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Alpine Skiweltmeisterschaften in Cortina d’Ampezzo

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Ski-Akrobatik

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«Ich vermisse die Fans mehr, als ich gedacht hätte»

Wendy Holdener gehört zu den erfolgreichsten Skirennfahrerinnen des Swiss-Ski-Teams und wird hoffentlich auch bei den bevorstehenden alpinen Ski-Weltmeisterschaften in Cortina d'Ampezzo die Herzen der Ski-Fans höherschlagen lassen. Im Interview blickt die zweimalige Kombinations-Weltmeisterin auf den Saisonhöhepunkt voraus, und die 27-Jährige erzählt, wie sie mit den speziellen Umständen in dieser Corona-Saison umgeht. Ausserdem verrät die Athletin aus Unteriberg SZ, die die Schweiz bereits zum sechsten Mal an Weltmeisterschaften vertritt, was typisch schweizerisch an ihr ist.

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Wendy Holdener, das Coronavirus beeinflusst auch den Skizirkus. Wenn man die Rennen im Fernsehen schaut, nimmt man in erster Linie wahr, dass es keine Zuschauer hat und dass deshalb auch keine Stimmung aufkommt im Zielgelände. Gibt es auf der anderen Seite aber auch Vorteile, die man als Zuschauer nicht sehen kann? Beispielsweise, dass der Rummel um euch Fahrerinnen kleiner ist?

Wendy Holdener: Ja, wir gewinnen dadurch ein wenig Zeit. Die Startnummernauslosung fällt beispielsweise weg, und man muss auch keine Zeit mehr einberechnen, um den Fans Unterschriften zu verteilen oder mit ihnen Selfies zu machen. Aber ich vermisse die Leute mehr, als ich gedacht hätte. Ich habe gemerkt, dass mir die Zuschauer jeweils geholfen haben, mich in die Rennstimmung zu versetzen. Es hat mir richtig gutgetan, wenn sie mich angefeuert haben. Das vermisse ich.

Was genau vermisst du am meisten? Ist es der Applaus, wenn du über die Ziellinie fährst? Die Nähe zu deinen Liebsten?

Bei den Vorbereitungen vor dem Start gibt es keinen grossen Unterschied: Man hat die gleichen Leute um sich und spürt die Spannung und den Druck. Aber sobald ich am Start stehe, fehlen mir die Fans, die mir zujubeln und «Hopp Wendy» rufen. Diese Unterstützung vermisse ich, genauso wie man auch im Ziel seine Freude nicht teilen kann mit den Fans. Auf das freue ich mich – und auch nur schon darauf, dass es hoffentlich bald wieder ein paar Skifahrer am Pistenrand hat, die uns anfeuern.

Was es zu Genüge gibt in dieser Saison sind Corona-Tests. Es wäre bitter, wenn man ein Rennen aufgrund eines positiven Testergebnis verpassen würde. Wie gehst du damit um? Bist du jeweils angespannt vor den Tests?

Es gibt Tests, bei denen ich mir fast sicher bin, dass sie nicht positiv ausfallen können. Dann gibt es aber auch Tests, bei denen ich angespannt bin. Nachdem man zu Hause war beispielsweise, fängt man sich schon an zu überlegen, dass man sich hätte anstecken können, weil man Leute getroffen hatte. Diese Ungewissheit, wenn man nach Hause geht und die Bubble vom Team verlässt, finde ich fast schlimmer als die unangenehmen Tests selbst. Man muss gut überlegen, wen man trifft, denn es wäre schade, wenn man wegen dem Virus Rennen verpassen würde. Man muss deshalb sehr vorsichtig sein und versuchen, die Kontakte zu reduzieren. Das ist zwar schade, aber damit muss man in dieser Saison leben.

Die alpinen Ski-Weltmeisterschaften in Cortina d'Ampezzo finden trotz der CoronaPandemie statt. Hat die WM für dich den gleichen Stellenwert wie in anderen Jahren oder ist dieser kleiner?

Nein, eigentlich nicht. Es ist unser Highlight in dieser Saison. Es fühlt sich bis jetzt zumindest noch genauso wichtig an. Ich weiss zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht, ob und wie viele Zuschauer zugelassen sein werden. Wenn keine dort sein werden, werden wir sie sicher vermissen, aber sonst hat die WM für mich bis jetzt die gleiche Bedeutung wie in den vergangenen Jahren.

Zum ersten und bisher einzigen Mal bist du vor zwei Jahren (Januar 2019) in Cortina am Start gestanden. Im Super-G bist du damals auf Platz 6 gefahren. Darf man deshalb von guten Erinnerungen sprechen, die du an diesen Ort hast?

In der Abfahrt hatte ich damals noch Mühe, aber beim Super-G gelang mir ein Exploit. Nicht nur deshalb verbinde ich mit Cortina sehr schöne Erinnerungen und Gefühle,

sondern auch, weil es ein schöner Ort ist. Die Aussicht, die Natur dort ist einfach traumhaft. Und ausserdem liebe ich das italienische Essen.

Vreni Schneider wurde kürzlich zur erfolgreichsten Schweizer Sportlerin der letzten 70 Jahre ausgezeichnet. Im Rahmen der Sports Awards verriet die dreifache Weltmeisterin, dass sie sich den grössten Druck jeweils selbst gemacht hatte bei den Grossanlässen, weil sie auf keinen Fall eine Eintagsfliege sein wollte. Nach dem ersten Weltmeistertitel setzte sie sich stark unter Druck, weil sie diese Leistung bestätigen wollte. Du hast – wie Vreni Schneider – schon längst bewiesen, dass du keine Eintagsfliege bist. Aber kennst du das auch, dass du dich seit deinem Erfolg an der Heim-WM in St. Moritz 2017 selbst am meisten unter Druck setzt?

(Überlegt) Nein, eigentlich nicht. Vreni Schneider war überhaupt keine Eintagsfliege mit so vielen Podestplätzen, deshalb erstaunt es mich, dass sie so etwas sagte. Also mir hat es immer sehr geholfen, wenn ich mit Vertrauen an eine WM konnte. Das heisst, wenn ich vor der WM ein paar gute Resultate einfahren konnte und in Form war. Dann hatte ich das Vertrauen in meine Stärken und in mein Skifahren. Ich konnte allerdings schon vor St. Moritz Erfahrungen sammeln an Grossanlässen, bei denen nicht alles wunschgemäss gelaufen ist. Von dort konnte ich sicher auch viele Erfahrungen mitnehmen. Nachher hatte ich vielleicht auch einfach noch das Glück dazu, dass meine letzten Grossanlässe so gut gelaufen sind.

Was hilft dir sonst noch bei der optimalen Vorbereitung für einen Grossanlass? Was tut dir gut zum Abschalten und Energietanken vor einem Grossanlass wie der bevorstehenden WM?

Mir tut es gut, nochmals einen Trainingsblock einzubauen vor einem Grossanlass und auch noch ein paar Tage Pause daheim zu machen, um zur Ruhe zu kommen. Und wenn es dann soweit ist, an der WM selbst, hilft es mir, wenn die Stimmung gut ist, wenn ich viel schlafe. Ich

Wendy Holdener fuhr im Weltcup bereits in fünf Disziplinen aufs Podest.

achte darauf, dass ich nicht zu viele Energieräuber habe.

Die da wären?

Das können Trainings sein, die nicht gut laufen, das können negative Gedanken sein oder Unstimmigkeiten im Team, wenn man beispielsweise nicht die gleiche Meinung hat.

Welches sind deine ersten Kindheitserinnerungen in Bezug auf eine alpine Ski-WM?

(Lacht) Ich weiss noch, wie meine zwei älteren Brüder mit unserem Onkel an die Ski-WM 2003 nach St. Moritz durften, während ich zu Hause bleiben musste. Das ist noch sehr präsent.

Vor zehn Jahren (2011) hast du an den Junioren-Weltmeisterschaften in Crans- Montana Gold, Silber und Bronze gewonnen. Welche persönliche Entwicklung hast du seither hinter dir?

Ich hatte das Glück, dass ich meinen Weg immer Schritt für Schritt nach vorne machen durfte. Ich konnte eins nach dem anderen erreichen und auch sehr viele Podestplätze und Medaillen feiern. Ich habe sicher auch sehr viel dazugelernt. Ich bin erfahrener geworden. Gleichzeitig ist es vielleicht auch etwas schwieriger geworden mit der Zeit, weil ich heutzutage nicht mehr diese Lockerheit und Leichtigkeit habe, wie ich sie vielleicht ganz am Anfang gehabt habe. Aber, ich würde sagen, dass ich eine sehr schöne Entwicklung durchgemacht habe.

Welches war dein bislang emotionalster Moment deiner Karriere?

(Überlegt lange) Die erste WM-Medaille war sicher etwas ganz Spezielles. Es war verrückt, als ich an der Heim-WM in St. Moritz Weltmeisterin in der Kombination geworden bin. Zum einen, weil ich das Ganze zusammen mit Michelle (Gisin, d. Red.) feiern durfte, und zum anderen auch, weil es im eigenen Land war. Aber ich habe auch sonst ein paar richtig emotionale Momente erlebt und weiss deshalb nicht, ob ich mich wirklich auf diesen einen Moment festlegen kann. Ich glaube, dass es in jeder Saison ein paar Momente mit Gänsehaut-Feeling gab.

Du bist auch abseits der Pisten erfolgreich und bei Medien, Sponsoren und Fans eine sehr beliebte und gefragte Athletin. Allen Anfragen kannst du nicht gerecht werden, du musst Prioritäten setzen. Nach welcher Leitlinie gehst du hier vor?

Ich bin sehr froh, dass ich durch meinen Bruder Kevin jemanden habe, der das für mich macht. Er regelt alle Anfragen und hilft mir bei der Planung, damit ich alles unter einen Hut bringe. Und Ruedi Holdener, der zwar nicht mit uns verwandt, aber ein guter Freund unserer Familie ist, unterstützt ihn dabei. Des Weiteren unterstützt mich der Verband auch in der Handhabung unterschiedlicher Themen. So suchen wir jeweils gemeinsam die beste Lösung. Ich bin sehr froh um ihre Hilfe.

Also könnte man sagen, diese Anfragen und Aufträge gehören auf der einen Seite dazu, dürfen aber auf der anderen Seite auch nicht zu viel Platz einnehmen?

Genau, diese Anfragen müssen immer in meinen Plan passen. Gewisse Sachen sind für mich ein «Muss», andere Sachen mache ich sehr gerne. Ich finde es schön, Anerkennung wie beispielsweise von den Fans auf Social Media zu spüren. Sie geben mir auch viel zurück. Deshalb versuche ich, ihnen einen spannenden Einblick in mein Leben zu geben. Aber man muss ganz klar Prioritäten setzen. Und da ist die erste Frage immer: Was hilft mir, um schnell Ski zu fahren?

Viele Fans, Unternehmen und Marken können sich mit dir identifizieren. Welche Eigenschaften an dir sind typisch schweizerisch?

(Lacht) Ich bin sehr ehrgeizig und gleichzeitig auch bodenständig. Das sind zwei sehr schweizerische Eigenschaften. Ausserdem bin ich naturverbunden, und mir ist die Familie sehr wichtig.

Zum Schluss noch einen Blick weit voraus: Welchen Wunsch möchtest du dir nach deiner Ski-Karriere als ersten erfüllen?

(Überlegt) Ich weiss es nicht. Ich habe keinen Wunsch, auf den ich warten muss bis zu meinem Karriere-Ende. Ausser vielleicht, dass man nachher längere Reisen oder Ferien machen kann, weil bis dann das Thema Corona hoffentlich auch vom Tisch ist. (Lacht). Das ist das Einzige, was ich sagen könnte. Mal länger Ferien machen, ohne immer auf die Planung zu achten. Es ist aber nicht so, dass ich das kaum erwarten kann. Ich darf so schöne Orte auf der Welt sehen mit meinem Sport, das schätze ich sehr. DANJA SPICHTIG

OBERSTDORF

Mehrere Medaillen-Hoffnungen im Langlauf

Nach 1987 und 2005 steht Oberstdorf wieder im Fokus der nordischen Wintersportwelt, wenn die Weltmeisterinnen und Weltmeister im Skispringen, Langlauf und in der Nordisch-Kombination gekürt werden. Die Medaillenkämpfe der nordischen Athletinnen und Athleten starten am 24. Februar und dauern bis zum 7. März.

Spätestens seit ihrem ersten Weltcupsieg zählt Nadine Fähndrich im Sprint in der klassischen Technik zu den Medaillen-Kandidatinnen. Auch im Teamsprint in der freien Technik hegt die 25-jährige Luzernerin grosse Hoffnungen auf Edelmetall. Letzten Dezember lief Fähndrich zusammen mit Laurien van der Graaff in Dresden zum ersten Weltcupsieg eines Schweizer Sprint-Duos. In der Saison zuvor hatten die beiden bereits zwei Weltcup-Podestplätze im Teamsprint erreicht. Bei den Männern hat Dario Cologna vor der Saison das Ziel WM-Medaille definiert. Oberstdorf lag dem Münstertaler in der Vergangenheit gut. Der 34-Jährige lief im Allgäu bislang zu sechs Weltcup-Podestplätzen. Nachdem Cologna an Grossanlässen bereits über alle Distanzen Medaillen gewinnen konnte, ist mit ihm in Oberstdorf im Skiathlon wie auch im Einzelstart (15 km Skating) und zum Abschluss in der Königsdisziplin, dem Massenstart über 50 km klassisch, zu rechnen. Durch das Staffel-Podest anlässlich des Weltcups in Lahti im letzten Winter macht sich auch das Schweizer MännerTeam Hoffnung auf eine WM-Medaille in einem Teamwettbewerb.

Ohne den Medaillengewinner von Seefeld

Bei den letzten nordischen Ski-Weltmeisterschaften 2019 sorgte Killian Peier mit dem Gewinn der Bronzemedaille auf der Grossschanze in Innsbruck für die Schweizer Erfolgsstory. Nach dem Kreuzbandriss von Peier muss das Schweizer Team die laufende WM-Saison jedoch ohne ihre nominelle Nummer 1 bestreiten. Den Schweizer Athleten sind die Schanzen am Schattenberg bestens bekannt. Vor Jahresende duellierten sich die weltbesten Skispringer bereits im Rahmen der Vierschanzentournee in Oberstdorf. In Abwesenheit von Peier sorgte in dieser Saison insbesondere Gregor Deschwanden für die guten Resultate des Schweizer Teams; entsprechend ruhen die Hoffnungen auf eine Top-Platzierung auf dem 29-jährigen Zentralschweizer.

LUKAS KURTH

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