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Fortschritt ist, im Kreis zu denken

Kreislaufwirtschaft – Immer mehr Schweizer Städte feilen an Konzepten für die Vermeidung von Abfall, mit mehr oder weniger Erfolg. Die Bauindustrie ist schon einen grossen Schritt vorangekommen. Im Herbst geht ein erstes Aufbereitungszentrum für Bauabfälle in Betrieb – und der erste CO2speichernde Beton ist bereits seit diesem Frühjahr im Einsatz.

Von Susanne Osadnik – Fotos: zVg

In der Schweiz legt man viel Wert auf Sauberkeit und Ordnung und ist stolz auf seine intakte Natur. Leider passen die jüngsten Zahlen der OECD zur weltweiten Abfallproduktion so ganz und gar nicht zu diesem Image: Vielmehr war das Land 2019 der viertgrösste Abfallproduzent Europas – mit mehr als 707 Kilogramm pro Kopf und Jahr. Den Löwenanteil daran machen die Einwegverpackungen aus Kunststoff oder anderen Materialien aus.

Grosses Verbesserungspotenzial

Alle Städte in der Schweiz haben mit wachsenden Müllbergen zu tun und müssen neben der Entsorgung von Haushaltsabfällen auch die zunehmenden Abfälle im Take-away-Bereich «Die Städte sollten in ihrem Einflussbebewältigen. Gleichzeitig sind sie gefordert, Konzepte für Abfallvermeidung zu entwickeln und dazu beizutragen, den reich Einwegverpa- Einsatz von Mehrwegsystemen in ihrem ckungen zur Ausnah- Einflussbereich zu fördern. me und Mehrweg zur Regel machen.» Wie gut oder schlecht das klappt, hat Greenpeace Schweiz kürzlich untersucht: Im Rahmen einer VergleichsstuFlorian Kasser, die wurden die bisherigen Massnahmen Greenpeace Schweiz der 15 bevölkerungsreichsten Kantonshauptstädte zur Förderung von Mehrweglösungen untersucht – insbesondere bei Veranstaltungen, in der Gastronomie und in der Bevölkerung. Das Ergebnis: Basel und Bern führen in vielen Bereichen das Ranking an. Fribourg und St. Gallen sind auf gutem Weg, während Zug, Chur, Frauenfeld, Schaffhausen und Zürich beispielsweise bei der Nutzung von Mehrweggeschirr bisher keine nennenswerten Anstrengungen unternommen hätten. Greenpeace Schweiz fordert daher die Städte auf, eine umfassende Strategie zu entwickeln, um sicherzustellen, dass alle Aktivitäten im öffentlichen Raum nur mit wiederverwendbaren Materialien durchgeführt werden, ohne auf falsche Lösungen wie Ersatzmaterialien (Papier, Karton, Bioplastik) zurückzugreifen. Um die Umwelt und das Klima zu schonen, sei es dringend notwendig, alle Formen von Einweg durch Mehrweg zu ersetzen. «Die Städte sollten in ihrem Einflussbereich Einwegverpackungen zur Ausnahme und Mehrweg zur Regel machen», sagt Florian Kasser, Zero-WasteExperte von Greenpeace Schweiz. Offenbart die Studie grundsätzlich grosses Verbesserungspotenzial, sehen die Umweltaktivisten vor allem die Stadt Zürich in der Pflicht, ihre schlechte Bilanz beim Thema Mehrweg zu verbessern. Denn bislang sei eine stadtweite Umweltstrategie erst in Erarbeitung, ebenso eine Kreislaufwirtschaftsstrategie, die auch explizit das Thema Mehrweg beinhalten soll. Bei Veranstaltern werde das Thema zwar angesprochen; es existierten jedoch weder verbindliche Vorgaben noch städtische Angebote, die die Nutzung von Mehrweggeschirr und -bechern bei Veranstaltungen erleichtern, so Greenpeace. In städtischen Personalrestaurants und Cafeterias, aber auch bei Take-aways und Strassencafés sowie bei Pachtverträgen für Kiosk- und Take-away-Betriebe in städtischen Liegenschaften gebe es in Zürich ebenfalls keine verbindlichen Vorgaben für Mehrweglösungen.

Überzeugungsarbeit statt Verbote

Die wird es auch künftig nicht geben. Denn in Zürich hält man nicht viel von Geboten oder Verboten. Man setzt auf Überzeugungsarbeit, um Bürger, Unternehmen und Institutionen zum freiwilligen Mitmachen zu bewegen. Dazu wurde Anfang des

ERZ-Pilotprojekt zur Kunststoffsammlung in Höngg und Schwamendingen

Jahres bei der Dienstabteilung Entsorgung und Recyling Zürich (ERZ) die «Gruppe Kreislaufwirtschaft» ins Leben gerufen, die sich künftig umfassend mit Abfallvermeidung und -verminderung beschäftigen soll.

Mehr Angebote zum Wiederverwenden

Einen der Schwerpunkte stellt dabei der Versuch dar, mehr Stoffkreisläufe zu schliessen. Etwa durch Recycling. «Viele Kunststoffe sind nicht recycelbar, weil sie aus miteinander verbundenen Kunststoffsorten bestehen oder aber stark verschmutzt sind», erklärt Andreas Lindau, Leiter der Gruppe Kreislaufwirtschaft. «Diese Hälfte nicht recycelbaren Kunststoffabfalls soll weiterhin im Kehrichheizkraftwerk Hagenholz verbrannt werden und Fernwärme liefern. Recyelbare Kunststoffe sollen aber wieder zu neuem Kunststoff werden können.» Mit dem Pilotprojekt zur Kunststoffsammlung im vergangenen Jahr habe die ERZ wertvolle Erkenntnisse gewonnen, berichtet Lindau: «Darauf müssen wir jetzt aufbauen.» Von Juni bis Dezember konnten die Anwohner und Anwohnerinnen in Höngg und Schwamendingen an mehr als einem Dutzend Standorten neben Glas und Kleinmetall auch Kunststoff entsorgen. Und sie nutzten das Angebot äusserst fleissig: Allein bis Anfang November konnten rund 60 Tonnen Kunststoff eingesammelt werden – gut 20 Prozent dessen, was sonst durchschnittlich als Abfall angefallen wäre. Eigentlich eine gute Nachricht – wäre da nicht die besondere Herausforderung des enormen Volumens des Kunststoffs gewesen: Denn das ERZ musste die Anzahl der Sammelbehälter bereits kurz nach dem Teststart mehr als verdoppeln und den Kunststoff bis zu dreimal täglich abholen. «Um stadtweit eine geordnete Sammlung und Abholung gewährleisten zu können, müsste der Kunststoffabfall an jeder der 165 Wertstoffsammelstellen «Wir wollen das Bewusstsein förgesammelt und eventuell vor Ort ge- dern, dass man nicht presst, der ERZ-Fahrzeugpark erwei- alles wegwerfen tert, zusätzliches Personal angestellt und die Wertstoffsammelstellen mit geeigneten Behältern ausgerüstet werden», sagt Lindau. «Ein enormer logismuss, wenn es defekt ist, sondern vieles auch repariert tischer und finanzieller Aufwand.» Man oder geliehen werprüfe nun, ob die Sammlung von Kunst- den kann» stoffabfall in bestehende Logistikketten, etwa des Detailhandels, integriert werden könne, um Mehrkosten zu reduzieren und zusätzliche Fahrten im StadtgeAndreas Lindau, Entsorgung und Recyling Zürich (ERZ) biet zu vermeiden. Dass es natürlich weitaus besser wäre, erst gar nicht so viel Abfall zu produzieren, weiss man auch in der ERZ. Daher sind Abfallvermeidung und die Förderung von Mehrwegsystemen ein wichtiger Schwerpunkt der Arbeit von Andreas Lindau und seinen Mitarbeitern. «Wir wollen das Bewusstsein fördern, dass man nicht alles wegwerfen muss, wenn es defekt ist, sondern vieles auch repariert

oder geliehen werden kann», so Lindau. «Deshalb wollen wir Angebote zum Wiederverwenden oder zum Reparieren schaffen, etwa für Schuhe oder Möbel.» Dabei soll Zürich keine städtische Parallelindustrie werden, sondern mithilfe von Startups Ideen sammeln, Plattformen einrichten, über Angebote informieren und somit auch kleine Gewerbetreibende unterstützen, die entsprechende Dienstleistungen anbieten. Auch Gastronomie, Grossveranstalter und FoodAnbieter sollen mitmachen und möglichst nur noch Mehrweggebinde anbieten. Dafür könnten beispielsweise Unternehmer auch in einem Verzeichnis aufgeführt werden, in dem sich Verbraucher informieren können, wer bei der Müllvermeidung mitmacht. Aus Sicht von Andreas Lindau könnte dies für Unternehmen einen zusätzlichen Imagegewinn bedeuten. Eine weitere Idee: «Ich kann mir auch öffentliche Rückgabeautomaten vorstellen, in der die gebrauchte Plastiksalatschüssel landet, wieder gewaschen und weiterverwendet wird», so der Abfallspezialist. «Am Zürcher Bahnhof hat ein Unternehmen kürzlich einen Versuch mit einem Automaten für Coffee-to-go-Becher ge «Jedes Material ist für sich wertvoll, startet. Wir sind gespannt, wie das von der Bevölkerung angenommen wird.» aber im Gemisch ist Sortenreine Sekundärrohstoffe es problematisch.» Was in Zürich innerstädtisch im Kleinen

Patrick van der Haegen, angedacht wird, ist in Oberglatt schon Eberhard Unternehmungen seit Längerem im Grossen in der Umsetzung. Mit dem Aufbereitungszentrum für Bauabfälle EbiMIK (Eberhard – Materialien im Kreislauf) hat die Bauindustrie den Wendepunkt von der reinen Recycling- zu einer echten Kreislaufwirtschaft geschafft. Im September wird das neue Zentrum mit einer Grundfläche von rund 20.000 Quadratmetern seinen Betrieb aufnehmen. Mit von der Partie: sechs «intelligente» Roboter, das Herzstück der Aufbereitungsanlage für Mischabbruch. «Mischabbruch ist ein Gemisch aus Beton, Backstein, Ziegeln, Gips, Holz, Glas, Metall oder Plastik. Jedes Material ist für sich wertvoll, aber im Gemisch ist es problematisch», erklärt Patrick van der Haegen, Leiter Entwicklung bei Eberhard Unternehmungen, die sich seit Jahrzehnten als Pioniere im Baubereich engagieren. «Die bisherige Aufbereitung erlaubt nur die Verwendung in Beton mit geringen Anforderungen. Die Materialien werden nicht gleichwertig verwendet. Das ist Downcycling.» Das neue EbiMIK hingegen sei komplett für Mischabbruch ausgelegt und setzte dazu auf eine neue Verfahrenstechnik: Zuerst wird sortiert, dann zerkleinert, danach befreien zwei Roboterlinien mit je drei Greifarmen die mineralischen Stoffe von Fremdstoffen wie Plastik, Gips, Holz oder Leichtmetallen. Die künstliche Intelligenz der Roboter erkennt dabei die Materialien über Sensorboxen. Auf diese Weise könnten hochwertige, sortenreine Sekundärrohstoffe gewonnen und das Downcycling – sprich eine minderwertige Wiederverwendung – vermieden werden. Nicht nur aus Sicht des Familienunternehmens in dritter Generation ist das auch dringend nötig: Allein beim Rückbau von Gebäuden fallen in der Schweiz pro Jahr rund 7,5 Millionen Tonnen Bauabfälle an. Gemäss der Statistik des Bundesamts für Umwelt (Bafu) wurden im Jahr 2018 von insgesamt 17,5 Millionen Tonnen Rückbaumaterialien knapp 12 Millionen Tonnen wiederverwertet. Ein grosser Teil der Materialien ist demnach noch nicht in einen Kreislauf einbezogen. Das gilt vor allem für den sogenannten Mischabbruch. Die Abfälle aus dem Rückbau von Gebäuden setzen sich gemäss Eberhard Unternehmungen aus zwei Dritteln Betonabbruch, aus einem Viertel Mischabbruch sowie ferner aus Bausperrgut zusammen. Mischabbruch werde heutzutage in aller Regel mittels Downcycling deponiert oder minderwertig wiederverwendet. Dank EbiMIK könne Mischabbruch nun zu neuen Wertstoffen aufbereitet und im Rohstofflager könnten bis zu 60.000 Tonnen dieser Sekundärrohstoffe gelagert werden, heisst es aus dem Unternehmen, das in diesem Jahr schon mit weiteren Innovationen für Schlagzeilen sorgte (s. auch Seite 4).

zirkulit®-Beton statt Sand und Kies

Bereits im Mai setzte das Traditionsunternehmen mit Sitz in Kloten neue Massstäbe mit der Lieferung des ersten Kubikmeters zirkulit®-Beton – dem ersten zirkulären Beton, der beim Bau von drei Mehrfamilienhäusern zu Einsatz kam. Dank einer von Eberhard entwickelten speziellen Rezeptur kann der Beton CO2 speichern und trägt so zur Nachhaltigkeit bei, büsst aber nichts von den statischen Fähigkeiten eines Primärbetons ein und kann für das ganze Haus verwendet werden. Dadurch können auch endliche Ressourcen von Sand und Kies geschont werden. Mit dem Einsatz von 1850 Kubikmeter zirkulit®-Beton könne die Bauherrin der Mehrfamilienhäuser rund 3.200 Tonnen Primärrohstoffe sparen. Zudem reduziere sich der CO2-Fussabdruck des Bauprojekts um 18.500 Kilogramm, sagt Patrick Eberhard, Bereichsleiter Baustoffe der Eberhard Unternehmungen. «Das Potenzial von zirkulit®-Beton ist gross. Theoretisch könnte die Bauwirtschaft in der Schweiz jährlich 7,5 Millionen Tonnen Abfall beseitigen und gleichzeitig über 42 Millionen Kilogramm CO2 im Beton speichern.»∙

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