Sudetendeutsche Zeitung 26. November 2021 Ausgabe 47

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Franz Login, Vorsitzender des Heimatrates, über Vertreibung und Versöhnung (Seite 3)

Sudetendeutsche Zeitung Die Zeitung der Sudetendeutschen Landsmannschaft

Reicenberger Zeitung 160. Jahrgang

HEIMATBOTE

Jahrgang 73 | Folge 47 | 2,80 EUR · 75 CZK | München, 26. November 2021 � Eröffnung in Aussig

In die richtige Richtung Von Bernd Posselt, Sprecher der Sudeten- deutschen Volksgruppe

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er Roman „Heimatmuseum“ von Siegfried Lenz war Ende der 1970er Jahre heftig umstritten, wird heute aber als Bestandteil der Weltliteratur respektiert. Das Werk des ostpreußischen Schriftstellers endet damit, daß sein Ich-Erzähler die in den Westen geretteten Reste eines masurischen Heimatmuseums niederbrennt, weil er Angst hat, daß diese erneut instrumentalisiert werden wie seinerzeit in den Jahren vor der Vertreibung. Wie immer man zu Lenz steht, es ist erfreulich, daß Heimatmuseen heute nicht niedergebrannt, sondern neu errichtet werden, und dies in dem ausdrücklichen Bemühen, Einseitigkeiten und Instrumentalisierungen zu vermeiden. Dies gilt sowohl für das Sudetendeutsche Museum in München, das sich mit seinen dreisprachigen Aufschriften – deutsch, tschechisch und englisch –, seinem wissenschaftlich-sachlichen Ansatz und seinem kompetenten Team um Stefan Planker in kurzer Zeit europaweite Anerkennung erworben hat, als auch für sein Gegenstück im nordböhmischen Aussig. Beide „Leuchtturmprojekte“, wie sie Bayerns seinerzeitiger Ministerpräsident Horst Seehofer nannte, schildern die Jahrhunderte deutschen Lebens in den böhmischen Ländern. Dies wäre in der Tschechischen Republik noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen, anders als etwa in der benachbarten Slowakei, wo ein von der Volksgruppe gestaltetes Karpatendeutsches Museum wie selbstverständlich Teil des Slowakischen Nationalmuseums ist. Das Aussiger Haus mußte von seinen Gründern, Blanka Mouralová und Jan Šícha, aber auch von ihrem amtierenden Nachfolger Petr Koura um politische, finanzielle und administrative Klippen herum gesteuert werden, erlebte aber bei der Eröffnung, wie der scheidenden tschechischen Kulturminister Lubomír Zaorálek eindrucksvoll offen über den Verlust sprach, den die Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung den Böhmischen Ländern zugefügt hat. Auch wenn im Museum, wie im tatsächlichen Leben, noch einiges zu tun ist – die Entwicklung geht in die richtige Richtung.

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� In Aussig ist die Dauerausstellung „Naši Němci – Unsere Deutschen“ nach über zehn Jahren Vorbereitung eröffnet worden

Kulturminister: Mit der Vertreibung hat Böhmen seine Vielfalt verloren

Das Datum war bewußt gewählt: Am tschechischen Nationalfeiertag für Freiheit und Demokratie haben der tschechische Kulturminister Lubomír Zaorálek und der sächsischen Ministerpräsident Michael Kretschmer in Aussig die Dauerausstellung „Naši Němci – Unsere Deutschen“ eröffnet. Unter den Gästen waren auch Bernd Posselt, Sprecher der Sudetendeutschen Volkgsgruppe, und Dr. Stefan Planker, Direktor des Sudetendeutschen Museums in München.

K

ulturminister Zaorálek (ČSSD) erinnerte sich in seinen Eröffnungsworten an seine Studienzeit in Brünn, in der er von prägenden Professoren vermittelt bekam, daß der Reichtum Böhmens auch von Deutschen mitgeprägt wurde. „Was haben wir verloren? Die Vielfalt haben wir verloren, wegen der Tragödien im 20. Jahrhundert“, so Zaorálek. Als Lehre bleibe: „Wir dürften uns dieser Vergangenheit gegenüber nicht verschließen.“ Zaorálek bedankte sich bei der Stadt Aussig für die vorausgegangenen Bemühungen um die Würdigung sudetendeutscher Antifaschisten („Vergessene Helden“) und wünschte, daß die Ausstellung hoffentlich vielen zeigen werde, welch ein Reichtum hier einst gewesen war. Der sächsische Ministerpräsident Kretschmer, der von 2006 bis 2009 als Parteienvertreter des Deutschen Bundestages Mitglied im Verwaltungsrat des DeutschTschechischen Zukunftsfonds war, beschrieb zuerst das vertraute Aussig, dem man von Dresden heraus sehr nahe sei. Doch gäbe es eine schwierige Geschichte zwischen Deutschen und Tschechen, wofür auch der 17. November 1939 stehe, als in der „Sonderaktion Prag“ von den Nazis 1200 Studenten inhaftiert und neun Studentenführer hingerichtet wurden sowie alle tschechischen Universitäten und Hochschulen geschlossen wurden. Kretschmer: „Wir sollten uns deshalb alle darüber freuen, daß diese Ausstellung ,Unsere Deutschen‘ heute wieder möglich ist. Die Geschichte verbindet.“ Der Oberbürgermeister der Stadt Aussig, Petr Nedvědický, (ANO) wünschte der Ausstellung, daß sie Deutsche und Tschechen zusammenbringen möge. Es sei die größte Investition der Stadt, und er dankte seinen beiden Vorgängern an der Stadtspitze, die dieses Projekt ebenfalls unterstützt hatten. Botschafter Andreas Künne, der erst seit dem Sommer Deutschland in Prag vertritt, war bereits fünf Mal in Aussig, davon drei Mal wegen der Ausstellung: „Diese Ausstellung ist eine wunderbare Chance, auf der Grundlage unserer gemeinsamen Geschichte an einem gemeinsamen Europa zu bauen, einem Europa, in dem wir all die Möglichkeiten,

Eröffneten die Dauerausstellung „Unsere Deutschen“ in Aussig (von links): Sachsen Ministerpräsident Michael Kretschmer, Petra Ernstberger, die Mit-Direktorin des Deutsch-Tschechischen Zukunftfondes, der tschechische Kulturminister Lubomír Zaorálek und Aussigs Oberbürgermeister Petr Nedvědický. Foto: Collegium Bohemicum

die wir im 19. und 20. Jahrhundert ausgelassen haben, nutzen.“ Der Direktor des Collegium Bohemicum, Petr Koura, der seit 2017 an der Ausstellung arbeitet, erklärte, er habe beim Grundkonzept nur bei jüdischen Themen und dem frühen Mittelalter Veränderungen vorgenommen. Einen besonderen Akzent setzte Koura dabei mit der Vorstellung des Karikaturisten Jaz, der immer in der Verkleidung des Kaisers Sigismund von Luxemburg auftritt und tschechienweit äußerst populär ist. Jaz, dessen frecher historischer Comic „Bilder aus der tschechischen Geschichte“ im Nationalmuseum in Prag ausgestellt wurde und der auch den Brünner Todesmarsch thematisierte, gestaltete an den weißgepinselten Gängen des Museums karikierende Szenen zur böhmischen Geschichte mit blau-

Öffnungszeiten Die Ausstellung befindet sich im Gebäude des Stadtmuseums Aussig (Ulice Masarykova 1000) und ist dienstags bis sonntags von 9 bis 18 Uhr geöffnet. Weitere Informationen und ein Link zum Kauf von Eintrittskarten für eine geführte Tour, unter www. collegiumbohemicum.cz. Das Original Vintage Orchestra sorgte für Stimmung.

Dr. Stefan Planker und Sprecher Bernd Posselt. Foto: Kijas

Fotos: Miksch

Exponat in der Ausstellung.

Der Direktor des Collegium Bohemicum, Petr Koura (2.v.l.) führte die Ehrengäste durch die Ausstellung. Foto: Collegium Bohemicum

� Andreas Künne und Tomáš Kafka

Poetry-Slam der Botschafter Auch im Namen des erkrankten tschechischen Botschafters in Berlin, Tomáš Kafka, gratulierte Botschafter Andreas Künne mit einem gemeinsamen deutsch-tschechischen Poetry-Slam: Unsere Deutschen unsere Tschechen Das Possessive war kein Segen Sprechen wir miteinander Und von uns. Ihr gehört zu uns Und wir zu Euch In diesem Europa.

Dík výstavě Naši Němci V našem Ústí nad Labem Dostávám novou šanci Vidět sebe s nadhledem. Nejde tu o diferenci O zbabělce a hrdiny Při výstavě Naši Němci Jde o náš svět a rodiny.

Dank der Ausstellung Unsere Deutschen / In unserem Aussig / Ich bekomme eine neue Chance / Mich selbst mit Perspektive sehen. / Es geht nicht um Differenzierung / Es geht um Feiglinge und Helden / In der Ausstellung Unsere Deutschen / Es geht um unsere Welt und unsere Familien.

em Strich. Eine originelle Einladung an die tschechische Jugend sich den inhaltsschweren 20 Räumen und den 800 Jahren deutsche Besiedlung auf zwei Etagen zu widmen. Aber auch den deutschen Besuchern gibt die Ausstellung interessante Kost. Durchgängig tschechisch und deutsch beschriftet bietet sie eine Ergänzung der Geschichte des Zusammenlebens von Tschechen und Deutschen zum Sudetendeutschen Museum in München. Sie hebt das Spannungsreiche, aber auch das Gelingende am Zusammenleben heraus, sicher eine Lehrstunde für lange tabuisierte Zonen im tschechischen Geschichtsbild. Leider sind noch nicht alle Beschriftungen fertig, und vereinzelt fehlen noch Exponate, aber diese Lücken sollen demnächst geschlossen werden. Der musikalische Schlußpunkt mit der Prager Swingband „Original Vintage Orchestra“, die den Kaisersaal mit dem Glamour der 1920er Jahre füllte, einer Zeit also, in der Deutsche und Tschechen noch weitgehend friedlich und fruchtbar in Böhmen zusammenlebten, geriet zu einem Glanzpunkt. Die aufgeführten Lieder klangen zwar alle nach dem Swing von damals, waren aber häufig deutsche und tschechische Ohrwürmer unserer Tage. Wenn das mal nicht ein musikalischer Kommentar zur Ausstellung war? Ulrich Miksch


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