Surprise 518/22

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FOTO: SARA RISTIĆ

Internationales Verkäufer*innen-Porträt

«Mein Name ist Hoffnung»

«Ich wurde in Belgrad geboren, wuchs aber bei einer Pflege­ familie in Aleksandrovo im Norden Serbiens auf. Wir kamen sehr gut miteinander aus, sie kümmerten sich um mich wie um ihr eigenes Kind und lehrten mich, unabhängig zu sein. Dass ich in einer Pflegefamilie gross wurde, hat mich nie gestört, mir war egal, was andere über mich dachten. Als ich zwanzig wurde, musste ich in nach Belgrad in ein Heim. Es fiel mir schwer, mich von meiner Pflegefamilie zu verabschieden, doch wir sind bis heute in Kontakt. Im Heim hatte ich Mühe mich zurechtzufinden, die Stimmung unter den Jugendlichen war schlecht. Aber ich tröstete mich mit dem Gedanken, es sei immer noch besser, im Heim zu leben als auf der Strasse. Oft hatte ich Angst, dass ich es nicht ­schaffen werde und irgendwann zusammenbreche. Ich verbrachte so wenig Zeit wie möglich im Heim. Dann lernte ich einen ­jungen Mann kennen, der mir erzählte, dass er eine Strassen­ zeitschrift namens ‹Liceulice› verkauft. Und so kam es, dass ich ebenfalls Verkäuferin wurde. Der erste Tag war hart für mich, ich war nervös und wusste nicht, ob ich den Mut habe, auf der Strasse zu stehen und eine Zeit­ schrift zu verkaufen. Ich musste einen Weg finden, um die Auf­ merksamkeit der Passant*innen zu gewinnen. Bald habe ich gemerkt, dass alle nur an dir vorbeihuschen, wenn du nicht mit den Leuten kommunizierst. Deshalb gehe ich bis heute auf sie zu und suche das Gespräch mit ihnen. Aber ich achte darauf, nicht zu viel zu reden; ich will ihnen ja nicht lästig werden.

Nada Spasić, 26, verkauft in Belgrad Liceulice und ist froh, dass sie nach Jahren im Heim nun endlich auf eigenen Füssen stehen kann.

Im August letzten Jahres konnte ich nach drei Jahren endlich das Heim verlassen. Jetzt wohne ich in einem Haus, das einer ­Organisation gehört, die Kinder und junge Erwachsene ohne ­elterliche Fürsorge unterstützt. Auch habe ich einen kleinen Job gefunden: Ich reinige jetzt die Küche eines Restaurants. ­Morgens arbeite ich dort und nachmittags verkaufe ich die Zeitschrift. Ich habe mich gut in mein neues Leben eingelebt, und ich glaube, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, da sich alles zum Besseren wendet: Ich kann mich gut auf meine Arbeiten konzentrieren und bin nicht mehr so gestresst wie früher.

ich mehr Geld. Doch irgendwie werde ich schon zurechtkommen. Ich versuche, noch mehr zu arbeiten und zu sparen. Ich bin sehr verantwortungsbewusst. Ich wache jeden Tag gegen vier Uhr auf, trinke eine Tasse Kaffee, räume mein Zimmer auf, dann mache mich auf den Weg zur Arbeit. Gegen Mitternacht gehe ins Bett. Die Leute fragen mich oft, wie ich das schaffe. Energie gibt mir die Musik. Und die Tatsache, dass ich mit dem Verkauf von Liceulice mit so vielen Leuten in Kontakt komme. Wer weiss, ob ich ohne die Zeitschrift jemals etwas aus meinem Leben gemacht hätte.

Zusammen mit den anderen Bewohner*innen des Hauses kaufen wir ein und bereiten das Essen zu. Jeder hat hier seine Aufgabe, ich kümmere mich vor allem um den Haushalt. Das ist eigentlich mein dritter Job. Wir haben untereinander eine sehr gute ­Stimmung, ich versuche die anderen zu verwöhnen und zum Lachen zu bringen. Es ist wohl kein Zufall, dass mein Name Nada ist – auf Deutsch bedeutet das ‹Hoffnung›.

Das Wichtigste ist, dass ich auf eigenen Füssen stehen kann. Natürlich wäre alles einfacher, wäre ich nicht allein. Wenn ich müde und traurig bin, komme ich ins Grübeln. Dann versuche ich aber in die Zukunft zu blicken und meine nächsten Schritte zu planen. Es ist leicht zu sagen, dass das Leben hart ist. Das Schwierigste aber ist, die Kraft zum Weitermachen zu finden.

Ich bin froh, dass ich den Job im Restaurant gefunden habe. Belgrad ist eine teure Stadt, aber ich würde sie nie verlassen – irgendetwas hält mich davon ab. Eigentlich brauche 30

Aufgezeichnet von MILICA TERZIĆ Mit freundlicher Genehmigung von LICEULICE Surprise 518/22


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