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Verkäuferinnenkolumne

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Theater

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Apotheken statt Wullelädeli

Als ich an einem 15. Juli meine neue Woh-nung in A. ausserhalb der Stadt Zü rich bezogen hatte, musste ich nach vier Monaten erneut in eine Klinik, um einen Alkoholentzug zu machen. Wieder zuhause, traute ich mich kaum mehr aus der Wohnung. Mein langjähriger Psychiater verordnete mir eine Ergotherapie. Das war der Anfang von «wider lismä». Stri cken konnte ich schon früher sehr gut, so wie alles, was ich im Handarbeitsunterricht lernen durfte. Meine Tochter hat sich aus einer dieser Fachzeitschriften, «Stricken» hiess sie, ein kleines hübsches Jäckchen gewünscht. Das war vom Schwierigkeitsgrad her nicht enorm herausfordernd für mich. Als das Jäckchen fertig war, strickte ich noch acht weitere – für alle, die in der Ergotherapie-Gruppe waren. Danach begann ich, auch die schwierigen Muster zu stricken. Jetzt, nach drei Jahren, wo ich wieder stark un ter meiner ADHS-Krankheit (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) leide, will ich wieder mit den schwierigsten Mustern zu stricken anfangen.

Die Krankheit hat man bei mir erst sehr spät diagnostiziert. Da ich die Matura gemacht habe, ist man davon ausgegangen, dass ich nichts dergleichen haben kann, weil die Krankheit mit schlechten schulischen Leistungen in Verbindung gebracht wurde. Heute weiss man zum Glück, dass es Personen gibt, die den noch enorm viel leisten können, weil sie sich extrem auf etwas fokussieren können. Besonders auf komplexe Dinge wie komplizierte Strickmuster. Leider musste ich feststellen, dass von den drei Wullelädeli in Zürich zwei aufgegeben haben. Sucht man im Internet, findet man noch wenige Raritäten. Abgesehen davon gibt es nur noch in Oerlikon das Wollgeschäft «Passat». Nun, so muss ich halt den Weg nach Zürich Sternen Oerlikon in Kauf nehmen, da ich unbedingt wieder stricken will.

Mir hilft das mehr als Ritalin und andere Medikamente. Trotzdem fällt mir auf, dass es immer weniger Wollläden gibt, dafür immer mehr Apotheken.

KARIN PACOZZI, 53, verkauft Surprise in Zug. Zurzeit arbeitet sie konzentriert an einem mintgrünen Sommerpullover nach einem filigranen Strickmuster und fühlt dabei eine innere Ruhe. Die Wolle hatte zwar fast 100 Franken gekostet, aber das war es wert.

Die Illustration zur Kolumne entsteht in Zusammenarbeit mit der Hochschule Luzern – Design & Kunst, Studienrichtung Illustration.

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