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Gesprächsstoff

Die literarische (Wieder-) Entdeckung des Monats von Katrin Hartmann

Auch die Mitarbeiter:innen des Staatstheaters freuen sich immer wieder, wenn sie in unserer Büchertauschzelle vor dem Haupteingang Besonderes entdecken:

Das Kinderbuch ‚Peter Rabbit und seine Freunde‘ erschien im Jahr 1902 zum ersten Mal, in Großbritannien. Auch 120 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung ist dieser weltweite Kinderbuchklassiker immer wieder neu herausgebracht worden. Ein besonders schönes Exemplar aus der Insel-Bücherei habe ich in unserer Büchertauschzelle gefunden. Peter Hase und seine Freunde haben vor allem Schabernack im Sinn. Sie schleichen sich in den Garten von Mr. McGregor, um Gemüse zu naschen, und besuchen neue Freunde. Die kurzen Geschichten der tierischen Helden erzählen von kleinen Abenteuern in der von Seen, Wäldern und Bergen geprägten Landschaft des Lake District. Die Autorin des Buches, Beatrix Potter, wurde 1866 in London in die englische Mittelschicht geboren. Sie schrieb und illustrierte ihre Geschichten selber, womit sie ihr eigenes Geld verdiente. Ohne zu heiraten, zog sie bei ihren Eltern aus und führte ein eigenständiges Leben als Autorin, Illustratorin und Schafzüchterin. Schon zu ihren Lebzeiten gehörten ihre Bücher zu den Klassikern der englischen Kinderliteratur. Es gibt Kinderbücher, die so zeitlos, bezaubernd und wunderschön illustriert sind, dass auch Erwachsene immer wieder in ihren Bann gezogen werden. Peter Rabbit gehört eindeutig dazu.

Gewürfelt, nicht sortiert

Ihr drei seid das Produktionsteam für das Stück ‚Liebe Grüße ... oder wo dat Leven henfallt‘. Stellt euch doch bitte kurz vor.

Myrin Sumner

Ich bin Myrin Sumner und arbeite seit der Spielzeit 2020/ 21 als Regieassistentin am Oldenburgischen Staatstheater. Matthias Grön hat mich gefragt, ob ich ein Kinder- und Jugendstück inszenieren möchte. Und da habe ich natürlich dankend angenommen. Zu meinen Aufgaben gehören die Auseinandersetzung mit dem psychologischen Inhalt und den Figurenhintergründen sowie die inszenatorische Umsetzung als Regisseurin während der Probenzeit.

Mit Nina habe ich schon zusammengearbeitet; ich mag ihre Ästhetik und offenherzige Art. Jonas Musik und seine präzise Arbeitsweise haben mir immer sehr gut gefallen. Es war also direkt klar, dass ich die beiden für die Produktion anfragen würde.

Jonas Zolper: Ich bin Jonas Zolper und habe in Göttingen und Oldenburg Musikwissenschaften und Integrated Media (Audiovisuelle Medien) studiert. Ich erstelle die Musik und das Sounddesign für die Produktion. Neben der Musikproduktion für Myrins ‚Kavaliersdelikt‘ ist dies meine zweite musikalische Mitarbeit im Theaterkontext.

Nina Aufderheide: Mein Name ist Nina Aufderheide und ich bin die Ausstatterin der Produktion. Ich habe Szenografie in Hannover studiert, bevor ich 2020 als Produktionsassistentin an das Ol-

Liebe Grüße

denburgische Staatstheater gekommen bin. Dass Myrin und ich toll zusammenarbeiten können, hat sich recht schnell abgezeichnet, denn in ästhetischen Fragen sind wir uns eigentlich immer sofort einig. Außerdem schätze ich Myrins psychologische Herangehensweise sehr.

Das Stück findet im Rahmen der Kooperation mit dem OhnsorgTheater Hamburg statt und ist ab 8 Jahren. Eigentlich spricht es aber gleich drei Generationen an. Worum geht es?

MS: Kurz zusammengefasst handelt das Stück von einem Jungen namens Moritz, der durch diverse Ansichtskarten seiner Großmutter in der Lage ist, in der Zeit zu reisen. Auf diese Weise lernt er seine eigenen familiären Hinter- gründe kennen, die ihm ein Verständnis darüber geben, warum seine Oma Mathilde an Panikattacken leidet und sein Vater Fabian so überfürsorglich ist.

Myrin, warum hast Du als Regisseurin dich für diesen Stoff entschieden?

MS: Mein Hauptinteresse liegt in den psychologischen Aspekten dieses Stücks. Auf kindliche Art und Weise werden von Moritz wesentliche Charakterzüge und Verhaltensweisen der zwei Generationen Vater und Großmutter ergründet. Einerseits ist dort die mögliche Auswirkung auf die Psyche durch ein fehlendes Elternteil erkennbar, andererseits behandelt das Stück den Einflusvon psychisch labilen Elternteilen für ihr Kind. Damit können sich viele Kinder und Eltern identifizieren, sodass ich ‚Liebe Grüße…‘ für ein ganz wichtiges Stück halte.

Im Stück wird Hoch- und Niederdeutsch gesprochen. Muss man Niederdeutsch können, um etwas zu verstehen?

MS: Nein, auch ich verstehe Niederdeutsch nur teilweise. Umso wichtiger ist es mir, einen guten Umgang mit der Sprache zu finden und das Stück für alle Zuschauer verständlich zu machen. Mathilde ist als Großmutter diejenige, die tendenziell Niederdeutsch spricht, jedoch darauf reagiert, wenn ihr Enkelsohn Moritz sie nicht gut versteht. Inhaltlich wesentliche Stellen werden also auf Hochdeutsch gesprochen und wiederholt. Durch den Ge - nerationenunterschied finde ich diesen Umgang ganz authentisch.

Nina und Jonas, könnt Ihr schon etwas über die ästhetische Umsetzung und die Musik verraten?

JZ: Die Musik befindet sich noch am Anfang ihres Entstehungsprozesses. Ich werde vollständig vorproduzieren und dabei vorwiegend mit verschiedenen akustischen Instrumenten, Geräuschen, gefundenen Klängen und deren Verfremdung durch digitale und analoge Effekte arbeiten. Klangästhetisch stehen dabei also eher die Entwicklung von Soundscapes und Atmosphären durch die Verwischung der Grenze zwischen Musik und Sound im Vordergrund.

NA: Mathildes ganzes Leben spielt sich in ihrer Wohnung ab. Bei der ästhetischen Ausarbeitung des Bühnenbildes war mir sehr wichtig, dass man direkt wahrnimmt, dass diese Wohnung ihre ganze Welt ist.

Das Bühnenbild ist als Fragment dieser Welt zu verstehen, nicht ganz real, ein bisschen eigentümlich.

Beim Lesen kommt der Wunsch nach Dynamik innerhalb dieser kleinen Räumlichkeit auf. Daher versteckt sich in unserer Bühne eine kleine Verwandlungsmöglichkeit. Außerdem möchten wir mit bestimmten Farbwelten für die einzelnen Charaktere spielen, um Vorgänge wie Zeitsprünge für kleine Besucher:innen verständlicher zu machen.

Vielen Dank!

Die Fragen stellte Nora Hecker.

Feministische Theatertechnik, feministisches Gaming

Das Kamera-Auge fängt einen Theaterraum ein. Eine Blackbox, in deren Mitte ein Hubwagen steht – als seien die Lichttechniker:innen eben in der Mittagspause. Vorne im Bild liegt eine Rolle Tanzteppich; außen blau, innen grün. Wie von Zauberhand wird der Teppich dann ausgerollt und die Kamera fängt an sich zu bewegen. Nun blickt sie aus einer Egoshooter-Perspektive auf den Theaterraum und schreitet mit einem virtuellen Körper über den grünen Untergrund. Die Schritte klingen, als würde der virtuelle Körper über verschiedene Böden gehen. Dann wird der Tanzteppich zum Greenscreen und es tut sich eine bunte Welt auf, in die die Kamera hinabtaucht. Eine Computerspielwelt, in der die Zuschauer:innen einem ersten

Avatar begegnen, dessen sexuelle Orientierung scheinbar ausgewählt werden kann: Heterosexuell? Homosexuell? Bisexuell?

Doch sofort erscheint ein Warnhinweis, der vor dem Heteronormativitätsvirus warnt und einen Neustart ankündigt.

Dies ist eine Szene aus ‚A Room of Our Own‘, einer Videoarbeit des feministischen Performance-

Kollektivs Swoosh Lieu, die während des Corona-Lockdowns im Winter 2020/21 entstand. Die Szene deutet schon an, welche Themen beim Diskursgewitter der Sparte 7 am 28. April verhandelt werden: Theaterraum, Theatertechnik, Gaming, Queerfeminismus. Der gesamte Film (ca. 30 Minuten) ist dann am 29. April im Rahmen des Technical Showrooms zu sehen.

Beim Diskursgewitter wird zunächst Finja Walsdorff über ihre wissenschaftliche Arbeit im Bereich Feminismus und Gaming sprechen. Walsdorff forscht und lehrt an der Universität Siegen und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf im Bereich Medienkulturwissenschaft zu den Themenfeldern Gender und Games, Streaming und E-Sport. In ihrer Dissertation beschäftigt sie sich mit der deutschsprachigen Streaming- und E-Sport-Szene mit einem Fokus auf weibliche Spielerinnen. Anschließend berichtet Rosa Wernecke aus der künstlerischen Praxis des Kollektivs Swoosh Lieu. Seit 2009 arbeitet das feministische Kollektiv an Performances, Hörspielen, Installatio- nen und digitalen Formaten.

Johanna Castell, Katharina Pelosi und Rosa Wernecke verstehen Theater von seinen Rändern her, bestimmt durch den Einsatz der technischen Mittel und Gewerke; Raum, Ton, Licht und Video. Sie stellen nicht einen Text oder eine Narration als zentralen Fluchtpunkt in das Zentrum ihrer Arbeit, sondern suchen nach einem gleichberechtigen, basisdemokratischen Austausch unter Kolleg:innen und einem ebensolchen Kompositionsverfahren mit den Mitteln des Theaters. Diese Arbeitsweise bezeichnet das Kollektiv als „Demokratie der Mittel“. Was diese Demokratie der Mittel für sie bedeutet, darüber spricht Rosa Wernecke in Bezug auf die cyberfeministische Trilogie; bestehend aus ‚A Room of Our Own‘ (Video, 2021), ‚A “MANIFESTO” OF= {EVERY} ONE.S OWN‘ (Installation, 2022) und ‚Dea Ex Machina‘ (Performance, 2021).

Diese drei Arbeiten sind in ihrer Entwicklung und Themensetzung stark von den Erfahrungen geprägt, die Swoosh Lieu im Zusammenhang mit Covid-19 gemacht haben. In der Zeit des

Lockdowns haben sie sich auch Fragen nach der Arbeit im Theaterraum noch einmal neu gestellt. In einem Text über ‚A Room of Our Own‘ benennen die Künstlerinnen einige dieser Fragen: „Welche Räume brauchen wir, um unabhängig zu sein? Welche Räume sind gefährlich für uns, welche erzeugen Ausschlüsse? Welche Räume haben wir uns erkämpft? Von welchen Räumen träumen wir?“ (Zitat aus: ‚Transformationsprozess: Herausforderungen und Erkenntnisse durch Corona‘. In: LaProf, (Post)Pandemisch performen. Ästhetische Strategien)

Das könnten auch Fragen sein, über die Rosa Wernecke anschließend mit dem Publikum ins Gespräch kommt. Vielleicht ergeben sich aber auch ganz andere Themen rund um Feminismus und Theatertechnik. VK

Diskursgewitter, 28.04., 20 Uhr, Exhalle

‚A Room of Our Own‘ ist zu sehen im Technical Showroom am 29.04. in der Exhalle, Startzeiten werden noch angekündigt

Viele Menschen werden bei estnischer Musik vermutlich zunächst an Arvo Pärt denken. Inwieweit spiegelt seine meditative Musik die Mentalität des Landes wider?

Arvo Pärt ist wohl wirklich einer der wichtigsten Komponisten Estlands. Dabei scheint vielen Menschen nicht bewusst zu sein, dass seine Musik nicht immer so war. Hört man sich seine (frühen) Klavierwerke an, dann ist die Musik sehr witzig und man kann sich nicht vorstellen, dass das tatsächlich derselbe Komponist ist. Mein Lehrer erzählte mir, dass er sich einmal zusammen mit Arvo Pärt einen Film anschaute, in dem über vier Stunden Wasser zwischen dem japanischen Festland und einer Insel hin und her transportiert wurde. Anschließend stellte Pärt fest, was für eine beruhigende Wirkung dieser Film auf ihn hatte – ganz nach dem Rosenkavalierzitat: „Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding.“ Nach dieser Erfahrung änderte sich Pärts Stil. Obwohl sie einfach aussieht, ist diese Musik unglaublich schwer, gerade weil Pausen ausgehalten und Ruhe bewahrt werden muss. Doch wenn man sich darauf einlässt, ist man hinterher fast erleuchtet. Ich nenne es immer: die estnische Ruhe.

Was sind neben Ruhe weitere Charakteristika estnischer Musik?

Die estnische ist der finnischen Musik sehr nah – viel näher als z. B. der russischen. Ich nehme an, dass das auch an der ähnlichen Sprache liegt. Viele Aspekte sind aus unserem Runo-Lied heraus entstanden, einem Verslied, des -

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