2016 Urban Mining

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Foto: WMR Waldmühle

Energie

Das Abbruchmaterial der ehemaligen Zementfabrik Kaltenleutgeben wird für die Geländemodellierung des neuen Bauprojekts verwendet. Das spart Transportkosten und schont primäre Rohstoffquellen

Die Goldgräber der Großstadt Städte sind mit ihren Gebäuden riesige Rohstofflager. Die Schätze effizient zu schürfen ist aber schwierig. GEWINN extra über die urbanen Minen und ihre Erfolge. bruchmaterial wanderten durch eine vor Ort aufgestellte Aufbereitungsanlage. Nach dem Brechen („Schreddern“) und Sieben usgerechnet eine ehemalige Zement- setzt man das Material zur Geländemofabrik ist heute ein Vorzeigebeispiel, dellierung ein, dem Aufschütten. Die für wenn es um ökologische Rohstoffgewin- den Zu- und Abtransport notwendigen nung, das Urban Mining geht. Hinter die- Lkw-Fuhren konnten dadurch von zirka sem Begriff steckt die Idee, anstatt Roh- 30.000 auf 10.000 reduziert werden. Unstoffe aus Primärquellen abzubauen, sie term Strich ergab das zwei Millionen Euro aus bereits verbauten Materialien zu gewinnen. Zum Beispiel beim Abbruch von Rohstoffmengen in Gebäuden Gebäuden Beton, Ziegel und Metalle zu Kilo pro Kubikmeter Bruttovolumen trennen und wieder dem Rohstoffkreislauf eines Gebäudes zuzuführen. Geht man noch einen Schritt Wohnhaus* Industrie* weiter, passiert das Ganze sogar direkt Altbau Neubau Altbau Neubau auf der Baustelle und Beton wird somit Rohstoff Beton 27 380 68 150 wieder zu Beton für den Neubau. Ziegel 210 88 180 9 Ebenso gehört zu Urban Mining, AusMörtel, Putz 99 39 60 3,6 hub gleich für das Bauprojekt zu verwenden, Glas 0,27 1,5 0,68 k. A. so wie am Beispiel der Zementfabrik Kal- Holz 17 3,4 8,5 1,2 tenleutgeben südwestlich von Wien. Aus Stahl 3,7 13 8,6 14 dem ehemaligen Industrierelikt werden Aluminium 0,34 0,32 0,031 0 gerade 450 Wohnungen mit dem roman- Kupfer 0,065 0,21 0,02 0,18 0,028 0 k. A. k. A. tischen Namen Waldmühle Rodaun. Blei Wohlklingend auch das Ergebnis des dor- k. A. = keine Angabe; *) Altbau: ca. 100 Jahre; Neubau: max. 20 Jahre; Quelle: Christian Doppler Labor für Anthropogene Restigen Urban Mining: 144.000 Tonnen Ab- sourcen (TU Wien) VON STEFAN TESCH

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an Einsparung. „Die Bedingungen waren ideal, denn die abgerissenen Gebäude bestanden größtenteils sortenrein aus Beton“, schildert der für den dortigen Urban-Mining-Prozess verantwortliche Architekt Thomas Romm. Und warum passiert das nicht auf jeder Baustelle? Erstens: „Es fehlt hierzulande das Bewusstsein dafür“, so Romm, der Architekten und Bauherren zum Umdenken auffordert. Zweitens: Jede Baustelle ist ein Unikat und die Möglichkeiten des Urban Mining sind enorm vielfältig.

Recycling auf der Baustelle Bei Großprojekten, wie etwa der Seestadt Aspern, geht man sogar noch einen Schritt weiter: „60 Prozent der Baustoffe wurden im Bauvorhaben selbst gewonnen“, erzählt Romm. Das heißt, die gigantischen Aushubmengen am ehemaligen Flughafen im 22. Wiener Bezirk wurden einerseits zum Aufschütten von Straßen verwendet, andererseits in der Ortbetonanlage zu Beton verarbeitet. In diese Anlage flossen 300.000 Kubikmeter Kies aus dem Aushub. Romm April 2016


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spricht von einer Einsparung im zweistelligen Millionenbereich. Allerdings ist dies nicht überall möglich, denn ein kieshaltiger Boden ist dafür Voraussetzung. Ideale Bedingungen herrschen in Österreich im Wiener Becken sowie entlang großer Flüsse wie etwa der Donau oder dem Inn (siehe Grafik „Der Österreichische Rohstoffplan“). „Ortbetonanlagen sind eigentlich im Tiefbau üblich, doch langsam feiern sie Einzug in den Hochbau“, ergänzt Romm.

Foto:Archiv

Energie Wo Aushub zu Beton werden kann Rohstoffgeologische Eignung 1 - beste Eignung 2 3 4 5 - schlechteste Eignung

Wo Kiessand in hoher Qualität vorkommt und im Idealfall gleich als Aushub an Ort und Stelle für den Bau verwendet werden kann

Viel Metall in Neubauten Rein rechnerisch schlummern pro Wiener rund 200 Tonnen an wiederverwertbarem Material in den Gebäuden der Stadt. Die jährliche Abbruchmenge ist mit einer Tonne pro Einwohner zu beziffern, rechnet man noch Straßen dazu, sind es sogar zwei Tonnen. Den größten Teil mit bis zu 95 Prozent machen mineralische Stoffe wie Beton, Ziegel und Verputz aus. In einem 100 Jahre alten Wohnhaus stecken rund 210 Kilo Ziegel pro Kubikmeter. In einem

Neubau der 1990er-Jahre sind es nur noch 88 Kilo, dafür 380 Kilo Beton. Neubauten weisen daneben einen hohen Metallanteil auf: 13 Kilo Stahl, 0,3 Kilo Aluminium sowie 0,2 Kilo Kupfer (siehe Tabelle „Rohstoffmengen in Gebäuden“). Konkret: In einer 100-Quadratmeter-Wohnung stecken etwa 7,5 Tonnen Metalle. Die Trennung erfolgt beim Abriss grob durch den Bagger. Dabei werden etwa Holz- und

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Stahlträger herausgebrochen sowie Mörtel von Ziegeln durch die Baggerschaufel gesiebt. Rund 20 bis 30 Prozent eines Gebäudes sind nicht recycelbar, sie landen auf Deponien oder werden verbrannt. Alte Ziegel werden zu geringem Teil als Liebhaberstücke verkauft, der Großteil wird geschreddert und gelangt unter anderem als Granulat auf Tennisplätze und in die Zementindustrie. Beton ist leicht zu recyceln und wird entweder wieder zu Beton oder dient als Schotterersatz. Für Mörtel und Verputz fehlt es noch an geeigneten Recycling-Methoden, daher landen diese Stoffe auf Deponien. Metalle machen den wertvollsten Teil der Abbruchmasse aus und sind fast zur Gänze recycelbar. Holz wandert in die Spanplattenindustrie oder wird verbrannt.

Foto: Porr

Rohstoffplan für Wien

Rohstoffe im Rapid-Stadion Österreichs größtes Abrissunternehmen, die PORR-Tochter Prajo, verwandelt neben Wohnhäusern auch regelmäßig geschichtsträchtiges Gemäuer zu Schutt. Zum Beispiel war Prajo mit dem Abbruch des Wiener Südbahnhofes betraut, aber vollzog auch den für Rapid-Fans ergreifenden Moment: den Abriss des Hanappi-Stadions (siehe Foto) in Wien. Die dabei recycelten Materialien: ● 6.600 Tonnen Bauschutt ● 45.000 Tonnen Beton

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3.100 Tonnen Asphalt 2.000 Tonnen Eisen und Stahl Prajo betreibt ein eigenes Recycling-Werk im niederösterreichischen Himberg, wo jährlich rund 330.000 Tonnen Baurestemassen aufbereitet und anschließend verkauft werden. „Am stärksten nachgefragt werden momentan Recycling-Beton, Alteisen und Holz. Mischgesteine und Recycling-Ziegel sind ebenfalls beliebt“, sagt Prajo-Geschäftsführer Zeljko Vocinkic.

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Das Christian Doppler Labor an der Technischen Universität Wien forscht an der Gewinnung und Verfügbarkeit von verbauten Rohstoffen (auch „anthropogene“ Rohstoffe genannt). Wie bei primären Rohstoffen dreht sich auch bei Sekundären alles um die Frage: Wo ist wie viel verfügbar? Institutsleiter Johann Fellner und sein Team haben in den vergangenen Jahren einen Sekundärrohstoffplan für Wien erstellt. In diesem Kataster ist das Rohstoffvorkommen jedes einzelnen Hauses der Bundeshauptstadt verzeichnet. Die Daten beruhen auf Alter und Nutzung der Gebäude „Daraus kann man auf die Zusammensetzung der Bausubstanz schließen“, beschreibt Fellner. Aktuell arbeiten die Wissenschaftler an einer Visualisierung der Daten, um sie auch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. 111


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Aus Beton wird Beton Saubermacher-Vorstand Gerhard Ziehenberger: „Bei niedrigen Rohstoffpreisen rechnet sich nicht jeder Rohstoff.“ Papier und Metall sind bei Recyclern beliebt

In den zwei Betonrecycling-Anlagen des Betonherstellers Wopfinger wandern Baurestemassen durch eine Sortierung, die mineralische Stoffe von Kunststoffen, Holz und Metallen trennt. Der Anteil der Baureste im Beton hängt vom Verwendungszweck des Betons ab. „Im Gegensatz zu Primärkies haben Baurestemassen nämlich keine einheitliche Festigkeit“, erklärt Franz Denk, Geschäftsführer von Wopfinger. Recycling-Beton hat eine geringere Festigkeit als herkömmlicher Beton und eignet sich nicht für dünne, fragile Bauteile. Prädestiniert hingegen ist er für Fundamente, wo der Betonproduzent zwischen 15 und 30 Prozent Recycling-Material beimischt.

„Jüngere Gebäude bestehen aus hochwertigeren Materialien als alte, sind aber in der Rückgewinnung aufwendiger. Abbruchmassen älterer Gebäude sind hingegen leichter zu trennen, denn sie enthalten weniger Verbundstoffe“, so Fellner. Was nun praktischer ist, lässt sich nicht pauschal beantworten. Nach dem Abbruch wandern Baurestemassen in Anlagen, wo die sortenreine Trennung von Rohstoffen erfolgt. Wo und wie Beton wieder zu Beton wird und wo Magnete Metalle aus dem Schutt ziehen, lesen Sie in den folgenden Beizulande schlägt die Deponierung von eispielen (siehe Kästen). ner Tonne Baurestemasse mit bis zu 20 Recycling vs. Deponie bis 30 Euro zu Buche. Darin enthalten Die seit Anfang 2016 in Kraft getretene sind rund zehn Euro AltlastensanierungsRecycling-Baustoffverordnung schreibt abgabe, der Steuer aufs Deponieren. die Trennung von Abbruchmaterial nach Andererseits verdienen sich AbfallStoffgruppen (Holz, Metall, Mineralisch entsorger und -verwerter mit Recycling und Baustellenabfälle) vor Ort oder in nicht zwangsläufig eine goldene Nase. einer geeigneten Anlage vor. Hintergrund „Recycling an sich ist nicht profitabel“, sagt sind EU-Zielvorgaben, bis 2020 70 Pro- Gerhard Ziehenberger, Vorstandsmitglied zent des Abbruchvolumens als neue Bau- beim steirischen Entsorger Saubermacher. stoffe zu verwenden. „Bei niedrigen Rohstoffpreisen rechnet sich Doch es bedarf gar keiner gesetzlichen nicht jeder Rohstoff. Für jedes Material Druckmittel. „Die Vermeidung von De- gilt ein anderer Break-even“, ergänzt er. poniekosten ist die Triebfeder für Urban Bei Recyclern beliebte Rohstoffe sind Mining und Recycling“, sagt Fellner. Hier- Papier und Metalle. Sie sind als Sekun-

Magnete gewinnen Metalle Das Transport-, Bau- und RecyclingUnternehmen Zöchling hat sich auf das Mining von Metallen spezialisiert und betreibt zwei Entmetallisierungsanlagen. Durch Siebe und Magnete werden in mehreren Schritten Stahl, Kupfer, Messing und Aluminium aus Bauschrott herausgelöst. Ebenso kommen Schlacken aus Müllverbrennungsanlagen in die Fänge dieser Anlagen, die sich pro Tag durch 1.200 Tonnen fressen können.

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Zwar bringt das Recycling im Vergleich zur Gewinnung aus Primärquellen rund 95 Prozent Energieeinsparung, doch angesichts der derzeit niedrigen Rohstoffpreise sind die Erlöse gering. Das Geschäft mit der Entmetallisierung sei gerade noch rentabel, heißt es aus dem Unternehmen. Zudem besteht noch großer Innovationsbedarf, damit der Prozess des Herauslösens billiger und die Maschinen weniger fehleranfällig werden.

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Foto: Gesellschaft für Ökologie und Abfallwirtschaft

Foto: Saubermacher Dienstleistungs AG/pixelmaker.at

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Geschredderte Ziegel eignen sich aufgrund ihrer niedrigen Festigkeit nur in geringen Dosen für RecyclingBeton. Wopfinger hat aus dieser Not eine Tugend gemacht und verwandelt den roten Anteil von Abbruchmaterial in ein Füllmaterial, um etwa Hohlräume oder Künetten auszugießen. Noch ist die Produktion von Ökobeton nicht günstiger als jene von herkömmlichem. Abgesehen vom ökologischen Aspekt, steckt hinter Ökobeton noch eine andere Idee. Denk vermutet nämlich eine erhebliche Steigerung der Altlastensanierungsabgabe im nächsten Jahr, was sich auf das Ökobeton-Geschäft positiv auswirken wird. Aktuell verarbeitet Wopfinger rund 30.000 Tonnen Baureste zu Ökobeton.

därrohstoff günstiger als aus Primärquellen und somit der Industrie wieder leicht zu verkaufen. Bei Altfahrzeugen werden rund 97 Prozent aller Metalle herausgelöst und wiederverwendet. Stahl aus Recycling benötigt nur rund die Hälfte der Energie im Vergleich zur Produktion aus Erz. Im europaweiten Vergleich steht Österreich vorbildlich da. „Zwar fehlt es beim Urban Mining noch an einheitlichen Technologien und Best-Practice-Akteuren“, klagt Fellner. Doch werden hierzulande rund zwölf Prozent des Rohstoffbedarfs durch Urban Mining gedeckt. In Wien gelangen 85 Prozent des Abbruchmaterials wieder in den Rohstoffkreislauf.

Hans Zöchling versucht sich in der Kunst des Entmetallisierens von Bauschutt und Schlacke. Problematisch ist derzeit noch die hohe Fehleranfälligkeit der Anlagen

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