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Kultur

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Sudan

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«Ich lese älteren Menschen Bücher vor»

«Ich möchte öfter ins Museum»

Ich arbeite jeden Tag ab 18 Uhr als freiwilliger Helfer in einem Pflegeheim und kann deswegen keine Abendveranstaltungen besuchen. Das ist kein offizieller Auftrag, ich mache das aus eigenem Interesse. Ich bringe Bücher mit, die ich in der Pestalozzi-Bibliothek, der VölkerkundeBibliothek und der Pädagogischen Hochschule Zürich hole. Ich lese vor, präsentiere die Bücher und gebe sie den Seniorinnen und Senioren in die Hände, damit sie am Abend ein, zwei Stunden darin blättern können: Fotobände, Belletristik, Bücher über fremde Länder, andere Religionen, über die Tier- und Pflanzenwelt und Malerei. Momentan lese ich einer Tessinerin einen Band über die italienische Literatur der letzten 500 Jahre vor. Bereits mit einer ganzen Generation von alten Damen habe ich in den letzten Jahren auch Volkslieder gesungen. NICOLAS GABRIEL, (55) verkauft Surprise in Zürich.

Ich nutze die Museumsnacht, für die wir jeweils über Surprise Karten bekommen. Aber man kann sich in einer Nacht ja nicht so viele Museen ansehen. Dank Surprise können wir nun auch einen Museumspass ausleihen, und ich möchte das in Zukunft gerne nutzen. Das Museum der Kulturen würde ich gerne in Ruhe besuchen, und das Pharmaziemuseum interessiert mich auch. Mich zieht Kulturhistorisches an. Sonst gehe ich nirgendwohin, obwohl ich gerne würde. Das Abba-Musical im Musical Theater Basel hätte ich gern gesehen, aber das war zu teuer. Ich war in meinem Leben zweimal im Ballett, das war sehr schön. Ich finde, man sollte sich das leisten können. Früher ging ich oft und gerne ins Kino, aber auch da sind die Preise in den letzten Jahrzehnten gestiegen. Ich muss entscheiden, wo ich sparen kann, und habe alles gestrichen, was nicht dringend notwendig ist. MARIA JESÚS BIBIONE, (57) im Surprise Strassenchor.

die Zuschauenden, die sich keinen Eintritt leisten können, andererseits gilt sie auch den Künstlerinnen und Künstlern, die uns ihr Werk schenken, und unserem Team, das den Rahmen mit viel Freiwilligenarbeit schafft.» Aber: «Erst mit einem definierten Richtpreis beginnen sich die Leute zu überlegen, was ihnen etwas wert ist», sagt sie. «Sonst denken sich viele: Wenn sie sich eine Kollekte leisten können, sind sie sicher anderswie finan ziert und machen kein Minus. In diesem Fall passiert oft der Kurzschluss von ‹Kunst ist wertlos›.» Ein Stigma, das Hutgeld genauso anhaftet wie der Freiwilligenarbeit. So fasst der Gesundheits- und Fürsorgedirektor des Kantons Bern, Pierre Alain Schnegg (SVP), diese Gleichung mit einem aus dem Französischen stammenden Sprichwort zusammen: «Was gratis ist, hat keinen Wert.» Das war sein lapidarer Schlusskommentar in der Berner Grossratsdebatte zum Sparvorschlag «Leistungsabbau im Bereich der Gesundheitsförderung und (Sucht-)prävention» 2017 – also einem Bereich mit viel gemeinnütziger Arbeit.

Ein Projekt, das Menschen mit wenig Budget Kultur zugänglich macht, ist die Kulturlegi der Caritas. Den Ausweis erhält, bei unterschiedlicher kantonaler Handhabe, wer «nachweislich am Existenzminimum lebt». Verschiedene Angebote bieten zwischen dreissig und siebzig Prozent Rabatt, von der Jugendzeitschrift «Spick» über das Erlebnisbad Alpamare, von der Berufsberatung bis zum Fitnessabo und Coiffeur- oder Kulturbesuch. Etwa vierzig Prozent aller Angebote umfassen Kulturbesuche im engeren Sinne. Isabelle Nold, Leiterin der Schweizerischen KulturLegi-Geschäftsstelle, spricht von einem «Erfolgsmodell». Angebotspartner und Nutzende – aktuell sind 96 000 Legis im Umlauf – nähmen stetig zu. Nebst Kino und Museum seien vor allem Familienangebote sehr beliebt. Einige nationale Anbieter würden sich manchmal vor zu grossem Andrang und Einbussen fürchten, die sie selbst tragen müssten, sagt Nold. Dennoch falle wenig Überzeugungsarbeit an. «Der Zirkus Knie, in den sehr viele ge hen, macht wegen der Kulturlegi wahrscheinlich kein Defizit.»

Freiwillige Lotsen Das oberste Credo ist Niederschwelligkeit. Denn ein Kulturbesuch scheitert nicht nur am Budget, sondern auch an den Anreisekosten, dem (Internet-)Zugang zu Information und der Bereitschaft, sich Verhaltens-, Wissens- und Dresscodes auszusetzen, die man vielleicht nicht kennt. Die Kulturlegi startete darum Ende vergangenen Jahres mit dem Pilotprojekt «Kulturlegi-Lotsen». Freiwillige Lotsen bieten an, Menschen mit der Kulturlegi bei Veranstaltungen zu begleiten.

Was auffällt: Wenige Angebote der Kulturlegi betreffen partizipative und soziokulturelle Projekte – also solche, in denen Kultur nicht nur konsumiert, sondern ge

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