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Ein Tag mit … dem Holzschnitzer Felix Fischnaller
Eigentlich ist Felix Fischnaller Bauer am Talrasterhof – doch seine große Leidenschaft ist das Schnitzen. Unterwegs mit einem, der vom Holz nicht genug kriegen kann.
Text — MATTHIAS MAYR Fotos — MICHAEL PEZZEI
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5:00 Uhr
Im Talrasterhof klingelt der Wecker. Felix Fischnaller muss in den Stall, die zehn Ochsen füttern, nach den vier Eseln schauen, den Hasen, Hühnern und Enten. Das frühe Aufstehen macht Fischnaller nichts. Wenn er auswärts arbeitet, muss er sogar noch früher raus, da sitzt er um fünf Uhr schon im Auto. Nach dem Frühstück kann er sich endlich seiner Liebe widmen: dem Holz.
Felix Fischnaller bewohnt mit seiner Frau Marlene und drei gemeinsamen Töchtern den Talrasterhof im Schalderer Tal oberhalb von Vahrn. Gemeinsam mit seiner Familie kümmert er sich um die Tiere am Hof, noch lieber aber ist er in seiner Werkstatt.
6:56 Uhr
Spätestens um sieben Uhr steht Fischnaller in seiner Werkstatt, ist auswärts bei der Arbeit oder geht in den Wald auf der Suche nach einem guten Stück Holz. Heute hat er einen alten Stamm vorbereitet. Wohl um die 200 Jahre alt war die „Zirm“ – wie in Südtirol die Zirbelkiefer genannt wird –, als sie gefällt wurde. Zehn Jahre lang hat Fischnaller sie im Wald liegen lassen, den Elementen ausgeliefert, vor sich hin rottend, von Insekten besiedelt. „Früher hat man mich schief angesehen, wenn ich das Holz jahrelang im Wald sich selbst überlassen habe“, sagt der Schnitzer. Statt sich makellos zu präsentieren, erfährt der Stamm dadurch eine Veränderung, wandelt sich, wird einzigartig. Heute sind die missgestalteten, zerfressenen Hölzer Fischnallers Markenzeichen. Schöne, gerade gewachsene Bäume haben Fischnaller nie interessiert, die alten, schiefen Stämme und Äste haben es ihm angetan. „Man merkt, ob das Holz eine harte Jugend hatte“, sagt er schmunzelnd. Mit dem Blick des Kenners mustert Fischnaller den Stamm und versucht zu verstehen, was man am besten daraus machen könnte. „Man kann dem Holz seinen Willen nicht aufzwingen“, sagt er, „es verhält sich nicht, wie man will.“ Fischnaller ist gelernter Zimmerer, arbeitete 13 Jahre lang als Montagetischler und danach 16 Jahre als Gabelstaplerfahrer. In seiner Freizeit begann er, Tische und Bänke zu tischlern, und mit der Zeit wurden die Anfragen immer mehr. Seit rund drei Jahren ist er selbstständig.
8:38 Uhr
Fischnaller beschließt, dass aus dem Stamm eine Sitzbank werden soll. Er begutachtet das Holz, klopft ein bisschen darauf herum und lauscht dem Klang. Dann zeichnet er die Umrisse der Bank ein und schneidet die Form mit der Motorsäge grob zu. Mit einem Zapin, einer Art Enterhaken, mit dem Holzfäller und Flößer Baumstämme bewegen, bricht er einen großen Brocken heraus. Zum Vorschein kommt das Innere des Stammes, halb vermodert und von Käferlarven zerfressen. Ein Unkundiger mag bei diesem Anblick erschrecken. Daraus soll ein Möbelstück werden? Fischnaller grinst nur – und macht sich an die Arbeit.
10:10 Uhr
Mit einer alten Dechsel, einem Querbeil, höhlt Fischnaller den Stamm aus. Er entfernt das morsche Innere, inklusive eines verlassenen Wespennests, und bald verbreitet sich aromatischer Zirbenduft. Die Dechsel hat er in einer alten Werkstatt gefunden. Er schwört auf das in die Jahre gekommene Gerät, die neuen seien nichts wert, „die kannst du höchstens jemandem nachschmeißen!“ Ganz ohne moderne Technik geht es aber nicht. Beim Grobzuschnitt des Baumstammes kommen verschiedene Motorsägen zum Einsatz, in der Werkstatt stehen allerhand Maschinen, eine Bandsäge, ein elektrischer Hobel.
Aber das beste Werkzeug sind dann doch die eigenen Hände. Mit Schwung vergräbt Fischnaller sie im Holz, um die Späne wegzuputzen, man mag sich gar nicht die Zahl der Splitter vorstellen, die er sich in seine Hände rammt. Aber Handschuhe sind keine Option. „Ich muss das Holz spüren“, sagt er. Auch mit dem Zollstock hält er sich selten auf, meist arbeitet er nach Augenmaß: „Mein Auge ist genauer als der Meterstab.“
12:05 Uhr
Nach und nach hat er den Stamm ausgehöhlt, die Astansätze werden sichtbar, die von außen nach innen in den Stamm ragen und dem Werkstück Charakter verleihen. Fischnaller hat die Dechsel weggelegt, mit dem Schnitzmesser macht er sich an die Feinarbeit. Das Zirbenholz ist so weich und dank des enthaltenen Öls so geschmeidig, dass er das Schnitzmesser statt mit dem Hammer mit leichten Faustschlägen ins Holz treibt.
Span für Span trägt er das überschüssige Holz ab, bis die Bank langsam die Form annimmt, die er sich vorgestellt hat. Nicht immer kommt das raus, was man eigentlich wollte. „Ich probiere eben“, sagt er, „ich kann ohnehin keine Ruhe geben.“
Geerbt hat Fischnaller die Faszination fürs Holz wohl von seinem Vater, den er schon früh verloren hatte. „Der war am liebsten im Wald“, erzählt der Sohn. Gemeinsam suchten sie die richtige „Zirm“ aus, um daraus Schlitten zu bauen. Keine Kinderschlitten, sondern die großen Hornschlitten, mit denen die Bauern im Winter das Heu von den Almen ins Tal brachten. Heute fertigt Fischnaller Liegestühle und Tischgarnituren, Zäune, Spielzeug, Schaukeln und Gartenhäuser. Aber auch mal einen Nachttisch aus einem Baumstamm, Dekoratives oder einen überdimensionalen Käselaib aus Holz für eine Sennerei.
Ein Teil des Holzes stammt aus dem eigenen Wald, manchmal kauft er aber auch größere Tranchen ungeschnittenes Brennmaterial, da sind oft gute Stücke dabei. Überall um die Werkstatt herum stehen große Holzhaufen, zum Teil schon jahrelang. Zu Fischnallers Rohware gehört auch das Altholz eines Heustadels aus dem Jahr 1749 – mehr als ein Vierteljahrtausend alt, aber immer noch in einem exzellenten Zustand. Holz mit Persönlichkeit eben – und diese Persönlichkeit will er bewahren.
13:55 Uhr
Eigentlich wäre es jetzt höchste Zeit für eine Mittagspause, aber Fischnaller will weitermachen. Das Holz hält ihn in seinem Bann. Oft kommt seine Frau vorbei und bringt eine Marende mit, den typischen Südtiroler Imbiss. Gegessen wird vor der Werkstatt auf einem kleinen Tischchen mit traumhafter Aussicht ins Tal mit der Dorfkirche, aber auch auf die etwas weiter entfernten Geislerspitzen. Heute lässt Fischnaller die Marende mit Panoramablick aus. „Marlene schimpft deshalb schon manchmal“, sagt er. Aber sie weiß wohl auch, dass sie ihn nicht mehr ändern wird können.
Das Leben als Bauer und als Schnitzer, das kann manchmal ganz schön viel werden. Aber aufgeben will Fischnaller den Talrasterhof auf keinen Fall. „Ich hänge am Hof “, sagt er. Er hat ihn 1998 übernommen und seitdem aufwendig renoviert. „Der Hof stammt aus der Zeit um 1500, es ist meine Pflicht, ihn weiterzuführen.“ Nicht zuletzt, weil er darauf vertraut, dass eine der Töchter selbst einmal Talraster-Bäuerin werden wird. Die Kombination aus Hof und Holz sichert das Auskommen.
16:20 Uhr
Vera, die jüngste der drei Töchter, kommt nach der Schule bei ihm in der Werkstatt vorbei. Die Elfjährige nimmt sich ein Stück Holz und ein Schnitzmesser, setzt sich in eine Ecke, fängt an zu basteln und vergisst darüber die Zeit. „Ich vergesse beinahe, dass sie da ist“, sagt ihr Vater. Der Vera hat er seine Leidenschaft für Holz am offensichtlichsten vererbt, doch auch die anderen beiden Töchter, 18 und 20 Jahre alt, sind praktisch veranlagt.
18:30 Uhr
Ein paar Stunden hat Fischnaller noch zu tun, bis die Holzbank fertig ist. So, wie er sie haben will. Zwischendurch macht er eine Runde in den Wald und sucht Stämme und Äste für seine Arbeiten. Auf dem Hof wird er tagsüber nicht gebraucht. Die Milchwirtschaft hat er aufgegeben, obwohl er 2004 den Jungbergbauernpreis bekommen hatte und eine Auszeichnung für die beste Milch Südtirols. Die Ochsen für die Fleischproduktion sind im Sommer auf der Alm und machen im Winter nur wenig Arbeit. Ebensowenig die Forellen, die Fischnaller in einem kleinen Teich züchtet.
21:05 Uhr
Meist gegen neun oder zehn Uhr abends endet Fischnallers Tag. Seine Frau hat in der Zwischenzeit den Stall ausgemistet, das Vieh versorgt und das Abendessen zubereitet. Gemeinsam lassen die beiden den Tag ausklingen, der bei Fischnaller früher sogar noch länger dauerte, fast bis Mitternacht. „Aber da bekam ich dann nichts mehr zu essen“, sagt er mit einem Grinsen im Gesicht.
Also lässt er es ein wenig ruhiger angehen. So wie ein Baum seine Zeit zum Wachsen und zum Reifen im Wald braucht, braucht auch der Mensch ab und an Erholung. Das sah er früher nicht so. Heute schon. „Ich werde älter, das spüre ich schon“, sagt er. Aber noch findet man Felix Fischnaller jeden Tag in seiner Werkstatt am Talrasterhof in Schalders. Weil er ja doch nicht lange Ruhe geben kann.
Das Bergdorf Schalders liegt 1 035 Meter über dem Meer und hat knapp 300 Einwohner. Man erreicht das Dorf über eine schmale Straße vom Hauptort Vahrn aus. Besonders sehenswert ist die im Jahr 1436 geweihte Pfarrkirche zum Heiligen Wolfgang. Von Schalders aus starten zahlreiche Wanderwege, am Talbach entlang geht es etwa zu den schönen Schrüttenseen.