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Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik
Die staatliche Rechtsordnung legt fest, in welchem Rahmen individuelles wirtschaftliches Handeln möglich ist. Die Wirtschaftstätigkeit von Unternehmungen und Haushalten führt dennoch nicht immer zu optimalen Ergebnissen für die gesamte Gesellschaft. Deshalb greift der Staat auch selbst lenkend in die Wirtschaft ein. Er orientiert sich dabei an übergeordneten Zielen, die gesamtgesellschaftlich auf Zustimmung stossen.
Theorie 1 2 3
Übungen
Grundlagen unserer Wirtschaftsordnung ............................................................... Die wirtschafts-, sozial- und umweltpolitischen Ziele ............................................. Bereiche des politischen Handelns ......................................................................... Das haben Sie gelernt ........................................................................................... Diese Begriffe können Sie erklären ........................................................................
2 8 20 22 23
1 2 3 4
Grundlagen unserer Wirtschaftsordnung ............................................................... Marktversagen und öffentliche Güter .................................................................... Welche Ziele sind betroffen? ................................................................................. Verschiedene Bereiche des politischen Handelns ....................................................
24 24 25 26
Aufgaben 1 2 3
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Wirtschaftspolitische Eingriffe: Vergleich Schweiz – Venezuela ............................... 27 Korrektur von Marktversagen am Beispiel des Benzinpreises .................................. 29 Bereiche politischen Handelns am Beispiel eines Koalitionsvertrags ........................ 31
Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik (Ausgabe für Lehrperson)
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Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik (Ausgabe für Lehrperson)
Grundlagen unserer Wirtschaftsordnung
■ Freier Markt, Preisfunktionen und Aufgaben des Staates Unsere Wirtschaftsordnung ist nach den Grundsätzen einer sozialen Marktwirtschaft aufgebaut. Danach soll primär der Marktmechanismus dafür sorgen, dass in unserer Gesellschaft ein möglichst hoher Wohlstand erreicht wird. Als «sozial» bezeichnen wir die Wirtschaftsordnung, weil durch staatliche Eingriffe gesellschaftlich unerwünschte Ergebnisse des ungehinderten Marktmechanismus, beispielsweise eine ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen, korrigiert werden sollen. Bereits andernorts haben wir auf die zentrale Rolle des Preises für eine funktionierende Wirtschaft hingewiesen. Preise bilden für Unternehmungen und Haushalte die Grundlage für ihre Produktions- und Konsumentscheide. Sie dienen somit in erster Linie der Information aller Marktteilnehmer ( Informationsfunktion). Verändern sich Preise, deutet dies auf veränderte Nutzenerwartungen der einzelnen Wirtschaftssubjekte hin. Haushalte und Unternehmungen müssen ihr Handeln entsprechend verändern, wenn sie auch künftig einen möglichst grossen Nutzen aus ihrem wirtschaftlichen Handeln ziehen möchten. Steigende Preise für ein Gut deuten darauf hin, dass dieses Gut begehrt ist und es sich für Unternehmungen daher lohnen könnte, in die Herstellung dieses Gutes zu investieren. Sinkende Preise führen zu gegenteiligen Überlegungen. Die einzelne Unternehmung oder der einzelne Konsument wird dabei aber immer verschiedene Wahlmöglichkeiten gegeneinander abwägen und sich schliesslich für jene entscheiden, die ihm den grössten Nutzen verspricht. In einer Volkswirtschaft führt dies gesamthaft dazu, dass die vorhandenen Produktionsfaktoren (Arbeit, Wissen, Boden und Kapital) immer dorthin gelenkt und eingesetzt werden, wo sie am dringendsten benötigt werden. Diese «Steuerungsfunktion des Preises » bezeichnen wir auch als «Allokationsfunktion». Allokationsfunktion». Allokation bedeutet dabei die Zuordnung der vorhandenen Ressourcen (Produktionsfaktoren) zu einem bestimmten wirtschaftlichen Zweck. Die Informations- und Allokationsfunktion des Preises führen in der Theorie dazu, dass die unüberschaubar grosse Zahl von Produktions- und Konsumentscheiden innerhalb einer Volkswirtschaft «wie durch Zauberhand» über den Preis aufeinander abgestimmt wird ( KoAufgabe 1 ordinationsfunktion) und nicht von einer Institution geplant werden muss.
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In der Realität zeigt sich, dass der Staat trotz der koordinierenden Funktion des Preises in vielfältiger Weise in die Wirtschaft eingreifen muss, damit aus der Summe aller Wirtschaftsaktivitäten ein wirtschafts- und sozialpolitisch erwünschtes Ergebnis erreicht wird. Der Staat übernimmt dabei folgende Aufgaben: ■ Aufgabe 1: Freiheitliche Rechtsordnung Eine funktionierende Marktwirtschaft kann nur entstehen, wenn das Privateigentum gewährleistet ist. Unternehmungen und private Haushalte werden nur Geld für Investitionen und Konsum ausgeben, wenn sie mit Sicherheit davon ausgehen dürfen, dass das, was sie kaufen, ihnen auch langfristig nicht weggenommen werden kann ((Eigentumsgarantie). Eigentumsgarantie). Zudem müssen sie frei entscheiden dürfen, mit wem sie zusammenarbeiten und wie sie die Zusammenarbeit inhaltlich gestalten möchten ( Vertragsfreiheit); diese wirtschaftspolitischen Grundlagen sind in der Bundesverfassung festgeschrieben. Schliesslich müssen Verstösse gegen gesetzlich festgesetzte Regeln oder die Nichteinhaltung einmal geschlossener Verträge Konsequenzen haben, die auch durchgesetzt werden können. Wenn das nicht der Fall ist, besteht keine Rechtssicherheit, und der Erlass von Regeln ist nutzlos.. ■ Aufgabe 2: Regulierung und Deregulierung Eine Gesellschaft strebt nicht ausschliesslich Ziele an, die mithilfe des Marktmechanismus erreicht werden können. Der Staat entscheidet, welche gesamtgesellschaftlichen Ziele so wichtig sind, dass deren Erreichung staatliche Eingriffe zur Beschränkung des freien Wettbewerbs rechtfertigen. Insbesondere wenn möglichst alle gesellschaftlich relevanten Gruppen am Wohlstand eines Landes teilhaben sollen, greift er durch Gesetze und Verordnungen in den Markt ein. Solche Eingriffe nennen wir Regulierungen. Damit soll der Handlungsspielraum von Unternehmungen und privaten Haushalten so beeinflusst werden, dass die angestrebten Ziele erreicht werden. Typische Beispiele dafür sind Versorgungssysteme (Post, Energie und Wasser) für alle Regionen eines Landes, die Steuerung der Bautätigkeit durch die Raum planung oder der Schutz von Angestellten Während für Briefpostsendungen bis 50 g die Post vor den negativen Folgen von Nacht- oder aufgrund ihrer Monopolstellung alleiniger Anbieter ist, gilt für adressierte Pakete der freie Wettbewerb; Schichtarbeit. Diese Bereiche könnten neben der Post erbringen auch private Anbieter grundsätzlich auch in der Schweiz – wie solche Dienstleistungen. in einigen anderen Ländern – den
Marktkräften überlassen werden. Die Mehrheit der Bevölkerung befürchtet jedoch, dass dies nicht erwünschte Ergebnisse hervorbringen würde, und unterstützt deshalb entsprechende Regulierungen. In einer demokratischen Gesellschaft kann sich diese Einschätzung aber auch verändern, was allenfalls zur Beseitigung entsprechender gesetzlicher Auflagen führt ( Deregulierung). Dies zeigt sich z. B. bei Veränderungen im Bereich der Post und Telekommunikation: Noch vor 30 Jahren war ausschliesslich der Staat über einen entsprechenden Monopolbetrieb (PTT: Post, Telefon, Telegraf) für den Verkauf von Post- und Telefondienstleistungen verantwortlich. Als Erstes wurde der T elekommarkt dereguliert, indem unter bestimmten Auflagen private Unternehmungen zugelassen wurden (Sunrise oder Orange [heute «salt»] n eben Swisscom). In den letzten Jahren erfolgte schliesslich auch die schrittweise Deregulierung des Postmarktes, indem private Unternehmen zunächst Pakete zustellen durften und seit 2009 teilweise auch die Briefpost durch private Anbieter befördert werden darf. Aufgabe des Staates bei der Regulierung von Märkten ist es nun, die rechtlichen Auflagen möglichst so zu gestalten, dass das übergeordnete gesellschaftliche Ziel erreicht werden Übung 1 kann, ohne die oben beschriebenen, positiven Funktionen des Preises infrage zu stellen.
Hinweis für Lehrpersonen ▼ PPT-Folie / Tafelbild: Folie 1 Funktionen des Preises
Informationsfunktion
Grundlage für Produktions- und Konsumentscheide
Allokationsfunktion
Koordinationsfunktion
Verwendung der Ressourcen für jenen Z w eck , d er d en grössten Nutzen bringt.
Unüberschaubare Zahl von Konsum- und Produktionsentscheiden wird aufeinander abgestimmt.
▼ PPT-Folie / Tafelbild: Folie 2 Aufgaben des Staates in einer Marktwirtschaft
Setzen einer freiheitlichen Rechtsordnung
§ Privateigentum schützen § Vertragsfreiheit gewährleisten § Rechtssicherheit garantieren
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Regulierung (und Deregulierung)
Gestaltung (oder Abbau) von Eingriffen des Staates in den Marktmechanismus im Interesse übergeordneter gesellschaftlicher Ziele
Korrektur von Marktversagen
§ Internalisierung externer Kosten § Staatliches Angebot öffentlicher Güter § Verhinderung unzulässiger Wettbewerbsbeschränkungen zum Vorteil weniger
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■ Aufgabe 3: Korrektur von Marktversagen
■ Preis-Mengen-Auswirkung der Internalisierung von externen Kosten
Von Marktversagen sprechen wir dann, wenn das Marktergebnis zu einer Verschwendung von Ressourcen führt. Dies geschieht dann, wenn der Preis seine Koordinationsfunktion nicht wahrnehmen kann und Knappheitssituationen deshalb falsch dargestellt werden. Dabei werden drei Formen unterschieden: die Entstehung externer Kosten, die ausbleibende Herstellung öffentlicher Güter sowie das Streben nach unzulässigen Wettbewerbsbeschränkungen zum Vorteil weniger.
Ticketpreis A 1 = Ursprüngliches Angebot Nachfrage
A2
A 2 = Angebot bei internalisierten externen Kosten A1
p2 Preisanstieg
■ Externe Kosten Wenn die wirtschaftliche Tätigkeit in einem Markt Kosten verursacht, die nicht von den Verursachern getragen, sondern Dritten oder der Gesellschaft aufgebürdet werden, sprechen wir von externen Kosten.. Diese betreffen vor allem freie Güter. Freie Güter kommen in der Natur in scheinbar unbeschränkter Menge vor. Sie können deshalb nicht bewirtschaftet werden und haben Gemäss einer Studie des Bundesamtes für Raumfolglich auch keinen Marktpreis. Am Beientwicklung betrugen die externen Kosten des spiel der Lärmbelastung durch den Flugverprivaten Strassenverkehrs im Jahr 2019 9,8 Mrd kehr im Einzugsbereich eines Flughafens Franken lassen sich externe Kosten illustrieren. Wie Proteste der Anwohner von Anflug- oder Abflugschneisen deutlich zeigen, ist Fluglärm eine Belästigung. Die Anwohner in den betroffenen Gebieten müssen diese Belästigung «gratis» ertragen, weil sie dafür nicht entschädigt werden, d. h., Lärm hat für die Verursacher keine Kosten, welche sie in den Preis einkalkulieren müssen. In die Kostenkalkulation eines Flugtickets fliessen alle möglichen Kostenfaktoren ein, wie z. B. Treibstoffkosten, Lohnkosten, Flugzeugamortisation oder Landegebühren, nicht jedoch der Lärm. Damit zahlt ein Flugpassagier mit dem Ticketpreis nicht alle Kosten, die sein Flug verursacht. Durch die zu tiefen Flugpreise ohne «Lärmkostenanteil» ist Fliegen «zu billig», deshalb wird häufiger geflogen. Würden nämlich externe Kosten internalisiert, d. h. den Verursachern belastet, müssten die Ticketpreise bei der Menge m 1 von p 1 nach p 2 angehoben werden (vgl. Abbildung). Dies hätte dieselbe Wirkung wie eine Linksverschiebung der Angebotskurve mit der Folge, dass die Anzahl Flüge – und damit auch die Lärmbelastung – abnähme und sich bei der Menge m 2 sowie dem Preis p 3 einpendeln würde.
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p3 Externe Kosten
p1
m2
m1
Anzahl Flüge
Mengenrückgang
Tatsächlich verlangt z. B. der Flughafen Zürich seit Langem Lärmgebühren, die zweckgebunden für Lärmsanierungen und Lärmbekämpfungsmassnahmen im Umfeld des Flughafens verwendet werden. Die anhaltenden Proteste der Anwohner lassen allerdings darauf schliessen, dass damit nicht alle externen Kosten abgegolten werden können. Externe Kosten können wir allgemein als jene Kosten umschreiben, die im sozialen und ökologischen Umfeld eines Marktes entstehen, aber nicht von den Marktteilnehmern getragen werden. Neben dem beschriebenen Versuch, diese Kosten mit Geld zu bewerten und auf gesetzlichem Weg in die Preise einzurechnen (Internalisierung), kann der Staat auch mit Verboten agieren oder sich selbst um die Beseitigung der negativen Effekte kümmern. Beim Beispiel des Fluglärms wirkt sich dies in Nachtflugverboten oder der staatlich finanzierten Schallisolation von Gebäuden aus.
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Das haben Sie gelernt Die unterschiedlichen Funktionen des Marktpreises beschreiben Die drei zentralen Aufgaben des Staates in einer Marktwirtschaft nennen Die sieben Ziele der Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik beschreiben Gründe aufzählen, warum die sieben Ziele der Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik wichtig sind Die verschiedenen Bereiche des politischen Handelns beschreiben
Offene Fragen
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Diese Begriffe können Sie erklären Preisfunktionen
Ausgeglichener Staatshaushalt
Informationsfunktion
Haushaltsdefizit
Allokationsfunktion (Steuerungsfunktion)
Budgetdefizit
Koordinationsfunktion
Schuldenbremse
Freiheitliche Rechtsordnung
Staatskonsum
Eigentumsgarantie
Sozialer Ausgleich
Vertragsfreiheit
Steuerpolitik
Rechtssicherheit
Direkte / indirekte Steuer
Regulierung / Deregulierung
Progressives Steuersystem
Marktversagen
Sozialversicherung
Externe Kosten
Sozialhilfe
Externer Nutzen
Soziales Netz
Internalisierung externer Kosten
Sozialer Indikator
Öffentliche Güter (Gemeingüter)
Umweltqualität
Wettbewerbsbeschränkungen
Politisches Handeln
Staatsversagen Preisstabilität Teuerung Inflation Deflation Vollbeschäftigung Arbeitslosenquote Wirtschaftswachstum Aussenwirtschaftliches Gleichgewicht Zahlungsbilanz Leistungsbilanz Bilanz der Vermögensübertragungen Kapitalbilanz Aussenwirtschaftspolitik Währungspolitik Brennpunkt Volkswirtschaft
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(X)
d ) Die Schweizerische Nationalbank garantiert einen bestimmten Mindestkurs des Frankens gegenüber dem Euro, um die Exportindustrie im internationalen Wettbewerb konkurrenzfähig zu halten. e ) Die Schweizerische Nationalbank kündigt an, dass sie in den nächsten Monaten eine restriktive Geldpolitik verfolgen wird, damit die Kaufkraft des Geldes erhalten bleibt.
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(X)
X
(X)
X
A
B
C
g) Das Defizit in der Invalidenversicherung wird mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer ausgeglichen.
X X
(X)
h) Der Regierungsrat teilt mit, dass der kantonale Beitrag zur Verbilligung der Krankenkassenprämien reduziert wird. i) Für Schulabgänger, die auch nach dem zehnten Schuljahr noch keine Lehrstelle gefunden haben, wird ein spezielles Berufsvorbereitungsjahr angeboten.
X
Aussenwirtschaftliches Gleichgewicht Ausgeglichener Staatshaushalt
G f ) Der Steuertarif wird so verändert, dass die Progression zunimmt.
X
c ) Die CO2-Abgabe auf fossilen Energieträgern wird erhöht, um den CO2-Ausstoss zu vermindern.
F
D
Umweltqualität
b) Der Staat erhöht die Ansätze für Sozialhilfeempfänger.
Wirtschaftswachstum
X
Vollbeschäftigung
X
E
Sozialer Ausgleich
a ) Die Schweiz schliesst ein Freihandelsab kommen mit Indien. Dadurch versprechen sich exportorientierte Unternehmungen höhere Umsätze.
D
Preisstabilität
C
Umweltqualität
B
Sozialer Ausgleich
Wirtschaftswachstum
A
Aussenwirtschaftliches Gleichgewicht Ausgeglichener Staatshaushalt
Vollbeschäftigung
Kreuzen Sie an, auf welche Ziele sich die nachfolgend formulierten Massnahmen vermutlich auswirken werden (Mehrfachnennungen möglich).
Preisstabilität
Übung 3 Welche Ziele sind betroffen?
E
F
G
X
X
X
X
X
X
(X)
X
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Aufgabe 1 Wirtschaftspolitische Eingriffe: Vergleich Schweiz – Venezuela Am 22. 11. 2013 verbreitete die Schweizerische Depeschenagentur folgende Nachricht: Der venezolanische Präsident Nicolás Maduro hat seine neuen Sondervollmachten genutzt und zwei Dekrete1 zur Wirtschaftspolitik erlassen. Am Donnerstagabend (Ortszeit) unterzeichnete er ein Gesetz, das unter anderem die Preise bestimmter Warengruppen senkt. Zudem beschränkt das Gesetz Unternehmensgewinne auf 15 % bis 30 %. «Dieses Gesetz hat das einzige Ziel, die wirtschaftlichen und sozialen Rechte der arbeitenden
Bevölkerung zu schützen», sagte der Staatschef laut Medienberichten bei der Unterzeichnung. Ein zweites Gesetz regelt den Aussen- und Devisenhandel. Am Dienstag hatte die Nationalversammlung das Ermächtigungsgesetz «Ley Habilitante» gebilligt. Maduro kann nun ein Jahr mit Dekreten und ohne Beteiligung des Parlaments regieren. Die Opposition hatte kritisiert, das Gesetz demontiere die Demokratie, die Verfassung und den Rechtsstaat.
c) Welche langfristigen ökonomischen Folgen dürfte die Massnahme haben?
Die Unternehmungen werden sich aus diesen Bereichen zurückziehen, weil sie keine Gewinne mehr erwirtschaften können. Das Angebot wird deutlich zurückgehen. Langfristig wird sich die Versorgungslage folglich verschlechtern. d) Welche anderen Folgen muss Herr Maduro befürchten?
Soziale Spannungen, weil nicht alle Menschen davon profitieren. Rückzug investitionswilliger Unternehmungen, weil die Rechtssicherheit nicht mehr gewährleistet ist.
a ) Was bezweckt der venezolanische Präsident mit seinem Dekret?
Die arbeitende Bevölkerung soll sich bestimmte Güter leisten können, die sie sich aufgrund der Marktpreise nicht leisten könnte.
e) Nennen Sie Bereiche, in denen der Staat auch in der Schweiz in die Preisbildung eingreift? Erläutern Sie mögliche Gründe, warum er dies tut.
Subventionen, z. B. im öffentlichen Verkehr, Krankenkassenprämien,
b) Welche kurzfristigen ökonomischen Folgen dürfte die von Präsident Maduro verlangte Preissenkung haben?
Medikamentenpreise, Schutzzölle (z. B. im Agrarsektor).
Gemäss dem Preis-Mengen-Modell dürfte die Nachfrage infolge
Es soll damit sichergestellt werden, dass ein übergeordnetes
der tieferen Preise deutlich zunehmen (Nachfrageüberschuss).
gesamtgesellschaftliches Ziel besser erreicht wird.
Die Geschäfte werden gegebenenfalls schnell leergekauft.
f ) Was unterscheidet die Markteingriffe in der Schweiz grundsätzlich von den beschrie benen Massnahmen in Venezuela?
Die Eingriffe in Venezuela basieren auf einem Entscheid der
▼ Hinweis zur Situation in Venezuela (Stand: 02/2022) Die Wirtschaft schrumpfte bis 2021 um mehr als 75%. Die Dollarisierung ab 2019 hat zwar für volle Regale im Einzelhandel gesorgt, die Kaufkraft ist jedoch um 40% gesunken. 95% der Bevölkerung gilt heute als arm; ein Drittel leidet an Unterernährung oder Hunger. Seit 2014 haben über 6 Millionen Menschen aus Venezuela ihr Land verlassen
Regierung (eine Art Notrecht). Die Eingriffe in der Schweiz basieren auf Gesetzen, die vom Parlament erlassen und vom Volk akzeptiert wurden. 1
Ein Dekret ist ein vom Staatsoberhaupt mit Gesetzeskraft ausgestattetes Dokument.
g ) Vergleichen Sie anhand der folgenden Daten die wirtschaftliche, soziale und ökologische Situation von Venezuela und der Schweiz. Venezuela
2018 Venezuela
Ökonomische Situation:
– starke Rezession
3 411
BIP (pro Kopf) in USD Wachstum BIP (real) in %
2,8
Inflation in %
0,9
– mässiges Wachstum auf hohem Niveau
Arbeitslosenquote in %
4,9
– tiefe Inflation bei tiefer Arbeitslosigkeit
35
– sehr hoheArbeitslosigkeit
17,7
Import in Mia., USD
275,5
29,2
Export in Mia., USD
309,9
– 337 660
– Exportüberschuss auf tiefem Niveau – totaler Wertverlust der nat. Währung
76,2
– sehr hohe Verschuldung – Staatshaushalt mit sehr hohem Defizit Soziale Situation:
– hohe Lebenserwartung – sehr weit verbreitete Korruption – sehr hohe Kriminalität Ökologische Situation:
– mässig hoher CO2-Verbrauch
Kein Druckfehler; die Inflationsrate ist tatsächlich unvorstellbar hoch, gemäss IWF gar 1 370 000 %. (Quelle: Zeitoneline 29. Mai 2019)
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– 1,8
Lebenserwartung in Jahren
83,4
Ökonomische Situation:
– Exportüberschuss auf hohem Niveau – mässige Verschuldung – Staatshaushalt mit geringem Überschuss
Kindersterblichkeit je 1000 Geburten (in %) [2016]
0,4
3,7
CO 2-Ausstoss pro Kopf in Tonnen
4,8
109
Mobiltelefonanschlüsse pro 100 Einwohner
132
6,9
Ausgaben für Bildung in % des BIP [2009/2015]
5,1
– hohe Lebenserwartung – keine Korruption
Human Development Index
– 10,3
Veränderung Waldfläche in % (1990 – 2015/2013)
10
– geringe Kriminalität
– 31
Haushaltssaldo in % des BIP
1,3
Ökologische Situation:
182
Staatsverschuldung in % des BIP
28
56
Stromverbrauch pro Kopf in kWh [2015/2018] Korruption (Position bei 180 Ländern) Tötungsdelikte pro 100 000 Einwohner [2016]
Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik (Ausgabe für Lehrperson)
0,944
Soziale Situation:
0,761
168
1
Wertveränderung der nationalen Währung im Vergleich zum USD innerhalb eines Jahres (in %)
1,6
2 335
– starker Rückgang der Waldfläche
83 162
Schweiz
– 18,0 65 3741
– Hyperinflation
2018 Schweiz
6 771
– hoher CO2-Verbrauch – Zunahme der Waldfläche
3 0,5
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