Sudetendeutsche Zeitung Ausgabe 25 vom 25. Juni 2021

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Interview mit Reinfried Vogler, dem Präsidenten der Bundesversammlung (S. 3)

Sudetendeutsche Zeitung Neudeker Heimatbrief

Die Zeitung der Sudetendeutschen Landsmannschaft

Reicenberger Zeitung 160. Jahrgang

HEIMATBOTE

Jahrgang 73 | Folge 25 | 2,80 EUR · 75 CZK | München, 25. Juni 2021 Heiligenhof wird größer

1 CZK = 0,0392 EUR 1 EUR = 25,514 CZK

Heiratspolitik

Live-Vortrag von HDO-Direktor Otto Weber S. 8

Anton Günther

Gedenken an den großen Dichter und Sänger S. 11

Dokumentationszentrum

Stimmen zur Eröffnung Fabritius, Präsident des Bundes der Vertriebenen: „Das Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung ist der wichtigste der bislang fehlenden Bausteine in der Erinnerungs- und Gedenkstättenlandschaft der deutschen Hauptstadt.“ Eckhard Pols, Sprecher der Gruppe der Vertriebenen, Aussiedler und deutschen Minderheiten der CDU/ CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: „Das eindrucksvolle und 75 Millionen Euro teure Dokumentationszentrum ist ein Meilenstein der deutschen Erinnerungspolitik. Endlich gibt es für die Heimatvertriebenen und ihre Angehörigen mitten in der Hauptstadt einen würdigen Ort, in dem an ihr millionenfaches Schicksal erinnert und gesamtgesellschaftlich anerkannt wird.“ Stephan Mayer, Erster Stellvertretender Vorsitzende der Gruppe und Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium: „Hinter uns liegen zwölf Jahre harter Arbeit im Stiftungsrat, in denen wir uns trotz erheblicher Widerstände und heftiger Kontroversen erfolgreich dafür eingesetzt haben, daß der Schwerpunkt der Dauerausstellung auf Flucht, Vertreibung und Integration der Deutschen liegt, weil wir immer davon überzeugt waren, daß nur dann diese Einrichtung zur Versöhnung der Deutschen mit sich selbst und, das ist mir als Enkel von Sudetendeutschen wichtig, auch mit unseren östlichen Nachbarn beitragen kann.“ Bernd

B 6543

„Ein angemessener und notwendiger Raum unserer Erinnerungskultur“

KURSE

Posselt und Juncker für mehr Engagementt S. 5

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Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Eröffnung des Dokumentationszentrums Flucht, Vertreibung, Versöhnung in Berlin:

Bauantrag für Erweiterung eingereicht S. 4

Sorge um Europa

VOLKSBOTE

Mit einer live zugeschalteten Bundeskanzlerin ist am Montag das Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung im Deutschlandhaus in Berlin eröffnet worden.

U

m die richtigen Lehren aus der Geschichte ziehen zu können, um eine gute Zukunft gestalten zu können, müssen wir die Erinnerung an vergangenes Leid wachhalten. Erinnerung braucht Raum. Erinnerung braucht Orte der Information und Orte des Austauschs. Einen solchen Ort haben wir mit dem Dokumentationszentrum gewonnen“, sagte Angela Merkel in ihrer Eröffnungsrede. Die Kanzlerin, die ursprünglich persönlich im Deutschlandhaus hatte anwesend sein wollen, betonte in ihrer Videorede, es sei nicht nur ein Informationszentrum, sondern mehr. Denn die vielen Zeitzeugen, die mit persönlichen Gegenständen und ihren individuellen Geschichten Eingang in die Ausstellung fanden, vermitteln, was geschehen sei, brächten Flucht und Vertreibung den Besuchern näher und bildeten so Brücken von der Vergangenheit zur Gegenwart. Merkel sprach hier ganz besonders die Sudetendeutsche Christine Rösch an, die ihr Lebensschicksal, von Neutitschein nach Bayern vertrieben worden zu sein, in der Feierstunde geschildert hatte und deren Zeitzeugenbericht Teil der Dauerausstellung ist. „Sie wissen, was es bedeutete, aus der Heimat vertrieben zu werden und diesen Verlust ein Leben lang zu tragen. Mit Ihrem Vortrag haben Sie unterstrichen, warum ein solches Dokumentationszentrum so

Emotionaler Höhepunkt der Eröffnung: Die Sudentendeutsche Christine Rösch (92) berichtet als Zeitzeugin von ihrer Vertreibung – stellvertretend für alle Opfer. Bundeskanzlerin Angela Merkel war live zugeschaltet. Bilder: Miksch.

Ministerin Prof. Monika Grütters

Das Schicksal der Zeitzeugin Christine Rösch ist Teil der Dauerausstellung.

Dr. Gundula Bavendamm

wichtig ist.“ Angela Merkel, deren Mutter in Danzig geboren war, beschrieb dann, daß die Gesellschaft Erinnerung pflegen und einen umfassenden Dialog darüber führen müsse. Und verwies auf eine überzeugende Begründung, die der polnische Literaturhistoriker und Mitglied der Solidarnosc Jan Jósef Lipski in einem Brief an Günter Grass in den 1980er Jahren schrieb: „Wenn wir dies nicht tun, erlaubt uns die Last der Vergangenheit nicht, in die gemeinsame Zukunft aufzubrechen.“ Am Ende ihrer Rede dankte Merkel allen, „die daran gearbeitet haben, dem Gedenken an Flucht und Vertreibung mit einem sichtbaren Ort in unserer Hauptstadt einen angemessenen und notwendigen Raum in unserer Erinnerungskultur zu geben“. Zum Auftakt des Festaktes hatte Staatsministerin Monika Grütters, die Vielstimmigkeit des Erinnerns quer durch Europa konstatiert und eine homogene europäische Erinnerungskultur für unmöglich und nur Erinnerungsaustausche für möglich erklärt. Und die Direktorin der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung, Gundula Bavendamm, hatte als Hausherrin das Konzept der Ausstellung vorgestellt. Unter den coronabedingt wenigen Gästen waren Alt-Bundespräsident Joachim Gauck, die Botschafter Tomáš Kafka (Tschechische Republik), Andrzej Przyłębski (Polen) und Péter Györkös (Ungarn), BdV-Präsident Bernd Fabritius, Reinfried Vogler (Präsident der Sudetendeutschen Bundesvereinigung) und der Parlamentarischer Staatssekretär Stephan Mayer. . Ulrich Miksch

Erster Rundgang durch das neue Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung

Es fehlt die tiefgreifende Kontextualisierung Von außen sieht das neue Dokumentationszentrum „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ noch immer aus wie das Deutschlandhaus, in dem bis Anfang der 2000er Jahre die Vertriebenenverbände in Berlin nahe des SBahnhofs Anhalter Bahnhof ihr Domizil hatten. Doch handelt es sich faktisch um einen Neubau.

I

n der Eingangshalle führt eine spektakuläre Treppe zum Obergeschoß, wo die eigentliche Ausstellung beginnt. Zuerst wird dort versucht, eine europäische Geschichte der Zwangsmigration anhand von fünf Themeninseln zu erzählen, dann geht es über eine imposante Wendeltreppe in das zweite Obergeschoß, wo Flucht und Vertreibung der Deutschen im Kontext vor allem des Zweiten Weltkrieges thematisiert werden. Mit modernen technischen Mitteln ist eine auch für junge Menschen attraktive Ausstel-

lung entstanden – multimedial, mit tastbaren Objekten und Riechstationen. Auch gibt es eine Bibliothek und ein Zeitzeugenarchiv im Aufbau. Die Ausstellung auf 1300 Quadratmetern mit 700 Exponaten hat auch einige Objekte sudetendeutscher Herkunft. So ist die von Ernst Thiel in Gärtringen aufgebaute Altvater-Hei- Unter den Exponanten befindet sich auch eine AltvaBild: Ulrich Miksch matstube voll- ter-Heimatstube. umfänglich in einem verglasten Hochregal aus- der Vertreibung der Schmuckgestellt. macher in der DDR (VEB GabloBeispiele der Schmuckpro- na im brandenburgischen Jüterduktion aus Gablonz, die nach bog) und in Westdeutschland

(Neugablonz im bayerischen Kaufbeuren) weiterging, werden gezeigt. Außerdem ist ein Schmuckkästchen aus Karlsbad als Tastobjekt vertreten. Wer sich in der Bibliothek umschaut, wird in der ZeitschriftenAblage den Ackermann und die Sudetendeutsche Zeitung mit ihren aktuellen Ausgaben finden. Und man stolpert dort auch über eine Holzkiste von Franz Sacher aus Lappersdorf 1, Kreis Karlsbad, von denen es ähnliche unzählig gibt, in denen Familien ihr wenig gebliebenes Hab und Gut bei der Austreibung transportierten. Gundula Bavendamm, die Direktorin der Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung, stellte heraus, daß etwa ein Drittel der deutschen Bevölkerung in seinen Familien Vertriebenenschicksale birgt. Und spätere Vertriebene, wie die vietnamesischen Boatpeople oder Flüchtlinge der Bal-

kankriege der 1990er Jahre, die auch thematisiert werden, haben ebenfalls Anteil an dem, was nach Bavendamm die Ausstellung vermitteln will: „Verstehen, was Verlust bedeuten kann, materiell wie immateriell.“ Was man aus sudetendeutscher Perspektive vergeblich sucht, ist die Verortung der Minderheitenthematik im Ausgang des Ersten Weltkrieges. Die Auflösung der multiethnischen Staaten in Europa, hier besonders der Habsburger Monarchie, hatten zu einer Vielzahl von Minderheiten geführt, die in den neugegründeten Nationalstaaten keine richtige Anerkennung erhielten. Im Lichte des neuen Dokumentationszentrums in Berlin wird deshalb deutlich, wie notwendig das Sudetendeutsche Museum in München ist, wo das Vertreibungsschicksal der Sudetendeutschen mit weithaus mehr Hintergrund kontextualisiert wird. Ulrich Miksch


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