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Interview: Marcel Stoffel, SCSP

«Solche Investitionen kann man nicht auf die Mieter abwälzen»

Gewerbeimmobilien – Marcel Stoffel, Chef des Swiss Council of Shopping Places, über pandemiesichere Einkaufszentren, den Abschied von der Flächenproduktivität – und warum man mit einer grosszügigen Gestaltung von Centern doppelt punkten kann.

Von Susanne Osadnik – Fotos: zVg

Herr Stoffel, muss der Detailhandel sich darauf einstellen, auch dann sehr genau auf Hygiene und Virensicherheit zu achten, wenn die Covid-19-Pandemie einmal überstanden ist? Marcel Stoffel: Bestimmte Elemente aus der Zeit der Pandemie werden auch in Zukunft bestehen bleiben. Auch das wird ein Teil der neuen Normalität werden. Die Menschen sind in den «Aber auch mit Liebe zum Detail lässt sich vergangenen eineinhalb Jahren sensibler und vorsichtiger im Umgang miteinander geworden, vor allem, wenn es der Aufenthalt für sich um grössere Ansammlungen von den Kunden hygiene- Menschen in begrenzten Innenräumen sicher gestalten.» handelt. Das lässt sich nicht so leicht wieder umkehren und ist auch nicht sinnvoll. Im Gegenteil: Ein bisschen Zurückhaltung wird künftig dafür sorgen, dass wir in Herbst und Winter weniger erkranken.

Mit welchen dauerhaften Massnahmen werden Shoppingcenter reagieren müssen? Es wird Hygienestationen geben, die deutlich ansprechender und kundenfreundlicher gestaltet sein werden als die bisherigen Toilettenanlagen. Künftig werden das Räume zum Frischmachen sein, die auch nicht mehr in irgendeiner CenterEcke versteckt, sondern prominent platziert werden, sodass man sie sofort sieht und nicht erst lange danach suchen muss. Wenn Kunden das Gefühl haben, man nimmt ihr Bedürfnis nach Sauberkeit, Hygiene und Virensicherheit ernst, werden sie sich gern an so einem Ort aufhalten. Das hilft der Profilierung, wertet das Center auf und damit auch die Geschäfte, in denen ich einkaufe gehe. Darüber hinaus wird auch die Industrie davon profitieren, weil sich viele neue Möglichkeiten für neue Produkte und Dienstleistungen ergeben.

Was werden die kleinen Läden in den Fussgängerzonen machen? Für diese Geschäfte wird es schwieriger werden, solche Standards zu erfüllen. Aber auch mit Liebe zum Detail lässt sich der Aufenthalt für den Kunden hygienesicher gestalten. Man kann alles etwas gefälliger und für das Auge schöner machen, indem man nicht nur eine Flasche Desinfektionsmittel auf den Tisch am Eingang stellt, sondern sich etwas einfallen lässt. Das könnte man im Übrigen auch jetzt schon. Vielleicht einen besonders angenehmen Duft auswählen, die Billigflasche durch eine hochwertigere ersetzen und dem Kunden Erfrischungs und Reinigungstücher reichen. Da bleibt viel Raum für individuelle Lösungen. Oder mehr Platz schaffen für Sitzgelegenheiten und Ruhezonen.

In Deutschland entsteht zurzeit das erste pandemiesichere Bürohaus der Welt. Die Entwickler sind überzeugt, dass das Konzept problemlos auf Shoppingcenter übertragbar ist. Ein realistische Annahme? Kontaktlose Zutrittssysteme, digitalisierte Speisekarten, bargeldloser Zahlungsverkehr – das alles zeigt schon in die Richtung, in die wir uns bewegen. Allerdings müssen auch weitere Investitionen in bessere Be und Entlüftungssysteme erfolgen. Die Themen Luftreinheit und ContactlessSysteme sind vielleicht die wichtigsten Aspekte, wenn es um weitgehend pandemiesichere Gebäude geht.

Das alles dürfte mit Kosten verbunden sein. Wer wird dafür aufkommen? Ganz sicher nicht die Mieter. Man kann solche Investitionen nicht auf die Mieter abwälzen, sondern muss sie als Eigentümer selbst tragen – und dafür gibt es gute Gründe. Die Kalkulation ist doch ganz einfach: Kann man bei bestimmten Standards nicht mehr mithalten, wird man auch keine neuen Mieter mehr für sein Center gewinnen können. In Zukunft werden die Mieten für Retailflächen sowieso viel stärker an den Umsatz geknüpft sein.

Marcel Stoffel zügiger geplant werden – was auch bedeutet, dass wir mehr Raum brauchen, um unterschiedliche Themen aufbereiten und präsentieren zu können, um die Aufenthaltsqualität zu steigern. Diese Abkehr vom früheren Denken, so viel Ware wie nur irgend möglich auf engstem Raum auszustellen, korrespondiert gut mit den neuen Abstandsansprüchen, die mit der Pandemie einhergehen. Ein doppelter Gewinn.

«Schutz-, Sicherheits- und Hygienekonzepte müssen auch bei Refurbishments von Anfang an eingeplant werden.»

So wird Pandemiesicherheit künftig zu den Qualitätskriterien einer Liegenschaft zählen ? Wir befinden wir uns ja schon seit Jahren in einem Transformationsprozess. Es gibt in der Schweiz zahlreiche Center, die dringend revitalisiert werden müssten. Diesen bietet sich jetzt die Chance, entsprechende Schutz-, Sicherheits- und Hygienekonzepte von Anfang an in das Refurbishment mit einzuplanen und damit ihre Einkaufszentren zukunftstauglich zu machen. Schon vor Corona haben wir gesehen, dass die Ansprüche an die Center im Wandel sind. Es geht beim Einkauf und Bummeln bekanntermassen oftmals mehr um das Erlebnis als um den tatsächlichen Kauf, der häufig im Nachhinein online stattfindet. Im Zuge dieser Entwicklung müssen die Center grossWerden wir uns auch von der Maxime der Flächenproduktivität verabschieden müssen? Wir sind ja schon dabei. Flächenproduktivität als Bemessungsgrundlage für wirtschaftlichen Erfolg passt nicht zum Einkauf als Erlebnis, der nun einmal viel Platz und Raum braucht.

Gilt diese Einschätzung für alle Segmente des Detailhandels? Die einzige Ausnahme sehe ich im Bereich Lebensmittel. Bei Food-Anbietern ist die wirkungsvolle Präsentation der Ware – vor allem von Obst und Gemüse – zwar auch wichtig. Doch will niemand vor leeren Regalen stehen oder in einem Geschäft einkaufen, in dem das Warenangebot stark reduziert ist, um optische Effekte zu erreichen. Somit braucht es in diesem Segment auch weiterhin einen sehr hohen Warendruck – oder einfacher gesagt, im Food-Bereich wird nach wie vor auch weiterhin der Grundsatz gelten «je mehr, desto besser!». ∙

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