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Verkäufer*innenkolumne

Striche auf dem Rechenblatt Als ich noch nicht ganz zwei Jahre alt war, wurde bei mir Au­tis­ mus diagnostiziert. Ich kam als Erstes in einen Spezialkin­ dergarten, danach in die Einschulungsklasse, weil man dachte, dass ich den Unterricht nicht wahrnehmen könne. Aber man lernt ja Rechnen und Zusammenzählen, nach kurzer Zeit konnte ich es. Einmal machte ich bei einem Rechenblatt Striche unter die Aufgaben, um zu zählen, wie oft ich gegähnt hatte bei diesem Blatt. Ich war unterfordert, obwohl ich auch Black­ outs hatte. Aber in eine Gruppe eingliedern konnte ich mich nie. Als ich zehnjährig und in der dritten Klasse war, sagte mir mein Vater, dass ich Autist bin. Nur in der vierten bis Mitte fünfte Klasse war ich in einer normalen Klasse. Die Lehrerin sagte da zu meinen Eltern, «Er ist ein Spezieller», doch dann musste ich raus aus der Klasse. Es gab genug Probleme. Ich kam in die Wohnschule Freienstein. Am Anfang hatte ich Mühe, mich einzugliedern, und ich wollte es auch nicht. Wir waren neun Schüler in der Wohngruppe, nur einem traute ich. Die anderen sagten, dass sie mir helfen wollten, ich glaubte es nie. Mein ­Lehrer fand: «Wenn du zu oft alleine bist, wirst du wunderlich.» Ich widersprach ihm. Und lernte dafür den Zugfahrplan aus­ wendig. Ich fühlte mich weniger wert als die anderen. In Freienstein spielte ich in der Fussballmannschaft, wurde erst mit Schmähreden empfangen und oft merkte ich nicht, wenn der Ball auf mich zurollte. Aber ich konnte mir alle Resul­ tate merken. Mit der Zeit konnte ich besser spielen. Als mir ein Tor gelang, umarmte mich der Captain, doch das ekelte mich.

Ich machte ein Praktikum als Kleinkinderzieher bei einer ­liebenswürdigen Messie-Frau. Da lernte ich auch, einer Umar­ mung nicht immer auszuweichen. Ich lernte Gärtner, doch mit der Zeit ging das nicht mehr, nach einem halben Jahr gab es oft Krach. Beim zweiten Versuch, eine Ausbildung zu machen, hatte ich mehrmals Blackouts, ich sass apathisch herum, war nicht ansprechbar. Der Chef schmiss mich raus. Geschützte Werkstätten verlangen weniger Leistung? Von wegen. Auch in geschützten Werkstätten sind Blackouts nicht zugelassen. Ich musste in die Psychiatrie, wurde zum Borderline-Fall und war nahe am Suizid. Auf der Strasse oder im Zug dachten andere Menschen, dass etwas nicht stimmt bei mir, gerade mit den Zuckungen, die ich oft habe. Ich war ­immer wieder im Nichts und hatte nur Tagelöhner-Jobs. Aber auch das nur selten. Ich wollte trotzdem eine Ausbildung beginnen. Aber die IV legte ein Veto ein und entschied, dass ich Rente beziehen soll statt zu arbeiten. Ich wurde von der IV zum Nichtstun gezwungen. MICHAEL HOFER  verkauft seit 2006 Surprise in Zürich Oerlikon und Luzern. Anderen gegenüber fühlt er sich auch heute nicht gleichwertig. Auch bei Surprise fühlt er sich nur teilweise aufgehoben, sei es im Verkauf oder Strassenfussball. Es gibt aber einen Ort, an dem er sich ganz zugehörig fühlt: am Klimastreik.

Die Texte für diese Kolumne entstehen in Workshops unter der Leitung von Stephan Pörtner und der Redaktion. Die Illustration zur Kolumne entsteht in Zusammenarbeit mit der Hochschule Luzern – Design & Kunst, Studienrichtung Illustration.

ILLUSTRATION: CAMILLLE FRÖHLICH

Ich schaute mir mehrmals den Film «Rainman» mit Dustin Hofmann an, und da erkannte ich mich selbst an mehreren Stel­

len. Ich brauchte von der ersten Primarklasse an eine Bezugs­ person, die mich begleitete, bis ich über 30-jährig war. Ich hatte die besten Geografiekenntnisse, konnte gut schreiben. Gewisse Leute sagten, ich sollte Bundesrat werden. Doch es reichte nur für die Sek. B.

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