Sudetendeutsche Zeitung 13. August 2021 Ausgabe 32 + 33

Page 1

Im Interview: Bayerns Staatsministerin Melanie Huml (Seite 3)

Sudetendeutsche Zeitung Neudeker Heimatbrief

Die Zeitung der Sudetendeutschen Landsmannschaft

Reicenberger Zeitung 160. Jahrgang

HEIMATBOTE

Jahrgang 73 | Folge 32 + 33 | 2,80 EUR · 75 CZK | München, 13. August 2021

VOLKSBOTE

Postvertriebsstück · Deutsche Post AG · Entgelt bezahlt Sudetendeutsche Verlagsgesellschaft mbH · Hochstraße 8 · D-81669 München · eMail zeitung@sudeten.de

B 6543

Putschsommer 1991

Bundestagswahl 2021 am 26. September

Das Kartenhaus zerbricht

Wahlprogramme: Was die Parteien zum Thema Vertreibung zu sagen haben

Von Bernd Posselt, Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe Der 17. August 1991 war selbst für pannonische Verhältnisse unbeschreiblich heiß. Papst Johannes Paul II. zelebrierte auf dem baum- und daher schattenlosen Rollfeld des Militärflughafens im südungarischen Fünfkirchen (Pecs) drei Stunden lang eine dreisprachige Messe für die Volksgruppen der Region: Ungarn, Kroaten und Donauschwaben. Europa müsse sich nach dem Sturz der kommunistischen Regime in Moskau und Belgrad friedlich neu ordnen, war seine Botschaft.

D

ie Realität sah damals allerdings teilweise anders aus: Wenige Kilometer entfernt tobte der serbisch-jugoslawische Eroberungskrieg gegen Kroatien, und in der Sowjetunion brach ein vom Geheimdienst angezettelter Putsch gegen Michail Gorbatschow aus. Mein Flug von Ungarn in die estnische Hauptstadt Reval (Tallin) wäre daher beinahe storniert worden. In der MaschiMichail ne saß nur eine Gorbatschow winzige Schar, die am Zielort zutiefst erschrak, als uns dort ein Oberst in sowjetischer KGB-Uniform empfing. Von einem Passagier auf Russisch angesprochen, teilte er uns allerdings fast wütend mit, wir sollten mit ihm entweder Englisch oder Estnisch reden. Der Putsch zur Wiederherstellung der Sowjetunion begann also zu scheitern, auch wenn in der Stadt die Panzerschlacht um den Fernsehturm noch in vollem Gang war. Heute sind sowohl die drei baltischen Staaten als auch Ungarn und Kroatien Mitglieder von EU und NATO – ein Grund dafür, noch dreißig Jahre später Gott zu danken. In der Ukraine, in Weißrußland und in Rußland, die damals ebenfalls nach Freiheit strebten, seWladimir Putin hen die VerFotos: Wikipedia hältnisse allerdings nach wie vor anders aus. Wladimir Putin betreibt die Rückkehr hin zu einer Art neuer Sowjetunion. In Weißrußland wütet ein Diktator, in der Ostukraine ein Krieg. Auch in Belgrad ist das alte Denken nach wie vor tonangebend. Die deutsche Grüne Antje Vollmer nannte die Konflikte im zerfallenden Jugoslawien damals etwas überspitzt einen „Habsburgischen Erbfolgekrieg“. Die Erbfolge im Raum der früheren Sowjetunion dürfte uns Europäer noch auf viele Jahre existenziell herausfordern.

Der Wahlkampf nimmt Fahrt auf: Im Vorfeld der Bundestagswahl am 26. September haben mittlerweile alle sechs im Bundestag vertretenen Parteien ihre Wahlprogramme verabschiedet und die wichtigsten Eckpunkte ihrer Politik dargelegt.

D

as Schicksal der 15 Millionen deutschen Heimatvertriebenen und Flüchtlinge ist das größte Trauma der deutschen Nachkriegsgeschichte, wie das neue Dokumentationszentrum „Flucht Vertreibung Versöhnung“, das vor wenigen Wochen in Berlin eröffnet wurde, belegt. Auch im Bundestag ist Vertreibung nach wie vor ein Thema. So fand erst im Juni eine Plenardebatte zum „Bericht der Bundesregierung über die Maßnahmen zur Förderung der Kulturarbeit gemäß § 96 des Bundesvertriebenengesetzes in den Jahren 2019 und 2020“ statt (Sudetendeutsche Zeitung berichtete), in der alle Redner, mit Ausnahme von Simone Barrientos als Vertreterin

Die sechs im Bundestag vertretenden Parteien haben mittlerweile ihre Wahlprogramme verabschiedet. der Partei Die Linke, insbesondere die Aufbauleistung der Vertriebenen wertschätzten. In den Wahlprogrammen der im Bundestag vertretenden Parteien spielt das Thema Vertreibung dagegen keine Rolle. Nur die CDU/CSU widmet sich in ihrem „Programm für Stabilität und Erneuerung: Gemeinsam für ein modernes Deutschland“ ausführlich dem Thema. Unter der Überschrift „Vertriebene und Aussiedler wertschätzen“ heißt es im Wahlprogramm der CDU/CSU: „Wir bekennen uns zur Geschichte aller Deutschen – auch derer, die ein besonders schweres Kriegsfolge-

schicksal erleiden mußten. Das kulturelle Erbe der Heimatvertriebenen und Aussiedler ist ein selbstverständlicher und wertvoller Teil unserer Identität.“ Ohne die Heimatvertriebenen wäre der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg so nicht gelungen. Und Aussiedler seien „mit ihrem Können, ihrem Fleiß und ihrer kulturellen Tradition ein Gewinn für unser Land“, heißt es in dem 139 Seiten starken Programm. Vertriebene und ihre Nachkommen, Aussiedler und deutsche Minderheiten im Ausland hätten „Brücken der Verständigung in Europa“ gebaut. „Ein geeintes, friedliches und starkes

Europa ist eine entscheidende Grundlage für das vor uns liegende Modernisierungsjahrzehnt. Der Verständigungs- und Gestaltungswille der Vertriebenen und Aussiedler sind uns hierfür eine wichtige Leitschnur“, so das CDU/CSU-Programm. Man werde desalb „den verständigungs- und erinnerungspolitischen Einsatz der Vertriebenen- und Aussiedlerverbände, den Kulturerhalt und die Kulturarbeit durch eine zukunftssichere Förderung stärken“. Nötig seien außerdem Akzente in Bildung und Forschung, um durch moderne Vermittlungsmethoden das Wissen hierüber zu festigen.

„An der gesetzlich garantierten Aufnahme von Spätaussiedlern werden wir festhalten und weiterhin Eingliederungshilfen leisten. Fremdverschuldeter Altersarmut und rentenrechtlichen Benachteiligungen bei Aussiedlern und Spätaussiedlern werden wir entschieden begegnen“, kündigt die CDU/CSU an. Außerdem wolle man die deutschen Minderheiten und Volksgruppen in verschiedenen Ländern weiterhin darin unterstützen, ihre Sprache und Kultur zu pflegen, und das Thema Vertreibung noch stärker in der Bundesregierung verankern: „Uns ist wichtig, das Amt des Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten in einer exponierten Stellung in der Bundesregierung zu stärken.“ – was als klare Rückenstärkung für Amtsinhaber Bernd Fabritius verstanden werden kann, der außerdem Präsident des Bundes der Vertriebenen und CSU-MdB ist. Torsten Fricke

Feierstunde auf dem Stuttgarter Schloßplatz. Unter den Gästen waren auch MdB Dr. Stefan Kaufmann sowie die CDU-MdL Raimund Haser und Konrad Epple sowie MdL a.D. Franz Longin.

Feierstunde der Union der Vertriebenen und Flüchtlinge und des Bundes der Vertriebenen auf dem Schloßplatz in Stuttgart

Zukunftsweisend: die Charta der Heimatvertriebenen „Die Charta der deutschen Heimatvertriebenen ist ein wichtiges Dokument der Zeitgeschichte“, hat Bernd Fabritius, Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten und Präsident des Bundes der Vertriebenen (BdV), in seiner Festansprache an die Verkündung am 5. August 1950 auf dem Schloßplatz in Stuttgart erinnert. Iris Ripsam, Landesvorsitzende UdVF, stellvertretende Landesvorsitzende BdV, CDU-Stadträtin und MdB a.D. Fotos: Helmut Heisig

M

it dem Verzicht auf Rache und Vergeltung, dem Engagement für ein freies und geeintes Europa und der Beteiligung

am Wiederaufbau Deutschlands hätten die Vertriebenen bereits damals kurz nach dem Krieg Weitsicht gezeigt, so der CSUMdB Fabritius, der dazu aufrief, dieses Erbe weiterzutragen: „Die Jugend ist die einzige Brücke in die Zukunft.“ Reinfried Vogler, ehemaliger Präsident der Sudetendeutschen Bundesversammlung und Vorsitzender der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, sagte in seinem Grußwort, daß die damalige Vision von einem geeinten Europa heute weitestgehend Realität geworden sei. Ziel müs-

se aber weiterhin eine Partnerschaft aller Volksgruppen in einem freien und demokratischen Europa sein. „Mit der Unterzeichnung der Charta setzten die Heimatvertriebenen ein Zeichen der Versöhnung, des Friedens und der Zukunft“, hatte bereits zum Auftakt der Feierstunde die Initiatorin Iris Ripsam erklärt. Im Schlußwort unterstrich der CDU-Landtagsabgeordnete Raimund Haser die Wichtigkeit eines geeinten Europas, „in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können“.

Reinfried Vogler, Vorsitzender der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, mit BdV-Präsident und MdB Dr. Bernd Fabritius.


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.