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Tour de Suisse
Pörtner in Küssnacht (am Rigi)
Surprise-Standorte: Bahnhof und Coop Einwohnerinnen und Einwohner: 13087 Anteil ausländische Bevölkerung in Prozent: 21,6 Sozialhilfequote in Prozent: 3,9 Namenszusatz bis 2003: am Rigi
Der Bahnhof Küssnacht am Rigi ist verlassen. Es gibt ein Musiklokal (geschlossen), einen uniformierten Bahnhofsvorstand (Schaufensterpuppe), einen Bus (leer), einen Selecta-Automaten (in Be trieb) und zwei Sitzbänke (frei). Einzig im Warteraum drängt sich eine Gruppe Halbwüchsiger. Was es gibt, ist eine Aus sicht. Auf den See, der Küssnachtersee heisst – einer der weniger bekannten Seitenarme des Vierwaldstättersees – und natürlich auf die Rigi, laut Eigenwer bung die Königin der Berge. Womit sich die Frage stellt, warum die Haltestelle nicht Küssnacht an der Rigi heisst. Der Ort selbst hat sich des Problems erledigt, indem er sich nur noch Küssnacht nennt. Laut Duden ist Rigi ein Substantiv, maskulin oder ein Substantiv, fe minin. Handelt es sich also um den ersten Transgenderberg, der korrekt Rig*i heissen müsste? Wenn ein berühmter Ausflugsberg das Geschlecht und eine Gemeinde in der konservativen Innerschweiz den Namen wechseln können, so ist wenig stichhaltig, warum Süssigkeiten ihre althergebrachten Bezeichnungen beibehalten sollten.
Ein Stück stadteinwärts findet sich das Hotel/Restaurant Bahnhof, das aber auch nicht viel belebter wirkt. Die Strassenschilder weisen an historische Stätten wie die Hohle Gasse oder die Gessler burg, und sogar eine Grand Tour ist ausgeschildert. Auch eine Bahn auf die Rigi gibt es, allerdings ist dieser Touristen magnet besser von der anderen Seite erschlossen. Busse und Reisegruppen sind keine zu sehen. Dabei gäbe es schon et was zu sehen, alte bis sehr alte Gebäude, stattlich oder verwinkelt, teils in einem nahezu verlotterten Zustand, was durch aus seinen Charme hat, man kann zwischen ihnen hindurchgehen, über Kieswege und -plätze.
Zahlreich und international sind die Take-aways. Vier dieser Mietvelos, die einst in Paris Furore machten, dann in fast allen grösseren Städten zu finden waren und jetzt von Limebikes und Elektroscootern abgelöst wurden, warten auf Benutzerinnen. Aufgeben musste leider der Haushaltwarenladen, der neben Tabak und Spirituosen auch Spiegel und Bilderrahmen anbot, wie an der Markise zu lesen ist. Kurzum, der Everything Store, der alles führte, was man zum Leben brauchte. Bis Amazon kam. Noch nicht aufgegeben hat das Theater Duo Fischbach, das mit einem bunten Plakat aus dem Grau sticht. Bleibt zu hoffen, dass es noch lange gegen Netflix, Amazon Prime und das Glitzern der Grossstadt bestehen wird.
Die überdimensionierte Betontreppe in der kleinen Fussgängerzone vor dem Coop lädt nicht zum Verweilen ein. Und doch stehen hier drei Frauen, die unbeeindruckt von der kühlen Witterung und der eher dünnen Kleidung der einen lange beisammenstehen und reden. Ihr Lunch besteht aus Zigaretten und Red Bull.
Im Café füllt die Tochter der Mutter das Kreuzworträtsel aus und lässt sie nicht zu Wort kommen. Es ist, als würde sie ihr eine lästige Aufgabe abnehmen. Lotta rennt, oder wie hiess der Film noch mal? Bald ist das Rätsel gelöst, noch nie haben sie von einem Zürcher Stadtviertel namens Riesbach gehört. Dabei läge auch das an einem See, mit Blick auf ei nen Ausflugsberg.
STEPHAN PÖRTNER
Der Zürcher Schriftsteller Stephan Pörtner besucht Surprise-Verkaufsorte und erzählt, wie es dort so ist.