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Medizin

Freeriding

Traum in den Alpen oder Alptraum?

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Freeriden – die perfekte Kombination von Freiheit, Abenteuer, Nervenkitzel und Naturerlebnis! Individualität statt Massentourismus, alles nur kein Mainstream. So, oder zumindest so ähnlich wird ein Wintersporterlebnis umschrieben, das auf die Ursprünge des Skilaufens zurückgeht. Freeriden gab es schon immer, nur wurde es viele Jahrzehnte in die Nische der «uncoolen» Tourenfahrer gesteckt und deshalb nur von wenigen Kennern betrieben, die schon immer den Stellenwert dieses wunderschönen Sportes zu schätzen wussten.

Freeriden erfreut sich in den letzten Jahren einer ungebremsten Popularität, gerade auch bei jüngeren Sportlern. Mitgetragen oder sogar gepusht von den Sportartikelherstellern, die eine Chance auf eine vollständige Zweitausrüstung wittern, gibt es mittlerweile eine schier unüberblickbare Flut von Skiern in verschiedenen Breiten, Shapes und Designs, dazu Schuhe und Bindungssysteme. Allen gemeinsam ist jedoch der moderne Look and Feel, weg vom Vorurteil der Langweiligkeit und den selbstgestrickten Socken und Pullis (die ich im Übrigen sehr schätze und liebe). Im Internet alle Tests lesen, online die Ausrüstung zusammenstellen und bestellen und husch noch einen YouTube-Clip über alpine Gefahren reinziehen – fertig ist der Freerider! So oder ähnlich spielt sich die Szene mitunter ab, spiegelt zwar den Zeitgeist, ist jedoch völlig falsch und meist auch gefährlich. Freeriden verlangt aufgrund der hohen körperlichen Anforderungen und der Naturgefahren eine fundierte Vorbereitung, eine gute Beratung, eine passende Ausrüstung und sehr viel Erfahrung. Damit auch Sie unberührte Tiefschneehänge erkunden können, gilt es ein paar grundlegende Aspekte zu beachten: Beim Freeriden wird der Skifahrer ständig mit wechselnden Schneebedingungen und unterschiedlichem Gelände konfrontiert. Daher bedarf es einer entsprechenden Fahrtechnik, um sich abseits der Piste fortbewegen zu können. Um den höheren Drehwiderstand der lockeren Schneemassen zu überwinden, sollte der Kurvenwechsel möglichst dynamisch und rhythmisch gefahren werden. Bei zu tiefer Fahrgeschwindigkeit sinkt der Ski in den Schnee ein, was die Drehbewegung deutlich erschwert. Ziel ist es, beide Skier gleichmässig zu belasten, um den Schneeauftrieb optimal nutzen zu können. Während der Beuge- und Streckbewegung in Sprung- und Kniegelenken, wirken die Beine als Stossdämpfer, wodurch Unebenheiten optimal ausgeglichen werden. Der Oberkörper bleibt ruhig, tal-offen und stabil, die Grundposition ist verglichen zum herkömmlichen Skifahren tiefer. Um das Tiefschnee-Vergnügen möglichst lange geniessen zu können, ist eine gute allgemeine körperliche Fitness essenziell. Ausreichend Kraft in der Bein- und Rumpfmuskulatur sowie eine gut ausgebildete Ausdauer gehören zur Basis des Freeriders. Besonders bei langen Touren über mehrere Stunden ist eine solide Grundlagenausdauer von grosser Bedeutung, denn eine ausdauernde und ermüdungsresistente Muskulatur funktioniert länger. Weiter benötigt der Körper weniger Zeit, um sich von einer Belastung zu erholen. Eine Eigenschaft, die beim Freeriden nicht unterschätzt werden darf. Bedenken Sie, dass auf den bereits kräfteraubenden Aufstieg eine anspruchsvolle Bergabfahrt folgt, die Körper und Geist Höchst-

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leistungen abverlangt. Um ihre Grundlagenausdauer zu verbessern, empfehlen sich Sportarten wie Joggen, Radfahren, Schwimmen oder Langlauf. Versuchen Sie lange und umfangreiche Einheiten mit geringer Intensität in Ihr Training einzubauen. Weiter sorgt eine ausgeprägte Kraftausdauer dafür, auch auf längeren Abfahrten den Ski und den Körper bis zum letzten Schwung unter Kontrolle zu halten. Die vordere und hintere Oberschenkelmuskulatur, die Wade und der grosse Gesässmuskel werden beim Freeriden am meisten beansprucht. Doch auch die Bauch- und Rückenmuskulatur sind verantwortlich für ein sicheres und dynamisches Fahren. Während die Beine versuchen, Schläge auszugleichen, übernimmt der Rumpf die Stabilisierung des Körpers. Anders als auf der präparierten Piste, muss der Fahrer das Gelände immer neu antizipieren und schnell auf Hindernisse wie Hügel, Felsen und Mulden reagieren können. Wer über eine gute Stabilisations- und Koordinationsfähigkeit verfügt, ist klar im Vorteil. Um die Funktionalität Ihrer Bewegungen auf den Skiern zu verbessern, eignen sich Übungen, die Ihre sensomotorischen Fähigkeiten ansteuern. Als effektive Übungsbeispiele gelten das Training auf instabilem Untergrund (Kissen, Matte, Kreisel, Wackelbrett), Liniensprünge mit Dualaufgaben (Ball fangen, Klatschübungen, Kopfrechnen) oder der Einbeinstand mit geschlossenen Augen. Vor dem Ausflug ins freie Gelände gilt es, immer die Schneebedingungen und Lawinenberichte zu prüfen, um sich einen Überblick zu der aktuellen Gefahrensituation zu verschaffen. Weiter ist es wichtig, das Gelände zu kennen oder einen ortskundigen Bergführer beizuziehen, um das Risiko zu minimieren, in eine von Schnee bedeckte Gletscherspalte zu stürzen. Bei starkem Wind und schlechter Sicht sollte das Fahren abseits der Piste grundsätzlich vermieden werden. Ebenso empfiehlt es sich nicht, allein das Gelände zu erkunden. Das Freeriden sollte vorzugweise in der Gruppe stattfinden. Dabei ist auf einen ausreichenden Abstand zwischen den Gruppenmitgliedern von ungefähr 20 Metern zu achten. Was in der kalten Jahreszeit oft vergessen wird, ist das regelmässige Zuführen von Flüssigkeit. Starten Sie hydriert in den Tag und nehmen Sie eine Wasser- oder Teeflasche mit auf die Tour. Vergessen Sie nicht, dass das Freeriden Ihren Körper in grossem Masse fordert und Sie im Freien nicht die Möglichkeit haben, in das nächstgelegene Restaurant einzukehren. Packen Sie daher auch einen kleinen Snack für zwischendurch ein (Banane, Riegel oder Ähnliches), um Ihre Speicher wieder aufzufüllen und Ihren Körper mit Energie zu versorgen. Wer sich ideal und unter professioneller Anleitung auf das Skifahrerlebnis in der Natur vorbereiten möchte, sollte unbedingt an einem Freeridekurs und Lawinencamp teilnehmen.

DR. ANDREAS GOESELE-KOPPENBURG JENNIFER EYMANN

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