Sudetendeutsche Zeitung Ausgabe 1+2 12. Januar 2024

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Beat-Club: Interview zum 80. mit Uschi Nerke-Petersen (Seite 3)

Sudetendeutsche Zeitung Die Zeitung der Sudetendeutschen Landsmannschaft

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Jahrgang 76 | Folge 1+2 | 2,80 EUR · 75 CZK | München, 12. Januar 2024

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Prag nach dem Amoklauf

In tiefer Trauer Stärke zeigen Das Leid ist nicht mit Worten zu beschreiben. 14 Menschen hat der 24-jährige David Kozak am 21. Dezember bei seinem Amoklauf in der Philosophischen Fakultät erschossen und 25 weitere zum Teil schwer verletzt, bevor der Massenmörder sich selbst richtete. Es war der schlimmste Schußwaffenangriff in der Geschichte der Tschechischen Republik. Davor hatte der Täter seinen eigenen Vater und einige Tage zuvor in einem Wald einen 32-jährigen Mann und dessen Tochter im Säuglingsalter ermordet.

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Nach dem Trauermarsch entzündeten Studenten und Professoren auf dem Platz vor der Philosophischen Fakultät ein Feuer, das in Gedenken der Opfer den ganzen Januar über brennen soll. Foto: Karlsuniverstiät/Vladimír

ach der offiziellen Staatstrauer organisierten Studenten der Karlsuniversität am Donnerstag vergangener Woche einen Trauermarsch, an dem Tausende von Menschen teilnahmen. Als symbolische Geste umarmte die Menschenkette die Fil-

da, wie die Philosophische Fakultät genannt wird. „Wir werden der Welt zeigen, daß der Haß nicht siegen wird und daß wir beabsichtigen, weiterzuleben und weiterzulernen. Wir werden nicht ignorieren, daß diese Tragödie geschehen ist, ganz im Gegenteil. Wir werden zeigen, daß wir stärker sind!“, heißt es in dem Aufruf zum Gedenkmarsch. Auf dem Platz vor dem Fakultätsgebäude wurde eine Flamme entzündet, die den ganzen Januar über brennen soll. Auch Volksgruppensprecher Bernd Posselt war nach dem Amoklauf zutiefst bestürzt: „Zuerst wütete der Täter zweimal in seinem engeren Umfeld, um dann an einer der berühmtesten Universitäten der Welt, der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Prager Karlsuniversität, ein Blutbad anzurichten, dem vor al-

lem junge Menschen und eine der besten Musikwissenschaftlerinnen des Landes zum Opfer fielen. Für uns als Kinder der Böhmischen Länder ist dieses Verbrechen wie ein Schuß ins Herz unserer eigenen Kultur und Geschichte sowie eine unmenschliche Attacke auf jene, die sich auf ein Leben vorbereiteten, das einer besseren Zukunft dienen sollte. Ich selbst war wie viele Landsleute oft Gast der Karlsuniversität, die sich seit dem Sturz des Kommunismus zu einem zentralen Ort des Dialoges und des wissenschaftlichen Austausches entwikkelt hat. Allen Studenten, dem Lehrkörper der Karlsuniversität und dem ganzen tschechischen Volk, vor allem aber den Angehörigen und Freunden der Opfer, gilt unser ganzes Mitgefühl.“

Leitartikel des Sprechers der Sudetendeutschen Volksgruppe, Bernd Posselt, zum neuen Jahr

Netzwerk des Friedens

74 . S U D E T E N D E U T S C H E R TAG 17 . B I S 19 . M A I 2 0 2 4 IN AUGSBURG

Sudetendeutsche und Tschechen – miteinander für Europa

Von Bernd Posselt, Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe

Der Krieg war niemals verschwunden, doch so sichtbar wie in den letzten Jahren war schon lange nicht mehr. DesHEIMATAUSGABEN er halb stellt sich die Frage nach IN DIESER ZEITUNG dem Frieden nicht nur in weltDie Zeitung der Sudetendeutschen Landsmannschaft weiten Dimensionen und in der großen Politik, sondern für jeden von uns. Die meisten großen Konflikte ringsumher haben auch mit unserer sudetendeutschen Geschichte zu tun. Der Angriffskrieg Rußlands gegen die Ukraine trifft ein Land, von dem wir viel früher als andere wußten, daß es einen zutiefst europäischen Charakter hat. Unsere Vorfahren lebten mit den heutigen Westukrainern, damals Ruthenen genannt, freundschaftlich im Kleineuropa der Habsburgermonarchie zusammen, trieben mit ihnen Handel, arbeiteten mit ihnen in derselben Verwaltung und denselben Fabriken und dienten mit ihnen in derselben Vielvölker-Armee demselben Kaiser.

renen Konflikt“ zwischen Armenien und Aserbaidschan zu einem heißen machte. Rußland ließ seinen bisherigen armenischen Verbündeten fallen und wechselte auf die Seite der Aserbaidschaner, was Putin sowohl die Sympathien des Iran und der Türkei als auch zusätzliche Ressourcen an Öl und Gas einbrachte. Mehr als 150 000 Armenier flohen in dieser für sie bedrohliVOLKSBOTE chen Situation aus dem zwischen den beiden kaukasischen Staaten umstrittenen Berg-Karabach, was uns als Volksgruppe sowohl an unser Vertreibungsschicksal erinnert als auch an unseren Landsmann Franz Werfel, der in seinem Werk „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ bereits vor hundert Jahren auf die Pest des Nationalismus und den Genozid am armenischen Volk hinwies. Die Geschwindigkeit, mit der die internationale Szene jetzt über diese brutale ethnische Säuberung hinwegsah, gibt dem verhängnisvollen Satz Adolf Hitlers bei der Vorbereitung der Schoah an den Juden – „Wer spricht heute noch von den Armeniern?“ – erneut eine dramatische Bedeutung für unsere Gegenwart. Dies erhärtete sich schon unmittelbar danach, am 7. Oktober, als die massenmörderische Terrororganisation Hamas in bisher nie da gewesener Weise die israelische Zivilbevölkerung überfiel, was binnen kurzem den nächsten Krieg auslöste. Er hängt sowohl mit dem Menschheitsverbrechen der Ermordung von sechs Millionen Juden, unter ihnen viele aus Böhmen, Mähren und Schlesien, zusammen als auch mit den dramatischen Szenen von Flucht und Vertreibung, die uns die Medien Tag für Tag aus dem Nahen Osten übermitteln, wo eine Friedenslösung weiter entfernt scheint denn je. Angesichts dessen ist es niemandem zu verübeln, wenn er zur Resignation neigt und sich auf den Standpunkt zurückzieht, man könne als Einzelner oder als

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Heimatzeitung des Weltkurortes Karlsbad/Sudetenland – Stadt- und Landkreis Mitteilungsblatt desvereinigt Heimatverbandes e. V.und Landkreis Heimatzeitung des Weltkurortes Karlsbad/Sudetenland – Stadtmitder Karlsbader

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er jetzt im prachtvollen Musikvereinssaal in Wien dem weltberühmten Neujahrskonzert der dortigen Philharmoniker lauschte, war sich wahrscheinlich kaum der Tatsache bewußt, daß er sich genau in der Mitte zwischen der Hauptstadt des westlichsten österreichischen Bundeslandes, dem vorarlbergerischen Bregenz, und dem ukrainischen Lemberg befand, das wie eine Schwesterstadt der Donaumetropole wirkt und zum selben Zeitpunkt mit Hunderten von Raketen beschossen wurde. Die Aggression Putins gilt allen Europäern, und nicht bloß jenen, die gar nicht so weit östlich von uns leben. Nur kurz waren die Scheinwerfer der Weltöffentlichkeit Ende letzten Jahres auf den Südkaukasus gerichtet, wo der Kreml über Nacht den so genannten „gefro-

kleine Gruppe ohnehin nichts am Lauf der Welt ändern. Das Gegenteil ist aber der Fall! Frieden kann man weder befehlen noch erkaufen, sondern, wie ein schöner Ausdruck in der deutschen Sprache lautet, nur „stiften“. Wie bei einer Spendenaktion gibt der eine eine große, der andere eine kleine Summe, verfügt der eine über erhebliche Mittel und der andere nur über winzige. Doch schon in der Heiligen Schrift wird klar gesagt, daß das Scherflein der Witwe mehr wiegt als die reiche Gabe des Wohlhabenden. Eltern, die ihre Kinder zu einem friedlichen, den Egoismus so weit wie möglich überwindenden Leben erziehen, können damit mehr bewegen als gut formulierte Verträge und Manifeste. Nachbarn und Kollegen, Gemeinschaften und Volksgruppen, die Brücken zueinander schlagen, selbst wenn es schwerfällt, leisten damit Wesentliches auch für das größere Ganze, das aus vielen kleinen Bauelementen zusammengesetzt ist. Der längst verstorbene Erzbischof von Königgrätz, der unvergessene Karel Otčenásek, nannte sein Werk über den Widerstand vieler einzelner Christen gegen den totalitären Kommunismus, das voller Zeitzeugenberichte ist, mit Recht „Mosaiksteine“. Frieden und Freiheit müssen im Alltag erkämpft werden. Wie Papst Franziskus jetzt zum Weltfriedenstag sagte, ist Frieden harte Arbeit. Dieser Arbeit hat sich unsere Volksgruppe bereits unmittelbar nach der Vertreibung angenommen, als die Betten in der Heimat noch warm und viele von unseren Älteren in den Aufnahmegebieten noch in Lager gepfercht waren. Diesen Weg müssen wir entsprechend den Möglichkeiten unserer Zeit im 21. Jahrhundert konsequent weitergehen. Gerade weil unsere Erlebnisgenerati-

on nach dem Zweiten Weltkrieg auf sich selbst gestellt war und irgendwie die schlimmste Not überdauern mußte, hat sie ein sudetendeutsches Netzwerk geschaffen, das unsere Landsmannschaft, unseren Heiligenhof, die Gesinnungsgemeinschaften sowie die Heimat- und Kulturgruppen umfaßt. Fast 80 Jahre nach 1946 bestehen sie nach wie vor, halten zusammen und treiben sowohl inhaltlich als auch personell immer wieder neue Früchte und Blüten. Das ist das allseits bestaunte sudetendeutsche Wunder. Unsere Stärke wird nie mehr die Masse sein, aber das erfolgreiche Netzwerken haben wir gelernt, von Generation zu Generation weitergegeben und immer wirksamer entwickelt. Es umfaßt heute auch weite Teile der tschechischen Gesellschaft einschließlich dortiger Politiker in den verschiedensten Parteien. Schönster Ausdruck dessen waren im vergangenen Jahr der Besuch des Ministerpräsidenten Petr Fiala bei der Bayerisch-Tschechischen Landesausstellung in Regensburg sowie die Rede des früheren Europa- und jetzigen Bildungsministers Mikuláš Bek am Sudetendeutschen Tag. Übertroffen wurde dies noch durch den unglaublichen Mut, mit dem der neue tschechische Staatspräsident Petr Pavel bei den Bayerisch-Tschechischen Freundschaftswochen in Selb die Verdienste der Sudetendeutschen um Verständigung und Versöhnung in den Mittelpunkt seiner Ausführungen rückte und wenig später beim Besuch der KZ-Gedenkstätte Theresienstadt ohne Relativierung auch die Vertreibungsverbrechen von tschechischer Seite ansprach. Er ging damit weit über seinen ebenfalls sehr mutigen Vorgänger Václav Havel hinaus, der aber in seiner Zeit von den politischen Kräften alleingelassen wurde, weshalb die Eiszeit mit den Präsidenten Václav Klaus und Miloš

Zeman folgte, die jetzt erst zu Ende geht. Aber auch in den 20 Jahren zwischen Havel und Pavel hat sich unglaublich viel bei Tschechen, Deutschen und Sudetendeutschen bewegt. Man könnte und sollte mittlerweile ganze Bücher mit dem füllen, was durch die immer engere sudetendeutsch-tschechische Zusammenarbeit gerade auch in den vielen Jahren erreicht wurde, in denen uns der Wind des Nationalismus und des Populismus ins Gesicht blies. Grund dafür war das grenzüberschreitende Netzwerk, das wir mit tschechischen und deutschen Landsleuten in der Tschechischen Republik aufgebaut haben – durch unzählige Aufenthalte unserer Führungspersönlichkeiten und Aktivisten in den Böhmischen Ländern, durch die Begegnungszentren, durch die Zusammenarbeit auf regionaler und lokaler Ebene, durch unser Prager Büro, vor allem aber durch jeden einzelnen Landsmann, sei er tschechischer oder deutscher Muttersprache, der sich eingesetzt hat. Das Netzwerk ist die zeitgemäße Gestaltungsform des 21. Jahrhunderts. Es braucht feste Punkte, die durch gut gesponnene und geknüpfte Fäden miteinander verbunden sind. Die Zeiten, in denen man zwischen der unteren und der oberen Ebene unterschieden hat – die eine sei hoffnungsvoll, die andere leider illusionistisch – sind Gott sei Dank vorbei. Die systematische Zusammenarbeit an der Spitze wird in den nächsten Jahren noch manchen Rückschlag erleiden, ist aber hoffentlich nicht mehr umzukehren. Sie wird umso stärker sein, je fester und haltbarer das Netzwerk der Einzelnen und der kleinen Gruppen ist. Die nächsten Jahre bieten uns völlig neuartige Chancen zu einem Netzwerk des Friedens, die aber nur in Erfüllung gehen, wenn wir sie beherzt nutzen.


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