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Verkäufer*innenkolumne

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Surprise-Porträt

Surprise-Porträt

Was heisst jung oder alt?

Ich war lange Zeit der Jüngste in meiner Familie, letzter Enkel der Grossmutter. Als mein erster Neffe zur Welt kam, war ich 25. Wobei, weil ich in der Einschulungsklasse war, war ich in der Schulklasse meist einer der Ältesten, in der Primarschule,im Hort, später auch in der Sekundarschule. So kann man an gewissen Orten schon mit 14 als alt gelten. Genauso gelten im Altersheim alle unter 60Jährigen als jung. Kürzlich sagte mir eine Frau, die noch nicht im AHVAlter war: «Hallo, junger Mann.» Obwohl ich schon in der zweiten Hälfte meines Lebens bin. Im Jahr 2017 war ich am Homeless Worldcup mit 37 der älteste Strassenfussballspieler im Schweizer Team. Im Jahr 2018 begannen in der Schweiz die Klimastreiks, und ich war offensichtlich der älteste Teilnehmer in Zürich. (Die Gruppe war damals noch überschaubar.)

Wobei, schon seit Jahrzehnten ist es mir wohler, wenn ich Menschen um mich habe, die jünger sind, als solche, die älter sind als ich. Wenn ich erlebe, wie vor allem alte Leute über die Jugend fluchen, dann muss ich mich richtig schämen, im Vergleich auch schon alt zu sein, vor allem dann, wenn ich junge Menschen am Klimastreik sehe. Meine Generation hat ziemlich viele Dummheiten gemacht, die die Jungen ausbaden müssen. Für einen ProfiEishockeyspieler wäre ich sehr alt, ein paar wenige gibt es, die in meinem Alter noch aktiv sind. Bei den Nationalratswahlen 2019 sah mein Vater auf Youtube den jüngsten Kandidaten aller Parteien vom Kanton Aargau (der Kandidat sieht auch etwas jünger aus, als er ist), da sagte mein Vater: «Das Büebeli.»

Menschen, die ganz alt sind, wissen oft nicht mit SMS umzugehen. Sie sagen dann etwa: «Telefon schälled und s’isch niemer da.» Ich wollte es mal meiner damaligen ältesten Nachbarin beibringen, aber es war nicht möglich, sie konnte das SwisscomLogo nicht mehr von der Italienflagge unterscheiden. Wenn der Körper alt wird, wird man schnell abgehängt im Leben. Oder man benötigt Hilfsmittel, um mitzuhalten. Brille, Hörgeräte, SMSNachhilfe. Selbst Alltägliches wird zum Problem. Einwegplastiksäckchen zum Beispiel, die zerreissen, wenn die Finger sie nicht mehr greifen können. Leute sagen manchmal zu mir, dass auch ich mal alt werden würde, obwohl ich es praktisch schon bin. Nur sehe ich noch gut und brauche keine Brille.

MICHAEL HOFER, 42, verkauft seit 2006 Surprise in Zürich Oerlikon und Luzern. Er spürt die Last des Alters vor allem, wenn er an die Klimajugend denkt: weil er dann findet, er selbst gehöre einer verantwortungslosen «Scheissgeneration» an, wie er sagt.

Die Texte für diese Kolumne werden in Workshops unter der Leitung von Surprise und Stephan Pörtner erarbeitet. Die Illustration zur Kolumne entsteht in Zusammenarbeit mit der Hochschule Luzern – Design & Kunst, Studienrichtung Illustration.

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