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Buch
«Kino bedeutet für mich Freude»
Ich warte noch auf den Bescheid von der IV, deshalb weiss ich noch nicht, was ich mir genau leisten kann. Ein Kino-Eintritt liegt aber drin. Ich habe auch einen Job im Wohn- und Bürozentrum für Körperbehinderte WBZ Reinach und bekomme Sozialhilfe. Vor den Weihnachtsferien war ich mit meinen Eltern und Geschwistern in «Die Eiskönigin 2». Ich mag Komödien und Liebesgeschichten. Feel Good Movies eben: Kino bedeutet für mich, Freude zu haben. Am meisten fehlt mir der Austausch mit anderen, die Veranstaltung spielt keine grosse Rolle. Es wäre bereits toll, mal mit jemandem in die Stadt zu gehen oder einen Kaffee zu trinken. Ich habe im Surprise Strassenchor nun meinen ersten Schnuppertag. Der Chor ist auch ein Netzwerk. Theater, Konzertveranstalter und andere Kulturhäuser schenken den Mitgliedern immer wieder Billette. Hier sehe ich eine Chance, mit anderen irgendwohin zu gehen. SONIA SEET, (32) singt vielleicht bald im Surprise Strassenchor.
meinsam etwas auf die Beine gestellt wird. «Solche Angebote haben teils selber gröbere Finanzierungsprobleme oder ihnen ist die Kulturlegi nicht bekannt», sagt Nold. Sie werden zwischen den Fördertöpfen hinund hergeschoben. «Darum sind hier Preisreduktionen schwierig zu realisieren und geschehen auf Kosten der Kulturschaffenden, die oft selbst am Existenzminimum leben und eine Kulturlegi haben.» Partizipative Projekte stehen zwar bei der Kulturförderung hoch im Kurs, und Kultur wird zu Recht als Instrument der Sozialpolitik hochgehalten. Wenn aber Kulturschaffende bei solchen Projekten auf Einnahmen verzichten, damit auch ärmere Bevölkerungsteile teilhaben können, werden Sozialkosten auf die Kulturanbieter abgewälzt. Und genau das ist der Knackpunkt: Kultur- und Sozialpolitik sind eng miteinander verzahnt und verfügen beide über wenig Mittel und Lobbys. Eine Patt-Situation – aber eine, die zeigt, dass zumindest die Solidarität noch nicht zum Luxusgut geworden ist.
Buch Ein Bilderbuch aus Kolumbien erzählt von Tod, Verlust und Trauer, vom Stillstand der Zeit und davon, wie das Leben weitergeht.
Seit es Uhren gibt, sind diese ein beliebtes Motiv. Kaum etwas führt uns das Verstreichen der Zeit und die Vergänglichkeit so deutlich und auf die Sekunde genau vor Augen. Das kann erschrecken, weil jeder verstrichene Augenblick unwiederbringlich verloren scheint. Es kann aber auch beglücken, weil das, was wie Sand zwischen den Fingern zerrinnt, dennoch messbar und begreifbar ist und so auf eine ganz eigene Weise erfahrbar.
Das Bilderbuch «Die Uhr meines Grossvaters» des ko lumbianischen Autors und Illustrators Samuel Castaño Mesa, mit Texten in deutscher und spanischer Sprache, misst diese Spanne so leise und eindrücklich aus wie die Stille zwischen den Schlägen einer Pendeluhr. Einer Uhr an der Wand, deren Takt den Lebensrhythmus aller Hausbewohner in Gang hält. Doch nur so lange, wie der Grossvater nicht vergisst, sie mit einem kleinen Schlüssel aufzuziehen. Als der Grossvater stirbt, verstummt die Uhr, und das Leben der Familie gerät aus dem Takt. Die Katze wacht erst nach vier Tagen wieder auf. Die Suppe wird nicht heiss, die Wä sche trocknet nicht, die Pflanzen wachsen nicht und die Blumen wollen nicht welken. Selbst das Kind der Tante kommt nicht auf die Welt. Es ist, als wäre die Zeit stehengeblieben. Und dabei öffnet sich für kostbare Augenblicke ein zeitloser Raum, der Musse schenkt, um im Umgang mit der Trauer Trost zu finden.
«Gelegentlich lässt sie [die Zeit] uns vollkommen still stehen», schreibt Samuel Castaño Mesa in seinem Nachwort. «So können wir etwas betrachten und verstehen, was uns bei normaler Geschwindigkeit entgehen würde.» Eine Ge legenheit, die der Autor – als kleiner Junge in diesen Erinnerungen an seine Familiengeschichte – spielerisch ergreift. Er erkundet das Zimmer des Grossvaters, schlüpft in dessen Kleider und findet in einer Jackentasche den Schlüssel zur Uhr. Und tritt gewissermassen aus den Schuhen des Grossvaters heraus in dessen Fussstapfen, zieht wie dieser die Uhr auf, das Kind kommt zur Welt, und alles geht wieder seinen Gang.
Begleitet wird diese schlicht und mit wenigen Worten erzählte Geschichte von Mesas zarten, mit Bleistift, Aqua rellfarben und Collagen geschaffenen Illustrationen. Illustrationen, die viel Freiraum für Musse und Fantasie lassen. Bilder, die aus den kurzen Momenten zwischen den Schlägen der Uhr des Grossvaters Zeit für Trauer und Trost schenken. CHRISTOPHER ZIMMER
FOTO: ZVG
Samuel Castaño Mesa: Die Uhr meines Großvaters. El reloj de mi abuelo Baobab 2019, CHF 25.90