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StadtGÄRTNER Urban Gardening erobert die Grünflächen der Stadt. Welche Möglichkeiten zum Garteln es für Besitzer von Stadtwohnungen gibt und wo Wohnungskäufer gleich einen Gemeinschaftsgarten für ihr Gemüse dazubekommen. schildert die Obfrau des gleichnamigen Vereins. Jedem steht ein eigenes Beet zur Verfügung. Heuer feiert dieser Gearadeiser, Salat und Koriander meinschaftsgarten dreijähriges Bestegedeihen prächtig zwischen hen. Die Fläche stellt die Stadt Wien grauer Hausmauer und kostenlos zur Verfügung und förderte Asphalt. Dazwischen bringen das Projekt mit 3.600 Euro. Um das ein paar Dahlien und Gartenzwerge Geld bauten die Hobbygärtner einen bunte Kleckse ins Hochbeet. Wenn Ju- Zaun um ihr grünes Reich und instaldith Schübl frühmorgens durch den lierten einen Wasseranschluss zum „Mintzgarten“ im Stadtentwicklungsge- Gießen. biet auf dem Gelände des ehemaligen Auf dem alten Frachtenbahnhof Wiener Nordbahnhofs streift, gerät sie im Zweiten Wiener Bezirk entstehen ins Schwärmen. Auf dem schmalen bis 2025 rund 10.000 Wohnungen. Der Streifen zwischen Fußgängerzone und Trend zum Urban Gardening ist dort Schule, der früher ungenutzt war, ste- nicht zu übersehen. Nur ein paar Schrithen heute 18 Hochbeete randvoll mit te weiter und man steht schon vor dem frischem Gemüse. „Junge Familien und nächsten Gemeinschaftsgarten, jenem Paare aus dem Grätzl garteln hier“, des „Wohnprojekt Wien“. Im Gegensatz VON STEFAN TESCH
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zum Mintzgarten teilen sich dort 36 Personen 18 Beete. „Zum Beispiel bewirtschaften Nachbarn gemeinsam ein Beet“, erklärt Christine Amon-Feldmann, Gründerin und Vorstand des Wohnprojekts, eines Vereins für nachhaltiges Leben. Streitereien um die Ernte gebe es nicht. Vielleicht hängt es auch mit den Bewohnern zusammen: Das Wohnprojekt Wien ist als Generationenwohnen mit interkulturellem Touch ausgelegt.
Halber Hektar für Selbstversorgung notwendig Neu ist die Idee des Gemüse- und Blumenanbauens in der Großstadt nicht. Urban Gardening, Urban Farming, oder ganz simpel Nachbarschafts- bzw. GEWINN 7/8/15
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R Foto: Stefan Tesch
Christine Amon-Feldmann ist Obfrau des Wohnprojekt Wien am früheren Nordbahnhof: Gemeinsames Garteln mit den Nachbarn gehört dort zum Alltag
Gemeinschaftsgarten – wie auch immer man das Phänomen nennen möchte, hat sich schon in den 1970er-Jahren in New York entwickelt. Erst 20 Jahre später ist es nach Europa gekommen, wo es zuerst in Berlin auf fruchtbaren Boden fiel. Es geht darum, ungenutzte Flächen in der Stadt in Gemüse- oder Blumenbeete zu verwandeln. Das können entweder Grünstreifen, kleine Wiesen, Innenhöfe, Teile von Parks oder Flachdächer sein. Die illegale Form heißt „Guerilla Gardening“. Dabei werden einfach unerlaubt Flächen, z. B. auf Verkehrsinseln, zum Garteln „besetzt“. Das geht bis zum Werfen von Saatbomben auf öffentlichen Flächen als Protest gegen die Obrigkeit. GEWINN 7/8/15
Die Wirtschaftskrise und der aktuell zur Hochblüte aufgehende Nachhaltigkeits- und Biotrend verleihen dem urbanen Garteln kräftigen Aufwind. Aber der Platz für Grünflächen ist in der Stadt rar, weiß Richard Stiles vom Institut für Städtebau an der TU Wien: „Es wird um jeden Quadratmeter gekämpft.“ Dabei sind Gärten aus Sicht der Städteplanung enorm wichtig. „Sie steigern die Wohnqualität. Durch die Bepflanzung handelt es sich um kontrollierte und überwachte Freiräume.“ Urban Gardening kann auch zu CO2Reduktion führen. Denn wenn das Angebot an Grünflächen und Gärten in der Stadt groß genug ist, dann bleiben die Menschen am Wochenende gerne zuhause und verlassen die Stadt seltener.
Stiles warnt vor allzu großer Euphorie: „Städte können sich durch Urban Gardening nie komplett selbst versorgen.“ Ein Mensch brauche für eine autonome Ernährung rund einen halben Hektar. Und das ist in der Stadt nicht möglich. Unterm Strich ist Urban Gardening ein soziales Phänomen, welches das Zusammenleben verbessern kann.
Glashäuser auf dem Dach Auf den Trend Urban Gardening sind mittlerweile auch Architekten, Städteplaner und Bauträger aufmerksam geworden. Bei vielen Projekten ist Urban Gardening für die Bewohner von Anfang an fix eingeplant. Die meisten Projekte befinden sich noch in Bau. Bereits fertig ist das soge131
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nannte „Garden State“ in Wien-Alsergrund. In dem totalsanierten Wohnhaus wird ein neues Konzept des gemeinschaftlichen Gartelns auspropiert. Im kleinen Innenhof gedeihen unter anderem Paprika, Mangold, Zucchini und Erdbeeren. Das Besondere: Die Ernte ist für alle Parteien da. Eine externe
Gärtnerin kümmert sich um die schmalen Hochbeete. „Wer welches Gemüse ernten wird, ist derzeit nicht klar“, erzählt die Bewohnerin Johanna Storm. Heuer ist nämlich der erste Erntesommer. Einige Nummern größer wird die Kombination aus Wohnung und Ge-
müsebeet im Süden Wiens. Im Bezirk Liesing soll Urban Gardening im gesamten Stadtentwicklungsgebiet „In der Wiesn“ zum Tragen kommen. Es entstehen mehrere Projekte mit insgesamt bis zu 3.000 Wohnungen innerhalb der nächsten Jahre, unter anderem „In der Wiesn Ost“ sowie „Ernte Laa“.
Adressen für gemeinsames Garteln in der Stadt Stadt Name Größe (m²) Wien Gemeinschaftsgarten Donaukanal 300 Wien Mintzgarten 220 Wien Grimmgarten 380 Wien Gemeinschaftsgarten Kirchengasse 300 Salzburg Pflanzerei Schallmoos 400 Salzburg Stadtteilgarten Itzling 1.000 Graz Niesenberger-Garten 440 Graz Allmende Leech 1.000 Innsbruck Innsgartl 4.800 Innsbruck Tiroler Gemeinschaftsgarten 6.500 Interkultureller FrauenKlagenfurt 1.300 und Gemeinschaftsgarten Linz Hafengarten 2.000 Linz Wachstumsphase 750
Kosten/Jahr kostenlos 40,– 20,– 30,– 40,– 20,– kostenlos kostenlos 74,– 150,– 20,– 180,– 30,–
Internet gemeinschaftsgarten-donaukanal.at mintzgarten.wordpress.com grimmgarten.blogspot.co.at salatpiraten.org pflanzerei-schallmoos.at gartenpolylog.org/gardens/initiative-stadtteilgarten-itzling niesenbergergarten.wordpress.com khg.graz-seckau.at/aktivitaeten-gruppen/allmende-leech freipflanzen.at gemeinschaftsgarten.eu astern.at gartenpolylog.org/gardens/hafengarten wachstumsphase.wordpress.com
Kein Garten? So kommen Sie zum eigenen Beet
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Im Gemeinschaftsgarten am Donaukanal kann jedermann kostenlos mitgartenln. An Schaulustigen mangelt es dort nicht
Gemeinschaftsgarten selbst gründen Die Stadt Wien fördert seit 2010 Nachbarschafts- und Gemeinschaftsgärten
pro Bezirk mit einmalig bis zu 3.600 Euro. Voraussetzung ist die Gründung eines Vereins sowie ein Nutzungsab-
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Foto: Michael Rausch-Schott
er keine Möglichkeit zum Garteln in der eigenen Wohnhausanlage hat, kann auf einen der zahlreichen Gemeinschafts- bzw. Nachbarschaftsgärten ausweichen. In Österreich gibt es grob geschätzt 100 Gemeinschaftsgärten, die Hälfte davon befindet sich in Wien. Interessierte finden online unter gartenpolylog.org eine Übersicht über viele Gartenprojekte. Die Preise variieren stark – das Spektrum reicht von kostenlosem Garteln bis zu jährlich 180 Euro Mitgliedsbeitrag. Bei der Wahl des Gartens muss man bedenken, dass es nicht in allen Gemeinschaftsgärten getrennte Beete gibt. Häufig betreiben sozial wohltätige Vereine solche Gärten und setzen stark auf den gemeinschaftlichen Aspekt. Die Nachfrage nach urbanen Gemeinschaftsgärten ist derzeit enorm. Wer damit liebäugelt, muss sich meist mit einem Wartelistenplatz begnügen.
kommen mit dem Grundeigentümer. In den anderen Landeshauptstädten gibt es ebenfalls Fördertöpfe für Gemeinschaftsgärten. Seit heuer bietet die Stadt Linz ausgewählte Grünflächen zum Gärtnern an, die man als Verein um 50 Cent pro Quadratmeter mieten kann. Selbsterntefelder Wer weniger urbanen Flair, dafür umso mehr Ernteertrag möchte, der ist mit Selbsterntefeldern am besten bedient. Dabei mietet man eine Parzelle auf einem landwirtschaftlichen Grund, der üblicherweise am Stadtrand liegt. Die jährlichen Kosten dafür liegen zwischen 100 für etwa 30 Quadratmeter und 300 Euro für rund 80 Quadratmeter. Meist ist in diesen Preisen eine Basisbepflanzung inkludiert, häufig auch eine regelmäßige Bewässerung, so dass man tatsächlich nur zur Ernte aufs Feld muss. Eine österreichweite Übersicht von Selbsterntestandorten finden Sie unter www.selbsternte.at.
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Foto: Wohnservice Wien
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Foto: Stefan Tesch
In der Wohnhausanlage „Ernte Laa“ errichtet die BUWOG 190 Wohneinheiten nahe des markanten Wohnparks Alterlaa. Terrassen oder Loggias werden zum Anbau von Obst und Gemüse ausgelegt sein. Nach eigenen Angaben Im Stadtentwicklungsgebiet „In ist es eines der weltgrößten Urban-Farder Wiesn Ost”, ming-Wohnprojekte. Die Fertigstellung einem der weltweit größten Urder 160 freifinanzierten Mietwohnunban-Gardeninggen und 30 Eigentumswohnungen ist Projekte, werden für 2017 veranschlagt. Auf der DachGrünflächen in alle Wohneinheiterrasse sind Beete und Glashäuser mit ten integriert einer Gesamtfläche von 200 Quadratmetern vorgesehen. Hinzu kommen Obstbäume am gesamten Areal, Beete im hauseigenen Kindergarten sowie Lagerräume für Gartengeräte. „Hier können die künftigen Bewohner im Einklang mit der Natur leben, Im „Mintzgarten“ gedeiht Gemüse ohne dabei auf irgendeinen Vorteil, den auf einem eine Stadt bieten kann – gute Verkehrsschmalen Streifen zwischen anbindung, Infrastruktur –, verzichten Hausmauer und zu müssen“, sagt BUWOG-GeschäftsAsphalt. Judith führer Andreas Holler. „Die Integration Schübl hat den Garten vor drei von Urban-Farming-Angeboten sowie Jahren gegründet viel Grün im und auf dem Gebäude und führt ihn als schaffen eine Wohnqualität, die im soVerein zialen Wohnbau sonst wohl kaum jemals erreicht worden ist.“ Volkmar Pamer, Zielgebietskoordinator der Ge- dieses Areal geprägt, heute fungiert Urmeinde Wien für Liesing Mitte, ergänzt: ban Gardening als Identitätserhalt des „Glashäuser und Gärten haben früher Ortes.“
Mobile Beete im Gemeindebau
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Hochbeet statt Coca-Cola Foto: PID/Christian Jobst
ie Blume aus dem Gemeindesondern auch die Gelegenheit, mit bau“ hat Wolfgang Ambros gleichgesinnten Nachbarn Kontakschon 1977 besungen und trifft te zu knüpfen“, resümiert Wohndamit – wenn auch in anderer baustadtrat Michael Ludwig. Form – den heutigen Zeitgeist. In Wiens Gemeindebauten gibt es nicht nur zahlreiche Gemeinschafts- und Nachbarschaftsgärten, sondern auch 180 „Mobile Beete“. Bewohner können diese Hochbeete beantragen, ebenso wie Gartenworkshops und Bepflanzungsaktionen seitens der Gemeinde. „Die Mobilen Beete werden von den Gemeindemietern sehr gut angenomWohnbaustadtrat Michael Ludwig untermen. Nicht nur die Möglichkeit stützt bei einer Bepflanzungsaktion im Gemeindebau zum Garteln wird geschätzt,
Allerdings sind nicht alle von dem Urban-Gardening-Projekt begeistert. Bürgerinitiativen haben sich formiert, denn die Wohnqualität in den angrenzenden Einfamilienhäusern mit Gärten könnte durch die Errichtung des bis zu 30 Meter hohen Gebäudes sinken. Ebenso fürchten angrenzende (echte) Gärtnereien verminderte Sonneneinstrahlung auf ihre Felder und Glashäuser.
Große Neubauprojekte mit integriertem Urban Gardening findet man derzeit nur in Wien, auch wenn der Trend die großen Landeshauptstädte wie Graz und Linz längst erfasst hat. So soll künftig auch auf dem 55.000 Quadratmeter großen Areal der ehemaligen Coca-Cola-Werke in Wien-Favoriten die urbane Landwirtschaft zur Geltung kommen. Der Baubeginn ist jedoch noch unklar. Und im Sonnwendviertel westlich des neuen Hauptbahnhofs in Wien ist Urban Gardening fixer Bestandteil. 133