Sudetendeutsches Gespräch mit Bundesfrauenreferentin Gerda Ott (Seite 3)
Sudetendeutsche Zeitung Die Zeitung der Sudetendeutschen Landsmannschaft
Reicenberger Zeitung 161. Jahrgang
HEIMATBOTE
Jahrgang 74 | Folge 5 | 2,80 EUR · 75 CZK | München, 4. Februar 2022 � Europäischer Gerichtshof
Erfolg für Minority Safepack Die Bürgerbewegung Minority Safepack, zu dessen Gründungsmitgliedern die Sudetendeutsche Landsmannschaft gehört, hat höchstrichterliche Unterstützung vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) erhalten.
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ur Vorgeschichte: 2017 hatte Rumänien die EU aufgefordert, die Bürgerbewegung Minory Safepack nicht zu registrieren, was wiederum Voraussetzung ist, daß die Unterschriftensammlung offiziell gewertet wird. Um als Petition zugelassen zu werden, waren anschließend eine Million Unterschriften in sieben Mitgliedsstaaten notwendig. Bis zum Stichtag 3. April 2018 sprachen sich sogar 1 320 000 Bürger in elf EU-Staaten für den Schutz der nationalen und sprachlichen Minderheiten sowie für die kulturelle und sprachliche Vielfalt aus. Zuvor hatte die EU die Initiative 2013 nicht registriert, war dann aber im Widerspruchsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof gescheitert. Jetzt stärkte der EuGH erneut der Minority-Safepack-Initiative den Rücken und veröffentlichte dieser Tage seine Entscheidung, die Klage Rumäniens gegen die Registrierung zurückzuweisen. Dr. Bernd Fabritius, Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten: „Das ist eine gute Entscheidung für die Rechte nationaler Minderheiten in der Europäischen Union und eine Aufwertung des Instituts Europäischer Dr. Bernd Fabritius. Bürgerinitiativen.“ Doch dieser Sieg ist nur ein Etappenerfolg, denn bislang weigert sich die EU-Kommission, die von der Initiative geforderten Maßnahmen in EU-Recht umzusetzen. Fabritius hofft deshalb auf einen weiteren Erfolg vor dem EuGH: „Nachdem die Kommission es in ihrer Mitteilung vom 14. Januar 2021 abgelehnt hatte, die Vorschläge der Minority-Safepack-Initiative für konkrete Maßnahmen zur Stärkung der nationalen Minderheiten in der EU aufzugreifen, bleibt nunmehr abzuwarten, ob die hiergegen angestrengte Nichtigkeitsklage vor dem Europäischen Gericht Erfolg hat.“ Die Minorty-Safepack-Initiative war in dieser Woche auch Thema einer Videokonferenz von Schleswig-Holsteins Ministerpräsidenten Daniel Günther mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Günther sprach sich dabei dafür aus, den Schutz und die Förderung nationaler Minderheiten und der rund 60 Regionalsprachen im Rechtsrahmen der EU dauerhaft zu verankern.
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� Ukraine-Konflikt
Wer rasselt mit dem Säbel?
Von Bernd Posselt, Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe Sudetendeutsche und Ukrainer sind auf vielfache Weise miteinander verbunden. Letztere bildeten die Mehrheit im zur Habsburgermonarchie gehörenden Königreich Galizien, und viele Landsleute dienten mit ihnen gemeinsam in der k.u.k. Armee – auch mein Großvater. Als ich vor längerer Zeit auf Einladung der Pommerschen Landsmannschaft in der heute polnischen Stadt Kolberg sprach, meldete sich ein uralter, dort lebender galizischer Ruthene – wie man im alten Österreich die Ukrainer nannte – und schwärmte von seinen sudetendeutschen Kameraden im Ersten Weltkrieg, die er besonders geschätzt habe.
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ie Ruthenen waren so kaisertreu, daß sie im habsburgischen Vielvölkerstaat als „Tiroler des Ostens“ bezeichnet wurden. Erzherzog Wilhelm, der einer zunächst im zu ÖsterreichischSchlesien gehörenden Teschen verwurzelten Nebenlinie des Kaiserhauses entstammte, wurde Anfang des 20. Jahrhunderts sogar als Herrscher eines zu errichtenden ukrainischen Königreiches gehandelt, weil er sich mit Vehemenz für die Kultur und die Freiheit dieser Volksgruppe einsetzte. Deshalb wird er in diesem größten europäischen Land – obwohl oder gerade weil er eine sehr schillernde Persönlichkeit war – als Held mit Denkmälern und Straßenbenennungen verehrt, und in Österreich wie in Böhmen haben ihn, der in einem Stalin‘schen Folterkeller sein Leben ließ, sowohl der Film als auch die Musical-Szene als interessantes Sujet entdeckt. Die Ukrainische Freie Universität wiederum entstand am 17. Januar 1921 im Exil in Wien, weil im Juni 1919 die Rote Armee die junge ukrainische Freiheitsbewegung niedergeschlagen hatte, übersiedelte aber bald auf Einladung von Staatspräsident Tomás G. Masaryk nach Prag. Wie auch die Sudetendeutschen mußte sie die Böhmischen Länder nach dem Zweiten Weltkrieg verlassen und fand wie ein Großteil unserer Landsleute in Bayern Aufnahme. In München ansässig, unterhält sie enge Beziehungen zur Sudetendeutschen Volksgruppe und ihren führenden Repräsentanten. Vor diesem Hintergrund beobachten wir Sudetendeutschen besonders intensiv und mit großer Sorge, was sich derzeit in diesem wichtigsten Nachbarland der Europäischen Union und an dessen Ostgrenze vollzieht. Seit Wladimir Putin Ende letzten Jahres begonnen hat, 120 000 Mann aus Elite-Kampftruppen und schweres Kriegsgerät auf drei Seiten des ukrainischen Staatsgebietes in Stellung zu bringen, wird immer wieder vor einem „Rückfall in den Kalten Krieg“ gewarnt. Dabei ist es spätestens seit der völkerrechtswidrigen und gewaltsamen Annexion der Krim im März 2014 kein
Die Gefahr eines Krieges in Europa ist wieder real. Das Foto zeigt einen Nato-Soldaten auf einer Übung beim Abfeuern einer Panzerfaust. Kalter Krieg mehr, sondern ein heißer, in dem bereits Zehntausende Menschen gestorben sind. So richtig wurde mir dies vor einigen Jahren bewußt, als ich bei einer Adventsfeier im westukrainischen Lemberg – zur österreichischen Zeit Hauptstadt Galiziens – die Festrede hielt. Die beiden jungen Frauen, die die Versammlung leiteten, wußten an diesem Abend nicht, ob ihre Ehemänner zu Weihnach-
Mann seine militärische mit einer Propaganda-Offensive: Die Krim sei ur-russisches Territorium, wird da behauptet. Dabei war die Halbinsel eine koloniale Eroberung des zaristischen Rußland. Dessen Truppen zerstörten das 350 Jahre alte Khanat der Tataren und russifizierten die Region unter jenem Gouverneur Potemkin, der dort seine sprichwörtlichen Propagandadörfer errichtete. Dies geschah nur ein
Der ukrainische Premierminister Denys Shmyhal (links) bei einem Treffen mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg im Februar 2021. Foto: Nato ten wohl Fronturlaub bekommen würden. Selbstverständlich schwang dabei die tiefe Angst mit, sie könnten auch fallen. Was aber bezweckt wohl Putin mit dieser langfristig geplanten und geduldig vorangetriebenen Aggression? Neben geostrategischen und energiepolitischen Zielen verfolgt er auch solche, die tief an die Gefühlswelt seiner Landsleute und vor allem an seine eigene rühren: Eingliederung der Ukrainer, die von den wenigsten Russen als wirklich eigenständiges Volk angesehen werden, in die „Einheit der Ostslawen“; Zerstörung der Europäischen Union durch Zersplitterung; und Wiederherstellung einer Art von Sowjetunion, deren Ende vor dreißig Jahren der russische Herrscher als die „größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet hat. Wie immer begleitet der KGB-
paar Jahrzehnte, bevor Algier französisch wurde. Die teils gewaltsame, teils schleichende Vertreibung der tatarischen Bauern, die 1784 begann, fand unter Stalin eine besonders grausame Fortsetzung, der die Reste dieses Turkvolkes nach Zentralasien deportieren ließ. Erst in der Gorbatschow-Ära konnten die Tataren zurückkehren und machen wieder 17 Prozent in der alten Heimat aus. Solange die Krim eine autonome Region in der Ukraine mit einem eigenen Parlament war, verfügten alle Volksgruppen über Abgeordnete dort sowie über ein muttersprachliches Schulwesen. Die nach der Annexion 2014 von Putin eingesetzte Spitze, die das einst blühende Land gleichschaltete, war selbst für die Russen auf der Halbinsel nicht repräsentativ, sondern besaß bis dahin als Splittergruppe nur drei von 100
Regionalmandaten. Die Tataren werden nunmehr wieder brutal verfolgt, ihre Repräsentanten verschwinden oftmals spurlos. Viel zu wenig bekannt ist auch, daß der Zerfall der Sowjetunion 1991 – ich war damals an Ort und Stelle – dadurch erfolgte, daß Jelzins Rußland seinen Austritt aus der UdSSR erklärte, was deren Existenz beendete. Der Kreml erkannte in dieser dramatischen Wendezeit die territoriale Integrität der Ukraine einschließlich Krim und DonetskBecken in aller Form an und wiederholte dies in den Folgejahren mehrfach: In der OSZE-Charta von Paris, in den beiden Abkommen über die Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte in Sebastopol, vor allem aber im Memorandum von Budapest. Letzteres regelte die Abgabe jenes Großteils von sowjetischen Atomwaffen, der auf ukrainischem Gebiet verblieben war, und ihre Vernichtung. Als Gegenleistung verpflichteten sich alle Signatarmächte, darunter Rußland, feierlich, die Grenzen der Ukraine nicht nur zu respektieren, sondern zu garantieren und zu schützen – was Putin in zynischer Weise gebrochen hat. Zur Rechtfertigung werden von Moskau und seinen Lautsprechern im Westen die wildesten Legenden aufgetischt: Rußland müsse sich vor Einkreisung durch die Nato schützen; in Kiew regierten Faschisten; der Westen habe sich Anfang der 1990er Jahre verpflichtet, die Nato nicht weiter nach Osten auszudehnen; und die EU sei bestrebt, in aggressiver Weise neue Mitglieder zu werben. Nichts davon stimmt auch nur annähernd. Was die Einkreisung betrifft, muß man nur eine Landkarte betrachten: Die Russische Föderation reicht von Ostpreußen bis Wladiwostok, und nicht einmal China könnte das Land von allen Seiten bedrohen, geschweige denn die Nato, selbst wenn sie dies woll-
Foto: Nato
te. Die Ukraine hingegen ist von russischen Truppen umzingelt. Kiew ist zwar noch längst nicht die Hauptstadt einer perfekten Demokratie, doch die Maidan-Bewegung, die im Zeichen der Europafahne demonstrierte, hat einen Reformprozeß eingeleitet, der in enger Zusammenarbeit mit der EU eindrucksvolle Fortschritte macht, während sich die Putin-Diktatur in einer Rückwärtsentwicklung mit massiver Verfolgung der Opposition befindet. Aus Gesprächen mit führenden Zeitzeugen – allen voran Helmut Kohl und unserem Landsmann Hans „Johnny“ Klein, der mit dem Bundeskanzler im Kaukasus bei Gorbatschow war – weiß ich, daß ein Versprechen, die Nato nicht nach Osten auszudehnen, niemals gegeben wurde. Es wäre als Verabredung zu Lasten Dritter auch völkerrechtlich nichtig gewesen, denn jeder souveräne Staat genießt Bündnisfreiheit. Die Staats- und Regierungschefs der EU haben keinesfalls versucht, die Ukraine als Mitglied zu werben, sondern sie im Gegenteil weit von sich geschoben, bis sie das Europaparlament zu einem Minimum an Solidarität zwang. Nicht die Ukraine gefährdet die Existenz Rußlands, sondern Rußland die Existenz der Ukraine. Deshalb ist es abenteuerlich, wenn der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder, der sich in den Diensten des russischen Energieriesen Gazprom befindet, fordert, Deutschland und der Westen sollten das „Säbelrasseln der Ukraine“ stoppen. Ohne Solidarität mit Kiew läßt sich der Friede nicht wieder herstellen. Der von Helmut Schmidt und Helmut Kohl unterstützte Nato-Doppelbeschluß, gepaart mit Gesprächsbereitschaft, führte zur Freiheit und Einheit Europas und nicht die von manchen damals propagierte Bereitschaft, sich dem russischen Vorherrschaftsstreben zu beugen.