SoSe 18_jonathan_dulisch

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WOHNEN ZWISCHEN DEN WELTEN

eine Bachelorarbeit von Jonathan Dulisch

betreut von Prof. Kazu Blumfeld Hanada AA. Dipl. an der msa I muenster school of architecture August 2018


Prolog_ Inhaltsverzeichnis

PATIO Definition

PORCHE

9

Definition

NICARAGUA

77

Gesellschaft

ENTWURF

127

Analyse

Etymologie

Etymologie

Allgemeines

Anforderungen

Sprachliche Definition

Sprachliche Definition

Bevölkerung

Entwurfswerte

Kriminalität

Vertiefungsanalyse

Wirtschaft

Ortsanalyse

Historie

15

Historie

83

183

201

Frühzeit

Ursprung

Vergleich

Altes Ägypten

Antike

Chinesische Architektur

Östliche Architektur

Japanische Architektur

Mittelalter und Renaissance

Entdeckung und Kolonialzeit

Vergangenheit & Zukunft

Antikes Griechenland

Kolonialarchitektur

Unabhängigkeit

Regen & Sonne

Römisches Reich

Lateinamerika

Diktator Somoza

Verschlossenheit & Offenheit

Islamische Architektur

Nordamerika

Sandinistische Revolution

Lokalität & Globalität

Mittelalter und Renaissance

Neuzeit

Nach 1990

Historie

Andalusischer Patio

Alemán und Ortega

Lateinamerika

Familie Ortega

Architekturmoderne

Aktuelle politische Lage

143

Konzept

Epilog

293

29 5

Neuzeit Eigenschaften

51

Eigenschaften

101

Gegebenheiten

171

ANHANG

Räumliche Eigenschaften

Räumliche Eigenschaften

Geographie

Endnoten

Nutzungsmöglichkeiten

Nutzungsmöglichkeiten

Klima

Literaturverzeichnis

Begriffliche Abgrenzung

Begriffliche Abgrenzung

Flora

Abbildungsverzeichnis

Qualitäten

Qualitäten

Architektur


Prolog_ Wohnen zwischen den Welten

In der Welt zusammenleben heißt wesentlich, dass eine Welt von Dingen zwischen denen liegt, deren gemeinsamer Wohnort sie ist, und zwar in dem gleichen Sinne, in dem etwa ein Tisch zwischen denen steht, die um ihn herum sitzen; wie jedes Zwischen verbindet und trennt die Welt diejenigen, denen sie jeweils gemeinsam ist.1

Der Entwurf eines Wohnhauses in Managua,

Umstände angepasst werden kann. Aufgrunddes-

Nicaragua ist geprägt vom „Dazwischen“: Ge-

sen entstehen über den gesamten Familienzyk-

legen in einem Viertel der Mittelschicht, in

lus und darüber hinaus vielfältige Nutzungs- und

der Hauptstadt eines der ärmsten Länder der

Verschaltungsmöglichkeiten

Welt, muss es sowohl den sicherheitstechni-

chen Graden der Privatheit und Offenheit, die in

schen Notwendigkeiten und klimatischen Ge-

verschiedenen Szenarien durchdacht wurden.

mit

unterschiedli-

gebenheiten, als auch den atmosphärischen und räumlichen Anforderungen der nicaragua-

Im Spannungsfeld zwischen vergangenen und zu-

nisch-deutschen Hausbesitzer gerecht werden.

künftigen Anforderungen, zwischen Regen und

Sonne, zwischen Verschlossenheit und Offenheit,

Dabei sollte der Entwurf die westlichen Ansprü-

zwischen Lokalität und Globalität, stellt der Ent-

che einer bereisten Familie erfüllen und gleich-

wurf einen Verbindungs- und Grenzpunkt zwi-

zeitig die Erfahrbarkeit seiner geografischen und

schen den Extremen dar und macht dieses „Da-

kulturellen Lage ermöglichen, indem er Klima,

zwischen“ erfahrbar. Ein zeitgemäßer und gleich-

Kultur und Gesellschaft im Haus erlebbar macht.

zeitig zeitloser Lebensraum zwischen den Welten,

Der Einbezug von lokalen Architekturtypologien,

der das Eine und das Andere verbindet und aus

wie des Patios und des Porches, die in der vo-

deren Verschiedenheit seine konzeptionelle und

rangegangen Vertiefung ausführlich betrachtet

vielfältige räumliche Qualität zieht.

wurden, ermöglichte die Integration des Außen, des „Fremden“, in das Gebäudeinnere. Um dem Wandel der Zeit zu begegnen, ist durch variable Öffnungs- und Verschlusselemente eine flexible Raumstruktur entstanden, die an sich verändernde persönliche, kulturelle oder gesellschaftliche


PA-

Der Mensch braucht inmitten des Universums einen Raum des Friedens, der Geborgenheit, als Teil der grÜsseren, feindlichen, unbestimmten Aussenwelt, einen Raum, der trotzdem teilhat an Tag und Nacht, an Sonne und Mond, an Hitze, Kälte und Regen...2


Definition_ Etymologie Sprachliche Definition

9


Definition_ Etymologie

Mittlerweile als Fremdwort vom Spanischen ins Deutsche übernommen, wird Patio als „(besonders in Spanien und Lateinamerika) Innenhof eines Hauses, zu dem hin sich die Wohnräume öffnen”3 definiert. Die lateinische Wortherkunft ist nicht eindeutig zu klären, verschiedene Quellen spekulieren eine Abstammung vom mittellateinischen „patuum” (gemeinschaftliche Viehweide), aber auch von „pactum” (Pakt, Übereinkunft), „paco” (friedlich machen, unterwerfen), „patior” (dulden, hinnehmen), „spatium” (Raum, Weite), „patere / pateo / patescere” (offen sein, sich öffnen), „patulus” (allen zugänglich) oder auch dem okzitanischen „pàtu / pati” (Hof).4 Die Übersetzung ins Deutsche erfolgt häufig als „Hof” oder „Innenhof”, in der englischen Sprache als „courtyard” oder „court”, auch „yard”5 und „forecourt”, im Französischen gar als „véranda”. Synonym werden insbesondere im Englischen „terrace”, „porch”, „veranda” und „loggia” verwendet, wobei es sich hierbei im allgemeinen architektonischen Verständnis um andere Typologien handelt.

11


Definition_ Sprachliche Definition

Abweichend vom modernen deutschen Wort-

Bereits aufgrund dieser ersten etymologischen

gebrauch beschreibt der Begriff des Patios laut

Betrachtung wird deutlich, dass der Begriff

Cambridge Lexikon im britischen Englisch „einen

„Patio” sich als Typologie und Architekturelement

Bereich außerhalb eines Hauses mit einem festen

nicht eindeutig definieren lässt und in verschie-

Boden, aber keinem Dach, der bei gutem Wetter zur

denen Sprachräumen unterschiedlich verstanden

Entspannung, zum Essen etc. genutzt wird” und im

wird. Für die folgende Vertiefung und die Ausein-

amerikanischen Englisch ähnlich „einen Außenbe-

andersetzung mit der Historie, den Eigenschaften,

reich mit einem festen Boden neben einem Haus,

Qualitäten und vielfältigen Funktionen des Patio,

wo man sitzen kann” .

wird dieser im weiten Sinne als „als unbedachter,

6

umschlossener Raum innerhalb eines (Wohn-)HauBeide Beschreibungen würden im Deutschen eher

ses” definiert.

mit dem Wort „Terrasse” gefasst werden. Lediglich das Oxford Dictionary beschreibt als Patio sowohl „einen befestigten Außenbereich an ein Haus angrenzend” als auch einen „dachlosen Innenhof in einem spanischen oder spanisch-amerikanischen Haus”7. In der spanischen Sprache selbst besitzt der Begriff mehrere Bedeutungen. Im architektonischen Sinne ist er, nach der Real Academia Española, ein „Raum von Wänden oder Galerien umschlossen, Abb. 1: Typologie Patio

12

der in Wohnhäusern und anderen Gebäuden normalerweise unbedeckt bleibt”8.

13


Historie_ Frühzeit Altes Ägypten Chinesische Architektur Japanische Architektur Antikes Griechenland Römisches Reich Islamische Architektur Mittelalter und Renaissance Andalusischer Patio Lateinamerika Architekturmoderne Neuzeit

15


Historie_ Frühzeit

Wohnhäuser mit Innenhof sind eine der ältesten

verschiedenen Epochen entstanden und auch

bekannten, von Menschenhand geschaffenen,

wieder verschwunden.

Bauformen, die sich in vielen Kulturen weltweit

Lateinamerika

Römisches Reich

ab ca. 1500

ab 200 v. Chr.

Spanien

ab 1000 n. Chr.

Nordafrika

Basierend auf verschiedenen Quellen12 sind die

lässt. Unabhängig von unterschiedlichen klimati-

frühesten Häuser mit Innenhof entweder aus no-

schen, sozial-gesellschaftlichen und religiös-kul-

madischen Behausungen oder den ersten um-

turellen Gegebenheiten wurden Innenhöfe seit je-

zäunten Ansiedlungen von landwirtschaftlichen

her für vielfältige Funktionen, rein funktional oder

Gemeinden entstanden. So werden unter an-

auch sozial, genutzt.

derem die Troglodyten-Dörfer, in den Matmatas im Süden Tunesiens, als ältestes Zeugnis von

Griechenland ab 700 v. Chr.

ab 700 n. Chr.

und in verschiedensten Ausprägungen finden

Wo und wann die ersten Wohnhäuser mit Innenhof

Wohnhäusern mit Innenhof genannt, vorangegan-

entstanden sind, ist aufgrund eines Mangels an

gen von den „douars” in Nordafrika, den Lagern

archäologischen Zeugnissen, insbesondere ein-

nomadischer Stämme in Westafrika, den „Kraals

deutigen Nachweisen, nicht nachvollziehbar und

von Bechuanaland” in Südafrika sowie den ersten

wird nach wie vor von Architekturhistorikern und

rechteckigen Siedlungen in Marokko13.

-theoretikern diskutiert.9

Mesopotamien

Werner Blaser zufolge hat sich der Innenhof aus

ca. 5.000 v. Chr.

Warum Menschen begannen Innenhöfe zu bau-

der Dachöffnung zum Rauchabzug über der zen-

10

en, ist ebenso unklar, jedoch vermuten Hinrichs

tral gelegenen Feuerstelle in Wohnhäusern ent-

und Schoenauer , dass dies dem universellen

wickelt14. Nach und nach wurden diese schmalen

menschlichen Bedürfnis nach einem geschlos-

Öffnungen größer und man begann Wohnräume

senen, verteidigbaren und privaten Lebensraum

kreisförmig um diesen Freiraum anzulegen, der

geschuldet ist. Wie zu zeigen ist, ist diese Wohn-

nach wie vor hauptsächlich als Kochstelle und

typologie in den unterschiedlichsten Kulturen in

Verkehrsfläche für Menschen und Tiere diente.

11

Abb. 2: Diffusion des Patio-Hauses

16

17


Die ältesten Zeugnisse von befestigten Wohn-

Ein typisches babylonisches Haus (é) des ersten

häusern mit Innenhof stammen aus der yarmukia-

Jahrhunderts vor Christus, gebaut aus gebrann-

nischen sowie babylonischen Kultur. In der Aus-

ten Ziegeln, bestand aus einem zentralen Innen-

grabungsstätte der spät-neolithischen Siedlung

hof (tarbaṣu), der auf allen vier (square house) oder

Sha’ar Hagolan der Yarmukian-Kultur im heutigen

auf zwei oder drei (linear house) Seiten von Räu-

Israel wurden 250 bis 700 m große, teils zwei-

men umgeben war18. Im Erdgeschoss befanden

stöckige Häuser entdeckt, die aus einem recht-

sich Küche, Arbeitsräume und öffentliche Berei-

eckigen oder abgerundeten Innenhof umgeben

che, während die Privaträume im Obergeschoss

von mehreren schmalen Räumen bestanden . Die

lagen. Die einzige Öffnung nach Außen und somit

auf etwa 5500 bis 5000 v. Chr. datierten Struktu-

der einzige Eingang, führte in einen Vorraum, der

ren grenzen sich zu den öffentlichen Wegen mit

einen direkten Einblick in das Hausinnere verhin-

gemauerten Wänden ab, während sich im Haus-

dern sollte. Diese lässt, laut Baker, auf eine strikte

inneren meist ein zentraler Hof mit sich anschlie-

Trennung von privaten und öffentlichen Bereichen,

ßenden Wohn-, Koch- und Lagerräumen befand.

sowie das Bedürfnis nach Privatsphäre für die Fa-

Diese Anordnung wird als Zeichen für ein wach-

milie schließen.19 Regenwasser wurde mit Rohren

sendes Bedürfnis nach Privatsphäre sowie der

aus dem Hof geleitet20.

2

15

Möglichkeit Vieh zusammen zu pferchen, gedeutet. Sie gibt darüberhinaus einen Hinweis auf die

Später, im dritten Jahrtausend vor Christus, ent-

Art und Weise des damaligen Zusammenlebens

stand bereits ein zweigeschossiger Hofhaustyp,

sowie der sich verändernden Sozialstrukturen.

der im heutigen Irak als „Tarma” oder in der Türkei

Bekanntere Beispiele für frühe Wohnformen mit

als „Hayat” bekannt ist.21

16

Abb. 3: Siedlung in Sha’ar Hagolan Abb. 4: House 1, Babylon, Merkes

18

Innenhof sind etwa 2000 v. Chr. in der sumerischen Siedlung Ur in Mesopotamien (heute Irak) entstanden17.

19


Historie_ Altes Ägypten

Bereits vor der Ausbreitung des Islam wurden im

Schutz vor Hitze und Sandstürmen und das Ein-

Wüstenklima des Nahen und Mittleren Ostens

lassen vom kühlenden Nordwind vermutet25.

Wohnhäuser gebaut, die ausschließlich nach in-

Die schmalen Wege, Gassen, Innenhöfe und Zu-

nen orientiert waren um sich vor den harschen

gänge lassen einen Luftzug entstehen und durch

klimatischen und natürlichen Bedingungen zu

ihre verhältnismäßige Tiefe bleiben sie weitestge-

schützen. Eine dicke, befestigte Außenwand be-

hend verschattet.26 Es gibt Zeugnisse von Trep-

grenzte das Grundstück, die ,abgesehen von einer

pen, die vom Innenhof auf das Dach führen, das

Eingangstür, keine oder lediglich schmale Öffnun-

als eine Art Terrasse genutzt wurde.27

gen oder Fenster besaß, wodurch die Belichtung und Belüftung hauptsächlich über den Innenhof

Leider existieren aufgrund von kurzen Lebens-

geschah.

dauern der Gebäude, vergänglicher Baumate-

In einigen wenigen Städteresten wie Kahun (ca.

rialien, wie Lehm, Nilschlamm-Ziegeln, Schilfrohr

5000 v. Chr.) und Amarna (ca. 1300 v. Chr.) fand

und Palmholz sowie verschiedener Naturkatas-

man Überreste von altägyptischen Wohnbauten,

trophen, insbesondere starke Erdbeben 1752

die in ihrer Typologie vom einfachen Arbeiterhaus

und 1992, wenige Zeugnisse von Wohnhäusern.

bis hin zum palastartigen Gebäude variieren.23

Lediglich Herrscherpaläste, Tempelanlagen oder

Häufig gruppierten sich die Räume um einen zen-

andere Sakralbauten aus Ägypten, aber auch aus

tralen Wohnraum, der entweder geschlossen oder

Assyrien, Medien und Persien (heute Iran) sind bis

offen als Hof gestaltet sein konnte . Die Ausrich-

heute erhalten. Hier zeigten sich bereits fortge-

tung nach Innen mit Öffnungen gen Norden ergab

schrittene Bauweisen sowie komplex durchdach-

sich dadurch, dass die Häuser meist von drei Sei-

te Raumordnungen, häufig mit einem oder mehre-

ten von Nachbarhäusern umgeben waren, aber

ren Innenhöfen, die als Reinigungsstätte vor dem

es werden ebenso klimatische Aspekte, wie der

sakralen Kultraum genutzt wurden.28

22

24

Abb. 5: Altägyptische Tempelanlage Abb. 6: Rekonstruktion ägyptischer Hofhäuser

20

21


Historie_ Chinesische Architektur

In asiatischen Kulturen lassen sich ebenso Wohn-

während sich Familie und enge Freunde ungestört

häuser mit Innenhof (t’ien ching, wörtlich „Brunnen

in den inneren Höfen aufhalten konnten. Alle Räu-

des Himmels” ) finden, so zum Beispiel in China,

me öffneten sich ausschließlich nach Innen und

wo etwa 300 v. Chr. das so genannte „sìhéyuàn”

das gesamte Grundstück war von einer raum-

(wörtlich „ein von vier Seiten umschlossener Hof”)

hohen Mauer umgeben, die Uneinsehbarkeit und

zur Han-Zeit entstanden ist . Dieses ist im klas-

Sicherheit garantierte. Die hohe Türschwelle des

sischen Sinne kein einzelnes Haus mit einem in-

einzigen Eingangs, stets nach Süden ausgerich-

nenliegenden Patio, sondern mehrere Häuser,

tet, sollte sowohl rein praktisch Staub und Unge-

für die verschiedenen Generationen der Familie

ziefer und ebenso Unglück fernhalten. Durch die

bestimmt, die sich um einen quadratischen Hof,

chinesische Geschichte hinweg war dieses grund-

meist als Garten mit Wasserelementen gestaltet,

legende Muster für Paläste, Tempel, Klöster oder

anordnen.31 Die Gestaltung und Nutzung die-

Staatsgebäude genutzt und eben als Wohnhäuser

ses Wohnkomplexes mit einem oder mehreren

von Großfamilien als Zeichen des Wohlstands und

Innenhöfen orientiert sich an der chinesischen

Reichtums.

29

30

Philosophie des Yin und Yang sowie der konfuzianischen Lehre.32 Insbesondere Regelmäßigkeit

In modernen Varianten dieser Wohntypologie, zu

und Gleichmäßigkeit der Struktur und Gestaltung

finden nach wie vor in Peking (hu`-t´ung, „kleine Al-

spielten eine wichtige Rolle, da das sìhéyuàn als

leehäuser“)34, werden die vier umliegenden Gebäu-

„Sinnbild [...] einer vollkommenen und unabhängi-

de nicht mehr unbedingt je nach Generation oder

gen Welt” gedacht war. Privatsphäre war ein wei-

Familienmitglied aufgeteilt, sondern nach Funk-

terer wichtiger Faktor, weshalb teilweise mehrere

tion, oder gar in einzelne Wohnungen für mehrere

Innenhöfe angelegt wurden um die Abgeschie-

Familien aufgeteilt.

33

Abb. 7: Traditionelles Hofhaus in Peking Abb. 8: Chinesisches sìhéyuàn

22

denheit von der Straße zu erhöhen. So konnten im äußersten Hof Besucher empfangen werden,

23


Historie_ Japanische Architektur

Auch in Japan können Innenhöfe, beziehungswei-

Die Beweglichkeit der inneren, leicht bespannten

se innenliegende Gartenhöfe gefunden werden.

Wände und Schiebewände sowie der Holzläden

Der „tsubo” ist dabei der rechteckige Raum, der

als Außenwände ermöglichte esm, innen und au-

zwischen Gebäuden und Korridoren einer „shin-

ßen als einen Raum zu erleben.

den-zukuri“ Residenz, entsteht. Die Shinden-Architektur (um 800 n. Chr.) und da-

In den, im Roji-Stil gestalteten Höfen finden sich

malige gesellschaftliche Konventionen machten

Wasserbecken, Laternen, Trittsteine und Vege-

Privatsphäre zu einem geschätzten Gut, wodurch

tation, aber auch traditionelle, minimalistische

sich die intim gestaltete Atmosphäre der Innen-

Zen-Gärten sind üblich. Die Gestaltung des Innen-

35

höfe als Gärten („tsuboniwa“) erklären lässt.

hofs ist in jedem Fall bis ins Detail durchdacht, um

Innenhöfe lassen sich auch in Zen-Tempeln und

zum Beispiel durch Betonung horizontaler Linien

Samurai-Residenzen finden, später (ca. 1500 bis

oder dem geschickten Platzieren von Objekten

1600 n. Chr.) aber auch in den länglich-schmalen

verschiedener Größe im Vorder- und Hintergrund

Stadthäusern („machiya“) als „nakaniwa” („Mit-

oder in der Diagonalen vom Blickpunkt aus, den

tel-Garten“).

Eindruck eines größeren Raumes zu kreieren.39

Aufgrund der geringen Größe (traditioneller tsubo etwa 3,3 x 3,3 Meter, was etwa zwei tatami Matten entspricht, heute häufig 1,8 x 1,8 Meter36) sind diese Gärten nicht unbedingt als Aufenthaltsort Abb. 9: ShindenResidenz Abb. 10: Japanisches Gartenhofhaus

24

oder zum Betreten gedacht, sondern eher zur Betrachtung von den umliegenden Räumen aus37. Laut Dröge & Fischbacher ist für Japaner „das Erlebnis des Gartens unabhängig von seiner Größe”38.

25


Historie_ Antikes Griechenland

In Griechenland lässt sich der Patio, beziehungs-

Und ist es nicht gerade in den Häusern, die nach

weise das Atrium, bereits deutlich als eigene Bau-

Süden orientiert sind, daß die Sonne im Winter in die

form im antiken „Haus mit Innenhof und einem Ein-

Säulenhalle strömt, während diese im Sommer hoch

gang“ (single entrance, courtyard house ) finden,

über unseren Köpfen Schatten spendet.”43

40

von dem verschiedene Variationen existieren. Das Wort Atrium (Aithrius Ouvranòs) bedeutet im Grie-

Aufgrund von Ausgrabungen der antiken Städte

chischen „klarer Himmel“.

Olynth, Priene, Herculaneum (griechisch Herak-

41

leion) oder auch Athen lässt sich feststellen, dass Archäologen und Forscher haben versucht an-

der Großteil der Wohnhäuser nach innen orien-

hand von Ausgrabungen diese Wohntypologien

tiert war und sich, laut Jenkins aus Gründen der

zu definieren, jedoch sind gut erhaltene Zeugnisse

Sicherheit und Privatsphäre, ausschließlich zu

oder gar Pläne rar und lassen deshalb lediglich

einem zentralen Patio öffneten44. Dieser Patio war

wenige allgemeine Schlussfolgerungen auf ein-

das Herzstück des Familienlebens zur damaligen

zelne Wohnformen und dem damit verbundenen

Zeit, in dem man das angenehme mediterrane Kli-

Sozialleben zu42. Man kann eine große Variation

ma in Ruhe und vor neugierigen Blicken geschützt

zwischen den verschiedenen Bauformen, sowohl

genießen konnte.

geographisch als auch innerhalb einer Stadt, je nach sozialer Schicht feststellen.

Nach der Entwicklung des regelmäßigen rechteckigen Stadtrasters, etwa 500 v. Chr. durch den

Abb. 11: Verschiedene MegaronTypologien

26

Bereits der griechische Schriftsteller Xenophon,

Architekten Hippodamus von Milet, wurden auch

ein Schüler Sokrates, sagte: „Wer immer ein pas-

Wohnhäuser und somit ihre Innenhöfe rechtwink-

sendes Haus haben will, muß es angenehm und be-

lig. Aus dem einfachen Megaron mit einem Haupt-

quem zu bewohnen machen. Ist es nicht angenehm,

raum („oikos“) und Vorhof hat sich mit der Zeit das

es im Sommer kühl und im Winter warm zu haben?

Prostashaus (griechisch „prostas” für Vorzimmer)

27


entwickelt, das aus einem Innenhof und halb-of-

Der Peristyl-Innenhof verbreitete sich nach 200 n.

fenen Durchgangsbereichen (prostas) bestand,

Chr., als Griechenland bereits Teil des Römischen

an die sich die anderen Räume angegliederten .

Reiches war und wurde ein Symbol für Reichtum

Diese Wohntypologie findet sich insbesondere in

des Hausbesitzers. Er war demnach meist in grö-

Ausgrabungen der Städte Priene, Kolophon, Per-

ßeren aristokratischen Wohnhäusern zu finden.

gamon und Vroulia, die auf ca. 700 v. Chr. datiert

Häufig befand sich ein kleiner Garten oder ein

werden.

Wasserbecken in der Mitte des Peristyls sowie

45

aufwändige Mosaike oder Wandmalereien, die Hauptsächlich in Nordgriechenland verbreitet ist

ebenfalls den Stand der Hausbewohner repräsen-

das meist zweistöckige Pastashaus (griechisch

tierten. Das Wasserbecken diente, neben seiner

„pastas” für „Vorhalle”) mit einem gepflasterten

dekorativen Funktion zur Regenwassersammlung

Innenhof, der an einer oder mehreren Seiten von

und Entwässerung, die alternativ durch offene

halb-offenen pastas und durch Säulen abgegrenzt

oder verdeckte Rinnen zur Straße hin erfolgte.

war. Eine fortgeschrittene antike Innenhof-Typologie stellt das Peristyl dar: ein Innenhof mit Säulenhalle („Stoa”, römisch „Kolonnaden”), der sich seit etwa 500 v. Chr. verbreitet hat. Zum rechteckigen oder quadratischen, gepflasterten Hof öffneten sich auf allen Seiten halb-offene Hallen, die durch gleichmäßige Säulenstellungen definiert waren. Die Abb. 12: Prostas-Haus Abb. 13: Pastas-Haus Abb. 14: Peristyl-Haus

28

Arkadengänge ermöglichten es, andere Räume auch bei Regen trockenen Fußes zu erreichen.

29


Historie_ Römisches Reich

Die erste definierte Wohnhaustypologie mit Innen-

Raumaufteilung. Vermutlich waren es die Wohn-

hof ist die „casa romana” oder das „domus” das

häuser der reichen Etrusker.49 Da die etruskischen

im Römischen Reich (ca. 500 v. Chr. bis 400 n.

Gebäude häufig aus Kalktuff-Blöcken, Lehmzie-

Chr.) weit verbreitet war. Es ist umstritten, wie ge-

geln und Holz gebaut und von den Römern teils

nau und woraus das römische domus entstanden

überbaut wurden, existieren lediglich wenige

ist, da es an ausreichenden Belegen und archäo-

bekannte Zeugnisse, nennenswert einzig in der

logischen Zeugnissen mangelt.

Siedlung Marzabotto und Acquarossa.50

46

Des Weiteren sei anzumerken, dass der deutsche Begriff „Atriumhaus” eine Schöpfung der

Es wird vermutet, dass der Begriff „atrium” vom

archäologischen

architekturtheoretischen

lateinischen „ater” (schwarz, glanzlos) abgeleitet

Forschung ist und in antiken Schriftquellen keine

wurde, da sich in diesem Raum ursprünglich die

Verwendung findet.47

Kochstelle des etruskischen Hauses befand, wes-

und

halb der Rauch des offenen Feuers die Decken Es wird häufig vermutet, dass sich das domus

und Wände schwärzte51. Andere Quellen geben

aus dem traditionellen italienschen Wohnhaus der

an, dass es sich von dem etruskischen Stadt-

Etrusker (ca. 700 bis 200 v. Chr.) entwickelte48,

namen „Atria” abgeleitet hat oder sie vermuten

welches meist aus einem einzigen geschlossenen

eine Entwicklung des römischen Atriums aus dem

zentralen Raum mit wenigen Fenstern bestand

traditionellen italienischen Farmhaus mit seinem

und ein oder zwei schmale, rechteckige Dachöff-

zentralen Hof.52

nungen zum Rauchabzug aufwies. Der Grundriss Abb. 15: Einfaches etruskisches Haus Abb. 16: Etruskisches Hofhaus Abb. 17: Römisches Domus mit Peristyl

30

erinnert in seiner Einfachheit an das frühgriechi-

Durch den neuen Wohlstand vieler Römer, vor

sche Megaron, jedoch entstanden später ebenso

allem durch Handel, entstand das domus als

großzügigere Wohnhäuser mit gepflasterten In-

Wohnhaus der Oberschicht. Das klassische, ide-

nenhöfen, Regenwasserbecken und komplexerer

altypische domus hatte eine bestimmte Abfolge

31


von Räumen, wie sie zum Beispiel der Architekt Vitruv darlegt.

53

Vitruv beschreibt das „cava aedi-

nen Raum, der im Falle des Vorhandenseins einer Dachöffnung ein Impluvium aufweist.”56

um“ (später mit dem Begriff des Atriums gleichge-

Später wurde der Raum zu einem Empfangsraum

setzt worden) in Buch VI, Kapitel 3 seines Traktats

mit repräsentativer Funktion, insbesondere für Ge-

„De Architectura Libri Decem” ausführlich.

Das,

schäfts- und Kaufleute57. Vitruv sagte dazu, dass

durch diese Dachöffnung (compluvium, von lat.

„für Leute, die ein durchschnittliches Einkommen

com- „zusammen-”, pluvia „Regen”) eintretende

besitzen, prächtige Vorhallen, Empfangssäle, At-

Regenwasser wurde in einem Becken, dem implu-

rien nicht notwendig [sind], weil diese Leute ande-

vium, das den Maßen des compluvium entsprach,

ren durch ihren Besuch ihre Aufwartung machen,

gesammelt und dann gegebenenfalls in eine Zis-

nicht aber selbst besucht werden.”58

54

terne weitergeleitet. Später wurden in manchen Häusern (atrium impluviatum) die Dachflächen des

Der Aufschwung des römischen Baustils ab etwa

Atriumhauses zum compluvium hin abgeneigt um

200 v. Chr. wurde deutlich von der griechischen

das Regenwasser dorthin abzuleiten.

Architektur beeinflusst59, insbesondere sichtbar in

Das genaue Aussehen des Atriums, oder cava ae-

der neu entstandenen römischen Säulenordnung

dium nach Vitruv, ist jedoch aufgrund der unklaren

und vielfältigen Dekorationselementen. So wur-

sprachlichen Begriffsverwendung, verschiedens-

den einige domus, wenn ausreichend Platz vor-

ter textlicher Übersetzungen und demnach Inter-

handen war, um ein Peristyl erweitert, meist als

pretationen sowie einem Mangel von Zeichnun-

Ziergarten gestaltet.

gen und archäologischen Zeugnissen und deren Abb. 18: Römisches Domus Abb. 19: Idealplan eines Atriumhauses nach Patroni

32

Diversität, nicht eindeutig definierbar55. Fest steht,

Ab dem vierten Jahrhundert verschwanden die rö-

dass Vitruv hierbei mit Atrium nicht einen offe-

mischen Atriumhäuser, wobei die Gründe hierfür

nen (Innen-) Hof bezeichnete, sondern einen „zur

unklar sind.60

Gänze überdachten oder mit Dachöffnung versehe-

33


Historie_ Islamische Architektur

Ab 700 n. Chr. ist mit der Ausbreitung der isla-

an dicht gedrängten Häuser wurden durch den

mischen Kultur und Religion ein eigener Archi-

Innenhof (wast-ed dar) belichtet und belüftet, wel-

tekturstil entstanden, der sowohl von der byzan-

cher oft auch als Gartenhof (riyadh) mit Vegetation

tinischen, mesopotamischen und persischen, als

und fließendem Wasser wie Zierbrunnen gestaltet

auch von der römischen und griechischen Archi-

wurde.63

tektur beeinflusst wurde.61 Architekturelemente,

Diese abgeschlossenen, verschwiegenen Höfe

wie der Paradiesgarten (tschahār bāgh), die Ar-

waren der Aufenthaltsraum für Frauen und Kinder,

kadengänge (riwaqs) und Säulenhallen, verschie-

ihre eigene Welt, getrennt von den Männern. Wie

dene Gewölbetechniken, Kuppelbauten sowie die

Dröge & Fischbacher feststellen, sind diese Häu-

reiche Ornamentik zeichnen die islamische Archi-

ser mit Gartenhöfen ein „Spiegel der Gesellschafts-

tektur aus, wobei es unterschiedliche regionale

ordnung und der Lebensweise der Araber, aber

Stile gibt.

auch ein Ergebnis des Kampfes gegen die Ungunst des Klimas um Wasser, gegen Hitze und Sand.”64

Entscheidende Merkmale des arabischen Wohnhauses sind seine Geschlossenheit zur Straße hin,

Später wurde diese Bauform von Muslimen weiter

die Trennung der Räume für Gäste und Hausbe-

verbreitet und auch für Moscheen (sahn), Koran-

wohner, für Männer und Frauen, der Schutz des

schulen oder Paläste genutzt. Ein bekanntes Bei-

Hofes vor Einblicken durch Brechung des Zugan-

spiel für eine traditionelle arabische Wohntypo-

ges und weitgehende Rücksicht auf natürliche

logie mit Innenhof ist das marokkanische Riad,

Lüftungsprinzipien.

Das Privathaus als Ort der

ein mehrgeschossiges Patiohaus, das vor allem

Ruhe grenzt sich deutlich vom lebhaften, öffent-

in Marrakesch, Fès und Essaouira zu finden ist.

lichen Raum ab, was dem Wunsch nach Privat-

Das Riad ist vermutlich aus einer Vermischung der

sphäre und dem Schutz der Familie, insbeson-

römischen, islamischen und lokalen nordafrikani-

dere der islamischen Frau, entspricht. Die dicht

schen Architektur entstanden.65

62

Abb. 20: Marokkanisches Riad Abb. 21: Tunesischer Dar

34

35


Historie_ Mittelalter und Renaissance

Mit der Ankunft des Mittelalters in Europa (ca. 600

und wehrhaft als die Burgen und Schlösser der

n. Chr.) verschwand der Innenhof in Stadthäusern,

Herrschenden waren. Die späten Tudor- und frü-

ließ sich aber nach wie vor als Hof in ländlichen

hen Stuart-Häuser sind Beispiele wieder geplan-

Bauernhäusern oder in Festungen, Palästen und

terer und symmetrischerer Architekturen.68

Burgen der aristokratischen Oberschicht finden. Auch die europäischen Klosterhöfe sollen nach

Durch den Niedergang des römischen (ca. 500

Vorbild römischer Landhäuser entstanden sein.

n. Chr.) und später des oströmischen-byzanti-

66

nischen Reiches (ca. 1450 n. Chr.) verschwanDiese archetypische Form einer Freifläche, die für

den elaborierte Bauformen wie das Peristyl, At-

Arbeit, Sozialleben oder auch Viehhaltung genutzt

rien oder andere dekorative Elemente, wobei die

wurde, umgeben von Gebäuden, erinnert an die

Gründe hierfür unter Historikern umstritten sind.

frühen Formen des Patios. Durch die umgeben-

Erst mit der Gotik (ca. 1200 n. Chr.) wurden in Eu-

de Mauer und den einzelnen Eingang konnte das

ropa wieder vergleichbar komplexe Architekturen

Grundstück einfacher kontrolliert und verteidigt

erstellt, jedoch hauptsächlich in Form von Sakral-

werden. Stadthäuser hingegen befanden sich

bauten. Die eng bebauten mittelalterlichen Städ-

meist innerhalb einer befestigten Maueranlage,

te mit schmalen, funktionalen Lichthöfen um die

weshalb Wehrhaftigkeit für das einzelne Haus kei-

sich mehrgeschossige Wohnhäuser organisierten,

ne Rolle spielte, und darüber hinaus ließ der Platz-

dehnten sich im Barock aus und wurde wieder

mangel in Städten keine Innenhöfe zu.

raumgreifender mit einer Vielzahl von bürgerlichen

67

Plätzen und adeligen Prestigebauten.69 Im späten Mittelalter und der Tudor-Zeit (ca. 1500 bis 1600) in England wurde eine Art von EinfaAbb. 22: Bauernhof Abb. 23: Mittelalterliche Burg

36

milienhäusern gebaut, die größer als die Herrenhäuser des niederen Adels, aber weniger befestigt

37


Historie_ Andalusischer Patio

Seinen Weg zurück nach Europa hat der Patio

lich schmale Schlitze als Öffnungen in den Außen-

durch die Ausbreitung des Islams nach Spanien

mauern besaß, lassen sich in Spanien auch Fens-

von ca. 700 bis 1500 n. Chr. gefunden. Durch die

terfronten zur Straße hin finden.73 Auch entwi-

Verschmischung der griechisch-römischen, roma-

ckelten sich in Spanien deutlich unregelmäßigere

nisch-gotischen und muslimisch-arabischen Ar-

Grundrisse und Abwandlungen des traditionellen

chitektur entstand in Südspanien (heute Andalusi-

islamischen Wohnhauses.74 Viele hispanische In-

en, von „al-Andalus”) der spezielle „Mudejarstil”70.

nenhöfe werden jährlich zu Beginn des Frühlings

Die bewusste Verschließung des Hauses gegen

neu mit Kalk („cal“) geweißelt oder angestrichen.75

die Außenwelt und die Beschränkung von archi-

Als Sonnenschutz und temporäres Dach dient ge-

tektonischer Gestaltung auf den Innenhof wird von

legentlich ein bewegliches transparentes Textil

Wilhelmy als Ausdruck „weltverachtender Verinner-

(„toldo” oder auch „velas”)76.

lichung und auf einen beschaulichen Daseinsgenuß gerichtete Lebensauffassung des Morgenländers”71

Insbesondere Córdoba ist berühmt für die Anzahl

verstanden. Auch nach Auflösung des Islami-

und Schönheit seiner Patios. So gibt es dort sogar

schen Reiches in Spanien bestanden die höchst

einen jährlichen Wettbewerb für den schönsten

entwickelten maurische Bauformen weiter.

Patio.77 Auf Mallorca gelten die kleinen Innenhöfe, meist in historischen Häusern gelegen, als

Abb. 24: Andalusischer Patio Abb. 25: Andalusischer Palast mit mehreren Patios

38

Traditionell sind maurische Patios gepflasterte In-

Kulturerbe der Stadt, die sich ebenso auf den

nenhöfe, die als zentrale, offene Bereiche in einem

kanarischen Inseln finden lassen.78 In Madrid hat

selbst kleinen Wohnhaus dienen und mit Pflanzen,

sich das „corrala” als eigene Wohntypologie eines

Blumen, Brunnen und anderen Dekorationsele-

mehrstöckigen Mehrfamilienhauses um einen gro-

menten, gestaltet sind.

ßen Patio („corral“) herum entwickelt.

72

Als Weiterentwicklung

und Abwandlung des islamischen Patiohauses, das, wenn überhaupt, neben dem Eingang ledig-

39


Historie_ Lateinamerika

1 Veracruz

2 Havanna

3 Santiago de Cuba

2

3

5 Santo Domingo

wurde auch der Andalusische Patio auf den neu-

de nicht überwiegend funktionell zur Erschließung

en Kontinent exportiert. Dadurch entstand dort

genutzt, sondern war als Garten mit dekorativen

ein eigener kolonialspanischer Baustil aus der

Pflanzen und Brunnen gestaltet, der dadurch ein

Vermischung von spanisch-andalusischen, mau-

angenehmes Mikroklima schuf. Umgeben war der

risch-islamischen und nativ-indianischen Traditio-

Patio von halboffenen Säulengängen, die neben

nen.

den Pflanzen ebenfalls Schatten und insbeson-

Die unzähligen neuen Stadtgründungen erfolgten

dere Wetterschutz boten. Häufig gab es einen

ab dem 16. Jahrhundert in strukturierter und ge-

zweiten Patio („traspatio“), der von den Bediens-

planter Art und Weise, wobei sich die Spanier an

teten genutzt wurde und an die Küche und andere

den Büchern Vitruvs orientierten. So entstanden

Haushaltsräume angrenzte.81

gleichmäßige Planstädte im Schachbrettschema

5

6

4 Campeche

ausschließlich zu diesen. Der zentrale Patio wur-

79

1

4

Mit den ersten spanischen Entdeckern Amerikas

6 Santa Marta

mit fast überwiegend flachdachigen, einstöckigen

Auch wenn die Kolonialmächte lokale Bau- und

Wohnhäusern, deren horizontalen Profillinien die

Wohnformen der nativen Bevölkerung größtenteils

Regelmäßigkeit und Uniformität des Stadtbildes

auslöschten, haben diese auf die kolonialspani-

unterstrichen.80 Innerhalb der einheitlichen Wohn-

sche Architektur eingewirkt. So lassen sich in äl-

blöcke („manzanas“ oder „cuadras“) grenzten die

teren, ehemals indigenen Stadtteilen noch soge-

länglichen, schmalen Grundstücke Mauer an

nannte „pationes” (große Patios) finden, die auch

Mauer aneinander.

als „tropische Hausgärten” bezeichnet werden. In diesen werden alltägliche Aktivitäten, ähnlich wie

Abb. 26: Stadtzentren lateinamerikanischer Städte

40

Um die Belichtung und Belüftung sicherzustel-

in traspatios ausgeübt, aber auch Vieh gehalten

len, ordnen sich die Zimmer im klassischen kolo-

oder Obst und Gemüse angebaut.82 Der Inka- und

nial-spanisch Wohnhaus-Grundriss um einen bis

Azteken-Einfluss wird auch in der städtebaulichen

drei rechteckige Innenhöfe an und öffnen sich fast

Anordnung von Gebäuden um einen zentralen

41


Platz („plaza mayor“) gesehen, wenn auch die re-

und Adelspalästen der Oberschicht.

gelmäßigen Straßenzüge durch den historischen

Heutzutage sind in nur wenigen Großstädten gut

römischen Einfluss entstanden . Ebenso besaßen

erhaltene Bauten der Kolonialzeit vorhanden, je-

Lehmziegel, das überwiegende Baumaterial kolo-

doch lässt sich in vielen lateinamerikanischen

nialer Wohnhäuser, bereits vor der Ankunft der

Städten und Dörfern das schachbrettartige Stra-

Spanier eine lange Tradition. Die Schmucklosig-

ßenmuster finden.84 Die meisten alten Wohnhäu-

keit der kolonialspanischen Häuser ist somit durch

ser wurden von modernen Wohn- oder Bürokom-

die Materialwahl begründet, da mit Lehm und Putz

plexen ersetzt, wobei sich gut erhaltene Beispiele

eine Nachahmung der dekorativen europäischen

kolonialspanischer Architektur heute insbesonde-

Steinarchitektur nur eingeschränkt möglich war.

re in Lima, Peru und den alten Städten Argenti-

83

niens, wie Córdoba und Salta finden. Darüber hinaus findet man in öffentlichen und staatlichen sowie sakralen Gebäuden oder ehe-

Durch die Einwanderung von Süd- nach Nord-

maligen Wohnhäusern der Oberschicht, den Ein-

amerika, vor allem durch Mexikaner, hat sich das

fluss des maurischen Erbes: den arabischen Kup-

Patiohaus auch in den Grenzregionen Kalifornien,

pelbau, Minaretten gleichende Kirchtürme, Spitz-

Arizona und New Mexico verbreitet und wurde

und Hufeisenbögen, Galerien, Balkone, Säulen

von der Bevölkerung adaptiert85.

und Arabesken. Der zur gleichen Zeit in Europa herrschende Barock bzw. Rokoko (ca. 1570 bis 1770) und Klassizismus (ca. 1770 bis 1840) fand sich später in Lateinamerika in ausschweifenden, Abb. 27: Haus mit Traspatio und Patio Abb. 28: Haus mit Halbpatios

42

dekorativen Elementen und expressiven, überschwänglichen Farben wieder, insbesondere an den ornamentierten Fassaden der Bürgerhäuser

43


Historie_ Architekturmoderne

Moderne Innenhöfe in Wohnhäusern wurden in

tischer Ebene entstanden87. Erst durch die neu

Europa zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Archi-

entstandene Stadtplanung wurde versucht, das

tekten aufgrund von vielfältigen Inspirationsquel-

Wachstum der Stadt in geregelte Bahnen zu len-

len und gesellschaftlichen Entwicklungen wieder

ken, in dessen Zuge unter anderem in Großbri-

aufgegriffen, wodurch unterschiedlichste Variatio-

tannien die bekannte Gartenstadtbewegung ent-

nen, Ab- und Umwandlungen sowie Neuinterpre-

stand88.

tationen des Patios entstanden. Mit dem steigenden Wohlstand der Bevölkerung, Im Rahmen der Verstädterung und einem signi-

aber auch aufgrund des mangelnden Lebens-

fikanten Bevölkerungswachstum in Europa durch

standards in den Städten, fand gleichzeitig eine

die Industrielle Revolution im 18. und 19. Jahrhun-

Rückkehr in beziehungsweise Aufwertung ländli-

dert fand eine enormes Wachstum und eine Ver-

cher oder suburbaner Bezirke statt, als Ausdruck

dichtung der Städte statt.86 Arbeits- und Wohnor-

der Sehnsucht nach Natur und Ursprünglichkeit.

te wurden vermehrt voneinenader getrennt . Auch

Im Gegensatz zum Stadtkern war hier genug Platz

neue technische Möglichkeiten durch Bauma-

vorhanden, was zur Entwicklung des klassischen

terialien wie Stahl, Glas oder bewehrtem Beton,

westlichen freistehenden Einfamilienhauses bei-

trugen dazu bei, dass Hochhäuser und Mehrfami-

trug. Unter Rückbesinnung auf großbürgerliche

lienhäuser in großer Zahl errichtet werden konn-

Villen und dem Einfluss der Gartenstadtbewegung

ten. Auf diese Weise trugen sie ökonomischen

aus England, aber auch durch die Kriegersiedlun-

Aspekten und Platzgründen Rechnung.

gen nach dem Ersten Weltkrieg, entstanden die ersten Einfamilienhaus-Siedlungen in Europa.

Abb. 29: Patiohaus Abb. 30: Alleinstehendes Einfamilienhaus

44

Jedoch fand dieser Bauprozess weitestgehend unreglementiert statt, wodurch vielfältige Schwie-

Das Einfamilienhaus wurde aufgrund der Tren-

rigkeiten auf gesundheitlicher, sozialer und poli-

nung von Arbeit und Wohnen zum Rückzugsort

45


und Ideal der bürgerlichen Kleinfamilie, das sich

busier oder Alvar Aalto, später auch durch Josep

in den 1960er Jahren durch den wirtschaftlichen

Lluis Sert, Marcel Breuer oder Jörn Utzon. Diese

Aufschwungs mehr und mehr Arbeiter und Ange-

blieben jedoch meist architektonische Einzelwer-

stellte leisten konnten.

ke, die sich als Wohntypologie nicht weiter ausbreiteten.

In Anbetracht dieser städtebaulichen Entwicklungen und als Antwort auf die damaligen historisierenden Neo-Stile, entstand die Klassische Architekturmoderne. Die Möglichkeit, neue Wohnsiedlungen und Stadtteile von Grund auf zu entwerfen, gab der Verwirklichung neuer Ideen und Ideale einen Aufschwung. Eines dieser neuen Ideale war auch das Gartenhofhaus, das in 1960er Jahren in Westeuropa und Nordamerika entwickelt wurde. Die meist eingeschossigen,

winkelförmigen

Wohnhäuser

umschließen einen hintenliegenden „Gartenhof” komplett oder er grenzt an die Außenmauern des Nachbargrundstücks an. Hier verschwimmt jeAbb. 31: Casa Sert

doch bereits die Grenze zwischen Patio, Innenhof,

von Josep Lluís Sert

Hinterhof und Garten.

Abb. 32: Casa con patios von Ludwig Mies van der Rohe Abb. 33: Gartenhofhaus

46

In den 1930ern entstanden bereits die ersten Häuser mit Patios durch Mies van der Rohe, Le Cor-

47


Historie_ Neuzeit

Abb. 34: Nordamerikanisches

In der modernen Architektur werden mit „Atrium-

In einzelnen Kulturen existiert das Wohnhaus mit

haus” Wohnhäuser mit den verschiedensten Varia-

Innenhof noch als traditionelle Bauform, wobei

tionen von Innenhöfen genannt. Sie können eine

diese im Rahmen der Internationalisierung und

Rasenfläche oder einen befestigten Boden haben,

Globalisierung von Architektur in seiner klassi-

unter freiem Himmel oder von einem Glasdach

schen Form an Bedeutung verliert. Zwar gewan-

geschlossen sein, oder einfache innenliegende

nen im Zuge der Nachhaltigkeitsdebatte Grünflä-

Räume mit einem großen Anteil an Glas- oder

chen sowie natürliche Belichtung und Belüftung

Fensterflächen sein. Moderne Innenhöfe finden

wieder an Bedeutung, jedoch führen der Bevöl-

sich in privaten, gewerblichen, industriellen und

kerungswachstum, die anhaltende Landflucht und

öffentlichen Bauten, in denen sie vielerlei Funktio-

Verstädterung sowie die Immobilienwirtschaft zu

nen dienen können.

einer generellen Wohnungsknappheit in westli-

Heutzutage werden Wohnhäuser mit Innenhof

chen Städten, wodurch Innenhöfe auch als Platz-

hauptsächlich in Nordafrika, im Nahen Osten und

verschwendung angesehen werden oder als rein

angrenzenden Regionen, wie in mediterranen

funktionelle Bereiche gebaut werden.

Ländern und im gesamten Mittelmeerraum ge-

Es ist schwierig eine allgemeingültige Aussage

baut, somit vorwiegend in heiß-trockenen, mode-

über die weltweite Ausbreitung und Relevanz von

raten oder warm-feuchten Klimazonen.

Jedoch

Patios und Wohnhäusern mit Innenhof zu treffen.

lässt sich feststellen, dass in Europa nach wie vor

Man kann sagen, dass im derzeit vorherrschen-

das freistehende Einfamilienhaus mit umliegen-

den internationalen Architekturstil Patios keine

dem Garten die vorherrschende Wohntypologie

signifikante Rolle spielen, wobei sie mit Sicherheit

ist, neben mehrgeschossigen Mehrfamilien- und

in entsprechenden Klimazonen und Kulturen nach

Hochhäusern mit Miet- und Eigentumswohnun-

wie vor in Neubauten integriert werden.

89

gen in den Städten.

Patio-Haus

48

49


Eigenschaften_ Räumliche Eigenschaften Nutzungsmöglichkeiten Begriffliche Abgrenzung Qualitäten

51


Eigenschaften_ Räumliche Eigenschaften

Nachdem die historische Entwicklung und die

grenzung an die Grundstücksmauern ist möglich,

Nutzungsmöglichkeiten von Innenhöfen betrach-

die entweder direkt an Nachbarhäuser oder den

tet wurden, soll an dieser Stelle eine qualitative

öffentlichen Raum anschließen.

Beschreibung der Eigenschaften und vielfältigen Qualitäten des Patios erfolgen.

Für den Entwurf eines Innenhofs sind für den Architekten unter anderem zu beachten: die Ge-

Der Innenhof als Architekturelement ist, wie be-

staltung der Eingangssequenz (direkter Einblick

reits eingangs beschrieben, ein innerhalb eines

von der Straße möglich oder durch Verwinkelung

Gebäudes liegender Bereich, der weitestgehend

verhindert), die Platzierung innerhalb des Gebäu-

nicht überdacht ist. Im „Wörterbuch der Architek-

des (zentral oder nicht), die Orientierung (abhän-

tur” wird Patio als „geschlossener Innenhof eines

gig von der Lage, Klimazone und beabsichtigten

Gebäudes, häufig mit Umgängen”90 beschrieben.

Nutzung), die Form (rechteckig, quadratisch, rund;

Entscheidend scheint in jedem Fall die räum-

symmetrische oder unregelmäßige Gestaltung),

liche Begrenzung des Hofes in der Horizontalen

das Seiten- und Höhenverhältnis (davon abhängig

zu sein, wobei er sich vertikal zum Himmel öffnet.

die Verschattung beziehungsweise Belichtung),

Teile des Innenhofs können gegebenenfalls über-

die Vegetation (Position und Art der Bepflan-

dacht sein, zum Beispiel durch an den Seiten lie-

zung), die Fassadengestaltung (Anzahl, Position

gende, halboffene Gänge oder Überdachungen.

und Größe der Öffnungen, Nutzung von Arkaden),

Der Boden des Hofes kann versiegelt sein oder

Oberflächengestaltung und Materialwahl sowie

nicht, wobei ersteres häufiger zu finden ist in Form

die Vertikale Zirkulation (Durchwegung, Treppen)

von Pflasterung oder Betonierung. Im Falle eines

des Patios.91

zentral innerhalb eines Gebäude liegenden Hofes, Abb. 35: Typologie Patio

52

erfolgt die räumliche Begrenzung durch die umliegenden Räume. Aber auch eine teilweise An-

53


Eigenschaften_ Nutzungsmöglichkeiten

Betrachtet man die historische Entwicklung des

Klimatische Funktionen

Patios über die Jahrtausende hinweg, so fällt ein

eine entscheidende Rolle bei der möglichen Nut-

allgemeiner Trend auf, der von der rein funktionel-

zung des Innenhofs und der umliegenden Räume,

len Nutzungen, hin zur Betonung von dekorativen

die sich auch, je nach Jahreszeit, abhängig von

und sozialen Aspekten unter gleichzeitiger Er-

der Sonneneinstrahlung oder Wetter anpassen

haltung des funktionalen Nutzens verläuft. Diese

und ändern kann.92 Als Architekturelement bietet

Entwicklung ist auch in der allgemeine Weiter-

ein Innenhof die Möglichkeit der natürlichen Be-

entwicklung von menschlichen Behausungen zu

lüftung und Belichtung, wenn zum Beispiel Öff-

begründen, da „Luxus”, im Sinne von dekorativen

nungen in den Außenmauern nicht möglich oder

Räumen zur Entspannung, erst mit einem be-

erwünscht sind oder aus anderen entwurfstechni-

stimmten Wohlstand und technischen Möglich-

schen Gründen. Die Reinform eines lediglich aus

keiten in dem uns heute bekannten Maß möglich

funktionellen, klimatischen Gründen genutzten In-

wurde.

nenhofes wäre zum Beispiel ein Lichthof, der noch

Das Klima spielt

nicht einmal betretbar sein muss. An dieser Stelle erfolgt eine zusammenfassende Darstellung der vielfältigen Funktionen und Nutzungen, die Innenhöfe historisch erfüllt haben.

55


Regenwassersammlung Die Offenheit des

Strukturgebende Funktion

Ein zentral

Koch- und Arbeitsraum Begonnen bei den

Tierhaltung Wenn der Innenhof genug Platz bot,

Innenhofs wurde nicht nur zur Belichtung und Be-

liegender Innenhof kann die Struktur eines Ge-

frühen Innenhöfen in Mesopotamien und im alten

wurde er in manchen Kulturen auch zur Tierhal-

lüftung genutzt, sondern ermöglichte ebenfalls

bäudes als Gliederungselement entscheidend

Ägypten war die vermeintlich vorrangige Nutzung

tung genutzt. Durch die Abgeschlossenheit des

den Auffang von Regenwasser in einem Becken,

bestimmen und je nach Entwurf zum „Herz” des

als Koch- und Arbeitsraum, da sich in diesem die

Raumes waren die Tiere geschützt und konnten

das dann gegebenenfalls in eine Zisterne weiter

Gebäudes und Ordnungsmittel für den gesamten

offene Feuerstelle des Hauses befand. Insbeson-

nicht fliehen, befanden sich aber dennoch unter

geleitet werden konnte. Vorrangig als alltägliches

Grundriss werden. In diesem Fall ordnen sich die

dere die Frauen des Hauses hielten sich in diesem

freiem Himmel. Kleintiere wie Hühner, Kannin-

Nutzwasser, gewann dieses Becken später auch

Wohnräume um den Innenhof und richten sich zu

auf und erledigten die täglichen Hausarbeiten.

chen oder Hunde konnten problemlos selbst auf

an dekorativ-ästhetischem Wert, auch durch seine

diesem aus. Ist die Rolle des Innenhofs im Ent-

Später wurde in manchen Fällen für die Haus-

recht kleinen Flächen gehalten werden, aber auch

Reflektion und Spiegelung. Nebenbei haben Was-

wurf eines Wohnhauses programmatisch vorherr-

arbeiten und das Personal ein eigener Innenhof

Ziegen, Schafe oder Großvieh wurden bei ent-

serflächen einen nachweisbar positiven Effekt auf

schend, spricht man zum Beispiel von einem Hof-

(traspatio) angelegt, um diese vom Innenhof der

sprechendem Platz dort gehalten oder zumindest

das Mikroklima des Innenhofes, sowohl bezüglich

haus oder „casa patio”.

Familie zu trennen.

nachts zum Schutz hinein geholt.

der Temperatur als auch der Luftfeuchtigkeit. Darüber hinaus repräsentiert Wasser sowohl Leben und Kühle, als auch Frische und Reinheit. Die Oberfläche fängt das Licht und reflektiert den Himmel, seine Tiefe deutet auf das erdene Innere, das für uns nicht sichtbare und begreifbare der Welt hin.93 Das Wasserbecken kann auch zur Kühlung von Lebensmitteln oder gar zum Verstecken von Wertgegenständen dienen.94

56

57


Esszimmer und Aufenthaltsraum

Eine

Eingangs- und Empfangsraum

Zu eini-

Entspannung und Miteinander

Je mehr

Dekorative Funktion

Sobald der Patio als

weitere, vermutlich seit Anbeginn vorhandene

gen Zeiten wurde der Patio als Empfangsraum für

die alltäglichen Hausarbeiten in eigene Räume

Aufenthaltsraum genutzt wurde, entstand wahr-

Funktion, ist die Nutzung als Aufenthaltsraum für

Gäste und Geschäftspartner genutzt, damit diese

verlegt wurden, desto mehr gewann der Patio an

scheinlich auch der Wunsch seine Aufenthalts-

die Familie und Hausbewohner. Der Innenhof war

nicht in die privaten Räume der Familie gelang-

Aufenthaltsqualität. Hier trafen sich die Kinder der

qualität weiter zu steigern. Mit Hilfe von dekora-

dabei sowohl der räumliche Mittelpunkt, als auch

ten. Dies war insbesondere möglich, wenn zwei

Familie zum Spielen

oder die Erwachsenen für

tiven Mitteln wie Vegetation, Wasserspielen oder

der häusliche Mittelpunkt des sozialen Lebens.

oder mehr Innenhöfe vorhanden waren, sodass

eine gesellige Pause. Durch die Abgeschlossen-

Zierbrunnen, aber auch Kunstelementen wie

Als Speiseraum war er der zentrale Treffpunkt der

es einen halböffentlichen und für alle Besucher

heit zur Straße, dem öffentlichen Leben, ist der

Skulpturen, Malereien, Wandgemälden oder Mo-

Familienmitglieder und wurde in entsprechenden

zugänglichen, sowie einen privaten Innenhof le-

Innenhof ein ruhiger, privater Rückzugsraum, in

saiken, wurde der Innenhof verschönert. Auch

Klimazonen teilweise zum Schlafen genutzt.

diglich für die Hausbewohner gab. Auch konnte

dem man sich unbeobachtet entspannen kann,

die Materialwahl gewann an Bedeutung sowie die

durch den einzelnen Eingang der Zugang zum

ein wichtiger Aspekt für Frauen und Kinder.

gesamte ästhetische Komposition, wodurch der

58

95

Haus problemlos und für jeden sichtbar kontrol-

Innenhof zu einem durchgestalteten Zierelement

liert werden.

wurde.

59


Garten oder Grünfläche Ein Innenhof kann

Soziales Kommunikationsmittel In einigen

teilweise oder komplett begrünt sein und als Zier-

Kulturen zeugte bereits die Existenz eines Patios

Philosophische und religiöse Bedeutung In vielen Kulturen hatte der Innenhof auch

oder seltener auch als Nutzgarten dienen. Ist die

im Haus einer Familie von deren Wohlstand, aber

eine philosophische beziehungsweise religiöse

Bodenfläche versiegelt, werden häufiger Topf-

auch dessen architektonische und dekorative Ge-

Funktion, oder zumindest eine solche Bedeutung.

pflanzen genutzt, Rasenflächen oder Erdbereiche

staltung gab Aufschluss über den sozialen Stand

In ihm konnte rein praktisch der Hausaltar ste-

zur Anpflanzung sind aber auch möglich. Diese

der Hausbewohner. Patios waren Zeugnisse so-

hen, in ihm wurde gebetet oder Opfergaben dar-

Gartenhöfe können unter ästhetischen Aspekten

wohl des Reichtums als auch der gesellschaftli-

gebracht. Die Referenz des innenliegenden, be-

bis ins Detail durchgeplant oder eher natürlich be-

chen Bedeutung ihrer Erbauer beziehungsweise

schützten und privaten Bereiches zum göttlichen

lassen sein. Ihre Begrenzung kann durch Mauern,

Besitzer und dienten demnach der sozialen Ab-

Paradies hin ist naheliegend, was sich auch in

Zäune, Pergolen, Lattenwänden oder Glaswänden

grenzung. In dem Sinne gewann der Innenhof eine

zahlreichen Dekorationselementen wie Brunnen,

oder Hecken gebildet werden.

symbolische Funktion, um den Familienstatus

Wasserspielen, Pflanzen und Skulpturen ausdrü-

auszudrücken und ebendiesen direkt an Hausbe-

cken konnte. Bereits die häufig vorliegende qua-

sucher zu kommunizieren.97

dratische Grundform deutet auf Vollkommenheit

96

und Gleichmäßigkeit, somit auf Göttlichkeit hin.

60

61


Eigenschaften_ Begriffliche Abgrenzung

Atrium Ursprünglich bezeichnete man als Atrium

Peristyl Das Peristyl (griechisch peri - „um her-

den zentralen Innenraum eines römischen Ge-

um“, stylos - „Säule“) ist eine bestimmte Gestal-

bäudes, der durch eine Deckenöffnung belichtet

tungsform eines rechteckigen Innenhofes, in der

wurde, somit kein Innenhof im eigentlichen Sinn.

dieser an allen vier Seiten von Säulenhallen (Ko-

Später wurde der Begriff vor allem für den Vor-

lonnaden) umgeben wird. Diese Innenhoftypo-

hof von repräsentativen Gebäuden und frühchrist-

logie stammt aus der antiken griechischen und

lichen Kirchen genutzt. Heutzutage wird Atrium für

römischen Architektur und wird heutzutage selten

alle Arten von Innenhöfen verwendet, am meisten

verwendet, da durch bautechnische Entwicklun-

für mit Glas überdachte Bereiche.

gen freischwebende Vordächer möglich geworden sind.

63


Terrasse Als Terrasse bezeichnet man eine be-

Pavillon Den Pavillon kann man als Gegensatz

Lichthof Ein Lichthof ist im deutschen Sprach-

Hinterhof

festigte, meist gepflasterte, Fläche, die direkt an

des Innenhofs verstehen: Ist letzterer an allen

gebrauch

unbedachter

nicht innerhalb, sondern hinter einem Gebäude

eine oder mehrere Außenseiten eines Gebäudes

Seiten geschlossen und öffnet sich lediglich zum

Schacht, der zur Belichtung der angrenzenden

liegenden Hof, der meist als Parkplatz, Abstell-

anschließt. Dieser externe Bereich kann komplett

Himmel, so ist der Pavillon stets von einer Dach-

Räumlichkeiten dient, entweder innerhalb eines

oder hauswirtschaftliche Nutzfläche anderer Art

überdacht sein, jedoch ist er zu den Seiten hin

fläche bestimmt und an den Seiten weitestgehend

Gebäudes oder zwischen mehreren, nahestehen-

dient. Im Deutschen hat der Begriff „Hinterhof”

weitestgehend frei und erlaubt einen horizontalen

offen. Im Deutschen bezeichnen Pavillons leichte

den Häusern. Häufig ist er in dicht bebauten Städ-

einen eher negativen Beiklang, der durch schlecht

Ausblick. Sie ist auch als Dachterrasse auf einem

freistehende Bauwerke, die meist in Gärten oder

ten zu finden, zwischen mehrgeschossigen Wohn-

geplante Restflächen und mangels baukünstleri-

Flachdach möglich.

Parks zu finden sind, was sich auch in der Wort-

häusern zur natürlichen Belichtung und Belüftung.

scher Gestaltung ohne Aufenthaltsqualität zwi-

herkunft vom lateinischen „papillio” (Schmetterling

Der Lichthof hat durch seine Proportionen - kleine

schen Häusern entstanden ist. Selbstverständlich

oder übertragen „Lustzelt”) widerspiegelt.

Grundfläche und große Höhe - häufig keine Auf-

kann ein Hinterhof ebenso ansprechend gestaltet

enthaltsfunktion und ist teilweise nicht einmal zu-

sein, wie jeder andere Hof, zum Beispiel im Falle

gänglich.

eines hinten liegenden, geschützten Gartenhofs,

meist

ein

schmaler

Als Hinterhof bezeichnet man einen

denn im Prinzip ist der einzige Unterschied seine Lage nicht im Zentrum, sondern im hinteren Teil des Grundstücks.

64

65


Vorhof Der Vorhof ist einem Gebäude vorgela-

Hof Wie bereits am Wort erkennbar, muss ein Hof

Tiefhof

Eine eher seltene Abwandlung des In-

Platz Im übertragenen Sinn ist ein Platz ein städ-

gert und ist ein semi-öffentlicher Übergang zum

nicht innerhalb eines Gebäudes liegen. Als Hof

nenhofs stellt der Tiefhof dar, der in den Boden

tebaulicher Innenhof, eine von Gebäuden um-

privaten Grundstück, der teilweise überdacht sein

wird im Deutschen auch ein Gebäudekomplex

hinein versenkt ist. Dies kann aus gestalterischen,

gebene Freifläche innerhalb der Stadt, der dem

kann. Vor allem ist er bei repräsentativen und öf-

beschrieben, der sich um eben einen solchen an-

aber auch aus funktionalen Gründen geschehen,

öffentlichen Leben und sozialen Miteinander ge-

fentlichen Bauten zu finden, wie Palästen oder Sa-

ordnet. Höfe sind generell eher große Freiflächen,

da durch die Absenkung der Raum sowohl visu-

widmet ist. In vielen Städten lässt sich ein zentra-

kralbauten, wo er ebenfalls eine kultische Funk-

die zwischen einem oder mehreren Gebäuden

ell verlängert als auch eine größere Verschattung

ler Platz (Spanisch „plaza central”) als Mittelpunkt

tion besitzen kann.

liegen. Diese besitzen nicht unbedingt eine hohe

erreicht werden kann. Weidinger weist darauf hin,

der Stadt finden um den sich die wichtigsten öf-

Aufenthaltsqualität, sondern dienen eher der Er-

dass sich im Falle einer naheliegenden Straße, die

fentlichen Gebäude anordnen. Plätze können aber

schließung oder als Nutzfläche, zum Beispiel für

schweren Abgase des Verkehrs im Tiefhof sam-

auch kleiner sein, jedoch eint sie, dass meist ihre

Alltagsarbeiten oder zum Parken. Stilisiert wurde

meln können, weshalb in so einem Fall dieser aus

Aufenthaltsqualität durch Begrünung, Monumen-

der Hof als Ehrenhof der U-förmigen Schlossan-

gesundheitstechnischen Gründen nicht zu emp-

te, Brunnen oder andere dekorative Mittel sowie

lagen im Barock.

fehlen sei.100

Sitzmöglichkeiten aufgewertet wird.

Sprachlich und typologisch verwandte Formen sind der Bauernhof, Werkhof, Klosterhof, Freihof, Schlosshof, Schulhof, Kaufhof, Wirtschaftshof und Friedhof.98 Allgemein gesprochen lassen sich unendliche Variationen eines Wohnhauses mit Innenhof erdenken, wie zum Beispiel ein Atriumhaus, ein Hofhaus in U-Form, ein Winkelhofhaus oder ein Hofhaus mit zwei Höfen (H- oder T-Form). In Siedlungsverbünden entstehen dadurch sogenannte Teppichsiedlungen oder Kettenhaus-Siedlung.99

66

67


Eigenschaften_ Qualitäten

Laut Schoenauer sind psychosoziale, ökonomi-

Funktional Die vielfältigen Funktionen und Nut-

sche, klimatische und religiöse Aspekte des Pa-

zungsmöglichkeiten des Patios wurden im voran-

tios entscheidend für seine weite Verbreitung und

gegangen Kapitel bereits erläutert. In den frühen

Akzeptanz in verschiedensten Kulturen.

Im Fol-

Kulturen stand der funktionale Mehrwert durch

genden wird exemplarisch dargelegt, welche viel-

entsprechende Raumnutzung im Vordergrund:

fältigen Qualitäten der Patio für Menschen bieten

durch die Offenheit des Patios ermöglichte er die

kann.

einfache Entlüftung der offenen Feuerstelle und

101

diente somit zum Kochen. Durch die gleichzeitige Geschütztheit vor Wettereinflüssen wurde er zum geschützten Arbeiten im Freien oder zur Versammlung genutzt, denn durch seine Lage funktionierte er ebenso als zentraler Erschließungspunkt. Dieser rein funktionale Mehrwert des Patio ist unumstritten, jedoch spielen für seine weltweite Verbreitung andere Aspekte eine größere Rolle.

69


Psychosozial Einer der wichtigsten Gründe für

Innenhofes als Kommunikationsmittel dienen,

Klimatisch & ökologisch Im elementarsten

Ökonomisch

die Entstehung des Patios ist die Privatsphäre,

um den gesellschaftlichen Status an Besucher zu

Sinne bietet ein Innenhof Schutz vor Sonnenein-

punkten mag ein Innenhof nicht auf den ersten

die er bieten kann. Bereits von Anbeginn der Zeit

kommunizieren. Abgesehen von all diesen Aspek-

strahlung und Wind, relevant insbesondere in ari-

Blick sinnvoll erscheinen, jedoch ermöglicht er,

strebten Menschen nach sicheren, schutzbieten-

ten, bietet ein ästhetisch gestalteter Innenhof ei-

den Wüstenzonen und tropischen Klimata, aber

wenn geschickt geplant wird, eine größere Dichte

den Wohnformen. Der Innenhof bietet durch seine

nen enorme Aufenthaltsqualität, die Wohlbefinden

auch im gemäßigten, nördlichen Klima als Puf-

in Einfamilienhaus-Siedlungen, da diese direkt an-

innere Lage eben diesen Schutz, aber ermöglicht

und Entspannung in Menschen hervorrufen kann,

ferzone gegen Wind und Wetter.

In wärmeren

einander angrenzend gebaut werden können ohne

gleichzeitig den Kontakt zur Natur und Umwelt.

quasi als natürliches, kostengünstiges und un-

Gegenden bietet ein begrünter und idealerweise

Verlust des privaten Außen- bzw. Gartenbereichs.

Privatheit, Sicherheit und Ruhe sind entscheiden-

kompliziertes Mittel zur Stressreduzierung inner-

mit Wasserflächen versehener Innenhof eine na-

Gesamtwirtschaftlich betrachtet kann außerdem

de Aspekte, die ein Innenhof bieten kann - Wer-

halb der eigenen vier Wände. Der generelle Bezug

türliche Unterstützung zur Kühlung und Belüftung

eine bessere Luftqualität in Städten auch durch

te, die man als universell menschlich bezeichnen

zur Natur, dem Erleben der Jahreszeiten und die

des Hauses. Neben der effektiven Luftzirkulation

mehr Grünflächen in Privathäusern sowie deren

mag. In frühen Kulturen stand insbesondere der

Nähe zur Witterung stellen weitere Qualitäten des

kann im Innenhof ein zeitweiliges Wärmepolster

vermehrt unversiegelten Bodenflächen zum allge-

Schutz des Grundstücks und der Hausbewohner

Innenhofs dar.

entstehen, das durch entsprechende Bepflanzung

meinen Wohlbefinden der Bevölkerung beitragen

vor wilden Tieren oder vor feindlichen Stämmen

Ein interessanter Aspekt, den Dröge & Fischba-

und Verschattung unterstützt werden kann.105 So

und somit langfristig Kosten für vermeintliche Ge-

im Vordergrund102, wobei wir uns heutzutage eher

cher nennen, ist, dass die intime Ruhe und Ab-

bietet der Innenhof durch Temperatur, Luftbewe-

sundheitsschäden verringern.

vor den neugierigen Blicken der Nachbarn oder

geschiedenheit und des Patios Konzentration

gung und Luftfeuchtigkeit ein eigenes Mikroklima,

In Wohnhäusern kann durch die mikro-klimatische

Passanten schützen wollen. Auch der Schutz vor

und gar Meditation fördert und gleichzeitig den

das die Aufenthaltsqualität entscheidend beein-

Funktionsweise eines Innenhofs zur natürlichen

Verkehrs- und Stadtlärm bei gleichzeitiger Offen-

Wunsch nach sozialen Kontakten eher anregt,

flusst.

Zusätzlich zu den genannten mikroklima-

und somit kostensparenden Belichtung, Belüftung

heit des Raumes unter freiem Himmel ist eine

da im Gegensatz dazu das Ausgeliefertsein und

tischen Aspekten sind begrünte und bepflanzte

und Kühlung des Gebäudes beitragen, was Heiz-

wichtige Qualität des Innenhofes.

nicht zu vermeidende Begegnungen, gar Belästi-

Innenhöfe generell ökologisch wertvoll, da unter

und Kühlungskosten senken kann.

Auf sozialer Ebene ermöglicht der Innenhof zwi-

gungen, eher zu einer kompletten Ablehnung und

anderem in verschiedenen Studien festgestellt

schenmenschliche Begegnungen und ist eine

dem Wunsch nach Abgeschlossenheit führe.

wurde, dass diese positiv zur Artenvielfalt in Flora

Plattform, ein zentraler „Lebens- und Erlebnis-

104

106

Unter ökonomischen Gesichts-

und Fauna beitragen.107

raum”103 für das gemeinsame Leben der Hausbewohner. Gleichzeitig kann die Gestaltung des

70

71


Spirituell Die Aufladung des Innenhofes mit sym-

Gesellschaftlich Auf gesellschaftlicher Ebene

bolischen, insbesondere religiösen Werten fand

ist der Patio in manchen Kulturen als historisches

vermutlich bereits in den frühesten Kulturen statt.

kulturelles Erbe zu betrachten, dessen Erhaltung

Als spiritueller Zugang zum Himmel konnte im In-

und Weiterentwicklung von Bedeutung ist111. Lei-

nenhof den Göttern gehuldigt werden Auch seine

der verschwindet das Wohnhaus mit Innenhof,

spätere quadratische, gleichmäßige Form ver-

als „Urform der Behausung”112, durch vielfältige

deutlicht das Göttliche. Die ästhetisch anspruchs-

Faktoren, insbesondere aber durch die fortschrei-

volle Gestaltung mit Pflanzen, Brunnen und an-

tende die Globalisierung, mehr und mehr. Selbst

deren verschönernden Elementen als schattige

in arabischen und lateinamerikanischen Ländern,

Oase, deutet auf seine Bedeutung als Sinnbild

wo diese Wohnhaustypologie eine traditionelle,

des Paradieses hin . Fließendes Wasser, als le-

einheimische Wohnform darstellt, ist er immer sel-

bensspendendes Element, spielte ebenfalls eine

tener zu finden.

108

wichtige Rolle, insbesondere für Bewohner arider Klimazonen, aus deren Erfahrung mit Wasserknappheit eben dieses extrem wertvoll war.109 Der Innenhof gilt als „Raumsymbol der Innerlichkeit“, auf ihn trifft, laut Johannes Spalt, der Mythos zu, eine „Insel der Glückseligen” zu sein, welcher Nähe zum Archetypus der Mutter aufweist, als Symbol von Weiblichkeit.110

72


POR The sun was gone, but she had left his footprints in the

sky. It was the time for sitting on porches beside the road. It was the time to hear things and talk. These sitters had been tongueless, earless, eyeless conveniences all day long. Mules and other brutes had occupied their skins. But now, the sun and the bossman were gone, so their skins felt powerful and human.113


Definition_ Etymologie Sprachliche Definition

77


Definition_ Etymologie

Das spanische Wort „porche” wurde aus dem

che von Kirchen und öffentlichen Gebäuden, aber

Englischen von „porch” übernommen, das vom

auch auf das römische „Vestibul” hin116.

lateinischen „porta” (Eingang, Tür, (Stadt-)Tor) und „porticus” (Kolonnade, Arkade, überdachte Gale-

Die vielfältigen Begrifflichkeiten, die es in der eng-

rie) über das altfranzösische „porche” (Portalvor-

lischen Sprache gibt, lassen sich nach Visser117

bau, Vorhalle) hergeleitet wird.

in vier Kategorien einteilen: Mit dem weiten, zeitgemäßen Begriff „porch” synonym verwendbare

Der lateinische Begriff stammt vom proto-in-

Begriffe, die aber gegebenenfalls andere Nuancen

do-europäische Wortstamm per-, der so viel be-

und regionale oder historische Funktionen be-

deutet wie „(ein-)führen, überschreiten, -treten” und

inhalten (veranda, piazza, gallery); spezifische For-

wurde als „portic” um 1300 direkt ins Englische

men (portico, loggia, colonnade); eindeutig identi-

eingeführt.114 Einige Quellen erwähnen ebenfalls

fizierbare Stile (Gothic Revival, Italianate, Queen

eine Verwandtschaft mit den katalanischen Be-

Anne), sowie Begriffe, die Elemente oder Eigen-

griffen „porxe” und „porxo”.

schaften des porch beschreiben (columns, balustrades, brackets).

Die direkte Übersetzungen des spanischen Wortes „porche” ins Deutsche erfolgt meist als Veranda oder Vorhalle. Zum englischen „porch” gibt es unzählige weitere Übersetzungen wie Veranda, Portal, Schutzdach, Vorbau, -dach, -halle, Wetterdach und Windfang.115 Hier ist allerdings eine synonyme Verwendung nicht immer möglich. Die französische Wortherkunft deutet insbesondere auf die Eingangsberei-

79


Definition_ Sprachliche Definition

Laut dem Oxford und Cambridge Dictionary be-

reich eines Wohnhauses, der meist halboffen mit

schreibt das englische Wort „porch” einen „ge-

Säulen und einem Geländer versehen und vom

schützten, überdachten Unterstand oder eine

Boden leicht erhöht ist.

Struktur vor dem Eingang eines Gebäudes”, beziehungsweise im nordamerikanischen Sprachraum

Generell lässt sich feststellen, dass es sich um

die „Veranda” .

einen Bereich vor dem Hauptraum eines Gebäu-

118

des handelt, der durch eine Überdachung oder Der Duden definiert eine Veranda als einen „über-

Auskragung geschützt ist und somit als Teil des

dachten [an drei Seiten verglasten] Vorbau an einem

Hauses begriffen wird. Die jeweilige Ausformung

Wohnhaus”, was eine überraschend spezifische

ist dabei, je nach Gebäudetyp unterschiedlich und

Beschreibung ist. Im Gegensatz dazu zeigt eine

nicht enger definiert. Es können unterschiedlichs-

Bildersuche auf Google unzählige verschiedene

te Materialien zum Einsatz kommen und weltweit

Typologien, die an die oben genannte Vielfalt an

lassen sich vielfältige Struktur-, Gestaltungs- und

englisch-deutschen Übersetzungen erinnert.

Dekorationselemente je nach Funktion, Ort, Klima und Kultur finden.

Im Spanischen wird „porche” als „überdachter Bereich an die Fassade eines Gebäudes anschließend” oder „hoher und meist gepflasterter Bereich, der vor einigen Tempeln und Palästen zu finden ist” definiert.119 Die lateinamerikanische Typologie, von dem die Abb. 36: Typologie Porche

80

Auseinandersetzung in dieser Vertiefung angeregt wurde, ist der überdachte Vor- und Eingangsbe-

81


Historie_ Ursprung Antike Ă–stliche Architektur Mittelalter und Renaissance Kolonialarchitektur Lateinamerika Nordamerika Neuzeit

83


Historie_ Ursprung

Der tatsächliche Ursprung des lateinamerikani-

etwa 4500 v. Chr.) wurden „porticos”, getragen

schen Porche verbleibt aufgrund der genannten

von Stützen oder Säulen, an Wohnhäusern errich-

nicht eindeutig definierten Typologie und dem

tet, vermutlich um Schatten zu spenden und um

Mangel an historischen Zeugnissen umstritten.

als geschützter Arbeitsraum zu dienen.122 Auch in

Die genaue Diffusion durch und in die spanische,

Tempelanlagen und anderen Sakral- und Königs-

französische, britische, niederländische, afrika-

bauten lassen sich beeindruckend dimensionierte

nische, amerikanisch-indigene und karibische

Säulenvorhallen finden.

Kultur wird unter Anthropologen und Historikern diskutiert und kann im Anschluss lediglich exem-

Bereits in der Bibel gibt es, laut Visser, unzählige

plarisch dargestellt werden.

Verweise auf „porch” (ulam), zum Beispiel in Be-

120

schreibungen des Tempels von König Salomon. Fest steht, dass es sich um ein sehr altes und

Auch eine Abstammung von den westafrikani-

weitverbreitetes Architekturelement handelt, das

schen „shot gun” Häusern wird diskutiert, ebenso

sich in vielerlei Kulturen seit Anbeginn der Sied-

haben Archäologen ähnliche Holzstrukturen in Ir-

lungsgeschichte der Menschen findet. Vermeint-

land von etwa 2000 v. Chr. gefunden.123

lich kann das Konzept eines überdachten Eingangsbereiches bis hin zu den überhängenden Steinstrukturen in prähistorischen Zeiten zurückverfolgt werden.121 Abb. 37: Tempel Dendur, Metropolitan Museum of Art, New York, USA Abb. 38: Ägyptische Tempelanlage

84

Als einer der ersten Nachweise für überdachte Eingangsbereiche außerhalb des Hauses werden Zeichnungen in ägyptischen Hieroglyphen bewertet. Während des Alten und Mittleren Reiches (um

85


Historie_ Antike

Im antiken Griechenland wurden Kolonnaden, be-

sakralen und öffentlich-repräsentativen Gebäuden

ziehungsweise „stoae“ (überdachte Säulengänge),

und weniger als Vorräume privater Wohnhäuser

im öffentlichen Raum als geschützte Geh- und

errichtet wurden. Die klassischen römischen Tem-

Aufenthaltsbereiche genutzt. Die halboffenen und

pelanlagen weisen halboffene Säulengänge auf,

semi-öffentlichen Säulenhallen konnten für eine

die als Zwischen- und Vorbereich zum sakralen

Vielzahl von zwischenmenschlichen Begegnun-

Raum dienten.124

gen und Aktivitäten genutzt werden. Durch die Stadtplanung, die zur damaligen Zeit eiAuf der athenischen Agora findet sich zum Bei-

nem strengen Raster folgte, waren „Vorhöfe” oder

spiel die „stoa poikile” (500 v. Chr.), die als Lehrort

andere Bereiche vor dem Haus nicht vorgesehen,

diente und nach der die „stoische” Philosophie

oder kulturell nicht benötigt oder verbreitet. Die

benannt wurde. Die „Stoa des Attalos” (159 - 138

Empfangsfunktion des Porche erfüllte das Vesti-

v. Chr.) und die „Karyatiden” (ca. 421-405 v. Chr.)

bul oder der Patio, beziehungsweise das spätere

sind weitere herausragende Beispiele antiker grie-

Peristyl.

chischer Vorhallen. In den privaten Wohnhäusern verschwand der semi-private Eingangsbereich des „megaron“ mit Abb. 39: Korenhalle des Erechtheion, Akropolis, Athen,

der Weiterentwicklung zu fortgeschrittenen Wohntypologien und fand sich als Säulenumgang eher

Griechenland

in privaten Innenhöfen wieder, wie sie im Kapitel

Abb. 40: Stoa des

Historie des Patios näher erläutert werden.

Attalos, Athen, Griechenland Abb. 41: Augustus-Tempel, Pula, Kroatien

86

In der römischen Architektur entwickelten sich ebenfalls Kolonnaden, die überwiegend vor und in

87


Historie_ Östliche Architektur

Einige Quellen besagen, dass „Veranda” vom

Eine ähnliche Typologie des überdachten Vor-

Hindi „varaṇḍā” und dem bengalischen „bārāṇḍā”

raums existiert in Japan als „engawa” (縁側), aus

abstammt, wobei es ebenso Theorien gibt, die

„en” (Rand, Kante, Grenze) und „gawa” (Seite) zu-

diese Wörter bereits auf den frühen spanischen

sammengesetzt, oder auch einfach „en” (縁).

und portugiesischen Einfluss (varanda) in Indien

Dieser schmale Umgang aus Holz oder Bambus

zurückführen .

existiert in vielerlei Formen und Abwandlungen.

Als erste Quelle wird das Tagebuch des portugie-

Normalerweise läuft der „en” um die transluzenten

sischen Entdeckers Vasco da Gama auf seiner

„shōji“ Außenwände der Innenräume des Gebäu-

Reise nach Calicut, heute Kozhikode, Indien, im

des herum. Durch seine Überdachung ermöglicht

Jahr 1498 angesehen, womit ein späterer „Re-

er die geschützte, wetterunabhängige Öffnung

Import” nach Europa im 18. Jahrhundert wahr-

des Hauses, auch zur Belichtung und Belüftung,

scheinlicher ist.126

wobei mit einem leichten Gefälle das Regenwas-

Somit ist die Herkunft nicht indisch, sondern vom

ser vom Gebäude weggeleitet wird.128

125

spätlateinischen vāra (Querholz, gabelförmige Stange) oder vārāre (mit Stangen abschließen),

Als Teil des Hauses ist der engawa ebenfalls er-

im übertragenen Sinne als Umgrenzung oder Ab-

höht. Auf ihm werden, wie im Haus, keine Straßen-

sperrung übersetzbar.

schuhe getragen. Dieser Umgang ist breit genug

127

zum Sitzen, zum Beispiel zur Beobachtung des Nichtsdestotrotz lassen sich in Indien überdachte

Gartens, für das soziale Miteinander der Hausbe-

Mandapa in Shimo-

Eingangsbereiche und Säulenhallen finden, ins-

wohner oder zum Empfang von Gästen.

ga, Indien

besondere bei sakralen Bauten. So ist das „man-

In traditioneller japanischer Architektur kann der

dapa” in hinduistischen Tempeln eine dem Porche

en mit „amados“ (雨戸) zum Wetterschutz ver-

ähnliche Vorhalle, die zum Tempel hinführt und für

schlossen werden, in modernen Interpretationen

religiöse Tänze und Musik genutzt wurde.

geschieht dies häufig mit Glasschiebewänden.

Abb. 42: Indisches

Abb. 43: Traditionelle engawa Abb. 44: Moderne engawa mit Glasschiebewänden

88

89


Historie_ Mittelalter und Renaissance

Beginnend im Mittelalter entstanden in europäi-

ser italienischen Typologie mit einer „Great Piaz-

schen Kathedralen, Kirchen und Schlössern, aber

za”, „Little Piazza” und „portico houses”.130

auch in Wohnhäusern und anderen funktionalen Gebäuden überdachte Eingangsbereiche.

Als Typologie waren Verandas im 19. Jahrhundert bei Wohnhäusern im „Viktorianischer Stil”, auch

In gotischen Kathedralen wurden mit fortgehender

„Queen Anne Stil”, weit verbreitet und entsprechen

Entwicklung der Baukunst immer reicher verzierte

dem heute bekannten Bild einer klassischen Ve-

und kunstvoll gestaltete „Portiken” errichtet, auch

randa als erhöhter, halb-offener überdachter Ein-

„Narthex” genannt, die bis heute vor unzähligen

gangsbereich mit verzierten Säulen.

katholischen Kirchen in unterschiedlichen Ausformungen betrachtbar sind. In Italien entstanden während der Renaissance (14. bis 17. Jahrhundert) öffentliche Plätze, so genannte „piazzas”, die von Kolonnadengängen umgeben waren, als Neuinterpretation des antiken römischen Peristyls129. Diese schattenspendenden Außenbereiche sind in einer Vielzahl von itaAbb. 45: Narthex, Kathedrale von Chartres, Frankreich

lienischen, aber auch anderen südeuropäischen Städten zu finden.

Abb. 46: Piazza Maggiore, Bologna, Italien Abb. 47: Covent Carden Piazza, London, England

90

Die Übertragung in die englische Sprache erfolgte angeblich 1631 durch das „Covent Garden Piazza Development” in London, inspiriert von eben die-

91


Historie_ Kolonialarchitektur

Die klassische Typologie „porch” oder Veranda

meist über die komplette Frontseite des Hauses

entstand vermutlich erst in den Kolonien der euro-

zieht. Es wird vermutet, dass diese Struktur auch

päischen Eroberer. In all diesen Ländern gab es

von traditionellen kreolischen Architekturen inspi-

zwar vorher bereits ähnliche Typologien, jedoch

riert wurde.131

nicht vergleichbar mit den neu entstandenen Ve-

In den niederländischen Kolonien finden sich

randen im 16. und 17. Jahrhundert in Nord- und

ebenfalls verwandte Typologien132, wobei der „sto-

Südamerika.

ep” (Stufe, „Beischlag”) oder auch Quebec-Fran-

In Spanien existierte das so genannte „Riu Rau”,

zösisch „perron”, eine kurze Treppe vor dem

eine große halboffenes Säulenhalle, die in Zentral-

Hauseingang, üblicher war. Noch heute finden

und Ostspanien zum Trocknen von Weintrauben,

sich Beispiele vor vielen Stadthäusern in ameri-

also zur Herstellung von Rosinen genutzt wurde.

kanischen Städten, wie zum Beispiel in New York

Diese Strukturen schlossen teilweise auch direkt

und New Jersey.

an die Wohnhäuser an, was an spätere Veranden

Die großbritannische Entwicklung soll durch die

erinnert.

Veranden militärischer Gebäude vorangetrieben

Eine eigene Typologie gab es im damaligen Frank-

worden sein, die Status und Autorität ausdrückten

reich als „galerie”, ein überdachter Umgang an der

und auch zum besseren Überblick für die Vorge-

Hausvorderseite, der sowohl als „galerie basse”

setzten dienen sollten.133

oder „portique” im Erdgeschoss, als auch „galerie

Abb. 48: Riu Rau Abb. 49: French Style mit Veranda Abb. 50: Stoep

92

haute” oder „loggia” im Obergeschoss vorhanden

Genau lassen sich die Gründe für die Entstehung

war. Häuser im französischen Kolonialstil in Kana-

und weite Verbreitung der kolonialen Veranda

da, den französischen Außengebieten und weni-

nicht erklären. Am wahrscheinlichsten scheint

ger in den heutigen Vereinigten Staaten, sind stets

eine vielfältige Inspiration und Vermischung ver-

vom Boden erhöht und eine kurze Treppe führt

schiedenster Kulturen und Architekturstile.

hinauf auf die typische Veranda (galerie), die sich

93


Historie_ Lateinamerika

Einige Zeugnisse belegen, dass amerikanische

reichen weiter, die als neue Typologien aus der

Ureinwohner bereits vor der Ankunft der Europä-

Vermischung lokaler und spanischer Traditionen

er verschiedenste Typologien des Porche bauten

entstanden und ideal an klimatische und soziale

und nutzten.

Gegebenheiten angepasst waren.

Die aus Stein gebauten Portiken, Galerien und Kolonnaden der Maya-Kulturen in Mexiko und Belize

Im Jahr 1537 wurde gesetzlich im „The Laws of

werden auf 500 v. Chr. und später datiert.

the Indies” vorgeschrieben, dass öffentliche Plätze

134

stets Kolonnaden aufzuweisen hätten. Dies lässt In den südlichen Regionen der heutigen Ver-

sich heute noch in vielen lateinamerikanischen

einigten Staaten haben indianische Völker „(en-)

Stadtkernen an der „plaza mayor” beobachten.

ramadas” errichtet, eine offene, pavilionähnliche, schattenspendende Holzstruktur, die zum Ko-

Eine regionale Typologie, die bis heute Verwen-

chen, Essen und für andere Haushaltstätigkeiten

dung findet, ist der mexikanische „zaguán”. Als

genutzt wurde. Diese wurden sowohl freistehend

überdachter Eingangsbereich direkt hinter der

als auch an die „Adobe-Häuser“ der frühen Sied-

großen Eingangstür, die häufig offen steht, ähnelt

lerhäuser angrenzend gebaut.

dieser in seiner Form eher einem Vestibul, aber in seiner Nutzung als Empfangsraum und Über-

Abb. 51: MayaTempel

Auch die traditionellen „bohio” Häuser der indi-

gangsbereich teilweise dem Porche. Durch diesen

genen Arawaks und Taíno der dominikanischen

gelangt man in vielen Häusern in den Patio, von

Republik wiesen einfache Dachüberstände zum

dem aus die anderen Räume erreichbar sind.

Schutz des Eingangs auf.

Abb. 52: RamadaStruktur Abb. 53: BohioHütte

94

Mit der Ankunft der Spanier verbreiteten sich Wohnhäuser mit verandaähnlichen Eingangsbe-

95


Historie_ Nordamerika

Bis heute finden sich Veranden in unzähligen ame-

So findet sich auf auf Hawaii das „lānai” der frü-

rikanischen Wohnhäusern, insbesondere in den

hen Einheimischen, eine lange Veranda, die einem

wärmeren, südlichen Staaten.

Laubengang ähnelt und bis heute als eigene Typologie existiert137.

Die „Southern Porch” wird gar als kulturelles Erbe angesehen, das jedoch nach und nach aufgrund

Seit den 1850er Jahren fand sich vor fast jedem

von modernen Architekturtrends und anderen ge-

Wohnhaus eine Interpretation des überdachtes-

sellschaftlichen und technologischen Entwicklun-

nVorraumes, der für eine Vielzahl von sozialen und

gen verloren geht.

praktischen Tätigkeiten genutzt wurde. Spezielle Wohnhaustypologien, wie das „Monterey Haus”

In den 1920er und 1930er Jahren wurde fast jedes

oder „Dogtrot Haus” besitzen unterschiedliche tra-

Haus mit irgendeiner Form des „porch” ausgestat-

ditionelle Abwandlungen der Veranda oder Log-

tet, wobei nicht in allen Fällen die Aufenthaltsqua-

gia.

lität wie auf einer Veranda entstand oder gewollt war.135

Im US-amerikanischen Sprachgebrauch wurde damals in weiten Teilen von „piazza” gesprochen,

Die genaue Herkunft und Entwicklung der ame-

bevor sich später das Synonym „veranda” durch-

rikanischen porch ist uneindeutig und vermutlich

setzte.

als eine architektonische Hybridisierung und Vermischung vieler Kulturen zu interpretieren.136 Das Abb. 54: US-amerikanische Porch Abb. 55: Lānai Abb. 56: Dogtrot-Haus

96

auskragende Vordach soll einigen Quellen zufolge bereits weit vor den ersten europäischen Entdeckern existiert und diese zu ihrem Baustil inspiriert haben.

97


Historie_ Neuzeit

Der Porche als traditionelle, erhöhte und überdachte Veranda an der Frontseite des Hauses findet sich heute vorallem im südlichen Nordamerika und in Australien oder als ähnliches Bauelement in anderen milden, warmen oder tropischen Gegenden in Lateinamerika, Asien und Afrika. In Europa hat sich die klassische Veranda vor dem Haus nicht durchgesetzt. Hier finden sich eher kleine, den Eingang schützende, Vordächer, abgesehen von einigen südeuropäischen „Ranch”-ähnlichen Gebäuden. In modernen Einfamilienhäusern werden heutzutage eher Terrassen hinter dem Haus, als halb-öffentliche Bereiche vor dem Haus angelegt. Schaukelstühle und Hängeschaukeln, die häufig auf der Veranda zu finden waren, haben durch die Bewegung eine natürliche Luftbewegung und Kühlung erzeugt. Durch die Entwicklung von Klimaanlagen verschwand die Veranda als semi-priAbb. 57: Nordamerikanische Veranda Abb. 58: Moderne Porch

vater kommunaler Bereich, der Hausbewohner, Familienmitglieder

und

Nachbarn

verbunden

hat.

138

Abb. 59: Terrasse

98

99


Eigenschaften_ Räumliche Eigenschaften Nutzungsmöglichkeiten Begriffliche Abgrenzung Qualitäten

101


Eigenschaften_ Räumliche Eigenschaften

Die entscheidende räumliche Eigenschaft des

wird er als zum Gebäude zugehörig verstanden.

Porche liegt in seiner Überdachung und gleich-

In seiner räumlichen Funktion ist er ein Zwischen-

zeitigen Offenheit an mindestens einer Seite. Die

bereich zwischen drinnen und draußen, Privatem

rückseitige Begrenzung entsteht durch die Außen-

und Öffentlichem, Innenraum und Außenraum

wand des Gebäudes, in der häufig die, oder eine,

und dient somit dem Übergang vom einen in den

Eingangstür zum Haus liegt.

anderen Bereich (transitional space). Eine Aufenthaltsfunktion und -qualität muss nicht gegeben

Als architektonisches Element ähnelt der Porche

sein. Bei entsprechender Größe entsteht diese

einem Pavillon, der an das Haus anschließt. Je-

jedoch häufig, welche mit entsprechenden deko-

doch gibt es ebenso Varianten, die an den Seiten

rativen Elementen unterstützt wird.

geschlossen und lediglich nach Vorne offen sind. Außerdem können sie mit Wand- oder Glaselementen verschließbar sein. Die Begrenzung nach Vorne kann vielerlei Formen haben: offene Säulenzwischenräume, Steinmauern, Holzgeländer, Metallgitter wie auch eine Begrenzung durch eine Erhöhung des Gebäudes oder durch ein anderes Bodenmaterial. Der Porche kann ein- oder mehrgeschossig sein. Im letzteren Fall ist gegebenenfalls das Obergeschoss als Galerie oder Balkon gestaltet. Auch Abb. 60:

wenn der Porche außerhalb der Innenräume liegt,

Typologie Porche

102

103


Eigenschaften_ Nutzungsmöglichkeiten

Die Nutzungsmöglichkeiten des Porche als Bau-

Klimatische Funktion

element lassen sich hauptsächlich in zweckorien-

Ebene erfüllten bereits die frühesten einfachen

tierte und soziale Funktionen einteilen, wobei letz-

Vordächer und überdachten Eingangsbereiche

teres die wahrscheinlich überwiegende Funktion

die Rolle eines Wetterschutzes des Eingangs-

ist, die Einfluss auf Gesellschaft und Kultur der

bereiches. Durch die Überdachung konnte zum

jeweiligen Region genommen hat – oder anders

Beispiel auch bei Regen die Eingangstür zur Be-

betrachtet, ist der Porche ein Produkt eben dieser

lüftung geöffnet werden oder Besucher im Trocke-

sozialen Bedürfnisse und Eigenheiten der Men-

nen vor der Haustür empfangen werden ohne ins

schen.

Innere des Gebäudes eintreten zu müssen. Seine

Auf rein funktionaler

verschattende Funktion diente sowohl dem MenDie nachfolgende exemplarische Darstellung ver-

schen, als auch dem Gebäude, da dadurch die

schiedener Funktionen des Porche fokussiert sich

Außenwände und somit die inneren Räume kühler

auf Veranden, Loggien und Porches an Wohnhäu-

blieben, was in heißen Klimazonen von großer Be-

sern.

deutung war und ist. Auskragungen konnten das Gebäude vor Wettereinflüssen schützen und über die Veranda zum Beispiel Regenwasser vom Haus weggeleitet werden.

105


Eingangs- und Empfangsraum

reits erwähnt, diente der überdachte Bereich vor

sprechenden Klimazonen wurde der Porche als

tet ihrer Größe oder Form konnte die „porch” als

Nachbarschafts- und Gemeinschaftspflege Die bereits erwähnte soziale Funktion be-

dem Eingang als Empfangs-, aber auch als Ein-

Arbeitsbereich für allerlei Haushaltstätigkeiten der

Treff- und Mittelpunkt des sozialen Miteinanders

schränkt sich nicht auf die Hausbewohner alleine,

gangsbereich für die Hausbewohner. Hier können

Frauen genutzt. Zum Nähen, zur Kochvorbereitung

der Hausbewohner dienen. Hier spielten die Kin-

sondern bezieht Passanten und Nachbarn mit ein.

Schuhe und Jacken abgelegt werden, um zum

oder zum Kochen selber bot eine entsprechend

der der Familie, es wurde gemeinsam gegessen,

Durch die Offenheit des Porche sind Blickkontakte

Beispiel keinen Schmutz in das Haus zu tragen

große Veranda genug Platz, gleichzeitig geschützt

Geschichten erzählt und gemeinsam die Straße

und dementsprechend zwischenmenschliche Be-

oder um Besucher, die nicht ins Haus eintreten

vor jeglichem Wetter. In heißen Klimazonen war

und Passanten beobachtet. „Porch sitting” ist ein

gegnungen deutlich leichter herzustellen.

sollten, zu empfangen. Als geschützter Bereich

vor der Entwicklung moderner Lüftungs- und Kli-

amerikanisches Konzept und mittlerweile eine Tra-

Bei entsprechender Nutzung werden Veranden

vor den eigentlichen Wohnräumen besitzt die Ve-

maanlagen, die Temperatur und Luftqualität in den

dition, die insbesondere im Süden der Vereinigten

zu „semi-öffentlichen Außenbereichen, die Gemein-

randa einen privaten, aber dennoch öffentlichen

Häusern häufig bescheiden, sodass das Arbeiten

Staaten ein wichtiger sozialer und kultureller Be-

schaft und Nachbarschaftlichkeit” repräsentieren

Charakter, der ideal für Gespräche und Diskus-

an der frischen Luft bevorzugt wurde. Das Züch-

standteil des alltäglichen Lebens ist.

und dadurch einen enormen Wert für das sozia-

sionen mit Fremden oder Bekannten geeignet ist,

ten von Pflanzen, wenn kein Garten vorhanden

Vielen mag das Bild der Großeltern, die einen

le Gefüge einer Siedlung haben können140. Der

ohne sie in die eigene Privatsphäre eindringen zu

war, war ebenfalls möglich oder bei entsprechen-

Großteil des Tages im Schaukelstuhl auf der Ve-

öffentliche Charakter und die Exponiertheit bei

lassen. Durch die räumliche Betonung und Her-

den klimatischen Bedingungen konnte auf der Ve-

randa sitzen und der Ankerpunkt des lebendigen

gleichzeitigem Schutz und Nähe zum Haus kann

vorhebung der Vorderseite des Hauses wird diese

randa, beziehungsweise eher auf verschließbaren

Familienalltags um sie herum sind, aus, vor allem

Menschen Komfort bieten und dadurch gleich-

für Gäste eindeutig als Eingangsbereich festge-

Loggien, nachts geschlafen werden.

amerikanischen, Filmen oder Büchern bekannt

zeitig das „sichere” Kennenlernen der Anderen

legt. Die Positionierung der Treppe ist einladend

sein. Auf der Veranda wurden Geschichten erlebt

ermöglichen.

und gleichzeitig leitend, sodass die Annäherung

und erzählt, und von Generation zu Generation

Generell sind enge Nachbarschaftsbeziehungen

von Gästen an das Haus in einer definierten und

weitergereicht.

für die gefühlte und tatsächliche Sicherheit ent-

Wie be-

somit kontrollierbaren Art und Weise geschieht.

Arbeits- und Aufenthaltsraum

In ent-

Entspannung & Miteinander

Ungeach-

139

scheidend, wozu die Veranda einen räumlichen Beitrag leisten kann.141

106

107


Dekorative Funktion

wurden als funktionale Räume errichtet, sondern

das Vorhandensein eines überdachten Eingangs-

Philosophische und religiöse Bedeutung Insbesondere in Sakralbauten der Gotik

können zusätzlich oder ausschließlich dekorati-

bereiches gab in vielen Kulturen und Epochen

und Renaissance hat der „porch” oder der „Nart-

ven Zwecken dienen. Die reich verzierten und mit

Auskunft über den gehobenen Stand der Haus-

hex“ eine wichtige spirituelle Funktion. Als Vermitt-

verspielten Veranden angelegten Loggien und Ve-

bewohner. Seine Größe, Form und dekorative Ge-

ler zwischen dem Innen und Außen, als Zwischen-

randen im viktorianischen Stil oder im Jugendstil

staltung kommunizierte an Gäste, Nachbarn und

und Übergangsbereich zwischen weltlichem und

sind Beispiele für eine ästhetische Aufwertung der

selbst an Passanten den sozialen Status und die

heiligem Raum, wurde und wird er für einige reli-

Hausfassade durch einen vorgelagerten Porche.

finanziellen Möglichkeiten der Familie, aber eben-

giöse Rituale genutzt.

Durch die Vorlagerung einer ein- oder mehrge-

so deren Autorität. Gäste konnten so bereits vor

schossigen Vorhalle gewinnt das Haus an Tiefe

Eintreten ins Haus beeindruckt und beeinflusst

und die Fassade wird für das Auge interessan-

werden.142

Nicht alle Veranden

Soziales Kommunikationsmittel

Bereits

ter. Auch die Dekoration und Möblierung der Veranda kann eine entscheidende Rolle spielen für den Gesamteindruck des Eingangsbereiches des Hauses.

108

109


Eigenschaften_ Begriffliche Abgrenzung

Veranda Eine klassische Veranda ist eine über-

Terrasse

dachte, halb-offene, an das Haus angeschlossene

Struktur mit befestigtem Boden, für gewöhnlich im

Galerie, die normalerweise von einem Geländer

hinteren Bereich des Hauses, so spricht man von

zur Vorderseite abgeschlossen ist. Außerdem

einer Terrasse (lateinisch „terra” für Erde, englisch

kann sie sich über den Eingangsbereich auf die

auch „deck”). Dieser Bereich ist normalerweise

gesamte Hausfront ausweiten oder sogar um die

nicht überdacht, jedoch sind leichte und auch fes-

Seiten des Gebäudes herumführen. Traditionell

tere Strukturen möglich sowie Sonnensegel und

sind Veranden großzügige Strukturen an der Vor-

-schirme. Die Funktionalität ist ähnlich wie die Ve-

derseite des Hauses, die leicht erhöht vom Boden

randa, jedoch durch ihre Lage meist privater und

sind und mit einer kurzen Treppe erreichbar sind.

im klassischen zentraleuropäischen Einfamilien-

Handelt es sich um eine ebenerdige

haus an den eigenen Garten anschließend.

111


Loggia Als geschützte Außenbereiche sind Log-

Pergola Eine Pergola (italienisch für „Vorbau, An-

Balkon

Ein Balkon ist ein betretbarer offener

Wintergarten Ein Wintergarten (englisch „Flori-

gien eine eher geschlossene und befestigte Raum-

bau”) ist eine leichte, offene Dachstruktur, meist

Vorbau, der an die Hausfassade anschließt und

da room”, „patio room” oder „sun room”, französi-

struktur, die innerhalb des Gebäudes oder kaum

aus Holz, die in Gärten als Verschattungselement,

sich im einen Obergeschoss eines Hauses befin-

sche „véranda”, ist ein komplett verglaster, meist

vorspringend sind. Im Gegensatz zur Veranda ist

zum Beispiel über einer Terrasse, genutzt wird.

det. Dieser kann bei entsprechender Größe ledig-

von außen an ein Haus anschließender Aufent-

die Loggia nicht im Eingangsbereich des Hauses,

Sie dient lediglich der Verschattung und Dekora-

lich als Austritt oder als Aufenthaltsfläche genutzt

haltsbereich. Er wird zum wettergeschützten Ge-

sondern als ein überdachter privater Bereich, der

tion und wird häufig durch Rankpflanzen begrünt.

werden. Bei mehrgeschossigen Häusern sind sie

nießen der umgebenden Landschaft, als windge-

zum wettergeschützten Aufenthalt im Freien ge-

Im Gegensatz zur freistehenden Gartenlaube oder

in vielen Fällen durch darüber liegenden Balkone

schützter Sonnenraum oder als lichtdurchfluteter

nutzt wird, gedacht. Es existieren verschiedene

dem Pavillon schließt die Pergola im traditionellen

überdacht oder durch andere Strukturen wetter-

Aufenthaltsraum genutzt.

Formen der Loggia. Tendenziell befinden sie sich

Sinne stets an ein Gebäude an. Man spricht auch

geschützt.

nicht im Erdgeschoss und können teilweise durch

von einem Laubengang.

Wand- und Glaselemente verschlossen werden.

112

113


Galerie

In der Fassadengestaltung nennt man

Vordach Das einfache Vordach dient als Wetter-

Windfang

Ein, vor dem eigentlichen Hausflur

Beischlag Terrassenartig angelegt, vom Boden

einen offenen, an die Hauswand anschließenden

schutz des Eingangsbereiches, kann aber eben-

gelegener, kleiner Vorbau an Türen und Fenster-

erhöht, über eine Treppe von der Straße aus er-

Gang, meist im Obergeschoss eines Hauses, eine

falls dekorative Zwecke erfüllen. Ob als Dach-

türen, der das Eindringen von Wind und kalter Luft

reichbar, war der Beischlag (englisch „stoop”) weit

Galerie. Als Typologie ist es ein balkonartiger Um-

überstand, Auskragung oder an der Fassade be-

vermeiden soll. Er kann mit einer zusätzlichen Tür

verbreitet als Eingangsbereich von Stadthäusern

gang an einer oder mehreren Seiten eines Gebäu-

festigtes Element, es gibt viele Gestaltungsmög-

oder als halboffener überdachter Bereich gestaltet

in der Renaissance und im Barock. Meist haben

des, der zur Erschließung, aber auch als Aufent-

lichkeiten.

sein, jedoch stets die Haustür schützend.

sie ein Geländer und dehnen sich über die gesam-

haltsort genutzt wird. Dieser ist häufig in Innenhö-

Ein Windfang hat normalerweise keine Aufent-

te Fassade des Gebäudes aus.

fen, aber auch an Außenfassaden zu finden, wo er

haltsqualität, sondern wird lediglich unter funktio-

In ihrer Funktion aus dem Ostseeraum als Über-

durch entsprechende dekorative Gestaltung den

nalen Aspekten genutzt, zum Beispiel auch zum

schwemmungsschutz entstanden, erst als Holz-

Status der Hausbewohner wiederspiegelt.

Schuhe und Jacke ausziehen und ablegen.

konstruktionen, später aus Stein, wurden diese in der Renaissance dekorativer und verspielter.

114

115


Vorraum

Die amerikanische Typologie des

Portikus

Aus Italien stammt der „portico”, ein

„screened porch”, „screened-in-porch” oder auch

schlichtes, mit Säulen, Stützen oder Gewölben

„Arizona room” ist eine Veranda, die geschlossen

verziertes, Vordach, das die Eingangstür eines

gebaut oder nachträglich mit Wand- oder Glas-

Hauses schützt. Man spricht auch von einem Säu-

elementen verschlossen wurde. Die Funktion als

lengang oder einer Säulenhalle mit horizontalem

halboffener Außenbereich geht damit nur teilweise

Gebälk, das in der antiken römischen und grie-

verloren, da es sich eher um einen Vorraum han-

chischen Architektur verbreitet war. Im modernen,

delt, der gegebenenfalls geöffnet werden kann.

insbesondere englischen, Sprachgebrauch und in

Dieser wird bei entsprechendem Klima auch zum

der neuzeitlichen Architektur handelt es sich um

Schlafen genutzt, da er temperaturtechnisch an-

eine Vorhalle, die mit Säulen gestaltet wird. Im

genehmer als die Innenräume ist und gleichzeitig

Spanischen ist der „soportal” eine ähnliche Typo-

durch seine Geschlossenheit Tiere und Insek-

logie, die jedoch schon eher Kolonnaden oder Bo-

ten fernhält. Tendenziell liegt dieser eher an der

gengängen ähnelt.

Rückfront des Hauses, kann aber ebenso als verschließbare Veranda gebaut worden sein.

116


Eigenschaften_ Qualitäten

Funktional

Im vorangegangen Kapitel wurden

Klimatisch & ökologisch

Durch das Vor-

die Funktionen und Nutzungsmöglichkeiten des

dach, das über dem Porche vorhanden ist, ent-

Porche und seiner verwandten Typologien bereits

steht sowohl ein Sonnen- als auch Regenschutz,

dargestellt. Zu Beginn der historischen Entwick-

der vorteilhaft für die Trockenheit und Kühlung

lung des Porche stand vor allem sein funktiona-

des Gebäudeinneren ist. Die Verschattung be-

ler Nutzen als geschützter Eingangsbereich im

wirkt, dass die Außenwände keine Hitze erhalten

Vordergrund. Es entwickelten sich jedoch schnell

und die Innenräume des Hauses somit länger kühl

weitergehende Nutzungsmöglichkeiten als Ar-

bleiben. Bei entsprechender Lüftung kann die

beits- und Aufenthaltsraum, insbesondere für die

vorgekühlte Luft des Porche die Innenräume zu-

Frauen und Kinder des Hauses. Hier konnten auch

sätzlich kühlen oder zumindest kühler halten, als

bei Regen oder starker Sonne die Hausarbeiten

die direkte Lüftung über die erhitzte Außenluft es

in einem trockenen und schattigen Bereich aus-

ermöglichen würde. Das Mikroklima, das auf dem

geübt werden, der gleichzeitig luftig und natürlich

Porche entstehen kann, ist einer der Gründe für

vom Wind gekühlt wurde. Meist war es im Inneren

seine Qualitäten als Aufenthaltsraum und soziale

des Hauses wärmer, stickiger oder dunkler, wes-

Begegnungsstätte.

halb der Porche als privater Außenbereich, eigens

Wenn das Gebäude als Schutz gegen Wasser und

für die Bewohner, bevorzugt wurde. Bereits hier

Insekten insgesamt erhöht steht, funktioniert der

vermischen sich die funktionalen mit den sozia-

Porche als Übergangszone zum Innenraum. Kann

len und klimatischen Qualitäten, weshalb der rein

er ebenfalls verschlossen werden, wirkt diese

funktionale Mehrwert als Nutzraum kaum von den

Zone als Puffer um Wärme, Feuchtigkeit und In-

vielfältigen anderen Aspekten trennbar ist.

sekten aus den Wohnräumen zu halten.

119


Psychosozial Auf sozialer Ebene ist der halb-

hat. Hierdurch wird der Porche zu einer Schwelle,

Gesellschaftlich

Im gesellschaftlichen Kon-

auf das gesellschaftliche Zusammenleben, so-

offene, überdachte Bereich eines Porche, einer

einem Übergangsbereich, der eine wichtige psy-

text dient der Porche als verbindender Raum zur

wohl im kleinen, nachbarschaftlichen Rahmen, als

Veranda oder Loggia ein wichtiger Begegnungs-

chosoziale Rolle für die Hausbewohner erfüllen

Nachbarschafts- und Gemeinschaftspflege. Durch

auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene durch

punkt für die Hausbewohner untereinander. Wenn

kann.

ihn können Kontakte zu Nachbarn und Passanten

den verstärkten Schwerpunkt auf dem Privaten

keine anderen, geschützten Außenbereiche vor-

Auf zwischenmenschlicher Ebene kann die auf-

geknüpft und gepflegt werden, neben seiner Rolle

und der damit verbundenen Abgrenzung.

handen sind, wird der Porche insbesondere in

wendige Verzierung und Gestaltung des Porches

als Begegnungs- und Treffpunkt mit den Hausbe-

warmen und heißen Klimazonen der zentrale,

auch als Kommunikationsmittel dienen, das den

wohnern und Familienmitgliedern.

windgekühlte Aufenthaltsraum des Hauses. Hier

Status der Hausbewohner bereits vor dem Eintre-

In vielen traditionellen Häusern ist der Porche oder

entspannt man nach der Arbeit, erledigt Hausar-

ten in das Gebäude an Besucher, Passanten und

die Veranda die einzige, noch dazu geschütz-

beiten, plaudert und diskutiert auch mit Nachbarn

Nachbarn vermittelt.

te, Außenfläche. In entsprechenden Klimazonen

und Passanten.

spielt sich somit ein Großteil des Familienlebens

Durch die Positionierung des Porche ist es außer-

auf diesem ab und zentriert sich dort.

dem möglich, in ihm Besucher zu empfangen oder

Für das Sicherheitsempfinden der Bewohner kann

zum Beispiel Post oder andere Bestellungen an-

ein überdachter, einsehbarer Eingangsbereich

zunehmen, ohne dass die unbekannte Person in

ebenfalls zuträglich sein. Auch die engeren Nach-

die Privaträume eintritt. Da der Porche direkt an

barschaftsbeziehungen tragen zu einem gestei-

die Wohnräume anschließt, lässt er einen schnel-

gerten Sicherheitsempfinden und vermutlich auch

len Rückzug zu und die “Wand im Rücken” sowie

zu einer reell gesteigerten Sicherheit bei, wenn der

der durch die Bodenerhöhung verstärkte “Über-

“fremde” Nachbar zu einem “vertrauten” Bekann-

blick”, vermittelt zusätzliche Sicherheit. In die-

ten wird.

sem semi-privaten und semi-öffentlichen Raum

Der Rückgang von Porches durch die Entwicklung

empfindet man sich eindeutig in einem privaten

von Klimaanlagen und durch die Veränderung ar-

Bereich, der sich aber dennoch in der Öffentlich-

chitektonischer Baustile, hat somit auch Einfluss

keit befindet oder einen starken Bezug zu dieser

120

121


Ökonomisch

Der ökonomische Nutzen des

Spirituell Porches und ähnliche Typologien las-

Porche kann sich gegebenenfalls durch verringer-

sen sich seit jeher insbesondere in Tempelanla-

ten Kühl- und Wärmebedarf ergeben, da dieser

gen, Palästen und anderen öffentlichen Bauten

als Puffer dient und Wärme entweder im Haus

finden. Dort diente er als “Schwelle” zwischen

oder aus dem Haus hält, je nach Bedarf. Auch als

dem heiligen und öffentlichen Bereich, in einigen

natürlicher Sonnenschutz verringert er den Kühl-

Fällen auch in verschiedenen Abstufungen. Die

bedarf und kann als natürlich belüfteter Aufent-

Säulenhallen waren somit zugänglich für das Volk,

haltsraum ohne elektrische Klimaanlage dienen.

das durch diese ehrfürchtig hindurch schreiten

Wenn nicht ausreichend Freiraum auf dem Grund-

sollte, wohingegen lediglich ausgewählte Perso-

stück vorhanden ist, kann der Porche als platz-

nen weiter in die Anlage eintreten durften. Große

sparender, aber dennoch qualitativ hochwertiger

Säulenhallen und Portiken mit ihrer luftigen Höhe

Außenbereich funktionieren, wobei auf eine an-

vermitteln die Nähe zum Himmel und sind häufig

sprechende Gestaltung und Möblierung zu achten

als Ausdruck von Göttlichkeit interpretiert worden.

ist um die Raumqualität des Porche, trotz seiner

Der Zwischenbereich sollte auch dazu dienen

geringen Größe zu erhalten.

“böse Geister” aus den Anlagen oder auch Wohnhäusern fernzuhalten.

122


NICAR AGUA Mittelamerika ist ein Gebiet,

Ăźber das wir hierzulande mehr

Vorurteile als Wissen besitzen.143


Gesellschaft_ Allgemeines BevÜlkerung Kriminalität Wirtschaft Vergleich

127


Gesellschaft_ Allgemeines

Nicaragua ist ein Staat in Zentralamerika, der zwi-

besagen, dass es sich aus dem Nahuatl für nican

schen Honduras und Costa Rica liegt, und im Os-

– „hier“ und aráhuac – „Menschen“ abgeleitet hat.

ten an das Karibische Meer und im Westen an den

Andere vermuten eine Kombination von „Nica-

Pazifik angrenzt.

rao”, dem Namen des Oberhaupts der größten indigenen Siedlung, beziehungsweise Stammes,

In der Hauptstadt des Landes, Managua, leben

zur Zeit der spanischen Entdeckung, sowie dem

etwa eine Millionen der insgesamt 6,3 Millionen

Wort „agua” (Wasser)146. Der Eroberer Gil Gonza-

Nicaraguaner. Insgesamt leben ca. 90% der Ge-

lez Davila soll diesen Namen während seiner Ent-

samtbevölkerung in der westlichen Pazifikregion

deckungsreisen im 16. Jahrhundert aufgrund der

und im Gebiet Managuas .

beiden großen Süßwasserseen, dem Managuasee

Das Land ist mit 45,2 Einwohnern pro km² dünn

und Nicaraguasee im Westen des Landes, einge-

besiedelt, da ein Großteil Nicaraguas nach wie vor

führt haben.147 Die Nicaraguaner bezeichnen sich

aus unbesiedeltem Regenwald besteht.145

selbst meist als „Nicas”.148

144

REGION AUTÓNOMA DE LA COSTA CARIBE NORTE (RACCN)

NUEVA SEGOVIA MADRIZ ESTELI

JINOTEGA

MATAGALPA

CHINANDEGA LEON

PA Z

Managuasee

IFIS

MANAGUA

CH

ER

MASAYA

CARAZO

OZ

EA

N

REGION AUTÓNOMA DE LA COSTA CARIBE SUR (RACCS)

BOACO

ATLANTISCHER OZEAN

HONDURAS

Die Flagge des Landes basiert auf der Flagge der ehemaligen

das karibische Meer symbolisieren und der weiße Streifen das Land dazwischen. Blau und Weiß

CHONTALES

sind dementsprechend Nationalfarben, der NatioAbb. 61: Lage

Nicaraguasee RIO SAN JUAN

nalvogel ist der Türkisbrauenmotmot.

Nicaragua Abb. 62: Karte

COSTA RICA

128

Konfödera-

tion”, wobei die blauen Streifen den Pazifik und

GRANADA RIVAS

„Zentralamerikanischen

Nicaragua mit Departments

Über die Entstehung des Landesnamen Nicaragua existieren verschiedene Theorien. Manche

129


„Salve a ti, Nicaragua” ¡Salve a ti, Nicaragua! En tu suelo, ya no ruge la voz del cañón, ni se tiñe con sangre de hermanos tu glorioso pendón bicolor. Brille hermosa la paz en tu cielo, nada empañe tu gloria inmortal, ¡qué el trabajo es tu digno laurel y el honor es tu enseña triunfal!

„Heil dir, Nicaragua” Heil dir, Nicaragua! Auf deinem Erdboden donnert nicht länger die Stimme der Kanone noch befleckt das Blut von Brüdern dein glorreiches zweifarbiges Banner. Herrlich glänze der Frieden an deinem Himmel nichts trübe deinen unsterblichen Ruhm die Arbeit ist dein würdiger Lorbeer und die Ehre ist deine triumphale Fahne. Abb. 63: Anti-Regierungs-Demonstranten

130

131


Gesellschaft_ Bevölkerung

Männlich

Weiblich 100+ 95 - 99 90 - 94 85 - 89 80 - 84 75 - 79 70 - 74 65 - 69 60 - 64 55 - 59 50 - 54 45 - 49 40 - 44 35 - 39 30 - 34 25 - 29 20 - 24 15 - 19 10 - 14 5-9 0-4

4

3,2

2,4

1,6

0,8

0

in Mio.

132

136

68

0

in Tsd.

nen Bevölkerung. Bereits 60% der Bevölkerung

etwa 75 Jahren . Ein Großteil, ca. 70%, der Ni-

leben in Städten und durch die anhaltende Land-

caraguaner sind Mestizen, ca. 20% Weiße, meist

flucht ist die Tendenz steigend. Der zuverlässige

spanischer Herkunft, sowie etwa 10% afrikani-

Zugang zu fließendem Wasser und Elektrizität

scher Herkunft, die überwiegend in der östlichen

ist nicht überall vorhanden und die Qualität des

Atlantikregion leben sowie einige Indígenas (Mis-

Bildungs- und Gesundheitssystems leidet unter

kitos, Sumos und Ramas), die ebenfalls an der At-

mangelnder Finanzierung, Korruption und den

lantikküste leben . Darüber Hinaus gibt es einige

jahrzehntelangen politischen Unruhen.153

arabische und chinesische Einwanderer, haupt0

0,8

1,6

2,4

3,2

4

Weiblich

204

alt und die allgemeine Lebenserwartung liegt bei

150

100+ 95 - 99 90 - 94 85 - 89 80 - 84 75 - 79 70 - 74 65 - 69 60 - 64 55 - 59 50 - 54 45 - 49 40 - 44 35 - 39 30 - 34 25 - 29 20 - 24 15 - 19 10 - 14 5-9 0-4

372

schicht, als auch zwischen der ruralen und urba-

149

Männlich

340

Etwa die Hälfte der Bevölkerung ist unter 24 Jahre

sächlich in Managua. Die Hälfte der Bevölkerung

Viele Nicaraguaner verdienen trotz eines Jobs

ist römisch-katholisch und ein Drittel protestan-

nicht ausreichend. So lebt knapp die Hälfte der

tisch151.

Bevölkerung von $1 pro Tag, etwa 80% leben von maximal $2 pro Tag und insgesamt etwa 40% der

Die weiße Minderheit repräsentiert zu einem gro-

Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze.154

ßen Teil die Oberschicht. Hellere Haut und sozialer

Abb. 64: Bevölkerungspyramide Deutschland, 2016 Abb. 65: Bevöl-

0

68

136

204

372

340

kerungspyramide Nicaragua, 2016

Status korrelieren aufgrund von Rassismus und

Aufgrund der schlechten Wirtschaftslage, den

systemischer Diskriminierung miteinander. Auch

Bürgerkriegen und anhaltenden politischen Un-

nach der sandinistischen Landreform ist Landbe-

ruhen, wandern viele Nicaraguaner auf der Suche

sitz nach wie vor ein wichtiger Indikator für Reich-

nach dauerhaften Jobs, höheren Löhnen und bes-

tum und gesellschaftlichen Status.

seren sozialen und sanitären Umständen aus, vor

Das soziale Ungleichgewicht, zum Beispiel im

allem in das benachbarte Costa Rica, wo sie als

Einkommen oder der Gesundheitsversorgung

Saisonarbeiter in der Bananen- und Kaffeeernte

ist hoch, sowohl zwischen der Ober- und Unter-

arbeiten.155

152

133


Seit 1950 hat die Bevölkerung sich fast verfünf-

im mittleren Bereich, eingeordnet.159 Nichtsdesto-

facht, mit Geburtenraten von sechs Kindern pro

trotz liegt Nicaragua auf Platz 7 im Happy Planet

Frau in den 1980ern, bis heute, wo sich die Ein-

Index, mit einer recht hohen Lebenserwartung und

wohnerzahl auf Ersetzungsniveau stabil hält. Die

Zufriedenheit, einem niedrigen ökologischen Fuß-

hohe Anzahl von Schwangerschaften bei Teen-

abdruck und verhältnismäßig geringer Ungerech-

agern und jungen Erwachsenen ist problematisch,

tigkeit.160 Im Gegensatz dazu ist Nicaragua auf

das Durchschnittsalter von Frauen bei der ersten

dem Human Wellbeing Index, der aus Faktoren wie

Geburt liegt bei etwa 19 Jahren.

Gesundheit und Bevölkerung, Wohlstand, Wissen

Die Größe eines Haushalts liegt nach wie vor bei

und Bildung, Freiheit und Regierung sowie Ge-

sechs bis acht Personen und Familienbeziehun-

rechtigkeit und Gleichberechtigung besteht, mit

gen sind aufgrund der gesellschaftlichen Unsi-

28 von 100 Punkten schlecht bewertet.161

156

cherheiten und der hispanischen Tradition von großer Bedeutung.157 Häusliche Gewalt, sexueller Missbrauch insbesondere innerhalb der Familie, einer der Gründe für die unzähligen frühen Schwangerschaften und Alkoholmissbrauch sind verbreitet, insbesondere in den ländlichen Regionen. In vielen Familien sind Abb. 66: Demons-

alleinerziehende Frauen das Oberhaupt und Al-

tranten mit traditio-

leinversorgende der Familie.158

neller nicaraguanischer Maske Abb. 67: Demonstration gegen die Regierung

134

Auf dem Human Development Index wird Nicaragua unter „Medium Human Development”, also

135


Gesellschaft_ Kriminalität

Jamaika Dom. Rep. Puerto Rico

Mexiko Guatemala El Salvador Honduras Costa Rica Panama Kolumbien

Nicaragua Venezuela

Brasilien

Ecuador Peru

Bolivien Chile Paraguay

Uruguay pro 100.000 0 - 10 10 - 20 20 - 30 40 - 50 50 - 60 + 60

Argentinien

Abb. 68: Mordraten per 100.000 Einwohner in Lateinamerika, 2017

136

Auch wenn Nicaragua als eines der sichersten

Regionen gibt es Fälle von Menschenhandel und

Länder Zentralamerikas gilt, besteht dennoch das

Zwangsprostitution von Frauen und Kindern, die

Risiko von Überfällen und Vergewaltigungen, ins-

zum Anschaffen in die Großstädte geschickt wer-

besondere für ausländische Reisende.

den163.

Das Auswärtige Amt warnt vor allem vor Diebstäh-

Die allgemeine jährliche Mordrate lag 2016 bei

len und Überfällen an von Touristen frequentier-

einer Rate von 7,37 pro 100.000 Einwohnern,

ten Orten, wie den Stadtzentren der bei Touristen

die niedrigste in ganz Zentralamerika. Wie in

beliebten Städte Granada und Léon, aber auch

den meisten Ländern sind eher Männer die Op-

in Überlandbussen, bei Marktbesuchen oder auf

fer (Rate 15 zu 2).164 Im Gegensatz zu den umlie-

Busbahnhöfen. Auch in Managua sind Raubüber-

genden Ländern gibt es in Nicaragua keine aktiv

fälle auf Taxis, oftmals mit „falschen” Taxis von or-

operierenden Drogenkartelle. Es wird lediglich

ganisierten Banden, häufig. Ebenso wird dafür die

von kleineren Ablegern mexikanischer und ko-

Masche vom sympathischen Fremden genutzt,

lumbianischer Banden berichtet. Zwar wird die

der in ein angeblich vertrauenswürdiges Taxi oder

Karibikküste Nicaraguas als Umschlagplatz und

einen Privatwagen zur Mitfahrt eingelädt. Spazier-

Transportweg für Kokain, Heroin und Waffen ge-

gänge in der Dunkelheit und generelle Besuche

nutzt, die von Süd- nach Nordamerika gelangen

bestimmter Regionen und Stadtteile sollten ver-

sollen, jedoch werden die ausländischen Banden

mieden werden, ebenso das Campen abseits von

hier meist von lokalen Bewohnern, insbesondere

offiziellen, bewachten Plätzen. Insbesondere für

Fischern und Verkehrspersonal, unterstützt und

Frauen besteht in manchen Gegenden auch tags-

mit Drogen oder Geld bestochen165. Auch wenn

über das Risiko vergewaltigt zu werden.162

die Regierung im Kampf gegen den Drogenhandel

Für die lokale Bevölkerung bestehen diese Risi-

eher zurückhaltend ist, gar Beweise von Beste-

ken ebenso, auch Hauseinbrüche in den urbanen

chungszahlungen veröffentlicht wurden, besteht

Regionen sind keine Seltenheit. In den ländlichen

ein geringeres Risiko für die lokale Bevölkerung.166

137


Gesellschaft_ Wirtschaft

Nicaragua gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Laut Schätzungen des IWF lag das Pro-Kopf-Einkommen 2018 mit 2.207 US-Dollar unterhalb der Armutsgrenze. Trotz des GDP-Wachstums gibt es eine leichte Inflation und viele Nicaraguaner haben trotz Job kein ausreichendes Einkommen167. Die Infrastruktur und Wirtschaft Nicaraguas leiden nach wie vor unter den Folgen des Bürgerkrieges und Naturkatastrophen, wie zum Beispiel Hurrikan Mitch, der das Land 1998 schwer traf168. Wichtige Exportpartner, insbesondere für Kaffee, Fleisch, Gold, sowie Zigarren und Textilien, beziehungsweise Baumwolle, sind die USA (über 50%), Mexiko, El Salvador und Venezuela. Für den Import von Rohmaterialien, Konsumgütern und insbesondere Erdöl sind ebenfalls die USA und Mexiko, aber auch China wichtig.169 Generell ist Korruption insbesondere in öffentlichen Institutionen weit verbreitet.170

Abb. 69: Ländliches Nicaragua, 1978

138

139


Gesellschaft_ Vergleich Nicaragua & Deutschland Allgemein

Nicaragua

Deutschland

Fläche

130.370 km2

357.022 km2

Einwohner

6,3 Millionen

80,5 Millionen

Einwohner/km2

45,2

231

Hauptstadt

Managua

Berlin

Einwohner Hauptstadt

1,0 Millionen

3,5 Millionen

Staatsform

Republik, Präsidialsystem

Bundesrepublik, parlament. Demokratie

Sprachen

Spanisch Englisch Miskito, Sumo, Creole

Deutsch Regionale Dialekte

Nicaragua

Deutschland

Durchschnittliche Schuljahre

6,5 Jahre

13,2 Jahre

Arbeitslosigkeit Jugend (15-24)

6% 11,9%

4,3% 7,2%

Internetnutzung

24,6%

87,6%

Life satisfaction (0 bis 10)

5,9

7,0

Alphabetisierungsrate

82,8%

100%

Migrationsrate

-2,7 / 1.000

1,5 / 1.000

Währung

Córdoba Oro (NIO)

Euro (€)

0,645 Platz 124 / 188

0,926 Platz 4 / 188

Wechselkurs (am 21.05.2018)

1 NIO = 0,027086 €

1 € = 36,937635 NIO

Bruttoinlandsprodukt (Nominal)

$ 19,49 / 16,64 Mrd. €

$ 3,68 / 3,15 Billionen €

Einwohner (2015)

6,1 Millionen

80,7 Millionen

Pro-Kopf-Einkommen (GNI)

$ 2.207 / 1.884 €

$ 44.550 / 38.039 €

GDP-Wachstumsrate

4,5%

2,1%

Bevölkerungswachstum

0,98%

-0.16%

Geburtenrate

Unterhalb der Armutsgrenze

29,6%

16,7%

17,7 / 1.000 1,89 Kinder pro Frau

8,6 / 1.000 1,45 Kinder pro Frau

Multidimensional poverty

19,4%

8%

Sterberate

5,1 / 1.000

11,7 / 1.000

Inflation

4%

1,6%

Kindersterblichkeit

18,3 / 1.000 lebend

3,4 / 1.000 lebend

Einkommensungleichgewicht

32,1%

14,8%

Durchschnittsalter

25,2 Jahre

47,1 Jahre

Altersstruktur

0-14: 27,24% 15-24: 21,26% 25-54: 40,24% 55-64: 5,98% 65+: 5,28%

0-14: 12,82% 15-24: 10,09% 25-54: 40,45% 55-64: 14,58% 65+: 22,06%

CO2 Ausstoß

5,2 Millionen Mt

744 Millionen Mt

Energieverbrauch

3,2 Billionen kWh

514,6 Billionen kWh

Militärausgaben

0,55% vom GDP

1,2% vom GDP

Lebenserwartung

75,2 Jahre

81,1 Jahre

Homizidrate

11,5 / 100.000

0,9 / 100.000

Übergewicht

23,7%

22,3%

Gefängnisinsassen

171 / 100.000

78 / 100.000

Geburtenrate 15-19 Jährige

88,8 / 1.000

6,7 / 1.000

Suizidrate

4,9 Frauen / 100.000 15,4 Männer / 100.000

4,1 Frauen / 100.000 14,5 Männer / 100.000

Human Development Index

Bevölkerung

Bildung

Wirtschaft

Sonstiges

Quellen: siehe 171

140

141


Historie_ Entdeckung und Kolonialzeit Unabhängigkeit Diktator Somoza Sandinistische Revolution Nach 1990 Alemån und Ortega Familie Ortega Aktuelle politische Lage

143


Historie_ Entdeckung und Kolonialzeit

Über die frühen Völker Nicaraguas gibt es auf-

und teilweise handelnd, aber auch in kriegerischer

grund der Zerstörung durch die Kolonialherr-

Beziehung zueinander standen. Trotz friedlicher

schaften und der Verwendung von Materialien

erster Begegnungen, wurden das Land und seine

wie Holz und Lehm wenig Zeugnisse der frühen

Bewohner von den Europärern ausgebeutet. Ein

Kulturen. In der Pazifikregion war Nicaragua von

Großteil der indigenen Stämme - auch wirtschaft-

den „Chorotegas“ besiedelt, im Westen von den

lich und kulturell weit entwickelt - wurde versklavt.

„Maribios“. Die Kultur, Sprache und Lebensweise

Sie wurden zum katholischen Glauben bekehrt,

der Chorogetas und „Nicirano“ ähnelte denen der

Aufständische wurden häufig deportiert um in

Mayas und Azteken Mexikos, charakterisiert durch

südamerikanischen Minen zu arbeiten.

Landwirtschaft und Handel ihrer Produkte mit benachbarten Gruppen172. Die Siedler an der Karibik-

Wie in so vielen lateinamerikanischen Ländern,

küste lebten eher nomadisch und waren weniger

vernichteten die Eroberer absichtlich, aber auch

weit entwickelte Volksstämme, die vermutlich aus

unabsichtlich durch eingeschleppte Krankheiten

Südamerika eingewandert sind. Sie waren Jäger

und Ungeziefer, die native Bevölkerung Nicara-

und Fischer und nutzten simple landwirtschaft-

guas zu einem großen Teil.174

liche Methoden. Später wurde diese Region von entlaufenen afrikanischen Sklaven und anderen

Nach Aussage eines spanischen Mönches sollen

karibischen Indigenen bevölkert.

im Jahre 1522 keine 5.000 Menschen mehr in Ni-

173

caragua gelebt haben. Die Herrschaft der Spanier

Abb. 70: Karte Mittelamerikas im 16. Jahrhundert

144

Die pazifische Küste Nicaraguas wurde im frühen

konzentrierte sich vor allem auf die Westküste, wo

16. Jahrhundert als spanische Kolonie von Pana-

auch die ersten spanischen Kolonialstädte Gra-

ma aus besiedelt. Zur Zeit der Ankunft der Spa-

nada (1523) und León (1524) gegründet wurden.

nier soll es drei große indigene Volksstämme ge-

An der Ostküste existierte einige Zeit eine, von

geben haben, die unterschiedlich weit entwickelt

Jamaika aus, eroberte Kolonie Großbritanniens.175

145


Historie_ Unabhängigkeit

Im 18. Jahrhundert gab es mehrere Aufstände

Die Hauptstadt Managua liegt nicht zufällig geo-

durch die Indígenas, die Anfang des 19. Jahrhun-

grafisch zwischen den beiden Städten. Auch die

derts, während der französischen Revolution in

US-amerikanische Regierung nahm Einfluss auf

Europa und der Besetzung Spaniens, zu den Un-

die politische Lage in Nicaragua und besetzte

abhängigkeitskriegen in Mittelamerika führten. Die

zum Beispiel von 1912 bis 1933 Managua, Grana-

Unabhängigkeit von Spanien erlangte das Land

da und León zur Unterstützung der konservativen

am 15. September 1821, woraufhin es Teil der

Regierung gegen die liberalen Rebellen.179

Zentralamerikanische Föderation wurde176. Erst 1838 konnte Nicaragua als unabhängige Republik gegründet werden, um bereits in den folgenden 1850er Jahren von einem US-Amerikaner namens William Walker an sich gerissen zu werden.177 Nach seiner langwierigen Vertreibung waren auch die darauffolgenden Jahre von Unruhen und Aufständen geprägt. Insbesondere der alte Gegensatz zwischen der liberalen Elite aus León und der konservativen Elite aus Granada, begründet in jahrhundertealter Rivalität zwischen den Händlern der beiden Städte und ihren wirtschaftlichen IdeaAbb. 71: Granada Abb. 72: Managua Abb. 73: Leon

146

len, führte immer wieder zu Regierungsputschen und Bürgerkriegen.178

147


Historie_ Diktator Somoza

Im Jahre 1927 brach erneut ein Bürgerkrieg zwi-

einige Jahre später von Somoza selbst in einem

schen den Liberalen und Konservativen aus. Einer

Putsch überworfen.

der liberalen Generäle, Augusto César Sandino,

Danach war das Land durch die Nationalgarde,

sowie einige seiner Soldaten, widersetzen sich

die sowohl die Polizei- als auch die Armeefunk-

der Entwaffnung, die im Pakt von Espino Negro

tion erfüllte, fest in der Hand der Familie Somoza,

mit einem US-Abgesandten ausgehandelt (oder

die ihre Macht und die Nähe zu den USA nutzten

erzwungen) worden war, und zogen sich als Re-

um eines der größten lateinamerikanischen Wirt-

bellengruppe in die nördlichen Berge zurück.

schaftsimperien zu errichten. Unruhen wurden

Die von Sandino aufgestellte Gruppe kämpfte im-

unterdrückt und der Wiederaufbau nach dem ver-

mer wieder gegen die stationierten US-Marines,

nichtenden Erdbeben von 1931 und auch dem

bis diese schließlich 1932 abzogen und von der

Großbrand in Managua in 1936 wurden genutzt

nicaraguanischen Nationalgarde unter Anastasio

um den Grundbesitz der Familie zu vermehren.

Somoza García, einem Vertrauten der US-amerikanischen Regierung, abgelöst wurde.

Im zweiten Weltkrieg kooperierte Somoza mit den USA und nutzte die Kriegserklärung gegen Japan,

Nach dem Abzug der Marine legten Sandinos

Italien und Deutschland, um allen Deutschen ihr

Truppen die Waffen nieder, woraufhin er und seine

Land, Vermögen und insbesondere ihre Kaffee-

engsten Offiziere von Somoza zu einem Bankett

plantagen zu enteignen.

am 21. Februar 1934 eingeladen wurden, nach

Durch Unterstützung der USA konnten auch an-

dessen Ende sie jedoch auf Veranlassung Somo-

haltende Grenzkonflikte mit Costa Rica und Hon-

zas ermordet und verscharrt wurden.

duras, sowie ein Putschversuch ehemaliger Sol-

180

Abb. 74: Sandino

daten der Nationalgarde, die nun unter dem Be-

und Unterstützer Abb. 75: Anastasio Somoza García und Augusto C. Sandino

148

Ein Onkel Somozas, der Liberale Juan Bautista Sa-

fehl eines Sohnes von Somoza, Anastasio Somoza

casa, wurde 1933 als Präsident vereidigt, jedoch

Debayle, stand, überwunden werden.181

149


Schließlich wurde der Diktator Somoza im Jahr

Somoza genutzt um internationale Spenden auf

1956 durch den Dichter Rigoberto López Pérez bei

eigene Konten umzuleiten, Hilfsgüter zu verkau-

einem Bankett ermordet, der daraufhin von Somo-

fen und das Bau- und Bankgewerbe an sich zu

zas Leibwächtern erschossen wurde.

reißen184. Formal gesehen existierte ein Mehrparteiensys-

Bis 1963 herrschte daraufhin Somozas Sohn, Luís

tem, jedoch wurde jede echte Opposition von

Somoza Debayle, als Präsident, trotz des Versuchs

der Nationalgarde unterdrückt und Gewerkschaf-

der Konservativen Partei und der sandinistischen

ter sowie Kleinbauern drangsaliert. Die kritische

Guerillas die Regierung 1959 zu stürzen.

Presse, wie die Zeitung „La Prensa” von Pedro

Als Kandidat der Liberalen wurde 1967 sein Bru-

Joaquin Chamorro Cardenal wurde massiv bedroht

der Anastasio Somoza Debayle, ehemaliger Be-

und eingeschüchtert.

182

fehlshaber der Nationalgarde, durch Wahlbetrug zum Präsidenten und durch Sondervollmachten

Die bereits 1961 von Studenten der Universität

1972 und 1974 erneut im Amt bestätigt.183

Managua gegründete „Frente Sandinista de Libera-

Seine alles andere als liberale Regierung zeichne-

tion Nacional” (FSLN), die sich gegen Somoza rich-

te sich durch ihre Nähe und Unterstützung durch

tete und deren Mitglieder von dessen Regierung

die USA aus, die Nicaragua unter anderem als

verfolgt und ermordet wurden, gewann in diesen

militärischen Stütz- und Ausbildungspunkt nutzte,

Jahren mehr und mehr Zuspruch in der Bevölke-

zum Beispiel um Kuba anzugreifen oder Söldner

rung.185

gegen Guatemala auszubilden, aber auch wirtAbb. 76: Diktator Somoza, 1978 Abb. 77: Managua nach dem Erdbeben von 1972

150

schaftliches Interesse an Nicaragua hatte. Das starke Erdbeben, das am 23. Dezember 1972 einen Großteil Managuas zerstörte und durch das 10.000 Menschen starben, wurde von der Familie

151


„Nosotros no somos militares, somos ciudadanos armados...“ „Wir sein keine Soldaten, wir sind bewaffnete Bürger.“ General Augusto César Sandino, 1927

Abb. 78: Sandinistische Rebellen, 1978

152

153


Abb. 80: Kontrolle eines öffentlichen Busses, 1978

Abb. 79: Rebellen

154

Abb. 81: Plünderung

mit traditionellen

eines brennenden

Masken, 1978

Geschäfts, 1978

155


Abb. 82: Einzug der

Abb. 84: Zerstörte

Guardía Nacional in

Häuser während der

die FSLN-Hochburg

Revolutionskämpfe,

Masaya, 1978

Abb. 83: Guardía

Abb. 85: Revo-

Nacionale in Ma-

lutionskämpfer in

saya. 1978

156

Masaya, 1978

Managua. 1978

157


Herbstlied für Nicaragua Die Vögel sammeln sich - wissen, wohin sie fliegen Die Menschen sammeln sich - wissen, wohin sie geh'n Wer wird die Vögel hindern auf ihrem Weg in den Süden? Wer wird die Menschen hindern auf ihrem Flug in die Freiheit? Viele werden sterben an den Mühen des Weges - aber die andern kommen ans Ziel Dietmar Schönherr Casa de los tres mundos / das Haus der drei Welten186

Abb. 86: Sandinistische Rebellen, 1978

158

159


Historie_ Sandinistische Revolution

Anfang des Jahres 1977 kam es nach der Er-

der Bevölkerung entwickelte sich nur langsam.189

mordung des oppositionellen Zeitungsverlegers

Die sandinistische Regierung wurde in westlichen

Chamorro, zu einem Generalstreik, der moderate

Medien als kommunistisch betrachtet, weshalb

und sandinistische Kräfte gegen Somoza vereinte,

internationale Handelsbeziehungen lediglich ein-

initiiert von „Los Doces” (Die Zwölf), einer Gruppe

geschränkt möglich waren. Außerdem unterstütz-

nicaraguanischer Akademiker und Geschäftsleu-

te Nicaragua, zusammen mit Kuba und der Sow-

te .

jetunion, nach Aussagen der USA, linke Rebellen

Dies führte schließlich zu einem Bürgerkrieg, bei

in El Salvador.190

187

dem mehr als 50.000 Menschen starben. Schließlich floh Diktator Somoza 1979 und am 19. Juli

In den 1980ern versuchten die USA die nicara-

des gleichen Jahres, „el Día de la Revolución Sand-

guanische junta, nun hauptsächlich unter Leitung

inista”, konnten die FSLN-Guerilleros siegreich in

Daniel Ortegas, mit Hilfe der paramilitärischen, mit

Managua einziehen188.

amerikanischen Waffen und Geldmitteln ausgestatteten, Contras (Contrarevolucinarios) zu stür-

Die Sandinisten, nun mit einer Übergangsregie-

zen191.

rung „junta” an der Macht, starteten eine erfolg-

Abb. 87: Einzug der Sandinisten, 19. Juli 1979 Abb. 88: Vereidigung Daniel Ortegas, 1985

160

reiche Bildungskampagne, investierten in das

Obwohl die USA für diese Aktionen in und gegen

Gesundheitssystem und entwickelten die Frauen-

Nicaragua vom Internationalen Gerichtshof in Den

rechte. Der weltbekannte Dichter und Priester Er-

Haag zu Schadensersatzzahlungen verurteilt wur-

nesto Cardenal wurde zum Kulturminister ernannt.

den, sind diese bis heute nicht gezahlt worden.

Jedoch kam es auch zu Zwangsumsiedlungen

Trotz der Destabilisierungsversuche im „Cont-

von Miskito-Indianern aus der östlichen Küsten-

ra-Krieg” wurden die Sandinisten in den ersten

region ins Landesinnere und das Wirtschafts-

freien Wahlen im Jahr 1984, mit Daniel Ortega als

wachstum sowie der generelle Lebensstandard

Präsident, offiziell gewählt.

161


Historie_ Nach 1990

Durch das 1988 gefasste mittelamerikanische

der ehemaligen Contras und Sandinisten, die sich

Friedensabkommen wurde die sandinistische Ar-

gegen die Regierung stellten. Die schwierige Si-

mee umgewandelt und verkleinert, irreguläre Trup-

tuation wurde von der Präsidentin weitestgehend

pen demobilisiert und freie und geheime Wahlen

unter Kontrolle gehalten, indem sie Daniel Orte-

eingeführt, die 1990 mit Einverständnis der sandi-

gas Bruder zum Befehlshaber der Armee ernannte

nistischen Regierung von den Vereinten Nationen

und Einfluss auf die gesamte Presse nahm, die

überwacht wurden. Die Wahl 1990 gewann über-

großeteils durch ihre Familie kontrolliert wurde so-

raschend das Wahlbündnis UNO (Unión Nacional

wie mit finanzieller Unterstützung der USA.194 Es

Opositora), bestehend aus 14 konservativen und

wurde Stabilisierungs- und Sparprogramme be-

antisandinistischen Parteien, mit 55,2% der Stim-

schlossen, das die kapitalistische Privatwirtschaft

men, während die sandinistische Partei, die FSLN,

einführten und in vielen Sektoren eine Privatisie-

40,8% erhielt.192 Die UNO und ihre Kandidatin, die

rung und Verkleinerung durchführte. Ein Abkom-

Zeitungsverlegerin Violeta Chamorro, versprachen

men mit dem Internationalen Währungsfond und

das Ende des Contra-Krieges, die Aufhebung des

der Weltbank förderte eine weitreichende Libera-

Wirtschaftsembargos und generellen Wohlstand

lisierung der Wirtschaft und eine Reduktion der

für die Bevölkerung, die unter den Kriegsjahren

Sozialausgaben.

und seinen unzähligen Opfern, dem Embargo,

Ein entscheidender Vertrauensbruch der FSLN war

Inflation, Arbeitslosigkeit und einem nach wie vor

die sogenannte „Piñata”, die nach der Wahl 1990

niedrigen Lebensstandard litt.

bis zur Amtsübergabe geschah. In über 200 Fällen

Die neue Regierung bestand aus einer Koopera-

fand eine, bis heute unaufgeklärte, Überschrei-

tion zwischen dem moderaten Lager der konser-

bung staatlicher Vermögenswerte sowie einzelner

vativen und sandinistischen Partei. Auch wenn sie

Betriebe und eine Privatisierung von Dienstwagen

offiziell Frieden und ein Ende des Embargos er-

und Staatsgütern statt, an der sich auch die Präsi-

reichten, formierten sich erneut radikale Gruppen

dentenfamilie Ortega massiv bereicherte.

193

Abb. 89: AntiSandinista Contras, Honduras,1987 Abb. 90: Daniel Ortega vereidigt Violeta Chamorro

162

163


Historie_ Alemán und Ortega

In den folgenden Wahlen 1996, nach verschie-

benszeit mit Immunität für den Präsidenten und

denen Parteispaltungen und -neugründungen,

Vizepräsidenten eingeführt, von dem Alemán in

gewann die Alianza Liberal (AL) mit ihrem Kandi-

seinem Korruptionsverfahren profitierte.

daten Arnoldo Alemán, auch wenn die Wahl von

Die Wahlen 2001 verlor die FSLN ebenfalls erneut

einigen Unregelmäßigkeiten überschattet wurde

mit dem, auch innerhalb seiner Partei umstritte-

und im Anschluss erneut Widerstand der Contras

nen, Präsidentschaftskandidaten Daniel Ortega,

stattfand . Seiner Regierung wurde Vetternwirt-

gegen den Kandidaten der Liberal-Konservativen

schaft und Korruption vorgeworfen und nach sei-

Partei (PLC), Enrique Bolaños, der ehemalige Vi-

ner Amtszeit 2003 wurde Alemán wegen dieser zu

zepräsident Alemáns, mit 45% zu 53% der Stim-

einer Haftstrafe verurteilt, die er jedoch noch nicht

men. Der angekündigte Antikorruptionskampf

antreten musste, allerdings lebt er unter Hausar-

des neuen Präsidenten wurde jedoch von neuen

rest in Managua.

Korruptionsverdächtigungen und Privatisierungen

Gemeinsam mit Daniel Ortega, als Vorsitzender

überschattet, was die internationalen Geldgeber,

der Sandinisten, arbeitete Alemán während seiner

wie die USA und den IWF, Druck und die Forde-

Regierungszeit an einem Pakt zwischen der AL

rung nach Transparenz öffentlicher Gelder aus-

und der FSLN. Die Beiden versuchten die Errich-

üben ließ. Gleichzeitig versuchte die linke, sandi-

tung eines Zweiparteienstaates durch Gesetzes-

nistische Opposition im Parlament die Entmach-

und Verfassungsänderungen, zum Beispiel durch

tung des aktuellen Präsidenten voran zu treiben197.

das Verbot freier Bürgerlisten und die Erschwe-

Schließlich konnte sich in den Wahlen 2006, die

rung der Zulassung von neuen Parteien.

offiziellen internationalen Wahlbeobachtern zu-

Die wichtigsten Gremien, wie der Oberste Wahl-

folge ruhig und ohne Unregelmäßigkeiten verlief,

rat, der staatliche Rechnungshof und der Oberste

der ehemalige Guerilla-Führer, Daniel Ortega, mit

Gerichtshof, wurden ebenfalls in ihrem Interesse

38,1% zu 30% der Stimmen gegen den konserva-

besetzt sowie ein Abgeordnetenstatus auf Le-

tiven Kandidaten durchsetzen198.

195

196

Abb. 91: Alemán und Ortega, 1999 Abb. 92: Ortega mit Evo und Chavez, Inauguration 2007

164

165


Historie_ Familie Ortega

Im Jahr 2007 wurde Daniel Ortega als Präsident

lie und deren Vertrauen kontrolliert. Der Präsident

von Nicaragua vereidigt. Seiner Ehefrau Rosario

und seine Ehefrau, die gleichzeitig Vizepräsidentin

Murillo übergab er wichtige politische Posten,

ist, wirken zusammen als oberste Macht- und Be-

zum Beispiel als Regierungssprecherin, Vorsitzen-

fehlshaber, sowie sieben Kinder des Paares be-

de des Rates für Kommunikation und Bürgeran-

sitzen wichtigen Positionen in den Medien, der

gelegenheiten und Koordinatorin aller Volksräte,

Wirtschaft und der Politik.202

was von vielen Parteien als Verfassungsverstoß

Auf dem Demokratieindex der britischen Zeit-

kritisiert wurde. Ortega setzte einige Verfassungs-

schrift The Economist belegte Nicaragua 2016

änderungen durch, die ihm weitreichende Befug-

lediglich Platz 104 von 167 Ländern und gilt als

nisse ermöglichen . So war es ihm erst durch

ein „Hybridregime“ zwischen demokratischen

eine umstrittene Entscheidung des Verfassungs-

und autoritären System.203 Im Länderbericht der

gerichts möglich erneut zur Wahl 2011 zugelas-

US-amerikanischen Nichtregierungsorganisation

sen zu werden, obwohl laut Verfassung mehr als

Freedom House wurde Nicaragua 2017 als „par-

zwei Amtszeiten einer Person nicht möglich waren

tiell frei“ bewertet, mit schlechten Bewertungen

und Präsidenten nicht direkt wiedergewählt wer-

für den Wahlprozess, politische Pluralität und

den können200. Die Wahl, die von Unregelmäßig-

Transparenz der Regierung.204 Laut der Rangliste

keiten überschattet und bei der eine internationale

der Pressefreiheit von 2017, die jährlich von Re-

Beobachtung verhindert wurde, gewann Ortega

portern ohne Grenzen veröffentlicht wird, liegt Ni-

mit 62,6% der Stimmen, ebenso wie die Wahlen

caragua auf Platz 92 von 180, 17 Plätze niedriger

Ortega-Murillo mit

2016.

als im Vorjahr.205 Homosexualität ist nach einigen

Hugo Chávez

Offiziell ist Nicaragua eine präsidentielle Republik,

Jahren der Kriminalisierung seit 2008 wieder straf-

jedoch werden alle wichtigen Posten, die Präsi-

frei, nach wie vor herrscht jedoch ein absolutes

dentschaft, die Justiz- und die Nationalversamm-

Abtreibungsverbot, selbst im Falle von Vergewalti-

lung und der Oberste Wahlrat, von Ortegas Fami-

gungen oder Gefährdung des Lebens der Mutter.

199

Abb. 93: Familie

Abb. 94: Daniel Ortega und Rosario Murillo bei einer Regierungserklärung, April 2018

166

201

167


Historie_ Aktuelle politische Lage

Aktuelle Reisewarnung des Auswärtigen Amtes (Stand: 26. Juli 2018)

Anfang diesen Jahres gab es aufgrund ange-

zu verbinden und somit eine lukrative Konkurrenz

Von nicht erforderlichen Reisen nach Nicaragua wird weiterhin dringend abgeraten. [...] Seit Mitte April 2018

kündigter Sozialreformen, die unter anderem

zum Panamakanal darstellen209. Durch das Ab-

kommt es im gesamten Land zu massiven Demonstrationen gegen die Regierung und gewalttätigen Auseinan-

Rentenkürzungen vorsahen, zahlreiche friedliche

kommen hat die chinesische Firma gleichzeitig

dersetzungen, bei denen bisher rund 350 Menschen getötet und etwa 2000 verletzt worden sind. Nahezu täglich

Demonstrationen, die von der Polizei mit scharfer

für 50 Jahre das Recht auf Enteignung nicara-

kommt es zu Brandstiftungen, Plünderungen oder anderen Straftaten, von denen auch Ausländer betroffen sein

Munition niedergehalten wurden. Dabei wurden

guanischen Bodens erhalten. Aufgrund dessen

können. Straßensperren wurden mittlerweile beinahe vollständig geräumt, allerdings kann in der volatilen Situation

mindestens 26 Menschen getötet, was zu noch

und der dadurch befürchteten Umweltschäden,

die Errichtung neuer Barrikaden nicht ausgeschlossen werden. [...] Reisenden wird dringend geraten, die Lage-

größeren Demonstrationen, die sich nun gegen

Vermutungen der Korruption sowie politischem

entwicklung [...] zu beobachten, Demonstrationen und Menschenansammlungen unbedingt fernzubleiben und

die gesamte Regierung Ortegas richteten, führ-

Eigeninteresse, aber auch aufgrund des Mangels

den Anweisungen von Sicherheitskräften Folge zu leisten. Neben dem Risiko, in Auseinandersetzungen verwickelt

te. Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen

an Glaubwürdigkeit der chinesischen Investoren,

zu werden und dort zu Schaden zu kommen, verbietet das nicaraguanische Recht Ausländern die politische

Gegnern und Anhängern Ortegas sowie der Poli-

ist das Bauprojekt höchst umstritten und wird von

Betätigung. [...] Es wird empfohlen, sich nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr außer Haus zu bewegen.

zei, insbesondere in Managua, forderten weitere

der Bevölkerung weitestgehend abgelehnt.210

Menschenleben207. Zwischen dem 18. April und

Durch die aktuelle politische Machtstruktur, die

10 Juli 2018 gab es aufgrund von Protesten laut

Verfassungsänderungen und generelle Korrup-

Zahlen der Menschenrechtsorganisation ANPDH,

tionverdächtigungen wird im US-Senat derzeit

351 Tote, 2.100 Verletzte und mehr als 500 Ver-

der „Nicaraguan Investment Conditionality Act”

haftete.208

(NICA) diskutiert, der neue Investitionen und wei-

206

tere finanzielle Unterstützung durch die USA an

Abb. 95: Studenten bei einer Demonstration

168

Auch das 2013 von der Regierung unter Daniel

bestimmte Bedingungen wie Transparenz der

Ortega geschlossene Abkommen zum Bau eines

öffentlichen Gelder und generelle Förderung de-

interkontinentalen Kanals war und ist Grund für

mokratischer Strukturen knüpfen soll.211 Dies wird

Widerstand der Bevölkerung. Eine neu-geformte

Investitionen internationaler Geldgeber erschwe-

chinesische Firma soll für geschätzte 50 Billionen

ren und die nicaraguanische Wirtschaft durch das

US-Dollar (42,7 Billionen €) eine Wasserstraße

Ausbleiben amerikanischer Gelder vermutlich wei-

quer durch das Land bauen, um die beiden Meere

ter schwächen.

169


Gegebenheiten_ Geographie Klima Flora Architektur

171


Gegebenheiten_ Geographie

Nicaragua besteht hauptsächlich aus drei ver-

berühmte Momotombo (1.280 Meter), am Fuße

schiedenen geografischen Zonen: dem pazifischen

des Managuasees, der als aktiver Vulkan immer

Flachland im Westen zwischen niedrigen, aber

wieder Aschewolken ausstößt. Das Deutsche

rauen Bergen und Vulkanen, der nördlich-zentra-

Auswärtige Amt weist auf die generelle, unbere-

len Bergregion und dem karibischen Flachland mit

chenbare Gefahr durch die erhöhte Aktivität aller

einer großen Regenwaldregion, die an der Küste

sechs aktiven Vulkane hin, insbesondere auf die

in Deltas und Lagunen, sowie Korallenriffen, Inseln

Wahrscheinlichkeit vulkanischer Beben.215

und Sandbänken an die Karibik angrenzt.212 Die seismischen Aktivitäten in Nicaragua entste-

MANAGUA

In den niedrigen Ebenen im Westen des Gebirges

hen dadurch, dass sich die Cocos-Erdplatte unter

bis hin zum Pazifik, befinden sich der Nicaragua-,

die Karibische Platte schiebt, auf der sich das

Managua- und Masayasee, sowie die meisten ni-

Land befindet. Dies führt zu einem hohen Erdbe-

caraguanischen Städte. Der Nicaraguasee ist mit

benrisiko im Südwesten des Landes, vor allem um

8.157 km2 der größte Binnensee in Mittelamerika

die Hauptstadt Managua und Touristenstadt Léon.

und der zweitgrößte See in Lateinamerika.213

Spannungen und Erdbeben entstehen auch durch Bewegungen der Nordamerikanischen Platte im

Die durchschnittliche Höhe liegt bei 298 Metern

Norden und Osten und die Ausläufer der südame-

über dem Meer und dem höchsten Punkt, dem

rikanischen Nazca-Platte.216

Berg Pico Mogotón (2.436 Meter). Die Vulkanket-

Die letzten verheerenden Erdbeben in Managua

te im Südwesten des zentralen Gebirges besteht

waren 1931 (Magnitude 5,6) und 1972 (Magnitu-

aus etwa 40 Vulkanen, von denen sechs als aktiv

de 6,2), die einen Großteil der Stadt komplett zer-

gelten . Die höchsten Vulkane sind San Cristóbal

störten, tausende Menschenleben forderten und

(1.780 Meter), Concepción (1.610 Meter), der auf

Millionen obdachlos machten.

214

Abb. 96: Topographische Karte von Nicaragua

172

der Insel Ometepe im Nicaraguasee liegt, und der

173


Gegebenheiten_ Klima

Generell hat Nicaragua ein tropisches Klima, das

sind die heißesten Monate in Nicaragua (Trocken-

über das Jahr hinweg recht konstante Temperatu-

zeit, sogenannter Sommer), wenn die Sonne be-

ren aufweist. Es gibt drei hauptsächliche Klimabe-

reits sehr hoch steht und die Regenzeit (Winter)

reiche innerhalb des Landes: äquatorial-feuchtes

noch nicht begonnen hat.

Klima, Monsun-Klima und tropisch-trockenes Sa-

Die karibische Küstenregion ist ein wenig kühler,

vannenklima, die sich jeweils durch unterschied-

aber auch deutlich regnerischer (durchschnitt-

liche Temperaturen und Regenfall auszeichnen,

lich 3.810mm jährlich) als der pazifische Westen

die durch die Höhenunterschiede der Regionen

(1.905mm, Vergleich Deutschland ca. 750mm),

begründet sind.

wobei im ganzen Land die Hauptregenzeit von

Als „tierra caliente” werden die Ebenen bis 750

Mai bis November währt und Dezember bis April

Metern ü. M. bezeichnet, mit Tagestemperaturen

als Trockenzeit gilt218. Zur Hauptregenzeit regnet

von 30 bis 33°C und nächtlichen 21 bis 24°C die

es meist täglich für eine kurze, jedoch intensive

meiste Zeit des Jahres. Die „tierra templada” liegt

Zeit219.

auf 750 bis 1.600 Metern und hat mildere TemMANAGUA

peraturen (tagsüber 24-27°C, nachts 15-21°C).

Sowohl die östliche als auch westliche Küstenre-

Lediglich die nördlichen, hohen Berge über 1.600

gionen sind außerdem Tropenstürmen und Hurri-

Metern gelten als „tierra fría” (22-24°C tagsüber,

kanen ausgesetzt, die vor allem von Juli bis Ok-

unter 15°C nachts).

tober mit ihren starken Winden, Starkregen und

217

Äquatoriales Klima (Af) Monsun Klima (Am) Tropisches Savannenklima (Aw)

Fluten großen Schaden durch Überschwemmun-

Abb. 97: Klimazonen nach Köppen in Nicaragua

174

Der Westen Nicaraguas, in dem auch die wich-

gen und Erdrutsche anrichten.220 Zuletzt trafen

tigsten Städte liegen und der Großteil der Bevöl-

Hurrikan Mitch (1998), Otto (2016) und Nate (2017)

kerung lebt, hat tropisch-heiße Temperaturen, die

das Land schwer, forderten Menschenleben, zer-

sich das meiste Jahr durchschnittlich konstant

störten unzählige Wohnhäuser und Gebäude und

zwischen 28 und 32°C halten. März, April und Mai

hinterließen tausende Menschen obdachlos.221

175


Gegebenheiten_ Flora

Aufgrund des tropisch-feuchten Klimas hat Nica-

strengen Auflagen und Kontrollen mittlerweile ein-

ragua eine große Vielfalt an Flora (etwa 6.000 Ar-

gehalten und weitestgehend nachhaltig und legal

ten) und Fauna (mehr als 13.000 Arten), von denen

geforstet.224 Auch in der Hauptstadt Managua gibt

etwa 200 einzig in Nicaragua zu finden sind.222 Der

es eine große Vielfalt an Vegetation.

Westen des Landes ist durch die Vulkanasche besonders fruchtbar und geeignet für landwirt-

Exotische und seltene Pflanzen und Bäume wie

schaftlichen Anbau.

Ceibos, Pochotes, Genízaros, Tigüilotes, Königspalmen, Piñuelas and Madroños finden sich in der

Der Osten ist geprägt von Pinien- und Palmen-

ganzen Stadt225. Kultiviert, besonders für den Ex-

savannen und weniger fertilen Böden, abgesehen

port, werden unter anderem Kaffee, Tropenfrüchte

von den Ufergegenden um die unzähligen Flüsse.

wie Bananen, Avocados, Papayas, Guaven oder

Östlich der Berge gibt es außerdem eine Region

Ananas, Zuckerrohr, Reis, Nüsse und andere Hül-

mit Regenwald, in den nördlichen Bergen finden

senfrüchte, Tabak und Baumwolle226.

sich Pinien- und Eichenwälder.223

Auch die Haltung von Rindern, Kühen, Schweinen und Geflügel zur Milch- und Fleischproduktion,

Abb. 98: Playa Gigante, Karibikküste Abb. 99: Blick auf den Momotombo Abb. 100: Peñas Blancas, Regenwald

176

In Nicaragua wachsen unzählige wertvolle Tropen-

ebenfalls zum Export, ist verbreitet227. Die Züch-

hölzer wie Palisander, Zeder, Pinien und Mahago-

tung und der Fang von Shrimps, Hummern und

ni, jedoch hat sich von 1950 bis 2000 laut einem

anderen Meeresfrüchten, sowie Fisch, dient in

Report der Ernährungs- und Landwirtschaftsorga-

den Küstenregionen als auch an den westlichen

nisation der Vereinten Nationen der Waldbestand

Binnenseen als Erwerbsquelle der Bevölkerung.228

des Landes aufgrund der Landreformen, der

Die zahlreichen natürlichen Ressourcen des Lan-

Ausbreitung landwirtschaftlicher Flächen und un-

des wie Gold, Silber, Kupfer, Wolfram, Blei und

regulierter Holzindustrie fast halbiert. Dank der

Zink wurden bereits zu Kolonialzeiten von den

seit 1998 operierenden Forstbehörde werden die

Spaniern und Briten ausgebeutet.229

177


Gegebenheiten_ Architektur

Über frühe, indigene Bauformen in Nicaragua ist,

terschiede zwischen den ruralen Landwirten und

aufgrund der Zerstörung während der Kolonialzeit,

ihren häufig einfachen Holzhütten, geprägt von

nicht viel bekannt. Die meisten Städte sind im ty-

Armut und den urbanen Bewohnern mit teilweise

pischen Planraster der spanischen Kolonialarchi-

großzügigen Eigenheimen sowie luxuriösen Ho-

tektur angelegt worden, die sich um einen zentra-

telanlagen im Kolonialstil und einigen modernen

len Marktplatz herum anordnete. Einige Städte in

Neubauten wie die Kathedrale im internationalen

den Bergen sowie die Hauptstadt Managua folgen

Architekturstil.232

diesem System jedoch nicht.230

Die meisten Nicaraguaner, wenn einigermaßen

Die meisten einfachen Hütten auf dem Land wur-

wohlhabend, wohnen in ihrem eigenen Haus. Miet-

den bis ins 19. Jahrhundert hinein aus Stroh und

wohnungen sind eher selten und tendenziell meist

Hölzern wie Rohrstock oder Bambus gebaut, wa-

für Studenten, Junggesellen oder Geschäftsleute

ren zu den Seiten hin offen und hatten einen ein-

gedacht. Häuser und Wohnungen zur Miete sind

fachen Erdboden. Besser gestellte Familien be-

je nach Lage und Ausstattung verhältnismäßig

festigten ihre Häuser mit einfachen Dachziegeln

teuer und liegen häufig in geschlossen und be-

und Mauern.231

wachten Anlagen, so genannten „condominios”.233

Die Stadthäuser bestanden aus Lehmziegeln,

Abb. 101: Blick über Managua Abb. 102: Avenida Bolivar Abb. 103: Downtown Managua

178

meist eingeschossig mit einem großen Patio, den

Die meisten Wohnhäuser sind, aufgrund der Ein-

man durch ein teilweise reich verziertes Eingangs-

sturzgefahr bei Erdbeben, nicht höher als zwei

portal erreichte. Die umliegenden Räume wurden

Etagen und haben aus Sicherheitsgründen Gitter

mittels überdachter, halboffener Gänge erreicht

vor Fenstern und Türen. Traditionell häufig ver-

und innerhalb des Patios gab es unzählige Pflan-

wendete Baumaterialien sind Ton, Lehm und Ado-

zen und Bäume, insbesondere Orangen.

be, zusammen mit Stroh und einfachen Hölzern

Die Architektur in Nicaragua erscheint ebenso di-

wie Zuckerrohr oder Bambus. Heutzutage sind die

vers wie seine Flora und Fauna. Es gibt große Un-

meisten Häuser gemauert oder aus Stahlbeton.234

179


ENT-

The house, as I see it, is a sort of airy structure that moves about the breath of time. It really is open to the wind of another time.235


Analyse_ Anforderungen Entwurfswerte Vertiefungsanalyse Ortsanalyse

183


Analyse_ Anforderungen

Hausbewohner

Es handelt sich um eine

deutsch-nicaraguanische

20,00

10,00

Familie

der

Raumprogramm Es stehen 200 qm Grundflä-

Mittel-

che zur Verfügung. Gefordert sind, ohne Angabe

schicht, wobei die Anzahl der Bewohner zwi-

einer definierten Quadratmeteranzahl: ein Porche

schen einer bis sechs Personen inklusive Gästen

als Eingangsbereich; ein großzügiger Wohnraum

schwankt und sich über den Familienzyklus erwei-

mit Essmöglichkeiten; ein Kochbereich, der deut-

tert und verkleinert. Zu Beginn handelt es sich um

schen Ansprüchen entspricht; mindestens zwei

einen Erwachsenen oder ein Paar, die durch die

Schlafzimmer; ein oder mehrere Arbeitsbereiche;

Geburt von ein oder zwei Kindern zu einer Familie

mindestens zwei Badezimmer, eventuell eine zu-

anwachsen. Als gegebenenfalls pflegebedürftige

sätzliche Gästetoilette; ein offener Patio mit Auf-

Senioren würde das Paar nach wie vor in dem

enthaltsmöglichkeiten; ein Pool; sowie Stauraum.

Haus wohnen.

Der Grundriss soll weitestgehend offen und flie-

Das Alter der Bewohner reicht somit von Kleinkin-

ßend gestaltet werden und durch den geschickten

dern bis hin zu Senioren, weshalb das Haus so-

Einsatz von luft- und lichtdurchlässigen Mate-

wohl kinder- als auch altersgerecht, beziehungs-

rialien und geschlossenen Flächen eine abwechs-

weise entsprechend umbaubar, sein sollte.

lungsreiche Raumabfolge entstehen.

Für Gäste und Besucher soll es möglich sein, einen eigenen Bereich vom Hauptwohnraum zeitweise abtrennen zu können. Gleiches gilt für die Möglichkeit, dass ein/e Hausangestellte/r oder ein/e Pfleger/in komfortabel mit im Haus wohnen kann. Eine Vermietung Teile oder des gesamten Hauses, insbesondere bei Abwesenheit der HausAbb. 104: Entwurfs-

besitzer, sollte ebenfalls möglich sein.

Grundstück

184

185


Wandelbarkeit

Da das Wohnhaus für längere

Raumklima Innerhalb des Hauses soll ein an-

Atmosphäre Das Haus soll ein natürlicher und

Sicherheit

oder kürzere Zeiträume an andere Bewohner ver-

genehmes Mikroklima geschaffen werden, dass

erholsamer Rückzugsort sein, der sich zwar nach

umliegenden Häuser ist ein wichtiger Faktor,

mietet werden können soll, ist eine flexible Raum-

eine hohe Aufenthaltsqualität besitzt und den-

Außen, beziehungsweise zur Straße hin, schützt

auch, damit dem Haus nicht auf den ersten Blick

struktur, die an die entsprechenden Bedürfnisse

noch das lokale Klima erfahrbar macht. Es soll

und abgrenzt, jedoch im Inneren einen luftigen

als lohnenswertes Einbruchsziel erkennbar ist.

angepasst werden kann, gewünscht. Durch die

somit kein komplett abgeschotteter, voll klimati-

und offenen Eindruck erweckt. Privatsphäre und

Überdies soll so die Akzeptanz und Integration

Umwandelbarkeit und Flexibilität soll das Haus

sierter Innenraum, sondern mit möglichst natür-

Offenheit sollen beide möglich sein, ohne sich

in die Nachbarschaft erleichtert werden. Darüber

sowohl für den Hausbesitzer als auch für die Un-

lichen Mitteln ein erholendes Raumklima entste-

gegenseitig zu bedingen. Die Materialwahl und

hinaus muss das Haus komplett verschließbar

termieter individualisierbar sein, sowie darüber hi-

hen. Das Haus soll Schutz vor der extremen Hitze

Oberflächengestaltung sollte die Natürlichkeit und

sein, sodass auch das Einsteigen von Oben, zum

naus alternative Nutzungsmöglichkeiten ohne viel

der Sommermonate und dem Monsunregen der

den Naturbezug des Hauses verstärken. Durch

Beispiel durch den Patio, nicht möglich sein wird.

Aufwand zulassen.

Winterzeit bieten und diese gleichzeitig erleb-

den geschickten Einsatz von Vegetation und Was-

Gleichzeitig soll für die Hausbewohner kein Gefühl

bar lassen um den Bezug zur Außenwelt und zur

serflächen soll das Gefühl einer „Oase” entstehen,

des „Eingesperrtseins” entstehen.

Natur zu erhalten. Die Wohnräume sollen mit na-

die Entspannung und Raum zur Besinnung und

Ein weiterer, wichtiger Aspekt ist die Sicherheit

türlichem Tageslicht belichtet werden, wobei die

Reflektion bietet.

der Stromzufuhr, weshalb eine Unabhängigkeit

Die äußerliche Anpassung an die

Schaffung einer schattigen, erholenden Lichtstim-

vom lokalen, regelmäßig ausfallenden, Stromnetz

mung, beziehungsweise die Möglichkeit zur Ver-

wünschenswert wäre. Ebenso sollte eine ständige

dunklung, gewünscht ist. Der Staub und Lärm der

Wasserzufuhr und Warmwasserversorgung mög-

Außenwelt soll möglichst aus dem Haus gehalten

lich sein. Die Erdbeben- und Einsturzsicherheit

werden, auch wenn keine komplette akustische

des Hauses ist eine essenzielle Bedingung, die

Abgrenzung gefordert ist. Generell soll das Raum-

durch entsprechende baukonstruktive Strukturen

klima möglichst angenehm und stabil sein, sowie

und Materialien gewährleistet werden muss.

lokalen Unwägbarkeiten stand halten und es den Bewohnern gleichzeitig ermöglichen, den natürlichen, jahreszeitbedingten, klimatischen Wandel zu spüren.

186

187


Analyse_ Entwurfswerte

Dem Entwurf liegt eine ethisch-moralische Grund-

Menschlichkeit

haltung zugrunde, die sich in der Gestaltung des

Rücksichtnahme auf andere Menschen und ihre

Hauses wiederfinden soll. Deshalb werden im

Lebenswirklichkeit zu verstehen, aber auch die

Folgenden die Werte definiert, an denen sich ent-

Gestaltung des Entwurfs in einer humanen und

wurfsbezogene Entscheidungen orientieren sol-

humanistischen Art und Weise. Es geht nicht um

len.

„schöne Räume”, sondern um Architektur für den

Unter Menschlichkeit ist die

Menschen. Ganz im Sinne Niemeyers – „Architektur ist nur ein Vorwand. Wichtig ist das Leben und der Mensch.”236 – steht der Mensch im Mittelpunkt des Entwurfs, ohne selbstverständlich die zuvor erwähnte holistische Verantwortungsperspektive zu verlieren. Es geht nicht um ein Vorzeigeprojekt, um Architektur um der Architektur Willen, sondern um die Erfüllung der Anforderungen der Hausbewohner unter Einbezug der weiteren Werte. Menschlichkeit bedeutet auch eine umfassende, globale Betrachtungsweise des Wohlergehens der Menschen und ein Bewusstsein über die Konsequenzen des eigenen Handelns, beziehungsweise des Entwurfes.

189


Verantwortung

Architektur berührt uns Men-

schaffen: „In der Arbeit des Architekten geht es zu-

Nachhaltigkeit

Der Entwurf soll abseits von

Erfahrbarkeit Im Fokus des Entwurfs steht die

schen in einer Vielzahl von Dimensionen – sie

nächst darum, Räume zu schaffen, die für die Men-

überstrapazierten

Nachhaltigskeitsdiskussionen

„Erfahrbarkeit” verschiedener Aspekte der Um-

prägt unsere Stimmung, strukturiert unser Mitei-

schen nützlich und angenehm sind. [...] Architektur

eine Langlebigkeit bei gleichzeitiger Flexibilität

welt, ob des Wetters, der Kultur und Gesellschaft

nander, konditioniert unsere Sinne, kommuniziert

stellt nicht nur eine „Wellness-Funktion“ für die Men-

ermöglichen. Zwar sollen Nachhaltigkeitsaspekte

oder der verschiedenen Situationen und Perspek-

Weltanschauungen, verkörpert Wissen und vieles

schen dar. Daher sollte man das „gute“ Leben nicht

auch auf energie- und materialtechnischer Ebene

tiven innerhalb des Hauses. Diese sollen nicht

mehr. Ihr Einfluss auf unser Leben ist unverkenn-

mit dem „angenehmen“ Leben verwechseln” .

beachtet werden, jedoch geht es mehr um das

nur betrachtet werden, sondern körperlich oder

bar – sie ist unser Lebensraum. Die Gestalt unse-

Die Frage nach dem „guten Leben” ist die grund-

Schaffen eines nachhaltigen Konzepts für die ak-

geistig erfahren werden, was Immersion und ge-

rer gebauten Umwelt ist das kombinierte Ergebnis

legende Frage der Ethik, für jeden Menschen eine

tuelle und zukünftige Nutzung. Hier sind Umnut-

gebenenfalls auch Ausgeliefertsein bedeutet. In

aus einer Vielzahl und Vielfalt von architektoni-

andere Antwort finden muss. Fest steht jedoch,

zung oder unkomplizierter Umbau denkbar, aber

diesem Kontext verweist Nietzsche auf Goethe,

schen, stadtplanerischen, ingenieurtechnischen

dass das „gute” Leben nur unter Einbezug unserer

auch Raumnutzungsveränderungen durch ent-

der sagte: „Übrigens ist mir alles verhaßt (sic!), was

und politischen Entscheidungsprozessen, die von

gesamten Umwelt, das heißt Mitmenschen, Tiere

sprechende Verschaltungsprinzipien. Das Haus

mich bloß (sic!) belehrt, ohne meine Tätigkeit zu ver-

verschiedensten interdependenten Akteuren be-

und Natur, möglich ist. Unter diesem gesamtheit-

soll auf die sich verändernden Bedürfnisse der

mehren oder unmittelbar zu beleben.”238 Es geht

trieben werden.

lichen Gedanken soll auch der Entwurf betrachtet

Nutzer reagieren können und dadurch eine Zeit-

nicht darum etwas zu zeigen oder demonstrieren,

Der Architekt ist einer dieser Akteure, der dem-

werden.

losigkeit gewinnen. Dadurch kann das Gebäude

der Entwurf will weder seine Bewohner noch die

nach mit seiner Entscheidungsgewalt Menschen

„mitwachsen” und über mehrere Generationen

Passanten belehren, sondern sie etwas erfahren

und ihr Leben beeinflusst. Dort wo Einfluss ge-

hinweg ein ansprechendes Zuhause darstellen

lassen, sei es Licht und Schatten, Regen und Son-

nommen werden kann, gewinnt die Frage nach

ohne die Notwendigkeit häufig Umziehen zu müs-

ne oder Privates und Öffentliches. Insbesondere

einer moralischen und ethischen Verantwortung

sen. Neben dem Familienszenario sollen auch

die Zwischenbereiche, der Raum zwischen den

an zentraler Bedeutung. Das Bewusstsein über

weitere Nutzungsmöglichkeiten bedacht werden,

Extremen, die Graustufen, das „Dazwischen” soll

das Ausmaß und die Komplexität dieser Verant-

sodass insgesamt eine möglichst lange Nutzung

im Entwurf erfahren werden, insbesondere durch

wortung spielt eine entscheidende Rolle, wenn

des Gebäudes möglich ist. Dadurch wird Nach-

deren Abwechslung und Wandel.

man davon ausgeht, dass jeder Architekt den An-

haltigkeit nicht Teil des Entwurfs und nicht nur

spruch erhebt „gute” Architektur zu schaffen. Da-

eine technische Entscheidung.

237

bei ist es nicht getan rein angenehme Räume zu

190

191


Lokalität Obwohl die Hausbewohner inter- und

Natürlichkeit

multinational sind, soll der Entwurf eindeutig lokal

bezieht sich sowohl auf die Materialwahl als auch

verortet sein. Es soll kein bezugsloses und sich

auf die räumlichen und klimatischen Qualitäten.

abschottendes Gebäude geschaffen werden, son-

Bezugnehmend auf das lokale Klima soll mit mög-

dern Beziehung zum Außen aufgebaut werden.

lichst natürlichen Mitteln ein angenehmes Raum-

Dies kann auf räumlicher, aber auch auf konzep-

klima geschaffen werden, ohne dass auf eine

tioneller Ebene geschehen, zum Beispiel durch

vollautomatische Klimatisierungsanlage zurück-

lokale Baumaterialien und Arbeiter, die Nutzung

gegriffen werden muss. Durch passiven Belüf-

lokaler Architekturelemente und die Bezugnahme

tungs- und Belichtungsprinzipien wird der Entwurf

auf die Kultur und Umgebung sowie das Klima vor

auch dem Nachhaltigkeitswert gerecht und lässt

Ort. Die Verortung des Gebäudes soll spürbar und

darüber hinaus die Erfahrbarkeit der lokalen Ge-

wie bereits erwähnt erfahrbar sein.

gebenheiten zu. Auch die Integration von Natur im

Der Anspruch der Natürlichkeit

Sinne von Vegetation, aber auch Elementen wie Wasser, Erde und Holz sollen eine Rolle spielen.

192


Analyse_ Vertiefungsanalyse

Im Entwurf sollen Aspekte aus den Typologien

Patio Der Patio hat als Architekturelement eine

einfließen, die in der vorangegangen Vertiefung

Geschichte, die bis zu den ersten dauerhaften

analysiert wurden. Deshalb werden diese im Fol-

menschlichen Siedlungen zurückgeht. In den

genden kurz zusammengefasst und für die kon-

verschiedensten Kulturkreisen, Klimazonen und

zeptionelle Weiterentwicklung abstrahiert.

Epochen hat sich der Innenhof in vielerlei Formen und Funktionen durchgesetzt. Von einem funktionell-konstruktiven Bereich zur Belüftung und Belichtung der umliegenden Wohnräume und als Koch-, Speise- und Arbeitsraum hat er sich zu einem Ort der Entspannung und Unterhaltung mit Aufenthaltsqualität entwickelt. Er dient aber auch als soziales Kommunikationsmittel um Status und Stand der Hausbewohner an Gäste und Besucher zu vermitteln. Heutzutage ist der Patio in der westlichen Architektur kaum noch vorhanden und wurde von freistehenden Einfamilienhäusern, Klimaanlagen und mit Glas überdachten Atria und Wintergärten verdrängt. Jedoch wird er nach wie vor in warmen Regionen als traditionelles Bauelement genutzt und findet in der nachhaltigen Architekturströmung wieder Anerkennung aufgrund seiner mikroklimatischen Eigenschaften und seiner vielfältigen sozialen Funktionen.

195


Die vielfältigen Qualitäten des Patio, auf klimati-

In diesem Sinne dient der Patio als Oase und

Porche

Der Porche in seiner lateinamerikani-

Dabei ermöglicht der Porche die Erfahrbarkeit

scher und funktionaler Ebene, scheinen der Grund

„privates Paradies”, und befriedigt weit mehr als

schen Ausformung entstand ebenfalls aus einer

des „Außen“ in einem geschützten Bereich, der

für seine weite Verbreitung zu sein, jedoch ste-

funktionelle Aspekte. Die philosophische Bedeu-

jahrtausendealten Tradition von halböffentlichen,

Sicherheit vermittelt, was wiederum zu größerer

chen insbesondere die Vorteile auf psychosozialer

tung von „Leere”, wie sie unter anderem im Is-

geschützten Eingangsbereichen vor Gebäuden.

Offenheit dem „Anderen“ und „Fremden“ gegen-

Ebene hervor. Die Privatheit und Intimsphäre eines

239

lam als „Symbol des Göttlichen in allen Dingen”

Diese haben weltweit sehr verschiedene Formen

über führen kann. Das „Außen“ wird weniger be-

Innenhofes macht ihn zu einem idealen Rückzugs-

wichtig ist, ist auch im Innenhof zu finden. Als

und Bezeichnungen und reichen in vielerlei Varia-

drohlich, wenn es von der Schwelle des eigenen,

ort, sowohl als Ort der Begegnung mit der Familie

„negativer Raum”, der von „positiven Räumen”,

tionen von schmal bis ausladend, geschützt bis

sicheren „Innen“ erlebt und erfahren werden kann.

und anderen Hausbewohnern, als auch zu einem

den Wohnräumen, umgeben ist, entspricht er dem

ungeschützt, geschlossen bis offen. Wichtige As-

Ort der Einsamkeit und Ruhe, in dem die Eindrü-

islamischen metaphysischen Prinzip der Einheit.

pekte scheinen bei seiner Verbreitung die Sicher-

cke und der Stress des Alltags verarbeitet werden

Gerade die Abwesenheit von Etwas, wie die Stille

heit und Aufenthaltsqualität zu sein, die er und

können. Er bietet Raum für Reflektion und Er-

zwischen zwei Tönen, das „Dazwischen”, macht

andere verwandten Typologien bieten.

kenntnis, zum „bewusst werden“. Ebenso ermög-

verschiedene Zustände für uns erfahrbar und ver-

Im Gegensatz zum privaten Patio ist der Porche

licht er die Erfahrbarkeit von Wetter und der ver-

stärkt deren Wirkung.

die „Schwelle“ vom öffentlichen zum privaten

gehenden Zeit, was vor allem durch Bepflanzung

Auch Wasser, das häufig in Innenhöfen zu finden

Raum und umgekehrt. Er dient als Filter von Gäs-

verstärkt wird, so macht zum Beispiel ein Garten

ist, sowohl funktional als kühlendes Element dien-

ten und Besuchern, die man unverfänglich auf

die Jahreszeiten und seine Zyklen anhand von da-

lich, aber auch philosophisch-spirituell aufgela-

dem Porche empfangen kann ohne sie ins private

mit verbundenen Tätigkeiten erlebbar. Der Patio

den, repräsentiert zusammen mit der Sonne zwei

Innere des Hauses zu lassen. Somit bildet der Por-

als Garten holt ein Stück Natur in das Haus und

essentielle lebensspendende Elemente. Andere

che den Übergangsbereich von Straße und Haus,

verbindet die Bewohner mit der Umwelt, in dem

Elemente wie Wind, Holz und Metall sowie gege-

und dient dadurch als Vermittler zwischen Öffent-

sie dieser bis zu einem gewissen Grad ausgesetzt

benenfalls Feuer sind im Patio erlebbar.

lichkeit und Privatheit. Gleichzeitig erlaubt er es

sind im Rahmen der Unabwägbarkeit des Wetters,

seinen Bewohnern in Kontakt mit der Außenwelt

der Langsamkeit des pflanzlichen Wachstums

zu treten, im Dialog mit Nachbarn und Passanten,

und der damit verbundenen Muße und benötigten

in der Beobachtung des öffentlichen Straßenleben

Geduld den Garten zu erhalten und pflegen.

und durch die eigene Sichtbarkeit.

196

197


0

0

30

300

25

250

20

200

15

150

10

100

5

0

Regenfall (mm)

Temperatur / Windstärke / Tagesstunden

Analyse_ Ortsanalyse

50

Jan

Feb

Mär

Apr

Mai

Regenfall (mm) Max. Temperatur (°C) Min. Temperatur (°C) Durchschnittstemperatur (°C) Durchschnittl. Windstärke (Beaufort) Tageslänge (Stunden)

Jun

Jul

Aug

Sep

Okt

Nov

Dez

0

genzeit von Mai bis Oktober (Winter) auszeichnet.

liegt im Süden Managuas auf 12°6’51.38“N/

Im heiß-feuchten Monsunklima schwanken die

86°14’54.81“W. Es schließt an drei Seiten an die

Temperaturen im monatlichen Durchschnitt zwi-

Nachbargebäude an und öffnet sich nach vorne

schen 25 - 28 °C. wobei die minimale Tempe-

zu einem Platz, der von anderen Wohnhäusern

ratur etwa bei 17 °C und die maximale bei etwa

umgeben ist. Im Gegensatz zu vielen Häusern und

37 °C liegt. Die Luftfeuchtigkeit schwankt in der

Wohnungen der, insbesondere ausländischen,

Trockenzeit zwischen 40 - 80 %, in der Regenzeit

Mittel- und Oberschicht, befindet es sich nicht ab-

zwischen 60 - 90 %, wobei sie jeweils zum Mittag

geschottet in einem condominio (gated communi-

sinkt. Die Bodentemperatur entspricht auch in vier

ty), sondern im Süden der Stadt, mitten in einem

Meter Tiefe der Lufttemperatur und es herrschen

Viertel der nicaraguanischen Mittelschicht. In gu-

generell geringe Temperaturschwankungen von

ter Erreichbarkeit befinden sich Einkaufsmöglich-

etwa 6 - 12 °C zwischen Tag und Nacht.240

keiten und öffentliche Verkehrsmittel sowie Schu-

Während Trockenzeit ist der Himmel wolkenlos

len, Krankenhäuser und Freizeitangebote.

und es gibt eine intensive direkte Sonneneinstrah-

Managua ist eher eine chaotische Großstadt, die

lung, wohingegen es in der Regenzeit meist be-

nach wie vor von dem verheerenden Erdbeben

deckt ist und hauptsächlich diffuse Einstrahlung

1972 gekennzeichnet ist. Die Stadt besitzt kein

durchkommt. Nachts ist der Himmel generell kla-

richtiges Stadtzentrum und ein Großteil der Innen-

rer als tagsüber. Sonnenaufgang ist ganzjährig

stadt nach wie vor nicht wieder aufgebaut.

gegen 6 Uhr, der Sonnenuntergang gegen 18 Uhr. Der Wind kommt hauptsächlich von Nord-Ost,

Abb. 105: Klima Managua

198

Das 10 auf 20 Meter große Baugrundstück

Managua besitzt, nach der Köppen-Geiger-Klassi-

Osten und Süd-Ost, wobei lediglich geringe

fikation, ein tropisches Savannenklima (Aw), was

durchschnittliche Geschwindigkeiten von 2 - 4

sich durch eine deutlich ausgeprägte Trockenzeit

m/s erreicht werden, abgesehen von den Hurrika-

von Dezember bis April (Sommer) und eine Re-

nen in der Regenzeit.

199


Konzept_ Vergangenheit & Zukunft Regen & Sonne Verschlossenheit & Offenheit Lokalität & Globalität

201


Grundriss Erdgeschoss (1:133)

202

Grundriss Obergeschoss (1:133)

203


Dachaufsicht (1:200)

Obergeschoss (1:200)

Dachaufsicht (1:133)

204

Erdgeschoss (1:200)

205


Axonometrie Nord-Ost

206

Axonometrie SĂźd-West

207


Axonometrie SĂźd-Ost

208

Axonometrie Nord-West

209


Konzept_ Vergangenheit & Zukunft

[D]ie Architektur muss die Unvorhersehbarkeit des Lebens beachten. Sie muss offen sein, denn sie hat es mit dem menschlichen Lebensraum zu tun247.

A

Paar

1-2 Erwachsene

B

Kleinfamilie

2 Erwachsene + Kind

C

Familie

2 Erwachsene + 2 Kinder

D

Senioren

2 Senioren + 2 Erwachsene + 2 Kinder

E1

Fritanga

2 Senioren + 4 Erwachsene + 2 Kinder

E2

Restaurant

2 Erwachsene + 2 Kinder + 47 Gäste

rungen zu entwerfen, das lediglich dieser spezi-

die einzige wahre Konstante, denn sie bedeutet

fischen, gegenwärtigen Situation gerecht wird,

nichts anderes als das Fortschreiten der Zeit.

wurde eine umfassendere, zukunftsorientierte Be-

Erst durch Veränderung, durch das „Vergehen“

trachtungsweise gewählt. Das Haus soll über den

von Etwas, durch Bewegung, wie das konstante

gesamten Familienzyklus (Szenarien A-D) hinweg

Ticken eines Sekundenzeigers, wird Zeit für uns

seine Qualität behalten und darüber hinaus ande-

erfahr- und erlebbar. Diese Vergänglichkeit ist Al-

re Szenarien und Nutzungskonzepte (Szenarien

lem und Jedem inne, ebenso uns Menschen und

E1-E4) ermöglichen. So entsteht die Nachhaltig-

unserer Umgebung. Im Sinne von „Planen heißt:

keit des Gebäudes nicht auf materialtechnischer

Zukunft vorausdenken“

und unter dem Aspekt

Ebene, sondern aufgrund seiner Zukunftsorientie-

der Nachhaltigkeit, insbesondere im Angesicht

rung und der vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten.

des fortschreitenden Klimawandels und seiner

In diesem Sinne wird die Zukunft in der Gegenwart

unberechenbaren, bereits spürbaren Auswirkun-

des Entwurfs mitgedacht, und gleichzeitig Erfah-

gen, sollte Architektur mehr sein, als momentane,

rungen aus der Vergangenheit einbezogen.

kurzfristige Bedürfnisbefriedigung. Die funktionel-

Der Lebenszyklus der Bewohner beginnt mit ei-

le Alterung von Gebäuden ist signifikant schneller

nem alleinlebenden Erwachsenen oder einem jun-

als ihre materielle Alterung. Stein- oder Stahlbe-

gen Paar (A), das schließlich mit dem ersten Kind

tonbauten können Jahrzehnte, gar Jahrtausende

zu einer Kleinfamilie (Szenario B) und mit einem

selbst ohne Pflege überstehen, allerdings bereits

zweiten Kind (Szenario C) zu einer klassischen

nach einigen Jahren funktionell unbrauchbar wer-

Mittelschichtsfamilie anwächst. Mit fortschreiten-

den. Diesem Verfall entgegenzuwirken, war ein

dem Alter werden die erwachsenen Kinder wo-

entscheidender Aspekt für das Entwurfskonzept,

möglich das Haus verlassen und das Elternpaar

denn anstatt ein Wohnhaus für eine feststehende

immer gebrechlicher und weniger mobil (Szenario

Anzahl von Hausbewohnern mit fixen Anforde-

D), gegebenenfalls sogar pflegebedürftig. Dieser

241

E3

Büro

6 Arbeitsplätze

E4

Hostel

9 Schlafplätze

210

Wie ein bekannter Spruch sagt, ist Veränderung

211


Szenario A - Paar

212

213


klassische Familienzyklus242 kann nach dem Aus-

Paars vom vorderen ins hintere Gebäude stellt

zug oder gar dem Tod der Eltern mit dem Einzug

einen Perspektivenwechsel dar, der im übertrage-

der Kinder oder neuer Bewohner von vorne be-

nen Sinne mit der neuen Verantwortung und der

ginnen.

Rolle als Eltern zusammenfällt. Mit einem Kleinkind mag ein komfortables, gemeinsames Schla-

Der Alterungs- und Veränderungsprozess der Be-

fen im vorderen Teil noch möglich sein (B), doch

wohner spiegelt sich in der räumlichen Anpassung

mit fortschreitendem Alter wird das Kind andere

und Nutzung des Hauses wieder. Schlafen die

Bedürfnisse haben und spätestens mit Ankunft

Eltern in Szenario A noch in einem großzügigen,

des zweiten Kindes bietet es sich an, dass die

offenen Arbeits- und Schlafbereich im vorderen

Eltern der „neuen Generation“ Platz machen (C).

Obergeschoss und nutzen das hintere Oberge-

Die weiten Räume mit viel Platz weichen intimeren

schoss als komfortablen Wohnbereich, werden sie

Raumzellen, die das ungestörte Zusammenleben

mit der Ankunft des zweiten Kindes (C) vom vor-

von vier Personen ermöglichen, wobei das Erd-

deren in den hinteren Gebäudeteil umziehen. Der

geschoss nach wie vor als weitläufiger gemein-

offene, vordere Raum kann nun von den beiden

schaftlicher Wohn- und Aufenthaltsraum genutzt

Kindern die hier zwei eigenständige Schlafzim-

wird.

mer haben, mitgenutzt werden. Die Eltern werden

Szenario A Paar

214

im hinteren Bereich, durch Einzug einer weiteren

Mit weiterem Verstreichen von Zeit können die

Wand, ein getrenntes Schlaf- und Arbeitszimmer

Eltern als Senioren vom Ober- ins Erdgeschoss

erhalten.

umziehen, um kürzere Strecken im Haus zurück-

Dadurch wird die Geburt der Kinder auch auf

legen zu müssen und insbesondere, um das

räumlicher Ebene eine Veränderung und schränkt

Treppensteigen zu vermeiden (D). Das ehemali-

den vorher großzügigen, fast luxuriösen Freiraum

ge Wohnzimmer der Familie kann als Schlafraum

der Eltern in vielerlei Hinsicht ein. Der Umzug des

umfunktioniert und das angrenzende Badezimmer

215


behindertengerecht ausgebaut werden. Hierdurch

Durch dieses Rotationsprinzip durchwandern die

entsteht ein erneuter Perspektivenwechsel des

Eltern das Haus von vorne, nach hinten, nach

Elternpaars, die nun das Haus, aber auch ihr eige-

unten und erleben es somit immer wieder neu.

nes Leben, durch ihre körperliche Einschränkun-

Durch den Wechsel innerhalb des Hauses kann

gen und Abhängigkeit von anderen Leuten, wieder

das Haus nicht nur die primären, konstanten Be-

neu erfahren.

dürfnisse, wie Schlafen, Essen und Hygiene, der

In Nicaragua ist es üblich, dass die Eltern von

wechselnden Anzahl der Bewohner erfüllen, son-

ihren Kindern gepflegt werden und bis zum Tod

dern auch deren sekundäre, veränderliche Be-

Teil der Großfamilie bleiben, auch aufgrund des

dürfnisse. Diese sind einerseits von Mensch zu

Mangels an sozialen Strukturen wie Altenheime,

Mensch verschieden, da wir unterschiedliche Vor-

wobei es ebenso möglich wäre, dass eine Pflege-

lieben und Bedürfnisse zum Beispiel nach Privat-

kraft zeitweise mit in das Haus einziehen würde,

sphäre oder Gemeinschaft haben, und ebenfalls

da das vordere Obergeschoss in sich als Einlie-

über die Zeit hinweg, ob im Tages- oder Jahres-

gerwohnung funktioniert. Die besuchenden Kin-

verlauf, veränderlich.

der und Enkelkinder können nach wie vor bequem

Szenario B Kleinfamilie

216

im hinteren Obergeschoss übernachten.

Dieser Wunsch nach Veränderung, das Kontrast-

Schließlich können die Kinder nach dem Wegzug

bedürfnis, ist ein essenzielles Streben, das wir

oder dem Tod der Eltern, das Haus wieder allei-

Menschen zwar unterschiedlich stark, aber alle in

ne oder eines von ihnen mit einer eigenen Familie

irgendeiner Form kennen. Es ist der Wunsch nach

nutzen. Sie würden ihr ehemaliges Kinderzimmer

Neuem, nach Abwechslung und Wachstum, nach

dann in einer völlig anderen Situation neu erleben

kurzfristiger Veränderung, ein sogenanntes extro-

und den Familienzyklus neu beginnen. So wieder-

vertiertes Bedürfnis – und gleichzeitig strebt der

holen sich die Zyklen und es passiert wieder das

Mensch ebenso nach Sicherheit, Konstanz und

Gleiche mit anderen Menschen.

Vertrautem, nach langfristigem Ankommen, das

217


introvertierte Bedürfnis. Diesem Hin und Her, dem

gen, sodass bereits über 300 Menschen ihr Leben

Schwanken zwischen den beiden Ansprüchen,

für den gewünschten Wandel gelassen haben.244

der konstanten Veränderung und immer wieder-

Die Ablehnung der Regierung, der Wunsch nach

kehrenden Neuausrichtung kann das Haus durch

mehr Demokratie und der damit erhofften Anhe-

seine vielfältigen Möglichkeiten gerecht werden.

bung des generellen Lebensstandards treibt die

243

Menschen auf die Straßen.

Szenario C Familie

218

Mit der Zeit verändert sich jedoch nicht nur der

Könnte Nicaragua es schaffen vom Entwicklungs-

einzelne Mensch, beziehungsweise konkret die

land zum Schwellenland, und gar zum Entwick-

Art, Anzahl und das Alter der Hausbewohner,

lungsland zu werden, würden sich dadurch eben-

sonder auch eine Gesellschaft und ihr „Zeitgeist“.

so die Bedürfnisse der Menschen, ihre Ansprüche

Gesellschaftliche Transformation ist auf einer täg-

und Erwartungen verändern, inklusive ihrer Wohn-

lichen Ebene nicht spürbar, aber über Jahrzehn-

standards verändern. Mit wachsendem Wohl-

te, gar über eine ganze Lebensspanne hinweg,

stand, mehr sozialer Sicherheit und steigender

manchmal aber auch schon innerhalb weniger

Bildung gehen viele Veränderungen einher, auch

Monate oder Jahre, bemerkbar.

auf familiärer und zwischenmenschlicher Ebene,

Im konkreten Fall bahnt sich derzeit (Juli 2018) in

die sich wiederum in der Architektur wiederfinden

Nicaragua ein einschneidender gesellschaftlicher

lassen.

Wandel an. Seit Beginn des Jahres und verstärkt

Dieser gesellschaftliche Entwicklungszyklus be-

in den letzten Wochen hat sich ein umfassender

sitzt in jeder Phase eigene Herausforderungen für

Widerstand gegen die Ortega-Murillo-Regierung

Architekten. Zu Beginn sind es Themen wie die

formiert, der in Demonstrationen, Straßenblocka-

Verfügbarkeit von Wohnraum und dessen konst-

den und Streiks der Bevölkerung Ausdruck findet.

ruktive Sicherheit und Qualität, sowie dem Woh-

Von der Polizei und anderen regierungstreuen

nen auf engstem Raum und Wohnen für Großfa-

Gruppen werden diese gewaltsam niedergeschla-

milien. Letzteres bedingt sich durch die soziale

219


und wirtschaftliche Unsicherheit, die sich für viele

haben nur begrenzte Bedeutung in Nicaragua –

Menschen aus einem wenig entwickelten Staat er-

können dort aber in Zukunft bei entsprechender

gibt, sodass familiäre und generelle soziale Bande

Entwicklung relevant werden.

eine größere Rolle spielen. Niedrige Bildung und

Szenario D Senioren

220

Kinder als „Rentenvorsorge“ haben ebenfalls Ein-

Als Motive für die Veränderung des Wohnverhal-

fluss auf die Geburtenrate und Familiengröße.

tens werden von Schroeder245 zum Beispiel die

Mit fortschreitender Entwicklung und wachsen-

Verlagerung des Arbeitsplatzes, sozialer Auf- und

dem Wohlstand werden Familien unabhängiger

Abstieg, Emanzipation und Individualisierung,

und mobiler, die Anzahl der Geburten pro Frau

vermehrte Freizeit sowie steigende Ansprüche

sinkt und soziale Beziehungen zu Nachbarn und

an den Wohnkomfort genannt, die alle auf gesell-

der erweiterten Familie weniger wichtig, da die

schaftlichen Veränderungen basieren. Selbst ein-

soziale Sicherheit steigt. Dafür werden Themen

zelne architektonische Elemente entstehen und

wie Verstädterung und Verdichtung, sowie Land-

verändern sich aufgrund von gesellschaftlichem

flucht insbesondere in der Übergangsphase rele-

Wandel.

vant. In Entwicklungsländern ist zu beobachten,

So entstehen zum Beispiel heutzutage kaum noch

dass die demographische Veränderung durch die

Neubauten mit einem klassischen Porche, da die-

Alterung der Gesellschaft und die häufig damit

ser von Klimaanlagen und einer generellen „Pri-

einhergehende Vereinsamung Herausforderun-

vatisierung“ des Familienlebens gewichen ist, der

gen im architektonischen Bereich werden. Auch

aufgrund des oben beschriebenen gesellschaft-

Nachhaltigkeitsaspekte wie Müllvermeidung und

lichen Wandels entstanden ist. Seine vielfältigen

energiesparendes Bauen werden erst ab einem

Qualitäten sind jedoch unumstritten, weshalb er

bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungsstand

durch die, für den Entwurf entwickelte, multifunk-

relevant. Das heißt, Themen, die in Deutschland

tionale Nutzungsmöglichkeit wieder Relevanz in

gerade in der Architekturszene diskutiert werden,

der Gegenwart und Zukunft erlangen kann.

221


Szenario D - Senioren

222

223


Auch der Patio ist in einer weiterentwickelten,

In diesem Fall könnte zum Beispiel eine nicara-

modernen Form im Entwurf zu finden. Anstatt die

guanische Familie als Untermieter oder auch als

klassischen umlaufenden Galerien auf einer Ebe-

neue, dauerhafte Hausbewohner einziehen. Dies

ne anzulegen, wurden diese auf zwei Ebenen ver-

könnte bedeuten, dass mehr Personen im Haus

teilt um dem Patio mehr Höhe und somit Tiefe zu

unterkommen müssten, da klassische lokale Fa-

geben. Von oben betrachtet ergibt sich eine klas-

milien durchaus aus fünf bis sieben Personen be-

sische Patiohaus-Aufsicht, jedoch ist diese durch

stehen können. Diesem Anspruch kann das Haus

die versetzten Höhen durchbrochen.

gerecht werden, indem zum Beispiel das hintere Erdgeschoss auch als Schlafzimmer genutzt wird,

Szenario E1 Fritanga

224

Dem oben erwähnten Anspruch der Nachhaltig-

wie im Szenario der Senioren (D), sodass insge-

keit folgend, kann der Entwurf auch auf die ge-

samt bis zu fünf Schlafzimmer denkbar wären.

nannten gesellschaftlichen Veränderungen einge-

Dies ist jedoch nicht die einzige Veränderung, die

hen. Unter den gegeben, derzeitigen Umständen

eine lokale Familie mit sich bringen könnte. Als

wäre es zum Beispiel denkbar, dass die Familie

Einheimische fällt es ihnen möglicherweise leich-

das Land verlässt, da die Sicherheitslage extrem

ter, sich in die Nachbarschaft zu integrieren und

unsicher ist und ein zu großes Risiko für die Kinder

aufgrund des gleichen kulturellen und sprach-

darstellt, abgesehen von der Tatsache, dass viele

lichen Hintergrunds, mit den Nachbarn und Pas-

Krankenhäuser, Schulen und öffentliche Gebäude

santen ins Gespräch zu kommen. Dieses Szenario

seit Monaten geschlossen sind und das öffentli-

würde eine Veränderung für den Porche bedeuten,

che Leben in weiten Teilen stillsteht oder nur sehr

der sich mehr öffnen könnte und durch entspre-

langsam läuft. Selbstverständlich ist dies nur eine

chende Bestuhlung einladender werden kann.

von vielen denkbaren Szenarien, in denen die Fa-

Der Porche erfüllt für Nicaraguaner jedoch mehr

milie sich entscheiden könnte, das Haus temporär

als die Funktion eines Eingangs- und Empfangs-

zu verlassen oder ganz zu verkaufen.

bereichs. Hier finden sich häufig sogenannte

225


„fritangas“ (E1), kleine Stände an denen selbstge-

Szenario ein komplett öffentlicher Durchgangsbe-

machtes Essen aller Art verkauft wird, meist vom

reich, je nach Wunsch ausschließlich zu den Öff-

Grill. Diese Option bietet das Haus ebenfalls an,

nungszeiten der Fritanga oder ganztägig.

da der Porche sich in direkter Nähe zur Küche

Szenario E2 Restaurant

226

und zum Grill im Patio befindet. Die Schiebe- und

Würde die Familie im Verlauf der Zeit ihren klei-

Drehtüren des Porche können geschlossen wer-

nen Betrieb weiter ausbauen wollen, bestünde die

den und lediglich die Fenster als Durchreiche und

Möglichkeit das komplette Erdgeschoss als Res-

Theke geöffnet werden. Im Porche selber könnten

taurant (E2) zu nutzen. Die Qualität des Patios mit

gegebenenfalls sogar Tische stehen, an denen

seiner Vegetation und seinen vielfältigen Raum-

die Passanten zum Essen verweilen würden. So

sequenzen, würde eine atmosphärische Inszenie-

kommt man ins Gespräch und holt sich Besucher

rung des Restaurants ermöglichen. Im Porche, im

und Fremde ins Haus, ohne dass sie in die pri-

Essbereich, im Patio hinter der Küche und hinter

vaten Bereiche vordringen oder, wenn nicht ge-

der Vegetation sowie im vormaligen Wohnzimmer

wünscht, diese Gäste nicht einmal einen Einblick

könnten Tische verschiedener Größe stehen, die

in den Privatbereich hätten, da dieser durch die

von der halboffenen Küche und dem Grill bedient

Lamellentüren und Vegetation verhindert wird.

würden. Im Extremfall wäre es denkbar, den Pool

Der Grill, der eigentlich privat für die Familie war,

mit Holzplanken zu versehen, damit auf diesen

würde durch die veränderten Umstände, nicht

ebenfalls Tische stehen könnten, wodurch insge-

mehr nur für die Hausbewohner, die Bekannten,

samt ca. 40-50 Sitzplätze möglich wären. Es wür-

sondern auch für Passanten, die Fremden, ge-

den sich sogar ausreichend Parkplätze auf dem

nutzt werden und könnte auch als Einnahmequel-

Platz vor dem Haus befinden. Obwohl der untere

le dienen. Der Porche als semi-privater, und meist

Bereich somit einen Großteil des Tages, haupt-

geschützter Eingangsbereich, der sogar mit einem

sächlich abends, öffentlich als Restaurant genutzt

Vorhang zugezogen werden kann, wäre in diesem

wäre, könnten die Hausbewohner nach wie vor

227


Szenario E1 Fritanga

Szenario E2 Restaurant

228

ihre privaten Wohn- und Schlafräume im Ober-

den, in Teilen oder komplett, was auch zu Durch-

geschoss haben, wo komfortabel vier und bis zu

lüftungszwecken sinnvoll ist. Die erwähnten Sze-

sechs Personen unterkommen könnten.

narien der Fritanga oder des Restaurants würden

Insbesondere dem Porche kommen über die Zeit

ebenfalls eine deutliche Veränderung der Funktion

hinweg die verschiedensten Funktionen zu, da er

des Porche, jenseits von Eingang- und Durch-

als Eingang zum Haus persönliche, aber auch ge-

gangsbereich, mit sich bringen.

sellschaftliche Veränderungen sichtbar machen

Durch die Szenarien der Fritanga und des Restau-

kann. Unter den beschriebenen neuen gesell-

rants wird deutlich, dass das Haus auf sich ver-

schaftlichen Umständen könnte es zum Beispiel

ändernde, zukünftige Bewohner und Bedürfnisse

möglich sein, dass man den ihn nicht mehr kom-

eingehen kann, ohne dass es an Qualität verliert.

plett verriegeln muss aus Angst vor Einbrüchen.

Die Anpassbarkeit existiert in mehreren Varian-

Im Wissen der Sicherheit, kann man das Gebäude

ten246. Jederzeit ist eine Raumnutzungsverände-

anders nach Außen öffnen und zum Beispiel tags-

rung möglich, da insbesondere die oberen Räume

über offen stehen lassen, wie es unter anderem

gleichwertig in Größe und Erschließung sind. Ob

in manchen Teilen in Deutschland möglich wäre.

man das Schlafzimmer nach vorne oder hinten

Auch müsste man zum Beispiel das Auto nicht im-

legt, Arbeiten oder Wohnen daneben oder doch in

mer im Porche parken und einschließen, was die

den anderen Gebäudeteil verlagert, diese Freiheit

Aufenthaltsqualität in diesem noch weiter erhöhen

ist jederzeit gegeben. Zuschaltvariabilität herrscht

würde. Je nach Bewohnern, deren gesellschaftli-

aufgrund der vielfältigen Öffnungs- und Ver-

chem Sicherheitsempfinden und sozio-kultureller

schlussgrade der Lamellentüren im Porche und

Prägung kann dieser Aufenthaltsbereich nach Au-

vorderen Obergeschoss. Küche, Essbereich und

ßen geöffnet oder durch den Vorhang geschützt

Porche, beziehungsweise die drei oberen Räume

werden. Auch die hintere Schiebewand kann, je

können beliebig miteinander verschaltet werden,

nach Bedürfnis, geöffnet oder geschlossen wer-

sodass unzählige Möglichkeiten entstehen. Eine

229


Wechselnutzung innerhalb eines Raumes ist, zum

Das Vergehen der Zeit, und somit die sich ver-

Beispiel durch das Verschieben des Mobiliars in

ändernden Bewohner, deren wechselnden Be-

oder aus dem Porche in den Eingangsbereich vor

dürfnisse, aber auch die mögliche gesellschaftli-

der Küche, oder durch die Möglichkeit an ver-

che Transformation und der wandelnde Zeitgeist,

schiedenen Stellen im Patio zu essen, möglich.

wirken sich konkret in der Raumgestaltung und

Auch kann das hintere Obergeschoss gleichzeitig

-nutzung auf das Gebäude aus. So verschmelzen

als großzügiger Wohn- und Arbeitsbereich genutzt

der Lebenszyklus der Bewohner, der Gesellschaft

Q5

werden. Zuschaltflexibilität ergibt sich durch die

und des Hauses miteinander. Das Vergehen der

Q4b

Möglichkeit das vordere Obergeschoss für einen

Zeit wird in räumlicher Form sichtbar und die Ver-

Untermieter oder dauerhaften Gast abzutrennen.

änderung eine Konstante des Gebäudes. Sowohl

Auch eine Umbau-Variabilität ist denkbar, wenn

Vergangenheit als auch die Zukunft sind in der

zum Beispiel das hintere Obergeschoss durch

Gegenwart des Hauses möglich.

einen kleineren Eingriff in zwei Räume aufgeteilt, oder das hintere Badezimmer im Erdgeschoss altersgerecht ausgebaut wird. Das vordere Badezimmer kann bei Bedarf mit dem anschließenden Stauraum verbunden und dadurch vergrößert werden, da in der Trennwand absichtlich keine wichtigen Anschlüsse liegen. Die gesellschaftliche Transformation und der sich damit verändernde Zeitgeist, hat Einfluss auf die Menschen, die wiederum, das Gebäude ihren neuen Bedürfnissen entsprechend, ohne großen Aufwand anpassen können.

230

231


Konzept_ Sonne & Regen

Wir erkennen an der Natur ‘da draußen’ die Anteile, die wir uns zurechnen müssen, und erfahren an uns externe und intrinsische Effekte, die uns nicht als Subjekten angehören, sondern deren transitorischer Schauplatz wir sind.248

Das Vergehen der Zeit ist für uns Menschen am

unter dem Aspekt des „Erlebens“ und der Erfahr-

deutlichsten durch den Tag-Nacht-Rhythmus so-

barkeit der Lokalität (siehe Abschnitt Lokalität &

wie den Verlauf der Jahreszeiten und das sich ver-

Globalität) eine bewusste Entwurfsentscheidung

ändernde Wetter erlebbar. All diese sind durch das

gewesen.

Motiv des Patios jederzeit im Haus ersichtlich, da sich alle Räume zum zentralen, beziehungsweise

Generell ist der Patio ein Ort in dem Zeit und ihr

zum kleineren Patio im vorderen Obergeschoss

Vergehen in vielfältiger Art und Weise erlebt wer-

Q3

öffnen. Der Bezug zum Außen, zum Wandel des

den kann. Die Veränderung des Sonnenstandes im

L2b

Wetters, ob Regen oder Sonne, ist demnach in je-

Tagesverlauf wird durch die wandernden Schat-

dem Raum vorhanden.

tenwürfe der Holzlamellen neben der Brücke und in der Dachterasse sichtbar. Bereiche mit Licht

232

Darüber hinaus ist man bei der Bewegung durch

und Schatten wechseln über den Tag hinweg,

das Haus und die Räume, aufgrund der frei lie-

wobei das oben liegenden „Toldo“ als zusätzli-

genden Treppe und Brücke zwischen dem vor-

che Verschattungsmöglichkeit dienen kann. Auch

deren und hinteren Gebäudeteil, dem Klima und

das überkragende Dach des hinteren Gebäude-

der momentanen Wettersituation ausgesetzt.

teils schafft zusätzliche Verschattung, die sich

Möchte man vom Erd- ins Obergeschoss und es

durch den Jahresverlauf hinweg verändert, jedoch

regnet, muss man entweder in Kauf nehmen nass

selbst die flacher aus dem Süden strahlende Win-

zu werden oder den Regenguss abwarten, bezie-

tersonne nicht in die hinteren Erdgeschossräume

hungsweise sich anders organisieren. Zwar ist der

hineinlässt. Der sich verändernde Sonnenstand im

Patio selber durch die Brücke und Dachterrasse

Jahresverlauf wird durch die vielfältigen Licht- und

teilweise regengeschützt, jedoch ist es nicht mög-

Schattenspiele im Patio sichtbar und damit für die

lich, komplett trockenen Fußes vom vorderen in

Hausbewohner erfahrbar. So entsteht zum Bei-

den hinteren Gebäudeteil zu gelangen. Dies ist

spiel durch die skulpturale Anmutung der Treppe

233


mit frei schwebenden Auftritten ein interessantes

Im Patio befindet sich ein großzügiges Beet, das

Schattenspiel, das den Verlauf der Zeit durch den

mit tropischen Pflanzen, und einer großen Palme

Sonnen- und Schattenverlauf im Patio sichtbar

ausgestattet ist. Bei entsprechendem Sonnen-

macht.

stand ergibt sich eine angenehme Verschattung im Patio durch die Bepflanzung. Aufgrund ihrer

Der Jahreszeitenzyklus, das heißt die Trocken-

Positionierung unter den Holzlamellen der Dach-

und Regenzeit, Sommer und Winter, wird durch

terrasse fangen sie das durch die Lamellen fal-

Q4a

die Offenheit des Patios für die Hausbewohner

lende Licht auf, schwächen es ab und färben es

L2a

sichtbar. Der Wechsel von Licht und Schatten, als

ebenfalls leicht. Durch eben diese Öffnung er-

auch Sonne und Regen sind stets Teil des Hau-

halten sie auch die benötigte, natürliche Bewäs-

ses, so, wie gute und schlechte Zeiten Teil des Le-

serung. Als Sichtschutz brechen sie den direkten

bens der Bewohner sind. Die Vergänglichkeit und

Einblick vom Porche, durch den Essbereich, in

der konstante Wandel werden durch den Einbe-

den hinteren Gebäudeteil und geben dem Patio

zug des Klimas und Wetters in das Haus deutlich

aus verschiedenen Perspektiven zusätzliche Tie-

und als Teil des Alltags spürbar.

fe. Ihre klimatische Funktion als Luftbefeuchter und dementsprechend Kühlungselement durch

234

Die Vegetation im Haus verstärkt diese Sichtbar-

Verdunstung von Wasser auf den Blättern sowie

keit und manifestiert das Vergehen der Zeit durch

die qualitative Verbesserung des Mikroklimas,

ihr Wachstum und Sterben, aber auch aufgrund

sind weitere entscheidende Vorteile der Bepflan-

ihrer Konstanz durch das Überdauern der ver-

zung im Patio.

schiedenen Zyklen. Generell besitzt die Bepflan-

Um von den Vorteilen der Bepflanzung profitieren

zung verschiedene Funktionen: als Verschat-

zu können, Bedarf es auch der Pflege und Zuwen-

tungselement, Sichtschutz, klimatischer Regula-

dung der Hausbewohner. Sich um einen Garten

tor und als (Nutz-)Garten.

zu kümmern, ist jedoch weit mehr als eine rein

235


zweckmäßige Tätigkeit. Wie Han sagt, ist „die Zeit

will, was man gesät hat, ist dies nicht sofort oder

des Gartens“ die „Zeit des Anderen“, da der Garten

direkt am nächsten Tag möglich, sondern es Be-

eine Eigenzeit hat, über die der Gärtner nicht ver-

darf Geduld und Muße, sich an die für uns emp-

fügen kann.

fundenen „langsamen“ Prozesse des Pflanzen-

249

wachstums anzupassen. Durch die Begleitung

236

Die Natur, unsere Umwelt, die Welt in der wir le-

des Patiogartens über das Jahr hinweg, können

ben, ist eine Konstante, die unseren Lebenszyk-

die Hausbewohner sich über den Zyklen des

Q2

lus weit überlebt. Zwar mag eine einzelne Pflanze

Wachstums und des Verfalls bewusst werden.

L3

eine kürzere Lebensspanne haben, ebenso wie

Das Vergehen der Zeit wird sichtbar, in kürzeren

andere eine vielfach längere. Fest steht jedoch,

oder längeren Prozessen, die nur über die Dau-

dass die Natur lange vor uns Menschen und auch

er und mit einem aufmerksamen Blick zu beob-

lange nach jedem Einzelnen von uns existieren

achten sind. Darüber hinaus wäre es möglich, auf

wird. Sie verbindet uns alle als „Um-Welt“ und ist

der Dachterrasse Nutzpflanzen anzubauen, die

das, was immer einen Weg zurück findet, egal wie

an dieser exponierten Stelle sowohl vom Regen

sehr wir Menschen versuchen, sie nach unseren

als auch von der Sonne profitieren und an dieser

Bedürfnissen auszugrenzen oder anzupassen. Ein

höchsten Stelle des Hauses ungestört wachsen

Baum wächst, wie er wächst. Wir haben lediglich

können.

gelernt, durch entsprechende Pflege oder Be-

Die menschliche Sehnsucht nach Natur ist ein Ur-

schnitt Einfluss zu nehmen, jedoch wird er weiter-

sinn, der vielleicht durch die Gewöhnung an urba-

hin Richtung Sonne wachsen und nicht von allei-

ne Gegenden etwas verloren gegangen ist, aber

ne in der perfekten Form bleiben, die wir uns zum

der dennoch in uns allen schwelt. Kleingärten, die

Beispiel wünschen.

Flucht des Städters auf jede erdenkliche Grünflä-

Die Pflege eines Gartens erfordert somit Zeit, Auf-

che bei gutem Wetter und die unzähligen Reisen,

wand und Aufmerksamkeit. Wenn man „ernten“

die wir „ins Grüne“ unternehmen, zeigen, dass wir

237


uns unbewusst dieses Wunsches bewusst sind.

Raum wie der Küche, der im Inneren des Hauses

Es ist der Wunsch nach Immersion, nach Natür-

liegt, ist der Bezug zur Natur und zum Wetter so-

lichkeit und einer häufig damit verbundenen Stil-

mit gegeben. Regnet es, regnet es ins Haus und in

le, das Gewahrwerden des „Seins“, des Hier und

den Patio hinein. Scheint die Sonne, ist die durch

Jetzt, der viele Menschen immer wieder in die Na-

die entsprechenden Dachfenster und durch die

tur treibt. Obwohl in ihr viel passiert, dank Tieren

Öffnungen zum Patio sichtbar. Obwohl sich das

und Insekten, dem Wetter und den Wachstums-

Haus kaum, lediglich im Porche, nach außen öff-

Q1

und Verfallsprozessen der Pflanzen, liegt all dem

net, ist das Außen dennoch Teil des Inneren und

L1

gleichzeitig eine tiefe Ruhe inne. Es ist die Ruhe

dort spürbar.

des Lebens im Hier und Jetzt, ohne Widerstand gegen das, was im Moment ist. Ein Baum „ist“

Das Klimakonzept des Entwurfes wurde auf die-

jederzeit, er kennt kein Gestern und Morgen. Er

ses Ziel abgestimmt. Anstatt komplett geschlos-

passt sich an die Umstände an und wächst mit

sene Räume mit technischer Klimatisierung zu

dem, was er bekommt, so wie er kann.

planen um dem heiß-feuchten Klima entgegenzuwirken, wurde mit den Prinzipien der natürlichen

238

Diese Qualität der Natur wurde in das Haus ge-

Belichtung und Belüftung gearbeitet.

holt, auch weil die Stadt keine attraktiven Außen-

Hierfür war die Verschattung der innenliegenden

bereiche bietet, auch wenn sie recht grün wirkt. Es

Räume wichtig, wodurch das auskragende Dach

befindet sich nicht nur in den Patios Vegetation,

des hinteren Gebäudeteils entstanden ist. Die,

sondern die „Natur“ wurde sich ins Haus geholt.

im Sommer von schräg oben und im Winter et-

Ein Baum, der im vorderen Erdgeschoss unterhalb

was flacher südlich stehende Sonne, kann durch

eines klassischen römischen Atriums steht, einem

dieses nicht direkt in die Räume im Erd- und

unverglasten Dachfenster, holt das Wetter bis in

Obergeschoss einstrahlen. Mittels der zusätz-

den Lebensraum der Bewohner. Selbst in einem

lichen Verschattung durch die Brücke bleibt so

239


N AA - 22. Dezember

BB - 21. Juni

BB - 22. Dezember

CC - 21. Juni

CC - 22. Dezember

21. Juni 05:21

18:12

W

O

17:26

A

B

C

A

B

C

06:00 22. Dezember

S

Sonneneinfall zur Sonnenstand im Jahresverlauf

240

AA - 21. Juni

Sommer- und Wintersonnenwende

241


der Wohnraum im hinteren Erdgeschoss stets ver-

den Speicherbatterie eine 100% Deckung erreicht

schattet. Dadurch wird eine Aufheizung und das

werden könnte. Durch den hohen Deckungsgrad

aggressive direkte Sonnenlicht vermieden. Statt-

des Himmels in der Regenzeit müsste dann al-

dessen gelangt durch die indirekte Einstrahlung

lerdings auf die lokale Stromversorgung oder al-

und Reflektion, zum Beispiel der Wasserfläche,

ternative Energiequellen zurückgegriffen werden.

angenehmes diffuses Licht in die Wohnräume. Es

Zu dieser Zeit spielt auch eine Entfeuchtung eine

mag für einen Deutschen schwer vorstellbar sein,

wichtige Rolle, da die Luftfeuchtigkeit zu hoch

der Sonne entkommen zu wollen, aber bei ganz-

ist um effektiv zu kühlen. Demnach müsste das

jährigen Temperaturen um 30 Grad und entspre-

Lüftungssystem in den Obergeschossräumen mit

chender Äquatornähe sind schattige und dadurch

einem Entfeuchter ausgestattet sein um eine ein-

kühle Bereichen eine Wohltat für das Auge und die

wandfreie Wirkungsweise zu garantieren.

Körpertemperatur.

Aufbau Porenstein

242

Das Erdgeschoss funktioniert dabei als komplett

Ein wichtiger Bestandteil zur natürlichen Belüf-

offener Bereich ohne Verglasung, da dies aufgrund

tung und Kühlung des Hauses sind die Fenster

der Temperaturen, die ganzjährig über 15 Grad lie-

aus Porenstein, der durch seine zylindrische Form

gen, problemlos möglich ist. Im Obergeschoss ist

Luft in den Patio zieht und die Außenluft durch

die Aufheizung durch direkte Sonneneinstrahlung

Verdunstungskühle vorkühlt. Dieses Prinzip, an

nicht zu vermeiden, weshalb die kleineren Räume

eine indische Entwicklung250 angelehnt, findet sich

und die Dachfenster verschließbar sind und durch

innerhalb des Patios an der Ostseite des Hauses,

ein in der der Decke liegendes Lüftungssystem

da dies die Hauptwindrichtung vor Ort ist. Die er-

gekühlt werden können. Die großen Flachdachflä-

wähnte mikroklimatische Funktion des Patios wird

chen bieten sich für Photovoltaik und Solarthermie

dadurch verstärkt. Im vorderen Bereich verstärkt

an, da der Ertrag insbesondere im Sommer mehr

der Porenstein die Luftbewegung im Atrium und

als ausreichend wäre und mit einer entsprechen-

zur Küche hin, die gleichzeitig durch den Baum

243


weiter abgekühlt wird. Zusätzliche Ventilatoren in

fahrbarkeit, Natürlichkeit und Nachhaltigkeit des

den Innenräumen verstärken die Luftbewegung.

Klimakonzepts, um die Einbettung in den Kon-

Auch die Wasserfläche im Patio hat mikroklima-

text und die Umwelt des Hauses zu ermöglichen.

tischen Einfluss. Tagsüber in weiten Teilen ver-

Ohne hochtechnisierte Anlagen, sondern mit ein-

schattet, dient der Pool nicht nur als Abkühlung

fachen, wartungsarmen und kaum energieintensi-

für die Hausbewohner, sondern kühlt die Luft im

ven Methoden wird so ein angenehmes Klima im

Patio durch Verdunstungskälte. Die Reflektion der

Haus geschaffen, ohne das Außenklima komplett

Sonne bringt diffuses Licht in die hinteren Räume

auszuschließen und abzulehnen.

und ergibt gleichzeitig ein dekoratives Lichtspiel an der Unterseite der Brücke. Neben der Vegetation, dem Porenstein und dem Wasser erfüllt der Patio bereits alleine aufgrund seiner Kurvatur eine mikroklimatische Funktion, da in ihm in der Nacht kalte Luft absinkt und warme Luft aus dem Haus entweichen kann. Unter dem Prinzip der Nachtlüftung können zusätzlich die Türen zum Porche geöffnet werden um Luft frei zirkulieren zu lassen. Generell ist das Klimatisierungsprinzip eine Kombination aus aktiven und passiven Methoden und zieht aus beiden Prinzipien die für den Entwurf Funktionsweise Porenstein

244

sinnvollsten Maßnahmen. Das Augenmerk lag dabei den Entwurfswerten entsprechend auf der Er-

245


Durchlüftung

246

Durchlüftung

Schnitt Q3

Schnitt Q1

Schnitt L3

Schnitt L1

247


Konzept_ Verschlossenheit & Offenheit

Die fruchtbare Tiefe der Beziehungen, die hinter jedem geoffenbarten Letzten noch ein Allerletztes ahnt und ehrt, [...] ist nur der Lohn jener Zartheit und Selbstbeherrschung, die auch in dem engsten, den ganzen Menschen umfassenden Verhältnis noch das innere Privateigentum respektiert, die das Recht auf Frage durch das Recht auf Geheimnis begrenzen läßt.253

Ansicht Nord (1:200)

Ansicht Süd (1:200)

248

Das Thema des Schließen und Öffnens ist ein wei-

Generell wirkt das Gebäude von außen weitest-

terer, essentieller Aspekt des Entwurfskonzepts,

gehend verschlossen. Die Fassadenflächen besit-

der sich vorallem auf den Aspekt der Privatsphä-

zen abgesehen vom Porche keine größeren Ein-

re bezieht. Als Ergänzung zum obigen Zitat kann

schnitte und werden lediglich durch den perme-

man sagen, „die menschliche Seele braucht offen-

ablen Porenstein und ein kleines Fenster an der

bar Sphären, in denen sie bei sich sein kann ohne

Westseite aufgebrochen. Die Wehrhaftigkeit nach

den Blick des Anderen.“

Dieses Bedürfnis nach

außen ist ebenfalls ein Sicherheitsaspekt, da die

Privatsphäre und „Uneinsehbarkeit“, nach dem

sechs Meter hohen Wände ohne Öffnungen ein

„nicht transparent“ sein, besitzen wir alle. Kom-

ausreichend großes Hindernis darstellen.

plette Öffentlichkeit, jederzeit in Kontakt mit Men-

Der wehrhafte Charakter von außen wird durch

schen und niemals alleine zu sein, überfordert uns

den komplett offenen Innenbereich kontrastiert

auf Dauer und lässt uns den Bezug zu uns selber

und durch die Funktionsweise des Porche und der

verlieren, zu dem, was uns eigen ist.

Schiebetüren zum Essbereich hin durchbrochen.

Dieses Eigen entfaltet sich im Geheimnis, im Im-

Werden diese geöffnet, ist ein Einblick von außen

permeablen, dem Unerklärbaren, dem was uns al-

in das Innere des Hauses möglich, der jedoch vom

len eigen ist. In Anlehnung an Hans Gesellschafts-

Grill und der Vegetation abgefangen wird. Ist das

kritik, soll der Entwurf den Zeitgeist der Trans-

Eingangstor gleichzeitig geschlossen, ist ein Ein-

parenz- und Positivgesellschaft kontrastieren,

blick, jedoch kein Eindringen möglich. Mag ein

ohne ihm jedoch entgegenzuwirken. Das Haus ist

Passant von außen nichts besonderes am Haus

transparent und einsehbar, und gleichzeitig ver-

feststellen können, zeigt sich seine Qualität erst

schlossen und undurchsichtig. Durch vielfältige

beim Eintreten ins Haus, in die privaten Räume.

Verschluss- und Öffnungsmöglichkeiten kann es

Die verschiedenen Grade der Öffentlichkeit kön-

auf die Bedürfnisse seiner Bewohner und Besu-

nen beim Zick-Zack-förmigen Rundlauf durch das

cher eingehen.

Haus erschlossen werden. Sie schwächen sich

251

249


von außen nach innen ab und changieren inner-

lamellen im Boden der Terrasse ist diese Privat-

halb des Hauses erneut. Der öffentlichste Bereich

sphäre jedoch unterbrochen, da man nicht kom-

ist die umliegende Nachbarschaft, der Platz vor

plett vom Rest des Hauses abgeschottet ist, son-

dem Haus. Als semi-öffentlich kann man den Por-

dern Sichtbezüge vom Patio und umgekehrt hat.

che betrachten, der allerdings nach Verschließen

Ansicht West (1:200)

Ansicht Ost (1:200)

250

des Vorhangs ebenfalls privat werden kann. Der

Eine ähnlich kontrastreiche Rolle besitzt der Por-

innere Privatraum teilt sich in gemeinschaftliche

che. Er dient als Schwelle und Schleuse, als Kon-

Bereiche wie den Patio, der als Verbindung, Ver-

trollpunkt, wie weit Passanten, das „Fremde“, ins

teiler und Kontaktpunkt dient, sowie die Küche

Haus eindringen können oder nicht. Er verwischt

und das Wohnzimmer auf. Privater sind die indi-

die Grenzen zwischen Öffentlichem und Privatem

viduellen Zimmer im Obergeschoss, die jedoch

und fordert die Hausbewohner immer wieder he-

auch gemeinschaftliche Bereiche, wie den kleinen

raus, diese Grenzen für sich selber zu definieren.

Patio oder die Dachterrasse besitzen.

Zur Schwelle zitiert Han Heidegger: „Die Schwelle

Umgekehrt gibt es innerhalb der gemeinschaftli-

ist der Grundbalken, der das Tor im Ganzen trägt. Er

chen Flächen im Erdgeschoss an verschiedenen

hält die Mitte, in der die Zwei, das Draußen und Drin-

Stellen privatere, intimere Ecken, die bei Bedarf

nen, einander durchgehen, aus. Die Schwelle trägt

als Rückzugsort dienen können, so wie zum Bei-

das Zwischen. In seine Verläßlichkeit fügt sich, was

spiel die Ecke zwischen Vegetation und hinterem

im Zwischen aus- und eingeht. Das Verläßliche der

Badezimmer, die Ecke neben der Küche unter der

Mitte darf nirgendhin nachgeben.“252

Brücke oder die höhlenartige Sequenz unter der

In jedem Szenario und innerhalb dieser sind, wie

Dachterrasse im Obergeschoss. Die Dachterras-

bereits beschrieben, verschiedene Nutzungs- und

se ist der Endpunkt des beschriebenen Rundlaufs

Verschaltungsmöglichkeiten des Porche denkbar,

durch das Haus und vermeintlich der privateste

die mit unterschiedlichen Öffnungsgraden einher-

und intimste Punkt des Hauses. Durch die Holz-

gehen. Vom komplett privaten, geschlossenen

251


Spielbereich für die Kinder der Familie, über einen

der Tür. Durch diese Funktionalität ergeben sich

halboffenen Eingangsbereich und teilweise öffent-

unzählige Möglichkeiten, den Porche mit der Kü-

lichen Essbereich der Fritanga, bis hin zum kom-

che und dem Essbereich sowie die Räume im vor-

plett öffentlichen Bereich des Restaurants, kann

deren Obergeschoss miteinander zu verschalten.

der Porche unzählige Grade an Öffentlichkeit und Privatsphäre generieren. Durch die Öffnung fließt

Der Grad der Öffentlichkeit des Hauses liegt,

der Raum des Porche mit dem Küchen- und Ess-

durch die flexiblen Dreh- und Schiebetüren, in den

bereich, sowie dem Patio ineinander. Hier kann

Händen der Hausbewohner. Die Familie (Szena-

ein durchgängiger, großflächiger Raum entstehen,

rio A-D) wird vielleicht eher privat, in sich gekehrt

dessen Nutzung ganz von der Anforderungen und

wohnen wollen solange die Kinder noch jünger

Phantasie der Bewohner abhängt, von Garage

sind, kann sich aber später für eine graduelle

bis Werkraum. Als Nebeneffekt wäre es möglich,

Öffnung entscheiden, verstärkt durch die besse-

durch ihn bequem Baumaterialien für eventuelle

re Integration in die Nachbarschaft, zum Beispiel

Umbauten ins Haus zu transportieren.

durchs Kennenlernen der Nachbarn, des Erlernens der Sprache und die wachsende Vertrautheit

Die flexiblen Lamellentüren, zu finden im vorde-

mit der lokalen Kultur.

geöffnet

geschlossen

ren Erd- und Obergeschoss, können je Element

Lamellentüren – Axonometrie, Schnitt, Ansicht

252

in sieben verschiedenen Öffnungsgraden ver-

So wie sich die Familie nach außen öffnen kann,

schaltet werden und sind so in einer Vielzahl von

kann sich auch das Haus öffnen und andere Nut-

Möglichkeiten kombinierbar. Sie können komplett

zungen ermöglichen. In einem extremen Fall wäre

aufgestellt oder es kann nur das obere Fenster

die komplette öffentliche Nutzung des Gebäudes

aufgeklappt werden. Die Holzlamellen können ge-

zum Beispiel als Büro beziehungsweise andere

schlossen oder schräg gestellt werden, unabhän-

gewerbliche Nutzung oder auch als Kulturstätte

gig voneinander im oberen und unteren Bereich

(Szenario E3) denkbar. Die kleinteiligen Räume,

253


ร ffnungsmรถglichkeiten Porche

254

Verschaltungsmรถglichkeiten Porche

255


wie bereits im Szenario der Familie (C) und Fritan-

Obwohl sich das Gebäude nach außen verschließt,

ga (E1) dargestellt, können als einzelne Büro- und

ist das Außen ins Haus integriert und kann nicht

Meetingräume genutzt werden. Der Porche könn-

komplett ausgeschlossen werden. Der permeab-

te zum Beispiel als Ausstellungsbereich oder War-

le Porenstein lässt stets Licht und Luft durch und

teraum dienen. Die Patios verstärken den Cha-

selbst bei geschlossenem Toldo gelangt Sonnen-

rakter des „Arbeitens in einer Oase“ und schaffen

licht durch die Lamellen im Boden der Dachterras-

angenehme Ausblicke aus den einzelnen Büros.

se in den Patio hinein. Die Verbindungen mit dem Außenbereich im Inneren des Hauses mag viel-

Eine Nutzung als öffentlicher Kulturraum und ge-

leicht nicht auf visueller Ebene stattfinden, jedoch

sellschaftlicher Begegnungsraum im Sinne des

dringen Geräusche und Gerüche in das Haus ein,

„Platz für das Volk“ hebt das Konzept des Öffnens

und insbesondere das Klima ist fester Bestand-

und Schließens auf eine weitere Ebene. Sich zu

teil des Hauses und jederzeit spürbar. So wird das

einer Kultur zu öffnen, diese zu integrieren und

„Draußen“ ein Teil des „Drinnen“ und das „Fremde“

gar Teil dieser zu werden, ist sowohl für die Fa-

in das „Vertraute“ integriert.

milie als auch das Haus möglich. Hier wird die Öffnung nach außen, in den öffentlichen Raum, auch als Öffnung zur Stadt, dem Land und der damit zusammenhängenden Kultur verstanden. Das „Draußen“ ist das „Fremde“, das „Andere“, das erfahren und erlebt werden kann. Die Hausbewohner können in vielfältiger Weise entscheiden, inwiefern sie sich öffnen oder schließen wollen, inSzenario E3 Büro

256

wiefern sie die lokale Umwelt und Kultur erleben und ihr eigenes Leben berühren lassen wollen.

257


Szenario E3 - BĂźro

258

259


Stadtplan Managua (1:50.000) 1 km

260

261


Konzept_ Lokalität & Globalität

Hospital Polizei Transport Freizeit Einkaufen Schule Universität

Wenn du den Schmerz der Schwellen spürst, dann bist du kein Tourist; es kann den Übergang geben.254

Entscheidend neben der räumlichen und klimati-

Morgens nicht anspringen, ist es hilfreich sich mit

schen Lokalisierung ist jedoch die kulturelle und

dem Mechaniker zwei Häuser weiter gut zu ver-

konzeptionelle Verortung. Als Außenstehender, als

stehen. Geht der Kühlschrank kaputt und reichen

jemand, der noch keine Berührungspunkte mit der

die finanziellen Möglichkeiten Ende des Monats

lateinamerikanischen und spezieller mit der nica-

nicht für den Kauf eines neuen, kann man sich

raguanischen Kultur hatte, mag es schwierig sein,

Geld leihen oder kurzfristig den Kühlschrank des

sich an einen solchen Entwurf und seine Hinter-

Nachbarn mitbenutzen. Dies mag aus einer heu-

gründe anzunähern.

tigen, deutschen Perspektive ungewöhnlich und gar berechnend wirken, jedoch beruht dieses Mit-

Im Gegensatz zu Deutschland werden in Nica-

einander auf selbstverständlicher Gegenseitigkeit.

ragua soziale Beziehungen insbesondere in der

Viertel

Hospital Polizei Transport Freizeit Einkaufen Schule Universität

(1:10.000)

Nachbarschaft deutlich stärker gelebt. Es herrscht

Für uns Deutsche ist dies aufgrund unseres Wohl-

ein regeres Sozialleben, eine größere Offenheit

standes auf vielerlei Ebenen nicht mehr notwen-

und Gelassenheit und ein herzlicher Umgang auch

dig. Die Meisten von uns besitzen ausreichend

mit Fremden und Passanten. Ein kurzer Plausch,

Mittel alles jederzeit zu besorgen und zu erledi-

ob beim Bäcker, im Bus oder einfach auf der Stra-

gen. Kinder ziehen früh von zu Hause aus um allei-

ße, ist stets willkommen und die nachbarschaft-

ne zu wohnen. Die Beziehung zwischen Eltern und

lichen Beziehungen werden sorgsam gepflegt,

Kindern ist weniger abhängig durch ein funktionie-

nicht zuletzt, weil man gegebenenfalls aufein-

rendes Sozialsystem und Altersabsicherung, aber

ander angewiesen ist. Da, wo der Staat und das

auch durch eine generell distanziertere Kultur. In

Sozialsystem versagen oder schwächeln, werden

Nicaragua wohnen Kinder meist bis zur Heirat, die

zwischenmenschliche Beziehungen, sowohl in-

allerdings recht früh sein kann, bei den Eltern und

nerhalb der Familie als auch mit Freunden, Nach-

es ist keine Seltenheit, dass drei oder vier Genera-

barn und Bekannten wichtiger. Will das Auto eines

tionen unter einem Dach wohnen.

100 m

262

263


50 m Nachbarschaft (1:4000)

264

In diesem Klima der Nähe und Verbundenheit be-

tanz voneinander befindet sich somit auf räum-

gegnet man auch Fremden anders. Gäste sind

licher und zwischenmenschlicher und demnach

gerne gesehen und werden wie selbstverständ-

auch auf gesellschaftlicher Ebene.

lich als Teil der Familie integriert und allgemein

Auf räumlicher Ebene bildet das Haus diese Viel-

wie ein weiteres Kind behandelt und verwöhnt.

falt und ihre Abstufungen ab. Bereits in den Fa-

Gastfreundschaft kann man auch auf die geistige

milienszenarien (A-C) ist es möglich, einen oder

Haltung gegenüber Neuem und Fremden übertra-

mehrere Gäste für kurze, als auch für längere Zeit

gen. Das große Interesse oder gar die Neugier für

unterkommen zu lassen. Ob im hinteren Erd- oder

Bekannte und Fremde mag für einen (stereotypi-

Obergeschoss, in einem Raum im vorderen Ober-

schen) Deutschen ungewöhnlich und teils unge-

geschoss, oder gar in dem kompletten Bereich:

mütlich sein, doch das Gefühl des „Willkommen-

es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten Über-

seins“ wird auch er schätzen können.

nachtungsgäste komfortabel unterzubringen. Es

Hier spielen erneut die Aspekte der Privatsphäre

wurde insbesondere darauf geachtet, dass der

und Offenheit eine Rolle. Wohingegen ein Nica-

Gast Rückzugsmöglichkeiten hat und seine Räu-

raguaner es gewöhnt ist, im engen Kontakt mit

me für ihn privat abtrennbar sind, ohne dass dies

Familienmitgliedern und anderen Menschen zu

die Raumnutzung der restlichen Bewohner extrem

sein, wird in Deutschland tendenziell das Privat-

einschränkt. So kann die Vertrautheit innerhalb

leben stärker geschützt. Man grenzt sich räumlich

des Hauses durch Gäste und Freunde der Familie

voneinander ab, auch weil ausreichend Platz und

beeinflusst und durchbrochen werden.

ökonomische Mittel vorhanden sind. Bei entspre-

Obwohl Gäste sich innerhalb des Hauses zurück-

chendem Wohlstand ist es nicht mehr notwendig,

ziehen können, sind sie nichtsdestotrotz Teil der

mit vier Personen in einem winzigen Zimmer zu

Familie. Die gemeinschaftliche Küche als zentraler

schlafen, sondern hier erhält zum Beispiel bereits

Begegnungspunkt im Haus sowie der Patio als

jedes Kleinkind einen eigenen Raum. Diese Dis-

zentraler Erschließungs- und Durchwegungsbe-

265


reich, werden immer zu zwischenmenschlicher

material, das aber durch die Wahl von Ortbeton

Kommunikation führen.

im Gebäude neu lokalisiert wird. Es müssen keine

Daneben ist der Gast, genauso wie jeder andere

teuren Fertigteile angeliefert werden, die sowieso

Hausbewohner, dem lokalen Klima ausgesetzt.

in Nicaragua kaum verbreitet sind, sondern es

Die Erfahrbarkeit des Lokalen steht im Kontrast zu

kann auf das bereits bekannte Material des Stahl-

den voll-klimatisierten, abgeschlossenen Hotelan-

betons zurückgegriffen werden, mit dem lokale

lagen, die man aus Urlaubsreisen kennt. Hier wird

Arbeiter vertraut sind. Die Lamellentüren und Holz-

das fremde Land, die andere Kultur, die Lokali-

strukturen an der Brücke und Dachterrasse sind

tät, verschwischt und abgeschwächt, gar ausge-

aus nicaraguanischen Tropenhölzern erstellt und

grenzt, um den Gästen ihren gewohnten Standard

ebenso wie die Möbel, von lokalen Handwerks-

zu ermöglichen. Zwar ist das Haus mit westlichen

betrieben hergestellt. Aufgrund der vergleichs-

Annehmlichkeiten, man könnte sagen Luxus, wie

weise niedrigen Lohnkosten, ist eine individuelle

einem Pool (der aber umgenutzt werden kann,

Gestaltung nach Wünschen der Hausbewohner

siehe Szenario Restaurant) oder mehreren Bädern

problemlos möglich. Dies erhöht gleichzeitig die

ausgestattet, jedoch bleibt das Lokale unvermeid-

Qualität und Langlebigkeit der Möbelstücke und

lich Teil des Aufenthalts im Haus. Elemente wie

baut einen größeren persönlichen Bezug zu den

die Vegetation aus lokalen Pflanzen oder der Grill,

Objekten auf, sodass sie die Familie, im Gegen-

beziehungsweise die Fritanga, verstärken zusam-

satz zu billiger Massenware, problemlos über

men mit dem Wetter die Verortung innerhalb des

Generationen hinweg begleiten können. Das Holz

Hauses.

wird aus nachhaltigen Forstbetrieben gewonnen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, das im

10 m Wohnblock (1:1333)

266

Die Materialwahl wurde ebenfalls unter den As-

Osten des Landes von Tropenstürmen gefällte

pekten der Lokalität und Globalität getroffen. Be-

Holz zu verwerten, da dies sonst unbrauchbar

ton ist zwar ein internationales, modernes Bau-

werden würde.

267


Die Holzelemente geben eine Wärme zu den über-

deutschen Hintergrund sowie die Gäste der Haus-

wiegend rohen Sichtbetonwänden, deren Flächig-

bewohner, die von „woanders“ kommen und für

keit im Patio insbesondere durch die Vegetation

eine Zeit ein Teil der Welt der Hausbewohner und

und vielfältige Schattenspiele aufgebrochen wird.

umgekehrt werden.

Im Patio finden sich dadurch alle fünf Elemente

Treibt man den Gedanken des Gastes und der

nach asiatischer Lehre : Feuer in Form des Grills,

Globalität weiter, gelangt man zum Szenario des

Erde durch das Beet, Wasser durch den Pool und

Hostels (E4). Dieser bedeutet als Gegensatz zum

den Regen, Metall durch die Bestuhlung und Holz

Szenario der lokalen, nicaraguanischen Hausbe-

durch die Lamellen und die Pflanzen. Jede dieser

wohner, eine komplette Globalisierung und inter-

Elemente deutet auf einen anderen Prozess und

nationale Orientierung des Gebäudes. In diesem

Aspekt hin.

Fall würde das Haus wie im Büro-Szenario (E3)

Darüber hinaus finden sich weitere, internationale

komplett öffentlich sein, aber innerhalb unter-

Elemente im Haus, wie das andalusische „Toldo“

schiedliche Privaträume ermöglichen. Der Porche

als Verschattungselement, die japanisch anmu-

ist in diesem Szenario noch viel stärker ein „Tor

tende Schwelle im Eingangsbereich, die dazu

zur Fremde“, da dieser im offenen Zustand den

anhält die Schuhe auszuziehen, der indisch-inspi-

Berührungspunkt zwischen den internationalen

rierte Porenstein, die von traditionellen Ramadas

Gästen und der lokalen Bevölkerung darstellt. Als

oder französischen brise soleils inspirierten Holz-

„Übergang in eine andere Welt“ ist er der Ein- und

elemente, die Lamellentüren in der Funktionswei-

Ausgang in das Unbekannte. Durch ihn gelangt

se eines „louvre“-Fensters, das klassische römi-

das Fremde in vielfältiger Form in das Haus.

sche Atrium und selbstverständlich der Patio als

Reisen kann den Horizont erweitern und neue

weit gewanderte Typologie (siehe Abb. 2).

Einblicke, Erkenntnisse und Perspektiven ermög-

Weit gewandert, beziehungsweise weit gereist,

lichen. Das Verständnis der Verbundenheit von al-

sind ebenso die Familienmitglieder mit ihrem

len Dingen, der Auswirkungen unseres westlichen

255

Szenario E4 Hostel

268

269


Szenario E4 - Hostel

270

271


Lebensstils und eine gewisse Dankbarkeit für

se erleben Touristen das Land aus einer eher dis-

den eigenen Lebensstandard kann durch Reisen

tanzierten Perspektive, was durch eine nachbar-

in fremde Ländern geweckt werden. Nicht selten

schaftliche Integration vermieden werden könnte.

kehren Reisende, insbesondere Langzeitreisende

Die lokale Gemeinschaft könnte als „Host“ und

oder Expaten, als „andere“ Menschen zurück,

Gastgeber funktionieren und das Hostel in einer

aufgrund der Vielzahl an Erfahrungen, die sich

eher familiären Atmosphäre betreiben. Lokale An-

durchlebt haben, die vielleicht in dieser Intensität

gestellte verstärken den Kontakt und den Aus-

im Alltag „daheim“ nicht möglich wären.

tausch der Kulturen.

Die internationalen Gästen mit ihren verschiede-

Schiebetüren im Porche, Aufsicht

272

nen kulturellen Hintergründen begegnen sich an

Andererseits kann der Reisende als „hyperkul-

einem fremden Ort, den sie nach und nach erkun-

tureller“ globaler „Tourist“ auch kritisch betrach-

den werden. Das Erleben des Anderen wird durch

tet werden. Als unreflektierter und unbewusster

die beschriebene Funktionsweise des Hauses

Pauschalreisender nimmt er direkt und indirekt

verstärkt, aber gleichzeitig die üblichen Annehm-

Einfluss auf die Länder, die er sich „beschaut“. Es

lichkeiten für einen Reisenden geboten. Dank der

steht fest, dass Reisen auf Kosten der Umwelt,

Lage des Hauses in einem Viertel der nicaragua-

anderer Menschen und Regionen geht. Gleichzei-

nischen Mittelschicht und nicht in einer geschlos-

tig wird Reisen immer leichter, zugänglicher und

senen „gated community“ oder „condominio“, er-

„schmerzloser“ durch die fortschreitende Globali-

möglicht es den Gästen, in die lokale Kultur ein-

sierung. Kulturen gleichen sich immer weiter an,

zutauchen und „die andere Welt“ kennenzulernen.

sodass Han bereits von einer „Hyperkulturalität“

Umgekehrt kann die lokale Bevölkerung auch

der heutigen Gesellschaft spricht und darauf hin-

von den Reisenden profitieren. Tourismus ist eine

weist, dass ein schwellenloser Übergang kein „Er-

wichtige Einnahmequelle und der Kontakt mit

leben des Fremden“ ermöglicht. Denn letztendlich

Ausländern kann bereichernd sein. Normalerwei-

ist es erst dieses Fremde, das Neues und Wachs-

273


tum ermöglicht, oder wie Han nach Heidegger

umgänglich und auch ein wichtiger Bestandteil

sagt, „die Anwesenheit des Fremden ist, so gese-

unserer menschlichen Erfahrungen. Erst durch

hen, notwendig für die Bildung des Eigenen.“

das Erleben des Spannungsfeldes zwischen Posi-

256

tiv und Negativ, zwischen Glück und Leid, sind wir

Eingangstor und Vorhang im Porche, Ansicht und Aufsicht

274

Das Fremde ist jedoch nicht nur mit Positivem,

Menschen fähig zu lernen und zu wachsen. Das

sondern auch mit Schmerz und Negativem in

Negativ, die Lücke, schafft Wert und Tiefe, sie

Form von Konfrontation, Veränderung und in

macht die Dinge für uns interessant und wertvoll.

einem gewissen Grad auch dem Verlust des Al-

Die Spannung, die aus dem „Anderen im Selben“

ten und Bekannten verbunden. Wie Han sagt,

und dem „Verweilen am Negativen“, dem Rauhen,

ist der menschliche Geist eine „Schmerzgeburt“

Neuen, Ungemütlichen, entsteht, macht uns Men-

und verweist auf Nietzsche, der sagte, dass die

schen häufig Angst. Es ist die Angst vor dem Neu-

menschliche Seele ihre Tiefe, Größe und Stärke

en, dem Ungewissen, Unbekannten, der Leere,

gerade dem Verweilen am Negativen verdankt:

die aus der Abwesenheit, dem Negativ, entsteht.

„Jene Spannung der Seele im Unglück, welche ihr

„In dem erbitterten Ringen alter und neuer Kräfte

die Stärke anzüchtet [...], ihre Empfindsamkeit und

entstehen gerechte Maße und bilden sich sinnvolle

Tapferkeit im Tragen, Ausharren, Ausdeuten, Aus-

Proportionen259“, demnach in der Abkehr vom Be-

nützen des Unglücks, und was ihr nur je von Tiefe,

kannten und der Hinkehr zum Neuen, das aus der

Geheimnis, Maske, Geist, List, Grösse geschenkt

Begegnung mit dem Fremden entsteht. Tradition

worden ist: - ist es nicht ihr unter Leiden, unter der

wird zur Moderne und die Moderne wieder zur

Zucht des grossen Leidens geschenkt worden?“

257

Tradition, Gegenwart wird zur Zukunft und Zukunft

Dies deutet auf Hans Konzept der „Positivgesell-

zur Gegenwart, womit sich das Themenfeld des

schaft“

Konzepts in sich schließt.

258

hin, in der Negativgefühle nicht zuge-

lassen werden und verlernt wurde mit Leiden und Schmerz umzugehen, dabei ist das Negative un-

275


Wohnen K체che/Essen Schlafen Arbeiten Bad Freifl채che

Szenario A - Paar

Szenario B - Kleinfamilie

Szenario E1 - Fritanga

Szenario E2 - Restaurant

Szenario E3 - B체ro

Szenario E4 - Hostel

Fl채chennutzung in den verschiedenen Szenario C - Familie

276

Szenario D - Senioren

Szenarien

277


20

3,00

3,00

60

20,00 2,40

20

4,00

6,60

20

80

2,80

2,00

4,00

2,00

90

3,40 10,00

90

90

6,60

6,80

4,00

Grunrdriss

3,00

20

80

20

3,00

2,40

2,00

50

8,60

1,80

3,80

60

6,60 2,20

4,10

2,00

20

20

50

3,50

50 6,60

90

3,00

10,00

8,80

7,10

Dachaufsicht

EG bemaßt

bemaßt

(1:200)

(1:200)

20

Grunrdriss

3,50

20

20

70

4,00

2,80

50

1,4

3

4,10

20

1,40

50

6,50

3,20

20 5,00

10,00

8,00

2,00 1,00

2,00

3,30

4,00

4,00

278

5,80

6,90

4,60

2,80

3,50

90

1,80 20

70 1,00

20

2,00

5,60

1,20

90

6,60

2,00

80

2,00

20

90

2,00

20,00

20

4,00

2,50

(1:200)

20

4,00

4,10

20,00

20

OG bemaßt

4,40

2,00

7,10

6,50

279


10,00 2,50 2,00

7,10 4,30

50

2,00

80

20

6,10

Schnitt Q4

1,50

1,50

– 1,80

bemaßt

40

40

(1:200) 2,70

7,30

20,00

20 1,00

6,10 3,20

1,90

2,00

50

3,00

6,90 4,40

3,00

20 50

2,00

6,60 2,00

50

6,90 1,00

2,20

60

4,10

1,60

90

5,60

3,00

20

1,40

2,40 8,30

3,30

3,30

2,80

0,10

0,50

0,30

– 0,30

2,30

Schnitt L1

Schnitt L3

bemaßt

bemaßt

(1:200)

(1:200)

20

40

2,40 40 3,20 40

280

3,60

1,00

1,90

1,50

3,10

20

3,10

3,20

2,40

8,30

5,20

– 1,80

1,90

2,40

2,80

0,50

0,30

– 0,30

6,50 2,00

6,10 5,10

3,30

50

4,40

40

40

6,10

40

20,00

20

1,00

2,60

3,20

8,30

40

0,50

0,30

– 0,30

40

2,40

3,30

1,40

2,00

6,00

1,00

40

40

20

6,00

4,10

2,50

50

5,60

3,00

20

281


12

13 14

01

02a

02b

03

04

05

11 09

08

10

06

05 04

07

03

02 01 Perspektiven Erdgeschoss

282

283


08

09

05a

05b

10

11

06a

06b

12

13

06c

07

14

15

284

285


10

06

08

07

09 11

01

02

03

04

05a

05b

05 12 03 04 17

02

01 14 15

13 16 18

Perspektiven Obergeschoss

286

287


06

07a

11

12

08

07b

13

14a

09

10

14b

15a

288

289


15b

01

02

03

04

16a

04

16b

16c

03 02 01

17

290

18

Perspektiven Dachgeschoss

291


Epilog_ Dazwischen

Wohnen zwischen den Welten bedeutet mehr als

genheit in die Gegenwart für eine gewünscht Zu-

multikulturelles Miteinander. „Dazwischen sein”

kunft. Es gilt, das Negative als Teil des Alltags zu

bedeutet Leben in einem Spannungsfeld voller

begreifen und sich diesem hinzuwenden um den

Reibung und Kontraste.

Geist durch das Fremde und Andere wachsen zu

Es ist das „Nirgendwo-ganz-hingehören”, das

lassen.

„Zwischen-den-Stühlen-sitzen”, das „Zwei-Herzenin-der-Brust-schlagen”. Die Kunst liegt im klugen

Das Haus ist eine Einladung zum Erleben und zur

Umgang mit eben diesen Spannungen, die einen

Erkenntnis, zum Kennenlernen des Fremden und

in manchen Momenten zu zerreißen scheinen. Al-

des Vertrauten. Die Variabilität der Raumkonfigu-

les auf einmal ist nicht möglich, und so bleibt ei-

ration ermöglicht den Umgang mit dem Verge-

nem nur Eines: eine Entscheidung. Dabei ist diese

hen der Zeit und dem Wandel der Welten. In ihm

schmerzliche Tat stets für und gleichzeitig gegen

werden Dunkel und Hell, Regen und Sonne sowie

etwas, wie die untrennbaren Seiten einer Münze,

Offenheit und Privatheit gleichwertig, aber den-

die niemals beide sichtbar sein können.

noch immer neu erfahren. Aus dem Lokalen und Globalen schöpfend, bietet es sich an, ohne sich

Der Entwurf formt sich aus diesem Zwiespalt, dem

selber zu vergessen.

auch durch das „Sich-entscheiden” kein Ende gesetzt wird. Immer und immer wieder kann und

Ein Weltenwandler, ein Wanderer zwischen den

muss die Entscheidung getroffen werden, denn

Welten, der im „Dazwischen” Zuhause ist.

die Abwesenheit von Veränderung bedeutet Stillstand und somit das Ende von jeglicher Lebendigkeit als Abschied vom Leben. So ist das Neue, das Andere, das „Negativ”, immer eine Einladung zur Veränderung, zum Transzendieren der Vergan-

293


A N HANG


Anhang_ Endnoten Literaturverzeichnis Abbildungsverzeichnis

297


Anhang_ Endnoten

1  Hannah Arendt in Jaeggi, Rahel (1997): Welt und Person: zum anthropologischen Hintergrund der Gesellschaftskritik Hannah Arendts. Berlin: Lukas Verlag für Kunst- und Geistesgeschichte, S. 15. 2  Johannes Spalt in: Blaser, Werner (1985): Atrium: Lichthöfe seit fünf Jahrtausenden. Basel: Wepf & Co. AG Verlag, S. 7. 3  Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) (2007): Duden. Das große Fremdwörterbuch. Herkunft und Bedeutung der Fremdwörter. 4. Auflage. Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich: Dudenverlag. 4  Vgl. deutsche, englische, spanische und französische Artikel unter Wikipedia: Patio. URL: https://wikipedia. org/wiki/Patio. Abgerufen am 27.07.2018., sowie Pons: Online-Wörterbuch Deutsch - Latein. URL: https://de.pons. com/%C3%BCbersetzung. Abgerufen am 27.07.2018. 5  Sowohl „court” als auch „yard” stammen vom gleichen proto-indo-europäischen Wortstamm ab: gher- “erfassen, einfassen”, woraus sich „Umschlossenheit” ableitet. Vgl. Etymonline: Patio. In: Online Etymology Dictionary. URL: https:// www.etymonline.com/word/patio. Abgerufen am 27.07.2018. 6  Cambridge University Press: Patio. In: Cambridge Dictionary. URL: https://dictionary.cambridge.org/de/worterbuch/englisch/patio. Abgerufen am 27.07.2018. (Übersetzung durch Autor) 7  Oxford University Press: Patio. In: Oxford Dictionary. URL: https://en.oxforddictionaries.com/definition/patio. Abgerufen am 27.07.2018. (Übersetzung durch Autor) 8  Real Academia Española: Patio. In: Diccionario de la lengua española, Edición del Tricentenario, Actualización 2017. URL: http://dle.rae.es/?id=SA01ROy. Abgerufen am 27.07.2018. (Übersetzung durch Autor) 9  Das, Nibedita (2006): Courtyards Houses of Kolkata: Bioclimatic, Typological and Socio-Cultural Study. Thesis. Manhattan: Kansas State University, College of Architecture, Planning and Design, Department of Architecture, S. 2. 10  Hinrichs, Craig (1989): The Courtyard Housing Form as Traditional Dwelling. In: Traditional Dwellings and Settlements Working Paper Series, Volume 06. Berkeley: Center for Environmental Design Research, University of California, S. 2-28. 11  Schoenauer, Norbert und Seeman, Stanley (1962): The Court-Garden House. Montreal: McGill University Press. 12  Oliver Hinrichs in: Oliver, Paul (2003): Dwellings: The Vernacular House World Wide. Oxford: Phaidon Press Ltd.,

299


sowie vgl. Schoenauer & Seeman (1962) und Blaser (1985).

33  Blaser: Atrium, S. 70.

13  Schoenauer & Seeman: The Court-Garden House

34  Reynolds: Courtyards, S. 5.

14  Blaser: Atrium, S. 11.

35  Deane, Andrew R. (2010): Chapter 8: The Courtyard Garden. In: Japanese Gardening. URL: https://www.japane-

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Anhang_ Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Typologie Patio (Eigene Darstellung) Abb. 2: Diffusion des Patio-Hauses. Santa Cruz Astorqui: Estudio tipológico, constructivo y estructural de las casas de corredor en Madrid, S. I-10. (Eigene Darstellung) Abb. 3: Siedlung in Sha’ar Hagolan. Goring-Morris: Houses and Households, S. 29. (Eigene Darstellung) Abb. 4: House 1, Babylon, Merkes. Baker: House size and household structure. (Eigene Darstellung) Abb. 5: Altägyptische Tempelanlage. Blaser: Atrium, S. 11. (Eigene Darstellung) Abb. 6: Rekonstruktion ägyptischer Hofhäuser. Bibliographisches Institut: Wohnhaus. URL: http://www.zeno.org/Meyers-1905/B/Wohnhaus. (Eigene Darstellung) Abb. 7: Traditionelles Hofhaus in Peking. Blaser: Atrium, S. 17. (Eigene Darstellung) Abb. 8: Chinesisches sìhéyuàn. Ebd., S.17. (Eigene Darstellung) Abb. 9: Shinden-Residenz. URL: http://japangardentale.blogspot.com/2010/10/residencias-shinden-zukuri-del-periodo.html. (Eigene Darstellung) Abb. 10: Japanisches Gartenhofhaus. URL: http://id753breaux.blogspot.com/2010/03/meishan-courtyard-first-floor. html. (Eigene Darstellung) Abb. 11: Verschiedene Megaron-Typologien. URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/19/Megaron. JPG. (Eigene Darstellung) Abb. 12: Prostas-Haus. Nevett: House and Society in the Ancient Greek World. URL: http://tinymanz.blogspot. com/2016/10/ancient-greek-housing.html. (Eigene Darstellung) Abb. 13: Pastas-Haus. Ebd. (Eigene Darstellung) Abb. 14: Peristyl-Haus. Ebd. (Eigene Darstellung) Abb. 15: Einfaches etruskisches Haus. URL: http://cw.routledge.com/textbooks/9780415498647/images19.asp. (Eigene Darstellung) Abb. 16: Etruskisches Hofhaus. Ebd. (Eigene Darstellung) Abb. 17: Römisches Domus mit Peristyl. McManus. URL: http://www.vroma.org/~bmcmanus/house.html. (Eigene Darstellung)

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Abb. 18: Römisches Domus. Blaser: Atrium, S. 15. (Eigene Darstellung) Abb. 19: Idealplan eines Atriumhauses nach Patroni. Ebd. (Eigene Darstellung) Abb. 20: Marokkanisches Riad. Edwards: Courtyard Housing, S.12. (Eigene Darstellung) Abb. 21: Tunesischer Dar. Burtscher: Hofhäuser, S. 9. URL: http://www.johannesburtscher.at/hofhaus/iRecord_11646-7.PDF. (Eigene Darstellung) Abb. 22: Bauernhof. Ipinimg: URL: https://s-media-cache-ak0.pinimg.com/564x/61/7a/ba/617aba29aeeedd09b7d65d24108d924d.jpg. (Eigene Darstellung) Abb. 23: Mittelalterliche Burg. Clipartxtras. URL: https://img.clipartxtras.com/6dcb83a4116efd998bec4c0601a3a1c7_a-dictionary-of-military-architecture-viking-castle-drawing_258-230.gif. (Eigene Darstellung)

Abb. 42: Indisches Mandapa in Shimoga, Indien. Dinesh Kannambadi. Creative Commons. URL: http://cdn.findmessages.com/images/2016/05/1659-mandapa-and-pillars-of-jain-narayana-temple-at-pattadakal-karnataka-india.jpg. Abb. 43: Traditionelle engawa. Emzett85. Creative Commons. URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/da/Japanese_House_-_Engawa.jpg. Abb. 44: Moderne engawa mit Glasschiebewänden. Gnsin. URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/34/Expo_2005_of_Satsuki_and_Mei%E2%80%99s_House_15.jpg. Abb. 45: Narthex, Kathedrale von Chartres, Frankreich. TTaylor. Public Domain. URL: https://en.wikipedia.org/wiki/ Porch#/media/File:Chartres_Cathedral_020_south_facade_TTaylor.JPG. Abb. 46: Piazza Maggiore, Bologna, Italien. Bologna Welcome. URL: https://www.bolognawelcome.com/imageserver/

Abb. 24: Andalusischer Patio. Ruiz Padrón. URL: https://www.flickr.com/photos/luis_ruiz/8691438265.

gallery_big/files/turisti/scopri/luoghi/architettura-e-monumenti/edifici-e-vie-storiche/piazza-maggiore/photogallery/piaz-

Abb. 25: Andalusischer Palast mit mehreren Patios. Reynolds: Courtyards, S. 6. (Eigene Darstellung)

zamaggiore.jpg.

Abb. 26: Stadtzentren lateinamerikanischer Städte. Hofer: Karl Brunner, S. 21. (Eigene Darstellung)

Abb. 47: Covent Carden Piazza, London, England. Edward Rooker. Public Domain. https://upload.wikimedia.org/

Abb. 27: Haus mit Traspatio und Patio. Wilhelmy: Die spanische Kolonialstadt, S. 32 (Eigene Darstellung)

wikipedia/commons/2/22/Covent_Garden_Piazza%2C_by_Edward_Rooker_after_Thomas_Sandby%2C_1768_-_

Abb. 28: Haus mit Halbpatios. Ebd. (Eigene Darstellung)

bm_1860%2C0623.108.jpg.

Abb. 29: Patiohaus. Edwards: Courtyard Housing, S. 333. (Eigene Darstellung) Abb. 30: Alleinstehendes Einfamilienhaus. Ebd. (Eigene Darstellung) Abb. 31: Casa Sert von Josep Lluís Sert. Urbipedia. URL: https://www.urbipedia.org/images/5/58/Sert.CasaCambridge.Planos1.jpg. (Eigene Darstellung) Abb. 32: Casa con patios von Ludwig Mies van der Rohe. URL: https://at1patios.wordpress.com/2009/07/16/reflexion-1-ejemplos-paradigmaticos-01/ (Eigene Darstellung) Abb. 33: Gartenhofhaus. Aratas Architekten: Gartenhofhaus. URL: https://www.aratas-architekten.de/de/projects/ gartenhofhaus.html. (Eigene Darstellung) Abb. 34: Nordamerikanisches Patio-Haus. Pinterest. URL: https://www.pinterest.com/pin/514888169880847556/. (Eigene Darstellung) Abb. 35: Typologie Patio (Eigene Darstellung) Abb. 36: Typologie Porche (Eigene Darstellung) Abb. 37: Tempel Dendur, Metropolitan Museum of Art, New York. URL: https://images.metmuseum.org/CRDImages/ eg/original/DT563.jpg. Abb. 38: Ägyptische Tempelanlage. Blaser: Atrium, S. 11. (Eigene Darstellung) Abb. 39: Korenhalle des Erechtheion, Akropolis, Athen, Griechenland. Mark Stepanov. Creative Commons. URL: https://www.panoramio.com/photo/115472194. Abb. 40: Stoa des Attalos, Athen, Griechenland. Adam Carr. URL: https://en.wikipedia.org/wiki/Stoa#/media/File:Stoa_in_Athens.jpg. Abb. 41: Augustus-Tempel, Pula, Kroatien. Wikipedia Commons. URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/be/Augustus_temple_Pula.jpg.

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Abb. 48: Riu Rau. Luri: Casa del Cocentari. URL: http://www.joseluisluri.com/wp-content/uploads/2016/04/casa_cosentari.jpg. Abb. 49: French Style mit Veranda. Jones. Public Domain. URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/ thumb/3/31/Historic_American_Buildings_Survey_Lester_Jones%2C_Photographer_February_26%2C_1940_VIEW_ FROM_EAST_-_Homeplace_Plantation%2C_River_Road%2C_Hahnville%2C_St._Charles_Parish%2C_LA_HABS_ LA%2C45-HAHNV%2C1-3.tif/lossy-page1-1600px-thumbnail.tif.jpg. Abb. 50: Stoep. Wilson. URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/f/f6/Presidents_Chester_A_Arthur_123_Lexington_Ave.jpg/800px-Presidents_Chester_A_Arthur_123_Lexington_Ave.jpg. Abb. 51: Maya-Tempel. Schulz. Creative Commons. URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/44/ East_Portico_%2816537962917%29.jpg. Abb. 52: Ramada-Struktur. Scottsdale Historical Society. URL: http://ventanafineproperties.com/wp-content/uploads/2016/10/ElliottHouse-SHSphoto.jpg. Abb. 53: Bohio-Hütte. C9hatillodelmar. URL: http://www.c9hatillodelmar.com/images/1002Taino2.jpg. Abb. 54: US-amerikanische Porch. Ayay.co. URL: http://ayay.co.uk/backgrounds/countries/USA/american-flag-onthe-porch.jpg. Abb. 55: Lānai. Calbear22. Public Domain. URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/34/Backside_of_ the_Hulihee_Palace.JPG. Abb. 56: Dogtrot-Haus. Billy Hathorn. Creative Commons. URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/ a8/Dogtrot_house%2C_Dubach%2C_LA_IMG_2552.JPG. Abb. 57: Nordamerikanische Veranda. Lovas. URL: https://s3-production.bobvila.com/slides/14373/original/Porch_ Makeover_-_Declutter.jpg?1501001034

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Abb. 58: Moderne Porch. Ana-Maria Klizs. URL: https://www.bluebirdkisses.com/wp-content/uploads/2017/10/ipemodern-porch-in-toronto.jpg. Abb. 59: Terrasse. Hill. URL: http://www.thextrema.com/figure/Extended-Porch-Modern-With-Staircase-Lighting-Southwestern.jpg. Abb. 60: Typologie Porche (Eigene Darstellung) Abb. 61: Lage Nicaragua. Alexrk2. Creative Commons. URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/24/ Nicaragua_relief_location_map.jpg. (Eigene Darstellung)

and_Staff_enroute_to_Mexico._Siglo_XX.%2C_06-1929_-_NARA_-_532357.tif.jpg. Abb. 75: Anastasio Somoza García und Augusto C. Sandino. Archivo de la biblioteca de Enrique Bolaños. URL: https://niu.com.ni/wp-content/uploads/2018/05/NIUSANDINO.jpg. Abb. 76: Diktator Somoza, 1978. Meiselas: Nicaragua, S. 7. Abb. 77: Managua nach dem Erdbeben von 1972. TKM News. URL: https://resizer.mundotkm.com/unsafe/1920x1265/http://cfar01.mundotkm.com/2016/04/8-10.jpg. Abb. 78: Sandinistische Rebellen, 1978. Meiselas: Nicaragua. S. 26.

Abb. 62: Karte Nicaragua mit Departments. TUBS. Creative Commons. URL: https://upload.wikimedia.org/wikipe-

Abb. 79: Rebellen mit traditionellen Masken, 1978. Ebd., S. 23.

dia/commons/thumb/e/e3/Nicaragua_on_the_globe_%28Americas_centered%29.svg/660px-Nicaragua_on_the_glo-

Abb. 81: Kontrolle eines öffentlichen Busses, 1978. Ebd., S. 42.

be_%28Americas_centered%29.svg.png. (Eigene Darstellung)

Abb. 80: Plünderung eines brennenden Geschäfts, 1978. Ebd., S. 33.

Abb 63: Protest in Nicaragua 2018. Alfredo Zuniga/AP. URL: http://www.telemundo.com/sites/nbcutelemundo/files/ images/gallery/2018/05/11/nicaragua_protest.jpg. Abb. 64: Bevölkerungspyramide Deutschland, 2016. World Factbook. URL: https://www.cia.gov/library/publications/ the-world-factbook/geos/nu.html. (Eigene Darstellung) Abb. 65: Bevölkerungspyramide Nicaragua, 2016. World Factbook. URL: https://www.cia.gov/library/publications/theworld-factbook/geos/gm.html. (Eigene Darstellung) Abb. 66: Demonstranten mit traditioneller nicaraguanischer Maske. O. Rievers/Reuters. URL: https://www.dw.com/ image/44655093_303.jpg. Abb. 67: Demonstration gegen die Regierung. Jose Cabezas/Reuters. URL: https://media.metrolatam. com/2018/04/30/nicaraguaprotestas-5ec4315a82d658307d6533014c0d380b.jpg. Abb. 68: Mordraten per 100.000 Einwohner in Lateinamerika, 2017. InSight Crime. URL: https://www.insightcrime.org/ wp-content/uploads/2018/01/15-02-13-Map-Homicides-2017.jpg. (Eigene Darstellung) Abb. 69: Ländliches Nicaragua, 1978. Meiselas: Nicaragua, S. 2. Abb. 70: Karte Mittelamerikas im 16. Jahrhundert. Juan Migel. Creative Commons. URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/archive/9/93/20170716101353%21Centroamerica_prehispanica_siglo_XVI.svgchive/9/93/20170716101353%21Centroamerica_prehispanica_siglo_XVI.svg. (Eigene Darstellung) Abb. 71: Granada. Fundación Enrique Bolaños. URL: https://guerranacional.enriquebolanos.org/index.php/imagenes?start=20. Abb. 72: Managua. Ephraim George Squier. Public Domain. URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/8a/Managua_1849._Blick_vom_Strand_auf_den_Managuasee._Skizze_von_Ephraim_George_Squier.jpg. Abb. 73: Leon. Fundación Enrique Bolaño. URL: https://guerranacional.enriquebolanos.org/index.php/imagenes?start=70. Abb. 74: Sandino und Unterstützer. Department of the Navy. U.S. Marine Corps, Historical Division. Public Domain. URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/8/8a/General_Sandino_%28center%29_and_Staff_enroute_to_Mexico._Siglo_XX.%2C_06-1929_-_NARA_-_532357.tif/lossy-page1-1599px-General_Sandino_%28center%29_

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Abb. 82: Einzug der Guardía Nacional in die FSLN-Hochburg Masaya, 1978. Ebd., S. 49. Abb. 83: Guardía Nacionale in Masaya. 1978. Ebd., S. 48. Abb. 85: Zerstörte Häuser während der Revolutionskämpfe, Masaya, 1978. Ebd., S. 32. Abb. 84: Revolutionskämpfer in Managua. 1978. Ebd., S. 51. Abb. 86: Sandinistische Rebellen, 1978. Ebd., S. 64. Abb. 87: Einzug der Sandinisten, 19. Juli 1979. Ebd., S. 68. Abb. 88: Vereidigung Daniel Ortegas, 1985. La Prensa/Archivo. URL: https://s3-us-west-2.amazonaws.com/laprensa-bucket/wp-content/uploads/2016/11/05115105/Daniel1-1024x706.jpg. Abb. 89: Anti-Sandinista Contras, Honduras, 1978. J.B. Diederich, Contact Press Images. URL: https://contact.photoshelter.com/image/I0000pskSNlv5OaQ. Abb. 90: Daniel Ortega vereidigt Violeta Chamorro. TeInteresa.es. URL: http://images.teinteresa.es/mundo/Violeta-Chamorro-presidenta-Nicaragua_TINIMA20131216_0312_3.jpg. Abb. 91: Alemán und Ortega, 1999. Hoja de Rutas, Jacobo Alcutén Artal. Creative Commons. URL; http://4.bp.blogspot.com/-h2aH1VwXB0U/Ui7ng-bl5-I/AAAAAAAAUJg/N8THPgUMC8w/s690/Managua06.jpg. Abb. 92: Ortega mit Evo und Chavez, Inauguration 2007. La Prensa. URL: http://cdn.laprensa.com.ni/wp-content/uploads/2016/11/05174657/PACTO.jpg. Abb. 93: Familie Ortega-Murillo mit Hugo Chávez. Agencia SNN. URL: http://1.bp.blogspot.com/-fsigDEHWrRE/UMcy3YTIUwI/AAAAAAAAA3A/86aHg4usy1w/s1600/La+familia+real+Ortega-Murillo+y+el+padrino+de+Ch%C3%A0vez.. jpg. Abb. 94: Daniel Ortega und Rosario Murillo bei einer Regierungserklärung, April 2018. CCC Cairo Cajina. URL: http:// www.lavozdelsandinismo.com/wp-estaticos/2018/04/201301.jpg. Abb. 95: Studenten bei einer Demonstration. Chicago Tribune. URL: http://www.trbimg.com/img-5adbe917/turbine/ ct-nicaragua-ortega-deadly-protests-20180421. Abb. 96: Topographische Karte von Nicaragua. Imagenes Tropicales S.A.. URL: http://www.costarica-nature.org/ FRANCAIS/infos_generales_Nicaragua/geographie_Nicaragua/illustration/nica_carte.gif. (Eigene Darstellung)

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Abb. 97: Klimazonen nach Köppen in Nicaragua. Oganesson007. Creative Commons. URL: https://upload.wikimedia. org/wikipedia/commons/thumb/8/88/Nicaragua_map_of_K%C3%B6ppen_climate_classification.svg/1200px-Nicaragua_map_of_K%C3%B6ppen_climate_classification.svg.png. (Eigene Darstellung) Abb. 98: Playa Gigante, Karibikküste. Christian Heeb Photography. URL: http://www.orotravel.com/images/oro-travel-discover-nicaragua-activities-beach-01.jpg. Abb. 99: Blick auf den Momotombo. Nicaragua Tourism Board (INTUR). URL: https://d11nuriyhamvfv.cloudfront.net/ uploads/media/the-gentlemans-guide-to-exploring-nicaragua-230-16x9.jpg. Abb. 100: Peñas Blancas, Regenwald. Ebd. Abb. 101: Blick über Managua. Haakon S. Krohn. URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/e9/Managua.jpg. Abb. 102: Avenida Bolivar. Jairo Cajina. Creative Commons. URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/cf/Avenida_Bolivar_A_Chavez.jpg. Abb. 103: Downtown Managua. Jairo Cajina. Creative Commons URL: https://es.wikipedia.org/wiki/Managua. Abb. 104: Entwurfs-Grundstück. (Eigene Darstellung) Abb. 105: Klima Managua. Climatemps.com. URL: http://www.managua.climatemps.com/managua-climate-graph.gif. (Eigene Darstellung) Abb. 106: Climate Consultant. UCLA Energy Design Group. (Eigene Darstellung)

Abb. 107 und folgende Abbildungen: eigene Darstellungen.

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