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Vom Labor auf die Baustelle

Aus dem Labor auf die Baustelle

Bauwirtschaft – Wer Bauroboter sehen will, muss nicht zwingend nach Fernost blicken. Im internationalen Vergleich hat auch die Schweiz die Nase weit vorn – dank ihrer renommierten Forschungseinrichtungen. Wie sich die Robotik in der Praxis bewährt, beschäftigt die Baubranche derzeit intensiv.

Von Anja Hall

Wer durch eine japanische Grossstadt schlendert und die unzähligen Baustellen betrachtet, dem fällt auf: Dort arbeiten sehr viele Maschinen, aber nur sehr wenige Menschen. In der Tat erlebt die Bauwirtschaft in Japan eine wahre Automatisierungswelle. Laut einem Bericht der «Japan Times» stehen die grossen Baufirmen des Landes vor einem massiven Problem: Sie werden bis zum Jahr 2025 weit über eine Million Bauarbeiter weniger haben als noch 2014; 81 Prozent der Um- Hauptgrund ist die alternde Bevölkefrageteilnehmer der ABB-Studie wollen in rung. Das Fehlen der Arbeitskräfte wollen die Firmen wettmachen, indem sie die Proden kommenden duktivität steigern –mit technischer Hilzehn Jahren Roboter fe. Der Baukonzern Kajima etwa setzt einführen. auf seinen Baustellen unbemannte, automatisierte Muldenkipper, Planierraupen und Vibrationswalzen ein, die ein Bauarbeiter mithilfe eines Tablets steuert. Sein Wettbewerber Shimizu hat einen armförmigen Roboter entwickelt, der Bewehrungsstangen anhebt und so die Arbeitskraft von drei Personen einspart.

Baurobotik: In der Schweiz schon weit verbreitet

Dass Fachkräfte fehlen, ist indes kein typisch japanisches Phänomen; es betrifft viele andere Länder. Der Technikkonzern ABB liess zwischen April und Mai dieses Jahres eine weltweite Umfrage unter 1.900 Unternehmen der Baubranche durchführen. Ergebnis: Neun von zehn der befragten Firmen erwarten bis zum Jahr 2030 einen Fachkräftemangel. Um dem drohenden Engpass zu begegnen, setzen auch sie auf Automatisierung und Robotik: 81 Prozent der Umfrageteilnehmer kündigten an, dass sie in den kommenden zehn Jahren Roboter einführen wollen. Wie die Studie weiter ergab, nutzen bislang nur 55 Prozent der befragten Unternehmen diese neuen Technologien. Anders in der Schweiz: Laut der ABBStudie setzen 88 Prozent der 200 befragten Unternehmen hierzulande Roboter und Automatisierungstechnologie ein, das ist der höchste Wert aller Länder in der Befragung. In den USA nutzen nur 30 Prozent der Unternehmen die Möglichkeiten der Robotik, in den Nachbarländern Italien (59%), Frankreich (45%) und Österreich (53%) ist die Lage kaum besser; in Deutschland sind es bereits 75 Prozent. Vom Einsatz von Robotern und Automatisierungstechnologien versprechen sich die Unternehmen eine ganze Reihe von Vorteilen – insbesondere eine Verbesserung von Gesundheit und Sicherheit ihrer Mitarbeitenden, die Gewährleistung einer gleichbleibenden Qualität, mehr Möglichkeiten für die Gebäudeplanung, weniger Materialverschwendung – und nicht zuletzt eine bessere Arbeitsproduktivität sowie höhere Gewinnmargen. Die hohe Zahl von 88 Prozent macht zunächst stutzig, aber Zafer Bakir, Leiter Digitalisierung beim Schweizerischen Baumeisterverband, hält sie nicht für abwegig: «Man sollte sich nicht vorstellen, dass auf Schweizer Baustellen schon humanoide Roboter unterwegs sind», sagt er im Gespräch mit dem INNOVATION Magazin. «Auch ein ganz normaler, menschenhandgesteuerter Baubagger gehört per definitionem zu den sogenannten teleoperierten Baurobotern – und davon stehen viele auf den Baustellen hierzulande.» Auch im Modulbau finde man immer häufiger Automatisierungstechnologien. Hier ist Bakir zufolge eine Standardisierung und Automatisierung besonders gut möglich. Und je mehr modular gebaut werde, desto mehr setze sich auch die Robotik durch. Der Digitalisierungsexperte beobachtet, dass viele Mitgliedsunternehmen des Baumeisterverbands derzeit den Einsatz von Baurobotern testen und geeignete Anwendungsfelder suchen.

ETH-Forscher treiben Entwicklung voran

Dass die Baurobotik schon so weit verbreitet ist, liegt nicht zuletzt an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich, die in diesem Bereich als führend in der Forschung und Ent

© Hilti Der «Jaibot» des Werkzeugherstellers Hilti im Einsatz

wicklung gilt. Schon 2017 haben Forscher und Forscherinnen der ETH gemeinsam mit Partnern aus der Wirtschaft das dreigeschossige DFAB House auf einer der Plattformen des NEST-Gebäudes der Empa und Eawag in Dübendorf gebaut. Es war nach Angaben der Hochschule das weltweit erste Haus, das weitgehend mit digitalen Prozessen entworfen, geplant und gebaut wurde. Mehrere innovative Bauverfahren wurden dabei einem Praxistest unterzogen, darunter die MeshMould-Technologie, wobei der an der ETH entwickelte, zwei Meter grosse Bauroboter «In situ Fabricator» ein Stahldrahtgitter fertigte, das sowohl als Schalung als auch als Bewehrung für den Beton diente. Für die Fassade des Basisgeschosses wurde ein automatisiertes robotisches Gleitschalungsverfahren erprobt, das massgeschneiderte Fassadenpfosten aus Beton fabrizierte. Und die beiden oberen Stockwerke mit Einzelzimmern wurden von kollaborierenden Robotern als Holzbau vorgefertigt.

Kleinroboter auf dem Vormarsch

Derzeit regen mobile Kleinroboter die Phantasie vieler Bauunternehmen an: Der vierbeinige «ANYmal» beispielsweise, den die ETH-Ausgründung ANYbotics entwickelt hat, hat die Grösse eines kleinen Hundes. Er kann laufen, Treppen steigen und in schwierigem Terrain klettern, zudem haben die Erfinder ihn mit Sensoren wie Wärmekameras und 3D-Scannern ausgestattet. Er soll künftig etwa Industrieanlagen oder Kanalisationen inspizieren und überwachen sowie gefährliche Wartungsaufgaben übernehmen. Im Rahmen eines Testprojekts hat er bereits eigenständig in der Kanalisation Zürichs gearbeitet; «Roboter sollen doch kooperiert ANYbotics auch bereits mit Unternehmen aus der Baubranche und der Energiebranche, wie Péter Fankhauser, Mitgründer und CEO von ANYden Menschen nicht ersetzen, sondern ihm dabei botics, mitteilt (s. hierzu auch Nachricht helfen, repetitive, S. x). monotone und «Ein solcher Rover könnte etwa bei der Bauüberwachung eingesetzt werden», sagt Bakir. Der Kleinroboter könne etwa auch gesundheitsschädliche Aufgaben einen Abgleich vornehmen zwischen zu erledigen.» dem Ist-Zustand auf der Baustelle und dem BIM-Modell – und allfällige Abweichungen melden. Weitere Einsatzbereiche wären etwa Qualitäts- und Sicherheitskontrollen. Bis die Rover jedoch zum Standard auf den Baustellen werden, dürften einige Jahre ins Land ziehen. «Die Kleinroboter kosten derzeit noch sehr viel Geld, es braucht daher eine bestimmte Unternehmensgrösse und ein bestimmtes Geschäftsmodell, damit sich eine so hohe Investition für ein Unternehmen lohnt», sagt Bakir. Anwendungsfälle sieht der Digitalisierungsexperte derzeit vor allem bei grossen Projekten im Infrastrukturbau, aber auch beim Bauen am Hang oder am

Der «In situ Fabricator» baut eine Wand mithilfe der Mesh-MouldTechnologie.

© Gramazio Kohler, Research ETH Zürich

Berg, also in potenziell gefährlichen Umgebungen. Je weiter die Technologie voranschreite, desto mehr Einsatz dürften die Rover finden, ist Bakir überzeugt.

Entlastung für die Bau-Teams

Einen Roboter, den man dagegen schon in naher Zukunft häufiger auf den Baustellen antreffen könnte, ist der « Hilti Jaibot» des Werk-

«Branchenfremde zeugherstellers Hilti. Der semi-autonoPlayer werden neue me, mobile Baustellenroboter wurde im Robotikansätze einbringen.» Oktober 2020 erstmals der breiten Öffentlichkeit vorgestellt. Er wurde speziell für Deckenbohrungen konstruiert und soll vor allem Installationsarbeiten, unter anderem im Heizungs-, Klima- und Lüftungsbau, bei grossen Bauten wie Bürogebäuden oder Krankenhäusern erleichtern. Der Bohrroboter arbeitet auf Basis von BIM-Daten (Building Information Modeling) und kann sich in Innenräumen akkurat ausrichten, Löcher bohren und diese für die verschiedenen Gewerke markieren. Navigiert wird «Jaibot» per Fernsteuerung. Bei der Entwicklung des Roboters habe man einen Ansatz gewählt, der auch in der Softwareentwick«ANYmal» von lung zur Anwendung komme, berichtet Rüdiger ANYbotics kann sich auf vier Beinen auch in schwierigem Wagner, Head of Open Technology Innovation and Robotics bei Hilti. «Wir haben zuerst nur eine

Terrain autonom Funktion, die unsere Kunden gut gebrauchen könbewegen.

© ANYbotics nen, zügig auf den Markt gebracht. Im zweiten Schritt entwickeln wir das Produkt gemeinsam mit den Kunden weiter.» Dabei sollen vor allem Erfahrungen aus dem Praxiseinsatz auf der Baustelle einfliessen. «Denn man kann sich am Schreibtisch viel ausdenken, die Realität sieht immer anders aus», sagt Wagner. Arbeiten, die über Kopf ausgeführt werden müssen, gelten als besonders belastend und anstrengend, daher ist bei Hilti die Wahl auf eine Anwendung gefallen, welche die Arbeitskräfte genau davon entlastet. «Roboter sollen den Menschen nicht ersetzen, sondern ihm dabei helfen, repetitive, monotone und auch gesundheitsschädliche Aufgaben zu erledigen», sagt Wagner. Er ist überzeugt, dass es in den nächsten Jahren zu einer «signifikanten Zunahme» der Robotik auf der Bauwirtschaft kommen wird. Auch Zafer Bakir, der Digitalisierungsexperte des Schweizerischen Baumeisterverbandes, ist sicher, dass die Bauroboter in einigen Jahren nicht mehr wegzudenken sein werden von den Baustellen: «Wir werden sehen, dass die Maschinen, die es heute schon auf den Baustellen gibt – also etwa Bagger – immer intelligenter werden. In einem nächsten Schub dürften Rover und andere Kleinroboter häufiger eingesetzt werden.» Das könnten etwa auch Drohnen sein, die über Baustellen fliegen und Daten sammeln. Parallel dazu werde das modulare Bauen zunehmen, und damit auch die Automatisierungstechnologie.

Neue Robotikansätze

Langfristig erwartet Bakir, dass branchenfremde Player neue Robotikansätze in die Branche bringen werden. «Zugegeben, das ist sehr weit in die Zukunft gedacht. Aber wenn wir sehen, in welchen Bereichen Risikokapitalgeber investieren und was etwa beim NEST in Dübendorf geforscht und entwickelt wird, dann ist das die Richtung, in die es gehen wird.» ∙

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