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Von Sternen und Höfen - Wo es besonders gut schmeckt
Hier isst man gut. So heißt es nicht nur, so ist es auch. Von der Sterneküche bis zum Bauerngasthaus –in und um Brixen und Klausen floriert eine spannende Alpenküche, die Altes schätzt und Neues ausprobiert.
Text — LENZ KOPPELSTÄTTER Fotos — CAROLINE RENZLER
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Als das Jahr 2006 sich dem Ende neigte, der Winter jedoch noch nicht kommen wollte – draußen war es noch spätsommerlich warm –, da bekam MARTIN OBERMARZONER seinen ersten Stern. Bald wusste seine gesamte Heimatstadt Klausen davon, nur er selbst wusste nichts. „Herzlichen Glückwunsch“, schrieb jemand via SMS. Was das solle, dachte sich der junge Koch, er habe doch erst in einigen Tagen Geburtstag. Als sein Vater etwas verärgert nach Hause kam, dämmerte es ihm allmählich. Der Vater polterte. Warum habe er ihm nichts vom Stern erzählt? Er sei beim Bürgermeister gewesen, habe etwas wegen der Feuerwehr klären müssen. Die ganze Stadt habe ihm gratuliert. Dann erst las der Sohn von der Auszeichnung in den Zeitungen.
Schon als kleines Kind spielte Martin Obermarzoner mit den Pfannen in der Küche des elterlichen Betriebs in Klausen, im Hotel Bischofhof. Direkt am Hang, mit Blick auf das idyllische Städtchen und das sonnenbeleuchtete Kloster Säben. Koch wollte er werden, damals schon. „Etwas anderes kam für mich nie in Frage“, sagt er heute und bestellt sich noch einen Espresso. Es ist sein dritter. Es ist zehn Uhr morgens. Er ging in die Welt hinaus, lernte bei Sterneköchen, sagte sich: Das will ich auch. „Von da an waren die Sterne mein Ziel. Wenn man sich Ziele setzt, dann sollen es doch die höchsten sein, oder?“ Noch einen Schluck Espresso. 2011 folgte der zweite Stern.
Rein in die Küche. Radio an. Gemeinsam mit seiner Frau Marlis betreibt Martin Obermarzoner heute das Hotel in dritter Generation – und zusätzlich das Jasmin, sein kleines, aber feines Gourmetrestaurant. Fünf, sechs Tische. Höchste Kochkunst. Er macht in der Küche meistens alles selbst. Spinatzupfen sei für ihn wie Meditation, sagt er. „Ich will meinen Gästen die weltweit besten Produkte bieten“, so erklärt er seine Philosophie. „Wenn ich diese vor der Haustür finde – umso besser. Und ich will möglichst alles verwerten.“ Kräuter und Gemüse holt er aus dem Garten, Zwetschgen und Quitten von den Bäumen hinterm Haus. Immer wieder geht er mit seiner Frau und Hund Knuddel in den Wald – Tannenzapfen suchen. Er stellt sich an den Herd. Zaubert einen Salat vom Wintergemüse mit Rücken vom iberischen Pata-Negra-Schwein und Kräutern, Kresse und Blüten. Dann einen Risotto mit Tannensprossenbutter und roten Garnelen.
Martin Obermarzoner verzaubert seine Gäste im Klausner Zweisternerestaurant Jasmin auf allerhöchstem kulinarischem Niveau. Doch Südtirol macht aus, dass eine breite Vielfalt an Gasthäusern, vom Gourmetlokal bis zur Bauernstube, exzellente Küche bieten. Da ist für jeden etwas dabei. Die Region zwischen Brenner und Salurn ist in den vergangenen Jahrzehnten kulinarisch durchgestartet.
Dabei war einst alles ganz anders. Dieses Stück Land zwischen den Bergen bot kulinarisch vornehmlich zähe Bauernkost. Südtirol war das Land der Arme-Leute-Küche, wo immer wieder Knödel und Kartoffeln als Tagesgerichte herhalten mussten. Tempi passati! Längst haben sich mediterrane, alpin-bäuerliche und habsburgische Küche gegenseitig beeinflusst, längst hat eine Generation junger, weltoffener Köche die Geschmäcker Tirols neu entdeckt, das Gute der einfachen Küche zu zelebrieren gelernt, neu variiert und mit spannenden, manchmal auch internationalen, Einflüssen bereichert.
Köche wie etwa ALEXANDER THALER vom Restaurant Sunnegg oberhalb von Brixen. Der Name des Gasthauses kommt nicht von ungefähr. Heiß brennt die Sonne auf die Terrasse hinab, wo Thaler gerade die Tische sauberwischt. Der Blick reicht hinunter auf die Bischofsstadt und zum Kloster Neustift. Stolz breitet ein Feigenbaum sein Geäst aus und präsentiert seine reifen Früchte. Thaler führt wie Obermarzoner das Haus in dritter Generation, sein Großvater hatte es in den 1950er-Jahren erstanden.
Auch Thaler ist viel herumgekommen. Er hat mit Roland Trettl im legendären Restaurant Ikarus im Hangar-7 in Salzburg gekocht, er hat bei italienischen Fernsehshows mitgemacht. „Die Arbeit des Kochs hat mich immer fasziniert“, sagt er und seine Augen leuchten dabei, „denn sie ist kreativ und spannend.“ Irgendwann hat es ihn wieder nach Hause zurück gezogen – wie so viele Südtiroler. Und er wollte hier umsetzen, was er kulinarisch in der großen, weiten Welt aufgesaugt hat.
Das Sunnegg ist umsäumt von Weinreben und Wald, in der Küche dampft es, feine Gerüche vermischen sich. Lenny Kravitz singt im Radio. Thaler singt mit, während er Zwiebeln hackt. Er bereitet ein Tatar vor, vom einheimischen Jungrind, klassisch, mit Butter und Toastbrot. Von überallher kommen die Gäste – Südtiroler wie Touristen –, um es zu genießen. „Gute, ehrliche Küche und traditionelle Orte“, sagt der junge Koch, während er in der Stube noch einmal das Besteck zurechtrückt, „ich liebe diese Kombination.“ Die Stuben sind mit altem Stadelholz vertäfelt, Kachelöfen stehen darin, auch SchwarzWeiß-Fotos der Groß- und Urgroßeltern. Im kleinen Keller stellt Thaler Wein selbst her. Sylvaner, Kerner, Zweigelt, typisch Eisacktal.
Thaler und sein Restaurant sind Teil der Initiative „Südtiroler Gasthaus“: 34 familiengeführte Gasthäuser, die sich der Pflege und Wiederentdeckung der traditionellen Südtiroler Küche sowie der Verwendung heimischer und saisonaler Produkte verschrieben haben. Thaler betreibt einen eigenen Kräutergarten, auch Zucchini, Tomaten und vieles mehr kultiviert er selbst. Das Fleisch kommt aus Südtirol, vom einheimischen Metzger. Wie viele seiner Kollegen bezieht er weitere Produkte aus der Umgebung, zum Beispiel von den Gärten des Aspinger-Hofs in Barbian, der über 500 beinahe vergessene Obst- und Gemüsesorten anbaut. „Ich muss kein Känguru kochen, ich brauche keinen Wein aus Neuseeland“, sagt Thaler, während er das Tatar serviert. „Wir achten auf regionale Kreisläufe, auf saisonale Küche.“
Thaler und viele seiner Kochkollegen bauen auf neue Ansätze, sie wollen jedoch die kulinarische Welt nicht neu erfinden. Sie wollen kochen wie früher – aber mit dem Augenmerk auf einer passenden Mischung aus Tradition und Moderne. Das gute Alte nicht vergessen, sich dem Neuen nicht verwehren.
PAUL HUBER setzte sich genau das zum Ziel, als er sich entschied, den Buschenschank seiner Eltern weiterzuführen. „Die Entscheidung war nicht einfach, es steckte viel Arbeit dahinter“, erzählt er und schenkt in der 250 Jahre alten Stube seines Griesserhofs in Vahrn nördlich von Brixen ein Glas Eigenbau-Sylvaner ein, „aber ich wusste, wenn ich das mache, dann richtig.“ Buschenschänke sind Bauernstuben mit Gastbetrieb, sie bieten hauptsächlich hofeigene Produkte an. „Die Stube ist der Lebensmittelpunkt der bäuerlichen Familie“, sagt Huber. Was hat sie nicht alles schon gesehen? Was wird sie nicht noch alles erleben? Am Nachbartisch bestellt ein junges Pärchen Coca-Cola. Der geschnitzte Jesus am Kreuz schaut grimmig vom Herrgottswinkel herab. Huber grinst gutmütig. „Cola gibt es nicht“, sagt er und serviert selbstgemachten Traubensaft.
1192 wurde der Griesserhof erstmals urkundlich erwähnt. Der Wirt erinnert sich, wie er als Kind seinen Großvater mit dem Handkarren hinunter nach Brixen begleitete, um Brot, Butter und Speck zu verkaufen. In den 1980er-Jahren wurden die einst im Eisacktal gewachsene Tradition des Törggelen und das Prinzip Buschenschank mitunter verwässert. „Wir wollen wieder zum Ursprung zurück“, sagt Huber. Er serviert Schlutzer, die weich auf der Zunge zergehen. Sie schmecken, wie sie an diesem Hof schon vor hundert Jahren geschmeckt haben, wie sie hoffentlich in hundert Jahren noch schmecken werden. Jedes Gericht erzählt die kulinarische Geschichte eines Mikrokosmos. Und das junge Pärchen vom Nachbartisch bestellt noch zwei Gläser Traubensaft.
Ursprung und Zukunft. Der ewige Kreislauf der Küche. In Klausen ist es Abend geworden, das Jasmin füllt sich. „Früher wollte ich total verrückt kochen“, sagt Martin Obermarzoner, schwenkt die Pfannen und lacht. „Da war sicher auch viel jugendlicher Übermut dabei. Heute habe ich Lust auf Einfachheit. Aber eines bleibt wichtig: Das Gericht muss beim Gast Emotionen wecken.“ Sagt es und schickt den „Gruß aus der Küche“ an die ersten Gäste raus. Mit dabei: ein kleines Schälchen vorzüglichster Gerstensuppe.
Paul Huber serviert Schlutzer, die weich auf der Zunge zergehen. Sie schmecken, wie sie an diesem Hof schon vor hundert Jahren geschmeckt haben, wie sie hoffentlich in hundert Jahren noch schmecken werden.