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Buch

«Wir sind im Fall viele»

Buch «Wir – Fotografinnen am Frauen*streik» heisst ein Bildband, der die Frauenanliegen in ihrer ganzen Bandbreite zeigt. Ein Kollektiv von 32 Fotografinnen hat ihn realisiert.

TEXT DIANA FREI

Die Idee kam an einem Vorbereitungstreffen für den Frauenstreik 2019 auf: Die Berner Fotografin Yoshiko Kusano war von einer Redaktion hingeschickt worden. Es waren etwa 300 Frauen da – und nebst Kusano ein paar Fotografen und ein Kameramann. «Ich fand es total schade, dass man als Redaktion Männer an einen Anlass schickt, der allein von den Frauen lebt», sagt die Fotografin. Also machte sie einen Aufruf an die Berufskolleginnen: Ob sie dabei wären, den Frauenstreik gemeinsam zu dokumentieren? 32 Fotografinnen waren es zum Schluss, die sich auf unterschiedliche Ecken der Schweiz verteilten. «Ich fand aber, es wäre ein falsches Signal, wenn wir das gratis machen würden.» Also boten sie einen professionellen Dienst an. «Wir dachten, Redaktionen würden sich vielleicht solidarisch zeigen und nur Bilder drucken, die von Frauen gemacht wurden.» Dem war nicht so. Die Bilder wurden nicht sehr breit genutzt. Als sich die Fotografinnen darauf zum ersten Mal als Kollektiv trafen, entstand die Idee für das Buch. Denn das Anliegen, diesen Frauenstreik in seiner Vielfalt sichtbar zu machen, bestand nach wie vor.

Uhrenarbeiterinnen im Vallée de Joux

«Nicht jede Frau war aus dem gleichen Grund an diesem Streik», sagt Kusano. «Gerade bei jungen Frauen spielte die Körperlichkeit eine grosse Rolle. Die MeToo-Debatte und die Frage der Genderidentität waren beim ersten Frauenstreik 1991 noch nicht in der Form vorhanden.» Genauso wurde aber auch die kostenlose Betreuungs- und Hausarbeit angeprangert, das patriarchale System im Ganzen. Die Fotos zeigen die ganze Bandbreite an Forderungen, sie zeigen die ganze Diversität der Teilnehmerinnen – und werden damit beinahe zu einer Art historischem Abriss von Frauenanliegen: Da sind die älteren Frauen, die fast ein ganzes Erwachsenenleben lang ohne Stimmrecht verbrachten, und da sind die jüngeren, die sich Vagina oder Uterus auf die Haut malen. «Mich hat beeindruckt, dass es kulturelle Unterschiede gibt», sagt Kusano. «In der Romandie gab es wahnsinnig viele barbusige Frauen, das hatten wir in der Deutschschweiz nicht.»

Sie selbst machte sich an dem Tag zu den Uhrenarbeiterinnen im Vallée de Joux auf. «Das Vallée ist sehr abgelegen. Ich hatte ältere Frauen erwartet, die ein Leben in der Fabrik gearbeitet hatten.» Tatsächlich traf sie dann aber auf viele in der Uhrenindustrie beschäftigte junge Migrantinnen, die stolz auf ihren Job sind. Trotzdem ähnelte der Anlass mehr einem Gewerkschaftsund Bratwurstfest. Dagegen fährt in Zürich auch mal eine über dimensionale Klitoris auf einem Wagen mit, oder es prescht ein beflaggter Traktor die Langstrasse entlang. Kostümierungen und Inszenierungen spielen mit Absurditäten. Auch mit der absurden Situation, dass Frauen nach Jahrzehnten noch die immer gleichen Forderungen stellen müssen.

«Wir» heisst nun also das Buch. Wir – die Frauen, könnte man meinen. Doch darunter steht: «Fotografinnen am Frauen*streik». «Wir», die Fotografinnen also? Durchaus. «Es ging nicht nur darum, den Streik zu dokumentieren», sagt Kusano. «Sondern auch darum, ein Zeichen zu setzen und zu sagen: Wir sind im Fall viele Fotografinnen – wenn du also das nächste Mal einen Job vergibst, könntest du dir überlegen, ob du eine Frau anfragen willst.»

ZVG

FOTO:

Yoshiko Kusano, Caroline Minjolle, Francesca Palazzi (Hg.): «Wir – Fotografinnen

am Frauen*streik», Christoph Merian Verlag 2020, 34 CHF.

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