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Fotografie
«Es geht hier um eine geteilte Verantwortung»
Fotografie Das Fotomuseum Winterthur zeigt die Wanderausstellung «Fotografinnen an der Front». Direktorin Nadine Wietlisbach sagt, wieso es wichtig ist, die Ursprünge der Kriegsfotografie zu verstehen.
INTERVIEW MONIKA BETTSCHEN
Nadine Wietlisbach, der Titel dieser Ausstellung, «Fotografinnen an der Front», lässt vermuten, dass es in der Kriegsfotografie einen spezifisch weiblichen Zugang geben muss. Ist dem so? Nein. Für die Fotografinnen gelten die gleichen Regeln wie für ihre männlichen Kollegen. In muslimischen Ländern wird ihnen zwar eher Zugang zu Care Institutionen oder in Familien gewährt, aber ansonsten gibt es keine Unterschiede. Diese Ausstellung möchte aber explizit darauf aufmerksam machen, dass Kriegsberichterstattung keine reine Männerdomäne ist und dass bereits während des Zweiten Weltkriegs Frauen wie zum Beispiel die Amerikanerin Lee Miller die Gräuel des Krieges festhielten. Millers Bilder vom Vormarsch der Alliierten in der Normandie gegen das Deutsche Reich 1944 sind von Hass geprägt. Sie sind ungeschönt und direkt. Was treibt Frauen an, sich dem Risiko auszusetzen, während ihrer Arbeit getötet zu werden? Die deutsche Fotografin Anja Niedringhaus wurde 2014 in Afghanistan getötet. Diese Korrespondentinnen sind radikale Persönlichkeiten, die sich sehr bewusst für einen entbehrungsreichen Werdegang entscheiden. Viele verzichten auf Partnerschaften oder Kinder. Ihr innerer Antrieb besteht darin, die Weltgemeinschaft mit ihren Bildern zu informieren, Zusammenhänge offenzulegen und wachzurütteln. Die amerikanische Fotografin Carolyn Cole, die selber über bewaffnete Konflikte in Liberia, im Kosovo oder im Irak berichtet hat, wird uns in einem Gespräch am 1. März persönliche Einblicke in den Berufsalltag gewähren. «Fotografinnen an der Front» zeigt Bilder von Kriegen, die im Zeitraum von 75 Jahren stattgefunden haben – und teilweise immer noch toben. Was verbindet sie alle? Die Frage: Wie konnte es so weit kommen? Und das Elend. Ganz egal, ob es sich um den Kosovokrieg, den Zweiten Weltkrieg oder den Spanischen Bürgerkrieg handelt: Die Zeiten mögen sich ändern, aber das Elend, das diese Kriege auslösen, ist immer das gleiche. «Fotografinnen an der Front» ist primär eine historische Ausstellung, die zurückschaut. Glücklicherweise gibt es immer mehr Fotojournalistinnen und Korrespondenten aus betroffenen Regionen, die der Welt ihre Sicht zeigen. Doch in der Vergangenheit stammten die meisten Fotografinnen und Fotografen an der Front aus dem Westen. Als Spartenmuseum richten wir unseren Fokus auf die Wurzeln der Kriegsfotografie. Es ist wichtig, die Ursprünge zu kennen, um den Wandel zu verstehen, der sich in dieser Branche vollzieht. Geben Sie uns ein Beispiel, wo sich dieser Wandel zeigt. Es geht um die Tatsache, dass sich Bilder heute viel schneller verbreiten als der Kontext, in dem sie ent standen sind. Ein Foto, losgelöst vom Zusammenhang, in dem es gemacht worden ist, kann falsch interpretiert oder sogar für Propagandazwecke missbraucht werden. Denken wir zum Beispiel an die Folterbilder aus Abu Ghraib, auf denen Mitglieder der US-Army 2004 mit Gefangenen posieren. Diese Bilder haben Soldaten gemacht. Der Kontext musste im Nachhinein hergestellt werden, nachdem der Skandal aufgedeckt worden war. Weil heute jeder jederzeit Fotos machen und auch in Echtzeit verschicken kann, sind alle beteiligten Personen, die in schriftlicher oder visueller Form Berichterstattung betreiben, stark gefordert. Die umfassenderen Zusammenhänge müssen erklärt werden. Es geht hier um eine geteilte Verantwortung. Darf man im Zusammenhang mit Kriegsfotografie auch von Ästhetik sprechen? Kriegsfotografien entstehen nicht wie ein Gemälde als singuläre Bildkörper, sondern haben den Zweck, in den Massenmedien zu informieren. Sobald jemand durch eine Kamera blickt, tut sie dies aber auch immer mit einem gestaltenden Auge. Daraus kann man keinen Vorwurf machen. Das Gestalten geschieht an der Front nicht aus künstlerischen Ambitionen, sondern aus journalistischen Motiven heraus. FOTO: ANNE MORGENSTERN Wietlisbach bekam 2015 den Swiss Art Award für ihre kuratorische Arbeit.
Die acht Fotografinnen in der Ausstellung stammen aus westli chen Ländern, doch gezeigt werden Bilder aus allen Weltregionen. Wieso wird ein rein abendländischer Blickwinkel gezeigt? «Fotografinnen an der Front», Ausstellung, 29. Februar bis 24. Mai, Fotomuseum Winterthur, Di bis So 11 bis 18 Uhr, Mi bis 20 Uhr (Mi 17 bis 20 Uhr freier Eintritt), Grüzenstrasse 44/45. fotomuseum.ch