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Challenges
Fluch und Segen der Sharing Economy
Foto: Hotel.Schani.Wien/shutterstock
In der Ökonomie des Teilens setzen Anbieter auf Benutzen statt Besitzen. Was derzeit boomt, bringt aber Gefahren für alteingesessene Anbieter.
Sharing-Plattformen führen Anbieter und Nachfrager schnell zueinander. Waren und Dienstleistungen können dort unkompliziert ausgetauscht werden, ohne sie kaufen zu müssen
er mit dem Car2go durch die Stadt flitzt oder sich stundenweise in einen Coworking-Space zum Arbeiten zurückzieht, ist schon lange kein Exot mehr. Die Ökonomie des Teilens, auch Sharing Economy genannt, ist mittlerweile aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Geht es doch darum, möglichst kurzfristig etwas zu konsumieren, ohne es besitzen zu müssen – sei es nun Mobilität oder ein Arbeitsplatz. Angebote dieser neuen Form des Wirtschaftens sind derzeit erfolgreich, weil es zu einem Wertewandel kommt, besonders unter der jungen Generation. „Sie definieren ihren Status nicht vorwiegend durch materiellen Besitz, wie etwa bei einem Auto“, erklärt Kurt Matzler, Professor für Strategische Unternehmensführung an der Universität Innsbruck. „Heute geht es darum, auf Produkte und Dienstleistungen bei Bedarf zurückgreifen zu können.“ So spricht man auch von einer On-demand-Economy. Zugang ist also wichtiger als Besitz. Er wird sogar 68
häufig als störend empfunden, denn er ist nicht notwendig, um etwas konsumieren zu können. Kein Wunder, denn Autos sind in Städten nur rund fünf Prozent der Zeit in Bewegung, den Rest stehen sie. „Die Sharing Economy ist vorwiegend ein urbanes Phänomen“, so Matzler. Besitz zu reduzieren hat zwangsläufig aber
auch mit geringerem Platzangebot in Ballungsräumen zu tun. Ausnahme in ländlichen Gegenden stellt hingegen das Sharing-Urgestein Maschinenring dar, wo Bauern Gerätschaften und Personal untereinander vermieten. Die Idee des Teilens und Vermietens ist zwar fast so alt wie die Menschheit, doch das Internet hat das alles erheblich erleichtert, Anbieter und Nachfrager unkompliziert zueinander zu führen. „Heute dient Tauschen und Teilen für viele zur Befriedigung sozialer Bedürfnisse“, ergänzt Matzler, denn der Nebeneffekt bei SharingGeschäften: Man lernt Menschen Face-to-Face kennen.
Große Chancen im B2B-Bereich Das größte Potenzial für neue Anbieter sieht Matzler im B2B-Bereich, wo es darum geht, temporär ungenutzte Kapazitäten zu monetarisieren. Beispielsweise stillstehende Maschinen kurzfristig zu vermieten, mit den betriebswirtschaftlichen Vorteilen: höherer Umsatz durch Mieteinnahmen sowie niedrigerer
Foto: Uber Wien
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VON STEFAN TESCH
Der Fahrtendienst Uber ist der Taxibranche ein Dorn im Auge. Ein Indiz dafür, dass die Sharing Economy traditionelle Geschäftsmodelle zur digitalen Transformation drängt
GEWINN
April 2016
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Betriebskosten für stillstehende Maschinen. Ein Beispiel dafür ist Floow2. Auf dieser Plattform können Unternehmen untereinander Maschinen – zum Beispiel Gabelstapler – sowie Dienstleistungen mieten und vermieten. Floow2 profitiert davon, indem es von seinen Nutzern monatlich 250 Euro für die volle Nutzung des „Asset-Sharings“ verlangt. In den USA boomt derzeit Liquidspace. Dort können Unternehmen ungenutzte Büros, Besprechungs- und Lagerräume monatlich und sogar stundenweise mieten bzw. vermieten. Hierzulande hat sich StoreMe der Vermittlung von Lagerflächen verschrieben. So kann man damit sein ungenutztes Kellerabteil an den Mann/die Frau bringen. „Enormes Potenzial steckt auch im Waren und Materialtransport, da hier häufig viele ungenutzte Kapazitäten schlummern“, so Matzler. Dass Pkws in Österreich durchschnittlich nur mit 1,17 Personen besetzt unterwegs sind, macht sich etwa Checkrobin zunutze. Private können Pakete in ihrem Pkw mitnehmen und sich dadurch etwas dazuverdienen, die Plattform selbst schneidet dabei natürlich auch mit. Oder man findet über die Mitfahrbörse Blablacar zahlende Passagiere, ökologisch und finanziell für alle Beteiligten ein Gewinn.
Foto: checkrobin.com
Challenges
In Fahrzeugen schlummern ungenutzte Kapazitäten. Checkrobin.com macht Private zu Paketzustellern
tiven Erlösmodellen umzusehen. Der Automobilkonzern Daimler hat aus der Not eine Tugend gemacht und sich mit Car2go als großer Player auf dem internationalen Carsharing-Markt etabliert. In Wien gibt es die blau-weißen Smarts seit 2011. Der Anfang war schwer, denn damals war Carsharing Neuland. „Wir mussten zuerst den Kunden unseren Dienst erklären und Vertrauen schaffen, dass wir keine Eintagsfliegen sind“, erklärt Car2go-CEO Roland Keppler. Heute gehört Wien mit 700 solcher Gefährte und 87.000 registrierten Kunden zu den laut Unternehmensangaben „Top fünf“ der europäischen Car2go-Städte. Die Chancen auf dem Carsharing-Markt hat ebenfalls BMW erkannt und bietet mit dem Dienst DriveNow rund 450 seiner Fahrzeuge in Wien zum kurzzeitigen Mieten an.
Wandel durch Digitalisierung
Neben Hotel- und Automobilindustrie geht es auch anderen Branchen an den Kragen. So fühlen sich Taxiunternehmen durch den Fahrtendienstvermittler Uber in ihrer Existenz bedroht. Durch die Digitalisierung entstehen erfolgreiche Geschäftsmodelle der Sharing Economy, die alteingesessene Unternehmen in Bedrängnis bringen können. Wer nicht auf den neuen Wettbewerb Teilen mit Nachteilen reagiert, kann leicht ins Hintertreffen geSharing-Plattformen sprießen derzeit wie Neue Erlösmodelle finden raten. Böse Zungen prophezeien sogar Pilze aus dem Boden, verschwinden al- Auch die Automobilbranche blickt an- das Ende der Konsumgesellschaft. Viele lerdings auch rasch wieder. Von im ver- gesichts des Trends „teilen statt kaufen“ Anbieter agieren jedoch im rechtlichen gangenen Jahr 1.000 gezählten existieren keiner rosigen Zukunft entgegen. Schät- Graubereich, so dass künftig die gesetzheute nur noch zwei Drittel. „Viele An- zungen zufolge verdrängt ein Carsharing- lichen Rahmenbedingungen über Erfolg bieter bestehen nicht lange, da sie die kri- Auto zwischen sechs und acht andere Au- und Misserfolg neuer Angebot in der Shatische Masse an Usern nicht erreichen“, tos. Höchste Zeit also, sich nach alterna- ring Economy entscheiden werden. erklärt Matzler. Denn ein Sharing-Dienst lebt in erster Linie von einem großen Angebot und vielen Nachfragenden. Nach und nach erheben sich StimSharing Economy in Zahlen men gegen die Ökonomie des Teilens, denn erfolgreiche Plattformen graben tra● Zwei Drittel der Österreicher wol● Zwei Prozent der österreichiditionellen Branchen kräftig das Wasser len „lieber besitzen als teilen“. schen Bevölkerung haben bisher an ab. So ist die Hotellerie mit dem derzei● Drei Viertel der „Sharer“ nennen der Sharing Economy teilgenomtigen Siegeszug von Airbnb gar nicht einden „Gemeinschaftsgedanken“ als men. verstanden. Der wohl prominenteste Ver● Jede Person kann zwischen 600 Grund fürs Sharen, allerdings tun teter der Sharing Economy macht es für bis 700 Euro jährlich durch Sharing es zwei Drittel, um damit Geld zu jedermann möglich, sein nächstes Ursparen, hat eine Studie in Großsparen. laubsbett von Privaten zu buchen, anstatt ● Jeder Dritte Österreicher zieht britannien ergeben. in einem Hotel zu nächtigen. Was urinnerhalb der nächsten zwölf MonaQuelle: ING-Diba, Universität sprünglich mit einer vermieteten Luftte Sharing in Betracht. Innsbruck matratze in Kalifornien begonnen hat April 2016
(daher: „Air“bnb), rangiert bei zirka zwei Millionen Quartieren in 34.000 Städten weltweit. In Österreich listet die Plattform ungefähr 11.000 Quartiere. Angesichts von 70.000 Hotelbetten eine ernstzunehmende Bedrohung für heimische Beherbergungsbetriebe. Zudem entgehen der öffentlichen Hand Steuern und Ortstaxen (siehe auch ab Seite 58).
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