
7 minute read
Eine Jadgszene aus den Pollauer Bergen
Wildentenjagd in den Pollauer Auwäldern! Immer wenn ich hierher komme, ist es mir, als käme ich nach Hause zurück, so vertraut umfängt mich diese Landschaft, die ich so sehr liebe.
Von den Hängen der Pollauer Berge grüßt das Bergdorf Pollau ins sonnige Land hinab, und seine alte, aus massiven, grauen Steinquadern erbaute Kirche wirkt wie eine Trutzburg. Am Fuße der Berge die Weindörfer Unter- und Oberwisternitz, dann Bergen eingeschmiegt in den Bergeinschnitt der Klause. Weiter der reiche Weinort Untertannowitz und verschwimmend im Dunst der Ferne die Türme von dem alten Städtchen Nikkolsburg. Wir aber kommen von Auspitz und schreiten rüstig aus. Es blühen die Weingärten, und ein feiner Duft nimmt uns auf. Da gedeihen der herbe Riesling, der rote und weiße Veltliner, dessen feine Blume, Buschbettel, man rühmt. Der süße Muskateller, der rote Burgunder, der blaue Portugieser und viele andere, deren guter Ruf Südmähren als Weinland bekannt gemacht hat. Die Wege, die durch die fruchtbaren, tauüberglänzten Felder und Rebgärten führen, überblüht von blauer Wegwarte. Vor sich der Blick auf die steil aufragende Silhouette der Pollauer Berge, die das freundschaftliche Landschaftsbild beherrschen. Die frischen Wiesen von bunten Farbflecken überschüttet, die üppig wuchern zwischen schlanken zitternden Gräsern, Kuckucksnelken, Hahnenfuß, Margariten und Wiesenglocken. Unter der blauen Himmelsglocke flimmert die Luft im Sonnenglast. Der Ruf der Unken und Frösche schwillt an, unterbrochen vom heiseren Schrei der Möwen, die zu Hunderten längs der Thaya hinstreichen und ihre Leiber in elegantem Flug im Sonnenlicht baden. Eine Wildentenmutter gleitet, ihre Jungen hinter sich herlokkend, ins schützende Schilf.
Advertisement
Der erste Schuß peitscht durch die Luft, und erschreckt steigt eine große Kette Wildenten auf. Dunkle Gesellen sehe ich zwischen ihnen. Das sind Wasserhühner und kleinere schnepfenartige Vögel mit spitz vorgestreckten, langen Schnäbeln, Bekassinen. Vielfältig und einzigartig ist die Tierwelt hier. Im hohen Schilf nistet die heimliche Rohrdommel, in den Lüften ziehen Seereiher mit weitausgespannten Flügeln majestätisch ihre Kreise. Selbst Störche, die im mährischen Raum selten sind, nisten da. Und zu Okuli streichen die Schnepfen übers Land. Wenn aber die ersten Novemberstürme das bunte Laub vor sich hinfegen, lassen sich die schöngezeichneten, silbergrauen Wildgänse in mächtigen Schwär- und mit Hunden und Kähnen wird nach verlorengegangenem Wild gesucht. Wir bleiben zum Abendanstand.
Der Himmel wird nun blässer, die Tierstimmen verstummen langsam, nur noch der Chor der Grillen beherrscht den Raum, den abendlichen Frieden nicht störend, ihn noch unterstreichend. Der hohe Schatten der Pollauer Berge mit den Ruinen seiner Burgen, der Maidenund der Rosenburg, zu denen ich so gerne hinblicke, wird länger. Noch mächtiger scheinen sie, die Stolzen, im fahlen Grau des hereinbrechenden Abends. Ruhe und Stille umfangen das Landschaftsbild, und ich sitze neben meinem aufhorchenden, jagdbereiten Mann und träume in den Frieden der schönen Natur hin- cherseits fest verwurzelt durch dreieinhalb Jahrhunderte mit Brünn, aber mütterlicherseits? Da finde ich, was ich ahnte! Der Urgroßvater herrschaftlicher Jäger in Südmähren! Und ich sinne in die Landschaft hinein: Hast du, Ahne, dieses Land so sehr geliebt, daß diese Liebe mit dir nicht sterben konnte, daß sie weiterleben mußte in einem, der einen Tropfen deines Blutes trug?
Still und versonnen treten wir den Heimweg an. Stärker ist in der Kühle der Nacht der Duft der blühenden Rebgärten, der uns umfängt. Ich sinne den alten Riednamen nach, die durch Generationen sich fortpflanzten, wie der letzte Hauch aus dem Munde der Menschen, die hier den Boden umbrachen, in der von Erdgeruch erfüllten Luft und genau so wie heute mit Schere und Blindschnur durch die Weingärten schritten. Sind die Schweißtropfen all dieser Menschen nicht zu den Rebperlen geworden?
Der Schriftsteller, Journalist, Publizist, Drehbuchautor und Herausgeber Friedrich Torberg (1908–1979) entstammte einer deutsch-jüdischen Prager Familie. Mit seinem Roman „Der Schüler Gerber“ katapultierte er sich in die legendäre Prager deutsche Dichterszene, 1933 wurde er verboten, 1940 emigrierte er in die USA, 1951 kehrte er nach Wien zurück. Hier eine Kostprobe aus seinem Buch „Die Tante Jolesch oder Der Untergang des Abendlandes“.
Sie ist 1932 gestorben, friedlich und schmerzlos, von Ärzten betreut, von der Familie umsorgt, zu Hause und im Bett – wie damals noch gestorben wurde (und wie es bald darauf so manchem ihrer Angehörigen nicht mehr vergönnt war).
Kurz vor dem Ende offenbarten sich ihr Charakter und ihre Lebensweisheit in einem letzten Ausspruch, mit dem sie das Geheimnis ihrer weithin berühmten Kochkunst preisgab – und zu dem eine in jeder Hinsicht passende Vor-Geschichte gehört.
Gleich allen wahren Köchinnen, die ihre Kunst im häuslichen Gehege ausüben – es wird von ihnen noch die Rede sein –, war auch die Tante Jolesch ausschließlich auf die Genußfreude und das Wohlbehagen derer bedacht, denen sie ihre makellos erlesenen Gerichte auftischte. Es sollte den anderen munden, nicht ihr. Sie selbst begnügte sich damit, ihren Hunger zu stillen. Als man sie einmal nach ihrer Lieblingsspeise fragte, wußte sie keine Antwort.
Jahrelang versuchte man der Tante Jolesch unter allen möglichen Listen und Tücken das Rezept ihrer unvergleichlichen Schöpfung herauszulocken. Umsonst. Sie gab‘s nicht her. Und da sie mit der Zeit sogar recht ungehalten wurde, wenn man auf sie eindrang, ließ man es bleiben. Und dann also nahte für die Tante Jolesch das Ende heran, ihre Uhr war abgelaufen, die Familie hatte sich um das Sterbelager versammelt, in die gedrückte Stille klangen murmelnde Gebete und verhaltenes Schluchzen, sonst nichts. Die Tante Jolesch lag reglos in den Kissen. Noch atmete sie. Da faßte sich ihre Lieblingsnichte Louise ein Herz und trat vor. Aus verschnürter Kehle, aber darum nicht minder dringlich kamen ihre Worte:

„Tante – ins Grab kannst du das Rezept ja doch nicht mitnehmen. Willst du es uns nicht hinterlassen? Willst du uns nicht endlich sagen, wieso deine Krautfleckerln immer so gut waren?“ men aus den gespenstisch geballten dunklen Wolkenfetzen zu oft wochenlanger Rast nieder. Von Wildenten hat man allein 15 verschiedene Arten gezählt.

Selbstverständlich dürfen der putzige Meister Lampe, der viel Äsung in den fruchtbaren Feldern findet, nebst Massen von Rebhühnern und Fasanen und das scheue Reh in den Auwäldern nicht vergessen werden. Auf den Hängen der Pollauer Berge äsen Rudel von Muffelwild, die, vor Jahrzehnten ausgesetzt, hier heimisch wurden, und das größere Dammwild mit seinen flachen Schaufeln. Als Polizist unter allen der listige Fuchs, der mit langer Rute abends heimlich durch die Sträucher streift. Die Tierlaute, die die Stille der Landschaft beherrschen, sind eine vertraute, liebgewordene Sprache für mich. Reich ist die Jagdstrecke, ein. Vor uns auf der Waldwiese purzeln und tollen zwei Hasenpärchen in verliebtem Spiel. Da teilen sich am gegenüberliegenden Waldrand die Sträucher. Eine Rehgeiß tritt auf hohen Läufen hinaus. Die Lauscher sichern, und in kurzem Abstand folgen zwei Kitze. Ruhig fängt sie nun zu äsen an.
Hinter uns fallen Wildenten patschend ins Wasser, dann wieder Stille. Immer mehr erlischt das fahle Licht. Da höre ich ein eigentümliches, leises Rauschen über unseren Köpfen. Ich blikke auf und sehe eine weiße Eule, die geheimnisvoll vorübergleitet. Nun wieder Ruhe. Warum liebe ich diesen Raum so sehr, daß es mir das Herz zusammenzieht? Fast mehr liebe als Brünn, meine Vaterstadt, wohin ich doch seit Urväterzeit gehöre?
Und einmal nehme ich mein Ahnenbuch und suche. Väterli-


Da liegen der Hasel- und Mosergrund, der Herrenhübl und der Fohwind, dort die Ganzlahn und Halblahn, der Liebling und der Minnichberg. Hier gehen wir am Treml und beim Langensatz vorbei, drüben liegen der Honneflont und die Sauleiten und weiter gehts am Rosenberg, Veiglberg, der Uneh, dem Holzbichl und den Sauröseln vorbei. Altes deutsches Land! Mein Sonnenlandl, wie ich es immer gerne nannte. Niemals werde ich es wiedersehn!
Fortgejagt und fortgetrieben von der verwurzelten Heimaterde. Deutsches Südmähren! Die, welche dich kannten, in deiner breiten, behaglichen Ruhe, du Land der jahrhundertealten deutschen Bauernhöfe, der ebenso alten, gepflegten Rebgärten und fruchtbaren Felder, vergessen dich nie. Ich grüße euch, Pollauer Berge, ihr Kronen des schönen Südmährerlandes. Wir haben euch eingebettet in unsere Herzen, die eine neue Heimat suchen müssen und finden wollen. Alice Zitka
Wäre es nach den Verehrern ihrer Kochkunst gegangen, dann hätte sie sich als Abschiedsmahl ihre eigenen Krautfleckerln zubereiten müssen, jene köstliche, aus kleingeschnittenen Teigbändern und kleingehacktem Kraut zurechtgebackene Mehlspeis, die je nachdem zum Süßlichen oder Pikanten hin nuanciert werden konnte: in der ungarischen Reichshälfte bestreute man sie mit Staubzucker, in der österreichischen mit Pfeffer und Salz. Krautflekkerln waren die berühmteste unter den Meisterkreationen der Tante Jolesch.
Wenn es ruchbar wurde, daß die Tante Jolesch für nächsten Sonntag Krautfleckerln plante – und es wurde unweigerlich ruchbar, es sprach sich unter der ganzen Verwandtschaft, wo immer sie hausen mochte, auf geheimnisvollen Wegen herum, nach Brünn und Prag und Wien und Budapest und (vielleicht mittels Buschtrommel) bis in die entlegensten Winkel der Puszta –, dann setzte aus allen Himmelsrichtungen ein Strom von Krautfleckerl-Liebhabern ein, die unterwegs nicht Speise noch Trank zu sich nahmen, denn ihren Hunger sparten sie sich für die Krautfleckerln auf, und den Durst löschte ihnen das Wasser, das ihnen in Vorahnung des kommenden Genusses im Mund zusammenlief. Und ein Genuß war‘s jedesmal aufs Neue, ein noch nie dagewesener Genuß.
Die Tante Jolesch richtete sich mit letzter Kraft ein wenig auf: „Weil ich nie genug gemacht hab …“ Sprach‘s, lächelte und verschied. Damit glaube ich alles berichtet zu haben, was ich zur Ehre ihres Andenkens zu berichten weiß. Ein kleiner Nachtrag noch, der diesem Andenken keinen Abbruch tun wird: Die Tante Jolesch war nicht schön. Zwar drückten sich Güte, Wärme und Klugheit in ihrem Gesicht zu deutlich aus, als daß sie häßlich gewirkt hätte, aber schön war sie nicht. Tanten ihrer Art waren überhaupt nicht schön. Ein Onkel meines Freundes Robert Pick hatte etwas so Häßliches zur Frau genommen, daß sein Neffe ihn eines Tags geradeheraus fragte: „Onkel, warum hast du die Tante Mathilde eigentlich geheiratet?“ Der Onkel dachte eine Weile nach, dann zuckte er die Achseln: „Sie war da“, sagte er entschuldigend.
Von solch exzessiver Häßlichkeit konnte bei der Tante Jolesch nun freilich keine Rede sein, und sie ihrerseits hat nach „schön“ oder „häßlich“ erst gar nicht gefragt, für sie fiel das unter den gleichen Begriff von „Narrischkeiten“ wie die Frage nach ihrer Lieblingsspeise. Sie war davon durchdrungen, daß man derlei Äußerlichkeiten nicht wichtig zu nehmen hatte, und wer das dennoch tat, setzte sich ihrem Tadel, wo nicht gar ihrer Verachtung aus.
Als einer ihrer Neffen auf Freiersfüßen ging und zum Lob seiner Auserwählten nichts weiter vorzubringen hatte als deren Schönheit, bedachte ihn die Tante Jolesch mit einer galligen Zurechtweisung: „Schön ist sie? No und? Schönheit kann man mit einer Hand zudecken!“
Nein, sie hielt nicht viel von Schönheit, bei Frauen nicht und schon gar nicht bei Männern. Und so schließe denn dieses Kapitel mit einem Ausspruch, der die Tante Jolesch nicht nur in sprachlicher Hinsicht auf dem Höhepunkt ihrer Formulierungskraft zeigt: „Was ein Mann schöner is wie ein Aff, is ein Luxus.“