Sudetendeutsche Zeitung 15. Oktober 2021 Ausgabe 41

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Interview mit Vertreibungsopfer Prof. Dr. Gottfried Konecny (S. 3)

Sudetendeutsche Zeitung Die Zeitung der Sudetendeutschen Landsmannschaft

Reicenberger Zeitung 160. Jahrgang

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Jahrgang 73 | Folge 41 | 2,80 EUR · 75 CZK | München, 15. Oktober 2021

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Regierungsbildung nach den tschechischen Parlamentswahlen

Klares Ergebnis, unklare Zukunft: Warten auf den kranken Präsidenten Mit diesem Foto suchte die Polizei zwei Tage nach Julia (8). Foto: Polizei

Böhmerwald

Das Wahlergebnis ist für tschechische Verhältnisse selten deutlich. Mit 108 von 200 Sitzen werden die Koalitionen Spolu sowie Piraten und Stan eine klare Mehrheit im Abgeordnetenhaus haben. Doch bis Noch-Premierminister Andrej Babiš mit seiner Ano-Bewegung auf der Oppositionbank Platz nehmen muß, ist es noch ein weiter Weg.

Vermißtes Mädchen D wohlauf „Wir suchen weiter und setzen alle uns zur Verfügung stehenden Kräfte ein, um das Mädchen zu finden“, hat die tschechische Polizei am Montag via Twitter versprochen. Am Dienstag, 13.51 Uhr, twitterte dann die tschechische Polizei elf Worte in Tschechisch, die den 1400 Einsatzkräften dies- und jenseits der Grenze die Tränen der Freude in die Augen trieben: „Gute Nachrichten – das Mädchen wurde ausfindig gemacht und wird nun in die Obhut von medizinischem Personal übergeben.“

A

m Sonntag Nachmittag war die achtjährige Julia aus Berlin beim Wandern mit ihrer Familie im bayerisch-tschechischen Grenzgebiet verschwunden. Die Eltern hatten das Mädchen, seinen Bruder und einen Cousin aus den Augen verloren und die Rettungskräfte gerufen. Bruder und Cousin wurden schnell gefunden, aber Julia blieb in dem bewaldeten Gebiet zwischen Waldmünchen, Furth im Wald und Taus in Böhmen verschollen. Bei Nachttemperaturen unter dem Gefrierpunkt fürchteten die Einsatzkräfte das Schlimmste. Doch am Dienstag dann das Wunder: Ein tschechischer Förster entdeckte das Mädchen und informierte sofort die Polizei. „Julia ist nicht verletzt, aber stark unterkühlt und wird im Krankenhaus behandelt. Es besteht aber keine Lebensgefahr“, bestätigte das Polizeipräsidium Oberpfalz die Rettung. Ein Polizeisprecher: „So eine Erleichterung habe ich in meiner gesamten Laufbahn noch nicht erlebt.“

ie Bilder, die am Sonntag in allen tschechischen Nachrichtensendungen als Dauerschleife liefen, waren verstörend. In einem speziellen Rettungswagen für Intensivpatienten wird Staatspräsident Miloš Zeman von seiner Sommerresidenz Schloß Lana bei Kladen in das rund 30 Kilometer entfernte Militärkrankenhaus nach Prag gefahren, wo er bereits Tage zuvor behandelt werden mußte. Zeman ist offensichtlich nicht bei Bewußtsein, als die Trage aus dem Krankenwagen gehoben und er auf die Intensivstation verlegt wird. Später heißt es in einer knappen Erklärung, der Zustand des Präsidenten sei „stabil“, von „Besserung“ ist nicht die Rede. Vor seinem erneuten Zusammenbruch hatte Zeman noch den amtierenden Premierminister Andrej Babiš empfangen. Details aus dem Gespräch sind nicht bekannt. Klar ist jedoch, daß die ernsthafte Erkrankung des Staatsoberhauptes für die Tschechische Republik zur Unzeit kommt. Anders als in Deutschland hat in der Tschechischen Republik der Präsident nach der Wahl eine starke Stellung. Er entscheidet, wen er mit der Regierungsbildung beauftragt. Zeman hatte vor dem Urnengang wiederholt erklärt, er werde der stärksten Partei den Auftrag geben – und nicht dem stärksten Bündnis. Dies würde bedeuten, daß der klare Wahlverlierer Andrej Babiš maximal zweimal 30 Tage Zeit hätte, eine Mehrheit für eine neue Regierung zu suchen – was alle Beobachter als aussichtloses Unterfangen einstufen. Erstens haben die beiden Koalitionen Spolu sowie Piraten und Stan bereits klar erklärt, keine Gespräche mit Babiš füh-

Mit 27,7 Prozent ist die Spolu-Koalition der klare Wahlsieger: Die Parteiführer Markéta Pekarová Adamová (Top 09), Petr Fiala (ODS) und Marian Jurečka (KDU-ČSL) jubeln nach den ersten Hochrechnungen. Foto: Twitter

Lange Schlangen auch vor dem Tschechischen Generalkonsulat in München. Die Wahlbeteilung war mit 65,4 Prozent deutlich höher als 2017, als nur 60,8 Prozent der Tschechen ihre Stimme abgaben. Fotos: Mediaservice Novotny

Spolu sowie Piraten und Stan kommen auf 108 von 200 Mandaten und haben damit im neuen tschechischen Abgeordnetenhaus eine klare Mehrheit. Grafik: Sudetendeutsche Zeitung/Foto: Wikipedia CC BY-SA 3.0

ren zu wollen. Und zweitens sind dem Ano-Chef bei der Wahl zwei Koalitonspartner abhanden gekommen. Die sozialdemokratische ČSSD, bislang Juniorpartner in der Babiš-Regierung, ist mit nur 4,65 Prozent krachend an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Und die kommunistische Partei KSČM ist mit dem historisch schlechtesten Wahlergebnis von 3,6 Prozent ebenfalls hochkant aus dem Abgeordnetenhaus geflogen. Sowohl Sozialdemokrat Jan Hamáček als auch Kommunist Vojtěch Filip traten noch am Samstag als Parteichefs zurück. Bleibt noch die rechtsextreme Verbindung SPD des in Tokio geborenen Unternehmers Tomio Okamura, die aber mit 20 Sitzen nicht genügend Abgeordenete stellt, um der Ano zu einer Mehrheit zu verhelfen. Angesichst des klaren Wahlergebnisses will Spolu-Spitzenkandidat und Bürgerdemokratenchef Petr Fiala, der die besten Aussichten hat, neuer Premierminister zu werden, den Staatspräsidenten bitten, ihm den Regierungsauftrag zu erteilen. „Man darf sich keiner Illusionen hingeben, daß Präsident Zeman dies leicht machen werde“, sagt dagegen Petr Šabata, Kommentator des Tschechischen Rundfunks. Dennoch gehen alle Beobachter davon aus, daß es dem Präsidenten am Ende nicht gelingen wird, gegen eine klare Mehrheit im Abgeordnetenhaus einen Premierminister wider Willen durchzusetzen. Bis Weihnachten, so wird in Prag geschätzt, wird die neue Regierung die Amtsgeschäfte übernehmen. Doch auch nach einer Wahl von Petr Fiala zum Premierminister müßte Andrej Babiš seine politischen Ambitionen nicht unbedingt begraben. In Prag wird bereits darüber diskutiert, was passiert, wenn der schwerstkranke Zeman stirbt oder sein Amt niederlegt. Dann könnte Babiš als Präsidentschaftskandidat ins Rennen gehen. Mit den 27,1 Prozent aus der Parlamentswahl hätte er eine breite Unterstützerbasis. Und ein potentieller Gegenkandidat aus dem bürgerlichen Lager ist derzeit noch nicht in Sicht. Torsten Fricke

Treffen der drei Minister Melanie Huml, Jakub Kulhánek und Karoline Edtstadler am Dreisessel im Bayerwald

Grenzregionen werden eingebunden

Bayerns Europa-Ministerin Melanie Huml mit der österreichischen EU-Ministerin Karoline Edtstadler und dem tschechischen Außenminister Jakub Kulhánek am Dreisessel im Bayerischen Wald. Foto: Blöchinger/Euregio

Dreiländertreffen am Dreisessel: Direkt an der bayerisch-tschechischen Grenze haben Bayerns Europa-Ministerin Melanie Huml, der tschechische Außenminister Jakub Kulhánek und die österreichische EU-Ministerin Karoline Edtstadler über den Neustart der Beziehungen nach Corona gesprochen.

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ie bereits in der Sudetendeutschen Zeitung berich-

tet, ging es bei dem Treffen vor allem um Themen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. „Unsere freundschaftlichen Beziehungen haben in der Pandemie nicht gelitten. Wir waren immer in engem Kontakt und Austausch – auch auf politischer Ebene“, so Melanie Huml. Bei dem politischen Austausch der drei Länder am Dreisesselberg hatten erstmals auch Ver-

treter der Grenzregionen Gelegenheit, über ihre Erfahrungen zu berichten und ihre Anregungen für die künftige Zusammenarbeit vorzubringen. Mit den Regionalvertretern vereinbarten die beiden Ministerinnen und deren tschechischer Kollege eine gemeinsame Konferenz der Rettungsdienste, eine Kommunalkonferenz der drei Länder als regionales Austauschforum und Vernetzungstreffen

sowie eine gemeinsame Kulturveranstaltung im Grenzgebiet. Des Weiteren wurde vereinbart, zukünftig auch übergeordnete europäische Themen zur Zukunft Europas oder eines Green Deal stärker in den Grenzregionen zu erörtern. Hierzu soll dieses Dreiländertreffen verstetigt werden. Auch eine verstärkte Zusammenarbeit bei wissenschaftlichen Themen sei absolut denkbar, so Huml.


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