Sudetendeutsche Zeitung 11. Februar 2022 Ausgabe 6

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Sudetendeutsches Gespräch mit Hessens Beauftragter Margarete Ziegler-Raschdorf (Seite 3)

Sudetendeutsche Zeitung Die Zeitung der Sudetendeutschen Landsmannschaft

Reicenberger Zeitung 161. Jahrgang

HEIMATBOTE

Jahrgang 74 | Folge 6 | 2,80 EUR · 75 CZK | München,11. Februar 2022

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B 6543

� Demonstration vor dem Chinesischen Generalkonsulat

Olympische Spiele und Völkermord Zwei sudetendeutsche Menschenrechtler – Bernd Posselt, Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe und Mitglied des CSU-Parteivorstandes, und Margarete Bause, MdB a.D. und langjährige Vertreterin der Grünen im Sudetendeutschen Rat – haben bei einer Kundgebung von Uiguren und Tibetern gesprochen, die während der Eröffnungszeremonie für die Olympischen Spiele in Peking vor dem Chinesischen Generalkonsulat in München stattgefunden hat.

D Demonstration vor dem chinesischen Generalkonsulat in München (von links): Stephanie Waldburg (Paneuropa Union), Volksgruppensprecher und MdEP a.D. Bernd Posselt, Asgar Can, MdB a.D. Margarete Bause und Dolkun Isa mit weiteren Mitstreitern. Foto: Johannes Kijas

er Protest richtete sich gegen die schweren Menschenrechtsverletzungen des totalitären chinesischen Systems, das drei Millionen Uiguren in grausamen „Umerziehungslager“ gefangen hält, Tibet und Hongkong brutal unterdrückt und Tai-

wan existentiell bedroht. Auch die Versklavung weiter Teile der chinesischen Bevölkerung wurde angeprangert. Die Redner, zu denen auch die Hauptveranstalter, Dolkun Isa und Asgar Can vom in München ansässigen Uigurischen Weltkongreß, gehörten, forderten unter anderem einen diplomatischen Boykott der Olympischen Spiele durch die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten und den Rücktritt von IOC-Präsident Thomas Bach. Ein Regime, das Völkermord betreibe und den Frieden gefährde, stehe im krassen Gegensatz zur olympischen Idee, die genauso wenig teilbar sei wie die Menschenrechte. Der Kundgebung war ein Autokorso mit Fahnen und Transparenten von der Theresienwiese zum Generalkonsulat vorausgegangen.

� Verfassungsgericht in Brünn ordnet weitere Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Prag an

Endlich Gerechtigkeit für die Grenztoten am Eisernen Vorhang? Soll ausgebaut werden: Das Atomkraftwerk bei Dukowan.

� EU-Taxonomie

Grün für Atomkraft Kernenergie und Erdgas sind im Sinne der Taxonomie nachhaltig und können damit als „grüne Investion“ gefördert werden, hat die EU-Kommission entschieden.

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ährend in Deutschland diese Entscheidung von den führenden Politikern mit Blick auf den Doppelausstieg aus Kohle und Atomkraft kritisiert wurde, reagierte die tschechische Regierung mit Zustimmung. Umweltministerin Anna Hubáčková (KDU-ČSL) erklärte: „Ich freue mich, daß die Europäische Kommission unseren Forderungen im Wesentlichen Rechnung getragen hat. Wichtig und positiv ist, daß sowohl die Kernenergie als auch das Erdgas in der Taxonomie als nachhaltige Aktivitäten und Investitionen betrachtet werden, die für ein nachhaltiges Energiesystem notwendig sind.“ Die CO2-freie Kernenergie sei eine wichtige Säule des tschechischen Energiemixes und eine Grundvoraussetzung, um erneuerbare Energiequellen zu entwickeln und auszubauen. Für die tschechische Regierung ist die Entscheidung der EU-Kommission auch ein wichtiges Signal, um an den Plänen festzuhalten, die Atomkraftanlage bei Dukowan in Südmähren weiter auszubauen.

Mord verjährt nicht: Zwischen 1948 und 1989 wurden am Eisernen Vorhang mindestens 282 Menschen bei Fluchtversuchen von tschechischen Grenzsoldaten getötet, so die Behörde für die Dokumentation und Untersuchung der Verbrechen des Kommunismus (UDV) in Prag. Zwei Spitzenvertretern der früheren Tschechoslowakei droht jetzt doch die Anklage.

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ubomir Strougal und Vratislav Vajnar sind heute 97 beziehungsweise 91 Jahre alt. Strougal war in den 1960er Jahren Innenminister und verhinderte, daß Verbrechen der Sicherheitsorgane in den Jahren 1948 und 1949, darunter die Ermordung von drei politischen Gefangenen, aufgeklärt werden konnten. Von 1970 bis 1988 war Strougal dann Ministerpräsident der ČSSR und damit verantwortlich für den Schießbefehl an der Grenze. Vajnar war von 1983 bis 1988 Innenminister und damit ebenfalls verantwortlich für die Ermordung von Flüchtenden. Ende 2019 wurden Strougal, Vajnar und der 2020 verstorbene Miloš Jakeš, der ehemalige Generalsekretär des ZK der KPČ, in der Tschechischen Republik angeklagt. Im Mai 2021 entschied die Staatsanwaltschaft Prag jedoch, daß Strougal und Vajnar wegen psychischer Erkrankungen verhandlungsunfähig seien und ihnen deshalb nicht der Prozeß gemacht werden könne. Gleichzeitig stellte die Staatsanwaltschaft aber fest, daß Strougal und Vajnar für die Erschießungen am Eisernen Vorhang verantwortlich gewesen seien und daß beiden auch bewußt gewesen sei, daß die Ermordung

Wegen der Tötung von Flüchtenden am Eisernen Vorhang ermitteln Staatsanwälte in Deutschland und Tschechien gegen die hohen Kommunistenführer Lubomir Strougal und Vratislav Vajnar (rechts) Fotos: Wikipedia/ CC BY-SA 4.0 von Flüchtenden Unrecht ist. Sowohl Strougal als auch Vajnar hätten wissen müssen, so die Prager Staatsanwaltschaft, „daß der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte jedem Menschen das Recht auf Leben und das Recht, jedes Land, auch sein eigenes, frei zu verlassen, garantiert“. Das Verfassungsgericht Brünn widerrief die Entscheidung, die beiden Beschuldigten seien nicht verhandlungsfähig, im vergangenen Dezember und ordnete an, daß die Staatsanwaltschaft ihre

Ermittlungen wieder aufnehmen muß. Der Grund: Die Gutachten, die die Staatsanwaltschaft Prag als Entscheidungsgrundlage verwendet hatte, seien von Experten verfaßt worden, die nicht unabhängig gewesen seien. So stellte sich heraus, daß ein Gutachter zum einen Mitglied der Kommunistischen Partei war, zum anderen damals als Offizier bei einer Luftverteidigungseinheit mit Zugang zu streng geheimen Dokumenten gedient hatte. Auch der zweite Sachverständige hatte damals die entsprechen-

de Sicherheitsstufe und war damit Teil des kommunistischen Sicherheitsapparates. Das Verfassungsgericht erklärte, daß das Menschenrecht auf Leben zwangsläufig beinhaltet, daß bei Taten gegen das Leben staatliche Ermittlungen stattfinden müssen. „Das Recht auf eine wirksame Untersuchung gilt auch für Handlungen, die vor dem Inkrafttreten der Charta der Grundrechte und Grundfreiheiten begangen wurden.“ Der UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte war 1976 in

Kraft getreten, aber erst 1996 von der Tschechischen Republik ratifiziert worden. „Wenn die Strafverfolgungsbehörden nun solche Taten untersuchen, müssen sie nach den Grundsätzen einer wirksamen Untersuchung vorgehen, dies heißt unabhängig und unparteiisch, gründlich und ausreichend, unverzüglich und öffentlich, dies heißt unter öffentlicher Kontrolle und unter aktiver Beteiligung der Opfer“, schrieben die Brünner Verfassungsrichter den Prager Staatsanwälten ins Protokoll und stellten klar, daß „objektiv begründete Zweifel an der Unparteilichkeit der Gutachter ausgeschlossen sein“ müssen. Es ist daher nicht wünschenswert, so das Verfassungsgericht, „daß ein wichtiges Gutachten von einer Person erstellt wird, die zu diesem Zeitpunkt selbst bei den Streitkräften war, und zwar in einer Einheit, die für eine ähnliche Tätigkeit im Zusammenhang mit dem Schutz des Luftraums zuständig war“. Nachdem auch Bürger der damaligen DDR bei der Flucht von tschechischen Grenzern erschossen worden waren, ermittelt auch die deutsche Staatsanwaltschaft. Zuständig ist hier die Staatsanwaltschaft Weiden, die mit ihren tschechischen Kollegen eine Ermittlungsgruppe gegründet hat. Der zuständige Oberstaatsanwalt Christian Härtl: „Die Ermittlungen sind keineswegs abgeschlossen.“ Im Fokus der Staatsanwaltschaften stünden neben Strougal und Vajnar auch alle weiteren Personen, „die in der Befehlskette an den einzelnen Todesfällen beteiligt waren, bis hin zu den einzelnen Soldaten, die an der Grenze eingesetzt waren“. Torsten Fricke


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