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Das Feuer brennt
«Das Feuer ist noch nicht erloschen»
Auch wenn Andrea Ellenberger und Reto Schmidiger aus Hergiswil im Kanton Nidwalden Anfang Saison einmal mehr erfahren mussten, wie gnadenlos und schmerzhaft der Skisport sein kann, denken sie nicht ans Aufgeben – im Gegenteil! Die beiden Kader-Mitglieder von Swiss-Ski wollen sich zurück an die Weltspitze kämpfen. Gibt es nächstes Jahr an den Olympischen Spielen in Peking ein Happy End? Das ist die nächste Chance für Ellenberger, Schmidiger und Marco Odermatt, die gemeinsam beim Skiclub Hergiswil gross geworden sind, zum ersten Mal zusammen bei einem Grossanlass dabei zu sein. «Das wäre eine Riesensache!», so Ellenberger.
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Zurzeit sind Andrea Ellenberger und Reto Schmidiger Leidensgenossen. Doch die beiden verbindet weit mehr als nur der Umstand, dass sie die ganze Saison verletzungsbedingt verpassen. Andrea und Reto kennen sich schon seit Kindsbeinen und entdeckten beide ihre Leidenschaft zum Skifahren beim Skiclub Hergiswil. Später gingen sie in die gleiche Klasse bei der Begabtenförderung «Ski Alpin» in Hergiswil und anschliessend gemeinsam ans Nationale Leistungszentrum nach Engelberg. Ausserdem haben die beiden Hergiswiler auch eine familiäre Verbindung. So ist der Bruder von Andrea schon lange liiert mit der Schwester von Reto. «Wenn die beiden zu Besuch sind, frage ich immer, wie es Reto geht. Dadurch sind wir indirekt immer in Kontakt», verrät Andrea Ellenberger.
Saison vorzeitig zu Ende
Im Moment sieht sie die Leute aus ihrem privaten Umfeld wohl mehr, als ihr lieb ist. Eigentlich wäre Ellenberger gerade mit dem Weltcuptross unterwegs, doch stattdessen sitzt die Nidwaldnerin verletzt zu Hause. Es passierte bei einem Sturz im Riesenslalom-Training Anfang Dezember. Unmittelbar nach dem Sturz befürchtete die 27-Jährige bereits das Schlimmste. Doch als sie dann auf dem Weg zum Arzt nicht mehr so starke Schmerzen verspürte, machte sich Hoffnung breit, dass es weniger schlimm ist als im ersten Moment angenommen. Diese Hoffnung war jedoch nicht von langer Dauer. «Als ich dem Arzt in die Augen schaute, war schon alles klar», schildert Ellenberger die Situation. Die MRI-Untersuchung ergab dann die traurige Gewissheit, dass sie einen Riss des vorderen Kreuzbandes am linken Knie erlitt und die Saison damit gelaufen war.
Ein unerwünschtes Déjà-vu
Auch bei Reto Schmidiger ist es das Knie, das ihm einen Strich durch die Rechnung machte. Bereits im September plagten ihn Schmerzen. Am Anfang sah es noch weniger schlimm aus, und es war geplant, nach einer fünfwöchigen Skipause wieder zwischen den Stangen zu trainieren. Doch kaum stand er im November wieder auf den Ski, waren die Schmerzen zurück. Der 28-Jährige musste sich schliesslich einer Operation unterziehen, bei welcher der Meniskus teils entfernt, teils genäht und der Knorpelschaden geglättet wurde. Auch wenn dies das Saisonende für ihn bedeutete, liess er den Kopf nicht hängen. Durch seine Verletzungen in der Vergangenheit wusste er, was auf ihn zukam und dass er die bevorstehende Reha meistern konnte. «In erster Linie ist es überhaupt kein Spass. Am liebsten würdest du am Start oder zwischen den Toren sein. Aber du hast das schon einmal durgemacht. Und das hilft in diesem Moment, weil du weisst, dass du es geschafft hast.»
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Reto Schmidiger setzt alles daran, um nächste Saison wieder voll angreifen zu können. Andrea Ellenberger, Marco Odermatt und Reto Schmidiger beim Finale des Grand Prix Migros 2005.
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Auch Andrea Ellenberger wusste genau, was auf sie zukam, weil sie dieselbe Verletzung schon zweimal hatte. Doch im Gegensatz zu Schmidiger war sie an Weihnachten noch am Anfang des Verarbeitungsprozesses. Und da half ihr der Vergleich mit den früheren Verletzungen auch nicht weiter: «Im Moment finde ich es fast schlimmer. Die Ausgangslage ist zum jetzigen Zeitpunkt anders als bei meinen früheren Verletzungen. Ich war näher dran an der Weltspitze, als ich es je war, und deshalb schmerzt es auch mehr, weil ich mehr verloren habe. Manchmal macht es die Tatsache, dass man weiss, was auf einem zukommt, nicht einfacher.»
Die Leidenschaft für den Skisport ist noch da
In der jetzigen Phase ist für die Hergiswilerin Ablenkung die beste Medizin. So kann ihr beispielsweise der kleine Göttibub wieder ein Lächeln ins Gesicht zaubern, wie in einem ihrer Posts in den sozialen Medien deutlich zu sehen ist. Wenn sie Zeit mit ihm verbringt, geht das Knie – zumindest für eine Weile – vergessen. Es kehrt so ein Stück Normalität zurück. Reto Schmidiger hat bei seiner aktuellen Verletzung weniger das Bedürfnis nach Ablenkung. Für ihn war es allerdings wichtig, wieder mehr Tagesstruktur zu erhalten. Deshalb startete er eine Ausbildung zum therapeutischen Masseur. Den Skisport lässt der dreifache Juniorenweltmeister aber auch in seiner Verletzungspause nicht aus den Augen. Wenn es möglich ist, schaut er jedes Rennen. «Es fehlt mir etwas, wenn ich die Rennen nicht schauen kann.» Auch Andrea Ellenberger will die Rennen ihrer Teamkolleginnen nicht verpassen, auch wenn dies – insbesondere am Anfang – sehr schmerzhaft war, wie sie zugibt: «Den Riesenslalom von Courchevel im Fernseher zu sehen, hat mir echt wehgetan, aber ich musste das Rennen einfach schauen. Es ist mir wichtig. Es geht um den Sport, und wir lieben diesen. Aber es tut schon weh. Du denkst immer, wo du sein könntest und was wohl möglich gewesen wäre.» Die Nidwaldnerin versucht es allerdings positiv zu sehen. Dieser Schmerz zeige ja auch, dass das Feuer noch da ist. Auch bei Schmidiger knistert es noch immer. Er ist überzeugt, dass noch mehr in ihm steckt: «Ich habe noch nicht alles gezeigt. Bei weitem nicht alles. Deshalb kommt Aufgeben nicht in Frage. Solange das Feuer brennt, werde ich alles daransetzen, um zurückzukommen.»
Hoffen auf ein Happy End
Auf dem Weg zurück ist es für die beiden Leidensgenossen auch motivierend zu sehen, zu welchen Leistungen ihre Teamkollegen, die ähnliche Verletzungen hatten, fähig sind. Beispielsweise hat Justin Murisier in dieser Saison eindrücklich bewiesen, dass es möglich ist, nach einer schweren Verletzung stärker zurückzukommen. Mit 28 Jahren hat der Walliser das geschafft, wovon er Jahre träumte: Er fuhr im Riesenslalom von Alta Badia als Dritter erstmals auf ein Weltcup-Podest. Oder auch der erste Weltcup-Sieg im Riesenslalom von Marco Odermatt war für Schmidiger eine grosse Motivationsspritze. Nicht nur, weil er ein langjähriger Freund ist, sondern weil auch Odermatt den Meniskus operieren musste. Andrea Ellenberger, Marco Odermatt und Reto Schmidiger sind mehr als nur Teamkollegen. Die drei Nidwaldner sind zusammen beim Skiclub Hergiswil gross geworden und haben sich an die Weltspitze gekämpft. Während Odermatt dort für Furore sorgen kann, wurden Schmidiger und Ellenberger diese Saison einmal mehr von der Verletzungshexe ausgebremst. Das ist auch der Grund, warum die drei Skirennfahrer noch nie gemeinsam bei einem Grossanlass dabei waren. Vielleicht klappt es ja in einem Jahr an den Olympischen Spielen in Peking? Das würden sie sofort unterschreiben. Es wäre das Happy End einer Leidensgeschichte von zwei Kämpfern, die in ihrer Karriere extrem viel Durchhaltewille und Leidensfähigkeit bewiesen haben.
DANJA SPICHTIG
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