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Tour de Suisse

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Aktivismus

Aktivismus

Tour de Suisse Pörtner in Basel

Surprise-Standort: Theater Basel Einwohnerinnen und Einwohner: 200 408 Anteil ausländische Bevölkerung in Prozent: 37,7 Sozialhilfequote in Prozent: 6,7 Anzahl Liter Wasser im Tinguely-Brunnen: 55 000

Auch wenn das auf der anderen Strassenseite gelegene Stadtcasino gerade umgebaut wird, ballt sich hier auf engem Raum eine Menge Kultur. Das Theater Basel, vor dem eine begehbare Eisenplas tik steht, das Stadt- und ein Kult-Kino, die Kunsthalle, ein Comicladen, dazu temporär ein Fonduestübli. Nicht zu vergessen: der Tinguely-Brunnen, der für Glatteisgefahr auf dem Gehweg sorgt, wie ein Schild warnt. Kunst kann gefähr lich sein. Oder auch nicht, denn auch auf den umliegenden Treppen wird vor Glatteis gewarnt, und so weit spritzt der Brunnen nun auch wieder nicht. Ohnehin droht keine Glatteisgefahr, weil es viel zu warm ist.

Ein Fotograf hat sich mit seinem Stativ vor dem Brunnen aufgebaut. Er mag im Auftrag des Tourismusbüros oder einer internationalen Lifestyle-Zeitschrift arbeiten oder für eines jener Hefte, die in den Sitztaschen von Flugzeugen stecken und Städte, die von der Fluggesellschaft angeflogen werden, mit spektakulären Bildern zu begehrlichen Reisezielen auf hübschen. Ein Mann setzt sich und zündet eine Original Krumme an. Solches Räucherwerk wird eigentlich nur weit, weit draussen auf dem Land oder an Schwingfesten vermutet, nicht an Hotspots urbaner Hochkultur. Auf der tiefer unten gelegenen Terrasse spielen Kinder, scheuchen die Tauben auf, während sich der Fotograf der Ente wid met, die durch den Brunnen schwimmt. Am Ende ist er im Auftrag einer Ornitho logiefachzeitschrift unterwegs.

Der Brunnen hat eine anziehende Wir kung auf junge Eltern mit Kleinkindern, alte Leute, Touristen und Raucher, kurzum auf alle, die Zeit haben oder sich öfter setzen müssen. Eine Frau erklärt in einer slawisch klingenden Sprache einer Reisegruppe ausführlich etwas, wahrscheinlich die Bedeutung Tinguelys, die sich nicht in zwei oder drei Sätzen abhandeln lässt. Oder die Geschichte der Brunnenenten. Immer wieder bleiben Menschen auf dem Trottoir stehen und schauen zuerst aus sicherer Distanz, ob nicht die Gefahr besteht, bespritzt zu werden, und wagen sich erst dann vorsichtig näher.

So auch vier Herren aus dem benachbar ten Süddeutschland. Sie erkundigen sich, wo der Bahnhof sei, misstrauen aber den gegebenen Erläuterungen. Ihrer Ansicht nach müsste sich der Bahnhof im Norden befinden, während der Wegweisende nach Südwesten zeigt, wie anhand des Sonnenstandes ermittelt wird. Vielleicht suchen sie ja den Badischen Bahnhof, während er auf den Bahnhof SBB deutet. Andernorts hiessen diese Nordbzw. Südwestbahnhof, und damit wäre die Sache klar.

In der offenen Kirche Elisabethen tagt eine geschlossene Gesellschaft. Das Grenzwachtkorps wacht darüber, dass keine Unbefugten sich Zutritt verschaffen. Das Café, das in der Kirche un tergebracht ist, ist offen. Die Aussenplätze sind gut belegt und bieten Aussicht auf die Glaspyramiden, die an den Innenhof des Louvre erinnern, wenn man schon lange nicht mehr im Innen hof des Lou vre war. Aus dem Innern der Kirche schmettert ein Marsch. Es klingt, als spiele ein ganzes Orchester, als finde die Beerdigung einer wichtigen Persönlichkeit statt, eines verdienten Grenzwächters vielleicht. Die jungen Men schen draussen an den Tischen trinken unbeeindruckt «Unser Bier».

STEPHAN PÖRTNER Der Zürcher Schriftsteller Stephan Pörtner besucht Surprise-Verkaufsorte und erzählt, wie es dort so ist.

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