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BERUF & ERFOLG INDUSTRIE Das wird eine perfekte Schaumkrone aus Roboterhand. Der „echte“ Barkeeper hält sich im Hintergrund
Auf ein Weizenbier mit Kollege Roboter
VON STEFAN TESCH
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orauf kommt es beim Einschenken des Weizenbiers an? Richtig. Nicht die ganze Flasche auf einmal ins Glas gießen, sondern mit dem letzten Schluckerl noch die auf dem Boden abgesetzte Hefe aufschütteln. Was bisher Menschenhänden vorbehalten war, erledigen hier am Messestand des Roboterherstellers „Kuka“ zwei flinke Roboterarme. Der eine spült das Glas aus und hält es in korrekter Schräglage. Der andere zieht die Flasche aus der Kiste, öffnet sie und schenkt behutsam ein. Mit perfekter Schaumkrone. Fertig. Der anwesende Barkeeper hat nichts zu tun, außer das Glas ins Publikum zu reichen. Doch dort hat vor lauter 36
hochgehaltener Smartphones keiner eine Hand frei. Die Faszination des fast ausschließlich männlichen Publikums an der Präzision des Roboters scheint den Durst zu überschatten. Und hier sind wir schon mitten in der weltgrößten Industriemesse der „Hannover Messe 2017“. Die Dimensionen sprechen für sich: Rund 230.000 Besucher, 6.500 Aussteller aus 70 Ländern verteilt auf 27 Messehallen. Das Themenspektrum reicht von Automation, Digital Factory, Maschinenbau, Kommunikation, Forschung, Elektrotechnik, Zulieferer, Antriebstechnologien bis hin zu Software und Energie. Kurzum: alles, was mit Industrie zusammenhängt. In den Hallen mit Schwerpunkt Automation herrscht der meiste Andrang. MenTOP
schentrauben kleben an den Shows, wo Roboter Tischtennis spielen oder Autos hochheben. Aufgelockert durch kleine Bühnen mit spritzigen Vorträgen. Unter den Besuchern sind vorwiegend osteuropäische Sprachen zu hören, bis hin zu Russisch. Auffallend wenig Deutsch und kaum Sprachen aus dem Süden Europas. Ebenso prominent vertreten sind Besucher aus Asien, die hier dem Klischee des Vielfotografierens absolut entsprechen. Ob es als Anleitung zum Kopieren dient oder als Erinnerung, bleibt fraglich. Empfindliche Haut für Roboter Noch höherer Output, noch mehr Produktivität und immer weniger menschliche Kräfte in der industriellen Fertigung ziehen sich als roter Faden durch die Messe. Doch wie sieht das in der Praxis aus? Eine von unzähligen Antworten drauf findet sich am Stand von „Blue Danube Robotics“. Dieses österreichische Unternehmen hat eine druckempMai 2017
Foto: Stefan Tesch
Roboter und Menschen rücken künftig näher zusammen. Nicht nur beim Biertrinken, sondern in der digitalen Fabrik. Wie das aussieht, hat sich TOP-GEWINN auf der weltgrößten Industriemesse in Hannover angesehen.
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HANDSCANNER MISST BITUMENQUALITÄT
Foto: Stefan Tesch
findliche „Haut“ für Roboterarme namens „Airskin“ entwickelt. Bei der kleinsten Berührung stoppt der Roboter sofort seine Bewegung. Denn in der dünnen Schicht aus grauem Kunststoff messen unzählige Sensoren den Luftdruck und schlagen bei Veränderung Alarm. „Wir machen Roboter damit sicherer und kollaborativ“, erklärt Chief Technology Officer Tobias Ferner. Roboter und Menschen sollen durch Airskin ohne Sicherheitsbedenken Schulter an Schulter arbeiten können. „Bisher mussten Sicherheitsbereiche um Roboter abgegrenzt werden, was auf Kosten der Fläche einer Fabrikshalle geht“, kehrt Ferner den Nutzen dieser Technologie hervor. Zeit für den Praxistest. Schon während des Interviews wedelt der mit Airskin überzogene Roboterarm wild herum und bettelt um Aufmerksamkeit. Hält man ihm den Ellbogen vehement entgegen, stoppt er unverzüglich. Test bestanden! Derzeit befindet sich die sensitive Haut noch in Erprobung bei Automobilzulieferern, doch die Markteinführung ist Mitte dieses Jahres geplant. Der Preis wird bei rund 13.000 Euro pro Roboterarm liegen.
Bisher konnte man die Qualität von Bitumen nur mit mechanischen Methoden von außen ermitteln. „Das ist aber nicht sehr präzise und benötigt ein Labor“, sagt Christian Obkircher von der Technischen Universität Wien. Deshalb entwickelte er einen Scanner, der mittels Licht und Fluoreszenz die schwarze Masse unter die Lupe nimmt. „Innerhalb von drei Sekunden hat man das Ergebnis“, so Obkircher. Potenzielle Kunden sind Baufirmen
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arum gibt es eigentlich die „digitale Fabrik“? „Kunden fragen immer mehr Individualisierung bei Produkten nach“, hat Siemens-Vorstand Klaus Helmrich als Antwort parat. Und damit diese Varianz in der Produktion möglich ist, bedarf es der Digitalisierung, um den gesamten Fertigungsprozess für kleine Chargen zentral zu steuern. In vielen Bereichen geht das Hand in Hand mit Additive-Manufacturing („3D-Druck“). Doch der eigentliche Clou hinter der digitalen Fabrik beginnt schon vor der realen Produktion. „In der virtuellen Produktion lässt sich die gesamte Fertigungslinie am Computer simulieren, indem man von Produkt und Anlage einen digitalen Zwilling („Digital Twin“)
Aber ist so ein Produkt angesichts steigender Automatisierung und sinkendem Bedarf an menschlichen Arbeitskräften in der Industrie überhaupt zukunftsträchtig? „Ja, denn die komplett automatisierte Fabrik wird
erstellt“, sagt Helmrich. Das Idealmodell sieht so aus: Bevor man eine neue Anlage baut, wird jedes Zahnrad, jedes Kabel, jede Walze und jedes Förderband in einem digitalen Modell zusammengesetzt und bis hin zum fertigen Produkt werden alle Abläufe simuliert. Erst dann gibt man die Anlage in Auftrag. Und um im laufenden Betrieb ein neues Produkt einzuführen, probiert man die Produktion ganz einfach virtuell aus. In der Theorie geht das so weit, dass reale Prototypen überflüssig sind. „Aber zwischen Simulation und Wirklichkeit gibt es immer Diskrepanzen“, schmunzelt Helmrich und vergleicht es mit dem Hausbau, wo auch nicht immer alles gemäß Bauplan läuft.
es noch lange nicht geben. Gewisse Arbeitsschritte müssen immer von Menschenhand ausgeführt werden“, weiß Ferner. Es wird mehr und mehr zum Teamwork zwischen Menschen und Robotern kommen. So erle-
FERROBOTICS: ZARTER DRUCK FÜR ROBOTERHÄNDE
Fotos: Stefan Tesch
Digitale Fabrik: Maßprodukte aus Massenproduktion
Tobias Ferner von Blue Danube Robotics demonstrierte „Airskin“, die drucksensitive Haut für Roboterarme
digt ein Roboter die physisch anstrengenden Aufgaben wie das Hochheben schwerer Lasten. Der Mensch verrichtet komplexe, feingliedrige Tätigkeiten. Für solch ein Schauspiel muss man sich nur umdrehen. Denn am Nachbarstand des italienischen Roboterbauers „Comau“ hantieren der Techniker und sein Roboter gerade mit einem schweren Motorblock . Dabei steuert der Mensch per Smartwatch die groben Arbeitsschritte seines „metallenen Kollegen“. Für die Feinarbeit berühren seine Finger den Kopf des Roboterarms und dirigieren ihn millimeterweise, bis der Motor exakt auf den Bolzen sitzt. „Collaboration is the new automation“, trifft es der Slogan am Messestand auf den Punkt. Kakao aus der digitalen Molkerei
Beim automatisierten Schleifen, Polieren und Entgraten kommt es auf präzisen Anpressdruck an. Ferrobotics aus Linz verleiht mit dem „Aktiven Kontaktflansch“ Roboterhänden Gefühl. „Sie sind damit deutlich sensitiver als die menschliche Hand und das Spektrum reicht von einem halben bis hin zu 80 Kilo Druck auf das Werkstück“, sagt Geschäftsführer Ronald Naderer (im Bild links). Zum Einsatz kommt der Flansch bei Automobilherstellern wie Audi und BMW. Ferrobotics war GEWINN-Jungunternehmer des Jahres 2008 38
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Zeit für eine Stärkung. Obwohl es zwar schon Textroboter für standardisierte Texte wie Jahresabschlüsse oder Sportergebnisse gibt, bleibt die journalistische Recherche noch in Menschenhand. Und die macht hungrig. Da kommt der 2.800 Quadratmeter große Stand von Siemens gerade recht, denn hier kann man Geschmacksrichtungen von Milchmixgetränken mit unterschiedlichen Verpackungslabels kombinieren. Ein Fingerzeig auf „Schoko“ am großen Touchscreen, gepaart mit einem sechseckigen Etikett. Zwei Minuten später kommt das Getränk über ein Förderband aus der angedeuteten Produktionsstraße. Zwar wurde die Milch nicht tatsächlich frisch auf dem Messestand abgefüllt, doch zeigt dieses Beispiel in Anlehnung an die Anlage der Molkerei „Pinzgau Milch“, was hinter der Digitalisierung der Industrie steckt. „Die digitalisierte Molkerei steuert die Produktion zeitnah über die Auftragslage“, schildert Bernhard Kienlein, Leiter der Division Process Industries and Drives CEE bei SieMai 2017
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Fotos: Stefan Tesch
BERUF & ERFOLG
Der Techniker steuert seinen Roboter-Kollegen per Smartwatch. Künftig werden Menschen und Roboter im Team zusammenarbeiten
Siemens-Manager Bernhard Kienlein mit seinem individualisierten Milchgetränk: „Die digitale Fabrik ermöglicht die Produktion kleiner Chargen.“
Die Software-Schmiede „Codeflügel” bringt mit Augmented Reality die Pläne großer Anlagen – wie hier ein Luftfilter – als 3D-Modell aufs Tablet
mens. Kurz gesagt: Die Molkerei produziert nicht eine Woche Erdbeer- und die nächste Woche Bananenjoghurt, sondern das, was tatsächlich von den Kunden nachgefragt wird. „Bedarfsgerechte Produktion“, fasst es Kienlein zusammen, „führt zu geringerer Lagerhaltung und höherer Varianz im Output.“ Und was ist genau daran digital? Alle Elemente, darunter die Mischanlage sowie die Abfüllanlage, sind miteinander verbunden und es kann in kleinen Chargen („ab Losgröße eins“) auftragsbezogen produziert werden. Digitale Zwillinge (siehe Kasten) der Produkte und der Fertigungslinien werden mit Software simuliert und ermöglichen eine durchgängige Automatisierung. Das lässt hohe Individualisierung zu, in diesem Fall eine Vielzahl von Produktvarianten, die aus einer Maschine kommen. Ähnlich verhält es sich bei der Bierabfüllung.
Augmented Reality Gerade sitzen die Damen und Herren des Grazer Software-Entwicklers „Codeflügel“ beim Mittagsgulasch. Aber die Präsentation einer riesigen Luftfilteranlage geht sich problemlos inmitten von Löffeln und Tellern am kleinen Tischchen aus. Virtuell versteht sich. Dort liegt ein unscheinbares Blatt Papier mit den Renderings dieser Anlage. Hält man mit dem Tablet drauf, entspringt am Display das 3DModell. Dem nicht genug. Geht man noch ein wenig näher, offenbart sich der Blick ins Innere des Filters inklusive aller Teile in Bewegung. So als würde er vor den eigenen Augen in Betrieb sein. „Augmented Reality eignet sich ideal zur Präsentation großer und komplexer Produkte, denn man muss sie physisch nicht zum Kunden transportieren“, erklärt Josef Rogner, Qualitätssicherungsmanager bei Co-
deflügel. Das Anwendungsspektrum von Augmented Reality ist vielfältig: Ob zum Präsentieren einer mehrere hundert Kilo schweren Schweißmaschine. Oder um ein Portfolio an Edelstählen herzuzeigen, in die man interaktiv die Materialeigenschaften neben die digitalen Rohlinge einblendet. Ob das Gulasch von Roboterhand gekocht wurde, bleibt unklar. Fest steht aber am Ende des Messetages, dass die zunehmende Intelligenz und Präzision von Robotern das Zusammenspiel von Mensch und Maschine forciert. Roboter sind längst keine monotonen Maschinen mit skurrilem Eigenleben, sondern gerade auf dem Weg, den Umgang mit Menschen zu lernen. Gleichzeitig müssen auch wir Menschen den Umgang mit ihnen lernen. Bleiben noch die Fragen offen: Wer wird künftig wem ein Weizenbier einschenken? Und wer wird es trinken?
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