Interview mit Zeitzeugin Christine Rösch über die wilde Vertreibung (Seite 3)
Sudetendeutsche Zeitung Die Zeitung der Sudetendeutschen Landsmannschaft
Reicenberger Zeitung 160. Jahrgang
HEIMATBOTE
Jahrgang 73 | Folge 24 | 2,80 EUR · 75 CZK | München, 18. Juni 2021 Gedenken in Lidice
1 CZK = 0,0393 EUR 1 EUR = 25,418 CZK
Milena Jesenská
Lesung als Erinnerung an die Prager Journalistin S. 7
Galonzer Bijouterie
Zuzana Slámová produziert Kunst aus Glasperlen S. 12
Subventionen an Agrofert
EU-Parlament stellt sich gegen Babiš Das Europäische Parlament hat in der vergangenen Woche mit überwältigender Mehrheit einen Interessenskonflikt des tschechischen Premierministers Andrej Babiš wegen dessen Beteiligung an dem Konzern Agrofert festgestellt.
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Karlspreis für Daniel Herman: „Brückenbauer und Versöhner“
KURSE
Das ungewöhnliche Leben von Heinz Sagner S. 5
Postvertriebsstück · Deutsche Post AG · Entgelt bezahlt Sudetendeutsche Verlagsgesellschaft mbH · Hochstraße 8 · D-81669 München · eMail zeitung@sudeten.de
Verleihung auf dem Sudetendeutschen Tag in München
Deutscher Botschafter legte Kranz nieder S. 2
Singender Apotheker
VOLKSBOTE
Beim 71. Sudetendeutschen Tag, der pandemiebedingt verkleinert im Münchner Kulturzentrum Gasteig stattfindet, wird die Sudetendeutsche Landsmannschaft ihren Europäischen Karlspreis dem ehemaligen tschechischen Kulturminister Daniel Herman verleihen.
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eim Festakt am Samstag, 17. Juli 2021, nachmittags wird auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder als Schirmherr des Vierten bayerischen Stammes und Festredner teilnehmen. Der Sprecher, also oberste politische Repräsentant, der Sudetendeutschen Volksgruppe, Bernd Posselt betont, daß Daniel Herman „ein christlicher Brükkenbauer und Versöhner wie kaum ein anderer“ sei. Er ha-
be 2016 als erstes Mitglied einer tschechischen Regierung bei einem Sudetendeutschen Tag gesprochen und die Vertreibung der mehr als 3 Millionen Deutschen aus der Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg eindeutig verurteilt. Sowohl als Pressesprecher der tschechischen Bischofskonferenz als auch später als christ-demokratischer Politiker sei Herman führend am Dialog zwischen den „tschechischsprachi-gen und den deutschsprachigen Kindern der Böhmischen Länder im Herzen Europas“ betei-ligt gewesen, so Posselt. Dies habe sich unter anderem in seiner bis heute andauernden Arbeit als Ratsmitglied des von den Regierungen in Prag und Berlin eingerichteten Deutsch-Tschechischen
Daniel Herman auf dem Sudetendeutschen Tag 2016.
Gesprächsforums niedergeschlagen, aber auch in der Aushandlung eines bayerisch-tschechischen Kulturabkommens mit dem seinerzeitigen Kultusminister des Freistaates, Ludwig Spaenle, in die die Sudetendeutschen in vorbildlicher Weise einbezogen ge-wesen seien. Persönlichkeiten wie Daniel Herman bieten nach Ansicht Posselts „allen Anlaß für die Hoffnung, daß auch in den kommenden Jahren in der Tschechischen Republik Kräfte gestärkt und geweckt werden, die die sudetendeutschtschechische Zusammenarbeit fortsetzen und intensivieren“. Der Europäische Karlspreis der Sudetendeutschen ist nach Karl IV., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches sowie böhmischer und deutscher König aus
dem Hause Luxemburg, benannt. Unter den bisherigen Karlspreisträgern waren Persönlichkeiten der tschechischen Zivilgesellschaft wie Bischof Josef Koukl und der ehemalige Sprecher der Freiheitsbewegung Charta 77, Petr Uhl, der Gründer der Paneuropa-Bewegung, Richard Coudenhove-Kalergi, und sein Nachfolger Otto von Habsburg, herausragende deutsche und bayerische Politiker wie Bundespräsident Karl Carstens und Ministerpräsident Franz Josef Strauß sowie Repräsentanten der verschiedenen Religionsgemeinschaften wie der Wiener Kardinal Christoph Schönborn und die Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde in München und Oberbayern, Charlotte Knobloch.
Dokumentationszentrum
Die ersten Bilder aus Berlin
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intergrund ist ein Streit um die von Andrej Babiš gegründete Agrofert-Holding. Babiš hatte seine milliardenschwere Unternehmensbeteiligung offiziell an zwei Treuhandfonds übertragen, damit Agrofert weiter von EU-Subventionen profitieren konnte, nachdem er Ende 2017 Regierungschef geworden war. Doch nach Ansicht der EURechnungsprüfer hat Babiš de facto weiterhin Einfluß auf das Unternehmen und war deshalb unzulässigerweise selbst Nutznießer der Fördermittel. Die Resolution ist allerdings nicht bindend, sondern soll den politischen Druck auf andere EU-Institutionen und die Tschechische Republik selbst erhöhen. Auf Twitter sprach Babiš von einer Intrige der Opposition, um die Parlamentswahlen im Oktober zu seinen Ungunsten zu beeinflussen. Die Resolution enthalte „Lügen und Verleumdungen“. Und die Einmischung der EU „in die inneren Angelegenheiten“ seines Landes sei inaktzeptal, so der tschechische Regierungschef. JŠ
Mit einem Festakt, an dem auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Kultur-Staatsministerin Prof. Monika Grütters teilnehmen, wird am Montag um 15 Uhr das neue Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung in Berlin eröffnet.
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irekt vor der Bundeskanzlerin wird Christine Rösch als Zeitzeugin von der Vertreibung der Sudetendeutschen berichten (siehe Seite 3). Der Festakt wird auch als Livestream im Internet übertragen (www.fluchtvertreibung-versoehnung.de) Bereits am Mittwoch hat Direktorin Dr. Gundula Bavendamm den neuen Erinnerungs- und Dokumentationsort vorgestellt. Für den Publikumsverkehr ist das Dokumentationszentrum ab Mittwoch, 23. Juni, zugänglich. Öffnungszeiten: täglich außer montags von 10 bis 19 Uhr. Der Eintritt ist frei.
Das Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung befindet sich in der Nähe des Anhalter Bahnhofs Bilder: Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung / Michael Gröteke
Polen weigert sich nach wie vor, eine Anordnung des Europäischen Gerichtshofs zu respektieren und baut weiterhin Braunkohle in Turów ab
Die Zerstörung der Heimat schreitet weiter voran Der Streit um den Braunkohleabbau in Turów bei Reichenau in der Oberlausitz spitzt sich zu.
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a Polen sich weiterhin der Anordnung des Europäischen Gerichtshofs widersetzt, den Kohleabbau in Turów zu stoppen, hat die Tschechische Republik das Gericht aufgefordert, eine Strafe von fünf Millionen Euro pro Tag gegen Polen zu
verhängen. Gleichzeitig zeigt der Streit exemplarisch, wie schwer man sich in der EU beim grenzüberschreitenden Umweltschutz tut. Seit 1945 liegt das ehemals deutsche Braunkohleabbaugebiet, in dessen Nachbarschaft viele Sudetendeutsche bis zur Vertreibung gelebt hatten, in einem Dreiländereck. Nationale Interessen führen hier dazu, daß
man sich immer wieder an der Landschaft und ihren Bewohnern versündigt. In Polen, an der Lausitzer Neiße, ist durch den Kohleabbau bereits eine Senke entstanden, die bis zu 300 Meter unterhalb des Flußbetts eine riesige Wunde in die Landschaft gerissen hat. Mehrere historische Orte sind dabei verschwunden. Auch die Luftverschmutzung ist wegen der
Braunkohleverstromung besonders hoch – und sie ist grenzüberschreitend. Um die eigene Energieversorgung sicherzustellen, kommt es immer wieder zur mittelalterlich amutenden Konflikten zwischen den Ländern Deutschland, Polen und der Tschechichen Republik, die doch alle Mitgliedsländer der Europäischen Union sind. Der Tagebau bedeutet etwa
für die tschechische Seite eine starke Verschlechterung des Zugangs zum Wasser – die Wasserquellen versinken in der Tiefe, die Abgase der Kraftwerke schaden der Umgebung in allen drei Ländern. In Turów argumentiert man hingegen mit der Energiesicherheit und den Arbeitsplätzen. Nach der Tschechischen Republik hat jetzt auch die Europäische Kommission Klage beim
EuGH gegen Polen eingereicht. Dagegen wird der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki nach wie vor nicht müde zu erklären, daß Polen den Tagebau nicht schließen werde. Die in Deutschland favorisierte Energiewende mit dem verstärkten Einsatz erneuerbarer Energiequellen sieht man in Warschau weiterhin mit großer Skepsis. Jaroslav Šonka
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AKTUELL · MEINUNG
Sudetendeutsche Zeitung Folge 24 | 18. 6. 2021
AUS UNSEREM PRAGER BÜRO
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ie Freiherren Daublebsky von Sterneck stammen aus Südböhmen. So ist es nicht verwunderlich, daß ihre Familienmitglieder auch in der böhmischen Landeshauptstadt Prag wirkten oder dort ihre letzte Ruhestätte fanden. Klas Daublebsky war, als höchster Diplomat der Republik Österreich, in den Jahren 1999 bis 2005 Botschafter in der Tschechischen Republik. In einer der zahlreichen Pri-
PRAGER SPITZEN Krejčíková schreibt Tennis-Geschiche
vatbegegnungen mit dem SL-Büroleiter Peter Barton erzählte er, er habe das Grab seiner Vorfahren am Prager Wolschan-Friedhof (Olšany) aus eigenen Mitteln erneuern lassen. Leider verstarb Daublebsky 2013 im Alter von 74 Jahren. Barton fand dieses Grab und erinnert damit auch an diesen hochverdienten Diplomaten, der sich vor neunzehn Jahren mit großem Interesse an der Entstehung des Sudetendeutschen Büros in Prag beteiligt hatte.
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Der tschechische Premierminister Babiš fordert, die Erinnerung an das Massaker der Nazis nicht verblassen zu lassen
Jahrestag in Lidice: Deutscher Botschafter gedenkt der Opfer Zum 79. Jahrestag des Massakers von Lidice hat der tschechische Premierminister Andrej Babiš mit einer Kranzniederlegung der Opfer gedacht, die am 10. Juni 1942 von den Nazis ermordet worden waren. Mit dabei war auch der deutsche Botschafter in der Tschechischen Republik, Christoph Israng, der aber in der offiziellen Pressemitteilung der Prager Regierung nicht namentlich genannt wurde.
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n der Tschechischen Republik schreitet der Kampf gegen die Coronapandemie voran. Mittlerweile sind bereits über zwei Millionen der rund elf Millionen Tschechen zweimal geimpft, also fast zwanzig Prozent. Auch die Sieben-Tage-Inzidenz ist stark rückläufig und liegt jetzt im unteren zweistelligen Bereich. Anfang des Jahres hatten sich noch bis zu 17 000 Bürger pro Tag mit dem Coronavirus infizierten. Bislang sind in der Tschechischen Republik 30 000 Menschen an oder mit dem Coronavirus verstorben.
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Der deutsche Botschafter Christoph Israng (oben und rechts) gedenkt der Opfer und legt einen Kranz nieder. Links: der tschechische Premierminister Andrej Babiš. Der SS-Obergruppenführer Heydrich war Tage nach dem Attentat seinen Verletzungen erlegen. Er hatte sich zahlreicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht und war einer der Hauptorganisatoren des Holocausts. Die ursprüngliche Absicht der Nazis, das Dorf vom Angesicht der Erde zu tilgen, sei aber, so die
Die Sudetendeutschen
HEIMATBILDER Für den 2022er Kalender der Sudeten deutschen Landsmannschaft suchen wir schon jetzt schöne Farbfotos aus Böhmen, Mähren und Sudetenschlesien.
Eine Jury wird dann aus den Bildern die jenigen aussuchen, die ein vielfältiges Bild der Volksgruppe zeigen und dem Wechsel der Jahreszeiten gerecht werden.
Die Landsmannschaft ruft erneut alle Hobbyfotografen auf, mit der Kamera die Heimat einzufangen. Gesucht werden Motive, die sich mit der Kultur und der Vielfalt der sudetendeutschen Heimat auseinandersetzen: stimmungsvolle Land schaften, historische Gebäude und grenz überschreitende Begebenheiten. Auch Winterbilder sind gefragt. Den Ideen und der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.
Folgende Angaben sind für jedes Bild erforderlich: exakte Beschreibung, Ort mit Kreisangabe und Datum der Aufnahme, Vor und Nachname der/des Fotografin/ Fotografen, Anschrift, Telefonnummer, gegebenenfalls EMailAdresse.
Die digitalen Farbfotos sollen in höchster Auflösung (bitte alle Verkleinerungs optionen des Betriebssystems oder EMailProgramms abschalten!) per EMail an kalender@sudeten.de oder auf einem Datenträger (CD/DVD/USBStick) bis Dienstag, 31. August 2021 an die Sudetendeutsche Landsmannschaft (Hochstraße 8, 81669 München) geschickt werden.
Fast zwanzig Prozent vollständig geimpft
Václav Havel posthum geehrt
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ir müssen uns an die Gräueltaten der Nazis erinnern, an die Gräueltaten, die Menschen begangen haben. Wir müssen darüber nachdenken, wie es passiert ist. Vielleicht sollten wir auch heute darüber nachdenken, warum die heutige Gesellschaft so haßerfüllt ist und was sie provoziert“, sagte Babiš und forderte, die Erinnerung an diese Gräueltaten nicht verblassen zu lassen. An der Kranzniederlegung nahmen auch Senatspräsident Miloš Vystrčil, Parlamentspräsident Radek Vondráček sowie die Minister Jana Maláčová (Arbeit und Soziales) und Lubomír Zaorálek (Kultur) teil. Als Vergeltungsaktion für das Attentat auf den stellvertretendern Reichsprotektor in Böhmen und Mähren, Reinhard Heydrich, hatten die Nazis in der Nacht vom 9. auf den 10. Juni 1942 das Dorf gestürmt und die 173 Männer und Jugendlichen über 15 Jahren erschossen. Die Frauen und die meisten Kinder wurden in Konzentrationslager deportiert, wo viele starben. Anzeige
ls zweite Tschechin und als dritte ungesetzte Spielerin hat Barbora Krejčíková am Samstag die French Open in Paris gewonnen. Die 25-Jährige setzte sich im Finale gegen die Russin Anastasia Pavlyuchenkova mit 6:1, 2:6, 6:4 durch und holte damit den ersten Grand-Slam-Titel ihrer Karriere. Am Tag drauf gewann Krejčíková mit ihrer Partnerin Kateřina Siniaková auch noch das Doppelfinale und schrieb damit endgültig TennisGeschichte
Die Fotografen gewährleisten ausdrück lich, dass sie das Urheberrecht an den ein gereichten Fotos haben und diese frei von Ansprüchen und Rechten Dritter sind. Sie räumen dem SLBundesverband uneinge schränktes und unentgeltliches Nutzungs recht ein und erklären sich mit der Veröf fentlichung ihres Namens einverstanden. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
Prager Regierung in ihrer Pressemeldung, nicht aufgegangen: „Lidice wurde wieder aufgebaut und viele Plätze, Straßen, Dörfer oder auch Frauen auf der ganzen Welt tragen zu ihren Ehren den Namen Lidice.“ Gemeinsam mit dem damaligen Ministerpräsidenten Horst Seehofer hatte auch Bernd Posselt, Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe, den Ort 2011
besucht und dort ebenfalls der Opfer gedacht. Erst im April war mit Marie Šupíková eine der wenigen Überlebenden im Alter von 88 Jahren verstorben (Sudetendeutsche Zeitung berichtete). Als „Mädchen von Lidice“ wurde sie 1947 weltberühmt, als die damals 15jährige in den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen gegen die Täter ausgesagt hat. Torsten Fricke
Ausstellung porträtiert den Komponisten Karel Reiner
Unbeugsam unter beiden Diktaturen In Saaz wird am 20. Juni die Ausstellung „Karel Reiner – der Komponist in seiner Zeit“ eröffnet, die bis zum 31. Juli zu sehen sein wird. Im Internet wird unter www.karelreiner.eu ebenfalls an den unbeugsamen Künstler erinnert.
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arel Reiner ist einer der interessantesten Komponisten der tschechischen musikalischen Moderne. Am 27. Juni 1910 wurde er in eine deutschsprachige Saazer Familie jüdischen Glaubens geboren. 1928 ging er nach Prag und schloß sich als Schüler von Alois Hába der dortigen Komponistenavantgarde an. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht und der Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren organisierte er geheime Konzerte und komponierte weiter. 1943 wurde er ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, wo er Stücke für die dort internierten Kinder komponierte und inszenierte. 1944 nach Auschwitz transportiert, wurde
er bereits nach einer Woche zum Arbeitseinsatz in eine Außenstelle des KZ Dachau verbracht und überlebte den Krieg. Das Plakat zur Nach der Ausstellung. Rückkehr nach Prag mußte der nur knapp dem Tode entgangene deutschjüdische Komponist um die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft kämpfen. Schließlich konnte er wieder an seine Arbeit aus der Vorkriegszeit anknüpfen, geriet jedoch mit der Kulturpolitik in der ČSSR rasch über Kreuz. Die kulturellen Freiheiten der 1960er Jahre ermöglichten Reiner internationalen Austausch, und sein Ansehen in der Heimat wuchs. Nach der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ blieb er sich bis zu seinem Tod 1979 als wacher und unangepaster Schöpfergeist treu.
er ehemalige tschechische und tschechoslowakische Staatspräsident Václav Havel ist mit dem Czech and Slovak Transatlantic Award posthum geehrt worden. Dies teilten die Organisatoren am Freitag mit. Der Preis wird von Globsec und der tschechischen Organisation Jagello 2000 verliehen. Mit diesem Preis werde Havel für seine Verdienste um die Demokratie und die transatlantischen Beziehungen ausgezeichnet, teilten die Organisatoren von Globsec und Jagello 2000 mit. Zweiter Preisträger in diesem Jahr ist der US-amerikanische General John Allen, der ehemalige Sonderbeauftragte der Vereinigten Staaten für die Internationale Allianz gegen den Islamischen Staat.
Funde aus der Steinzeit entdeckt
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ei Daudleb an der Adler in Ostböhmen haben Archäologen die Überreste mehrerer Siedlungen aus der Steinzeit
gefunden. Als interessantesten Fund bezeichneten die Wissenschaftler von der Universität in Königgrätz und vom Museum in Reichenau an der Knieschna die Reste einer Siedlung aus der älteren Steinzeit, die wahrscheinlich zu einer Opferstätte gehört hat. Die Steinzeit wurde in Europa 2200 Jahre vor Christus durch die Bronzezeit abgelöst und gilt als früheste Epoche der Menschheitsgeschichte.
Dreiviertel der Toten hatten keinen Helm
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elme können Leben retten. Im vergangenen Jahr starben auf den tschechischen Straßen 40 Radfahrer, 29 hatten keinen Helm. Die Polizei plant deshalb eine Kampagne für das Tragen von Fahrradhelmen, hat Verkehrspolizeichef Jiří Zlý gegen den Medien angekündigt. In der Tschechischen Republik ist besteht nur für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre eine Helmpflicht auf dem Fahrrad.
Wieder mehr Firmen-Gründungen
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rotz Coronapandemie sind von Januar bis Ende Mai in der Tschechischen Republik über 13 000 neue Firmen gegründet worden. Ein Plus von 18 Prozent zum Vorjahr. Augenscheinlich habe die Pandemie dem Optimismus der Unternehmer nicht so viel anhaben konnte, wie zunächst befürchtet worden sei, sagte Petra Štěpánová von der Beratungsgesellschaft Dun & Bradstreet, die die Analyse durchgeführt hat. Derzeit gibt es in der Tschechischen Republik über 527 000 Unternehmen, davon sind 500 000 GmbHs und 27 000 Aktiengesellschaften.
Aschenbrödel-Star verstorben
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chauspielerin Libuše Šafránková ist im Alter von 68 Jahren an einem Krebsleiden verstorben. Zu ihren berühmtesten Filmrollen gehörte die Titelrolle im Filmmärchen „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ von 1973. Libuše Šafránková stammte aus der Nähe von Brünn. Der späterte Filmstar besuchte das dortige Konservatorium. Nach dem Studium begann sie im legendären Prager Theater hinter dem Tor. In den 1990er Jahren war sie auch Mitglied des Schauspielensembles des Prager Nationaltheaters.
Sudetendeutsche Zeitung
ISSN 0491-4546 Erscheint wöchentlich freitags. Redaktionsschluß Veranstaltungstermine: Freitag 18.00 Uhr. Redakationsschluß Montag 18.00 Uhr. Chefredaktion und verantwortlich für den Inhalt: Torsten Fricke, Nadira Hurnaus. Kulturredaktion: Susanne Habel. Korrespondent in Prag: Dr. Jaroslav Šonka; Korrespondentin in TeplitzSchönau: Jutta Benešová; Korrespondenten im Isergebirge: Stanislav Beran, Petra Laurin; Korrespondent in Berlin: Ulrich Miksch. Ständige Mitarbeit: Peter Barton, Markus Bauer, Josef Grimm, Professor Dr. Rudolf Grulich, Dr. Wolf-Dieter Hamperl, Kathrin Hoffmann, Peter Pawlik, Herbert Ring, Karl Reitmeier, Hildegard Schuster, Lexa Wessel. Verlagsassistentin: Birte Rudzki. Anschrift für alle: Hochstraße 8, 81669 München. Redaktion: eMail zeitung@sudeten.de; Verlag: Telefon (0 89) 48 00 03 80, eMail svg@sudeten.de. Jahres-Abonnement 2021 Inland als Postvertriebsstück im Lastschriftverfahren 125,00 EUR einschließlich 7 Prozent Mehrwertsteuer. Ausland 154,00 EUR, Luftpost auf Anfrage. Reichenberger Zeitung (24 Ausgaben jährlich) 62,50 EUR, Neudeker Heimatbrief (12 Ausgaben jährlich) 31,25 EUR. Je Rechnung 2,00 EUR Aufschlag. Bankverbindung: Postbank München – IBAN: DE13 7001 0080 0005 7278 08, BIC: PBNKDEFF; Abbestellungen mit einer Frist von vier Wochen zum Vierteljahresschluß schriftlich an den Verlag. Anzeigenpreisliste Nr. 13 vom 1. Januar 2021; Anzeigengestaltung erst nach Auftrag. © 2021 Sudetendeutsche Verlagsgesellschaft. Diese Zeitung ist mit allen Texten und Bildern urheberrechtlich geschützt. Nachdruck, Vervielfältigung und Verwertung – insbesondere auch Weitergabe in Form von Kopien oder Einstellen ins Internet – sind ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar, soweit sich aus dem Urheberrecht nichts anderes ergibt. Mit vollem Namen gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder der Sudetendeutschen Landsmannschaft wieder. Gerichtsstand und Erfüllungsort München. Kein Entschädigungsanspruch bei Nichterscheinen oder Nichtlieferung infolge Streik oder höherer Gewalt. Keine Gewähr für nicht angeforderte Manuskripte, Bilder, Dokumente, Datenträger und Daten. Alle datenschutzrechtlichen Vorschriften werden beachtet; Einzelheiten unter www.sudeten.de Sudetendeutsche Verlagsgesellschaft mbH, HRB München 3796. Geschäftsführer und verantwortlich für Anzeigen: Herbert Fischer. Alleiniger Anteilseigner: Sudetendeutsche Landsmannschaft, Hochstraße 8, 81669 München. Druck und Versand: Presse-Druck- und Verlags-GmbH, 86167 Augsburg.
Dieses Projekt wird aus Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales gefördert.
Direkt vor Bundeskanzlerin Angela Merkel wird Christine Rösch am Montag bei der Eröffnung des Dokumentationszentrums „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ in Berlin über ihr eigenes Schicksal erzählen. Die 92-Jährige wurde 1929 in Neutitschein im Kuhländchen geboren, 1946 aus ihrer Heimat vertrieben und lebt heute in München. Für ihr nachhaltiges Engagement um die Kuhländler Tänze, das im vergangenen Jahr zur Eintragung als immaterielles Kulturgut der UNESCO geführt hat, wird Christine Rösch auf dem Sudetendeutschen Tag am 16. Juli in München mit dem Preis für sudetendeutsche Heimat- und Volkstumspflege ausgezeichnet. Im Interview mit der Sudetendeutschen Zeitung schildert sie ihr bewegtes Leben.
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AKTUELL
Sudetendeutsche Zeitung Folge 24 | 18. 6. 2021
� Interview mit Christine Rösch, die den Preis für sudetendeutsche Heimat- und Volkstumpflege erhält
„Ich glaube, wir sind die bewußteren Deutschen“
Frau Rösch, wie haben Sie vor über 75 Jahren das Ende des Zweiten Weltkriegs erlebt? Christine Rösch: Mein Vater ist 1944 in Rußland gefallen. 1945 rückte die Front immer näher. Als in Neutitschein schon der Kanonendonner zu hören war, beschloß meine Mutter, mit meinem jüngeren Bruder und mir zu fliehen. Am Bahnhof sind wir dann in einen Zug gestiegen. Wir waren dann mehrere Tage im Zug unterwegs und sind über Sternberg und Braunau gefahren. Am 8. Mai, als der Krieg zu Ende war, blieb der Zug einfach stehen. Wir waren in Maffersdorf in der Nähe von Reichenberg gestrandet. Sie waren 300 Kilometer von Ihrem Zuhause entfernt. Der ge- Christine Rösch vor dem Sudetendeutschen Museum in München. Bild: TF samte Zugverkehr war eingestellt. Wie ging es weiter? ne Mutter hat dort mehrere Ta- ste zusammenraffen konnten, beRösch: Wir waren zunächst ge auf uns gewartet, aber vergeb- vor sie zum Stadtplatz getrieben in einem Lager untergebracht. lich. Sie ist dann die Elbe entlang und dann zum zehn Kilometer Nach ein paar Tagen beschloß bis nach Pirna gegangen und hat entfernten Bahnhof laufen mußmeine Mutter, daß wir wieder dort in einem Lager gelebt. ten. Das hat ihm den Rest gegenach Hause gehen. Wir sind Sie waren damals 16. Ihr Vater ben. Von unserer Tante hat mein dann zu Fuß mit einem Leiterwa- ist gefallen, und plötzlich ist die Bruder dann erfahren, daß meine gen losgezogen, aber nicht direkt eigene Mutter nicht mehr da. Wie Mutter nach Pirna verbracht wordurch Böhmen, sondern über steht man das durch? den ist. Schlesien, also über Hirschberg. Rösch: Wir waren natürlich Wie haben Sie es geschafft, IhDanach konnten wir ein Stück verzweifelt und traurig, aber uns re Mutter wiederzusehen? mit dem Zug fahren. Als wir end- blieb nichts anderes übrig, als Rösch: Meine Mutter hat dann lich wieder Neutitschein erreich- damit zurechtzukommen und immer wieder Briefe geschrieten, wurde uns gesagt, daß in sich mit der Situation abzufin- ben, damit wir nachkommen könunserer Wohnung jetzt Tsche- den. Die Arbeit war hart, aber wir nen. Die Mutter einer Freundin chen wohnen. haben das glei- hat sich für uns eingesetzt. Am „Wir waren verzweifelt Wir sind dann che Essen be- 11. März 1946 sind wir schließbei einer Verkommen wie lich morgens um 4 Uhr in der und traurig.“ wandten unterdie Bauersleu- Früh durch die Stadt geführt und gekommen, die eine große Woh- te. Wie haben morgens um fünf zum Bahnhof gebracht worden. nung hatte und nicht wollte, daß Uhr angefangen und bis 22 Uhr Dort bin ich dann gründlich geFremde bei ihr einquartiert wer- gearbeitet. Auf dem Bauernhof filzt worden. Ich mußte mich vor den. wurden dann auch Russen ein- einer Tschechin, die ich flüchtig Wie konnten Sie sich in dieser quartiert. Die Bauersleute haben kannte und der ich nie etwas geZeit mit Lebensmitteln versorgen? mich dann mit in ihrem Schlaf- tan hatte, nackt ausziehen, damit Rösch: Um Lebensmittelkar- zimmer übernachten lassen. ich keine Wertgegenstände mitten zu erhalten, mußten wir uns Um Sie vor Übergriffen zu nehmen kann. Immerhin konnbei der Polizei melden. Dort wur- schützen? te ich ihr ein Schnippchen schlade uns dann auch eine Arbeit zuRösch: Ja, dieses Schicksal gen. Einen Ring, den mir mein gewiesen. Meine Mutter muß- vieler Mädchen und Frauen ist Vater bei einem seiner letzten te in einer Fabrik arbeiten. Mein mir Gott sei Dank erspart geblie- Heimatbesuche geschenkt hatte, Bruder und ich kamen auf einen ben. hat sie nicht gefunden. Den trage tschechischen Bauernhof, der eiWie haben Sie erfahren, wo Ih- ich noch heute. Nach zwei Tagen ne Stunde Fußmarsch von Neu- re Mutter ist und wie es ihr geht? Fahrt mit einem Güterzug haben titschein entfernt lag. Wir mußRösch: An einem Sonntag ist wir dann Furth im Wald erreicht. ten dort jeden Tag arbeiten, nur mein Bruder trotz der Ausgangs- Dort sind wir dann weiter nach sonntags hatten wir zwischen 14 sperre zu meiner Tante gegan- Hessen gebracht worden. und 18 Uhr frei. gen, die eine Stunde Fußmarsch Warum konnten Sie nicht zu Was passierte mit Ihrer Mut- entfernt wohnte. Sie hatte nicht ter? ausreisen müssen, weil sich ihr Rösch: Wie mein Bruder und Mann am Fensterkreuz erhängt ich erst viel später erfuhren, wur- hatte. Im Ersten Weltkrieg war er den am 4. Juli in Neutitschein in Kriegsgefangenschaft in Sibimehrere tausend Sudetendeut- rien und hat danach immer davon sche zusammengetrieben und gesprochen, daß er so eine Tortur in ein Lager verbracht. Darunter ein zweites Mal nicht überleben war auch meine Mutter. In Güter- würde. Er hat erlebt, wie Nachwaggons wurden die Menschen barn innerhalb von 15 bis 30 Midann in drei Tagen an die Gren- nuten ihre Wohnungen verlassen ze zu Sachsen gefahren. Mei- mußten und nur das Allernötig-
Februar 1944: Das letzte Familienfoto mit Vater Benno, der drei Monate später an der Ostfront fiel.
� Zur Person: Christine Rösch � Geboren am 18. Juni 1929 in Neutitschein. � Eltern: Benno und Alesia Parsch. � Mutter von drei Kindern und ehemalige
Verwaltungsangestellte. � Seit 1978 Mitglied im Heimatkreis München. � Mitglied in „Alte Heimat – Verein heimattreuer Kuhländler“. � Mitglied in der Trachten- und Tanzgruppe Kuhländchen. Ihrer Mutter nach Thüringen fah- mit der sudetendeutschen Eisren? kunstlaufmeisterin trainiert hatRösch: Das war damals nicht te. Am 31. Dezember 1946 bin möglich. Man brauchte eine Zu- ich zum Eislaufen gegangen, und zugsgenehmigung. Meine Mut- mein späterer Mann Josef hat ter kam dann nach Bayern und mir zugeschaut. Das war unsere beantragte, daß wir zu ihr kom- erste Begegnung. men können. Im Juli 1946 hat es Ein Einheimischer? Kein Verdann endlich geklappt, und sie triebener? konnte uns am Bahnhof in Bogen Rösch: Josef ist damals noch in in Niederbayern abholen. Regensburg aufs Gymnasium geWie war das erste Wiedersehen gangen. Seiner Familie gehörte mit ihrer Mutter? der größte Bauernhof in der UmRösch: Meine Mutter war da- gebung, und seine Eltern waren mals 43 Jahre alt und bereits wenig begeistert, daß er sich mit komplett ergraut. Ich glaube, einem armen Vertriebenenmäddies sagt viel, was meine Mutter chen abgab. Erst zehn Jahre spädamals durchgemacht hat. ter, als ich das erste Mal schwanDennoch mußten Sie in der ger war, haben wir dann heiraneuen Heimat Fuß fassen und ten können. Es war nicht einfach, sich ein neues Leben aufbauen. aber am Ende hatten seine Eltern Wie haben Sie dann noch „Seine Eltern waren Ihren späteren klein beigeMann kennengeben müssen. wenig begeistert.“ lernt? Wie kaRösch: Weihnachten 1946 ha- men Sie dann nach München? be ich von meiner Mutter SchlittRösch: Der Bauernhof lag dischuhe geschenkt bekommen, rekt an der Donau. Und die Bunweil ich daheim Eiskunstlauf be- deswehr brauchte das Gelände, trieben und sogar gemeinsam um dort eine Pionierkaserne zu errichten. Die Familie verkaufte den Grund, und wir sind nach München gezogen. Mein Mann hat dann Physik und Mathematik studiert, mußte das Studium aber abbrechen, weil es zu teuer war. Wann waren Sie zum ersten Mal wieder in Ihrer Heimat? Rösch: 1972 – gemeinsam mit meiner Mutter, meinem Bruder und meinem Mann. Meine Mutter hatte einen Bruder, der mit
Christine, genannt „Christel“, war eine talentierte Roll- und Schlittschuhsportlerin. Das Bild entstand 1941 auf dem Stadtplatz in Neutitschein.
einer Tschechin verheiratet war. Leider ist er bereits 1947 verstorben, aber wir haben seine Frau und die drei Kinder besucht. Mit welchen Gefühlen haben Sie diesen ersten Besuch erlebt? Rösch: Als wir am Rathaus vor dem Schaukasten standen, in dem die Namen der Gefallenen bekannt gegeben wurden, mußte ich weinen. Dort stand 1944 auch der Name meines Vaters. Ich bin den ganzen Stadtplatz entlang gegangen und habe nur weinen müssen. Mein Mann hat mich getröstet. Wie war Neutitschein vor dem Krieg? Rösch: Das war eine kleine Stadt mit ungefähr 16 000 Einwohnern und das Zentrum des Kuhländchens. Neutitschein war bekannt für seine Hut- und Tuchproduktion. Da die Fabriken viele Arbeitnehmer brauchten, zogen auch viele Tschechen aus dem Umland in die Stadt. Vor dem Krieg war die überwiegende Mehrheit der Bürger Sudetendeutsch. Rund zehn Prozent waren Tschechen. Können Sie Tschechisch? Rösch: Wir hätten es damals in der Schule lernen sollen, aber dann kam der Krieg. Ich habe später in München einen Sprachkurs belegt, bin aber über ein paar Worte nicht hinausgekommen. Irgendwann habe ich mir gedacht, der liebe Herrgott wird mich auch nehmen, wenn ich kein Tschechisch kann. Sie sind nach Ihrem ersten Besuch öfters nach Neutitschein gefahren. Rösch: Ja, ich bin mit anderen Vertriebenen fast jedes Jahr ins Kuhländchen gefahren. Über unseren Verein „Alte Heimat – Verein heimattreuer Kuhländler“ pflegen wir die Tradition der Kuhländler Volkstänze, und am Rande eines Auftritts haben wir die tschechische Volkstanzgruppe Javorník kennengelernt. Daraus ist mittlerweile eine echte Freundschaft entstanden. Wir haben uns sehr gefreut, als im vergangenen Jahr die Kuhländler Volkstänze in das Bayerische Landesverzeichnis des Immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen wurden. Dank Ihres nachhaltigen Engagements. Sie werden deshalb auf dem Sudetendeutschen Tag mit dem Preis für sudetendeutsche Heimat- und Volkstumspflege ausgezeichnet. Rösch: Ja, ich freue mich sehr, daß sich die Kuhländler Volkskultur auch 75 Jahre nach der Vertreibung einer hohen Beliebtheit erfreut. Und mein Ziel ist es, weiterhin mitzutanzen. Außerdem setze ich mich sehr für die Erhaltung der Kuhländler Tracht ein. Ich habe schon drei Frauentrachten und mehrere Trachtenteile genäht und gestickt. Und natürlich trage ich auch selbst gerne Tracht. Gibt es einen wesentlichen Charakterzug, der Sudetendeutsche von anderen Deutschen unterscheidet? Rösch: Ich glaube, wir sind die bewußteren Deutschen. Wenn man als Deutscher in Deutschland lebt, ist es selbstverständlich deutsch zu sein. In unserer Heimat, in der zwei Völker gemeinsam nebeneinander lebten, mußte man sich zu seinem Deutschtum wirklich bekennen. Wir haben unser Deutschtum wirklich gelebt. Torsten Fricke
Das letzte Foto vor der wilden Vertreibung: Mutter Alesia Parsch mit ihren beiden Kindern Ernst und Christine im April 1945 auf dem Turnplatz.
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TERMINE . AKTUELL
Vom 25. Juni bis 23. Juli
Jiří David: Werkschau in München
Wanderausstellung „Gerettete Denkmale – Zeugen der deutschen Kulturgeschichte in der Tschechischen Republik“
St. Martin – vom Einsturz bedroht „Gerettete Denkmale – Zeugen der deutschen Kulturgeschichte in der Tschechischen Republik“ lautet der Titel einer Wanderausstellung, die pandemiebedingt derzeit nicht öffentlich gezeigt werden kann.
Empathische Bilder zwischen Verstörung und Versöhnung, fantasievolle Collagen, Vasen, die einem wehtun könnten.
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ie Hochbarockkirche St. Martin bei Trautenau wurde zwischen 1707 und 1708 erbaut. Das Gotteshaus steht inmitten eines Friedhofs, der mit einer Mauer eingefriedet ist. Die Kirche ist ein einschiffiges Gebäude mit einem rechteckigen, polygonal abgeschlossenen Presbyterium und einem hohen prismenförmigen Turm an der Westfassade. Der Innenraum hat einen ungewöhnlichen dreiarmigen Chor auf toskanischen Säulen, der in der Mitte zwei Stockwerke hat. Wegen der Einsturzgefahr wird die Kirche nicht genutzt. Die Standsicherheit des Gebäudes wurde in den 1980er Jahren wahrscheinlich durch die Bewegung lithosphärischer Platten erheblich gemindert.
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it der Werkschau „Am verkleinerten Horizont der Schönheit sehe ich unzählige ihrer Wracks“ präsentiert das Tschechische Zentrum München in der Prinzregentenstraße 7 das vielfältige künstlerische Schaffen von Jiří David. Zu sehen sind die Werke vom 25. Juni bis zum 23. Juli. Der 64-Jährige gehört zu den renommiertesten und gleichzeitig umstrittensten tschechischen Gegenwartskünstlern. Spätestens 2002 gelangte er mit einem kontrovers diskutierten 16 Meter breiten Neonherz an der Außenfassade der Prager Burg ins öffentliche Bewußtsein der Tschechischen Republik. Mehr Informationen unter www.czechcentres.cz/munich.
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St.-Martin-Kirche in Mohren bei Trautenau.
Im Mauerwerk sind vertikale Risse sichtbar und das Gewölbe ist ebenfalls beschädigt. Die Kirche ist seit 2017 im Besitz des Vereins Omnium. Aufgrund schwerwiegender Bauschäden wurde im Laufe des Jahres 2018 ein Projekt zur Rettung und Renovierung der Kirche mit Vorspannseilen – ähnlich wie in der Kirche in Sirb – entwickelt. Leider wurde die Maßnahme infolge unterschiedlicher Auffassungen der zuständigen Denkmalpfleger nicht genehmigt. Nur die Stellen mit den größten Rissen wurden repariert. Im Jahr 2019 wurde eine baugeschichtliche Untersuchung durchgeführt, und es wurde mit der Renovierung des Dachstuhls begonnen. Die Wanderausstellung „Gerettete Denkmale“ wird von der Heimatpflegerin der Sudetendeutschen, Christina Meinusch, unterstützt. Wenn Sie die Ausstellung in Ihrer Region zeigen wollen, wenden Sie sich bitte an meinusch@sudeten.de
Workcamp im August
Wer hilft mit, Denkmale zu retten? Im Rahmen eines Workcamps sollen Denkmale im Braunauer Ländchen in der Gemeinde Merkelsdorf bei Adersbach wieder hergestellt werden. Gesucht werden noch freiwillige Helfer.
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er Arbeitseinsatz ist vom 19. bis 21. August geplant. Die freiwilligen Helfer tragen die Kosten für die Unterbringung und Verpflegung selbst. Weitere Informationen: Christina Meinusch, Heimatpflegerin der Sudetendeutschen, Telefon (0 89) 48 00 03 65/-55, Telefax (0 89) 48 00 03 44, eMail: meinusch@sudeten.de
VERANSTALTUNGSKALENDER Freitag, 18., bis Sonntag, 20. Juni, Paneuropa-Tage in Trier, Echternach und Schengen unter der Schirmherrschaft von Jean-Claude Juncker, ehemaliger EU-Präsident, mit Festabend, Hauptkundgebung, Gottesdiensten und Delegiertenversammlung. Festredner sind neben Juncker der Präsident der Paneuropa-Union Deutschland, Bernd Posselt, der österreichische Vizepräsident des EU-Parlaments, Othmar Karas, und der Internationale Präsident der Paneuropa-Union, Alain Terrenoire. Samstag, 19. Juni, 9.00 Uhr, Ackermann-Gemeinde Bis-
tum Bamberg: „Verfolgte Christen in der Welt –Herausforderung für uns?“ – Studientag mit Bischof Bertram Meier (Augsburg), Zeit-Redakteur Ulrich Ladurner und weiteren Referenten in Nürnberg, Caritas-Pirckheimer-Haus, Königstraße 64. Anmeldung: Akademie CPH, Königstraße 64, 90402 Nürnberg, Telefon (09 11) 2 34 61 45, eMail akademie@cph-nuernberg.de Samstag, 19. Juni, 10.30 Uhr, SL-Landesgruppe Bayern: Landesfrauentagung 2021 in Regensburg, Kolpinghaus, AdolphKolping-Straße 1. Mittwoch, 23. Juni, 19.00
Uhr, Adalbert Stifter Verein, „Liebe die Wahrheit – Miluj pravdu!“ Der Prager Musiker und Komponist Daniel Dobiáš (Klavier) präsentiert seine von den jahrhundertelangen deutsch-tschechischen Verbindungen in Kunst, Religion, Kultur und Geschichte inspirierten Werke gemeinsam mit der Mezzosopranistin Kristina Kubová. Sudetendeutsches Haus, Hochstraße 8, München. Anmeldung bis 17.00 Uhr des Veranstaltungstages unter https://eveeno.com/liebe-die-wahrheit Samstag, 26. Juni, bis Sonntag, 27. Juni, Sudeten-
Freitag, 16. bis Sonntag, 18. Juli in München
Auf geht‘s zum Sudetendeutschen Tag Das Programm für den Sudetendeutschen Tag wird laufend ergänzt und der Pandemielage angepaßt. Das endgültige Programm wird in der Sudetendeutschen Zeitung Folge 27 veröffentlicht, die am 2. Juli erscheint. Veranstaltungsorte sind das Sudetendeutsche Haus und das Sudetendeutsche Museum in der Hochstraße sowie das nur wenige Meter entfernte Kulturzentrum Gasteig.
Freitag, 16. Juli, 10.00–18.00 Uhr: Gelegenheit zum Besuch des Sudetendeutschen Museums. 14.00 Uhr: Sudetendeutsche Stiftung und SL-Bundesverband: Verleihung der Sudetendeutschen Kultur- und Förderpreise sowie des Sudetendeutschen Volkstumspreises im Gasteig. Festrede: Carolina Trautner, MdL, Bayerische Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales sowie Schirmherrschaftsministerin.
Samstag, 17. Juli
10.00–18.00 Uhr: Gelegen-
heit zum Besuch des Sudetendeutschen Museums. 10.00 Uhr: Heilige Messe. 14.00 Uhr: Festakt mit Verleihung des Europäischen Karlspreises der Sudetendeutschen Landsmannschaft im Gasteig (siehe Seite 1). Festreden: Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe und Dr. Markus Söder, MdL, Bayerischer Ministerpräsident. 19.00 Uhr: Volkstumsabend im Gasteig.
Sonntag, 18. Juli 9.00 Uhr: Veranstaltungen im Sudetendeutschen Haus. 10.00–18.00 Uhr: Gelegenheit zum Besuch des Sudetendeutschen Museums.
Teilnahme Für die Teilnahme ist eine verbindliche Anmeldung bis 30. Juni bei der SL erforder-
lich. Sudetendeutsche Landsmannschaft, Hochstraße 8, 81669 München, Telefon (0 89) 48 00 03 70, eMail info @sudetendeutscher-tag.de
Festabzeichen Mit dem Kauf des Festabzeichens unterstützen Sie die Arbeit der Sudetendeutschen Volksgruppe. Bestellung bei info@sudetendeutschertag.de Bankverbindung: IBAN DE73 7509 0300 0002 1114 70. Bitte beachten: Mit dem Erwerb des Festabzeichens ist nicht automatisch der Eintritt zu den Veranstaltungen des Sudetendeutschen Tages gewährleistet (siehe Teilnahme).
Sondersendung im TV Das Bayerische Fernsehen berichtet in einer Sondersendung am Sonntag, 18. Juli, von 23.30 bis 23.45 Uhr über den 71. Sudetendeutschen Tag in München.
deutsche Bundesversammlung in München. Samstag, 26. Juni, 14.00 bis 19.00 Uhr, Adalbert Stifter Verein, „Johanna von Herzogenberg wie wir sie kannten.“ Eine Erinnerungsveranstaltung in Prag an die Kunsthistorikerin Johanna von Herzogenberg (1921–2012), die als Geschäftsführerin den Adalbert Stifter Verein zu einer der wichtigsten Institutionen des deutschtschechischen Dialogs gemacht hat. Bibliothek des Stifts Strahov, Strahovské nádvoří 1/132, Prag. Anmeldung: https://www.inviton.cz/e-11822 /johanna-von-herzogenbergjak-jsme-ji-znali Montag, 28. Juni, 19.00 Uhr, „Die Goldene Straße“, Präsenz-Vortrag von Prof. Dr. Stefan Samerski. Im zweiten Teil der Vortragsreihe „Böhmen und seine Nachbarn“ referiert Prof. Samerski über die Goldene Straße von Nürnberg nach Prag, die mehr ist als nur eine Transportverbindung. Sudetendeutsches Haus, Hochstraße 8, 81669 München. Wegen der beschränkten Teilnehmerzahl Voranmeldung per E-Mail an schmalcz@sudeten. Dienstag, 29. Juni, 19.00 Uhr, Adalbert Stifter Verein, „Mein Weg zu unseren Deutschen. Geschichten von Menschen“. Journalist Pavel Polák setzt die „Mein Weg“-Reihe fort. Die Gesprächspartner erläutern dabei ihre persönliche Beziehung zu den (Sudeten-)Deutschen. Sudetendeutsches Haus, Hochstraße 8, München. Eintritt ist frei. Anmeldung bis 17 Uhr des Veranstaltungstages, unter https://eveeno.com/mein-wegzu-unseren-deutschen Mittwoch, 7. Juli, 15.00 Uhr, SL-Ortsgruppe Königsbrunn / Wehringen / Klosterlechfeld: Mitgliederversammlung in der Gemeindehalle Wehringen. Samstag, 10. Juli, 14.00 Uhr, SL-Ortsgruppe Königsbrunn / Wehringen / Klosterlechfeld: Muttertagfeier (Wir feiern auch die Väter), Fischerheim Wehringen, In der Aue 5. Samstag, 17. Juli, oder Sonntag, 18. Juli, 7.00 Uhr, SL-Ortsgruppe Königsbrunn / Wehringen / Klosterlechfeld: Fahrt zum Sudetendeutschen Tag nach München. Ob wir am 17. oder 18. fahren, erfahren Sie bei der Anmeldung, die bis 15. Juli bei Obmann Kurt Aue erfolgen muß. Telefon (08 21) 8 85 37 56, eMail sudetenaue@ koenigsau.de.
Dienstag, 22. Juni, 18.00 Uhr bis 20.00 Uhr: „Der deutsch-sowjetische Krieg 1941-45 und die Folgen bzw. Nachwirkungen für die ,Sowjetbürger deutscher Nationalität‘“, Gespräch mit dem Historiker Dr. Victor Kriege als Online-Seminar auf Zoom. Der 28. August 1941 ist zweifellos das Schlüsselereignis der 250jährigen Geschichte der Rußlanddeutschen. An diesem Tag wurden die Verbannung der Wolgadeutschen und schließlich die Auflösung ihrer autonomen Republik offiziell bekanntgegeben. Bis Ende 1941 folgten ihnen alle Deutschen aus der Ost-Ukraine, aus der Krim und Nordkaukasus sowie aus den Städten wie Moskau oder Gorki. Insgesamt wurden 794 000 Menschen aus dem europäischen Teil des Landes nach Sibirien und Kasachstan zwangsumgesiedelt, ihr gesamtes Hab und Gut konfisziert, nationale Bildungs- und Kultureinrichtungen liquidiert, Objekte der geistigen und materiellen Kultur vernichtet. Kurz darauf mußten um die 350 000 Frauen, Jugendliche und Männer in Zwangsarbeitslager einrücken. Erst nach Stalins Tod wurde die formalrechtliche Gleichstellung der Deutschen einleitet. Sie durften allerdings nicht in die Heimatorte zurückkehren, und die Rückgabe des rechtswidrig konfiszierten Vermögens wurde ausgeschlossen. Diese jahrzehntelange Verfolgungs- und Diskriminierungspolitik rief den wachsenden Protest der Betroffenen hervor. Viele Rußlanddeutsche waren nicht mehr bereit, ihren Status als Personen minderen Rechts widerspruchslos hinzunehmen, und siedelten in die Bundesrepublik über. Die Teilnahme an diesem Online-Seminar ist kostenfrei. Weitere Hinweise und Anmeldung auf der Webseite www.heiligenhof.de. Heiligenhof · Alte Euerdorfer Straße 1 · 97688 Bad Kissingen Telefax (09 71) 71 47 47 info@heiligenhof.de · www.heiligenhof.de
Lesung aus „Humboldtstraße Zwei“
Das Schicksal einer deutschen Familie HDOnline direkt: Dienstag, 22. Juni, 19.00 Uhr: „Humboldtstraße zwei“, Lesung von Autor Harald Gesterkamp (Bild) Der in Bonn lebende Schriftsteller und DeutschlandfunkRedakteur Harald Gesterkamp stellt seinen ersten Roman vor, in dem es um das Schicksal einer deutschen Familie in den Jahren 1934 bis 2014 geht. In dem Buch erzählt Gesterkamp auf drei miteinander verwobenen Zeitebenen die Geschichte der Familie Plackwitz/ Appelhoff und damit 80 Jahre deutsche Geschichte. Erich Plackwitz ist in den dreißiger Jahren Richter am Amtsgericht in Jauer/Niederschlesien. Erichs Tochter Elise liebt ihr
Elternhaus in der Humboldtstraße Nr. 2, doch muss sie es nach Schule und Studium aufgeben. Nach dem Krieg fasst sie in Westdeutschland Fuß, doch die Sehnsucht nach Schlesien brodelt weiter in ihr. Ihr Sohn Andreas kann das nicht nachvollziehen. Erst als seine Mutter alt ist, beginnt er sich für ihre Lebensgeschichte zu interessieren und begibt sich auf Spurensuche. Ein altes Kriegstagebuch der Mutter hilft ihm dabei. Veranstaltungsort: Online und Haus des Deutschen Ostens, Am Lilienberg 5, 81669 München. Anmeldung erforderlich unter Telefon (0 89) 4 49 99 30 oder per eMail an poststelle@hdo.bayern.de
AKTUELL
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� „Ein Star wurde ich nie“ – Der gebürtige Reichenberger gewann mit Udo Jürgens ein europäisches Songfestival, aber die Hits blieben aus
Zwischen Pillen und Platten: Der singende Apotheker Heinz Sagner
Karriere. Ich dachte, nun stünde mir die Welt offen“, kommentierte Sagner später. Der Siegertitel „Sie war nicht älter als 18 Jahr“ kam als Single heraus, und er durfte das Lied dann auch im Film „Schlagerparade 1961“ vortragen. Beim 1960 erstmals stattgefundenen Songfestival in Split im damaligen Jugoslawien war er ebenfalls dabei. Tourneen während des Weihnachtsurlaubs, Konzerte mit den Orchestern von Ernst Jäger, Hugo Strasser und Max Greger sowie Fernsehaufnahmen und Mitwirkung in einem Musikfilm zählten zu den weiteren Auftritten jener Zeit.
„Eine Hand voll Heimaterde“ oder „Fern liegt mein Heimatland“ – gesungen hat diese Schlager Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre der aus Reichenberg stammende Heinz Sagner. Zusammen mit Hannelore Auer, der späteren Ehefrau von Heino, Inge Brandenburg, Frank Forster und Udo Jürgens gewann Sagner im Juli 1960 das Songfestival von Knokke, den europäischen Grand Prix für nationale Gesangsteams. Es war der erste und einzige Sieg für Deutschland – und ist damit ein Stück Musikgeschichte.
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er Beruf war für Heinz Sagner vorgezeichnet. Sein Vater (siehe unten) war Apotheker, und der Sohn sollte die Nachfolge antreten. Zwei Tage nach Hitlers Machtergreifung erblickte Sagner am 1. Februar 1933 – um 13.45 Uhr, wie er in seinem Lebenslauf schreibt – in Reichenberg das Licht der Welt. Nach der Scheidung seiner Eltern verbrachte er seine Jugend in Reichenberg und bei seiner Mutter in Schluckenau. Während seines Pharmaziestudiums an der Universität Würzburg fand er verstärkt Gefallen am Singen und beteiligte sich 1956 an einem Nachwuchsgesangswettbewerb in der Freiheitshalle in Hof. Verantwortlich für den Wettstreit war der bekannte Musikmanager Stefan von Baranski, mit dem ihn später eine Freundschaft verband. „Ich gewann – und meinte, daß mir nun die Welt offenstünde“, blickte Sagner auf diese Begebenheit zurück. Doch es blieb zunächst bei diesen beiden Auftritten. Im Sommer 1958 schloß er mit dem Staatsexamen das Pharmazie-Studium ab und lernte in dieser Zeit auch seine spätere Ehefrau kennen. Da er sich in München bessere Berufschancen erhoffte, zog er 1958 in die bayerische Landeshauptstadt und begann als angestellter Pharmazeut in einer Apotheke nahe des Grünwalder Stadions. Nebenbei trat er als Sänger in Lokalen auf, vor allem in Schwabing in „Bei Gisela“. Eines Tages meldete sich – auf Empfehlung von Stefan von Baranski – Klaus Netzle von den Isarspatzen bei Sagner und lud ihn zum Vorsingen ein. „Ich begann meine Karriere als Sänger. Abends nach Apothekenschluß nahm ich Schallplatten auf“, schilderte er im Rückblick. Die ersten Tonträger erschienen beim Billig-Plattenlabel Starlet. Hier waren unter anderem Peter Kreuder, Roy Etzel, Peter Igelhoff, Fred Rauch, Heinz Schenk, der Tölzer Knabenchor und später Mary Roos unter Vertrag. Die kleinen Plattenlabels brachten vor allem Coverversionen, etwa von Freddy Quinn oder Gerhard Wendland, heraus. Dazu gehörte auch, daß die Lieder un-
Auf Tournee mit Max Greger und Hugo Strasser
ter Pseudonymen bei anderen Billiglabels veröffentlicht wurden. Heinz Sagners weitere Identitäten hießen zum Beispiel Nico Busch, Thomas Heger, Bernd Rosen, Bernd Barner, Fred Hauser oder Ludwig Deinert. Einer der ersten von Sagner eingesungenen Coversongs war „Die Gitarre und das Meer“, im Original von Freddy Quinn. Insgesamt 14 Lieder – vor allem Titel von Freddy Quinn und Gerhard Wendland – nahm er 1959 und 1960 für „Starlet“ auf. Heinz Sagner kommentierte diese Phase launig: „Die Leute sagten mir da-
Im Februar 1961 nahm Sagner auch am Vorentscheid zum Grand Prix Eurovision de la Chanson in Bad Homburg teil. Mit dem Lied „Jeder Tag voll Sonnenschein“ belegte er den sechsten Platz. Mit dabei waren auch Fred Bertelmann und Dieter Thomas Heck. Sieger wurde übrigens Lale Andersen mit dem Lied „Einmal sehen wir uns wieder“. Seinen Beruf als Apotheker hatte Sagner während dieser Jahre nie aufgegeben. So war es für ihn kein Problem, als die Sängerkarriere stagnierte und der Vertrag mit Polydor nach acht Singles auslief, sich wieder voll auf den Apotheker-Beruf zu konzentrieren. Er selbst meinte später, daß das Singen „mehr ein Hobby als eine Hauptbeschäftigung“ gewesen sei. „Es waren aufregende und herrliche Zeiten. Ich mußte es einfach versuchen. Ein Star wurde ich nie.“ Es war nun also Zeit, sich nach einer eigenen Apotheke umzuschauen. Ein Studienkollege vermittelte ihm die Stadtapotheke in Langenzenn (Landkreis Fürth). Im Jahr 1962 erfolgte der Umzug in die mittelfränkische Stadt. Im Dezember 1962 schloß er den Bund der Ehe. Zwei Jahre später kam der erste Sohn zur Welt. Trotz positiver RahDer singende Apotheker Heinz Sagner menbedingungen wuchs bei Sagner der stammte ursprünglich aus Reichenberg und Wunsch, nach Oberbayern zurückzulebte später in Geretsried in Oberbayern. kehren. „Ich wollte einfach nicht ewig in Langenzenn bleiben. Durch Zufall wurmals immer, ich klänge wie Wendland, den mir geeignete Apothekenräume in weshalb ich anfangs keinen Vertrag bei Geretsried angeboten“, schilderte er in einem großen Label bekam.“ seiner Vita. Nach fünf Jahren brach er Das sollte sich ändern. Bei einem Auf- die Zelte in Langenzenn ab, 1967 eröfftritt Sagners mit der Band von Freddie nete er seine eigene Apotheke, ein Jahr Brocksieper in der Universitätsreitschu- später erblickte der zweite Sohn das le in Schwabing kam zufällig der Schla- Licht der Welt. gerkomponist, Dirigent und Arrangeur Bis 1996 war Heinz Sagner Apotheker Werner Scharfenberger dazu und war in Geretsried, einer der fünf Vertriebederart begeistert, nenstädte in BayKurz vor seinem Tod sang daß er Sagner eiern. Mit 63 Jahren nen Vorsingterverkaufte er sein er für die Band seines Sohnes min beim Polykleines Unternehdor-Produzenten Gerhard Mendelson men und widmete sich fortan nur noch in Wien verschaffte. Diese Probe fiel zu seinen Hobbys. Mendelsons Zufriedenheit aus, Sagner Bei einer Motorradtour im Sommer erhielt 1960 einen Vertrag bei Polydor 2006 verspürte er heftige Schmerzen in und spielte mit Scharfenbergs Orchester der Schulter. Bei der Untersuchung im mehrere Platten ein, als erstes eine deut- Klinikum Großhadern entpuppten sich sche Version des Songs „The Old Lamp- diese als Metastasen, die schon andere lighter“ – „Das alte Märchen“ . Trotz Organe befallen hatten. Vier Tage vor guter Prognosen und Promotion schaff- seinem Tod hat er im Krankenbett noch te das Lied aber den Einzug in die Hit- einmal zu einem von der Band seines paraden nicht. Trostpflaster war jedoch Sohnes Florian gespielten Lied gesundie Empfehlung für das deutsche Team gen. Am 3. November 2006 starb Heinz beim Songfestival von Knokke, Betreuer Sagner im Alter von 73 Jahren im Kliniwar auch hier Stefan von Baransky. „Die- kum München-Großhadern. ser Sieg war der größte Erfolg in meiner Markus Bauer
� In seinen Erinnerungen hat Heinz Sagner die tragischen Ereignisse im Jahr 1945 festgehalten
Flucht, Vertreibung und die Exekution des Vaters 1945 floh Heinz Sagner zunächst nach Oppach (heute Landkreis Görlitz), wo bereits seine Mutter war. Von dort machten sie sich Mitte Februar nach Dresden auf, zur Zeit des zweiten oder dritten Luftangriffs auf die Elbestadt.
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as nächste Ziel war Dessau. „Ausgerechnet am Abend des Großangriffs auf Dessau ging es unter Tieffliegerbeschuß auf einem offenen Lkw zurück Richtung Heimat bis nach Eulau.“ Die letzten Kriegstage Anfang Mai 1945 schildert Sagner ausführlich: „Inmitten von Flüchtlingstrecks und zurückströmenden Soldaten war plötzlich das Auto kaputt.“ Nachdem der Wa-
gen repariert worden war, ging es auf Schleichwegen und bestückt mit einer Rote-Kreuz-Fahne zwischen russischen Truppen zurück nach Schluckenau. „Dort fanden wir eine verwüstete Wohnung und Apotheke vor. Ich sehe immer noch meinen Vater im Schlafzimmer stehen und weinen. Wir packten am Abend einen Leiterwagen hastig voll mit einigen Sachen und zogen ihn über verschwiegene Waldwege.“ In einem kleinen Waldhäuschen lebte die Familie einige Tage unbehelligt, bis tschechische Milizen in grauen Lederanzügen, mit Maschinenpistolen bewaffnet, Sagners Vater holten. „Er kam in ein russisches Gefängnis nach Zwit-
tau, wurde mißhandelt und nach drei Wochen wieder freigelassen. Völlig erschöpft schleppte er sich zu Fuß zu Onkel Franz nach Kaiserswalde, um mich wiederzusehen. Ich fand meinen lieben Papa zerschlagen im Bett liegend vor. Er umarmte mich unter Tränen, und so sah ich meinen geliebten Paps zum letzten Mal.“ Am nächsten Tag wurde der Vater von den Tschechen abgeholt und ins Schluckenauer Stadtgefängnis gebracht – wegen einer angeblich im Boden gefundenen Handgranate wurde er zum Tode verurteilt. Die Erschießung fand am 4. Juni 1945 statt, doch Sagners Vater war noch nicht sofort tot. „Man hat ihn –
noch lebend – bis zur Grube in den nahen Garten geschleift, die Grube mit Erde dann zugeschüttet – ihn also lebendig begraben“, zitiert Sagner Aussagen von Zeugen. „Am 25. Juni mußten wir uns um 4 Uhr morgens in Kunnersdorf versammeln“, beschreibt er die Vertreibung. Seine Mutter zog den Leiterwagen mit dem erlaubten Gepäck von 15 Kilogramm, er selbst den weinenden zweijährigen Bruder Christian im Kindersportwagen. Über die sächsische Grenze ging es zu den Großeltern. „Wir hatten kaum zu essen und lebten von geklauten Kartoffeln und manchmal einem Stück Brot auf Lebensmittelmarken.“ MB
� Mut tut gut
Wofür leben? D
er 1997 verstorbene Psychiater Viktor Frankl ist der Begründer der Logotherapie. Der Mensch, so war er überzeugt, habe ein existentielles Bedürfnis nach einem Lebenssinn und einer Lebensaufgabe. Dieses Bedürfnis sei die primäre menschliche Motivationskraft. Wer für sich und sein Leben einen Sinn und eine Aufgabe erkennen könne, dem sei es auch möglich, sich in existentiell schwierigen Zeiten geistig und psychisch über Wasser zu halten. Einmal beklagte Frankl mit Blick auf die moderne Zeit mit ihrer oft allzu materialistischen Lebenseinstellung: „Die Menschen haben viel, wovon sie leben, aber wenig, wofür sie leben.“ Wem aber das Wofür in seinem Leben fehlt, dem fehlt ein Ziel und der wird in sich auch keine Kräfte freisetzen können, dieses Ziel zu erreichen. Mich inspiriert diese Ansätze von Frankl seit meiner Studentenzeit. Sie lassen mich nicht nur persönlich immer wieder auf das Wofür meines Lebens schauen und nötigenfalls Nachjustierungen vornehmen. Sie helfen mir auch in der seelsorglichen Begleitung von Menschen, die bei mir Trost und Hilfe suchen. Meine Erfahrung dabei ist: Wer die Sinnfrage in seinem Leben positiv beantworten kann, wer sinnvolle Aufgaben zu finden vermag, dem öffnen sich auch geistige, seelische und vielfach körperliche Energiequellen. Die Frage nach dem Wofür ist für mich aber auch ein wichtiges Kriterium für die Lebens- und Überlebensfähigkeit von Gemeinschaften, gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen, nicht zuletzt der Kirche. Immer braucht es lang-, mittel- und kurzfristige Ziele, und darüber hinaus braucht es die großen Visionen und Ideale, welche die Kompaßnadel des individuellen und gemeinschaftlichen Lebens wie von selbst in die richtige Richtung lenken. Wo diese Orientierung fehlt, wird ein Satz wahr, den der Schriftsteller Mark Twain einmal süffisant formulierte: „Als sie das Ziel aus den Augen verloren hatten, verdoppelten sie ihre Anstrengungen.“ Anders gesagt: Wer nicht um das Wofür seines Lebens weiß, der droht sich zu verausgaben und Kraft zu verlieren. Wieder möchte ich eine jüdische Geschichte erzählen, um meine Gedanken zusammenzufassen: „In der Stadt Ropschitz pflegten die Reichen, deren Häuser einsam oder am Ende des Ortes lagen, Leute anzustellen, die nachts über ihren Besitz wachen sollten. Als Rabbi Naftali eines Abends spät am Rande des Stadtwaldes spazieren ging, begegnete er solch einem Wächter. ‚Für wen gehst Du?‘ fragte er ihn. Der gab Bescheid, fügte jedoch die Gegenfrage hinzu: ‚Und für wen geht Ihr, Rabbi?‘ Diese Frage traf den Rabbi wie ein Pfeil. ‚Noch gehe ich für niemand‘, brachte er mühsam hervor. Dann ging er lange und schweigend neben dem Wächter her. Schließlich fragte er ihn: ‚Willst du mein Diener werden?‘ – ‚Das will ich gern‘, antwortete jener, ‚aber was habe ich zu tun?‘ – ‚Mich zu erinnern‘, sagte Rabbi Naftali.“ Wofür gehe ich, oder für wen gehe ich? Mögen wir Menschen um uns haben, die uns diese Frage immer dann stellen, wenn wir – wie der Rabbi – sie vergessen haben. Dr. Martin Leitgöb CSsR Seelsorger der Katholischen Pfarrei Ellwangen-Schönenberg
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FORUM
Sudetendeutsche Zeitung Folge 24 | 18. 6. 2021
PERSONALIEN Die SL-Landesgruppe Hessen trauert um
Frau Rosemarie Kretschmer Von 2004 bis 2020 vertrat Frau Kretschmer im SL-Landesvorstand das Frauenreferat. Sie hat sich über Jahre und Jahrzehnte mit großem Engagement und Herzblut für die Sudetendeutsche Landsmannschaft eingesetzt. Wir werden Frau Kretschmer sehr vermissen, sie war unsere treue Seele. Sudetendeutsche Landsmannschaft Landesgruppe Hessen Der Vorstand Markus Harzer SL-Landesobmann
Sudetendeutsche Landsmannschaft Landesgruppe Hessen e.V. Friedrichstraße 35 · 65185 Wiesbaden · Haus der Heimat Telefon (06 11) 30 37 68 · Telefax 3 08 19 71 E-Mail: geschaeftsstelle@sl-hessen.de Internet: www.sl-hessen.de
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erantwortung und Engagement in der sudetendeutschen Volksgruppe, in Gesellschaft und Kirche auf der Grundlage eines unerschütterlichen Glaubens kennzeichnen den jahrzehntelangen Einsatz von Otto Paleczek. Bis vor kurzem war er ein treuer Teilnehmer nahezu aller Veranstaltungen der SL-Kreisgruppe Bonn. Geboren in Hohenfurth/Kreis Kaplitz in Südböhmen, wuchs Otto Paleczek in Wettern/Kreis Krummau auf, wo sein Vater Otto als Holzkaufmann in der Papierfabrik Spiro & Söhne arbeitete. Als sich sein Vater im März 1946 nach halbjähriger Haft im berüchtigten Budweiser Internierungslager zur Flucht entschloß, führte Paleczek seine Mutter Johanna und die zwei Jahre jüngere Schwester Margit über die Grenze nach Oberösterreich, wo die Familie mit dem Vater wieder zusammenfand. Von dort ging es nach Weiskirchen bei Offenbach in Hessen. 1952 machte Paleczek Abitur und gründete in Weiskir-
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Am 18. Juni feiert Otto Paleczek, langjähriges Mitglied des Sudetendeutschen Rates und ehemaliger Stellvertretender Bundesvorsitzender der AckermannGemeinde, in Alfter-Gielsdorf bei Bonn 90. Geburtstag.
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ader wurde 1941 in Elbogen im Egerland geboren. Seine Familie kam nach der Vertreibung nach Bad Reichenhall, wo er eine erste musikalische Ausbildung erhielt. Das Musikstudium am Mozarteum in Salzburg und der Stuttgarter Musikhochschule beendete er 1965 mit der künstlerischen Prüfung für das Lehramt an Gymnasien, das der Politologie und Philosophie in München 1967 mit der wissenschaftlichen Prüfung zum Lehramt an Gymnasien. 1968 bis 1990 war er Komponist, Musikpädagoge, Chor- und Orchesterleiter in Stuttgart und unterrichtete Tonsatz und Gehörbildung an der Kirchenmusikschule Rottenburg. Neben kompositorischen sind seine dirigentischen und musikorganisatorischen Aktivitäten hervorzuheben. Seit den 1960er Jahren sammelte er biographisches und musikalisches Material über deutsche Musiker und Komponisten aus den böhmischen Ländern. 1972 wurde er Leiter der Südmährischen Sing- und Spielschar bis 1992;
� Verdienter Vizevorsitzender der Ackermann-Gemeinde
Otto Paleczek 90 chen den Ortsverband der Jungen Union. Er studierte Volkswirtschaft in Frankfurt am Main, wurde wissenschaftlicher Assistent an der dortigen Universität, dann Angestellter der Dresdner Bank. 1959 promovierte er und heiratete Eva Friedetzky aus Prag. Über seine Frau kam er zur Ackermann-Gemeinde, deren Stellvertretender Bundesvorsitzender er 1986 bis 1998 war. 1960 wechselte er in das Bundeswirtschaftsministerium nach Bonn, wo er bis zu seiner Pensionierung 1996 als Ministerialrat viele Entscheidungen auf dem Weg zur Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion vorbereitete. Darüber hinaus engagierte er sich im Pfarrgemeinderat und im CDU-Ortsausschuß Alfter-Gielsdorf. Mehrere Jahre leitete er die bundesweiten Heinrich-Krone-Seminare des wissenschaftlich katholischen Unitas-Verbandes, in dem er seit 1952 Mitglied ist. Auch dem Sudetendeutschen Rat gehörte er an. Dort sowie in der SL-Kreisgruppe Bonn setzte er sich für ei-
ne ausgewogene Verständigung zwischen Sudetendeutschen und Tschechen ein. Die Verbundenheit seiner Familie – er hat eine Tochter, zwei Söhne und zwei Enkel – mit dem Erbe der Heimat ist ihm eine besonders Freude. Im März 2020 starb seine Frau Eva nach 60 Ehejahren. Mittlerweile ist er wieder guter Dinge und verfolgt alles Geschehen in- und außerhalb der Volksgruppe aufmerksam. Volksgruppensprecher Bernd Posselt: „Otto Paleczek verbindet auf eine besonders glaubwürdige Weise die Begriffe Europa, Heimat und Glaube. Für Europa begeisterte er sich nicht nur mittels seines ehrenamtlichen Engagements, sondern auch als hoher Ministerialbeamter mit großem Einfluß in Brüssel und der seinerzeitigen Bundeshauptstadt Bonn. Für ihn war Europa aber niemals nur der Westen, sondern vor allem auch die vielfältige
� Komponist und Musikpädagoge aus dem Egerland
Widmar Hader 80 seit der Gründung 1978 leitete er die alljährlichen Sudetendeutschen Musiktage und deren Sinfonieorchester; 1990 begründete er die bis 2005 existierenden Elbogener Orgelfeste. Zahlreiche Werke deutscher Komponisten aus Böhmen, Mähren und Österreichisch-Schlesien führte er auf. Er tourte durch Europa, Israel, Brasilien und die USA. Seit 1990 wirkte er als Direktor des Sudetendeutschen Musikinstituts in Regensburg. Auffallend in Haders kompositorischem Werk ist der häufige und facettenreiche Bezug auf Gegebenheiten der böhmischmährischen Historie und Kultur. Für sein kompositorisches Schaffen und seine musikorganisatorischen Aktivitäten erhielt Hader eine Reihe von Auszeichnungen, darunter den Sudetendeutschen Kulturpreis für Musik (1961), den Förderpreis des Johann-Wenzel-Stamitz-Preises (1975), die Adalbert-StifterMedaille (1980), den Südmährischen Kulturpreis (1988) und den
Großen Sudetendeutschen Kulturpreis (1996). 1987 wurde er in die Sudetendeutsche Akademie der Wissenschaften und Künste berufen, deren Vizepräsident er war und mit deren Pro-meritisMedaille sie ihn ehrte. Bernd Posselt gratuliert diesem großen Künstler nicht nur als Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe, sondern auch als persönlicher Freund, der ihm seit Jahrzehnten verbunden ist: „Widmar Hader ist zwar ein bescheidener Mensch, der sich nicht in den Vordergrund drängt, aber eine herausragende Persönlichkeit mit vielen Facetten. Er steht für heimatliche Tradition und kühne, moderne und mitreißende Kompositionen, für die südmährische Sing- und Spielschar, die er führend aufgebaut hat, ebenso wie die von ihm initiierten Elbogener Orgeltage, für Goethes geliebtes Egerland ebenso wie das von gutem Wein beseelte, milde Südmähren, für wissenschaftliche Arbeit im Sudetendeutschen Musikinstitut, das seine Existenz allein ihm verdankt, ebenso wie für Gemeinschaftsbildung quer durch die
Kulturlandschaft hinter dem Eisernen Vorhang, an dessen Überwindung er aktiv mitwirkte. Heute ist er glücklich, daß seine geliebte Böhmerwaldheimat wieder zum freien Europa gehört. Als aufrechter Katholik bringt er sich nicht nur in die Ackermann-Gemeinde seit Jahrzehnten führend ein, sondern lebt seinen Glauben als Mittelpunkt einer ebenfalls in Volksgruppe und Kirche aktiven Familie. Seine Heimatliebe stellt er bis heute in den Dienst von Volksgruppe und Landsmannschaft, die ihm sehr viel verdanken. Es ist eine Auszeichnung für unsere Gemeinschaft, daß eine Persönlichkeit wie Otto Paleczek sich ohne jedes Wenn und Aber zu ihr bekennt. Freude bereitet ihm, daß sein Sohn Raimund sich im SL-Bundesvorstand intensiv engagiert und als qualifizierter Historiker mit guten Tschechischkenntnissen entscheidend die Gründung und den Aufbau des Sudetendeutschen Museums vorangetrieben hat. Ich wünsche Otto Paleczek von ganzem Herzen weiterhin viel Gesundheit, Kraft, Erfolg und Gottes reichen Segen.“ Günter Reichert verschiedenen Generationen der Volksgruppe. Widmar ist ein Solitär und gleichzeitig ein Familienmensch. Es ist für ihn und für uns eine besondere Freude, daß auch seine liebe Frau und seine Kinder vielfach zum Leben der Volksgruppe beigetragen haben und beitragen. Nie werde ich die Wendezeit kurz nach der Samtenen Revolution vergessen, als Widmar und ich gemeinsam in Prag unterwegs waren, um Kontakte mit der tschechischen Politik und Gesellschaft zu knüpfen. Der Freundschaft zwischen unserem Jubilar und dem jetzigen Präsidenten der tschechischen Paneuropa-Union, dem ehemaligen Bürgerrechtler Marian Švejda, ist es zu verdanken, daß diese beiden gemeinsam mit der Südmährischen Sing- und Spielschar schon den Sommer 1990 im nordböhmischen Böhmisch Kamnitz verbrachten, um den Friedhof dort wieder herzustellen – ein damals pionierhaftes Projekt, dem zahlreiche ähnliche folgen sollten. Ich danke Widmar Hader für seine Verdienste auf allen Gebieten des sudetendeutschen Lebens und wünsche ihm anläßlich seines Geburtstages ebenso wie seiner Frau und seiner Familie von ganzem Herzen alles Gute und Gottes Segen.“
� Verdiente Frauenreferentin aus dem Altvater
Rosemarie Kretschmer † Am 10. Juni starb Rosemarie Kretschmer, langjährige Frauenreferentin der SL-Landesgruppe Hessen und Stellvertreterin der SL-Bundesfrauenreferentin, mit 86 Jahren in Wetzlar.
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andesfrauenreferentin des BdV und der SL in Hessen, Betreuerin der Heimatlandschaft Altvater und des Heimatkreises Römerstadt, lange Kreisfrauenreferentin von Wetzlar, viele Jahre Redakteurin der Heimatzeitung „Römerstädter Ländchen“: Rosemarie Kretschmer vereinte mit Fleiß und Herzlichkeit alles dies und noch viel mehr. Sie organisierte und beteiligte sich an Tagungen und Seminaren, veranstaltete Klöppel- und Bastelkurse, verfaßte Rundschreiben und Protokolle, gestaltete Weihnachts- sowie Muttertagsfeiern und bastelte dafür auch noch den Tischschmuck. Sie organi-
sierte Busreisen in ihre Heimat und fuhr mit Bürgermeistern und Stadträten dorthin. Mit den verbliebenen Landsleuten hielt sie liebevoll Verbindung. Sie war am 22. Oktober 1934 in Römerstadt in Nordmähren zur Welt gekommen. Im Mai 1945 floh sie vor der einrückenden russischen Front, kehrte wieder zurück und wurde 1946 mit ihren Eltern vertrieben. Der Transport endete in Wetzlar. In Wetzlar heiratete sie einen Landsmann, der bereits vor vielen Jahren starb. Doch mit ihren beiden Töchtern und den Enkelkindern hatte sie ein enges Verhältnis. Trotz Familie und Hausbau arbeitete sie immer als Sprechstundenhilfe. Auch zu ihren Ärzten und Patienten hielt sie freundschaftliche Kontakte.
Neben ihren vielen Ämtern, die sie mit unzähligen Aktivitäten ausfüllte, war sie 1997 bis 2010 Stellvertretende Bundesfrauenreferentin der SL. Ihre Erfahrung, ihre Einsatzbereitschaft und ihre Freundschaft trugen viel zum Gelingen der Frauenarbeit bei. Ihre Mitwirkung bei den Bundesfrauenwochen auf dem Heiligenhof setzte sie bei Frauentagungen in Hessen fort. Sie war immer bereit zu beraten und zu helfen. Bei den Sudetendeutschen Tagen, bei Tagungen und Seminaren, bei Frauenwochen brachte sie wesentliche Beiträge. Nicht zuletzt hatte sie auch viele Jahre lang den Vertrieb der Schriftenreihe „Goldener Steig“ übernommen. Rosemarie Kretschmer hat in reichem Maß Freundschaft ge-
geben und Freundschaft empfangen. Sie gehört zu den Menschen, die man immer in Erinnerung und im Herzen behält. Bernd Posselt würdigt die Verstorbene im Namen der Sudetendeutschen Volksgruppe: „Wer jemals an einem der perfekt organisierten Heimattreffen oder Wallfahrten unter Leitung von Rosemarie Kretschmer in der Patenstadt Zeil am Main teilnehmen durfte, hat auf eindrucksvolle Weise erlebt, was Gemeinschaft, was Glaube, was Tradition und was Heimatliebe bedeuten. Sie hat in hingebungsvoller Weise unserer Volksgruppe, ihrer Heimatlandschaft, ihrem Heimatkreis und ihrer Heimatortsgruppe gedient und gleichzeitig in der SL-Frauenarbeit in Hessen und darüber hinaus Maßstäbe gesetzt. Wir bleiben ihr und ihren Lieben in Trauer und Gebet verbunden.“
Als erste Nach-Pandemie-Veranstaltung mit Publikum fand im Sudetendeutschen Haus eine Lesung des Adalbert-Stifter-Vereins (ASV) statt. Aus dem neuen Buch „Prager Hinterhöfe im Frühling“ mit Reportagen und Feuilletons von Milena Jesenská las deren Übersetzerin Kristina Kallert. Die von der neuen ASV-Kulturreferentin Anna Paap moderierte Lesung wurde von der Harfenistin Magdalena Treutwein auf der Böhmischen Harfe begleitet. Eingangs hatte ASV-Geschäftsführerin Zuzana Jürgens die Gäste im AdalbertStifter-Saal begrüßt.
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KULTUR
Sudetendeutsche Zeitung Folge 24 | 18. 6. 2021
� Veranstaltung des Adalbert-Stifter-Vereins: Lesung mit Harfenmusik
Milena Jesenskás Stimme
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ie Prager Journalistin Milena Jesenská ist vielen als Freundin von Franz Kafka und Adressatin seiner ,Briefe an Milena‘ ein Begriff“, führte Zuzana Jürgens ein. „Sie hatte jedoch selber ein enormes publizistisches Werk vorzuweisen“, so die ASVGeschäftsführerin. Der von Alena Wagnerová herausgegebene Band „Prager Hinterhöfe im Frühling“ mit Reportagen und Feuilletons von 1918 bis 1938 gebe erstmals ein umfangreiches Bild von Jesenskás ebenso vielBilder: Susanne Habel seitigem wie mutigem und im- Die Bühne ist wieder eröffnet: Dr. Zuzana Jürgens, Kristina Kallert, Anna Paap und Magdalena Treutwein mit Harfen. mer höchst empathischem journalistischen Werk. „Die meisten kriegs-Wien geriet die Studi- Jesenská gesellschaftliche Ver- sich rasch in das Milieu der Pra- nung‘“ in Stuttgart mit Lob für der in diesem Band versammel- enabbrecherin Jesenská nach änderungen wie das Auftauchen ger Avantgarde und teilte deren Walter Gropius von 1927, dazu ten Texte erscheinen in Kristina kurzer Zeit in „die Schule der von neuen sozialen Gruppen. Hoffnungen auf eine grundle- das Harfensolo „Vanille“. Jesenská standen jedoch Kallerts Übersetzung zum ersten Armut“, wie sie es nannte und „Existenzen sind aufgetaucht ... gende gesellschaftliche ErneueMal auf deutsch.“ schlug sich durch mit Tsche- und wir sind einen Augenblick rung und Verbesserung des All- schwere Zeiten bevor, wie AnUnd einige ihrer Übertragun- chischunterricht und Übersettags der breiten Masse. 1927 hei- na Paap erläuterte: „Jesenskás gen stellte Kristina Kallert nun zungen. 1920 begann ihre Korreratete Jesenská den Architekten glückliche Zeit war kurz.“ Eine vor. Sie erläuterte dieser Zeitung spondenz mit Franz Kafka. Jaromír Krejcar, 1928 kam Toch- schwere Infektion während der Schwangerschaft führte zu einer gegenüber, Alena Wagnerovás Jesenská schrieb für tschechiter Jana zur Welt. Auswahl von 79 Texten basiere sche Zeitungen Feuilletons und Im Text „Das Nähkörbchen“ riskanten Geburt. Lange Krankauf einer größeren tschechischen Reportagen. Nicht nur über Movon 1924 erinnert sich Jesenská heit und ein gelähmtes Knie waAuswahl von 355 Texten. „Diese de und Lebensart, sondern auch an ihre „Mama, die im Lehnstuhl ren die Folgen. Milena Jesenská hatte keine Texte sind wiederum eine Aus- über das wirtschaftliche und soam Fenster saß, mit dem Nähwahl aus den von Marie Jirásko- ziale Desaster, über den Nachkörbchen auf dem kleinen Tisch Arbeit mehr, kein Geld, die Gevá in akrikriegsallvor sich“, und ihren sundheit war angeschlagen. Die Mehr als eintausend Artikel bischer tag und Papa mit dem „Mi- zweite Ehe zerbrach 1933. Von Sucharbeit und Reportagen über die litärmantel, den er 1935 bis 1937 litt sie große mainsgesamt psychoeinmal im Jahr an- terielle und psychische Not. Sie erfaßten 1091 Artikeln, Feuille- sozialen und politischen Folzog, wenn er dem schlug sich mit Übersetzungen tons und Reportagen.“ Jirásko- gen des Ersten Weltkriegs. DaKaiser vermelden durch, zusammen mit ihrem letzGeboren 1962, vá habe die erwähnte Auswahl zu las Kristina Kallert aus „Brieging, daß er ge- ten Lebenspartner Evžen Klinstudierte Germa2016 bei Torst unter dem Titel fe aus Hinterhut VII. Nachbarn sund und am Leben ger. 1937 gab ihr der Journalist nistik und Ostsla„Křižovátky“ („Kreuzungen“) über uns“, eine Betrachtung von sei“. Die Journali- Ferdinand Peroutka die Chanwistik in Regensherausgegeben. 1925. Die Härte der Nachkriegsstin sinniert: „Auch ce, für seine unabhängige Woburg und Sankt Die Übersetzerin wurde bei zeit schildert Jesenská anschauich habe inzwischen chenzeitschrift „Přítomnost“ zu Petersburg, späder Veranstaltung begleitet von lich am Kampf um Holz und Brot: Kristina Kallert ein Nähkörbchen ... berichten. In knapp zwei Jahren ter Bohemistik in Magdalena Treutwein, die kleine „Mit dem Essen ist es dasselUnd etwas so Dum- entstanden 55 umfangreiche ReBrünn. Seit 1998 Stücke – wie gleich zu Eingang be. Das, was man für eine Wo- konsterniert und mes zeigt Ihnen, portagen über die explosiven poÜbersetzerin aus „Paprika“ von Bernard Andrès che bekommt, reicht bei größ- fragen uns: ,Wo daß Sie auf die glei- litischen, wirtschaftlichen und dem Tschechi– auf der böhmischen Harfe mit ter Bescheidenheit für ein einzi- kommen denn die che Weise zum glei- sozialen Entwicklungen im Suschen. Seit 2004 den Lesungen verwob. Den zeit- ges Abendessen. Für eine Person her?“ und antworchen Punkt gelangt detenland, über Flüchtlinge in Trägerin des genössischen Hintergrund liefer- gibt es einen Laib Brot (ein Lai- ten: ,Na ja, der sind wie Ihre Mut- Prag, die Situation der Juden, ter, auch wenn es über das Münchener AbkomLeipziger Fährete Anna Paap. Die neue Kulturre- berl!), und obwohl ich die Schu- Krieg.‘“ Als Beispiel manchmal so aus- men, die Besetzung der SudetenPreises für Literaferentin im ASV, die das Amt seit le der Wiener Not und Armut beschreibt sie eisieht, als hätten Sie gebiete und die vollständige Okturübersetzung. Jahresanfang ausübt, erzählte – inzwischen zwei Jahre besu- nen schlitzohrigen sich in eine ande- kupation der „Rest-Tschechei“ immer passend zu den Lesungen che, gelingt es mir immer noch Schwarzmarkthändre Richtung aufge- am 15. März 1939. – von Jesenskás Leben. nicht, diese gelbliche, harte, alte, ler; dazu erklang eiAus dieser letzten Periode las „Milena Jesenská, einzige schimmlige ,Gabe Gottes‘ hin- ne „Jahrmarkts-Improvisation“ macht.“ Treutlein lieferte dazu die Lieder „Maminka moje“ und Kallert die packenden Texte „Es Tochter aus kultiviertem bürger- unterzuwürgen.“ Dazu variierte von Treutweins Harfe. lichem Haus, heiratete im Früh- Treutwein an der Harfe Motive Anna Paap faßte die weiteren „Dobrú noc“ und spielte schließ- wird keinen Anschluß geben: jahr 1918 den Literaten Ernst Pol- aus der „Schönen blauen Donau“ Entwicklungen zusammen. Mi- lich „Mīsirlu“, einen Migranten- Quer durch die Familien … Juden, Rufmord, Flüsterpropaganlak, den sie in Prag im Café Arco von Johann Strauss Sohn. lena Jesenská und Ernst Pollak tanz von Griechen in Amerika. Aus dieser Zeit hörte man den da“, „Deutsche gegen Deutsche kennengelernt hatte, und folgSatirisch-boshaft war der fol- trennten sich 1923. Milena kehrte ihm nach Wien, wo sie das En- gende Text. In „Der neue Groß- te nach Prag zurück. Die nam- Artikel „Internationale Werk- – Tschechen gegen Deutsche – de des Krieges erlebte. Im Nach- stadt-Typus“ von 1920 beschreibt hafte Journalistin integrierte bund-Ausstellung ,Die Woh- und leider auch Tschechen ge-
gen Tschechen“, „Im Grenzgebiet: Wieviele Punkte für uns?“, „Sage mir, wohin du flüchtest“ und „Hunderttausende auf der Suche nach Niemandsland: Ahasver auf einer Gasse in den Königlichen Weinbergen“ aus dem Jahr 1938, wozu die Harfe das jiddische „Ale Wasserlech flissn awek“ spielte. Gerade diese zeitgenössischen Texte aus der „Sudetenkrise“ boten einen guten Einblick in die Zerrissenheit der sudetendeutsch-tschechischen Gemeinden aus dem „Grenzgebiet“, wie das Sudetenland in Jesenskás Texten bezeichnet wird. Der letzte, erschütternde Text „Von der Kunst, stehen zu bleiben“ aus „Přítomnost“ vom 5. April 1939 begleitete wieder Smetanas „Moldau“ und die „Hymne Kde domov můj“. „Nationalsozialismus und Stalinismus haben den Hoffnungen der Avantgarde die Luft zum Atmen genommen“, faßte Paap zusammen. Evžen Klinger ging ins Exil, Ferdinand Peroutka wurde verhaftet und die Zeitschrift ,Přítomnost‘ verboten. Jesenská half Menschen auf ihrem Weg in die Emigration. Am 12. November 1939 wurde Milena Jesenská verhaftet und im Oktober 1940 ins Frauenkonzentrationslager Ravensbrück überstellt. „Ravensbrück wurde für Jesenská zum letzten Kampfplatz, auf dem es um das Bewahren und Retten der letzten Reste menschlicher Würde ging“, schloß Paap. An ihren Mut und ihre Standhaftigkeit hätten sich viele ihrer Mithäftlinge noch Jahre später erinnert. „Den Kampf um ihr eigenes Leben aber hat Milena Jesenská am 17. Mai 1944 verloren.“ Ihre Texte sind zumindest teilweise gerettet und legen Zeugnis ab. Susanne Habel
Kristina Kallert
� Neue Kulturreferentin
� Aus Kristina Kallerts Notizen zu Milena Jesenská
Menschen lieben Literaturmagazin „Plav”. Ehrenamtlich war sie in der Jugendarbeit und beim deutsch-tschechischen Austausch engagiert, unter anderem im nna Paap Deutsch-Tschekam 1990 chischen Geals Anna Kou- Anna Paap Bild: Susanne Habel sprächsforum bová in Prag zur und DeutschWelt. Sie studierte dort und in Tschechischen Jugendforum. Berlin Literatur- und SprachwisAls ASV-Kulturreferentin wird senschaft sowie Übersetzungs- sie für Jugendarbeit und Kowissenschaft und war Stipendia- operation mit Schulen zustäntin des Projektes „TransStar Eu dig sein. Bis die Jugendarbeit an ropa“ und der Studienstiftung Schulen wieder regulär läuft, bedes deutschen Volkes. teiligt sie sich an anderen TätigDanach arbeitete sie als freie keiten der kulturellen BreitenarÜbersetzerin, Dolmetscherin beit des ASV wie Lesungen, VorTschechischlehrerin und zehn träge, Ausstellungen, Filme und Jahre lang als Redakteurin beim Konzerte. sh
Anna Paap ist seit Beginn des Jahres neue Kulturreferentin für die böhmischen Länder im Adalbert-Stifter-Verein in München.
A
Texte strahlen A
ll die „realen Details“ wachsen bei Jesenská zu einem Bild zusammen, das eben genau ihre Augen so gesehen und ihr Herz so empfunden hat. Die Stimme eines echten Menschen spricht unmittelbar zu uns, sie läßt die Texte strahlen, ohne Koketterie, bei allem Sinn für das Komische, das Abstruse alltäglicher Situationen, bei aller rhetorischen Gewandtheit, bei allem dramaturgischem, klanglichem und rhythmischen Feingefühl. Diese Stimme gehört zu ebenso klugen wie empathischen Augen, und sie vertritt einen für selbstverständlich gehaltenen moralischen Anspruch. Empathie ohne Pathos, aber oft bis ins Mark erschüttert. Wie soll diese Stimme auf Deutsch klingen, es darf nicht einfach meine Stimme sein, und diese Gefahr ist, ge-
rade bei Texten, die einem nahe sind, groß. Die ersten Monate des Übersetzens hat mich genau das gequält, dieses „ich habe ihre Stimme noch nicht“. Und dann kommt sie eines Tages, das heißt, es war spät in der Nacht, und dann stand auf einmal eine Passage vor mir. Es kommt irgendwie aus dem Text selbst, der tiefer liegt als seine einzelsprachliche Oberfläche; dieser Text ist so eine Art genetische Struktur, die auch für Milena Jesenská selbst steht... Empathie, die tatkräftige Zukunftsoffenheit, das Poetische, das auch ein unverzichtbares Element menschlicher Existenz ist, und der Boden der Realität. Kristina Kallert: „Notizen zur Übersetzung von Milena Jesenská s Feuilletons und Reportagen“
Milena Jesenská: „Prager Hinterhöfe im Frühling“. Herausgegeben von Alena Wagnerová. Aus dem Tschechischen übersetzt von Kristina Kallert. Wallstein Verlag, Göttingen 2020; 416 Seiten, 32 Euro. (ISBN 978-3-8353-3827-2)
� Magdalena Treutwein
Harfen wandern S
chon als Kind Hauptinstruwurde Magment. So absoldalena Treutwein vierte sie 2014 bei der jährlichen die BerufsfachSommerfrische in schule für MuBöhmen von der sik auf der VolkLandschaft gesharfe und dann prägt, die ihr vieden Studiengang le sehr schöne ErMusik und Meinnerungen bedien 2019 in Düsscherte. 2007 kam seldorf. Neben sie zum ersten Magdalena Treutwein dem Unterricht Mal in Berührung auf der Konmit der Harfe, als sie auf der Su- zertharfe belegte sie dort den che nach einem Zweitinstrument Schwerpunkt Musik und Text. neben dem Klavier war. Nun ist Magdalena Treutwein So entdeckte sie später auch in ihre Heimat Regensburg zudie Böhmische Hakenharfe, die rückgekehrt und arbeitet dort als als Wanderharfe leicht und trans- Harfenlehrerin und freischaffenportabel ist und somit dem Kla- de Musikerin. Ihre Leidenschaft vier gegenüber klar im Vor- gilt der Volksmusik vieler Länder teil. und Regionen von Bayern und Diese Harfe wurde für Mag- Böhmen über Irland und Schwedalena Treutwein schnell zum den bis Südamerika. sh
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KULTUR
Bei einer Online-Lesung, zu dem der Heiligenhof eingeladen hatte, stell te Andreas Kossert sein jüngstes Werk vor. In „Flucht. Eine Menschheitsge schichte“ berichtet der Historiker an hand bewegender Einzelschicksale und im großen geschichtlichen Zusammen hang über die existienziellen Erfahrun gen, die mit Flucht und Vertreibung einhergehen.
Sudetendeutsche Zeitung Folge 24 | 18. 6. 2021
� Lesung aus „Flucht“ von Andreas Kossert auf dem Heiligenhof
Konstante der Geschichte
Die herrenlosen Katzen in den Gassen, die Bettler nächtigend im nassen Gras, sind nicht so ausgestoßen und verlassen, wie jeder, der ein Heimatglück besaß und hat es ohne seine Schuld verloren und irrt jetzt durch der Fremde Labyrinth. Die Eingebornen träumen vor den Toren. und wissen nicht, daß wir ihr Schatten sind.
A
ndreas Kossert ist Historiker mit Schwerpunkt Ostmitteleuropa und freier Autor“, stellte Gustav Binder den prominenten Gast vor. Kossert ist in Teilzeit auch bei der Bundesstiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ tä tig, deren Dokumentationszentrum ge rade in Berlin eröffnet. Binder, Studi enleiter des Heiligenhofs, wies in seiner Begrüßung auf die große Bedeutung ei nes Autors wie Kossert hin. Mit seinen Forschungen und Buchveröffentlichun gen bereichere der Historiker auch ei ne Bildungsstätte deutscher Heimatver triebener, wie sie der Heiligenhof für die Sudetendeutschen seit 70 Jahren sei. Kossert wurde 2008 bekannt durch sei nen Bestseller „Kalte Heimat. Die Ge schichte der deutschen Vertriebenen nach 1945“ (Ý SdZ 20/2009) und Publi kationen über Ostpreußen, woher sei ne Großeltern stammen. Für sein Werk erhielt er den Georg-Dehio-Kulturpreis des Deutschen Kulturforums östliches Europa. In seinem neuen Buch „Flucht. Eine Menschheitsgeschichte“, das vom Nord deutschen Rundfunk als „Bestes Sach buch des Jahres 2020“ ausgezeichnet wurde, stellt Kossert „Flucht“ mit vielen Quellen und Analysen als historische Konstante der Menschheitsgeschichte dar. „Das Buch ist keine Enzyklopädie aller Fluchtereignisse in der Geschichte der Menschheit, sondern eine kompo nierte Sammlung von Selbstzeugnissen oder – wo es diese aufgrund der Um stände nicht gibt und geben kann, aus literarischen Bearbeitungen des Flucht geschehens“, erläuterte Binder. Er lob te Kosserts hohe Erzählkunst, in der mit Empathie Hunderte von Fluchtschicksa len auf der ganzen Welt geschildert wür den. „Dies sind intime Einblicke in per sönliche und familiäre Geschichten.“ Kossert klärt am Anfang des Buchs auch die Begrifflichkeit und die fließen den Unterschiede zwischen „Flüchtling“ – nicht das verharmlosende „Geflüchte ter“ – und „Vertriebener“. Und er gibt dann einen Abriß mit vielen Beispielen aus literarischen Werken und persönli Bei einer Matinée im Humboldt forum in Berlin wurden die acht für den Deutschen Sachbuch preis 2021 nominierten Werke vorgestellt. In drei Runden in unterschiedlicher Konstellati on wurde gezeigt, welche Frage stellungen die nominierten Titel verbinden und welche Perspek tiven nebeneinander stehen. Die erste Runde, vage zentriert um „Anderssein“ und „Außenseiter tum“, bildeten Heike Behrend mit ihrem Buch „Menschwer dung eines Affen. Eine Autobio grafie der ethnografischen For schung“, Asal Dardan mit „Be trachtungen einer Barbarin“ und Andreas Kossert mit „Flucht. Ei ne Menschheitsgeschichte“.
I
n meinem Buch wollte ich Flucht als Massenphänomen im Laufe der Menschheitsge schichte greifbar machen“, sagte Andreas Kossert im Humboldt forum. Auch im 21. Jahrhun dert seien Flucht und Vertrei bung zentrale Probleme, so der renommierte Experte, der in sei nem neuen Buch „Flucht. Eine Menschheitsgeschichte“ (Sied ler, München 2020) die Flücht lingsbewegung der Vergangen heit und der Gegenwart in den geschichtlichen Zusammen hang stellt. Damit die Flüchtlinge nicht als „anonymes Kollektiv“ er scheinen würden, habe er ih nen eine Stimme geben wol len, so der Autor. „Hier wird aus der Sicht der Flüchtlinge erzählt“, betonte Kossert, der in dem Buch viele Flüchtlin ge und Vertriebene zu Wort kommen läßt, darunter auch viele Literaten. „Belletristik und Lyrik sind unerschöpfli che Quellen, wenn es um das
Gombrowicz. Dieser Schriftsteller habe im argentinischen Exil an der Sehnsucht nach der Heimat deren „nachträgliche Verklärung“ durch die Exilanten kriti siert, wie Kossert zeigt. Als Gegenpol dazu las er das Gedicht „Heimatlos“ von Max Hermann-Neiße, das der 1886 im oberschlesischen Neiße geborene Dich ter 1936 im Londoner Exil verfaßt hatte:
Dr. Andreas Kossert stellt sein zum Sachbuch des Jahres nominiertes Buch auch im Netz vor, hier in einem Video: https://www.youtube. com/watch?v=8tWinXv1ZjA&list=PLYPEub-vjEbOtR-YUd_lQ4O9-KxDk-SDM&index=5 chen Zeugnissen der Betroffenen. In sei nem Buch läßt er vor allem viele Flücht linge aus der Menschheitsgeschichte zu Wort kommen. Dabei solle jedoch nur um „Menschen, die ihre Heimat verlas sen müssen, weil ihr Leben bedroht ist, und nicht um Migranten, die ihre Hei mat aus eigenem Entschluß verlassen, vor allem, weil sie auf ein besseres Le ben an einem anderen Ort hoffen“, so Kossert. Der Schwerpunkt liege auf Eu ropa und Nahost. „Die unzähligen Geschichten von Flucht vor Gewalt und Krieg ähneln sich so sehr, daß sie zu einer einzigen großen Geschichte zu verschmelzen scheinen“, faßt Kossert all seine Beispiele zusam men. „Flüchtlinge sind selten willkom men, egal ob Fremde oder Landsleu te!“ Vor Migranten, die meist in großen Gruppen kämen, hätten die Einheimi schen eine „Urangst“: Französische Flüchtlinge im Sommer 1945, die vor der deutschen Wehrmacht flohen, seien ge nauso schlecht behandelt worden, wie
der ostpreußische Flüchtlinge, die nach dem Krieg in Westdeutschland um Le bensmittel baten. Kossert zitierte dazu:
Peitsche statt Unterkunft „Hinaus mit den Flüchtlingen aus un serem Dorf! Gebt dem Sudetengesindel die Peitsche statt Unterkunft!“ von ei nem anonymen Plakat in Bayern nach Kriegsende. „Die Millionen deutscher Landsleute aus Ostpreußen, Böhmen oder Schlesien sind jenseits von Oder und Neiße einfach nur die Flüchtlinge, und sie sind keineswegs willkommen, sondern werden als bedrohliche Störung empfunden.“ Einen guten Einblick in das Buch gab der Autor durch die Lesung einiger ex emplarischer Ausschnitte. Zunächst las er eine Passage mit den Erlebnissen ei nes aus Masuren vertriebenen Ostpreu ßen, der vom Tag des Verlassens seines Anwesens jahrelang auf eine Rückkehr hofft, bis er schließlich resigniert. Die Er
innerungen dieses Friedrich Biella seien tatsächlich Tagebuchaufzeichnungen seines eigenen Urgroßvaters, gab Kos sert am Ende der Lesung zu. Er las auch Auszüge über die Leistun gen des gebürtigen Danzigers Rupert Neudeck, der unter Lebensgefahr viele vietnamesische Boat People rettete, und über die „Flüchtlingswelle“, die 2015 in Deutschland anbrandete. Darüber stell te er fest: „Obwohl die Fluchtursachen sehr unterschiedlich sein können, äh neln sich die Erfahrungen sehr.“ Kossert schildert im Buch an vielen Beispielen das „Entwurzeltsein“, die zerrissenen Familienbande und die „un bestimmte Nostalgie nach den Geburts orten und das „Gefühl der Fremdheit in der Welt“ und das „Empfinden, Unrecht erlitten zu haben“, womit die 1962 im niederschlesischen Züllichau bei Grün berg geborene Literaturnobelpreisträ gerin Olga Tokarczuk das Flüchtlings dasein beschrieben hatte. Sie kam aus dem heutigen Polen, ebenso wie Witold
Das Schattendasein von Flüchtlin gen, Vertriebenen und Exilanten zieht sich ebenfalls durch die Selbstzeugnis se im Buch. „Angst, Hoffnungslosig keit und Erschöpfung, das ist es, wovon man in den Berichten von Flüchtlingen vor allem liest“, faßt Kossert im Buch zu sammen, und las dazu Beispiele von ge flohenen Armeniern und Griechen. Das gemeinsame Flüchtlings- oder Vertrei bungsschicksal könne jedoch Anlaß für mehr Mitgefühl und Verhaltensände rungen sein, hoffte Kossert. „Flucht und Vertreibung als Geißel der Menschheit zu ächten, könnte bewirken, sie bereits im Entstehen zu unterbinden und ihre Ursachen zu bekämpfen, statt immer nur höhere Zäune und Mauern zu errich ten!“, lautete ein Fazit des Historikers. Rund 50 Personen hatten an ihren Rechnern die Lesung verfolgt: Sudeten deutsche, Siebenbürger Sachsen, Schle sier, Polen, jüdischstämmige Gäste und auch einzelne Teilnehmer aus Schwe den, Österreich und der Schweiz lausch ten und beteiligten sich an der lebhaften Diskussion. In seinem Schlußwort dank te der Studienleiter des Heiligenhofs dem Historiker Kossert herzlich. Binder verwies auf den bevorstehenden Welt flüchtlingstag, der seit 20 Jahren am 20. Juni begangen wird und der in Deutsch land zugleich der Gedenktag der deut schen Heimatvertriebenen ist. „Bei der zeit rund 70 Millionen Flüchtlingen weltweit sind Flucht und Vertreibung eines der gewaltigsten Probleme der Menschheit, das leider stetig wächst“, erinnerte Binder. Susanne Habel Andreas Kossert: „Flucht. Eine Menschheitsgeschichte“. Siedler Verlag, München 2020, 432 Seiten, 25 Euro. (ISBN 978-3-82750091-5).
� Deutscher Sachbuchpreis 2021
Endrunde im Berliner Schloß
Der Hauptpreisträger, F.A.Z.-Herausgeber Jürgen Kaube, und drei Nominierte: Asal Dardan, Dr. Andreas Kossert und Professor Dr. Heike Behrend in Berlin. Alles zum Preis im Netz (Achtung, voller Gendermanierismen der Moderatoren!): www.youtube.com/channel/UCJf0SbPxfc9RC6Tc3nK7fAw/featured Thema Flucht, Vertreibung oder Heimweh geht“, betonte Kos sert. „Literatur vermag etwas, wofür es in der empirischen Wis senschaft keine Daten gibt und zeigt die emotionalen Zwischen räume“, erklärte er die Auswahl dieser Texte. „Flucht wird auch oft verdrängt, sogar vielfach von den Betroffenen selbst, die sich als Außenseiter fühlen und das
immerwährende Leid vergessen wollen“, so Kossert. Daher fin de er die Bezeichnung „Geflüch tete“ auch nicht richtig. „Flücht linge trifft die Dramatik besser“, meint der Historiker. „Geflüchte ter klingt, als ob derjenige schon gut angekommen sei.“ Über ähnliche Erfahrungen hatte auch die Autorin des zwei ten nominierten Buches zu be
� Sachbuchpreis 2021 für Jürgen Kaube
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„Hegels Welt“
ei einer gemeinsamen Veranstaltung der Stiftung Buchkultur und Leseförderung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels mit der Stiftung Humboldt Forum wurde letzten Sonntag im Berli ner Schloß der Deutsche Sachbuchpreis vergeben, der mit 42 500 Eu ro ausgestattet ist. Den Hauptpreis, der mit 25 000 Euro dotiert ist, er hielt der Journalist und Autor Jürgen Kaube für sein Buch „Hegels Welt“. Die sieben weiteren Nominierten erhielten je 2500 Euro.
richten, wenn auch „aus zweiter Hand“. Als Kind iranischer Eltern wuchs Asal Dardan in Deutsch land auf. Ihre Erfahrung des Exils der Familie sind die Basis für ihr Buch „Betrachtungen einer Bar barin“ (Hoffmann und Campe, Hamburg 2021). Geboren 1978 in Teheran, wuchs Dardan nach der Flucht ihrer Eltern aus dem Iran in Köln, Bonn und Aberdeen auf. Sie studierte Kulturwis senschaften und Nahoststu dien und lebt heute als freie Autorin und Redakteurin mit ihrer Familie in Berlin. In ih rem Buch „Betrachtungen ei ner Barbarin“ begibt sie sich auf die Suche nach einer ge meinsamen Sprache und nach der Überbrückung des ewigen Gegensatzes von „Wir“ und den „Anderen“. Immer ist ihr Blick überraschend, ihre Ana lyse scharfsichtig. Da ist das geflüchtete Kind, das Trost in
Spitzwegs heimeligen Bildern findet. Sprachlich brillant und stilistisch elegant zeigt Dardan, daß Zusammenleben bedeutet, Differenz anzunehmen. Sie be tonte im Humboldtforum, daß ih re Fluchterfahrung vergleichs weise harmlos sei, ihr Leben den noch präge. „Es geht um Heimat, Exil und Identität“, sagte sie. Eine Form des „Andersseins“ stellt Heike Behrend in „Mensch werdung eines Affen. Eine Au tobiografie der ethnografischen Forschung“ (Matthes & Seitz,
Acht Buch-Kandidaten.
Berlin 2020) dar. Diese Autobio grafie berichtet von dem, was in den herkömmlichen Ethnogra phien meist ausgeschlossen wird wie kulturelle Mißverständnis se, Konflikte, Fehlleistungen und Situationen des Scheiterns in der Fremde. Ihr Buch läßt er leben, wie die beobachteten Ein heimischen den Ethnologen als Außenseiter ansehen: als „Affe“, „Närrin“ oder „Kannibale“. Selbst- und Fremdwahrneh mung der Forscher seien unter schiedlich, so Behrend. „Ich habe den Spiegel umgedreht!“ Gebo ren 1947 in Stralsund, studier te Behrend Ethnologie, Soziolo gie und Religionswissenschaft in München, Wien und Berlin. Sie arbeitete ethnographisch vor al lem in Ostafrika und unterrich tete an vielen Universitäten. Seit ihrer Pensionierung 2012 arbei tet sie in Berlin. Mit dem Buch über vier Forschungen in Kenia und Uganda in fast 50 Jahren re flektiert Heike Behrend auch die Veränderungen des Machtgefü ges zwischen Forschern und Er forschten. Dann wurden Jürgen Kaubes „Hegels Welt“ (Rowohlt, Ber lin 2021); Daniel Leeses „Maos langer Schatten. Chinas Um gang mit der Vergangenheit“ (C. H. Beck, München 2020); Mi chael Maars „Die Schlange im Wolfspelz. Das Geheimnis gro ßer Literatur“ (Rowohlt, Berlin 2020); Christoph Möllers „Frei heitsgrade“ (Suhrkamp, Ber lin 2020); Mai Thi NguyenKims „Die kleinste gemeinsa me Wirklichkeit. Wahr, falsch, plausibel? Die größten Streit fragen wissenschaftlich geprüft“ (Droemer Knaur, Mün chen 2021) vorgestellt. Susanne Habel
GLAUBE UND HEIMAT
Sudetendeutsche Zeitung Folge 24 | 18. 6. 2021
Das Mutterhaus am Klosterweg in Auerbach. Bild: Karl-Heinz Schmid
Schulschwestern von Unserer Lieben Frau in Böhmen
Folgen der Aufklärung im Böhmerwald lerian Jirsik, gab den Rat, die Armen Schulschwestern de Notre Dame als selbständige Kongregation in Böhmen zu gründen. Auch der Erzbischof von ie Ideen der AufMünchen, Karl August klärung waren von Reisach, empfahl, auch nach Böhmen gein Böhmen ein eigenes drungen und hatten Mutterhaus zu errichSittenlosigkeit, religiten. öse Gleichgültigkeit Die vier Kandidatinund Unwissenheit benen – zwei hatten bewirkt. In dieser Umreits mehr als ein Jahr bruchzeit nahm sich Noviziat in München Pater Gabriel Schneiverbracht – kehrten der (1812–1867) als wieder nach Hirschau einfacher Weltpriester zurück. Am 15. August besonders der heran1853 fand in Hirschau wachsenden Jugend in die erste EinkleidungsHirschau, einem kleifeier und Profeßablenen Dorf im Böhmergung statt. Das Fest wald nahe der bayeriMariä Himmelfahrt schen Grenze, an. Wie 1853 ist demnach der rund zwei JahrhunderGründungstag der te vorher Pierre Fourier Kongregation der Arin Frankreich war auch men Schulschwestern dieser fromme Priester de Notre Dame in Böhüberzeugt, daß die frümen. he christliche ErzieAus dem bescheidehung der Mädchen von Stammbaum der Schulschwestern von Schwester Gerlin- nen und von vielen Wientscheidender Wich- de Lehner. derständen begleiteten tigkeit für die religiöse Anfang in Hirschau entBildung und Erneuerung der Fa- von Unserer Lieben Frau in Mün- wickelte sich in Kürze eine Gemilien und damit der gesamten chen, M. Theresia Gerhardinger, meinschaft von Schwestern, die Gesellschaft sei. in Verbindung. Auf die zunächst schon bald in ihrem WirkungsEtwa zur selben Zeit (1833) zustimmende Antwort Gerhar- feld auf zahlreiche andere Städhatten in Regensburg die Bi- dingers, die Schule in Hirschau te und Dörfer Böhmens übergriff. schöfe Johann Michael Sailer Da das ursprüngliche Mut(1829–1832) und Georg Miterhaus in Hirschau schon bald chael Wittmann (1832–1833) sozu klein wurde, verlegten die wie der Priester Franz Sebastian Schwestern dieses 1854 nach HoJob (1767–1834) zusammen mit raschdowitz, wo sie zu diesem Karolina Gerhardinger (1797– Zweck das aufgehobene und teil1879) in der gleichen Intentiweise verwüstete Minoritenkloon die Kongregation der Armen ster kauften. Schulschwestern de Notre-Dame Fast ein Jahrhundert, genau gegründet. bis zum Jahre 1950, blieb das GeGabriel Schneider plante, unneralmutterhaus dann dort; in jeter tatkräftiger Mithilfe seiner nem Jahr wurden die Schwestern Pfarrgemeinde Hirschau, heuauf Anordnung des kommunistite ein Ortsteil von Neumark bei schen Regimes nach Jauernig bei Markt Eisenstein, eine MädchenFreiwaldau in Mährisch-Schlesischule einzurichten. Zu deren Historisches Bild der Hirschauer Kir- en umgesiedelt und von allen orFührung wollte er Schulschwe- che. denseigenen Häusern zwangsstern des Dritten Ordens des heienteignet. Der Generalsitz war ligen Franziskus aus Graz nach eventuell als Filiale zu über- nunmehr über vier Jahrzehnte in Böhmen holen. Letzteres schei- nehmen, kamen 1851 drei Arme Jauernig. 1995 verlegte die Konterte jedoch in den Revolutions- Schulschwestern von München gregation den Sitz ihres Generawirren des Jahres 1848. Die Gra- nach Hirschau; zwei Kandida- lats nach Königgrätz, nachdem zer Oberin schickte die zwei Kan- tinnen aus Hirschau wurden ins ihr das dortige, über Jahrzehndidatinnen aus Hirschau wieder Noviziat des Münchner Mutter- te zweckentfremdete Kloster zurückgegeben worden war. In einem Schreiben vom 16. April 1858 hatte Papst Pius IX. den Armen Schulschwestern de Notre Dame in Böhmen eine Reihe von Ablässen verliehen und gewünscht, „ut sodalitium hujus modi adeo salubre ac frugiferum majora in dies juvante Deo suscipiat incrementa“ – „daß dieser so heilsame und fruchtbringende Verein unter dem Beistand Gottes von Tag zu Tag größere Das Minoritenkloster in Horaschdowitz wird neues Mutterhaus. Früchte trage“. 1909 bestätigte Papst Pius X. (1835–1914, in ihre Heimat zurück mit dem hauses aufgenommen. Widrige heiliggesprochen 1954 von Pius Hinweis, „daß sie bei den nun Umstände wie ein unzureichen- XII.) die Konstitutionen der Konausgebrochenen revolutionären der Fonds führten jedoch dazu, gregation, welche auf den „GroUnruhen für das Leben derselben daß sich die Verhandlungen um ßen Konstitutionen“ des heiligen nicht sicherstehen könne“. Sie die endgültige Übernahme des Pierre Fourier gründeten. Anfang des 20. Jahrhunderts riet Gabriel Schneider, bei den Hirschauer Klosters in die Länge staatlichen Behörden nicht um zogen und Theresia Gerhardin- war die Schwesterngemeinschaft Bitte umblättern Bewilligung einer klösterlichen, ger schließlich nicht mehr gewillt sondern einer gewöhnlichen war, das Haus Schule anzusuchen und günsti- als Filiale anzugere Zeiten abzuwarten. Unter- schließen. dessen sollten die Lehrerinnen in Allerdings weltlichen Kleidern unterrichten. meldeten sich Gabriel Schneider folgte vor- immer mehr erst diesem Rat. Die ersten sie- Schülerinnen ben Kandidatinnen unterrichte- und Kandidatinten ab Herbst 1848 praktisch als nen in Hirschau Zivilpersonen in der neu errich- an. Der Ruf nach teten zweiklassigen Mädchen- Einrichtung eischule Hirschau (rechts im Bild) ner derartigen und führten daneben eine Art Mädchenschuklösterliches Leben in großer Ar- le kam auch von mut. anderen Orten. 1849 setzte sich Gabriel Der damalige Bi- Nach dem Zweiten Weltkrieg vertreiben die TscheSchneider mit der Generalobe- schof von Bud- chen die deutschen Schulschwestern aus dem Mutrin der Armen Schulschwestern weis, Johann Va- terhaus in Marienbad.
1989 verfaßte Schwester Gerlinde Lehner folgende Arbeit über die Entstehung der böhmischen Schulschwestern.
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Ein böhmischer Orden in der Oberpfalz
Auerbacher Schulschwestern „Dankbar rückwärts, mutig vorwärts, liebend seitwärts, prüfend einwärts und betrachtend aufwärts schauen.“ Dieses Motto aus einer Predigt am Neujahrstag 1948 ist den Schulschwestern heute noch in Erinnerung.
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ach dem Zweiten Weltkrieg waren die Ordensfrauen aus Marienbad vertrieben worden. Vor 75 Jahren fanden sie Aufnahme unter anderem in Michelfeld – seit 1972 Stadtteil von Auerbach in der Oberpfalz – bei den Dillinger Franziskanerinnen. Da in Auerbach Stellen in der Pflege frei wurden, kamen die Schwestern im selben Jahr in die Stadt. „Es war für uns ein großes Geschenk, in Auerbach Fuß fassen zu können, und so haben wir wirklich Grund zum Feiern“, sagt Provinzoberin Schwester Lucilla Hauser. In welcher Gestalt das Jubiläum gewürdigt wird, müsse sich die Schwesterngemeinschaft noch überlegen. „Jedenfalls danken wir für das Vertrauen, das uns entgegengebracht wurde und wird, und wir beten, daß Gott die Stadt und ihre Bewohner behüte.“ Die Vertreibung aus den sudetendeutschen Gebieten gehörte zweifelsohne zu den großen Prüfungen des Ordens. Aber auch die Spaltung des Ordens im Jahr 2002 war eine schwierige Phase. Die Zahl der Schulschwester sank, da einige Ordensfrauen in Rom ihre Dispens beantragten und das Mutterhaus verließen. In jüngster Zeit hat sich das Blatt gewendet. Regelmäßige Einkleidungen zeigen, wie beliebt die Kongregation bei jungen Frauen geworden ist, die ihr Leben Gott widmen wollen. Die Nachwuchsarbeit der Schulschwestern bestehe vor allem im Gebet um Ordensnachwuchs, was sehr intensiv und täglich gepflegt werde, erklärt Schwester Lucilla. Auffallend sei auch, daß mit der Intensivierung der eucharistischen Anbetung ein Zuwachs an Klostereintritten zu verzeichnen sei. „Damit sich junge Leute für unsere Lebensart interessieren, ist es wichtig, daß sie merken, wie gern wir selbst im Orden sind, wie viel Frieden
und Freude das Leben im Kloster schenkt, wenn tatsächlich Gott der Mittelpunkt und die wichtigste Bezugsperson ist.“ Die Anfänge waren schwierig. Den Schulschwestern der Marienbader Provinz war im Dritten Reich die Lehrerlaubnis entzogen worden. Als die Sudetendeutschen vertrieben wurden, mußten auch 188 Ordensfrauen den beschwerlichen Weg in das nahe Bayern antreten, teils auf Viehwagen, teils in Lastwagen des USA-Militärs. Provinzoberin Adolfine Proißl hatte mit den Armen Schulschwestern in München vereinbart, daß ihre Ordensfrauen in deren Filialen leben konnten. So kamen die
Einkleidung neuer Schwestern 2018. Bilder (2): Brigitte Grüner jüngeren Schwestern vorübergehend in München und Banz unter, die 37 Älteren und Kranken fanden im Mai 1946 in Michelfeld bei den Dillinger Franziskanerinnen eine neue Heimat. Deren Oberin Neria Winkelmaier, die aus Auerbach stammte und vor dem Krieg mehrfach zu Kuraufenthalten in Marienbad geweilt hatte, war den Schulschwestern bekannt. Oberin Neria war für die vertriebenen Ordensfrauen ein Glücksfall. „Wir halten ihr Andenken hoch, besuchen öfter ihr Grab in Michelfeld und weisen auch die jungen Schwestern auf unsere große Wohltäterin hin“, betont Provinzoberin Lucilla Hauser. Auf dem Klosterfriedhof in Michelfeld ruhen 17 Schulschwestern, die bald nach der Vertreibung starben. Die Auerbacher Schwestern pflegen auch heute noch freundschaftliche Kontakte mit den Dilinger Franziskanerinnen in Michelfeld. „Wir kommen bei festlichen Gelegenheiten zusammen und tauschen uns aus.“
In einem Theaterstück erzählen die Schwestern von den Anfängen in Böhmen und der Flucht, teils in Lastwagen der USA-Armee.
Aus erster Hand können die Schulschwestern nichts mehr über die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg erfahren. „Es gibt in unserer Gemeinschaft niemanden mehr, der die Vertreibung als Ordensschwester erlebt hat“, so die Provinzoberin. Um so wichtiger sind die Aufzeichnungen. Im Archiv des Mutterhauses wird die Chronik der Schulschwestern der Marienbader Provinz aufbewahrt. Sie beginnt mit dem Jahr 1930, als die Kongregation der Schulschwestern in vier Provinzen aufgeteilt worden war. Eine Mitschwester habe später alte, inzwischen verstorbene, Schwestern interviewt und deren Erlebnisberichte auf Kassette aufgenommen, erzählt Schwester Lucilla. Lebende Erinnerungen aus dem Sudetenland haben ein paar Ordensfrauen, die im Kindesalter mit ihren Familien ausgesiedelt wurden, die Kongregation bereits kannten und später hier eingekleidet wurden. Bei einem Besuch von Provinzoberin Adolfine Proißl im Januar 1946 in Michelfeld lernte sie auch Stadtpfarrer Johann Ritter aus Auerbach kennen, den Schwester Neria Winkelmaier zum Treffen geladen hatte. Ritter brauchte dringend Schwestern in seiner Pfarrei, zumal die im Bürgerspital tätigen Mallersdorfer Schwestern abberufen worden waren. Mit fünf Schulschwestern wurde in Auerbach der Anfang gemacht. Bald eröffnete der Orden auch eine Nähschule. Eine Schwester arbeitete im Kindergarten, eine andere gab Religionsunterricht in der Volksschule. Oberin Adolfine Proißl war unermüdlich und suchte ständig neue Arbeitsmöglichkeiten. Sie sprach beim Landratsamt in Eschenbach vor und brachte mehrere Schulschwestern mit entsprechender Ausbildung ab Juli 1946 im Kreiskrankenhaus unter. Bereits ab September 1946 unterrichteten sechs Ordensfrauen in der Volksschule Auerbach und drei an der Michelfelder Schule. Die Schwestern waren damals außer im Bürgerspital auch im Pfarrhaus und im Grünhofschulhaus, später im zweiten Stock des Caritasheimes untergebracht. Der größte Wunsch aller war ein eigenes Mutterhaus. Dann erbten die Schulschwestern ein Grundstück, auf dem zunächst ein landwirtschaftliches Gebäude gebaut und im Juli 1949 in Betrieb genommen wurde. Am 7. Oktober 1953 wurde der erste Teil des Mutterhauses eingeweiht, und die Schwestern zogen dort ein – voller Freude, wieder in einem richtigen Kloster zu wohnen. Auch die alten Schwestern wurden aus Michelfeld zurückgeholt. Brigitte Grüner
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GLAUBE UND HEIMAT
Sudetendeutsche Zeitung Folge 24 | 18. 6. 2021
� Fortsetzung von Seite 9
Folgen der … in rund fünf Jahrzehnten auf eine beachtliche Zahl von Mitgliedern angewachsen. Ein Verzeichnis aus dem Jahre 1910 nennt 632 Profeßschwestern, 70 Novizinnen und 179 Kandidatinnen. Neben der Tätigkeit in verschiedenen Arten von Schulen arbeiteten die Schwestern in dieser Zeit auch in Waisenhäusern, Bewahranstalten, Krippen, Kindergärten, Pensionaten, Konvikten für Studenten, Knaben- und Priesterseminaren. In Prag hatten sie 1866 die erste tschechische Lehrerinnenbildungsanstalt gegründet. 1910 und 1919 erfolgten weitere Gründungen in den USA und der Slowakei. Vorteilhaft für die Zukunft erwies sich die Einteilung der böhmischen Kongregation in fünf Provinzen im Jahre 1930: l Amerikanische Provinz mit Provinzhaus in Omaha/Nebraska; l Deutsche Provinz mit Provinzhaus in Marienbad; l Slowakische Provinz mit Provinzhaus in Waag-Neustad; l Tschechische Provinz mit Provinzhäusern in Prag und Budweis; l Selbständige Provinz mit Mutterhaus in Horaschdowitz. Nach dem Ersten Weltkrieg setzte für die Kongregation eine leidvolle Periode ein. So erfolgte eine Bodenreform, die beispielsweise den deutsch-böhmischen Adel so arm machte, daß er auf seinen Herrschaften die Kindergärten, Nähschulen und Waisenhäuser nicht mehr im bisherigen Umfang unterhalten konnte. Die Kongregation verlor dadurch Wirkungsbereiche in 14 Kindergärten, 18 Nähschulen und neun Waisenhäusern. Auch im Dritten Reich erfuhren die Schwestern viel Leid und Verfolgung. Für das nationalsozialistische Regime war jede christliche Einrichtung ein Dorn im Auge. Gleich nach dem Anschluß des Sudetengaus an das Dritte Reich im Oktober 1938 mußten die deutschen Schulschwestern in Böhmen ihre Wirkungsbereiche in Schulen, Kindergärten, Waisenhäusern, Jugendheimen und Pensionaten verlassen. Die Klöster wurden enteignet und in Krankenhäuser, Lazarette und sonstige staatliche Einrichtungen umgewandelt. In der Ordenschronik findet man für das Jahr 1942 eine schwarze Seite mit der Überschrift „Schulschwestern ohne Schulen“. Neben verschiedenen Schikanen der nationalsozialistischen Herrschaft kamen zwei Oberinnen und später die Generaloberin ins KZ; die beiden Oberinnen wurden zu Märtyrerinnen ihres Glaubens. Aufgrund der Potsdamer Beschlüsse traf alle rund 200 deutschen Schwestern der Kongregation 1945/1946 das Los der Vertreibung. Die tschechischen Schwestern konnten vorerst die Stellen der deutschen einnehmen; doch 1950 wurden alle Ordensangehörigen von der kommunistischen Regierung aus ihren Häusern verjagt und gewaltsam in Sammelklöster abtransportiert. 778 Schwestern der Kongregation teilten dieses Los. Sie mußten 29 Kindergärten, 30 Kinderheime, drei Kinderkrippen, drei Priesterseminare, sieben Altenheime und neun Studienheime verlassen, wo sie jahrzehntelang segens- und erfolgreich gewirkt hatten. Die neuen Arbeitsfelder der Schwestern bildeten Textilfabriken, Kolchosen und Baumschulen. Nur 188 Ordensmitglieder durften ihren Dienst in Altersheimen und Taubstummenanstalten verrichten.
Im Goldgrubenweg in Götzenheim, einem Ortsteil von Dreieichen, bauen sich Martha und Erich Lill 1954 ein Haus, das sie 1955 beziehen.
� Aus dem Egerland nach Hessen – Teil V und Schluß
Dem Teufel von der Schippe gesprungen In dieser Serie berichtet Erich Lill über seine Jugend im Sudetenland, über seine Rückkehr aus seinem jugendlichen Kriegs einsatz, seine Vertreibung aus der Heimat im Oktober vor 75 Jahren und das Seßhaftwerden in Hessen. Den Bericht verfaßte er als 80jähriger 2007. Hier nun die letzte Folge.
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ls meine Bewerbungen beim Forstamt immer wieder abschlägig beschieden wurden, legte ich 1951 eine Prüfung für den mittleren Postdienst ab. Anschließend bildete ich mich in Abendkursen fort. Später leitete ich die Post in Sprendlingen mit fünf Schalterstellen und 1978 bis 1990 den Poststellenbezirk des Postamts Langen.
Familiengründung und Hausbau Bereits im Januar 1951 lernte ich Martha kennen. Ich erinnere mich noch recht genau an diese Begebenheit. Im Kino in Dreieich spielten sie gerade den „Edelweißkönig“ nach einem Roman von Ludwig Ganghofer mit Rudolf Lenz, Christiane Hörbiger und Atilla Hörbiger. Was hätte besser passen können. Da sah ich sie. Martha war eine geborene Stolle und stammte aus Malschen oberhalb von Aussig, war also Sudetendeutsche wie ich. Ich bemühte mich um sie, weil ich bald merkte, daß wir harmonierten. Vielleicht wurde das erleichtert dadurch, daß wir als Heimatvertriebenen das gleiche
Schicksal und füreinander Verständnis hatten. Jedenfalls war sie die Richtige. Schon am 20. Juni 1953 heirateten wir. Zunächst zogen wir bei meinen Eltern ein. Damals reiften bald unsere Pläne, ein eigenes Haus zu bauen. Im Goldgrubenweg in Götzenhain gelang es uns, ein Grundstück zu bekommen. Im Frühjahr 1954 begannen die Bauarbeiten, und im Dezember 1955 sind wir in unser neues Haus eingezogen. Jetzt kehrte etwas Ruhe in unser Leben ein. Die schwerste Zeit unseres Vertriebenseins war abgeschlossen. 1957 wurde uns unsere Tochter Gabriele geboren, und unser Sohn Martin kam 1960 zur Welt. Wir lebten damals überhaupt nicht im Überfluß, aber wir hatten gelernt, mit wenig zufrieden zu sein. Und fast alles, was wir anpackten, gelang uns. Dieses Glück machte es leichter, mit dem Verlust der Heimat zu leben. Vergessen habe ich sie nie.
Heimatdienst
Weil das so ist, habe ich mich schon 1953 der Sudetendeutschen Landsmannschaft angeschlossen. Die wurde damals in Sprendlingen von Josef Postupa geführt. 1972 trug mir der Vorstand der hessischen SL-Kreisgruppe Offenbach an, das Amt des Zweiten Kassierers zu übernehmen, 1974 sogar das des Ersten. Ich übernahm es von Rudolf Rindt, auch einem Sprendlinger. Über 33 Jahre habe ich es jetzt schon inne. Im letzten Jahrzehnt sehe ich mich einer Ämterhäufung in Sachen Finanzen ausgeliefert. Im Jahr 2000 wurde ich Zweiter Kassierer beim Kreisvorstand des BdV, und 2005 löste ich Siegfried Pless als Ersten Kassierer ab, so daß ich jetzt beide Ämter in der Teil- und der DachorgaWir schreiben das Jahr 1957 und stehen vor unserem nisation inneHaus in Sprendlingen in der Trift. Ich bin gerade stolzer habe. NatürVater geworden. Das Baby, das Großmutter Anna Pe- lich bin ich dacher auf dem Schoß hütet, ist unsere Gabriele. Ich, Erich durch belastet Lill, stehe direkt hinter ihnen, neben mir meine Frau und hätte beiMartha. Dann folgen nach rechts mein Bruder Helmut, de Ämter gern meine Mutter Maria und mein Vater Josef. Großmutter längst weiterAnna lebt bis 1960. Sie stirbt im Februar und erlebt ih- gegeben beren Enkel Martin, unseren Sohn, nicht mehr. Er kommt ziehungsweiim Sommer zur Welt. Auch Vater kann nur eine kurze se das jüngst Zeit nach dem mühevollen Wiederaufbau genießen. Er übernommestirbt 1965. Mutter lebt bis 1975. ne nicht ange-
nommen. Aber ich sehe natürlich steht sich aufs Zimmern und hat chisch. Deshalb brauchen wir imdie personelle Not meiner Hei- die Kapelle mit einigen tschechi- mer einen Dolmetscher. Der ist matorganisationen und möchte schen Dorfbewohnern gebaut. glücklicherweise meistens vor sie in der Bedrängnis nicht allein Darin wurde uns erlaubt, Bilder Ort vorhanden. Jan Ullmann, der lassen. unseres alten Kösteldorfs auf- Sohn des Gastwirts und MetzIch gehöre zudem dem Egerländer Heimatkreis Elbogen an, zu dem der Kirchsprengel Dotterwies mit Kösteldorf, Doglasgrün und Schwarzenbach gehört. Nach der Wende gelang es uns, mit der tschechischen Gemeinde Rájec, unserem alten Kösteldorf, Kontakt aufzunehmen. Wie ich schon erwähnte, ist der Ort erheblich verändert, einmal durch den Abriß vieler Gebäude aus deutscher Zeit und außerdem durch Umbau und Erneuerung der übrig gebliebenen. Im August 2006 fuhren wir, allesamt Mitglieder unseres Kirchsprengels, mit einem Bus von Sulzbach-Rosenberg nach Kösteldorf. Vom Bürgermeister von Rájec waren wir ehemaligen Meine Familie bei unserer Goldenen Hochzeit am 20. Juni 2003 in Darmstadt. Bewohner zur Eröffnung ei- In der Mitte steht meine Frau Martha (* 1926). Ich, Erich Lill, habe meinen ner Art Gedenkkapelle einge- rechten Arm über ihre Schulter gelegt. Hinter mir rechts unsere Tochter Gabi (* 1957), verheiratete Wagner. Direkt hinter meiner Frau steht Gabis Mann, laden worden. Die Tschechen hatten sie Richard (* 1933). Beider Tochter rechts vorn ist Elisabeth (* 1995). Sie geht inmitten im Ort in der Nähe zwischen ins Gymnasium. Neben ihr in der Mitte Johanna (* 1997) und ihr Bruunseres alten Wirtshauses der Moritz (* 1994). Beide gehen auch ins Gymnasium und sind zu meiner FreuBeim Hoyer auf einem freien de recht musikbegeistert. Moritz spielt Gitarre und Johanna Elektroorgel. Sie Grundstück errichtet. An der trompetet sogar. Darüber freuen sich ihre Eltern, die links neben Martha steStelle stand zu unserer Zeit hen: Christiane (* 1961), unsere Schwiegertochter, und Martin (* 1960), unser ein Haus, das zu denen gehör- Sohn. Wir feierten damals im Waldhaus. 50 Jahre vorher hatten wir in Götzente, die in der Nachkriegszeit hain „daheim“ geheiratet. Unsere Eltern hatten die Hochzeit Am Hengstbach 3 verfallen und abgerissen wor- ausgerichtet. Das Ja-Wort hatten wir uns in der Kirche Sankt Marien gegeben. den waren. Die jetzigen tsche- Schon heute betrachte ich das Bild mit Wehmut. Meine liebe Martha ist im Juchischen Einwohner hatten ni nach langer Krankheit gestorben, unser Schwiegersohn hinter ihr ebenfalls darauf also das kleine Gebäu- bereits 2005. So schreitet das Leben fort. de gestellt und daran eine hölzerne etwa 40 mal 50 Zentimeter zuhängen. Auch ich habe einige gers, lebt noch im Ort im Haus große Inschrifttafel angebracht, dort. der Familie und hat sein Deutsch worauf auf Deutsch und TscheDamals im August 2006 ha- bewahrt. chisch zu lesen steht: „Mensch, ben sich die jetzigen tschechibleib stehn und gedenke derer, schen Bewohner meines HeimatEin Schlußwort die einmal hier gewohnt haben“. ortes wirklich bemüht. Sie hatten Diesen Bericht habe ich aufgeIch spreche deshalb von einer nicht nur das Kapellchen gebaut, Art Kapelle, weil mit letzterem sich den Schrifttext ausgedacht schrieben, um mich noch einmal meist eine Art kirchlich-religiöse und die Tafel angebracht, son- selbst zu vergewissern, wie sich Funktion verbunden ist. Eine Art dern sie luden uns anschließend das früher Erlebte in der Erinnekirchlicher Segen fehlt hier aber ins Wirtshaus zu Kaffee und Ku- rung aneinanderreiht. In mehreoffenbar. In einem Turm von et- chen ein. Reden wurden gehal- ren nachforschenden Interviews, wa sechs Metern Höhe befindet ten, und es wurde gesungen. Wir in denen ich Gerolf Fritsche zur sich jedoch ein Glöckchen, das hatten einen Zitherspieler mitge- Verfügung stand, habe ich Infordie Ortsbewohner läuteten, als bracht und die „Neukösteldor- mation so verdichtet, daß ich ihn wir 2006 nach Kösteldorf kamen. fer“ hatten einen Musiker mit jetzt bitte, daß er meinen Bericht Zur Feier des Tages wurde das Akkordeon. Die beiden spielten an Archive und Institute weiterKapellchen eröffnet. abwechselnd. Ich meine, es fiel gibt. Es wäre schön, wenn er dort In gewisser Weise übernahm kein falsches Wort, und es war ei- von jedem eingesehen und auses die Funktion unseres alten ne herzliche Stimmung. Als der gewertet werden könnte, dem Kösteldorfer Glockenturms, von Bus am Abend nach Sulzbach- daran gelegen ist, zu erfahren, dem aus unsere Glocke seiner- Rosenberg zurückfuhr, wären ei- wie es früher wirklich war, vor alzeit den Tagesrhythmus des Dor- nige gern noch länger geblieben. lem, wie wir von Kösteldorf nach fes bestimmte. Der stand aber an Die Tafel ist bis heute unbeschä- Hessen gekommen sind. Nicht zuletzt sollen diese Zeianderer Stelle und war zu tsche- digt. chischer Zeit auch verfallen und Ich bin froh, daß Herr Hlat- len Information für meine Faabgerissen worden, nachdem wir schek unser Anwesen bewirt- milie sein. Vielleicht finden Endas Dorf verlassen hatten. Der schaftet. Wenn jemand hand- kel und Urenkel einmal AntTscheche, der unser Anwesen werklich so geschickt ist, tut worten darin auf Fragen, die Kösteldorf Nr. 6 heute bewohnt, das gewöhnlich Haus und Hof sie mir selbst nicht mehr stellen ein gewisser Herr Hlatschek, ver- gut. Leider spricht er nur Tsche- können.
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VERBANDSNACHRICHTEN . AUS DER HEIMAT
Sudetendeutsche Zeitung Folge 24 | 18. 6. 2021
SL-Ortsgruppe Naila/Oberfranken
Mut zur Aufarbeitung In seiner Gedenkrede erinnerte SL-Orts- und Vizebezirksobmann Adolf Markus an das Leid der 15 Millionen heimatvertriebenen Deutschen in den Kriegsund Nachkriegsjahren bis 1947. Sie seien mehrheitlich Kinder, Frauen und Alte gewesen, die all ihr Hab und Gut, ihre Rechte und Menschenwürde, schuldlos und schutzlos eingebüßt hätten. Zwei Millionen Zivilpersonen seien während der Todesmärsche, Transporte in Viehwaggons oder bereits in primitiven Sammel-, Arbeits- und KZ-Lagern umgekommen, entkräftet, verhungert, erfroren, massakriert. Zwei Millionen Frauen seien – meist von Josef Stalins Rotarmisten – vergewaltigt worden, Zigtausend Kinder hätten ihre Eltern verloren. Von den 3,5 Millionen Sudetendeutschen seien 800 000 gleich nach Kriegsende „wild“ vertrieben worden
und 241 000 Zivilpersonen bei bestialischen Massakern, Todesmärschen, Zwangsarbeit in Bergwerken und tschechischen KZs zu Tode gekommen. Vertreiberpräsident und Deutschenhasser Edvard Beneš habe alle Straftaten gegen Sudetendeutsche von 1938 bis 1946 rückwirkend straffrei gestellt und durch die Unrechtsdekrete bestätigt. unächst zelebrierte Dekan Über die Massaker berichteAndreas Seliger eine Messe te Markus weiter, daß nach dem in der Kirche Verklärung Christi. grausamen Prager Aufstand mit Bürgermeister und Vizelandrat 25 000 internierten Prager ZiFrank Stumpf wies mit Lektor vilisten nach Ende des ZweiHorst Kaschel in den Fürbitten ten Weltkrieges Ende Mai 1945 auf 75 Jahre Heimatvertreibung das größte von vielen bestialiund auf den Versöhnungswillen schen Massakern gefolgt sei. hin. Sie gedachten neben Ter27 000 Brünner Deutsche seiror-, Kriegs- und Vertreibungsen am schwülen Fronleichnamsopfern der weltweiten Christentag 50 Kilometer zur österreichiverfolgung und der gegenwärtig schen Grenze getrieben worden. mehr als 70 Millionen Flüchtlin„Unterwegs starben viele jämge in der Hoffnung auf Frieden merlich, wurden am Straßenund Gerechtigkeit. rand und in Massengräbern verscharrt, Frauen wurden massenweise geschändet.“ Über die Prager Massaker zitierte Simone Buckreus von der Sudeten-Nachwuchsgeneration einen Bericht des tschechischen Schachgroßmeisters Ludek Pachmann aus den 1980er Jahren, der als Jungkommunist die Prager Massaker 1945 erlebte. Er schilderte höllische Zustände durch bestialische tschechische Revolutionsgarden und Milizen gegen alles, was deutsch war, Vizeortsobmann Jürgen Nowakowitz, Bürgermeister und Vizelandrat Frank von an Straßenlaternen kopfStumpf, Orts- und Vizebezirksobmann Adolf Markus, Dekan Andreas Seliger über aufgehängten brennensowie Mesner Sebastian Krämer. den Männern und zerrisse-
Anläßlich des bevorstehenden nationalen Gedenktags für die Opfer von Flucht und Vertreibung gedachte auch die oberfränkische SL-Ortsgruppe Naila am Sudeten-Mahnmal des Kriegsendes, der Flucht und Heimatvertreibung von 15 Millionen Deutschen aus den deutschen Ostgebieten Europas.
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nen, verstümmelten Menschenleibern. Ein weiterer Bericht beschrieb den Leidensweg des Pfarrers von Markus‘ Heimatgemeinde, Pfarrer Franz Müller aus Krönau im Kreis Mährisch Trübau. Weil er angeblich geholfen habe, die Tschechoslowakische Republik zu zerstören, sei er zu 20 Jahren schweren Kerkers in Brünn, in tschechischen KZs, Steinbrüchen, Kohle- und Uranbergwerken bis zur Entlassung 1956 nach Deutschland verurteilt worden. Die Nazi-Verbrechen an Sudetendeutschen, Juden und Tschechen hätten die Deutschen in Kollektivverantwortung aufgearbeitet. Lange vor Kriegsende habe Beneš das tschechische Volk aufgehetzt, den unbarmherzigen Kampf gegen die Sudetendeutschen zu führen. Dies deute auf eine Kollektivbestrafung hin mit der Folge von menschenrechtsverletzenden Massakern und Vertreibungen durch Beneš und Stalin, ein eiskalt geplanter Völkermord, von den getäuschten Westalliierten lange ignoriert, ein weltweit folgenschwerer Fehler. Diese dunklen Seiten der tschechischen Geschichte mutig aufzuarbeiten, sei bei allen Verständigungsbemühungen und Erfolgen der sudetendeutschen Gremien eine schwierige Hürde für die jetzigen tschechischen Politiker und, zum Teil, auch bei uns, schloß Markus. Schließlich stellten Stumpf, Dekan Seliger und Markus Pflanzen an das Mahnmal.
Walter Eichler, Stellvertretender SL-Kreisobmann, Kreisobmann Kurt Aue und Landesobmann Steffen Hörtler. Bild: Christa Eichler
SL-Kreisgruppe Augsburg/Bayerisch-Schwaben
Kurt Aue geehrt Anfang Juni wurde Kurt Aue, Obmann der bayerischschwäbischen SL-Kreisgruppe Augsburg-Land, auf dem Heiligenhof für 50 Jahre Treue zur Sudetendeutschen Landsmannschaft geehrt.
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m Jahre 1971 trat der damals 27jährige Buchdruckergeselle Kurt Aue, der im Juni 1944 in Arnsdorf im Kreis Jägerndorf in Mährisch-Schlesien das Licht der Welt erblickte, in Königsbrunn unter dem damaligem Ortsobmann Otto Treutler in die Sudetendeutsche Landsmannschaft ein. Seither ist der in mehreren Vereinen umtriebige Kurt Aue, der vor zwei Jahren das Bundesverdienstkreuz in Empfang nehmen durfte, bei der Sudetendeutschen Lands-
mannschaft aktiv. Vom Beisitzer bis zum derzeitigen Kreisobmann Augsburg-Land und Obmann der Ortsgruppe Königsbrunn/Wehringen/Klosterlechfeld sowie als Kreisvorsitzender des Bundes der Vertriebenen Augsburg-Land bekleidet er mehrere Ämter verschiedener Vertriebenenverbände. Im Rahmen der Jahreshauptversammlung des Sudetendeutschen Sozial- und Bildungswerkes (SSBW) auf dem Heiligenhof in Bad Kissingen überreichte Steffen Hörtler, SSBW-Stiftungsdirektor und Bayerns SL-Landesobmann, zusammen mit dem Stellvertretenden Kreisobmann Augsburg-Land, Walter Eichler, die Dankesurkunde für 50jähriges Wirken in der SL an Kurt Aue.
SL-Landesgruppe Baden-Württemberg
Starke Vertretung in der Bundesversammlung Viele Sudetendeutsche aus Baden-Württemberg sind wieder in der Sudetendeutschen Bundesversammlung vertreten.
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ei den Wahlen zur XVII. Sudetendeutschen Bundesversammlung wurden wieder zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter aus Baden-Württemberg
in das oberste Organ der Volksgruppe gewählt. An der Spitze zog erneut Baden-Württembergs Landesobmann und Bad Herrenalbs Bürgermeister Klaus Hoffmann in das Parlament ein. Seine sudetendeutschen Wurzeln liegen in Reichenberg. Weitere Mitglieder der Bundesversammlung sind die Bun-
desfrauenreferentin Gerda Ott, sie lebt in Stuttgart und stammt aus Sternberg in Österreichisch-Schlesien; Franz Longin, der in Stuttgart lebende und aus Neubistritz stammende Landschaftsbetreu-
Waltraud Illner
er von Südmähren; Bundesvorstandsmitglied Claudia Beikircher, die in Ellwangen lebt und deren Wurzeln in Krummau im Böhmerwald liegen; Landesvermögensverwalterin Regine Löffler-Klem-
sche, die in Rutesheim lebt und sich im Egerländer Heimatkreis Plan-Weseritz engagiert; Bruno Klemsche ist Beisitzer im Landesvorstand, lebt ebenfalls in Rutesheim und stammt aus Zwittau im Schönhengstgau; Waltraud Illner ist Stellvertretende Landesobfrau sowie Obfrau der SL-Kreisgruppe Stuttgart, ihre
Wurzeln liegen in Marienbad; Volker App lebt ind Bad Überkingen, hat Wurzeln in Nikolsburg und engagiert sich bei den Sümährern; Peter Sliwka lebt in Nürtingen und hat ebenfalls Wurzeln in Südmähren, seine Mutter kam in Wenkerschlag im Kreis Neubistritz zur Welt. Helmut Heisig
Ein Altphilologe aus Troppau und sein Urenkel aus Wien
Josef Maria Stowasser und Friedensreich Hundertwasser Stowasser senior aus Troppau in Mährisch-Schlesien war ein berühmter Altphilologe und Dichter. Sein Urenkel Stowasser junior nannte sich Hundertwasser und war ein erfolgreicher Maler und Architekt in Wien.
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oseph Maria Stowasser, ein zu seiner Zeit berühmter Altphilologe und Verfasser eines höchst erfolgreichen Lateinwörterbuchs, ist ein echtes Kind der Stadt Troppau. Er kam am 10. März 1854 als Sohn eines Apothekers zur Welt, besuchte das Troppauer Gymnasium, studierte nach der Matura an der Universität in Wien alte Sprachen und erwarb den Doktortitel. Er wurde Gymna-
Hundertwassers Olympia-Plakat von 1972.
siallehrer und war in verschiedenen Städten der österreichisch-ungarischen Monarchie tätig. Schon früh trat er als Autor wissenschaftlicher Arbeiten hervor, was dazu führte, daß ihm das Schulministerium für ein Jahr Sonderurlaub gewährte „zum Betriebe philologischer Studien in Italien“. Eine noble Geste. Der Überlieferung zufolge war Stowasser ein sehr umgänglicher, humorvoller Lehrer, der von den Schülern verehrt wurde. Seine schwache Gesundheit zwang ihn, 1908 in den vorzeitigen Ruhestand zu treten, an dem er sich leider nicht mehr lange erfreuen konnte. Er starb schon zwei Jahre später im Alter von 56 Jahren.
Sein Grab befindet sich am Zen- schen und lateinischen GedichHundertwasser war am 15. Detralfriedhof in Wien. ten ins Deutsche. Dabei zeigte er zember 1928 in Wien zur Welt Sein „Lateinisch-deutsches ein ausgesprochen feines Gefühl gekommen und machte glanzvolSchulwörterbuch“ machte Sto- für sprachliche Nuancen. Erfolg- le Karriere als Maler und Archiwasser mit einem Schlag be- reich waren auch die zwei Ge- tekt. Besonders bekannt machte kannt. Das Buch verbreitete sich dichtbände „Griechenlyrik“ und ihn das originelle Hundertwasschnell und errang den Status ei- „Römerlyrik“. Eine völlig neu serhaus in Wien, dessen Besichnes Klassikers, der nur „der Sto- bearbeitete Auflage des „Latei- tigung für viele Wientouristen wasser“ genannt wurde. Damals nisch-deutschen Wörterbuchs“ zum Pflichtprogramm gehört. waren Humanistische Gymnasi- von Joseph Maria Stowasser er„Sto“ heißt in slawischen Spraen mit Latein als obligater Fremd- schien einhundert Jahre nach der che wie im Tschechischen „hunsprache weit verbreitet, das Le- Erstauflage mit einem Schutzum- dert“. So erklärt sich die Umsen römischer wandlung in Schriftsteller Hundertwasin der Origiser. Zum Genalsprache galt denken an als Zeichen seinen Vordes gebildefahren Stowasten Menschen. ser entwarf er Dementspre100 künstlerichend gefragt sche Umschläwar ein guge für dessen tes lateinischWörterbuch, deutsches basierend auf Wörterbuch. den GrundfarStowasser hatben Rot, Gelb, te mit seinem Blau und Grün. Lexikon eiDiese farbenne Marktlükfrohen Sonderke entdeckt. ausgaben des Noch viele „Stowassers“ Jahre nach sei- Der von Friedensreich Hundertwasser gestaltete Bucheinband des „Latei- sind heute in nem Tode er- nisch-deutschen Schulwörterbuchs“ von Joseph Maria Stowasser. Sammlerkreise schien „der geschätzt und Stowasser“ in immer neuen Auf- schlag seines Urenkels Fried- gefragt. Friedensreich Hundertlagen. rich Stowasser, der sich mit dem wasser starb am 19. Februar 2000 Professor Stowassers Hobby Künstlernamen Friedensreich an Bord eines Schiffes vor Briswar das Übersetzen von griechi- Hundertwasser nannte. bane. Julius Bittmann
Reicenberger Zeitung
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Stadt und Kreis Reichenberg
Kreis Deutsch Gabel
Nordböhmi[e Um[au
Redaktion: Nadira Hurnaus, Baiernweg 5, 83233 Bernau, Telefon (0 80 51) 80 60 96, eMail rz@sudeten.de
Sudetendeutsche Zeitung Folge 24 | 18. 6. 2021
Kreis Friedland
Kreis Gablonz
� Grünwald an der Neiße
Ein Leben mit Glasperlen Zuzana Slámová wuchs mit Glasperlen auf. Jetzt stellt sie diese selbst im Großen her und gibt so der Gablonzer Bijouterie ihren einstigen Ruhm zurück. Im Areal der ehemaligen Isergebirgstextilfabrik in Grünwald an der Neiße, die sie nach und nach renoviert, hat sie bereits neben der Produktionsstätte ein Museum, kreative Werkstätten und einen Verkaufsraum errichtet. „Bald kommt auch die Galerie Moderner Kunst dazu“, verrät sie Petra Laurin in einem Interview.
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Die Sonderaustellung Mitte Mai zeigte die Fundstücke aus einem ehemals von Deutschen bewohnten Haus. Bilder: Riesengebirgsmuseum Trautenau
� Riesengebirgsmuseum in Trautenau
Schatz gehoben In diesem Artikel blickt unser Nordböhmen-Korrespondent Stanislav Beran über den Isergebirgsrand ins Riesengebirge.
A
nläßlich des Internationalen Museumstages Mitte Mai stellte das Riesengebirgsmuseum in Trautenau eine interessante Sammlung von Objekten aus, die kürzlich bei der Erneuerung der hölzernen Deckenkonstruktion eines der Häuser in Freiheit an der Aupa gefunden wurden. Außerdem waren an diesem Tag alle öffentliche Führungen durch alle Ausstellungen des Museums kostenlos. Während der Rekonstruktion eines Familienhauses in der Gemeinde Marschendorf – heute ein Teil der Stadt Freiheit an der Aupa – fanden seine Besitzer ein Versteck in der Decke, in dem sich Kisten befanden. Diese hatten die damaligen deutschen Einwohner kurz nach der Zweiten Weltkrieg dort versteckt. Es handelt sich um vier Kisten, in denen Stoffe, Zwirn, Vorhänge, Tischdecken, Kleidungsstücke und Schuhe gelagert und versteckt wurden. Während der Kriegs- und Nachkriegsjahre war alles rationiert. Die Kleiderkarte war der Bezugsschein für den Einkauf von Textilien. Textilien waren ein kostbares und knappes Gut geworden. Die gefundenen Sachen, die sich in einem vergleichsweise gut erhaltenen Zustand befinden, wurden dem Museum in Trautenau geschenkt.
Das Riesengebirgsmuseum in Trautenau hat sich bei den ehrlichen Findern für den besonderen Schatz, der 76 Jahre lang verborgen geblieben war, bedankt. Von Trautenau bis Freiheit an der Aupa sind es elf Kilometer mit der Bahn. Die Museumsbe-
ren 1945 bis 1946, wurde ein großer Teil der überrwiegend deutschen Bevölkerung aus der Region Trautenau enteignet und vertrieben. Da sie nur eine begrenzte Anzahl von Sachen mitnehmen konnten, versuchten sie, ihre Schätze zu verstecken.
sucher konnten den gefundenen Schatz eine Woche lang bewundern. Schade, daß die gefundenen Gegenstände, die uns an die traurige Zeit erinnern, nur so kurze Zeit ausgestellt wurden. 1939 lebten in der Stadt Freiheit an der Aupa im Kreis Trautenau 1271 Einwohner. Nach dem Zweiten Weltkrieg, in den Jah-
Jeder wollte vor der Vertreibung noch seine Wertsachen in Sicherheit bringen, weil man dachte, daß man wieder nach Hause kommen würde. Anscheinend hoffte man, bald in die Häuser zurückkehren zu können. Porzellan, Glas, Geschirr, Tafelsilber, Goldstücke und Silbergeld wurden von den Landsleuten meistens im Boden vergraben. Weitere Schätze wurden in den Häusern auf den Dachböden oder in den Kellern versteckt. Bei der Vertreibung wurden die mitgenommene Gegenstände meistens auf Karren oder Kinderwagen verladen. Die deutschen Bewohner aus Freiheit an der Aupa und Umgebung wurden in das Sammellager nach Jungbuch gebracht, und anschließend ging es mit dem Vertreibungstransport vom Güterbahnhof in Trübenwasser nach Deutschland. Die Vertriebenen mußten ihre geliebte Heimat verlassen. In völlig überfüllten Viehwaggons ging die Reise ins Ungewisse. Keiner ahnte, daß es für immer sein sollte.
Hier und oben weitere Fundstücke aus Freiheit an der Aupa.
n der Gablonzer Region wurden einst die Glasperlen in jedem zweiten Haus gepreßt und zu Ketten aufgefädelt. Inwieweit beeinflußte diese Tradition Ihr eigenes Schicksal? Zuzana Slámová: Mein Großvater väterlicherseits stammte aus Gistey. Er hatte deutsche Wurzeln, und ein Teil seiner Familie lebt heute in Neugablonz. Deutsche Vorfahren hatte auch meine Mama, ihre Spuren führen ins Vorland vom Erzgebirge. Der Großvater aus Gistey begann seine Glasmacherlehre im Alter von 16 Jahren. Er heiratete eine gelernte Schneiderin, und gerade sie gründete im Jahr 1937 die eigene Glasmanufaktur. In Huntirsch und später in Skuchrow stellten sie gewickelte und gepreßte Glasperlen und Bijouterie her. Sie lieferten ihre Ware an Händler und Exportfirmen in Gablonz und Prag, aber auch weiter nach Deutschland und Frankreich. Das Unternehmen florierte, und so beschäftigte man 1943 rund 20 Heimarbeiter. Die Firma wurde nach dem Krieg verstaatlicht, und meine Großmutter wurde kurze Zeit als Verwalterin ihrer einstigen Firma beschäftigt. Später arbeitete sie nur noch als Heimarbeiterin. Den Glasperlen blieb sie aber ihr ganzes Leben lang treu. Sie hat die Dokumentationen, Musterkollektionen und Teile der gewickelten Glasperlen aus ihrer alten Firma sichergestellt und zu Hause auf dem Dachboden aufbewahrt. Und gerade dieser Schatz, zusammen mit ihrem Unternehmungsgeist, wurde zum Grundstein meines künftigen Glasperlenweges. Damit haben Sie gestartet? Slámová: Ja. Anfang der 1990er Jahre startete ich mit einem Kredit von 20 000 Kronen. Ich kaufte Glasperlenbrenner und Blasebalg, Hilfsmaterial für die Herstellung von gewickelten Glasperlen, mietete eine Werkstatt, strich alte Möbel an und stellte eine Wicklerin ein. Im Jahr 1995 gründeten wir unsere Firma G & B Bijoux und erweiterten die Produktpalette um ge-
preßte und geschliffene Glasperlen und Schmuckteile. Ihr Firmensitz befindet sich im Areal der früheren Mautner Textilfabrik, der späteren Silka. Als sie das Areal 2002 gekauft haben, war es in einem jämmerlichen Zustand, soweit ich mich erinnere. Slámová: Zum Glück erlebte die Glasperlen-Produktion gerade zu dieser Zeit einen großen
Zuzana Slámová Sie wurde 1971 geboren und wuchs seit ihrem siebenten Lebensjahr in Skuchrow bei Gablonz auf. Die Familientradition hat ihre Zukunft vorbestimmt, und so fertigt sie in Gablonz schon seit mehr als 30 Jahren Glasperlen und Bijouterie an. Die ehemalige Wirtschaftsstudentin liebt moderne Kunst und interessiert sich für Architektur sowie Design. Sie nimmt aktiv am Kulturleben teil und möchte Zuhause wie auch im Ausland ein größeres Interesse an der Kultur und am hiesigen Traditionshandwerk wecken.
te. Dieser hatte zwei Jahre später eine alte Glasschleiferei hinter dem Gebäude dazu gekauft und ließ Wollspinnerei, Maschinenraum, Stoffbleiche, Färberei und Appretur-Werkstatt errichten. Im Jahr 1834 erhielt er vom Land auch eine Leinweber-Konzession. Die Wasserkraft des Baches Weiße Neiße reichte für den Fabrikbetrieb bald nicht mehr aus, so wurde 1842 eine Dampfmaschine in Betrieb genommen, hierzulande die erste. Im Jahr 1841 beschäftigte die Textilfabrik 113 Arbeiter, nach dem Jahr 1855 waren es bereits 300. Man exportierte vor allem rohe Gewebe sowie weiße und bunte Baumwollstoffe. Die Fabrik nahm an Industrieausstellungen in Wien, Leipzig, München, London und Paris teil und bekam zahlreiche Auszeichnungen. Im Laufe der Jahre wechselten die Besitzer weiter, es folgten Josef Pfeiffer & Co, Gebrüder Perutz und 1880 Mautner & Österreicher. Mit der Verstaatlichung der Industrie 1946 wurde hier die Textilproduktion eingestellt, der neue Nationalbetrieb Bižuterie stellte Modeschmuck aus Metall her. Kurz nach 1989 kam auch für diese Produktion das Ende, und die Fabrik ging über in den Fonds des Volksvermögens. Heute zählt Ihre Firma zu den größten tschechischen Herstellern von gepreßten Glasperlen. Wie ging es weiter mit Ihren Aktivitäten? Slámová: Im Jahr 2017 haben wir den alten Lagerraum instand-
Aufschwung. In den ersten zwei Jahren begannen wir das Hauptgebäude der alten Textilfabrik aus dem Ende des 19. Jahrhunderts zu renovierten. Nach Abriß des stillgelegten Kesselraums mit Kokslager lebte das Gebäude auf. Der hintere Trakt mußte zwar noch Auf dem Rahmen steht oben: viele Jahre auf seine „Denkscheibe ans Königsschießen Nutzung warten, aber des Herrn Alois Herzig für den Anfang hat es am 17. May 1844.“ auch so gereicht. Mir war klar, daß wir unsere Tore so schnell wie möglich für die Touristen öffnen müssen, selbst wenn die Modernisierung nur schrittweise voranging. Nach und nach entstanden das Museum, kreative Werkstätten für Kinder und Erwachsene, der Verkaufsraum und in den letzten zwei Jahren berei- gesetzt und im Garten die erste ten wir die Galerie für moderne Galerie eingerichtet, in der beKunst vor mit einer Daueraus- reits eine ganze Reihe von Ausstellung zum Thema „Glas- und stellungen, Konzerten und KulModeschmucktradition unserer turveranstaltungen stattfand. Region“. Dank eines Programms des MiWas wissen Sie über die Ver- nisteriums für Regionale Entgangenheit des Areals? wicklung und Tourismus konnSlámová: In den Jahren 1798 ten wir die Rekonstruktion des bis 1800 hatte hier der Reichen- hinteren Traktes des Hauptgeberger Händler Philip Vater ei- bäudes in Angriff nehmen und ne Kattunfabrik errichtet, die er innerhalb von drei Jahren mehr 1825 an Josef Herzig verkauf- als 800 Quadratmeter Galeriefläche bereitstellen. Hier wollen wir nebst der Kunstpräsentation auch einen Raum für das Gesellschafts- und Kulturleben schaffen. Wir rechnen auch mit der Zusammenarbeit mit dem Glasmuseum in Weißwasser. Wir sind in der Lage die Rekonstruktionen größtenteils aus eigenen Mitteln zu finanzieren. Wir haben 20 Stammangestellte und fünf Heimarbeiter. Die meisten von ihnen arbeiten schon seit mehr als zehn Jahren mit mir in der Firma. Wir leben wie eine große Familie. Und ich bin stolz auf unsere Erfolge. Obendrein freut es mich, daß es mir gelungen ist, meine beiden großen Lieben zu vereinen: die Glasperlen So sieht die Firma in Grünwald heute aus. und die Kunst.
REICHENBERGER ZEITUNG
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Zwölf Kilometer Pfad der Freiheit dar, der mit beiden Beinen fest auf dem Boden steht. Der Glaskubus symbolisiert den Kopf in den Wolken. Und das Metallband auf der Säule deutet an, daß ein jeder für seine in neuTaten veranter Wanwortlich sein derweg versoll. „Dieser bindet die Pfeiler stellt Ortsteile von so etwas wie Wiesenthal. eine FesseDie Einheimilung des Menschen und die schen dar“, erBesitzer von klärt Michal WochenendTůma, der an häuschen von der EntsteOber Maxhung des Pfadorf, Hennersdes mitwirkdorf und Wiete. Die Freisenthal wollten heit sei keine die Liebe zu ihSelbstverrem Lebensständlichkeit, raum sichtbar Eine Station auf dem Pfad der Frei- man müsse um machen und heit. sie kämpfen, seine Schönergänzt er. Für heit auch den Touristen offen- den Besucher wird dieser Gedanbaren. Deshalb bauten sie einen ke verständlich, wenn er um die Pfad der Freiheit, der die Iser- Säule herumgeht und so das gangebirgler Ortze Zitat lesen schaften mitkann. einander ver„Die zur Erbindet. „Wir richtung der leben hier zuStationen verfrieden inmitwendeten Stoften wunderfe stellen einen schöner Natur. direkten Bezug Was uns bisher zu unserer Regefehlt hatte, gion her. Nicht war etwas, das nur das Mateder Landschaft rial selbst, der eine neue DiGranit und das mension verGlas, sondern leiht“, erklärt auch die KöpZbyněk Pela, fe und Hände, einer der Indie an der Umitiatoren. setzung des Bereits Projektes mitdrei Jahre zuwirkten, stamvor hatte man men von hier. hier gemein- Ein Kreis mit den tschechischen Na- Soweit mögsam Linden tionalfarben markiert den Pfad der lich, kommt der Freiheit Freiheit. alles aus ungepflanzt, und seren Dörfern danach kreisrunde Sitzbänke um oder aus der Nachbarschaft“, die Bäume gestellt. Der Entwurf fügt die Vize-Bürgermeistestammt vom hiesigen Architek- rin Ivana Halamová hinzu. „Die ten, und auch die Ausführung Steinsäulen aus Reichenberger übernahmen die örtlichen Hand- Granit sind ein Stück unserer werker. Die Wiesenthaler Lin- Natur.“ Die Würfel aus Hüttenden der Freiheit verbindet nun glas mit satinierter Oberfläche der gleichnamige Pfad, der zur stellte die Glasschule in EisenHauptader der Gemeinde mit fast 3000 Einwohnern wurde. Auf rund zwölf Kilometern wurden zwölf Stationen errichtet. Jede Station besteht aus einer Granitsäule und ist einer bedeutenden Persönlichkeit gewidmet wie Václav Havel, Johannes Paul II. oder Benjamin Franklin. Jede Metallbänder, in die Freiheitszitate gestanzt Säule umspannt ein sind, umgeben die Säulen. Metallband mit einem Freiheitszitat. Auf der Säule brod her. Sie sind eine Würdithront ein gläserner Kubus. Die gung der hiesigen GlasmaPlastik stellt einen Menschen cher.
Am 8. Mai – 76 Jahre zuvor hatte der Zweite Weltkrieg geendet – eröffnete ein Pfad der Freiheit in Wiesenthal an der Neiße im Isergebirge. Petra Laurin berichtet.
E
D
ie gerade eröffnete Ausstellung „Kus Domava“ oder „Ein Stück Heimat“ läuft auf dem Marktplatz von Böhmisch Leipa bis Oktober. Sie zeigt Fotografien der Redaktion des „Leipaer Heimatbriefes“, ei-
ner Schrift der Landsleute aus Böhmisch Leipa. Sie stammen aus den Familienalben dieser deutschen Böhmisch Leipaer. Der Böhmisch Leipaer Historiker Tomáš Cidlina informiert über das Fotomaterial und die
Zusammenhänge. Die Ausstellung ist ein gemeinsames Projekt des Heimatmuseums und der Galerie von Böhmisch Leipa, der Stadt Böhmisch Leipa und des regionalen Tourismuszentrums.
Friedland
Das Rathaus ruft und keiner kommt
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s sah aus wie ein Geheimtreffen der regierenden bügerdemokratischen Partei ODS. Die Stühle für die Besucher blieben leer. Der Grund dafür ist mir nicht bekannt.
Der bisherige Stellvertretende Bürgermeister Jiří Stodůlka wird ab 1. Juli der neue Erste Bürgermeister von Friedland sein. Seine Position übernimmt ab Anfang Juli der derzeitige Bürgermeister Dan Ramzer. Die beiden Mitglieder der in Friedland regierenden ODS haben ihre Positionen im Rathaus nur gewech-
selt. Der Wechsel an der Spitze der Stadt war am selben Tag von den 16 Stadträten genehmigt worden. In der öffentlichen Stadtratssitzung gab der amtierende Bürgermeister von Friedland, Dan Ramzer, bekannt, daß er sein Amt als Bürgermeister von Friedland zum 30. Juni niederlege. Der Grund für seinen Rücktritt ist das Zusammentreffen von mehreren Funktionen. Ramzer ist seit Herbst auch als Stellvertreter des Landeshauptmanns der Region Reichenberg Im Rathaus zu Friedland: Hinten die zwei Bürgermeister, davor die Stadt- für das Ressort räte. Bilder: Stanislav Beran Bildung, Ju-
Für Anfang Juli hatte die Stadt Friedland alle Bürgerinnen und Bürger zu einer öffentliche Versammlung eingeladen. Interessant ist, daß die 7478 Bürger der Stadt kein Interesse an dieser Versammlung gezeigt haben. Ich war der einzige Besucher. Außer mir saßen nur noch ein paar Rathausangestellte im Saal.
TERMINE
Die Stühle für die geladenen Bürger bleiben leer. gend, Sport und Arbeit zuständig. Der Stadtrat wählte dann Jiří Stodůlka zum neuen Bürgermeister von Friedland, der sein Amt am 1. Juli antreten wird. Anschließend wählte der Stadtrat Dan Ramzer zum Stellvertretenden Bürgermeister. Er wird sein Amt ebenfalls am 1. Juli 2021 antreten. Stanislav Beran
Sonntag, 29. August, 11.30 Uhr, Heimatgruppe Deutsch Gabel/Zwickau in München: Treffen im Löwenbräukeller (Wintergarten), Stiglmaierplatz (U 1, U 7). Auskunft: Gerhard Schlegel, Boosstraße 14, 81541 München, Telefon (0 89) 65 11 91 97, Mobil (01 76) 23 32 26 99, eMail gerhard@ laska.com Donnerstag, 2. bis Sonntag, 5. September, Kriesdorf: 65. Heimattreffen in Kriesdorf/Křižany, Apartmán-Hotel Jítrava. Einzelheiten folgen. Auskunft: Chri-
stian Schwarz, Dr.-Krajnc-Straße 12a, A-6060 Hall in Tirol, Mobil (01 76) 99 93 30 39 oder (0 04 36 99) 11 12 59 56, eMail chris@clcs. at Sonntag, 5. Dezember, 11.30 Uhr, Heimatgruppe Deutsch Gabel/Zwickau in München: Treffen im Löwenbräukeller (Wintergarten), Stiglmaierplatz (U 1, U 7). Auskunft: Gerhard Schlegel, Boosstraße 14, 81541 München, Telefon (0 89) 65 11 91 97, Mobil (01 76) 23 32 26 99, eMail gerhard@ laska.com
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Dux
Ladowitz
Klostergrab
Ossegg
für die Kreise Dux, Bilin und Teplitz-Schönau
Bilin
Heimatlandschaft Erz- und Mittelgebirge – Landschaftsbetreuer: Dietmar Heller, Hillenloher Straße 10, 87733 Markt Rettenbach, Telefon (0 83 92) 9 34 72 77, Telefax 9 34 72 78, eMail dietmar.heller@deheller.de. Heimatkreis Bilin – Patenstadt Gerolzhofen; Heimatkreisbetreuer: Dietmar Heller. Internet www.heimatkreisbilin.de. Heimatkreis Dux – Patenstadt Miltenberg; Heimatkreisbetreuer: Klaus Püchler, In den Seegärten 35a, 63920 Großheubach, Telefon (0 93 71) 9 94 01, eMail klauspuechler@web.de. Heimatkreis Teplitz-Schönau – Patenstadt Frankfurt am Main; Heimatkreisbetreuer: Erhard Spacek, Franz-Schubert-Straße 13, 01796 Pirna, Telefon (01 60) 95 32 07 27, eMail spacek@ teplitz-schoenau-freunde.org. Redaktionsschluß: Freitag der Vorwoche. Redaktion: Lexa Wessel, eMail heimatruf@ sudeten.de
Die ehemalige Synagoge in Görkau vor der Renovierung und …
Teplitz-Schönau
Graupen
… das erneuerte Gebäude mit Garten nach der Renovierung.
Niklasberg
Bilder (5): M. Šebestová
� Görkau/Komotau
Ehemalige Synagoge erstrahlt in neuem Glanz Am 2. Juni wurde die ehemalige Synagoge in Görkau im Kreis Komotau feierlich eröffnet. Gebäude und umliegendes Gelände waren renoviert worden. Wo zuvor Gerümpel und Unordnung herrschten, gibt es nun einen Garten mit lauschigen Sitzgelegenheiten und einem kleinen Podium. Auch Vertreter der Jüdischen Gemeinde TeplitzSchönau waren gekommen.
besaß eine ornamentale Bemalung. Allerdings ist diese Synagoge wie auch die gesamte Innenausstattung nicht erhalten. Die Synagoge diente noch in den 1930er Jahren ihrem Zweck. Im Krieg nutzte man sie als Lager-
Bei der Eröffnung sagte Darina Kováčová, Bürgermeisterin von Görkau: „Wir wollten uns dem ursprünglichen Aussehen so weit wie möglich nähern, obwohl wir nicht genügend Dokumente dafür hatten. Gleichzeitig wollten
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achdem die in Böhmen ansässigen Juden im 16. Jahrhundert aus den Königsstädten wie Brüx und Komotau vertrieben worden waren, ließen sie sich in den umliegenden Untertanenstädten nieder, darunter auch in Görkau. Maria Gabriela Rottenhan von Buquoy, Besitzerin der Herrschaft von Rothenhaus, wozu auch Görkau gehörte, erteilte der Jüdischen Gemeinde in den 1840er Jahren die Genehmigung, im jüdischen Ghetto ein Gebetshaus zu errichten. Dieses wurde 1847 fertiggestellt. Und 1853 weihte es der Teplitzer Rabbiner David Pick ein. Der Innenraum der nach Osten ausgerichteten Synagoge
tete 8,8 Millioren neben vernen Kronen, schiedenen wobei die ReVertretern der gierung die Kultur auch Hälfte aus dem der VorsitzenProgramm zur de der JüdiErneuerung schen Gemeinvon „Brownde Teplitz, fields“ oder Michal LichBrachen beitenstein: „Dies trug. ist etwas ZauDie Erneueberhaftes. Dierung der Synse Synagoge agoge wurde war in einem bereits Ende sehr schlechvergangenen ten Zustand. Jahres been- Michal Lichtenstein, Vorsitzender Ihr drohte der det. Doch die der Jüdischen Gemeinde Teplitz. Untergang. Einweihung Die Stadt hat mußte man wegen der Pande- sie aber mit Hilfe vieler Institumie verschieben. Anwesend wa- tionen zu neuem Leben erweckt,
und das Ergebnis ist wirklich bewunderungswürdig. Die Föderation jüdischer Gemeinden in der Tschechischen Republik hat eine Reihe von Synagogen im Rahmen ihres Projektes ,Zehn Sterne‘ erneuern lassen. Aber diese hier in Görkau ist nun in Nordböhmen eine der schönsten.“ Von den jüdischen Häusern im ehemaligen Ghetto sind nur noch zwei Häuser erhalten geblieben. Früher umgaben Mauern das Ghetto, und es lag am Rande des Altstadtzentrums am Flußufer der Biela. Eine dreisprachige Tafel steht vor dem Eingang der Synagoge. Sie informiert über das Schicksal der Synagoge und der früheren Jüdischen Gemeinde. Jutta Benešová
Darina Kováčová, Bürgermeisterin von Görkau, und Kulturreferentin Eliška Broumská vom Stadtamt Görkau bei der Eröffnung der renovierten Synagoge als Gesellschaftszentrum. raum, nach 1945 als Altstoffsammelstelle. Im Jahr 2016 kaufte die Stadt Görkau das historische Gebäude und ließ es komplett renovieren.
Die dreisprachige Informationstafel vor dem Eingang der Synagoge.
wir aber auch etwas Neues hinzufügen. So ist das Fenster nicht ursprünglich, sondern, nach Absprache mit dem Architekten, ein Hinweis auf das 21. Jahrhundert. Die Synagoge haben wir erneuert, damit sie auch weiteren Generationen dienen kann.“ Die Synagoge ist nun zu einem kulturellen und gesellschaftlichen Zentrum geworden. In dem sollen Ausstellungen, Konzerte, kleine Theatervorstellungen oder Autorenlesungen stattfinden. Obwohl sie nicht im Verzeichnis der Kulturdenkmale eingetragen ist, konsultierte die Stadt bei der Erneuerung erfahrene Restauratoren sowie Vertreter der Jüdischen Gemeinde in Teplitz. Die Erneuerung kos-
Der Innenraum der renovierten Synagoge bei der Einweihung.
TERMINE n Donnerstag, 12. bis Sonntag, 15. August: 7. Kreistreffen in der Heimat. Donnerstag eigene Anreise nach Teplitz-Schönau, Hotel Prince de Ligne (Zámecké náměstí 136); 19.00 Uhr dort Abendessen. Freitag 9.00 Uhr Abfahrt nach Melnik mit Besichtigung des Schlosses und Weinverkostung; Mittagessen im Schloßrestaurant; anschließend Besichtigung der Peter-und-PaulKirche und des Beinhauses; Weiterfahrt nach Leitmeritz; dort Abendessen im bischöflichen Brauereigasthof. Samstag 9.00 Uhr Abfahrt nach Ober-Georgenthal; dort Besuch des Schlosses
Eisenberg; danach Fahrt über das Erzgebirge auf den Mückenberg; dort Mittagessen; anschließend Bus- oder Seilbahnfahrt nach Graupen mit Spaziergang über den Mariascheiner Kreuzweg; 17.00 Uhr Abendessen im Hotel; 19.00 Uhr dort Jubiläumskonzert der Nordböhmischen Philharmonie. Sonntag eigene Fahrt zur Heiligen Messe in der Barockkirche Mariä Himmelfahrt in Zinnwald, Uhrzeit wird mitgeteilt. Änderungen vorbehalten. Kostenbeitrag inklusive drei Übernachtungen, Frühstück, bewachtem Parkplatz, Bus, allen Mahlzeiten, Be-
sichtigungen, Führungen, Weinverkostung, Seilbahnfahrt und Konzert pro Person im Doppelzimmer 390 Euro, im Einzelzimmer 440 Euro. Getränke außerhalb des Frühstücks auf eigene Rechnung. Verbindliche Anmeldung bis Montag, 2. August, durch Überweisung des Reisepreises auf das Konto Erhard Spacek – IBAN: DE35 7008 0000 0670 5509 19, BIC: DRESDEFF700. Bitte Anschrift und Namen der Reiseteilnehmer angeben, sonst Mitteilung mit diesen Angaben an eMail spacek@teplitz-schoenau-freunde.org
HEIMATBOTE
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Bischofteinitz
Ronsperg
FÜR DEN KREIS BISCHOFTEINITZ
15 Hostau
Heimatkreis Bischofteinitz – Patenstadt Furth im Wald. Heimatkreisbetreuer: Peter Pawlik, Palnkamer Straße 73a, 83624 Otterfing, Telefon (0 80 24) 9 26 46, Telefax 9 26 48, eMail peter-pawlik@t-online.de, Internet www.bischofteinitz.de. Spendenkonto: Heimatkreis Bischofteinitz, Raiffeisenbank Chamer Land – IBAN: DE55 7426 1024 0007 1343 20, BIC: GENODEF1CHA. Heimatbote für den Kreis Bischofteinitz – Redaktionsschluß: Donnerstag der Vorwoche. Verantwortlich von seiten des Heimatkreises: Peter Pawlik. Redaktion: Nadira Hurnaus, eMail post@nadirahurnaus.de
Guckloch in die Vergangenheit von Heiligenkreuz – Pfarrer Klaus Oehrlein berichtet
Wie man einst Gräfin werden konnte Ein Sprichwort besagt: „Wenn ein alter Mensch stirbt, ist es, als ob eine ganze Bibliothek verbrennt.“ Traditionen und Erinnerungen verblassen mit der Zeit selbst bei der Erlebnisgeneration der Vertreibung – erst recht mit deren Tod. Dann erweist sich, wie wichtig es ist, Erlebtes und Gewußtes zu dokumentieren. Weil darum auch frühere Generationen bemüht waren, so öffnet sich für
Heiligenkreuz mit dem Blick in die im Pilsner beziehungsweise Tauser Archiv erhaltenen KirchenMatrikel, die sogenannten Stabilen Kataster von 1838, sowie in die Schul- und in die Pfarreichronik ein Guckloch auf weit zurückliegende Ereignisse. Einiges daraus soll hier in den nächsten Wochen zur Sprache kommen – und dabei bitte ich die Leser um Mithilfe.
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ie von Rudolf Liebl 2003 zu- zech-Vandalin, Herr auf Ulanow, den Klosterfrauen im galizischen sammengestellte Chronik Przedzel und Chyrow in Galizi- Jaslowez, das heute zur Ukraine von Heiligenkreuz enthält auf en, Ehrenritter des Malteser-Or- gehört. zwei Seiten auch die Erinnerun- dens, k. k. Kämmerer, geboren Mit Thaddäus, einem Urenkel gen des letzten Patronatsherrn am 10. Juli 1774. Als Königreich dieses dritten Sohnes – also eiBaron Heinrich Kotz († 1956) an Galizien und Lodomerien wurde nem Ururenkel der Gräfin Andie Kirche. Eine Notiz darin ließ die Landschaft 1804 dem Kaiser- na –, starb 1993 in London der mich schon vor Jahren beim letzte Graf Mniszech. Von ihm ersten Lesen aufmerken, weil oder seiner Tante Irene, einer davon nirgends sonst, etwa in Urenkelin der Gräfin, sind bisden beiden Heimatbüchern, her keine Nachkommen bezu lesen ist. kannt. „Von den drei Fenstern Gräfin Anna lebte zuletzt in mit Glasmalerei hinter dem Wien. Kurz vor dem Ende ihHauptaltar wurden zwei von res Lebens um 1865/67 bemeinen Großeltern gestiftet, suchte sie in ihren Geburtsort eines von einer Gräfin MnisHeiligenkreuz. Das war jene zek, einer Tochter des Ge- Gräfin Annas Geburtshaus Nr. 57 auf dem Zeit, als die 1859 abgebrannte meindeschmiedes, die nach Katasterplan von1838 Pfarrkirche renoviert und neu vieljähriger Abwesenheit eineingerichtet wurde. Aus diemal in ihren Heimatort zurück- tum Österreich angegliedert und sem Anlaß stiftete sie eines der kam.“ Wer war diese mysteriöse gehörte von 1867 bis 1918 als drei neuen Chorfenster mit GlasGräfin? Mit Hilfe des Internets Kronland zum cisleithanischen malerei. konnte nun ihr Geheimnis groß- Teil Österreich-Ungarns. Zum Dank dafür wählte man teils gelüftet werden. Bis heute bleibt es ein Ge- als Motiv ihre eigene NamensIn einem kleinen Haus ganz in heimnis, wie und wo sich die bei- patronin, das Bild der Heiligen der Nähe des Schlosses begann den kennengelernt haben. Viel- Anna, der Mutter der heiligen der – für damalige Zeiten gera- leicht war der Graf als Soldat dezu sagenhafte – gesellschaft- in der Region stationiert. Oder liche Aufstieg dieser einfachen war er Gast im Schloß gewesen? Heiligenkreuzer Frau. Im dama- Oder arbeitete Anna etwa in eiligen Haus Nr. 57 (später Nr. 26) nem der böhmischen Bäder, in wurde am 15. April 1800 Anna dem der Graf zur Kur weilte? Wir Mathes geboren. wissen es nicht. Doch aufgrund Sie war das Kind der Eheleu- der Standesunterschiede muß es te Georg Mathes und Kathari- eine echte Liebesheirat gewesen na Schneider, die aus Hostau sein. Aus ihrer Ehe sind drei Söhstammte. Der Beruf des Vaters ne bekannt: Alfred August kam am wird im Matrikel-Eintrag nicht genannt. Die Dorfschmiede wur- 25. November 1818 zur Welt. Evde erst 1841 erbaut, das heißt die tuell ist er früh gestorben, da die heutige Nr. 25. Doch die dane- Adels-Lexika ihn später nicht ben liegende Nr. 26 war bereits mehr erwähnen. Alexander Moritz kam am Das Wappen der Grafen Mniszech1838 als ein kleines Haus, wie wenige damals aus Stein, gebaut 29. Januar 1820 zur Welt. Er war Vandalin um 1820. worden. Es könnte also ein Vor- tätig unter anderem 1844 als gänger der späteren Schmiede Kreis-Kommissär in Salzburg, Muttergottes Maria. Gräfin Angewesen sein – also kein Holz- später Regierungssekretär in na starb am 11. Juni 1869 als Withaus wegen der Gefahr des offe- Linz, dann Statthalterei-Rat für we in Wien. Ihr Gatte Graf Stanislaus war bereits am 27. Januar 1860 verstorben. Das von ihr gestiftete farbige Glasfenster ist – wie auch die anderen Buntfenster im Altarraum der Kirche – bis auf kleine Reste nicht mehr vorhanden. Es existiert ebenso wie das ungewöhnliche Leben von dessen Stifterin nur mehr unter dem großen Mantel der Vergangenheit. Daß wir heute überhaupt davon wissen, das verdanken wir letztlich Baron Heinrich Kotz. Denn ohne seine Notiz, die erst die weiteren Nachforschungen ermöglicht hatte, wäre diese Episode der Heiligenkreuzer Geschichte für immer verloren gewesen. Nun meine Bitte um Mithilfe an die Leser. Wer kennt weitere Details von der Geschichte der Gräfin Anna? Heutiger Rest der bunten Glasfenster der Heiligenkreuzer Kirche. Wer kennt Nachkommen ihrer Geschwister aus der Faminen Feuers. Anna Mathes wuchs Niederösterreich in Wien. Dort lie Mathes? wie andere Kinder im Dorf heran. starb er – wohl unverheiratet Doch als noch junge Frau änder- und ohne Nachkommen – am Hinweise bitte an Pfar4. November 1891. te sich plötzlich ihr Leben. rer Klaus Oehrlein, eMail Alfons Robert Franz kam Vermutlich im Frühjahr 1818 st. valentinus@web.de oder heiratete sie – weder in Hei- am 28. August 1828 in Wien zur an die Redaktion des Heiligenkreuz noch in Weißen- Welt. 1857 heiratete er in Brüssel matboten siehe ImpresHedwig Gräfi n Dunin-Borkowssulz, der Ort der Hochzeit ist sum oben. unbekannt – den um Jahre äl- ka. Sie hatten zwei Söhne und teren Grafen Stanislaus Mnis- vier Töchter. Zwei Töchter wur-
Feierliche Enthüllung des Befreiungs-Denkmals durch Bürgermeister Zdeněk Novák und den Kulturattaché der Amerikanischen Botschaft, Erick W. Black. Vorne rechts mit Mütze Toni Scheubeck, der mit der Kamera alles festhält. Bilder: Karl Reitmeier
Neues Denkmal für Taus
Granitmonolith mit USA- und ČR-Fahne Kürzlich wurde in Taus, der böhmischen Partnerstadt von Furth im Wald, ein Denkmal zur Befreiung durch die Amerikaner am 5. Mai 1945 feierlich der Öffentlichkeit übergeben.
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stehen auch am Skulpturenpfad zum Baldov. Dort errichtete Fiala einen großen Kelch aus Granit zum Andenken an die Hussitenschlacht 1431, die den historischen Hintergrund des Further Drachenstich-Festspiels bildet. Weil Scheubeck die Projekte Fialas im öffentlichen Raum Westböhmens schätzt, war er neugierig auf das Denkmal für die amerikanischen Soldaten. Das aus zwei Teilen bestehende Befreiungs-Denkmal liegt nur wenige Meter unterhalb der ersten, mittlerweile efeuumrankten Symposiums-Skulptur von 2011, die Scheubeck in Anspielung auf den traditionellen kreisförmigen Tanz der Choden „Chodenring“ nannte.
m Dezember erhielt das Tauser Rathaus einen Brief von Veteranen der 2. USA-Infanterie-Division. Die kehren jedes Jahr nach Taus zurück, das sie am 5. Mai 1945 befreit hatten. Nun schlugen sie vor, an dieses Ereignis zu erinnern. Sie wollten sich finanziell beteiligen und hatten umgerechnet 13 200 Euro gesammelt. Dafür hatten sie zwei Ideen: entweder ein Denkmal oder ein großes Bürgerfest mit Tauser Bier. Die Stadt entschied sich für das Denkmal, verdoppelte die Summe und beauftragte den Bildhauer Václav Fiala aus Klattau. Standort ist die Choden-Straße Nähe des Eingangs zum Garten der Chodenburg. Es besteht aus einem GranitSitzgruppe und ihr Schöpfer Václav Fiala. monolith mit der amerikanischen und tschechischen Flagge. DaneScheubeck erzählt, er habe ben befindet sich eine Sitzgrup- sich mit seiner Frau an Militärpe, ebenfalls aus Granit. Auf der fahrzeugen und salutierenden Tischplatte steht: „We came not Soldaten vorbei zu einer großen take anything of yours. We came Menschenmenge gesellt, die den with an Idea: Freedom.“ Deutsch: offiziellen Reden geduldig zuge„Wir kamen nicht, um euch et- hört und den Nationalhymnen was zu nehmen. Wir kamen mit gelauscht habe. einer Idee: Freiheit.“ Der Tauser Bürgermeister Darunter lesen wir die Namen Zdeněk Novák habe zur Feier des Matthew Konop, James Duncan, Tages eine Stars-und-StripesHerman Geist und Robert Gil- Fliege getragen. Nach den weitebert. Konop war der USA-Oberst, ren Ansprachen des Stellvertreder das Chodenland im Mai 1945 tenden Bürgermeisters Stanislav befreit hatte. Unglaublich, daß Antoš und des Kulturattachés der dessen Großeltern aus Klentsch USA-Botschaft, Erick W. Black, und Mraken in die USA ausge- habe Václav Fiala über sein Werk wandert waren. Auf dem Tisch gesprochen. Immer wieder hätliegen ein Chodenhut und ein ten die Leute während seiner ReStahlhelm aus Granit. de gelacht. „Ich habe mangels Unter den Gästen war der Sprachkenntnissen nicht viel daArnschwanger Bildhauer To- von verstanden“, gesteht Scheuni Scheubeck mit seiner Frau Il- beck. Aber das Wesentliche sei se. Scheubeck verbindet mit Fia- doch wohl bei ihm hängen gela eine Freundschaft. Gemein- blieben. Mit Ernsthaftigkeit und sam bestritten sie bereits etliche Augenzwinkern habe Fiala auf Symposien. Werke der Künstler den historischen Anlaß für sein
Skulpturen-Ensemble zurückgeblickt. Die Befreiung durch die Amerikaner, die Freiheit vom Naziterror versprochen habe, sei sehr bald in die Bevormundung durch die Russen gemündet. Die hätten sich selbst als Befreier der Tschechoslowakei aufgespielt und seien erst in der Samtenen Revolution demaskiert worden. Bei der Enthüllung nannte Fiala gegenüber Scheubeck sein granitenes Sitzensemble deutsch „Stammtisch“. Dekan Miroslaw Gierga spendete der Anlage den kirchlichen Segen. Bezüglich der StammtischIdee stellte Toni Scheubeck fest: „Man braucht nicht viel Fantasie, um sich dazwischen gefüllte Biergläser vorzustellen und lustige, vielleicht auch singende Zecher auf den Bänken in einer lauen Sommernacht.“ Der liegenden granitenen Tischplatte steht also in einigem Abstand eine senkrechte, ebenso große Granitplatte gegenüber, auf die im oberen Teil ein Stück der Stars and Stripes-Flagge“ aufgemalt ist. Sie endet in einer Wellenlinie, die an die Wellen des Atlantiks an der Küste der Normandie erinnert, an der am 5. Juni 1944 die amerikanischen Befreier gelandet sind. Auf der anderen Seite des Denkmals befindet sich, der Vollständigkeit halber wähnt, die tschechische Nationalflagge. Übrigens fiel Toni Scheubeck auf dem Rückweg von der Veranstaltung auf, „daß mein, von einer Ader durchzogener Chodenring völlig unbeabsichtigt mit Václav Fialas Chodenhut eine große Ähnlichkeit hat“.
Toni Scheubecks „Chodenring“.
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Sudetendeutsche Zeitung Folge 24 | 18. 6. 2021
Heimatbote für den Kreis Ta<au
Heimatkreis Tachau – Patenstadt Weiden in der Oberpfalz. Heimatkreisbetreuer: Dr. Wolf-Dieter Hamperl, Aubergstraße 21, 83352 Altenmarkt, Telefon (0 86 21) 6 36 27, Telefax 64 75 27, eMail wolf-dieter.hamperl @online.de. Internet www.tachau.de. Tachauer Heimatmuseum: Kulturzentrum Hans Bauer, Schulgasse 3a, 92637 Weiden, Telefon (09 61) 81 41 02, Telefax 81 41 19, eMail museum@tachau.de. Spendenkonto: Heimatkreis Tachau, HypoVereinsbank Nürnberg – IBAN: DE38 7602 0070 0002 0824 54, BIC: HYVEDEMM460. Heimatbote für den Kreis Tachau – Redaktionsschluß: Donnerstag der Vorwoche. Redaktion: Nadira Hurnaus, eMail post@nadirahurnaus.de
Tirna
Hedi Wamser 100 Hedi Wamser feierte am 18. Mai 100. Geburtstag im badenwürttembergischen Böblingen.
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In der Mitte Pfarrer Miroslav Martiš, zweiter von rechts Pfarrer Georg Hartl und vierter von rechts Pfarrer Klaus Oehrlein. Bilder (2): Siegfried Zeug
Die Dreifaltigkeitskapelle in deutscher Zeit.
Rail
Drei Pfarrer und eine Messe Am Dreifaltigkeitssonntag Ende Mai fand in Rail am Platz der ehemaligen Dreifaltigkeitskapelle nach 2019 und 2020 auch heuer wieder am Nachmittag ein deutsch-tschechischer Gottesdienst statt.
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ekommen waren die deutschen Pfarrer Klaus Oehrlein aus Würzburg und Georg Hartl von Sankt Emmeram in Waidhaus mit seinem Kirchenpfleger Siegfried Zeug. Die anderen Messebesucher waren zehn Tschechen. Wie schon in den Vorjahren zelebrierte der frühere Haider Pfarrer Miroslav Martiš. Pfarrer Martiš erinnerte – in tschechisch und deutsch – an
Pfarrer Georg Hartl und zwei Gottesdienstbesucher.
ein zentrales Element christlichen Glaubens. Das Wesen der Dreifaltigkeit sei ein staunenswertes „Geheimnis“, also nicht mit menschlichem Scharfsinn zu erklären. Dieser dreifaltige Gott habe den Menschen laut dem Zeugnis der Bibel als sein „Abbild“ geschaffen. Und damit stehe nach Gottes Willen auch jeder Mensch als ein des Staunens wertes „Geheimnis“ vor uns. Das lasse uns Menschen etwas erahnen von der Größe und gleichzeitig Menschenliebe Gottes. Nach der Messe gab es noch ein gemütliches Beisammensein mit Brotzeit und Getränken. Bleibt zu hoffen, daß künftig von deutscher Seite her die Beteiligung etwas zunimmt. dg/sn
Pater Jaroslav Baštář berichtet über zwölf Jahre im Grenzgebiet – Teil VII
Weder heiß noch kalt In diesem Teil schildert Pater Jaroslav Baštář die Wahlen nach der kommunistischen Machtübernahme 1948.
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um Vorsitzenden des neuen Verbandes der Freunde der UdSSR wurde Josef Beran senior ernannt. Selbst die Frauen blieben nicht zurück. Es bildete sich der Verband des Frauenrates. Im Vorstand waren Ilona Heringová und Martina Němečková. Die Februarereignisse beeinflußten das ganze Leben. Viele Personaländerungen wurden vorgenommen, und viele wechselten über Nacht die Fahne. Der Schulkreisrat Václav Býrut aus Tachau – bis 25. Februar 1945 Vorsitzender der Kreisorganisation der Nationalsozialisten – wurde eifriger Anhänger der Kommunistischen Partei und durfte im Amt bleiben. Dagegen wurde kurz nach Februar der Direktor der Neustädtler Bürgerschule Karel Ježek suspendiert, um dessen Fortgang von der Schule sich an erster Stelle der Lehrer František Mráz und die damalige Hausmeisterin Maria Tesařová, eine Katholikin mit einem kommunistischen Abzeichen, verdient machten. Die
ganze Ära war gekennzeichnet von der „Jagd auf die Reaktion“. Der Februar brachte verschiedene Schulungen und Umschulungen. 1948 sollten Wahlen stattfinden. Bevor es dazu kam, brachen die Februar-Ereignisse ins Geschehen – sie kamen ja gerade deshalb. Die Wahlen fanden zwar trotzdem statt, nur der Termin wurde geändert. Das Wichtigste aber war, daß das Wahlsystem geändert wurde. Gleich nach dem 25. Februar wurden in allen Organisationen, politischen Parteien, aber auch in Betrieben sogenannte Aktionsausschüsse ernannt, die durchwegs alle Menschen ausschlossen, die mit der geläufigen Bezeichnung „Reaktion“ abgestempelt wurden. Die Parteien bildeten eine Nationalfront, deren Politik die KSČ bestimmte – die führende Partei. Auch die Tschechoslowakische
Volkspartei trat in die neue Spur, Jan Šrámek und František Hála verschwanden in der Versenkung. An die Spitze der Volkspartei gelangte Josef Plojhar. Weil die Wahlen bereits früher, als ich noch in Stebusowes war, ausgeschrieben worden waren, waren wir auf den Wahllisten des dortigen örtlichen Nationalausschusses eingetragen. Nach der Verlegung bat ich um eine Überführung an den neuen Wohnort. Ich mahnte nochmals ohne Ergebnis an, so daß wir alle drei der Möglichkeit, in Neustadtl zu wählen, beraubt wurden. Aber wir bedauerten das nicht. Am Wahltag war Neustadtl wie ein Jahrmarkt geschmückt, die Musik spielte seit dem Morgengrauen, und die Menschen wählten meist „demonstrativ“. Wenn wir uns die Ergebnisse der Wahlen 1946 ansehen – also die
normalen Wahlen – so sehen wir fast keine Unterschiede zum Jahr 1948. Im Jahr 1946 wurden für die KSČ insgesamt 82 Prozent der Stimmen abgegeben, damals wurde Václav Tvrdík Parteivorsitzender. Die Sozialdemokraten (Vorsitz Libor Rouček) erhielten zwölf Stimmen, die Nationalsozialisten (Josef Valenta) 13 Stimmen und für die Volkspartei, die mit der Haider Organisation (František Ličík) verbunden war, wurden lediglich zwei Stimmen abgegeben. Neustadtl war also mit Ausnahme einiger Einzelner völlig kommunistisch. Wenn einem bewußt wird, daß Neustadtl laut Zusicherung des Vorsitzenden des Örtlichen Nationalausschusses Josef Klečka – wie er 1947 dem Kirchenamt schrieb – gänzlich römisch-katholisch war, so war es auch durchwegs kommunistisch. Es waren entweder bewußte Katholiken und unbewußte Kommunisten, oder andersherum. In Wirklichkeit waren es jedoch oberflächliche Kirchenbuch-Katholiken und Kommunisten nur insofern, als sie daraus einen materiellen Vorteil ziehen konnten. Weder heiß – noch kalt. Fortsetzung folgt
edi Wamser lebt noch in ihrer Wohnung, eingebettet in eine wohlwollende Hausgemeinschaft. Sie wurde in der geschichtsträchtigen Stadt Sarajewo geboren. Ihr Vater stammte aus Graz, wohin die Familie noch vor Kriegsende zurückging. Von dort aus wurde sie zum Arbeitsdienst nach SchleswigHolstein geschickt und fand nach dem Krieg im Kreis Biberach Unterkunft. Ein Pfingsttreffen in Stuttgart war es dann, welches Hedi mit ihrem späteren Ehemann Karl Wamser aus Tirna Nr. 19 zusammenführte. Es fügte sich, daß beide Schneider waren, so konnten sie gemeinsam einen erfolgreichen Neubeginn angehen. 1954 kam ihr Sohn Anton zur Welt, ihr einziges Kind. Der ständige Wohnsitz der Familie wurde schließlich Böblin-
gen. Anton orientierte sich beruflich nach Norddeutschland, wo er eine eigene Familie gründete. Die weite Entfernung war für Hedi nie ein Problem, da sie gerne reiste und alt und jung genügend gemeinsame Zeit verbringen konnten. Karl starb bereits 1994. Von da an ging Hedi ihren Weg tatkräftig alleine weiter. Mit Bewunderung habe ich jahrzehntelang erleben dürfen, wie Hedi dem Wamser-Clan – Karl hatte fünf Geschwister – eine Gesprächsund Kontaktebene bot, die auch von deren Nachkommen reichlich genutzt wurde. Noch mit 94 Jahren, im Mai 2015, kam Hedi letztmalig zum Pfingsttreffen nach Augsburg. Da das Wetter so gut paßte, machte sie sich spontan und ohne Begleitung mit dem Zug auf zum Treffen. Nun wünschen wir Hedi, daß sie in Würde und in ihrer zufriedenen Art noch genügend Tage vor sich hat. Manfred Klemm
TERMINE Sonntag, 20. Juni, 15.00 Uhr, Haid: Deutschsprachige Messe in der Loreto; anschließend Kirchkaffee in der Sakristei. Für Zweifach-Geimpfte keine Quarantäne-Pflicht nach Rückreise. Sonntag, 18. Juli, 15.00 Uhr, Haid: Deutschsprachige Messe in der Loreto; anschließend Kirchkaffee in der Sakristei. Für Zweifach-Geimpfte keine Quarantäne-Pflicht nach Rückreise. Sonntag, 1. August, 10.00 Uhr, Neulosimthal: Gottesdienst anläßlich des Sankt-Anna-Festes mit Monsignore Andreas Uschold in GeorgenbergHinterbrünst am Gedenkstein beim Kastanienhof. Bereits am Vorabend gemütliches Beisammensein. Auskunft: Albert Kick, Faislbach 5, 92697 Georgenberg, Telefon (0 96 58) 3 15.
Sonntag, 15. August, 15.00 Uhr, Haid: Deutschsprachige Messe in der Loreto; anschließend Kirchkaffee in der Sakristei. Samstag, 28. bis Sonntag, 29. August: 32. Heimatkreistreffen in Weiden in der Oberpfalz. Samstag 8.15 Uhr Abfahrt nach München zum Besuch des Sudetendeutschen Museums; 18.00 Uhr gemütliches Beisammensein mit Egerländer Wirtshausmusik im Gasthof Ratskeller in Weiden. Sonntag 9.00 Uhr Feier am Tachauer Gedenkstein in der Kurt-Schumacher-Allee; 10.15 Uhr Versammlung der Mitglieder des Heimatkreisvereins mit Neuwahlen im Kulturzentrum Hans Bauer, Schulgasse 3a; 12.00 Uhr dort Ausstellungseröffnung; 13.00 Uhr Mittagessen auf Einladung der Patenstadt im Ratskeller. Anmeldung: WolfDieter Hamperl, Adresse oben.
Vergelt‘s Gott für die Spenden G
roßherzige Spender! Die Führung des Heimatkreises und des Heimatkreisvereins Tachau bedankt sich herzlich für die großartigen Spenden von 100 und mehr Euro, die zum Erhalt unseres Heimatkalenders und unseres Tachauer Heimatkreises vom 26. Oktober 2020 bis zum 31. Mai 2021 überwiesen wurden. 500 Euro: Karl und Ursula Gartner. 300 Euro: Rosa Pertl. 250 Euro: Margarete Fischinger. 200 Euro: Ludmilla Himmel. 150 Euro: Edeltraud Maria Anna Walther und Herwig Müller. 150 USA-Dollar: Caroline Jahn.
100 Euro: Alfred Strakata; Dr. Wolfgang Walch; Maria Stich; Ernst Kreuzer; Reinhard Brunner; Margarete Axmann; Ingeborg Bühl; Maria König; Markus Löw; Hermine Kleber; Gerald Beer; Waltraud Hamperl; Reinhard Brunner; Josef Schönberger. Mit diesen großherzigen und auch allen kleineren Spenden ist es möglich, daß kommendes Jahr wieder ein Heimatkalender erscheinen kann und der Heimatkreis sowie der Heimatkreisverein Tachau handlungsfähig bleiben. Ich danke allen für das große Vertrauen in unsere Tätigkeit für die Heimat. Ein herzliches Vergelt‘s Gott! Wolf-Dieter Hamperl Heimatkreisbetreuer