FOTO: ORLANDO GILI
Internationales Verkäuferporträt
«Das Lächeln der Kinder macht glücklich» «Ich habe sechs Jahre lang eine Strassenzeitung in Amsterdam verkauft. Dann habe ich entschieden, nach London zu gehen. Da ich bereits Englisch sprechen konnte, habe ich begonnen, die Strassenzeitung The Big Issue zu verkaufen – zudem kannte ich den Job ja schon aus meiner Zeit in Amsterdam. Am Anfang war es schwierig, aber dann k amen immer mehr Leute, die das Magazin bei mir kaufen wollten. Die meisten Menschen haben mir das Gefühl gegeben, willkommen zu sein, aber es braucht alles seine Zeit. Einmal hatten mich ein paar Jugendliche z usammengeschlagen und mein Auge verletzt. Das war schlimm. Zuerst war ich wütend, aber dann dachte ich mir, «Ok, so ist es halt, das ist alles gar nicht so wichtig.» Ich bin in Bukarest geboren, habe Rumänien aber schon vor sieben Jahren verlassen. Es war schwer, eine Arbeit zu finden, denn ich habe keine Ausbildung. Meine Mutter und mein Vater trennten sich, als ich noch sehr jung war. Dann hatte ich ziemliche Probleme mit meiner Familie. Ich verliess mein Zuhause, als ich 15 Jahre alt war, lebte auf der Strasse und nahm ein paar Jobs an. Doch das war alles Schwarzarbeit und oft wurde ich gar nicht bezahlt. Es ist überall schwer, obdachlos zu sein, aber in Rumänien ist es im Vergleich zu Westeuropa besonders schlimm. Ich musste den ganzen Tag nach Papier suchen, das ich recyceln konnte, um etwas Geld zu verdienen, und oft musste ich aus dem Müll essen. Hier in London geht es mir besser, ich schlafe auf der Couch eines Freundes. Ich würde gerne ein eigenes Zimmer haben, aber dafür muss ich mehr Geld verdienen. Im Moment reicht es fürs Essen und den Bus. Aber ich denke, dass ich in Zukunft mehr Stammkunden brauche, so wie ich sie in Amsterdam hatte. Im Augenblick ist der Verkauf von The Big Issue gut für mich. In ein paar Wochen bekomme ich ein Gerät für Zahlungen mit Karte. Viele Leute tragen heutzutage nämlich kein Bargeld mehr mit sich. Man muss den Leuten die Möglichkeit geben, mit Karte zu bezahlen, und es ist toll, dass The Big Issue hier mit der Zeit geht. Ich vermisse Rumänien nicht allzu sehr, denn ich kenne mein Land ziemlich gut. Was mir aber fehlt, sind die Sprache und ein paar Freunde, die ich dort immer noch habe. Aber wie gesagt, es wäre sehr hart für mich, in Rumänien zu überleben. 30
Remus Diaconescu, 43, verkauft in London The Big Issue, lernt viel von Kindern und will sich für die Zukunft alles offenhalten.
Das Leben ist immer schwer, doch man kann es sich einfacher machen, je nachdem wie man mit seinen Mitmenschen umgeht. Ich versuche, sie zum Lächeln zu bringen, das ist mein liebstes Hobby. Zum Beispiel verkleide ich mich als Zauberer, als Osterhase oder als Weihnachtsmann. Kinder mögen das, sie sind toll, einfach die Besten. Sie denken nicht über die Probleme des Lebens nach, sie geniessen es einfach. Sie lächeln und ihr Lächeln macht uns glücklich. Wir müssen von den Kindern lernen, wie man sich über die kleinen Dinge freuen kann. Ich habe keine eigenen Kinder, weil mein Leben nicht so einfach war. Deshalb habe ich beschlossen, keine Beziehung zu haben. Aber man sollte niemals nie sagen, sondern offenbleiben. Man weiss ja nicht, was die Zukunft noch bringen wird.»
Mit freundlicher Genehmigung von THE BIG ISSUE UK / BIGISSUE.COM
Aus dem Englischen übersetzt von Klaus Petrus. Surprise 472/20