Ringst Kostüme Anna Eiermann Licht Reinhard Traub Dramaturgie Xavier Zuber Chor Manuel Pujol

Herodes Matthias Klink Herodias Maria Riccarda Wesseling Salome Simone Schneider Jochanaans Stimme Josef Wagner Jochanaans Körper Luis Hergón Narraboth Elmar Gilbertsson Ein Page Ida Ränzlöv Erster Jude Torsten Hofmann Zweiter Jude Heinz Göhrig Dritter Jude Kai Kluge Vierter Jude Daniel Kluge Fünfter Jude Andrew Bogard Erster Nazarener David Steffens Zweiter Nazarener Moritz Kallenberg Erster Soldat Paweł Konik Zweiter Soldat Michael Nagl Ein Kappadozier Jasper Leever Ein Sklave Aoife Gibney Staatsorchester Stuttgart

Staatsopernchor Stuttgart Zusatzchor der Staatsoper Stuttgart (Geisterchor) Staatsorchester Stuttgart

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Donald Liang Li Senta Elisabet Strid Georg Matthias Klink Mary Fiorella Hincapié Der Steuermann Daniel Kluge Der Holländer John Lundgren Dämon Manni Laudenbach

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#StgtSalome

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VINCENZO BELLINI

Uraufführung 1831 in Mailand in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

ab 11.7.19 Musikalische Leitung Giacomo Sagripanti Regie und Dramaturgie Jossi Wieler, Sergio Morabito Bühne und Kostüme Anna Viebrock Chor Manuel Pujol

Pollione Leonardo Capalbo Oroveso Liang Li Norma Yolanda Auyanet Adalgisa Diana Haller Flavio Daniel Kluge Staatsopernchor Stuttgart Staatsorchester Stuttgart

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Wiederaufnahmen März – Juli

COSÌ FAN TUTTE

Liebe, die [Subst., fem.] Bedarf Liebe der Definition? Theaterwissenschaftler Josef Bairlein über Da Pontes und Mozarts Così fan tutte

Am 22. August 2017 lässt das Ermittlungskomitee der  Russischen Föderation den Theater-, Kino-, Opern- und Ballettregisseur Kirill Serebrennikov wegen des „Verdachts auf die Organisation von Unterschlagung“ am Filmset in Petersburg festnehmen und nach Moskau transportieren. Seither steht er unter Hausarrest. Die fragliche Summe wird auf umgerechnet 1.727.178,44  Euro beziffert, sie sei für das Projekt Platforma zur Popularisierung zeitgenössischer Kunst bestimmt gewesen. Merkwürdig nur, dass Serebrennikov die Plat­ forma­Veranstaltungsreihe vollumfänglich –bei stärkster Resonanz und Breitenwirkung – realisiert hat. Und obwohl selbst bei strengster Prüfung der von den Ermittlern vorgelegten Dokumente kein gewichtigeres Vergehen als eine bürokratische Ordnungswidrigkeit angenommen werden kann, durch die niemand – weder der Staat noch Mitarbeiter des Platforma­Projekts – zu Schaden kam, wird im Oktober 2018 offiziell Anklage  gegen ihn und fünf seiner Mitarbeiter erhoben. Trotz schwerer Auflagen gelingt es dem Regisseur, seinen Film Лето (Sommer ( ) an einem Computer ohne Internetverbindung fertigzustellen. Und der Regisseur bemüht sich, alle bestehenden Absprachen mit anderen Theatern einzuhalten: Der Staatsoper Stuttgart genehmigt er die Verwendung eines von ihm in Ruanda gedrehten Spielfilms zu Hänsel und Gretel, der im Rahmen eines halbszenischen Arrangements, das das Schicksal des Regisseurs thematisiert, gezeigt wird. Die Inszenierungen von Così fan tutte für die Oper Zürich und von Nabucco für die Hamburgische Staatsoper bereitet Serebrennikov antizipierend so detailliert vor, dass sie im worst case, der im Falle von Così eingetroffen ist, auch ohne seine physische Anwesenheit realisiert werden können. Ich verfolge die Arbeit Serebrennikovs seit einigen Jahren. Zu den Endproben für Così in Zürich reise ich mit gemischten Gefühlen. Was kann unter solch unzumutbaren Bedingungen entstehen? Jede audiovisuelle Aufzeichnung einer Theatersituation, auf die Kirill derzeit angewiesen ist, abstrahiert nicht nur von der Raumerfahrung. Sein Werk entwickelt er wie jeder gute Künstler in physischer Tuchfühlung mit dem Material. In den Proben zur Salome habe ich erlebt, wie er seine Setzungen permanent hinterfragt und präzisiert. Aus der eigenen Regiearbeit weiß ich, dass jede noch so detaillierte Vorarbeit auf dasjenige zielt, was nicht antizipierbar ist, was nur im Hier und Jetzt der Probe – gern als Fehler oder im scherzhaften Überschwang – aufblitzt; nichts unkünstlerischer als ein Nachstellen dessen, was sich ein Regisseur am grünen Tisch ausgedacht hat. Intendant Andreas Homoki versucht das Zürcher Himmelfahrtskommando so gut es geht zu legitimieren, indem er kommuniziert „dass man ein existierendes Regiekonzept zur Not auch mit guten Assistenten umsetzen kann. Das erleben wir ja auch bei Wiederaufnahmen, die in der Regel ohne Anwesenheit des Regisseurs einstudiert werden.“ Aber als integrer Theatermann muss er diese Aussage gleich wieder relativieren: „Wobei in solchen Fällen die szenischen Vorgänge schon einmal in einem ausführlichen Probenprozess erarbeitet worden sind.“ Eben. Es ist absolut beispiellos, was sich zwischen Zürich und Moskau im September und Oktober letzten Jahres zugetragen hat: Serebrennikov entwirft anhand

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ISSUE No. 2

Repertoire


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REGISSEUR ÀLEX OLLÉ ÜBER SEINE KONZEPTION ZU MEFISTOFELE Wie kann man den Mythos von Faust und Mephistopheles anders umsetzen? Wie kann man – mittels Faust –  den Menschen des 21. Jahrhunderts beleuchten? Wie  schafft man es, dass die Oper von Arrigo Boito das Bild einer Gesellschaft zeichnet, die nicht in der Lage ist, glücklich zu sein, und die zu Frustration, Angst und seelischem Schmerz neigt? Ist es möglich, aus Mephistopheles einen Psychopathen zu machen, der in einer Extremsituation das Bedürfnis zu töten verspürt? Kann Margarete auch weiterhin das Objekt der stets ungestillten Begierde von Faust und Mephistopheles darstellen? Fragen über Fragen. Diese Gedanken begleiteten von Beginn an die Entstehung des Mefistofele, den wir aufführen und den ich, wenn wir am Ende des Weges angekommen sind, als eine Halluzination darstellen möchte – eine Oper, die möglicherweise nur ein einziges Mal aufgeführt wird, in der Fantasie einer einzigen Figur: Mephistopheles. Sie dauert vielleicht gerade einmal einen Augenblick (ein Augenblick der Grausamkeit für Mephistopheles, der im Gegensatz steht zum Augenblick der Schönheit, nach dem Faust ohne Unterlass strebt). Wir haben uns dafür entschieden, ein verzerrtes Realitätsbild aus der Sicht eines vollständig vom Bösen durchdrungenen Menschen zu zeichnen: der Traum des Teufels.

des Teufels

von

1999 aufgeführt wurde. Schließlich drehten wir 2001  den Film Faust 5.0. Obwohl sie in verschiedenen Sprachen aufgeführt wurden, bilden diese drei Inszenierungen des Mythos in Wirklichkeit doch eine einzige Konzeption von Goethes Werk. Der Grundgedanke, der die drei Stücke einte, bestand darin, Entsprechungen zwischen ihnen aufzuzeigen, anhand derer wir den Faust­Mythos in seiner gesamten Komplexität erforschen können. Später bekam ich im Jahr 2014 erneut  die Gelegenheit, den Stoff mit dem Faust von Charles Gounod wieder aufzugreifen, und erst dieses Jahr durfte ich die faustische Erzählung Die Geschichte vom Soldaten von Igor Strawinsky inszenieren. In all diesen Geschichten ging es explizit um die Figur des Faust, während Mephistopheles als sein Alter Ego, seine dunkle Seite auftrat. Der Konflikt dieser beiIn jedem Fall entstammt der Wunsch, eine Mög- den Figuren verlockte dazu, das ewige Wechselspiel lichkeit zu suchen, den Mefistofele von Arrigo Boito aus zwischen Vernunft und Leidenschaft, Bewusstsein und einem anderen Blickwinkel heraus umzusetzen, einer Unterbewusstsein, sozialen Zwängen und sich Bahn langjährigen Auseinandersetzung mit dieser Geschich- brechenden Instinkten wieder aufleben zu lassen. So te, denn der Faust­Mythos begleitet mich bereits seit wurde Faust aus seiner heilen Welt der Studien und der vielen Jahren. Zum ersten Mal kam ich 1997 im Theater  Sicherheit seiner Überzeugungen herausgerissen und damit in Berührung. Mit La Fura dels Baus brachten wir an die Abgründe der Begierde, Gewalt und Zerstörung F@ust 3.0 auf die Bühne – eine Neuinterpretation des getrieben. gesamten Werks von Goethe (erster und zweiter Teil). Mit Mefistofele widme ich mich erneut dem Faust­ Noch im gleichen Jahr beschäftigte ich mich wieder mit Mythos und zum ersten Mal interessiert mich dabei dem Stoff, dieses Mal in Form einer Oper, La damnation nicht mehr die Figur des Faust, sondern jener andere de Faust von Berlioz, die bei den Salzburger Festspielen Charakter, Mephistopheles, und zwar mit einem ein-

Wir haben uns dafür entschieden, ein verzerrtes Realitätsbild aus der Sicht eines vollständig vom Bösen durchdrungenen Menschen zu zeichnen: der Traum des Teufels.

© Jean-Louis Fernandez / © Mar Florès Flo

Der Traum

Neuproduktion

Àlex Ollé zigen Ziel: das Böse, seinen Mangel an Empathie zu erforschen. Zwei Entscheidungen beruhten darauf: Erstens sollte aus Faust eine nichtssagende Figur werden, die kaum noch an dieses außergewöhnliche Wesen erinnert, das sonst im Mittelpunkt der Geschichte steht, und zweitens sollte Mephistopheles die Schlüsselrolle in dem Stück einnehmen, indem wir ihn zu einem Psychopathen machten, der uns Einblicke gewährt in seine Wahnvorstellungen und die unendliche Grausamkeit seiner zerstörerischen Fantasie. Dies haben wir versucht anhand einer Bühnengestaltung umzusetzen, bei der sich Mephistopheles’ Visionen Szene für Szene durch zusätzliche Schichten aufstauen. Darüber hinaus soll dieser Gedanke durch die Kostüme vermittelt werden, die im Verlauf des Stücks immer verrückter werden, indem den Figuren in metaphorischer Darstellung einer extremen und durchtriebenen Wildheit buchstäblich die Haut abgezogen wird. Das haben wir versucht auszudrücken. Mephistopheles: der andere, die grausame Wildheit des Bösen. Alex Ollé/ La Fura dels Baus, Juni 2018


Fragen an: Àlex Ollé Regisseur In wie vielen Wirklichkeiten leben Sie? In Wahrheit bin ich Handwerker, ich konstruiere Geschichten abseits der Wirklichkeit (in Fiktionen), die aber indirekt auf sie bezo­ gen sind. Trotzdem lebe ich in der Wirklichkeit und lebe alle Realitäten, die mir unterwegs begegnen. Allerdings mit der Selbstverständ­ lichkeit, mit der jedes wilde Tier den unzähligen Realitäten des Dschungels begegnet. Offen gestanden hätte ich mir diese Frage nie gestellt. Ich würde sie eher meinen Figuren stellen, wenn mir schiene, sie erlebten verrückte Geschichten. Ich denke z.B. an Faust, einen der Texte, der mich mein ganzes künstlerisches Leben begleitet. Und ich denke an die Dualität Faust/Mephistopheles … Wie viele Wirklichkeiten durchleben sie bis zur Glückseligkeit? In wie vielen Wirklichkeiten leben sie zugleich? Oder ist alles nur eine Sinnestäuschung? Wie stabil ist Ihre Wirklichkeit? Meine Wirklichkeit, die mit der ersten Morgenstunde beginnt, tagsüber aus Arbeitstreffen und Proben besteht, und nachts mit dem Zubettgehen endet, ist stabil und angenehm. Ich muss keine keine Zeitung aufschlagen, fernsehen oder Radio hören, um zu wissen, dass eine Unendlichkeit anderer unsicherer, chaotischer und gefährlicher Realitäten um mich lauern. Diesen Wirklichkeiten rechne ich jene zu, die ich mir ausdenke, die ich mir früher oder später für die Zukunft vorstellen wollte und die Teil meines ideologischen Apparats sind. Ich weiß, dass meine Zukunftsideen denen Millionen anderer, die wie ich von einer besseren Zukunft träumen, widersprechen (zuweilen so sehr wie Materie und Antimaterie, die sich gegenseitig auslöschen). So betrachtet ist Wirklichkeit (oder unser geistiges Bild davon) ein stürmisches Meer. Die Realität anzuhalten ist, was Shakespeare Prospero in The Tempest tun lässt. Er unterbricht den Fluss der Zeit, restrukturiert das Chaos der Wirklichkeit und beginnt zuletzt die Reise von vorn. Es ist aber klar, dass die Zeit nicht aufzuhalten ist. Man muss sich an die Instabilität gewöhnen. Sind Sie bereit für neue Wirklichkeiten? Als Künstler habe ich immer auf der Schwelle der neusten Realität gelebt, denn mich begeistert alles Neue am Horizont. Es kümmert mich allerdings wenig, immer an vorderster Front zu sein. Ich versuche, Gegenwärtiges in aller Komplexität sich überschneidender Realitäten zu verstehen, aber ich bin sicher, nur den kleinsten Teil dieser Komplexität zu begreifen. Ich nehme jede neue Arbeit wie ein Rätsel, wie die Erkundung unbekannten Terrains, eine neue Wirklichkeit, die es zu entdecken gilt. Dafür mobilisiere ich alle mir verfügba­ ren Ressourcen. Mein Ziel ist, meine Entdeckungen mit dem Publikum zu teilen. Mehr brauche ich nicht.

Was verlangst du?

Arrigo Boito

Vier Motoren für Europa: zwei davon sind Baden Württemberg und die Metropolregion Lyon.

MEFISTOFELE Oper in einem Prolog, vier Akten und einem Epilog Libretto vom Komponisten nach Johann Wolfgang von Goethes Faust I und II Uraufführung der Zweitfassung 1875 in Bologna in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Der europäische Operngedanke Intendant Viktor Schoner zu grenzüberschreitenden Koproduktionen Der Tod des spanischen Diktators Franco 1975 und die Revolutionen in Polen, Ungarn und Russland inspirierten in den 80er- und 90er-Jahren auch bei Opern-­Künst­ ler*innen die Utopie eines euphorischen Europas. Künstlerisch wie auch persönlich entwickelte sich diese Generation an den großen Häusern. Einige ihrer profiliertes­ ten Vertreter sind in den kommenden Wochen an der Staatsoper Stuttgart präsent: Aus Polen Krzysztof Warlikowski (Regie der Neuproduktion Iphigénie en Tauride), aus Spanien Àlex Ollé von La Fura dels Baus (Regie der Neuproduktion Mefistofele) und Calixto Bieito (Regie Der fliegende Holländer), aus Russland Kirill Serebrennikov (Regie Salome). Ein europäischer Operngedanke entwickelte sich, weil das Genre per se keine Sprachbarrieren kennt. Seit 400 Jahren sind seine Akteur*innen aktive Europä­­er*in­nen. Der Oberpfälzer Christoph Willibald Gluck z.B. wurde im Widerstreit mit den konservativen „Italienern“ zum Opernreformer in Paris; die Uraufführung der Iphigénie en Tauride fand statt, nachdem nur sechs Wochen zuvor Johann Wolfgang von Goethe seine Iphigenie auf Tauris als flammendes Aufklärungsbekenntnis uraufgeführt hatte. Beide sind sich nie begegnet –  allein ihr kultureller Horizont über­ strahlte die gut 800 Kilometer zwischen Paris und Weimar problemlos. Goethes Faust inspirierte den Italiener Arrigo Boito (Librettist der Spätwerke Verdis: Otello und Falstaff) zu seiner einzigen vollendeten Oper Mefistofele, die er an der Scala uraufführte –  europäische Verstrickungen. Vergessen wir aber über diese kulturpolitisch-historischen Kontexte nicht den aktuellen, lebendigen Aspekt europäischer Koproduktionen wie z.B. mit der Opéra de Lyon bei Mefistofele und der Opéra national de Paris bei Iphigénie en Tauride. Mitarbeiter*innen erleben neue Produktionsabläufe, Know-how wird getauscht, Synergien gelebt, Ressourcen geteilt, nach harten Arbeitstagen französischer und württembergischer Wein verglichen. Wie es um die Euphorie steht in Europa? Warlikowski und auch Bieito leben wie Árpád Schilling (Regie Lohengrin) aus politischen Gründen nicht mehr in ihrer Heimat, Serebrennikov steht in Moskau unter Hausarrest. Am 25. Mai 2019 ist die nächste Europa-Wahl. Nutzen wir sie. Und vergewissern wir uns unserer europä­ ischen kulturellen Identität –  in der Oper am Oberen Schlossgarten. © Jean-Louis Fernandez / © Mar Florès Flo

Brauchen wir mehr Wirklichkeitssinn? Mich beschäftigt der Mangel an Wirklichkeitssinn jener, die mit Wir­ klichkeit umgehen, also Politiker*innen. Eine Generation von Politiker*innen ohne jeglichen Wirklichkeitssinn kann eine bereits fragile, instabile, permanent am Rande des Kollaps stehende Welt ruinieren. Deshalb verlasse ich in meinen Arbeiten so oft das Terrain der Fantastik (die ich so sehr liebe) und betrete das trockenere Gelände der Wiedergabe und der sozialen Kritik auf der Suche nach dem Sinn der Wirklichkeit. Mich beschäftigt die Welt mit ihren unzähligen Realitäten und ich würde gerne dazu beitragen, dass all diese Realitäten Tag um Tag ein wenig besser werden für alle. Es ist nicht die Zeit, so zu tun, als würden alle Pferde mit der Wirklichkeit durchgehen (ich denke an alle Populismen, die die heutige Welt dem Abgrund zutreiben). Ich nehme an, wir Künstler*innen haben alle etwas von Prospero: die Berufung, eine bessere Welt zu schaffen, eine glückliche Zukunft.

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ISSUE No. 2

Neuproduktion ab 16.6.19 Musikalische Leitung Daniele Callegari Regie Àlex Ollé (La Fura dels Baus) Bühne Alfons Flores Kostüme Lluc Castells Licht Urs Schönebaum Dramaturgie Franz-Erdmann Meyer-Herder Chor Manuel Pujol

Mefistofele Mika Kares Faust Gianluca Terranova Margherita/Elena Olga Busuioc Wagner/ Nerèo Christopher Sokolowski Marta/Pantalis Fiorella Hincapié Staatsopernchor Stuttgart Staatsorchester Stuttgart Kinderchor der Staatsoper Stuttgart

2019 Jun

Jul

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So

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Koproduktion mit der Opéra de Lyon und dem Teatro dell’Opera di Roma Einführungsmatinee am So, 2.6. im Opernhaus, Foyer I. Rang

#StgtMefistofele

Worum geht’s? Mephistopheles wettet mit Gott: Gelinge es ihm, Dr. Faust von der Suche nach Erkenntnis abzubringen und zum Genießen irdischen Glücks zu verführen, so sei dieser im Tode sein Diener und Gott besiegt. Faust lässt sich auf Mephistopheles ein. Die Liebe zu Margarete führt diese als Mutter- und Kindsmörderin in den Kerker, wo Gott sie erlöst, während die Begegnung mit der überirdischen Helena von Troja Faust seinen Wahn zeigt. Zurück bei seinen Studien bittet er Gott um Frieden. Während seine Seele zum Himmel aufsteigt, versinkt Mephistopheles in den Abgründen der Hölle.

Mefistofele

Mefistofele


E Matthew Anchel Bass * New York City, New York, USA u. a. Luther / Krespel (Les Contes d’Hoffmann), Köchin / Farfarello (Die Liebe zu drei Orangen), Benoît (La Bohème),Bartolo (Il barbiere di Siviglia)

Elmar Gilbertsson Tenor  * Reykjavik, Island Narraboth (Salome), Prinz (Die Liebe zu drei Orangen), Pylades (Iphigénie en Tauride)

Daniel Kluge Tenor * Buenos Aires, Argentinien u. a. Max (Der Freischütz), Tanzmeister (Ariadne auf Naxos), Steuermann (Der fliegende Holländer), Truffaldino (Die Liebe zu drei Orangen)

Adam Palka Bass * Wałbrzych, Polen u. a. Colline (La Bohème), Don Basilio (Il barbiere di Siviglia), Sparafucile (Rigoletto), Lindorf / Coppélius /  Dapertutto / Miracle (Les Contes d’Hoffmann)

Atalla Ayan Tenor  * Belém, Brasilien Hoffmann (Les Contes d’Hoffmann)

Andrew Bogard Bassbariton

Olga Busuioc Sopran

* Columbus, Ohio, USA Shaunard (La Bohème), Schlemihl (Les Contes d’Hoffmann), Dritter Edler (Lohengrin)

* Ştefan Vodă, Moldawien Mimì (La Bohème), Antonia / Giulietta (Les Contes d’Hoffmann), Margherita / Elena (Mefistofele)

S

Heinz Göhrig Tenor

Diana Haller Mezzosopran

* Heidelberg, Deutschland u. a. Spoletta (Tosca), Goro (Madama Butterfly), Scaramuccio (Ariadne auf Naxos), Zweiter Edler (Lohengrin)

Kai Kluge Tenor  * Sindelfingen, Deutschland u. a. Lurcanio (Ariodante), Andres / Cochenille /Pitichinaccio / Franz (Les Contes d’Hoffmann), Prinz (Die Liebe zu drei Orangen), 3. Jude (Salome)

L

* Rijeka, Kroatien Ariodante, Angelina (La Cenerentola), Rosina (Il barbiere di Siviglia), Komponist (Ariadne auf Naxos), Adalgisa (Norma)

M

Paweł Konik Bariton

* Grieskirchen, Österreich Gilda (Rigoletto), Musetta (La Bohème), Zerbinetta (Ariadne auf Naxos)

* Görlitz, Deutschland u. a. Brighella (Ariadne auf Naxos), Andres / Cochenille / Pitichinaccio / Franz (Les Contes d’Hoffmann), Erster Edler (Lohengrin)

Mingjie Lei Tenor

* Cieszyn, Polen u. a. Marullo (Rigoletto), Alidoro (La Cenerentola), Harlekin (Ariadne auf Naxos), Zweiter Offizier (Der Prinz von Homburg), 1. Soldat (Salome)

Beate Ritter Sopran

Torsten Hofmann Tenor

* Hengyong, China u. a. Erster Offizier (Der Prinz von Homburg), Ferrando (Così fan tutte), Brighella (Ariadne auf Naxos)

Simone Schneider Sopran

Helene Schneiderman Mezzosopran

* Hagen, Deutschland * Flemington, New Jersey, USA Ariadne/Primadonna (Ariadne auf Naxos), Gräfin (Pique Dame), Neris (Medea), Elsa (Lohengrin), Medea und Salome Kurfürstin (Der Prinz von Homburg)


N  * Münster, Deutschland Ninetta (Die Liebe zu drei Orangen), Mimì (La Bohème)

Shigeo Ishino Bassbariton

Wiesbaden, * Deutschland Ottokar (Der Freischütz), Sharpless (Madama Butterfly), Musiklehrer (Ariadne auf Naxos), Zauberer Celio (Die Liebe zu drei Orangen), Dörfling (Der Prinz von Homburg)

Goran Jurić Bass

* Chiba, Japan  * Karlovac, Kroatien Kreon (Medea), Der Heerrufer des Königs Heinrich der Vogler (Lohengrin), (Lohengrin), Leander (Die Liebe zu Kreuz-König (Die Liebe zu drei Orangen), drei Orangen), Henry Kissinger (Nixon Colline (La Bohème) in China)

B

Liang Li Bass  * Shan-Xi, China Donald (Der fliegende Holländer), Oroveso (Norma)

Catriona Smith Sopran

David Steffens Bass

* Hannover, Deutschland  * Freilassing, Deutschland Berta (Il barbiere di Siviglia), Clorinda u. a. Angelotti (Tosca), Surin (La Cenerentola), Despina (Così fan tutte), (Pique Dame), Onkel Bonze (Madama Erste Hofdame (Der Prinz von Homburg), Butterfly), Truffaldin (Ariadne 5. Liedkonzert auf Naxos), Eremit (Der Freischütz)

Josefin Feiler Sopran  * Bautzen, Deutschland u. a. Ännchen (Der Freischütz), Najade (Ariadne auf Naxos), Dalinda (Ariodante), Kreusa (Medea), Musetta (La Bohème)

E

Johannes Kammler Bariton

Wien, * Österreich Kuno (Der Freischütz), Basilio (Il barbiere di Siviglia), Surin (Pique Dame), Dritter Offizier (Der Prinz von Homburg), Vierter Edler (Lohengrin), 2. Soldat (Salome)

Maria Theresa Ullrich Mezzosopran  * Bonn, Deutschland u. a. Giovanna (Rigoletto), Suzuki (Madama Butterfly), Neris (Medea), Tisbe (La Cenerentola)

* Schwedt a.d. Oder, Deutschland u. a. Prinzessin Clarice (Die Liebe zu drei Orangen), Polina (Pique Dame), 3. Hofdame (Der Prinz von Homburg), Maddalena (Rigoletto),5. Sinfoniekonzert

Matthias Klink Tenor

* Augsburg, Deutschland u. a. Guglielmo (Così fan tutte), Marcello (La Bohème), Pantalone (Die Liebe zu drei Orangen), Wachtmeister (Der Prinz von Homburg), 6. Liedkonzert

Michael Nagl Bass

Stine Marie Fischer Alt

* Fellbach, Deutschland Herodes (Salome), Iason (Medea), Mao Tse-tung (Nixon in China), Georg (Der fliegende Holländer)

Petr Nekoranec Tenor  * Jihlava, Tschechische Republik Graf Almaviva (Il barbiere di Siviglia), Ernesto (Don Pasquale), Don Ramiro (La Cenerentola)

Pavel Valuzhin Tenor  * Radoshkovich, Weißrussland Herzog von Mantua (Rigoletto), Rodolfo (La Bohème)

Jarrett Ott Bariton * Pen Argyle, Pennsylvania, USA Figaro (Il barbiere di Siviglia), Marcello (La Bohème), Chou En-Iai (Nixon in China), Oreste (Iphigénie en Tauride)

E

Der Fotograf Matthias Baus hat unser Ensemble in seinem Stuttgarter Atelier fotografiert. www.matthiasbaus.com

Michael Ebbecke Bariton

Ensemble 18/19

Esther Dierkes Sopran


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Konzerte

Kammerkonzerte

Sinfoniekonzerte 24.3.19 Filmkonzert im Opernhaus Charlie Chaplin Modern Times, Stummfilm mit Live-Orchester

IV

6.3.19

Große Brüder

Claude Debussy Sonate für Flöte, Viola und Harfe Charles Koechlin Suite en quatuor op. 55 Musikalische Leitung Cornelius Meister Hans Gál Serenade op. 93 Johannes Brahms Trio Es­Dur op. 40 für Horn, Warum wird Charlie Chaplins Stummfilmklassiker Violine und Klavier Modern Times von 1936 nie alt? Befürchtungen des  Mit Alexander Jussow, Frank Bunselmeyer, Taylorismus, der Mensch würde von Maschinen weg- Doris Erdmann, Nathanaël Carré, Andrea Berger, rationalisiert, haben sich schließlich nie ganz bewahr- Robin Porta, Madeleine Przybyl, Alexandra heitet. Monströse Maschinen haben den Menschen Taktikos, Philipp Römer nicht ersetzt. Im Gegenteil: In ungesicherten Gebäuden Klavier Sonia Achkar, Helge Aurich des globalen Südens verrichtet er noch immer unsere Fließbandarbeit, während in den denkmalgeschützten Fabrikhallen der Wohlstandsgesellschaft bestenfalls V noch Kunst stattfindet. Zeitlos ist dafür Chaplins Botschaft, angesichts über wältigender Vereinnahmung durch neue Trends und gesellschaftliche Veränderungen Transatlantische Bahnen Mensch zu bleiben, Einfalt zu bewahren und vor allem: zu lachen. GMD Cornelius Meister begleitet mit dem Steve Reich Mallet Quartet Staatsorchester Stuttgart einen seiner Lieblingsfilme. Dmitri Schostakowitsch Sinfonie Nr. 15 (Bearb. von Viktor Derevianko) Mit Jewgeni Schuk, Vache Bagratuni, Christoph Wiedmann, Thomas Höfs, Marc Strobel, V Jürgen Spitschka Klavier Ilonka Heilinglo Salvatore Sciarrino Efebo con radio Fausto Romitelli Audiodrome – Dead City Radio Ludwig van Beethoven Sinfonie Nr. 4 B­Dur op. 60 VI

3.4.19

14./15.4.19

8.5.19

Alt Stine Marie Fischer Musikalische Leitung Hossein Pishkar

Night at the Opera

Ist das, was wir für die Wirklichkeit halten, „wirklich wirklich“? Das Frühjahrsfestival der Staatsoper Stuttgart ergründet diese Frage in unterschiedlichen dramaturgischen und musikalischen Formaten. Auch im Sinfoniekonzert:   Der 1988 in Teheran geborene Hossein Pishkar,  Gewinner des Deutschen Dirigentenwettbewerbs 2017,  gehört zur ersten Generation von „digital natives“. Doch nicht erst seit Social Media die öffentliche Meinungsbildung beeinflussen, üben Medien eine große Macht auf unser Wirklichkeitsempfinden aus. Das gute alte Radio etwa zieht in Salvatore Sciarrinos Efebo con radio einen kleinen Jungen (Stine Marie Fischer) in seinen Bann. Quer durch vielsprachige Kanäle und mysteriöses Rauschen segelnd taucht er in eine soghafte Fantasiewelt ein. Visionär erscheint heute die Dystopie, die der früh verstorbene Fausto Romitelli 2003 in seinem Audiodrom Dead City Radio entwarf: Diese fiktive Radioübertragung aus einer toten Stadt spiegelt eine globalisierte Welt, in der menschlicher Austausch durch rein elektronische Kommunikation zu einem verzerrten, gestörten Substitut degeneriert ist. Aber selbst in prä-medialen Zeiten konnte die Wand, die zwei konträre Wirklichkeiten trennt, dünn sein: Von Napoleons Selbstkrönung soeben aus einer weltumspannenden Utopie gerissen, ergriff Beethoven ein ganz anderer Taumel, als er seine 4. Sinfonie schrieb: rasende Liebe.

13.5.19

Familienkonzert Meister Caspers präsentiert: Der Zauberlehrling von Paul Dukas

Ein Konzert für Kinder ab 6 Jahren, ihre Familien und Schulklassen → empfohlen bis Klasse 6 Das Konzert mit dem Staatsorchester Stuttgart wird dirigiert von Cornelius Meister und moderiert von Ralph Caspers (Wissen macht Ah!, Die Sendung mit der Maus u.v.m.)

VI

26./27.5.19

György Ligeti Lontano Edvard Grieg Klavierkonzert in a-Moll op. 16 Jean Sibelius Sinfonie Nr. 2 D­Dur op. 43 Klavier Elisabeth Brauß Musikalische Leitung Daniele Rustioni Mit Lontano setzte Ligeti 1967 in eine von minutiös  errechneten Serien und Reihen geprägte Avantgarde ein eigenwilliges Gegengewicht: eine Musik, die ganz aus dichten, beweglichen und wandelbaren Klangflächen besteht. Weite Flächen entfalten sich auch in Sibelius’ 2. Sinfonie, doch lässt sich der Meister aus dem hohen Norden Zeit, sie aus kleinen Motiven heraus wachsen zu lassen. „Was ich zu bieten habe, ist klares, kaltes Wasser“ bestätigt Sibelius die Kühle und Distanz, die seine charakteristische Farbgebung ausmacht. Ein Hinweis auch, dass seine Musik mit den Sinnen gedacht ist und durch sie wohl auch am besten verstanden wird. Harmonische Flächen, die sich in wilde Arpeggien ergießen, treten auf diese Weise auch in Griegs Klavierkonzert hervor, mit dem die junge Virtuosin Elisabeth Brauß unter Daniele Rustioni ihr Stuttgarter Debüt gibt.

VII

7./8.7.19

Richard Strauss Streichsextett aus der Oper „Capriccio“ Giuseppe Verdi Streichquartett e­Moll Giacomo Puccini Crisantemi Leoš Janáček Im Nebel (Bearb. von Tomaš Ille) Franz Schreker Der Wind Mit Michael Groß, Susanne Wichmann, Alexander Jussow, Frank Bunselmeyer, Veronika Unger, Alexandra Taktikos, Bertram Jung, Vache Bagratuni, Guillaume Artus, Lilian Heere, Hedwig Gruber, Cristina Stanciu, Charlotte Krist, Zoltan Paulich Klavier Alan Hamilton

VII

13.3., 23.4., 3.6., 15.7.19 Musiker*innen des Staatsorchesters laden Sie siebenmal in der Spielzeit zu ganz persönlich gestalteten musikalischen Mittagspausen in das Opernhaus, Foyer I. Rang ein. Das musikalische Überraschungsmenü wird jeweils von 12.45 – 13.15 Uhr serviert.

Liedkonzerte 8.4.19

Mit Helene Schneiderman, Catriona Smith und Mingjie Lei Klavier Alan Hamilton Werke von William Walton, Samuel Barber, Charles Ives, George Gershwin u.a.

21.5.19

Mit Johannes Kammler und Petr Nekoranec Klavier Stefan Schreiber Leoš Janáček Tagebuch eines Verschollenen sowie Werke von Robert Schumann und Aribert Reimann.

18.6.19 Konzert des Opernstudios Mit Aoife Gibney, Fiorella Hincapié, Elliott Carlton Hines, Moritz Kallenberg, Jasper Leever, Ida Ränzlöv, Carina Schmieger und Christopher Sokolowski Konzert mit den Mitgliedern der Opernstudios der Opéra national du Rhin und der Staatsoper Stuttgart

Infos zum 7. Sinfoniekonzert entnehmen Sie bitte der  Die Liedkonzerte finden statt in Kooperation mit rechten Spalte →

Foto: Astrid Karger

Konzerte mit Márton Illés – composer in focus 2018/19 VII

Lunchkonzerte

VI

Texte: Barbara Eckle

26.6.19

Infos zum 7. Kammerkonzert entnehmen Sie bitte  der rechten Spalte →

V

Márton Illés – composer in focus 2018/19

Sinfoniekonzert

7./8.7.19 VII

Márton Illés (composer in focus) Neues Werk UA Frank Martin Concerto für 7 Blasinstrumente, Pauken, Schlagzeug und Streichorchester Richard Strauss Ein Heldenleben op. 40 Solisten des Staatsorchesters Stuttgart Musikalische Leitung Cornelius Meister Zum Abschluss der Konzertsaison 2018/19 hebt Cornelius Meister ein neues Werk des „composer in focus“ Márton Illés aus der Taufe. Der ungarische Komponist ist ein virtuoser Klangzeichner, der es versteht, mithilfe des Orchesters waghalsige, plastische Nervengeflechte zu entwerfen, die lebenden Organismen nachempfunden sind und auf einer körperlich-sinnlichen Ebene zum Hörer sprechen. Virtuoser Umgang mit dem Orchester steht und fällt mit intimer Kenntnis der einzelnen Instrumente und der Mischbarkeit ihrer Klangfarben – und sieben Blasinstrumente in einem Concerto zusammenzuführen, macht die Aufgabe nicht leichter. Aber Frank Martin lässt die Charaktere dieser reinen Bläserfamilie – hier gespielt von Solisten des Staatsorchesters – individuell und zugleich sich ergänzend hervortreten, als bildeten sie zusammen ein wundersames, facettenreiches Meta-Instrument. Virtuos und nicht ohne Ironie spielt auch Richard Strauss mit den Charakteren der Instrumente. In seiner bombastischen Tondichtung Ein Heldenleben nehmen sie geradezu menschliche Züge an, verkörpern Rollen wie den argwöhnischen Kritiker oder die launisch-liebevolle Gefährtin – jede Ähnlichkeit mit Personen aus dem echten Leben wohl intendiert und keineswegs zufällig.

Kammerkonzert

26.6.19

Meet Márton Jan Dismas Zelenka Sonate Nr. 5 F-Dur John Bull / Márton Illés In Nomine VI und XII György Ligeti Streichquartett Nr. 1 Johann Heinrich Schmelzer Violinsonate Nr. 3 g­Moll Márton Illés Drei Aquarelle für Akkordeon, Klavier und Streichtrio Dietrich Buxtehude Triosonate d-Moll op. 16 Mit Ulrich Hermann, Kathrin Scheytt, Muriel Bardon, Zoltan Paulich, Robin Porta, Ivan Danko, Lars Jakob, Marion Schäfer, Madeleine Przybyl, Michael Kiefer, Frank Bunselmeyer Akkordeon Anne-Maria Hölscher Viola da Gamba Hélène Godefroy Cembalo Alan Hamilton Klavier Márton Illés

i Die Sinfoniekonzerte finden im Beethovensaal der Liederhalle statt. Einführung 45 Minuten vor Konzertbeginn im Silchersaal. Die Kammerkonzerte finden im Mozartsaal der Liederhalle statt. Einführung 30 Minuten vor Konzertbeginn. Die Liedkonzerte finden im Foyer I. Rang des Opernhauses statt. Einführung 30 Minuten vor Konzertbeginn. Zu den Sinfoniekonzerten am Sonntag bieten wir einen Kinderworkshop an. Infos unter www.staatsoper-stuttgart.de

Márton Illés – composer in focus 2018/19 Biographie 1975 in Budapest geboren, Grundausbildung in Klavier, Schlagzeug und Komposition an verschiedenen  Kodály-Schulen in Györ, Klavierstudium mit Solistendiplom bei László Gyimes und Kompositionsstudium bei Detlev Müller-Siemens an der Musikakademie Basel sowie bei Wolfgang Rihm an der Hochschule für Musik Karlsruhe. Seit 2005 dort auch als Dozent tätig. Stipendiat Villa Massimo Rom, Experimentalstudio des SWR Freiburg, Villa Concordia Bamberg; Preise und Auszeichnungen: Förderpreis der Ernst-von-Siemens-Musikstiftung, Schneider-Schott-Preis, Paul-Hindemith-Preis des Schleswig Holstein Musik Festival, Preis des SWR Symphonieorchesters bei den Donaueschinger Musiktagen 2017 für sein Orchesterwerk Ez­tér. Aufführungen und Auftragskompositionen bei den Donaueschinger Musiktagen, Wittener Tagen für neue Kammermusik, Rundfunk-Orchester und Chöre Berlin, Ultraschall Berlin, Hommage à Bartók-Festival Budapest, Ungarischer Rundfunk, Cairo Opera House, Creek Art Fair Dubai, Alte Oper Frankfurt, Hessischer Rundfunk, Freie Akademie der Künste Hamburg, Heidelberger Frühling, WDR, Münchener Biennale für neues Musiktheater, Klangspuren Schwaz, Schweizer Radio SRF, Festival Eclat Stuttgart u.a.


composer in focus

Márton Illés – composer in focus

Barbara Eckle Herr Illés, die Linie spielt in Ihrer Musik eine zentrale Rolle. Das Wort „Linie“ steckt auch in vielen Ihrer Werktitel: „Manische Linien“, „Linienfelder“ etc. Was hat es mit der Linie auf sich, dass sie Sie über Jahrzehnte hinweg so beschäftigt? Márton Illés Ich arbeite gern mit linearen Ereignissen. Es sind ganz einfach gesagt melodische Ereignisse, aber ich versuche dabei die melodische Konnotation zu vermeiden. BE Sie versuchen also Linien zu komponieren, die ausdrücklich keine Melodien sind. Wie funktioniert das? Und worin besteht in der Musik der Unterschied zwischen einer Linie und einer Melodie? MI Eine Melodie basiert auf Tönen, also fixierten Frequenzen im Klangraum. Aus einer solchen Reihe fixierter Tonhöhen setzt sich auch jede Tonleiter zusammen. Diese Abstufungen legen eine Art Raster über den Klangraum, durch das sich der Komponist bewegt. Ich will mich aber im „primordialen“ Klangraum bewegen, in dem sich Klänge jenseits solcher Raster entfalten können.

„Ich möchte, dass sich die Menschen wiedererkennen in meiner Musik.” trouvés“, die ich versucht habe zu „professionalisieren“. Um diese „falschen“ Klänge in der Notation nachvollziehbar zu machen, habe ich verschiedene Klarinettisten konsultiert. BE Auch auf dem Klavier dürfte Ihre Vorstellung der Linie nicht so einfach umzusetzen sein. Wie gehen Sie damit um? MI Ich mag, da ich schon 100 Jahre Klavier spiele, diesen scharfen Klavierklang nicht mehr. Dafür arbeite ich heute gerne mit dem gedämpften Klavier, bei dem ich die Saiten mit Knete bearbeite. Wenn der normale Klavierklang eine klare Bleistiftlinie ist, ist der gedämpfte Klavierklang eher ein Pinselstrich. Ich hole auch gerne Klänge aus dem Inneren des Klaviers. Da lassen sich auch die Tonhöhen verändern. In Kombination mit anderen Instrumenten kann man damit zu einer wunderbar bewegten, instabilen Linie gelangen.

MI Es ist ein ganzes Schulsystem in Ungarn, das darauf basiert. Diese spezialisierten Grundschulen heißen Kodály-Schulen, nach dem Komponisten benannt. Wir hatten extrem viel spezialisierten Musikunterricht in der Grundschule und im Gymnasium. Im Grunde war in jeden Schultag Musikunterricht integriert: Wir haben Solfège und Gehörbildung gemacht und wir haben Volkslieder gesungen. Die meisten ungarischen Musiker sind aus diesen Kodály-Schulen hervorgegangen. BE Solche frühen musikalischen Erfahrungen sind in der Regel sehr prägend. Fühlen Sie sich noch immer stark mit der ungarischen Musiktradition verbunden? MI Ja. Bei dieser Ausbildung herrschte eine ganz besondere Atmosphäre und dabei entstand eine unglaublich enge Beziehung zur Volksmusik, aber ebenso zur ungarischen Sprache, meiner Muttersprache, die musikalisch extrem charakteristisch ist.

BE Primordialer Klangraum, das heißt so viel wie urtümlicher Klangraum. Aber was meinen Sie damit ? MI Die meisten Geräusche, die man hört in der Stadt, in der Natur, sind nicht im konventionellen Sinne musikalisch. Sie sind unbeständig, basieren nicht auf fixierten Frequenzen. Sie sind dauernd sich bewegende Klangereignisse. Das gilt auch für die menschliche Sprache.

BE Wie erreichen Sie das? MI Indem ich die ganze Zeit gegen Instrumentalkonventionen arbeite und um die Tonhöhen herumkomponiere. BE Aber selbst wenn Sie um die Tonhöhen herumkomponieren, arbeiten Sie doch mit Tonhöhen, nur setzen Sie nicht die eigentlich gemeinten Töne in den Raum, sondern vernebeln diese durch die umliegenden Töne, richtig? MI Vernebeln ist ein sehr treffendes Wort. Aber ich mache das nicht, weil ich nicht konkret sein will, sondern weil ich diese Linie nur auf diese Weise präzise formulieren kann. Aber diese Linie ist eben keine Melodie aus Tonhöhen sondern eine stufenlos fließende Linie.

BE An Ihrem Werkverzeichnis kann man sehen, dass Sie gerne zyklisch arbeiten. Es gibt ganze Werkreihen mit dem Titel Rajzok (Zeichnungen) oder Aquarelle oder Torso. Handelt es sich da um Ideen, die Sie über mehrere Stücke weiterentwickeln? MI Die Rajzok-Stücke sind die größeren Formen, oft sind sie auch größer besetzt, sie können jedenfalls ziemlich vehement und monströs sein. Manchmal sind es eher Ölgemälde als Zeichnungen. Es sind hauptsächlich gezeichnete Felder, sehr viele Linien, Schattierungen, Farbschattierungen. Die Aquarell-Stücke dagegen sind die kürzeren, kleiner besetzten Kompositionen mit fragileren, transparenteren Stoffen. Ich habe mir Titel ausgesucht, die vieles offen lassen. Ich wende mich immer wieder einer anderen Werkreihe zu, je nachdem, was mich gerade beschäftigt. Bei den Scene Polidimensionali habe ich versucht, mehrere Dimensionen übereinander zu lagern. Die TorsoStücke sind dagegen sehr plastisch, da interessiert mich das Phänomen der Energieschatten.

BE Dinge zu musikalisieren, die spürbar, aber nicht sichtbar sind, scheint sich als Thema durch Ihre Arbeit zu ziehen. Sie haben eine ganze Werkserie geschrieben, die sich mit urtümlichen Gefühlen wie beispielsweise Angst befassen. Sie beobachten, wie sich die Gefühle im Körper manifestieren. Warum ist das für Sie interessant? MI Ich versuche nicht Angst zu musikalisieren, sondern ich beobachte die psychophysischen Ereignisse, die der Mensch erlebt in diesen Angstzuständen: Muskelreflexe, Zuckungen und Ticks, oder wie auch immer sich das äußert. Mich interessiert es, diese Körperzustände zu beschreiben, wie die energetischen Spannungs- und Entspannungsverläufe im Körper passieren, welche Bahnen sie durch den Körper ziehen. Diese komplexen inneren Vorgänge will ich musikalisch reproduzieren und spürbar machen.

BE Wie kommen Sie in die Zwischenräume der Töne, um die Stufen aufzulösen? Durch Glissandi oder durch mikrotonales Komponieren? MI Glissandi spielen unter anderem eine Rolle, aber die Vorgänge sind insgesamt komplizierter. Es gibt z.B. rutschende, gezackte Linien – das ist die einfachste Art. Dann gibt es auch das Trillerglissando oder das Glissando-Vibrato, das zusätzlich nach oben rutscht. Ich habe diese Dinge nicht erfunden, aber es hat zehn Jahre gedauert, sie für meine Musik zu adaptieren und Teil meiner Sprache werden zu lassen. Das klangliche Resultat gleicht einem ausdrucksvollen Sprachklang. BE Bei Streichinstrumenten oder auch anderen Instrumenten, die sich nahtlos von einem Ton zum anderen bewegen können, kann man sich das leicht vorstellen. Aber wie funktioniert das z. B. bei Holzblasinstrumenten? MI Vor allem für Holzblasinstrumente ist diese Musik oft nicht leicht zu spielen, gerade weil diese Instrumente durch die Griffe auf fixierte Tonhöhen ausgerichtet sind. Trotz allem ist das wichtigste Instrument für mich die Klarinette. Mit ihr kann ich am meisten verwirklichen.

BE Warum Ihre Vorliebe zur Klarinette? Von Haus aus sind Sie Pianist. MI Die Klarinette ist ein Instrument, mit dem man sehr viel machen kann. Sie hat einen großen und ausgeglichenen Tonumfang, interessante Obertöne und Untertöne, Sondertöne und Sondergriffe. Es ist ein fantastisches Instrument. Vor ein paar Jahren habe ich selber begonnen, ein bisschen Klarinette zu spielen, um einen engeren Bezug zum Instrument zu bekommen. Richtig gut Klarinette spielen kann man in meinem Alter nicht mehr lernen, dafür bin ich aber als Dilettant aufgrund meines unprofessionellen Ansatzes auf Mehrklänge und andere besondere Klänge gestoßen, auf die Profis nicht kommen. Es sind sozusagen klarinettistische „objets

Wolfgang Rihm in Karlsruhe – ein deutscher Komponist und von westeuropäischer Tradition geprägt. Insofern sehe ich mich als Komponisten mit ungarischen Wurzeln, aber starken westeuropäischen Einflüssen.

BE Energieschatten? MI Ich glaube, dass die Musik, wenn sie im Raum erklingt, in jedem Moment einen bestimmten energetischen Pegel hat. Das ist die Menge Energie, die im Raum anwesend ist. Man kann diese Energiemenge akkumulieren und dann gar nichts spielen, und trotzdem bleibt eine Weile diese Energiemenge im Raum. Es ist wie wenn wir einen Luftballon anheben: Bis er wieder an den Boden sinkt, dauert es eine Weile. Dieser Entspannungsprozess kann nicht von einer Sekunde auf die andere passieren, es dauert immer ein bisschen. Der Anspannungsprozess dauert viel kürzer als der Entspannungsprozess. Das ist auch so mit der akkumulierten Energiemenge im Raum: Wenn ich ein bisschen mehr akkumuliere als nötig und danach einen ereignisleeren Raum habe, dann ist der Raum doch nicht leer, sondern mit Energie gefüllt. Das nenne ich Energieschatten. Ich glaube, dass kompositorische Dramaturgie sehr stark von den energetischen Verläufen abhängt. Es ist ganz deutlich spürbar. Bei schlechten Kompositionen ist es das erste, was Sie merken. Sie fangen an zu gähnen. Warum? Weil der energetische Prozess nicht gehandhabt wird. Da ist der Luftballon immer gleich wieder auf dem Boden, d.h. es ist kein schlüssiger Pegelverlauf im Raum.

BE Und Sie wollen in Ihrer Musik diesen urtümlichen Klangraum reproduzieren? MI Ich will meine Musik vollkommen befreien von dieser konventionellen Rasterung. Der Hörer soll Klang als etwas Flexibles wahrnehmen, das sich stufenlos und ständig bewegt – wie in der Natur.

BE Machen Sie es sich gerne absichtlich schwer? MI Nein. Aber wenn ich mich dieser Idee, die mir vorschwebt, wirklich nähern will, muss ich das mit allen Instrumenten schaffen. Das ist reines Handwerk. Wenn man jahrelang mit den Instrumenten gearbeitet hat, findet man Wege, wie man diese grobe „Verpixelung“ der Linie vermeidet. Ich habe für mich eine Sprache entwickelt. Das hat lange gedauert, aber jetzt kann ich mit diesen Mitteln sprechen, und das ist ein gutes Gefühl.

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Partiturseite aus Fabrajzok für Ensemble von Márton Illés © 2018 Breitkopf & Härtel

BE Sie haben in Ihrer Jugend eine Ausbildung zum Konzertpianisten gemacht, haben erst dann den Weg zum Komponieren eingeschlagen und treten heute nur selten als Pianist auf – diesen Sommer in Stuttgart allerdings gleich zweimal: als Interpret Ihres Klavierkonzerts mit dem SWR Symphonieorchester und als Kammermusikpartner im 7. Kammerkonzert des Staatsorchesters Stuttgart. Gibt es in Ihrem Kopf Illés, den Komponisten und Illés, den Interpreten? Und mit welchem identifizieren Sie sich mehr? MI Der Komponisteninstinkt war bei mir schon vor dem Interpreteninstinkt da und war auch stärker. Ich habe diesen Drang ganz früh in mir verspürt und schon als Kleinkind meine ersten Kompositionen auf dem Klavier meiner Großmutter geklimpert. Dann begann die klassische Ausbildung auf dem Klavier und das Komponieren trat erst einmal in den Hintergrund. BE Bevor Sie mit 17 Jahren für Ihr Klavierstudium in die Schweiz übersiedelt sind, haben Sie in Ungarn eine sehr besondere und intensive Musikausbildung durchlaufen.

BE Wie hat sich das auf Ihre eigene Musik ausgewirkt? MI Es ist eine sehr prägnante rhythmische Welt. Diese finden Sie in praktisch allen meinen Stücken. In meinen späteren Stücken sind diese ganz schroffen Rhythmen vielleicht etwas abstrakter eingebettet, aber trotzdem noch vorhanden. BE Würden Sie sich also im weitesten Sinne als Komponisten in der Nachfolge Bartóks sehen? MI Natürlich haben mich Bartók und die ungarische Volksmusik beeinflusst, so wie alle, die diese Ausbildung durchlaufen haben. Bei Komponisten, die immer in Ungarn geblieben sind, beobachte ich, dass sie diesem Traditionsdruck nur schwer entkommen. Da ich aber Ungarn schon mit 17 verlassen habe und zwei deutsche Kompositionslehrer hatte, waren diese Dominanz und dieser Druck früh genug aufgehoben. Detlev Müller-Siemens, mein Professor in Basel, war zwar einer der Lieblingsschüler des ungarischen Komponisten György Ligeti, und hat das, was er von Ligeti gelernt hat, an mich weitergegeben. Trotzdem war er – genau wie

BE Dazu brauchen Sie stufenlose Linien, nehme ich an. MI Genau. Ich muss sehr genau zeichnen können, denn je präziser ich eine solche Linien musikalisch wiedergeben kann, desto genauer kann ich den Reflex an den Hörer weitergeben, damit er ihn erkennt. Wenn ich so eine psychophysische Bewegung mit fixierten Tonhöhen nachzeichnen würde, bekäme ich eine grobgepixelte Linie, irgendeine Pseudo-Melodie, und niemand würde den Inhalt wiedererkennen. Deswegen muss ich die Linie höher auflösen. BE Diese Linien sollen also im Körper des Hörers etwas auslösen? MI Ja. Ich möchte, dass die Menschen sich selbst wiedererkennen in meiner Musik. Sie sollen sie trotz ihrer Komplexität verstehen können, aber nicht primär auf intellektueller, sondern auf instinktiver Ebene, weil die Menschen diese Gefühlsphänomene im Körper von sich selbst sehr gut kennen. Auch jene, die mit Musik nicht viel zu tun haben. BE Woher kennen Sie diese psychophysischen Verläufe so gut? MI Von Selbstbeobachtungen und Beobachtungen anderer. Ich beobachte gerne Menschen. Ich höre auch lieber zu als selber zu reden. BE Werden der urtümliche Klangraum und die stufenlose Linie auch im Orchesterstück, das Sie für das Staatsorchester Stuttgart komponieren, eine Rolle spielen? MI Auf jeden Fall. Die Streicher werden viele rutschende Linien spielen. Aber mehr verrate ich dazu jetzt nicht.


F

Wer den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht, findet vielleicht in diesem Brevier der Wirklichkeitsbegriffe aus Literatur- und Kulturtheorie einen Anhaltspunkt, sich im weiten Feld der unterschiedlichen Konzeptionen von Realität zurechtzufinden.

Lexikon der Wirklichkeitsbegriffe Wie wirklich die Wirklichkeit ist, ist sicherlich eine der Lieblingsfragen der Philosophie. Doch wie man dieses Konzept auch zerlegt, es finden sich immer wieder neue Fährten, die sich zu verfolgen lohnen.

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Fiktion/Fiktionalität (lat. fingere: bilden, erdichten, vortäuschen), Bezeichnung für den erfundenen bzw. imaginären Charakter der in literar. Texten dargestellten Welten. Die Auffassung, dass Aussagen in literar. Texten bezüglich eines Wahrheitsanspruches ein Sonderstatus zukommt, zieht sich mit unterschiedlichen Bewertungen durch die gesamte Geschichte unwissenschaftlicher Theoriebildung. So findet sich der Topos […] von der Lügenhaftigkeit der Dichtung ebenso wie die Vorstellung von Lit. als Ausdruck einer höheren Wahrheit im Rahmen einer erfundenen Wirklichkeit. Mit der Verwendung des ↗ Mimesis-Konzeptes erfolgte zeitweilig eine Verschiebung von der Wahrheitsfrage auf das Wahrscheinliche, wobei das Unwahrscheinlich-Phantastische ganz ausgeblendet wurde. Eine ausgearbeitete Theorie der Fiktion liegt bisher nicht vor. […] Fiktion steht im Zusammenhang mit Kategorien wie „Realität“, „Sinn“, „Bedeutung“, „Referenz“ und „Verstehen“. Zur begrifflichen Klärung erscheint es sinnvoll und notwendig, eine terminologische Differenzierung bezüglich der Attribute „real“, „referentiell“, „fiktiv“ und „fiktional“ vorzunehmen. „Real“ kann als ein Seinsmodus definiert werden, der Sachverhalten aufgrund von gemeinsam geteilten […] Wirklichkeitsvorstellungen zugeschrieben wird. Als „referentiell“ können alle Äußerungen bezeichnet werden, denen unter dem geltenden Wirklichkeitskonzept eine realitätsbehauptende Funktion zukommt. Dies beinhaltet die Akzeptanz einer eindeutigen Zuordnung der erzeugten Textbedeutung zu einem Realitätsbereich außerhalb des kommunikativen Aktes. Fiktionale Texte unterscheiden sich von referentiellen dadurch, dass dieser eindeutige Realitätsbezug fehlt. […] „Fiktiv“ meint etwas Erdachtes, Erfundenes, Vorgestelltes, mit dem dennoch im Sinne eines „Als ob“ operiert wird. Auch hier erfolgt die Zuordnung zu einem außertextuellen Seinsbereich, der jedoch als vom Sprachverwender gesetzt gedacht wird. Handlungen und Figuren in Romanen sind ebenso fiktiv wie Textaufgaben im Mathematikbuch oder juristische […]. Entscheidend für den Unterschied ist der jeweilige Verwendungszusammenhang. Die Lösung fiktiver Fälle und Aufgaben dient der Einübung von Fertigkeiten im Sinne praktischer Handlungskompetenzen. Als Modellfälle mit Modellösungen zielen sie auf die Erfassung von Realem ab. Wird dieser eindeutige Bezug zu dem, was man als »real« auffasst, aufgehoben, dann wird Fiktionalität erzeugt. Genuiner Ort für Fiktionalität ist das Spiel: Es negiert einerseits den eindeutigen Bezug zur Realität, andererseits ist den Regeln zu folgen, solange man spielt. Hier schließt die vielfach genannte Funktion des Probehandelns im Umgang mit Lit. an. […]

I

Illusion, ästhetische (lat. illusio: Verspottung, Ironie, Täuschung). (1) Ein Effekt ästhetischer Wirkung, der unter bestimmten Bedingungen (↗ ( Illusionsbildung)) im Rezipienten als eine mögliche Form der Rezeption von Artefakten entsteht: die imaginative, v. a. visuelle Vorstellung, in den vom Artefakt bestimmten Raum bzw. in seine Welt einzutreten […] und diese wie eine Wirklichkeit (mit-)zuerleben […]. Im Unterschied zur Sinnestäuschung […] besitzt ästhetische Illusion stets ein Moment latenter rationaler Distanz als Folge des kulturell erworbenen Wissens um den Artefaktstatus des Wahrgenommenen. Damit ist ästhetische Illusion ein ambivalentes Phänomen, das zwischen den (ausgeklammerten) Polen völliger „Immersion“ (vgl. Ryan 1991) und völliger Distanz, die u.a. durch Verfahren der Illusionsdurchbrechung hervorgerufen werden kann, angesiedelt ist. Im Normalfall liegt ästhetische Illusion in relativer Nähe zur Immersion, ist jedoch nach Art und Intensität variabel […]. (2) Typologisch lassen sich u.a. differenzieren a) nach dem auslösenden Artefakt: nichttextuelle ästhetische Illusion […] vs. textuelle bzw. literarische ästhetische Illusion, bei der die „dramatische Illusion“ am bekanntesten ist; daneben ist von Bedeutung die ästhetische Illusion narrativer Texte (vgl. Wolf 1993), wohingegen diejenige der Lyrik noch weitgehend ungeklärt ist (vgl. Wolf, 1998); b) nach dem Wesen der ästhetischen Illusion:

wirklich

Die oft mit ästhetischer Illusion gleichgesetzte Illusion of reality […] oder „illusion référentielle“ (R. Barthes 1968) ist nur eine, auf bestimmte fiktionale Werke beschränkte Form, bei der deren ↗ Fiktionalität ausgeblendet erscheint; wichtiger als diese „Referenzillusion“ ist die aller ästhetischen Illusion und obiger Definition zugrundeliegende „Erlebnisillusion“, die auch von nichtfiktionalen Werken hervorgerufen werden kann, wobei lediglich das Bewusstsein um den Artefaktcharakter in den Hintergrund tritt. (3) Historisch sind in der abendländischen Entwicklung der bildenden Kunst die Anfänge ästhetischer Illusion mit dem Aufkommen einer ästhetischen, nicht vorwiegend pragmatischen Zwecken dienenden Kunst(-rezeption) in der von E.H. Gombrich (1977) sog. „griechischen Revolution“ mit dem Höhepunkt im 4. Jh.v.Chr. anzusetzen, d.h. mit einer Kunst, die durch „überzeugende Annäherung an die Wirklichkeit“ statt (nur) durch „klare Lesbarkeit“ charakterisiert ist (↗ Mimesis, Wahrscheinlichkeit). Anfänge ästhetischer Illusion in der klassischen gr. Lit. sind u.a. durch das Spiel mit der Illusion in der Komödie z.B. bei Aristophanes anzunehmen. […] Der realistische Roman des 19.Jh.s stellt einen Höhepunkt der Illusionsliteratur dar. Im nachantiken Drama ist ästhetische Illusion seit der Shakespearezeit (vgl. Wolf 1993b), ebenfalls mit einem Höhepunkt im 19.Jh. […], zu beobachten. Im 20. Jh. erreicht die erzählerische Illusionskunst in der modernen Bewusstseinsmimesis einen weiteren Höhepunkt, wenn auch in dieser Zeit das nicht mehr illusionistische Erzählen, parallel mit Tendenzen zur Illusionsdurchbrechung im Drama (L. Pirandello, B. Brecht), an Boden gewinnt. In der Gegenwart, v. a. im Postmodernismus, ist ästhetische Illusion […] in der narrativen wie dramatischen Hochkunst vielfach nur mehr ironisch vorhanden, wohingegen die kommerzielle Kunst (v. a. Film und Triviallit.) weiterhin dominant illusionistisch ist.

M

Mimesis (gr. Nachahmung), für die Ästhetik seit der Antike ein zentraler Begriff, der die Funktion von Kunst und Literatur primär von ihrer Fähigkeit zur Nachahmung einer vorkünstlerischen, außerliterarischen Wirklichkeit her bestimmt. Während die Mimesis bei Platon noch eher negativ als bloße Abbildung einer Welt der sinnlichen Erscheinungen gilt, die ihrerseits nur das Abbild einer höheren Wahrheit darstellt, erfährt sie bei Aristoteles eine entscheidende Aufwertung und wird in einer für die zukünftige Literaturtheorie maßgeblichen Weise definiert. Zu ihrem Gegenstand hat die Mimesis die Welt menschlicher Handlungen, die sie mit den imaginativen Mitteln der Sprache vergegenwärtigt. Gerade die Verbindung von Besonderem und Allgemeinem […] wird dabei zum Hauptmerkmal der Literatur, die sie als Diskurs möglicher Welten […] von der Geschichtsschreibung als Medium des Partikularen einerseits und von der Philosophie als Medium des Universalen andererseits absetzt. Was Literatur nachahmt, ist also nicht bereits als solches vorgegeben, sondern entsteht gleichsam erst im Akt der Nachahmung selbst. Motivation der Mimesis ist nach Aristoteles eine anthropologische Antriebskraft, insofern die Mimesis einem allgemeinmenschlichen Nachahmungsbedürfnis entspringt und kreativen Ausdruck gibt. Die Formen der Mimesis sind je gattungsspezifisch unterschiedlich, sie orientieren sich aber neben den allg. ästhetischen Kriterien von Rhythmus,


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ISSUE No. 2

wirklich

Harmonie und Proportionalität an der v. a. in Handlungslogik, Charakterzeichnung und zeitlich-räumlicher Konsistenz ausgedrückten Analogiebeziehung der ↗ Fiktion zur Realität. Die Wirkung der künstlerischen Mimesis schließlich beruht auf der Freude der Rezipienten an der erfolgreich inszenierten Nachahmung, die zum identifizierenden Mit-Spielen der nachgeahmten Handlungen führt und dabei höchst intensive Reaktionen zwischen Mitgefühl und Betroffenheit auslöst. […]

R

Realismus-Effekt (frz. effet de reél; engl. reality effect), ein von R. Barthes geprägter Begriff zur Bezeichnung der von bestimmten literar. Texten ausgehenden Wirkung, die den Eindruck ausgeprägter Wirklichkeitsnähe und „Lebensechtheit“ der fiktiven Welt evoziert. Der ↗ Wirklichkeitsbegriff des sog. „naiven„ Realismus’ sieht eine problemlose Entsprechung von literar. Text und dessen Referenzgegenstand, d. h. der darzustellenden Welt, vor. Der linguistic turn in der Lit.wissenschaft, der mit den Erkenntnissen der formalistischen bzw. strukturalistischen Lit.-theorie vollzogen wurde, räumt jedoch mit der Konzeption von der Vorgängigkeit einer Welt auf, die vom Kunstwerk mimetisch gespiegelt wird (↗ Mimesis, Widerspiegelung). Dreht man dieses Abbildungsverhältnis um, indem man nunmehr vom Primat des Sprachsystems ausgeht, das unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit steuert, so ergibt sich Barthes zufolge das Problem der „inadéquation fondamentale du langage et du réel“. Der künstlerische Text ist eben nicht das Leben, weshalb die in sog. „realistischen“ Texten durchaus vorhandenen Ähnlichkeiten mit der Wirklichkeit als Resultat eines „Kampfes“ (vgl. Ju. Lotman 1972) mit der fundamentalen Unähnlichkeit von Welt und Sprache verstanden werden müssen. Realismus ist demnach nicht „naturwüchsig“, sondern ein mit künstlerischen Mitteln erzielter Effekt: „donner à l‘imaginaire la caution formelle du réel“ (Barthes). Realistische Lit. aktiviert daher in bes. starkem Maße den „kulturellen Code“, durch welchen die Fülle des Weltwissens innerhalb des Kunstwerks präsent gehalten wird. Dies geschieht durch häufige Verweise auf alltagsweltliche Kenntnisse von Naturwissenschaft, Psychologie, Medizin, Gesellschaft oder Geschichte, wobei bes. das Auftauchen historischer Personen in literar. Texten einen „effet superlatif de réel“ (Barthes) darstellt. […] Systemtheoretisch ausgedrückt spielt der realistische Roman seine Selbstreferenz […] herunter zugunsten der Fremdreferenz auf das jeweils geltende gesellschaftliche Realitätsmodell, das seinerseits selbst den sekundären Status einer gesellschaftlichen Konstruktion hat (vgl. Barthes 1970). Wie sehr der Leser dieser „illusion referentielle“ (↗ Illusion, ästhetische) zu erliegen vermag, zeigt das Beispiel von Ch. Dickens’ oder H. de Balzacs Romanen, die trotz ihrer konventionellen Entwicklungs- oder LiebesPlots aufgrund der Fülle der Wirklichkeitsverweise als „realistisch“ wahrgenommen werden. Bereits in seinem Aufsatz „Über den Realismus in der Kunst“ (1921) hat R. Jakobson etliche der von Barthes weiterentwickelten Theorieansätze skizziert: das narrativ folgenlose Detail als Verfahren zur Erzeugung der Realismusillusion sowie die Übereinstimmung von im Text modellierter Wirklichkeit mit dem geltenden kulturellen oder literar. Wirklichkeitsmodell als Realismuskriterium. Dieses Kriterium ist später von G. Genette (1969) und T. Todorov (1987) unter dem

Begriff der „vraisemblance“ aufgegriffen und präzisiert worden, wobei wiederum darauf insistiert wird, dass die literar. produzierte Wahrscheinlichkeit nur ein Schein des Wahren sein kann. In einem erweiterten gesellschaftlichen Sinn verwendet daher St. Hall (1982) den Begriff des „reality effect“ als Synonym für Ideologie, die sich dadurch auszeichnet, dass scheinbar konstative Aussagen über „how things really are“ ihren performativen Status als gesellschaftliche Vorurteile zu verschleiern suchen. Bes. im modernen und postmodernen Roman wird durch spielerische Hervorkehrung des selbstreferentiellen Konstruktcharakters des Kunstwerks (Metafiktion) dieser ideologischen Naturalisierung entgegengewirkt.

Repräsentation (lat. repraesentatio: Darstellung/ Vertretung), der Begriff lässt sich im weitesten Sinn definieren als ein Prozess der Sinnkonstituierung, in dessen Verlauf die Komponenten Referenz und Performanz insofern eine eminente Rolle spielen, als sie Ambiguität und Neues schaffen. Repräsentation ist ein wesentliches Merkmal sprachlicher Prozesse, deren semiotische Dimensionen von F. de Saussure und Ch. S. Peirce ausgelotet und systematisiert wurden. Als Vermittlungsvorgang, der durch Verweisen und „Stellvertreten“ funktioniert, ist die Repräsentation ein integraler Bestandteil der Sprache(n) und Zeichensysteme in Kunst und Musik. Gleichzeitig bezeichnet sie in der Philosophie ein umstrittenes epistemologisches Problemfeld und betrifft in ihrer medialen Funktion eine große Bandbreite von Fächern: Seit der Antike ist Repräsentation ein Grundkonzept der Ästhetik (der allg. Theorie der Künste), der Semiotik (der allg. Theorie der Zeichen) und seit etwa 300 Jahren der Politik und Staatskunde. Die gemeinsame Struktur der semiotischen und politischen Repräsentation besteht in einer Dreiecksbeziehung (vgl. Mitchell 1995): Repräsentation ist jeweils eine Darstellung von etwas/jemand durch etwas/jemand für etwas/jemand. Die bei Repräsentation benutzten Zeichen gewinnen Bedeutung im Rahmen von Codes bzw. Systemen. Stil und Genre sind z.B. institutionalisierte Arten der Beziehung zwischen Repräsentationsmaterial und Repräsentiertem. – Historisch gesehen erstreckt sich die umfangreiche Diskussion der Repräsentation als Problembegriff von Platon, der Repräsentation als künstlerisch falsch ablehnt, über die Tabus der Religionen (Bilderfeindlichkeit und Ikonoklasmus) bis hin zu modernen Phänomenen wie Pornographie (Repräsentation sexueller Akte zur Stimulation) und den postmodernen Thesen, die Realität sei ein Netzwerk von „Artefaktualitäten“ und virtuellen Repräsentationen (vgl. J. Derrida 1996) und die Kunst eine Schrift, welche die Differenz zwischen Wahrnehmung und Kommunikation überbrücke (vgl. N. Luhmann 1995). Psychologen und Neurowissenschaftler haben im Rahmen der sog. „imagery debate“ erkannt, dass interne, mentale Repräsentationen en sowohl propositional (sprachartig) als auch bildhaft sind. Psychoanalytisch argumentierende Poststrukturalisten bezweifeln schließlich das Vermögen der Sprache schlechthin, Erfahrungen zum Ausdruck zu bringen (vgl. J. Kristeva 1997). Faszination und Problematik der Repräsentation liegen darin, dass wir mit ihr unseren Willen kundtun, während sie gleichzeitig im politischen und ästhetischen Bereich diesen Willen von uns trennt. Jede Repräsentation führt zu einem Verlust, zu einer Kluft zwischen Intention und Realisation, Original und Kopie. Der Gewinn bei der Repräsentation sind die Werke der Kunst, Musik und Literatur. In der Literatur verweisen Wörter bzw. Texte auf die externe Welt, auf andere Wörter/Texte, auf sich selbst oder auf den Verweisprozess an sich. W. Iser (1989) führt aus, dass der engl. Terminus representation mehrdeutig ist und die Vorstellung des Wiederholens und Abbildens (↗ Mimesis)) beinhaltet. Er verwendet Repräsentation daher im Sinne des dt. Konzeptes der Darstellung, um die Performanz (und nicht die Referenz) beleuchten zu können. Iser unternimmt eine Archäologie des Repräsentationsaktes saktes und zeigt, wie bei der Aktualisierung/Rezeption von Texten Vielstimmigkeit entsteht. Zwar erkennt er die Tatsache an, dass sich Repräsentation nur im Geist des Rezipienten entfalten kann und daher nicht ↗ Mimesis ist, sondern ein performativer Akt. Bedenklich ist jedoch Isers Tendenz (die in der Ablehnung des Dekonstruktivismus’ begründet ist), den Aspekt der Referenz auszuschließen und damit auch die Differenz, die Kunst und Lit. erst schafft.

W

Wahrnehmung, in Abgrenzung zu Modellen ästhetischer Erfahrung und Rezeptionsästhetik steht der Wahrnehmungsbegriff sbegriff allg. für das Subjekt-WeltVerhältnis. Wurde dieses Verhältnis in der älteren Tradition v. a. unter epistemologischen Fragen der Erkenntnisfähigkeit verhandelt, so hat die analytische

Philosophie drei Grundfragen ausdifferenziert: (a) Was sind die Objekte der Wahrnehmung (b) Welche epistemische Bedeutung kommt Wahrnehmung zu? (c) Was bedeutet die Aussage „Ich nehme etwas wahr“? In der Tradition nach R. Descartes wird Wahrnehmung v. a. als Problem der visuellen Ausstattung des Menschen diskutiert. Descartes analogisiert Wahrnehmung mit der „camera obscura“. Das wahrnehmende Subjekt sieht demnach nicht Objekte der äußeren Welt, sondern das Auge wird zum Ort, an dem sich deren Bilder einstellen. Das Auge bleibt an deren weiterer Prozessierung im Bewusstsein unbeteiligt. Gegen ein medial-mechanistisches Prinzip der Wahrnehmung setzt sich mit J.G. Hamann und J.G. Herder v.a. J.W. v. Goethe ab, indem er eine Restitution des Sinnlichen anstrebt, in der ein lebendiger Blick die Realität als Gegenwärtigkeit des Wirklichen hervorbringt. Erst eine von den Objekten ausgehende und doch schöpferische Wahrnehmung kann für den Künstler produktiv werden, will er das Stadium der ↗ Mimesis überwinden. Ähnlich konzeptualisiert die phänomenologische Wahrnehmungstheorie mit M. Merleau-Ponty (1967, S. 19) im Anschluss an E. Husserl das Auge als „Instrument, das sich selbst bewegt, und als Mittel, das seine Ziele selbst erfindet“. Kunst nehme „einen bestimmten Anstoß der Welt“ auf und erstatte ihn „dem Sichtbaren durch die Züge der Hand“ (ebd.) zurück. Konstitutiv für phänomenologische Wahrnehmungskonzepte ist der Unterschied zwischen Realität als dem, was der Fall ist, und Wirklichkeit als jenem, „was sich unter bestimmten Auswahlbedingungen verwirklicht“ (Waldenfels 1990, S. 207), also im Wahrnehmungsprozess erst konstituiert. Dabei wird der Wahrnehmungsprozess nicht als kausale Verkettung begriffen, sondern als simultanes Ergreifen der Präsenz des Objekts. […]

Wirklichkeitsbegriff, […] Seitdem die gr. Philosophen in einer undurchschauten dualistischen Startoperation mit Hilfe von Dichotomien wie Sein/Schein, Subjekt/Objekt, Sprache/ Bedeutung, Wirklichkeit/ Erkenntnis zu denken begannen, laboriert die europäische Philosophie an dem Problem herum, wie die automatisch reifizierten Pole der Dichotomie erkannt und ihre Beziehung zueinander bestimmt werden kann. Bis in die Neuzeit dominiert dabei die Vorstellung, Wirklichkeit sei das perí echon, gleichsam der Raum, in dem die Objekte und Ereignisse unserer Lebenswirklichkeit positioniert sind. Neben der dominanten Auffassung, Wirklichkeit sei das unabhängig von den Subjekten Bestehende, das durch geeignete kognitive Operationen objektiv erkennbar sei, hat sich seit Demokrit und den Skeptikern bis hin zu Konstruktivisten (↗ Konstruktivismus, radikaler) und Systemtheoretikern der Gegenwart eine alternative

Argumentation entfaltet, wonach Wirklichkeit nicht von ↗ Wahrnehmung und Erkennen und damit auch nicht von den erkennenden und wahrnehmenden Systemen getrennt werden kann. Wenn wir aber in der Wahrnehmung nicht hinter die Wahrnehmung zurückgehen können, um das Wahrgenommene mit dem noch nicht Wahrgenommenen im Hinblick auf die Richtigkeit der Wahrnehmung zu vergleichen, dann können wir über eine wahrnehmungsjenseitige Wirklichkeit nichts aussagen. Damit wird Wirklichkeit nicht etwa geleugnet, sondern die Hypothese vertreten, dass Wirklichkeit aus empirisch hoch konditionierten Prozessen des kognitiven, kommunikativen und poietischen Handelns von sozial interagierenden Aktanten im Rahmen einer Kultur resultiert (↗ Wirklichkeitskonstruktion). Damit wird der Wirklichkeitsbegriff prozessualisiert und temporalisiert, aber auch pluralisiert; denn nun ist die Konsequenz unvermeidlich, dass es genau so viele Wirklichkeiten gibt wie wirklichkeitskonstruierende Systeme. Aus der Einsicht in diese neue Ausgangsposition jedes Denkens ergeben sich erhebliche Anforderungen an unseren Umgang mit anderen Menschen, Kulturen und sozialen Institutionen, die jeden Anspruch auf absolute Wahrheiten sowie die Überlegenheit der eigenen Kultur obsolet machen und jedem von uns ein hohes Maß an Toleranz und Verantwortung abverlangen.

Wirklichkeitskonstruktion, der umgangssprachliche Begriff „Konstruktion“ bezieht sich auf die bewusste und geplante Herstellung von Entitäten. Daher war es eine unglückliche Begriffswahl, die von kognitiven Systemen geleistete Konstitution sinnhafter Erfahrungswirklichkeit als Konstruktion zu bezeichnen (↗ Wirklichkeitsbegriff Wirklichkeitsbegriff). Im konstruktivistischen Diskurs (↗ Konstruktivismus, radikaler) bezeichnet Wirklichkeitskonstruktion den hochkomplexen Prozess, in dem durch das selbstorganisierte Zusammenwirken von kognitiven, kommunikativen und poietischen Aktivitäten im Rahmen gesellschaftlich verbindlicher symbolischer Ordnungen (bzw. kultureller Programme) die Erfahrungswirklichkeiten emergieren, die die beteiligten Systeme als Wirklichkeiten erleben. Prozesse der Wirklichkeitskonstruktion operieren auf bisher gewonnenem Wissen und stabilisieren sich in Anschlussoperationen. Da dieses Wissen nur von kognitiven Systemen erzeugt und in Interaktionen und Kommunikationen bewährt werden kann, kommt als Referenz wie als Legitimation von Wirklichkeitskonstruktion nicht etwa „die Realität“ in Frage, sondern der komplizierte sich selbst steuernde und legitimierende Interaktionsprozess zwischen Kognition, Kommunikation, Medien und Kultur. In Gesellschaften mit entwickelten Mediensystemen wirken Medien als sozio-technische Systeme wie als Systeme von Medienangeboten entscheidend an der alltäglichen Wirklichkeitskonstruktion mit. Ihre Wirklichkeitskonstruktionen, die in aller Regel nicht auf selbsterlebte Ereignisse der Mediennutzer bezogen werden können, liefern die Versatzstücke, aus denen sich die Mitglieder von Medienkulturgesellschaften ihre eigenen Wirklichkeitskonstruktionen zusammenbauen. Dabei ist eine Trennung von Lebenswirklichkeit und Medienwirklichkeit illusorisch, da die sog. Lebenswirklichkeit längst so in die Medienkulturgesellschaft eingebettet ist, dass Selektionsmechanismen und Inszenierungsstile der verschiedenen Mediensysteme die Verfahren wie die Interpretationen individueller Wirklichkeitskonstruktion prägen.

QUELLE: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, Ansätze-Personen-Grundbegriffe; Ansgar Nünning (Hrsg). 4. aktualisierte Auflage Stuttgart/Weimar 2008.


MAGAZIN

TEXT: JOHANNES LACHERMEIER

Näher ran

ILLUSTRATION: MARIA CORTE

Vor gut zehn Jahren verbreiteten sich die sozialen Medien in Deutschland – und auch die Opernhäuser konnten sich dem in der Folge nicht mehr entziehen. Die Staatsoper Stuttgart tummelt sich bereits seit 2010 auf Facebook, Twitter, YouTube und neuerdings auch auf Instagram. Doch wofür das eigentlich alles? Ein paar Gedanken dazu, warum Social Media und das Web insgesamt für Opernhäuser und Publikum heute nicht mehr wegzudenken sind.

Fangen wir doch mit ein paar ganz konkreten Beispielen an: Ihnen hat die Wiederaufnahme Ihrer Lieblingsoper ganz besonders gut gefallen – oder eben überhaupt nicht? Sie haben sich schon immer gefragt, was eigentlich die Funktion eines Kapellmeisters ist? Was war das eigentlich für eine Zugabe nach dem Sinfoniekonzert? Früher musste man einen Brief schreiben, im Lexikon nachschlagen oder anrufen. Und heute? Hat man’s deutlich einfacher: Ein Kommentar auf Facebook, ein Tweet – und nach Kurzem erfolgt die Antwort von der Staatsoper. Und auch das MAGAZIN auf der Website der Staatsoper erklärt immer wieder komplexe Zusammenhänge, stellt Menschen und Produktionen vor und gewährt den berühmten Blick hinter die Kulissen. Das Internet hat seit Ende der 90er Jahre vieles vereinfacht. Und ganz besonders das Social Web hat uns nochmals näher zusammenrücken lassen: Zuschauer*innen, Künstler*innen und Opernhäuser liken, teilen und kommentieren, tauschen sich aus und kommen ins Gespräch. Vielleicht waren sich die Institution Oper und ihr Publikum in ihrer 400-jährigen Geschichte nie näher als heute: Livestreams bringen Aufführungen direkt von der Bühne in die entlegensten Winkel der Erde – mehr als einen Internetanschluss und einen Rechner braucht es dafür nicht. In Foren lässt sich mit Gleichgesinnten (oder ganz anders Denkenden) über Aufführungen, Inszenierungen, Aufnahmen diskutieren. Auf Facebook, Twitter und Instagram kann man jederzeit mit Häusern und Institutionen in Austausch treten, nachfragen, loben und kritisieren – und erhält prompt Rückmeldung. In Blogs, oder wie an der Staatsoper Stuttgart im MAGAZIN, erzählen die Häuser aus dem Leben abseits der Bühne, berichten Hintergründiges, Witziges – und hoffentlich immer Bereicherndes.

Und wer jetzt denkt, das sei alles unpersönlich und zu weit weg vom Leben, ist herzlich zu unserem nächsten Instawalk eingeladen: Bei der ersten Veranstaltung dieser Art an der Staatsoper Stuttgart kamen kürzlich im Rahmen einer Aufführung von Prokofjews Die Liebe zu drei Orangen rund 20 Nutzer*innen der audiovisuellen Plattform Instagram ins Opernhaus, sahen die Vorstellung, nahmen sich aber auch Zeit, das Opernhaus vor, auf und hinter der Bühne zu erkunden – gemeinsam, mit Fotoapparat oder Smartphone. Herausgekommen sind dabei nicht nur fantastische Aufnahmen, sondern auch ein fröhlicher Abend unter Opernenthusiasten und Liebhabern außergewöhnlicher Orte und Happenings. Und schließlich steht im Mittelpunkt all dieser Bemühungen dann doch das Opernerlebnis – und zwar völlig analog: Denn was wären Facebook, Twitter und Instagram, die Livestreams und das MAGAZIN schon ohne das, was auf der Bühne passiert? Und so ist es vielleicht am Ende doch am schönsten, für einige Stunden das Smartphone abzuschalten, wenn der Saal dunkel wird, und sich auf das zu konzentrieren, was auf der Bühne passiert. Und nach dem Opernabend? Sagen Sie uns Ihre Meinung! Folgen Sie uns! Wir freuen uns auf Sie. Folgen Sie der Staatsoper Stuttgart! www.staatsoper-stuttgart.de/magazin


28.12.2018

SAISON 18/19

→  /MAGAZIN/OPERNMOMENT

In den ersten Monaten der Saison haben wir im MAGAZIN bereits einige Geschichten erzählt. Hier kommt eine Auswahl davon!

Ihr Opernmoment 2018

Der Orangen-Vlog

Was hat unser Publikum im vergangenen Opernjahr ganz besonders beeindruckt und bewegt? Was war 2018 Ihr schönstes, emotionalstes oder  auch aufwühlendstes Erlebnis an der Staatsoper Stuttgart? An Heiligabend haben wir in unserem Rätsel-Adventskalender gefragt, was Ihnen ganz besonders gefallen hat – und viele von Ihnen haben geantwortet.

Wie liefen die Proben zu Die Liebe zu drei Orangen? Im Vorfeld zur Premiere von Sergej Prokofjews Oper zeigten Bianca Knuelle und Nils Pieper, Auszubildende in der Ton- und Videoabteilung der Staatsoper, in ihrem vierteiligen Vlog, wie diese Produktion entstand. Ob auf der Probebühne, in der Kostümwerkstatt, beim Videokünstler oder bei der Bühnenbildnerin: Überall war die Kamera dabei und fing ebenso unterhaltsame wie aufschlussreiche Momente ein.

→  /MAGAZIN/PAKETPOSTAMT

24.10.2018

Das Paketpostamt wird zur Opernbühne Die Aufführung von Béla Bartóks Herzog Blaubarts Burg im ehemaligen Paketpostamt war für die Technik der Staatsoper Stuttgart ein Kraftakt: Innerhalb kurzer Zeit musste die Industriehalle ohne jegliche technische Infrastruktur zur Opernbühne werden. Unsere Fotogalerie dokumentiert die Aufbauarbeiten im Paketpostamt – wenige Tage, bevor dort die szenischen Proben begannen und der Boden der Halle geflutet wurde.

→  /MAGAZIN/POLINESSO

28.11.2018

→  /MAGAZIN/KAPELLMEISTER

20.12.2018

Der Kapellmeister bei den Proben zu La Bohème

→  /MAGAZIN/BUEHNENBILD-PIQUE-DAME

Was ist das eigentlich – ein Kapellmeister? Wir haben Thomas Guggeis, Kapellmeister der Staatsoper Stuttgart und Assistent des Generalmusikdirektors Cornelius Meister, bei einer Probe zur Wiederaufnahme von Puccinis La Bohème begleitet. Ein Video, in dem Sie dem Entstehungsprozess einer Oper so nah kommen wie selten zuvor!

→  /MAGAZIN/ICHBINKUNST

27.12.2018

Party mit Polinesso

Ich bin Kunst!

Wenn Polinesso in Jossi Wielers und Sergio Morabitos Inszenierung von Georg Friedrich Händels Ario­ dante zum Fotoapparat greift, drehen alle anderen durch: Sobald Yuriy Mynenko in seiner Rolle als Intrigant zum Paparazzo wird, werfen sich alle Figuren in Pose, tauschen wie wild ihre Kostüme, schäkern – und scheinen mächtigen Spaß zu haben. Doch was fotografiert Polinesso da eigentlich? Wir haben seine Speicherkarte mal in unseren Rechner gesteckt.

Individualität und Selbstverwirklichung sind die Themen heutiger junger Menschen – und sie waren es auch bereits für die jungen Kreativen des 19.  Jahrhunderts. Hanna Schlieder, Mitarbeiterin der Staatsoper und selbst Millenial, nimmt Andrea Moses’ Inszenierung von La Bohème zum Anlass, einmal selbstkritisch über Selbstinszenierung und das Ich als Ware nachzudenken.

26.1.2019

14.1.2019

Auf den Spuren der Pique Dame Wussten Sie, dass Puschkins Figur der Pique Dame, die Tschaikowskis gleichnamige Oper zu Grunde liegt, der ganz realen Fürstin Natalja Golizyna folgte? Bevor Jossi Wieler und Sergio Morabito sich mit ihrer Bühnenbildnerin Anna Viebrock an die Konzeption machten, reisten sie auf ihren Spuren nach Sankt Petersburg. Und wie die Fürstin Golizyna zum Prototyp für Puschkins Novelle, wurde ihr Stadtpalais zur Inspiration des Bühnenbilds. Ein Vergleich zwischen russischer Realität und ihrer Überführung in Bühnenwirklichkeit.

Er fa

→  /MAGAZIN/ORANGENVLOG1

→  /MAGAZIN/CLORINDAUNDTISBE

23.1.2019

Clorinda und Tisbe go wild Die beiden würden sooo gern in Don Ramiros Armen liegen – doch am Ende kriegt jedes Mal Angelina den Traumprinzen: Clorinda und Tisbe sind in Rossinis La Cenerentola Aschenputtels neidische Stiefschwestern. Wir sind den beiden Sängerinnen Catriona Smith und Maria Theresa Ullrich durchs Opernhaus gefolgt und haben sie dabei begleitet, wie sie allen anderen Bühnenfiguren und dem Regieassistenten ganz gehörig auf die Nerven gehen.

hre nS A Stu ngebo ie als E ttg rst te erfa ar t! In n der S e von n ta u h e das n Wic ren Sie serem atsop uen h a New er tigs lle z info w sl rma te a tiv u us de ei Woc etter hen r St nd h inte aats J rgrü oper ww w.s etzt ab , ndi taa g! o n nier tsop e new er-stu n: ttga slet rt.d ter e/


FÜR SAUBERE BÜHNEN AUF DER GANZEN WELT. Im Rahmen seines Kultursponsorings hat Kärcher seit 1980 weltweit über 140 Denkmäler restauratorisch gereinigt – von den Kolonnaden des Petersplatzes in Rom bis zu den Präsidentenköpfen am Mount Rushmore. In Stuttgart hat Kärcher nicht nur die Freitreppe neben dem Kunstmuseum von Schmutz befreit, sondern auch Reinigungsarbeiten an der Grabkapelle auf dem Württemberg, an der Calder-Plastik vor dem Kunstmuseum, an der Hospitalkirche und der Jubiläumssäule auf dem Schlossplatz durchgeführt. www.kaercher.com

23.2. – 5.5. 2019 Gefördert von

In Kooperation mit

Abb. / Fig.: Lorenza Böttner, ohne Titel / Untitled, 1984 © Privatsammlung, alle Rechte vorbehalten / Private collection, all rights reserved

Lorenza Böttner

reQUIeM QUI nor norM FÜr DIe FÜr

For tHe


Kubus. Fotografie Sinje Dillenkofer Peter Granser Annette Kelm Armin Linke KUNSTMUSEUM-STUTTGART.DE

Stiftung Kunst und Kultur

der Sparda-Bank Baden-Württemberg

23.3.––23.6.2019

Sparda-Kunstpreis


Mrz

19 Apr

19 Mai

19 Jun

19 Jul

19

Informationen

Fr

1

Il barbiere di Siviglia  ↤

Mi

3

5. Kammerkonzert

Do

2

Iphigénie en Tauride

Sa

1

Die drei Räuber  nm

Mo

1

Sa

2

Die sieben Todsünden *  → SH

Fr

5

Madama Butterfly  ↤

Fr

3

Nixon in China

So

2

So

3

Einführungsmatinee Der Prinz von Homburg  vm

Sa

6

Der Prinz von Homburg

Sa

4

Mi

3

Lollo  vm → N Der fliegende Holländer  ↤

Mi

6

4. Kammerkonzert

So

7

Nixon in China

Rotkäppchen  nm → N Der Prinz von Homburg  ↤

Einführungsmatinee Mefistofele  vm Ariadne auf Naxos

Kasimir lässt Frippe machen  vm

Lunchkonzert

Do

4

Mefistofele

Legende

Do

7

Medea  ↤

5. Liedkonzert

Rotkäppchen  nm → N Iphigénie en Tauride

3

8

5

Mo

Mo

So

Di

4

Lollo  vm → N

Sa

6

Fr

8

Les Contes d’Hoffmann

Di

9

Die Liebe zu drei Orangen

Di

7

Rotkäppchen  vm → N

Mi

5

Mi

8

6. Kammerkonzert

7

Antigone-Tribunal  → N

radioshow nr. 2

So

9

10

Antigone-Tribunal  nm → N Die sieben Todsünden *  → SH

Do

9

Nixon in China

Lollo  vm → N

10

La Bohème

6

So

Do 11

Do

7. Sinfoniekonzert  vm Mefistofele

Oper/Konzert/JOiN Premiere Repertoire 1. Vorstellung Sitzkissenkonzerte/Sonderveranstaltungen

Sa

Mi

Ariadne auf Naxos (Gastspiel in Köln)

Lollo  nm → N Salome

Nixon in China

Fr

10

Iphigénie en Tauride

Così fan tutte

7. Sinfoniekonzert

12

7

8

Fr

Fr

Mo Mi

10

Sa

13

wirklich wirklich – Ein Wirklichkeitskongress  → N

Sa

11

Do 11

So

14

5. Sinfoniekonzert  vm Einführungsmatinee Iphigénie en Tauride  vm Die Liebe zu drei Orangen

Nixon in China  ↤ Rotkäppchen  nm (Gastspiel in Köln)

Lollo  vm → N Salome Lollo  vm → N Norma

So

12

Iphigénie en Tauride  nm

Fr

12

Mefistofele  ↤

Sa

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Lollo  nm → N

So

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Norma

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Les Contes d’Hoffmann

Di

12

Antigone-Tribunal  → N

Mi

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Lunchkonzert Les Contes d’Hoffmann  ↤

Do 14

Antigone-Tribunal  → N

Fr

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Madama Butterfly

Sa

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Antigone-Tribunal  → N

So

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Der Prinz von Homburg

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Konzert Opernstudio

Di

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Antigone-Tribunal  → N

Mi

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Der Prinz von Homburg Antigone-Tribunal  → N

Do 21

Madama Butterfly

Fr

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Der Prinz von Homburg Antigone-Tribunal  → N

Sa

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Die sieben Todsünden *  → SH Antigone-Tribunal  → N

So

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Antigone-Tribunal  → N

Do 28

Antigone-Tribunal  → N

Fr

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Der Prinz von Homburg Antigone-Tribunal  → N

Sa

30

Die sieben Todsünden *  → SH  ↤ Antigone-Tribunal  → N Lange Nacht der Minimal Music

So

31

5. Sinfoniekonzert

Sa

Nixon in China

20

Die drei Räuber  vm Familienkonzert

Di

Die drei Räuber  vm Iphigénie en Tauride

14

Ariadne auf Naxos

Do 13

Lollo  vm → N

Sa

15

Ariadne auf Naxos

So

16

Mefistofele

Di

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Così fan tutte  ↤

Mi

19

Mefistofele

Do 20

Der fliegende Holländer

Fr

21

Ariadne auf Naxos  ↤

Sa

22

Mefistofele Control CTRL  → N

Mo 22

Die Liebe zu drei Orangen  ↤

Do 16

Rotkäppchen  vm → N

Di

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Lunchkonzert

Sa

18

Rotkäppchen  nm → N

So

28

Iphigénie en Tauride

So

19

Iphigénie en Tauride

Di

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La Bohème  ↤

Mo 20

Die drei Räuber  vm

So

Di

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Rotkäppchen  vm → N 6. Liedkonzert

Mo 24

Mefistofele

Mi

22

Rotkäppchen  vm → N

Mi

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7. Kammerkonzert

Sa

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Kasimir lässt Frippe machen  nm Mefistofele

So

30

Der fliegende Holländer  nm

Modern Times  vm (Filmkonzert) Madama Butterfly

26

Di

Mo 15

Mo 13

Mo 10

Do 23

Die drei Räuber  vm

Fr

24

Rotkäppchen  vm → N

Sa

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Lollo  nm → N Singend durch den Spielplan  nm

So

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6. Sinfoniekonzert  vm Rotkäppchen  nm → N Così fan tutte

Mo 27

Di Mi

Rotkäppchen  vm → N

29

Lollo  vm → N

Do 30

Einführungsmatinee Nixon in China  vm Antigone-Tribunal  → N

Der fliegende Holländer

Kasimir lässt Frippe machen  vm Lunchkonzert Salome

Mi

Kasimir lässt Frippe machen  vm Norma  ↤

Intendant Viktor Schoner Generalmusikdirektor Cornelius Meister Konzeption und Redaktion Barbara Eckle (BE), Sabine Frank, Ingo Gerlach (IG), Miron Hakenbeck (MH), Johannes Lachermeier, Franz-Erdmann Meyer-Herder, Julia Schmitt, Christoph Sökler, Elena Tzavara

Così fan tutte Iphigénie en Tauride  ↤

17

Do 18

Herausgeber Staatsoper Stuttgart Oberer Schlossgarten 6 70173 Stuttgart

Die drei Räuber  vm 6. Sinfoniekonzert

28

23

Mo 15

Salome  ↤

Mit Beiträgen von Josef Bairlein, Titus Engel, Christian Hermes, Stefano Montanari, Sergio Morabito, Maria Muhle, Àlex Ollé, Marco Štorman, Eckhard Weber Bildredaktion Julia Schmitt Konzeption und Gestaltung collect Helen Hauert, Barbara Stehle, Davide Durante www.studiocollect.de Bildbearbeitung Wagnerchic. Postproduktion & Retouching

Karten für die einzelnen Vorstellungen sind jeweils zwei Monate vor dem Vorstellungstermin telefonisch, online oder persönlich an der Theaterkasse erhältlich.

keine Angabe vm nm ↤ *

abends vormittags nachmittags letzte Vorstellung in dieser Saison Koproduktion mit dem Stuttgarter Ballett und dem Schauspiel Stuttgart

Spielstätte keine Angabe Opernhaus (inkl. Foyers) → SH Schauspielhaus → N Nord Die Sinfonie- und Kammerkonzerte finden in der Liederhalle statt.

Sonn- und Feiertage Wir danken unseren Partnern und dem Förderverein der Staatstheater Stuttgart e.V.

Für die Originalbeiträge und Originalbilder alle Rechte vorbehalten. Urheber, die nicht zu erreichen waren, werden zwecks nachträglicher Rechteabgeltung um Nachricht gebeten. Redaktionsschluss: 1.3.19 Änderungen vorbehalten Die Zeitung erscheint am 6.3.19 Auflage: 30.000 Druck Pressehaus Stuttgart Druck GmbH Plieninger Straße 150 70567 Stuttgart

PRODUKTIONEN: MRZ 19 –JUL 19

MEDEA

LETZTE VORSTELLUNG IN DIESER SAISON

7.3.19

VON LUIGI CHERUBINI Musikalische Leitung: Marie Jacquot Regie: Peter Konwitschny

LES CONTES D’HOFFMANN

MEFISTOFELE

VON GIACOMO PUCCINI Musikalische Leitung: Cornelius Meister/  Thomas Guggeis Regie: Andrea Moses

VON ARRIGO BOITO Musikalische Leitung: Daniele Callegari Regie: Àlex Ollé (La Fura dels Baus)

11./30.4.19

8./ 11./ 13.3.19

VON JACQUES OFFENBACH Musikalische Leitung: Marc Piollet Regie: Christoph Marthaler

REPERTOIRE

LA BOHÈME

ab 16.6.19 NEUPRODUKTION

REPERTOIRE

DIE SIEBEN IPHIGÉNIE TODSÜNDEN/ DER PRINZ EN TAURIDE SEVEN VON HOMBURG ab 28.4.19 HEAVENLY SINS ab 17.3.19 → S. 6

REPERTOIRE

→ S.20

→ S.10

VON KURT WEILL/PEACHES Musikalische Leitung: Stefan Schreiber Regie: Anna-Sophie Mahler feat. Peaches NEUPRODUKTION

MADAMA BUTTERFLY

15./ 21./ 24.3. + 5.4.19 VON GIACOMO PUCCINI Musikalische Leitung: Eun Sun Kim/ Thomas Guggeis → 15., 21.3. Regie: Monique Wagemakers REPERTOIRE

→ S.23

NIXON IN CHINA

→ S. 18

ab 7.4.19

VON JOHN ADAMS Musikalische Leitung: André de Ridder Regie: Marco Štorman NEUPRODUKTION

DIE LIEBE ZU DREI ORANGEN 9./ 14./ 22.4.19

VON SERGEJ PROKOFJEW Musikalische Leitung: Alejo Pérez Regie: Axel Ranisch

COSÌ FAN TUTTE

REPERTOIRE

→ S. 23

VON RICHARD STRAUSS Musikalische Leitung: Roland Kluttig Regie: Kirill Serebrennikov

VON WOLFGANG AMADEUS MOZART Musikalische Leitung: Cornelius Meister Regie: Yannis Houvardas

REPERTOIRE

NORMA

REPERTOIRE

ab 2.6.19

SALOME

→ S. 23

ab 6.7.19

ab 26.5.19

ARIADNE AUF NAXOS

→ S. 23

VON RICHARD WAGNER Musikalische Leitung: David Afkham Regie: Calixto Bieito

NEUPRODUKTION

NEUPRODUKTION

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER ab 20.6.19

VON CHRISTOPH WILLIBALD GLUCK Musikalische Leitung: Stefano Montanari Regie: Krzysztof Warlikowski

VON HANS WERNER HENZE Musikalische Leitung: Cornelius Meister/ Thomas Guggeis → 29.3., 6.4. Regie: Stephan Kimmig

2./ 10./ 23./ 30.3.19

→ S. 24

→ S. 22

→ S. 23

ab 11.7.19

VON VINCENZO BELLINI Musikalische Leitung: Giacomo Sagripanti Regie: Jossi Wieler, Sergio Morabito REPERTOIRE

VON RICHARD STRAUSS Musikalische Leitung: Cornelius Meister Regie: Jossi Wieler, Sergio Morabito REPERTOIRE

NEUPRODUKTION

Intendant Viktor Schoner Generalmusikdirektor Cornelius Meister

KARTEN: 0711 20 20 90 STAATSOPER-STUTTGART.DE


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