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Vor Gericht

«Ich kenne die Tragödien des Lebens»

Für den 66-jährigen Al Mayfield sind menschliche Tragödien, wie Covid-19 sie verursacht, nichts Neues. Früh hat er zwei seiner Brüder verloren, einer war krank, der andere hatte einen Unfall. Mayfield selbst fiel 1994 ins Koma, nachdem er knapp einen brutalen Raubüberfall überlebte. Nun lebt er mit einem Implantat im Bauchraum und einem amputierten Bein. Ohne sein Zutun landete er in der Folge in verschiedenen Notunterkünften. Heute lebt er dank der Unterstützung unter anderem von Street Spirit mit einem seiner Brüder in einer Sozialwohnung im Norden von Oakland. Er hofft, dass er bald wieder in die Kirche gehen kann. «Die Kirche liegt mir am Herzen», sagt er, der sich als Optimist bezeichnet. «Versuche, das Gute festzuhalten und glücklich zu sein.»

Al Mayfield verkauft Street Spirit in Oakland, USA.

Vor Gericht

Zeit ist Geld

Regelmässige Leser*innen mögen sich an die Fälle von Sozialversicherungsbetrug in diesen Spalten erinnern. An den Asylsuchenden etwa, der mit dem Verkauf von Fundgegenständen einen Erlös von gut 4000 Franken erzielte und es damit zum selbständigen Taxifahrer schaffte – dann aber verurteilt wurde, weil er seinen Handel dem Sozialamt nicht gemeldet hatte.

Fälle von Steuerhinterziehung vor Gericht sind dagegen rar. Viele sind wohl schon geregelt, bevor es zum Prozess kommt. Ganz anders der Fall um den Eigentümer des Dolder Grand Hotels in Zürich, Urs E. Schwarzenbach. Seit Jahren liefert er sich mit der eidgenössischen Zollverwaltung in mehreren Kantonen und durch alle gerichtlichen Instanzen eine juristische Schlacht um die Versteuerung seiner Kunstsammlung. Offensichtlich gibt er sein Geld lieber Anwälten als dem Staat.

Geld spielte auch damals beim Umbau seines Hotels keine Rolle. Er dauerte vier Jahre und kostete 440 Millionen. Schon bald nach der Neueröffnung 2008 schlenderten Vladimir Putin und Prinz William durch die edlen Hallen. Das Nonplusultra des Hauses sind aber nicht die 18 Gault-Millau-Punkte des Restaurants oder das weltbeste Spa. Sondern die Kunst, die dort an den Wänden hängt: Warhol, Dalí, Pissarro. Oder besser: Hing. Denn Schwarzenbachs Kunst, fast hundert Objekte im Wert von insgesamt über 100 Millionen Franken, wurde 2017 beschlagnahmt. Schwarzenbach weigerte sich, die für den Import anfallenden zwölf Millionen Mehrwertsteuer zu zahlen.

Als es nach einer Gesetzesänderung ab 2007 nicht mehr möglich war, Kunst unbeschränkt im steuertechnischen Niemandsland der Zollfreilager aufzubewahren, bestand für den Beschuldigten «dringender Handlungsbedarf» – so ein Dokument aus jener Zeit, heute ein Beweisstück. Es skizziert, wie die Werke ohne Abgaben importiert werden konnten. Dazu mussten sie erst exportiert werden: Schwarzenbach liess seine Schätze etwa nach Grossbritannien verfrachten – um sie, manchmal am selben Tag, wieder einzuführen.

Den Re-Import besorgte eine Galerie im sogenannten Verlagerungsverfahren. Galerien können Kunstobjekte zu Verkaufszwecken importieren – Steuern werden erst bei Veräusserung fällig. Die Behörden glauben nun, der Hotelier habe mit fingierten Kommissionsverträgen zwischen seinen Offshore-Firmen und der Galerie schlicht seine private Kunstsammlung steuerfrei importiert und damit zur Wiedereröffnung sein Hotel geschmückt. Interessent*innen, es waren nach Angaben der Galerie nicht wenige, an der offiziell zum Verkauf stehenden Kunst verscheuchte er allesamt mit exorbitanten Preisen.

So recht in Gang kam der Prozess am Bezirksgericht Zürich nicht. Stundenlang forderten die Anwälte des Beschuldigten und jene der Galerie die Einstellung des Verfahrens. Wegen Verjährung. Ein solches Verfahren müsse innert fünf Jahren durchgeführt werden.

Zum Vergleich: Wer zu Unrecht Sozialhilfe bezieht, muss sie in vielen Kantonen fünfzehn Jahre lang zurückzahlen. Anwält*innen, die das Verfahren mit immer neuen Rechtsgutachten in die Länge ziehen, kann sich in diesen Fällen niemand leisten. Funktioniert hat es im Dolder-Fall freilich nicht: Der zuständige Einzelrichter lehnt den Antrag ab. Im Januar wird weiterverhandelt.

YVONNE KUNZ ist Gerichtsreporterin in Zürich.

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