WOHNEN ZWISCHEN DEN WELTEN
eine Bachelorarbeit von Jonathan Dulisch
betreut von Prof. Kazu Blumfeld Hanada AA. Dipl. an der msa I muenster school of architecture August 2018
Prolog_ Inhaltsverzeichnis
PATIO Definition
PORCHE
9
Definition
NICARAGUA
77
Gesellschaft
ENTWURF
127
Analyse
Etymologie
Etymologie
Allgemeines
Anforderungen
Sprachliche Definition
Sprachliche Definition
Bevölkerung
Entwurfswerte
Kriminalität
Vertiefungsanalyse
Wirtschaft
Ortsanalyse
Historie
15
Historie
83
183
201
Frühzeit
Ursprung
Vergleich
Altes Ägypten
Antike
Chinesische Architektur
Östliche Architektur
Japanische Architektur
Mittelalter und Renaissance
Entdeckung und Kolonialzeit
Vergangenheit & Zukunft
Antikes Griechenland
Kolonialarchitektur
Unabhängigkeit
Regen & Sonne
Römisches Reich
Lateinamerika
Diktator Somoza
Verschlossenheit & Offenheit
Islamische Architektur
Nordamerika
Sandinistische Revolution
Lokalität & Globalität
Mittelalter und Renaissance
Neuzeit
Nach 1990
Historie
Andalusischer Patio
Alemán und Ortega
Lateinamerika
Familie Ortega
Architekturmoderne
Aktuelle politische Lage
143
Konzept
Epilog
293
29 5
Neuzeit Eigenschaften
51
Eigenschaften
101
Gegebenheiten
171
ANHANG
Räumliche Eigenschaften
Räumliche Eigenschaften
Geographie
Endnoten
Nutzungsmöglichkeiten
Nutzungsmöglichkeiten
Klima
Literaturverzeichnis
Begriffliche Abgrenzung
Begriffliche Abgrenzung
Flora
Abbildungsverzeichnis
Qualitäten
Qualitäten
Architektur
Prolog_ Wohnen zwischen den Welten
In der Welt zusammenleben heißt wesentlich, dass eine Welt von Dingen zwischen denen liegt, deren gemeinsamer Wohnort sie ist, und zwar in dem gleichen Sinne, in dem etwa ein Tisch zwischen denen steht, die um ihn herum sitzen; wie jedes Zwischen verbindet und trennt die Welt diejenigen, denen sie jeweils gemeinsam ist.1
Der Entwurf eines Wohnhauses in Managua,
Umstände angepasst werden kann. Aufgrunddes-
Nicaragua ist geprägt vom „Dazwischen“: Ge-
sen entstehen über den gesamten Familienzyk-
legen in einem Viertel der Mittelschicht, in
lus und darüber hinaus vielfältige Nutzungs- und
der Hauptstadt eines der ärmsten Länder der
Verschaltungsmöglichkeiten
Welt, muss es sowohl den sicherheitstechni-
chen Graden der Privatheit und Offenheit, die in
schen Notwendigkeiten und klimatischen Ge-
verschiedenen Szenarien durchdacht wurden.
mit
unterschiedli-
gebenheiten, als auch den atmosphärischen und räumlichen Anforderungen der nicaragua-
Im Spannungsfeld zwischen vergangenen und zu-
nisch-deutschen Hausbesitzer gerecht werden.
künftigen Anforderungen, zwischen Regen und
Sonne, zwischen Verschlossenheit und Offenheit,
Dabei sollte der Entwurf die westlichen Ansprü-
zwischen Lokalität und Globalität, stellt der Ent-
che einer bereisten Familie erfüllen und gleich-
wurf einen Verbindungs- und Grenzpunkt zwi-
zeitig die Erfahrbarkeit seiner geografischen und
schen den Extremen dar und macht dieses „Da-
kulturellen Lage ermöglichen, indem er Klima,
zwischen“ erfahrbar. Ein zeitgemäßer und gleich-
Kultur und Gesellschaft im Haus erlebbar macht.
zeitig zeitloser Lebensraum zwischen den Welten,
Der Einbezug von lokalen Architekturtypologien,
der das Eine und das Andere verbindet und aus
wie des Patios und des Porches, die in der vo-
deren Verschiedenheit seine konzeptionelle und
rangegangen Vertiefung ausführlich betrachtet
vielfältige räumliche Qualität zieht.
wurden, ermöglichte die Integration des Außen, des „Fremden“, in das Gebäudeinnere. Um dem Wandel der Zeit zu begegnen, ist durch variable Öffnungs- und Verschlusselemente eine flexible Raumstruktur entstanden, die an sich verändernde persönliche, kulturelle oder gesellschaftliche
PA-
Der Mensch braucht inmitten des Universums einen Raum des Friedens, der Geborgenheit, als Teil der grÜsseren, feindlichen, unbestimmten Aussenwelt, einen Raum, der trotzdem teilhat an Tag und Nacht, an Sonne und Mond, an Hitze, Kälte und Regen...2
Definition_ Etymologie Sprachliche Definition
9
Definition_ Etymologie
Mittlerweile als Fremdwort vom Spanischen ins Deutsche übernommen, wird Patio als „(besonders in Spanien und Lateinamerika) Innenhof eines Hauses, zu dem hin sich die Wohnräume öffnen”3 definiert. Die lateinische Wortherkunft ist nicht eindeutig zu klären, verschiedene Quellen spekulieren eine Abstammung vom mittellateinischen „patuum” (gemeinschaftliche Viehweide), aber auch von „pactum” (Pakt, Übereinkunft), „paco” (friedlich machen, unterwerfen), „patior” (dulden, hinnehmen), „spatium” (Raum, Weite), „patere / pateo / patescere” (offen sein, sich öffnen), „patulus” (allen zugänglich) oder auch dem okzitanischen „pàtu / pati” (Hof).4 Die Übersetzung ins Deutsche erfolgt häufig als „Hof” oder „Innenhof”, in der englischen Sprache als „courtyard” oder „court”, auch „yard”5 und „forecourt”, im Französischen gar als „véranda”. Synonym werden insbesondere im Englischen „terrace”, „porch”, „veranda” und „loggia” verwendet, wobei es sich hierbei im allgemeinen architektonischen Verständnis um andere Typologien handelt.
11
Definition_ Sprachliche Definition
Abweichend vom modernen deutschen Wort-
Bereits aufgrund dieser ersten etymologischen
gebrauch beschreibt der Begriff des Patios laut
Betrachtung wird deutlich, dass der Begriff
Cambridge Lexikon im britischen Englisch „einen
„Patio” sich als Typologie und Architekturelement
Bereich außerhalb eines Hauses mit einem festen
nicht eindeutig definieren lässt und in verschie-
Boden, aber keinem Dach, der bei gutem Wetter zur
denen Sprachräumen unterschiedlich verstanden
Entspannung, zum Essen etc. genutzt wird” und im
wird. Für die folgende Vertiefung und die Ausein-
amerikanischen Englisch ähnlich „einen Außenbe-
andersetzung mit der Historie, den Eigenschaften,
reich mit einem festen Boden neben einem Haus,
Qualitäten und vielfältigen Funktionen des Patio,
wo man sitzen kann” .
wird dieser im weiten Sinne als „als unbedachter,
6
umschlossener Raum innerhalb eines (Wohn-)HauBeide Beschreibungen würden im Deutschen eher
ses” definiert.
mit dem Wort „Terrasse” gefasst werden. Lediglich das Oxford Dictionary beschreibt als Patio sowohl „einen befestigten Außenbereich an ein Haus angrenzend” als auch einen „dachlosen Innenhof in einem spanischen oder spanisch-amerikanischen Haus”7. In der spanischen Sprache selbst besitzt der Begriff mehrere Bedeutungen. Im architektonischen Sinne ist er, nach der Real Academia Española, ein „Raum von Wänden oder Galerien umschlossen, Abb. 1: Typologie Patio
12
der in Wohnhäusern und anderen Gebäuden normalerweise unbedeckt bleibt”8.
13
Historie_ Frühzeit Altes Ägypten Chinesische Architektur Japanische Architektur Antikes Griechenland Römisches Reich Islamische Architektur Mittelalter und Renaissance Andalusischer Patio Lateinamerika Architekturmoderne Neuzeit
15
Historie_ Frühzeit
Wohnhäuser mit Innenhof sind eine der ältesten
verschiedenen Epochen entstanden und auch
bekannten, von Menschenhand geschaffenen,
wieder verschwunden.
Bauformen, die sich in vielen Kulturen weltweit
Lateinamerika
Römisches Reich
ab ca. 1500
ab 200 v. Chr.
Spanien
ab 1000 n. Chr.
Nordafrika
Basierend auf verschiedenen Quellen12 sind die
lässt. Unabhängig von unterschiedlichen klimati-
frühesten Häuser mit Innenhof entweder aus no-
schen, sozial-gesellschaftlichen und religiös-kul-
madischen Behausungen oder den ersten um-
turellen Gegebenheiten wurden Innenhöfe seit je-
zäunten Ansiedlungen von landwirtschaftlichen
her für vielfältige Funktionen, rein funktional oder
Gemeinden entstanden. So werden unter an-
auch sozial, genutzt.
derem die Troglodyten-Dörfer, in den Matmatas im Süden Tunesiens, als ältestes Zeugnis von
Griechenland ab 700 v. Chr.
ab 700 n. Chr.
und in verschiedensten Ausprägungen finden
Wo und wann die ersten Wohnhäuser mit Innenhof
Wohnhäusern mit Innenhof genannt, vorangegan-
entstanden sind, ist aufgrund eines Mangels an
gen von den „douars” in Nordafrika, den Lagern
archäologischen Zeugnissen, insbesondere ein-
nomadischer Stämme in Westafrika, den „Kraals
deutigen Nachweisen, nicht nachvollziehbar und
von Bechuanaland” in Südafrika sowie den ersten
wird nach wie vor von Architekturhistorikern und
rechteckigen Siedlungen in Marokko13.
-theoretikern diskutiert.9
Mesopotamien
Werner Blaser zufolge hat sich der Innenhof aus
ca. 5.000 v. Chr.
Warum Menschen begannen Innenhöfe zu bau-
der Dachöffnung zum Rauchabzug über der zen-
10
en, ist ebenso unklar, jedoch vermuten Hinrichs
tral gelegenen Feuerstelle in Wohnhäusern ent-
und Schoenauer , dass dies dem universellen
wickelt14. Nach und nach wurden diese schmalen
menschlichen Bedürfnis nach einem geschlos-
Öffnungen größer und man begann Wohnräume
senen, verteidigbaren und privaten Lebensraum
kreisförmig um diesen Freiraum anzulegen, der
geschuldet ist. Wie zu zeigen ist, ist diese Wohn-
nach wie vor hauptsächlich als Kochstelle und
typologie in den unterschiedlichsten Kulturen in
Verkehrsfläche für Menschen und Tiere diente.
11
Abb. 2: Diffusion des Patio-Hauses
16
17
Die ältesten Zeugnisse von befestigten Wohn-
Ein typisches babylonisches Haus (é) des ersten
häusern mit Innenhof stammen aus der yarmukia-
Jahrhunderts vor Christus, gebaut aus gebrann-
nischen sowie babylonischen Kultur. In der Aus-
ten Ziegeln, bestand aus einem zentralen Innen-
grabungsstätte der spät-neolithischen Siedlung
hof (tarbaṣu), der auf allen vier (square house) oder
Sha’ar Hagolan der Yarmukian-Kultur im heutigen
auf zwei oder drei (linear house) Seiten von Räu-
Israel wurden 250 bis 700 m große, teils zwei-
men umgeben war18. Im Erdgeschoss befanden
stöckige Häuser entdeckt, die aus einem recht-
sich Küche, Arbeitsräume und öffentliche Berei-
eckigen oder abgerundeten Innenhof umgeben
che, während die Privaträume im Obergeschoss
von mehreren schmalen Räumen bestanden . Die
lagen. Die einzige Öffnung nach Außen und somit
auf etwa 5500 bis 5000 v. Chr. datierten Struktu-
der einzige Eingang, führte in einen Vorraum, der
ren grenzen sich zu den öffentlichen Wegen mit
einen direkten Einblick in das Hausinnere verhin-
gemauerten Wänden ab, während sich im Haus-
dern sollte. Diese lässt, laut Baker, auf eine strikte
inneren meist ein zentraler Hof mit sich anschlie-
Trennung von privaten und öffentlichen Bereichen,
ßenden Wohn-, Koch- und Lagerräumen befand.
sowie das Bedürfnis nach Privatsphäre für die Fa-
Diese Anordnung wird als Zeichen für ein wach-
milie schließen.19 Regenwasser wurde mit Rohren
sendes Bedürfnis nach Privatsphäre sowie der
aus dem Hof geleitet20.
2
15
Möglichkeit Vieh zusammen zu pferchen, gedeutet. Sie gibt darüberhinaus einen Hinweis auf die
Später, im dritten Jahrtausend vor Christus, ent-
Art und Weise des damaligen Zusammenlebens
stand bereits ein zweigeschossiger Hofhaustyp,
sowie der sich verändernden Sozialstrukturen.
der im heutigen Irak als „Tarma” oder in der Türkei
Bekanntere Beispiele für frühe Wohnformen mit
als „Hayat” bekannt ist.21
16
Abb. 3: Siedlung in Sha’ar Hagolan Abb. 4: House 1, Babylon, Merkes
18
Innenhof sind etwa 2000 v. Chr. in der sumerischen Siedlung Ur in Mesopotamien (heute Irak) entstanden17.
19
Historie_ Altes Ägypten
Bereits vor der Ausbreitung des Islam wurden im
Schutz vor Hitze und Sandstürmen und das Ein-
Wüstenklima des Nahen und Mittleren Ostens
lassen vom kühlenden Nordwind vermutet25.
Wohnhäuser gebaut, die ausschließlich nach in-
Die schmalen Wege, Gassen, Innenhöfe und Zu-
nen orientiert waren um sich vor den harschen
gänge lassen einen Luftzug entstehen und durch
klimatischen und natürlichen Bedingungen zu
ihre verhältnismäßige Tiefe bleiben sie weitestge-
schützen. Eine dicke, befestigte Außenwand be-
hend verschattet.26 Es gibt Zeugnisse von Trep-
grenzte das Grundstück, die ,abgesehen von einer
pen, die vom Innenhof auf das Dach führen, das
Eingangstür, keine oder lediglich schmale Öffnun-
als eine Art Terrasse genutzt wurde.27
gen oder Fenster besaß, wodurch die Belichtung und Belüftung hauptsächlich über den Innenhof
Leider existieren aufgrund von kurzen Lebens-
geschah.
dauern der Gebäude, vergänglicher Baumate-
In einigen wenigen Städteresten wie Kahun (ca.
rialien, wie Lehm, Nilschlamm-Ziegeln, Schilfrohr
5000 v. Chr.) und Amarna (ca. 1300 v. Chr.) fand
und Palmholz sowie verschiedener Naturkatas-
man Überreste von altägyptischen Wohnbauten,
trophen, insbesondere starke Erdbeben 1752
die in ihrer Typologie vom einfachen Arbeiterhaus
und 1992, wenige Zeugnisse von Wohnhäusern.
bis hin zum palastartigen Gebäude variieren.23
Lediglich Herrscherpaläste, Tempelanlagen oder
Häufig gruppierten sich die Räume um einen zen-
andere Sakralbauten aus Ägypten, aber auch aus
tralen Wohnraum, der entweder geschlossen oder
Assyrien, Medien und Persien (heute Iran) sind bis
offen als Hof gestaltet sein konnte . Die Ausrich-
heute erhalten. Hier zeigten sich bereits fortge-
tung nach Innen mit Öffnungen gen Norden ergab
schrittene Bauweisen sowie komplex durchdach-
sich dadurch, dass die Häuser meist von drei Sei-
te Raumordnungen, häufig mit einem oder mehre-
ten von Nachbarhäusern umgeben waren, aber
ren Innenhöfen, die als Reinigungsstätte vor dem
es werden ebenso klimatische Aspekte, wie der
sakralen Kultraum genutzt wurden.28
22
24
Abb. 5: Altägyptische Tempelanlage Abb. 6: Rekonstruktion ägyptischer Hofhäuser
20
21
Historie_ Chinesische Architektur
In asiatischen Kulturen lassen sich ebenso Wohn-
während sich Familie und enge Freunde ungestört
häuser mit Innenhof (t’ien ching, wörtlich „Brunnen
in den inneren Höfen aufhalten konnten. Alle Räu-
des Himmels” ) finden, so zum Beispiel in China,
me öffneten sich ausschließlich nach Innen und
wo etwa 300 v. Chr. das so genannte „sìhéyuàn”
das gesamte Grundstück war von einer raum-
(wörtlich „ein von vier Seiten umschlossener Hof”)
hohen Mauer umgeben, die Uneinsehbarkeit und
zur Han-Zeit entstanden ist . Dieses ist im klas-
Sicherheit garantierte. Die hohe Türschwelle des
sischen Sinne kein einzelnes Haus mit einem in-
einzigen Eingangs, stets nach Süden ausgerich-
nenliegenden Patio, sondern mehrere Häuser,
tet, sollte sowohl rein praktisch Staub und Unge-
für die verschiedenen Generationen der Familie
ziefer und ebenso Unglück fernhalten. Durch die
bestimmt, die sich um einen quadratischen Hof,
chinesische Geschichte hinweg war dieses grund-
meist als Garten mit Wasserelementen gestaltet,
legende Muster für Paläste, Tempel, Klöster oder
anordnen.31 Die Gestaltung und Nutzung die-
Staatsgebäude genutzt und eben als Wohnhäuser
ses Wohnkomplexes mit einem oder mehreren
von Großfamilien als Zeichen des Wohlstands und
Innenhöfen orientiert sich an der chinesischen
Reichtums.
29
30
Philosophie des Yin und Yang sowie der konfuzianischen Lehre.32 Insbesondere Regelmäßigkeit
In modernen Varianten dieser Wohntypologie, zu
und Gleichmäßigkeit der Struktur und Gestaltung
finden nach wie vor in Peking (hu`-t´ung, „kleine Al-
spielten eine wichtige Rolle, da das sìhéyuàn als
leehäuser“)34, werden die vier umliegenden Gebäu-
„Sinnbild [...] einer vollkommenen und unabhängi-
de nicht mehr unbedingt je nach Generation oder
gen Welt” gedacht war. Privatsphäre war ein wei-
Familienmitglied aufgeteilt, sondern nach Funk-
terer wichtiger Faktor, weshalb teilweise mehrere
tion, oder gar in einzelne Wohnungen für mehrere
Innenhöfe angelegt wurden um die Abgeschie-
Familien aufgeteilt.
33
Abb. 7: Traditionelles Hofhaus in Peking Abb. 8: Chinesisches sìhéyuàn
22
denheit von der Straße zu erhöhen. So konnten im äußersten Hof Besucher empfangen werden,
23
Historie_ Japanische Architektur
Auch in Japan können Innenhöfe, beziehungswei-
Die Beweglichkeit der inneren, leicht bespannten
se innenliegende Gartenhöfe gefunden werden.
Wände und Schiebewände sowie der Holzläden
Der „tsubo” ist dabei der rechteckige Raum, der
als Außenwände ermöglichte esm, innen und au-
zwischen Gebäuden und Korridoren einer „shin-
ßen als einen Raum zu erleben.
den-zukuri“ Residenz, entsteht. Die Shinden-Architektur (um 800 n. Chr.) und da-
In den, im Roji-Stil gestalteten Höfen finden sich
malige gesellschaftliche Konventionen machten
Wasserbecken, Laternen, Trittsteine und Vege-
Privatsphäre zu einem geschätzten Gut, wodurch
tation, aber auch traditionelle, minimalistische
sich die intim gestaltete Atmosphäre der Innen-
Zen-Gärten sind üblich. Die Gestaltung des Innen-
35
höfe als Gärten („tsuboniwa“) erklären lässt.
hofs ist in jedem Fall bis ins Detail durchdacht, um
Innenhöfe lassen sich auch in Zen-Tempeln und
zum Beispiel durch Betonung horizontaler Linien
Samurai-Residenzen finden, später (ca. 1500 bis
oder dem geschickten Platzieren von Objekten
1600 n. Chr.) aber auch in den länglich-schmalen
verschiedener Größe im Vorder- und Hintergrund
Stadthäusern („machiya“) als „nakaniwa” („Mit-
oder in der Diagonalen vom Blickpunkt aus, den
tel-Garten“).
Eindruck eines größeren Raumes zu kreieren.39
Aufgrund der geringen Größe (traditioneller tsubo etwa 3,3 x 3,3 Meter, was etwa zwei tatami Matten entspricht, heute häufig 1,8 x 1,8 Meter36) sind diese Gärten nicht unbedingt als Aufenthaltsort Abb. 9: ShindenResidenz Abb. 10: Japanisches Gartenhofhaus
24
oder zum Betreten gedacht, sondern eher zur Betrachtung von den umliegenden Räumen aus37. Laut Dröge & Fischbacher ist für Japaner „das Erlebnis des Gartens unabhängig von seiner Größe”38.
25
Historie_ Antikes Griechenland
In Griechenland lässt sich der Patio, beziehungs-
Und ist es nicht gerade in den Häusern, die nach
weise das Atrium, bereits deutlich als eigene Bau-
Süden orientiert sind, daß die Sonne im Winter in die
form im antiken „Haus mit Innenhof und einem Ein-
Säulenhalle strömt, während diese im Sommer hoch
gang“ (single entrance, courtyard house ) finden,
über unseren Köpfen Schatten spendet.”43
40
von dem verschiedene Variationen existieren. Das Wort Atrium (Aithrius Ouvranòs) bedeutet im Grie-
Aufgrund von Ausgrabungen der antiken Städte
chischen „klarer Himmel“.
Olynth, Priene, Herculaneum (griechisch Herak-
41
leion) oder auch Athen lässt sich feststellen, dass Archäologen und Forscher haben versucht an-
der Großteil der Wohnhäuser nach innen orien-
hand von Ausgrabungen diese Wohntypologien
tiert war und sich, laut Jenkins aus Gründen der
zu definieren, jedoch sind gut erhaltene Zeugnisse
Sicherheit und Privatsphäre, ausschließlich zu
oder gar Pläne rar und lassen deshalb lediglich
einem zentralen Patio öffneten44. Dieser Patio war
wenige allgemeine Schlussfolgerungen auf ein-
das Herzstück des Familienlebens zur damaligen
zelne Wohnformen und dem damit verbundenen
Zeit, in dem man das angenehme mediterrane Kli-
Sozialleben zu42. Man kann eine große Variation
ma in Ruhe und vor neugierigen Blicken geschützt
zwischen den verschiedenen Bauformen, sowohl
genießen konnte.
geographisch als auch innerhalb einer Stadt, je nach sozialer Schicht feststellen.
Nach der Entwicklung des regelmäßigen rechteckigen Stadtrasters, etwa 500 v. Chr. durch den
Abb. 11: Verschiedene MegaronTypologien
26
Bereits der griechische Schriftsteller Xenophon,
Architekten Hippodamus von Milet, wurden auch
ein Schüler Sokrates, sagte: „Wer immer ein pas-
Wohnhäuser und somit ihre Innenhöfe rechtwink-
sendes Haus haben will, muß es angenehm und be-
lig. Aus dem einfachen Megaron mit einem Haupt-
quem zu bewohnen machen. Ist es nicht angenehm,
raum („oikos“) und Vorhof hat sich mit der Zeit das
es im Sommer kühl und im Winter warm zu haben?
Prostashaus (griechisch „prostas” für Vorzimmer)
27
entwickelt, das aus einem Innenhof und halb-of-
Der Peristyl-Innenhof verbreitete sich nach 200 n.
fenen Durchgangsbereichen (prostas) bestand,
Chr., als Griechenland bereits Teil des Römischen
an die sich die anderen Räume angegliederten .
Reiches war und wurde ein Symbol für Reichtum
Diese Wohntypologie findet sich insbesondere in
des Hausbesitzers. Er war demnach meist in grö-
Ausgrabungen der Städte Priene, Kolophon, Per-
ßeren aristokratischen Wohnhäusern zu finden.
gamon und Vroulia, die auf ca. 700 v. Chr. datiert
Häufig befand sich ein kleiner Garten oder ein
werden.
Wasserbecken in der Mitte des Peristyls sowie
45
aufwändige Mosaike oder Wandmalereien, die Hauptsächlich in Nordgriechenland verbreitet ist
ebenfalls den Stand der Hausbewohner repräsen-
das meist zweistöckige Pastashaus (griechisch
tierten. Das Wasserbecken diente, neben seiner
„pastas” für „Vorhalle”) mit einem gepflasterten
dekorativen Funktion zur Regenwassersammlung
Innenhof, der an einer oder mehreren Seiten von
und Entwässerung, die alternativ durch offene
halb-offenen pastas und durch Säulen abgegrenzt
oder verdeckte Rinnen zur Straße hin erfolgte.
war. Eine fortgeschrittene antike Innenhof-Typologie stellt das Peristyl dar: ein Innenhof mit Säulenhalle („Stoa”, römisch „Kolonnaden”), der sich seit etwa 500 v. Chr. verbreitet hat. Zum rechteckigen oder quadratischen, gepflasterten Hof öffneten sich auf allen Seiten halb-offene Hallen, die durch gleichmäßige Säulenstellungen definiert waren. Die Abb. 12: Prostas-Haus Abb. 13: Pastas-Haus Abb. 14: Peristyl-Haus
28
Arkadengänge ermöglichten es, andere Räume auch bei Regen trockenen Fußes zu erreichen.
29
Historie_ Römisches Reich
Die erste definierte Wohnhaustypologie mit Innen-
Raumaufteilung. Vermutlich waren es die Wohn-
hof ist die „casa romana” oder das „domus” das
häuser der reichen Etrusker.49 Da die etruskischen
im Römischen Reich (ca. 500 v. Chr. bis 400 n.
Gebäude häufig aus Kalktuff-Blöcken, Lehmzie-
Chr.) weit verbreitet war. Es ist umstritten, wie ge-
geln und Holz gebaut und von den Römern teils
nau und woraus das römische domus entstanden
überbaut wurden, existieren lediglich wenige
ist, da es an ausreichenden Belegen und archäo-
bekannte Zeugnisse, nennenswert einzig in der
logischen Zeugnissen mangelt.
Siedlung Marzabotto und Acquarossa.50
46
Des Weiteren sei anzumerken, dass der deutsche Begriff „Atriumhaus” eine Schöpfung der
Es wird vermutet, dass der Begriff „atrium” vom
archäologischen
architekturtheoretischen
lateinischen „ater” (schwarz, glanzlos) abgeleitet
Forschung ist und in antiken Schriftquellen keine
wurde, da sich in diesem Raum ursprünglich die
Verwendung findet.47
Kochstelle des etruskischen Hauses befand, wes-
und
halb der Rauch des offenen Feuers die Decken Es wird häufig vermutet, dass sich das domus
und Wände schwärzte51. Andere Quellen geben
aus dem traditionellen italienschen Wohnhaus der
an, dass es sich von dem etruskischen Stadt-
Etrusker (ca. 700 bis 200 v. Chr.) entwickelte48,
namen „Atria” abgeleitet hat oder sie vermuten
welches meist aus einem einzigen geschlossenen
eine Entwicklung des römischen Atriums aus dem
zentralen Raum mit wenigen Fenstern bestand
traditionellen italienischen Farmhaus mit seinem
und ein oder zwei schmale, rechteckige Dachöff-
zentralen Hof.52
nungen zum Rauchabzug aufwies. Der Grundriss Abb. 15: Einfaches etruskisches Haus Abb. 16: Etruskisches Hofhaus Abb. 17: Römisches Domus mit Peristyl
30
erinnert in seiner Einfachheit an das frühgriechi-
Durch den neuen Wohlstand vieler Römer, vor
sche Megaron, jedoch entstanden später ebenso
allem durch Handel, entstand das domus als
großzügigere Wohnhäuser mit gepflasterten In-
Wohnhaus der Oberschicht. Das klassische, ide-
nenhöfen, Regenwasserbecken und komplexerer
altypische domus hatte eine bestimmte Abfolge
31
von Räumen, wie sie zum Beispiel der Architekt Vitruv darlegt.
53
Vitruv beschreibt das „cava aedi-
nen Raum, der im Falle des Vorhandenseins einer Dachöffnung ein Impluvium aufweist.”56
um“ (später mit dem Begriff des Atriums gleichge-
Später wurde der Raum zu einem Empfangsraum
setzt worden) in Buch VI, Kapitel 3 seines Traktats
mit repräsentativer Funktion, insbesondere für Ge-
„De Architectura Libri Decem” ausführlich.
Das,
schäfts- und Kaufleute57. Vitruv sagte dazu, dass
durch diese Dachöffnung (compluvium, von lat.
„für Leute, die ein durchschnittliches Einkommen
com- „zusammen-”, pluvia „Regen”) eintretende
besitzen, prächtige Vorhallen, Empfangssäle, At-
Regenwasser wurde in einem Becken, dem implu-
rien nicht notwendig [sind], weil diese Leute ande-
vium, das den Maßen des compluvium entsprach,
ren durch ihren Besuch ihre Aufwartung machen,
gesammelt und dann gegebenenfalls in eine Zis-
nicht aber selbst besucht werden.”58
54
terne weitergeleitet. Später wurden in manchen Häusern (atrium impluviatum) die Dachflächen des
Der Aufschwung des römischen Baustils ab etwa
Atriumhauses zum compluvium hin abgeneigt um
200 v. Chr. wurde deutlich von der griechischen
das Regenwasser dorthin abzuleiten.
Architektur beeinflusst59, insbesondere sichtbar in
Das genaue Aussehen des Atriums, oder cava ae-
der neu entstandenen römischen Säulenordnung
dium nach Vitruv, ist jedoch aufgrund der unklaren
und vielfältigen Dekorationselementen. So wur-
sprachlichen Begriffsverwendung, verschiedens-
den einige domus, wenn ausreichend Platz vor-
ter textlicher Übersetzungen und demnach Inter-
handen war, um ein Peristyl erweitert, meist als
pretationen sowie einem Mangel von Zeichnun-
Ziergarten gestaltet.
gen und archäologischen Zeugnissen und deren Abb. 18: Römisches Domus Abb. 19: Idealplan eines Atriumhauses nach Patroni
32
Diversität, nicht eindeutig definierbar55. Fest steht,
Ab dem vierten Jahrhundert verschwanden die rö-
dass Vitruv hierbei mit Atrium nicht einen offe-
mischen Atriumhäuser, wobei die Gründe hierfür
nen (Innen-) Hof bezeichnete, sondern einen „zur
unklar sind.60
Gänze überdachten oder mit Dachöffnung versehe-
33
Historie_ Islamische Architektur
Ab 700 n. Chr. ist mit der Ausbreitung der isla-
an dicht gedrängten Häuser wurden durch den
mischen Kultur und Religion ein eigener Archi-
Innenhof (wast-ed dar) belichtet und belüftet, wel-
tekturstil entstanden, der sowohl von der byzan-
cher oft auch als Gartenhof (riyadh) mit Vegetation
tinischen, mesopotamischen und persischen, als
und fließendem Wasser wie Zierbrunnen gestaltet
auch von der römischen und griechischen Archi-
wurde.63
tektur beeinflusst wurde.61 Architekturelemente,
Diese abgeschlossenen, verschwiegenen Höfe
wie der Paradiesgarten (tschahār bāgh), die Ar-
waren der Aufenthaltsraum für Frauen und Kinder,
kadengänge (riwaqs) und Säulenhallen, verschie-
ihre eigene Welt, getrennt von den Männern. Wie
dene Gewölbetechniken, Kuppelbauten sowie die
Dröge & Fischbacher feststellen, sind diese Häu-
reiche Ornamentik zeichnen die islamische Archi-
ser mit Gartenhöfen ein „Spiegel der Gesellschafts-
tektur aus, wobei es unterschiedliche regionale
ordnung und der Lebensweise der Araber, aber
Stile gibt.
auch ein Ergebnis des Kampfes gegen die Ungunst des Klimas um Wasser, gegen Hitze und Sand.”64
Entscheidende Merkmale des arabischen Wohnhauses sind seine Geschlossenheit zur Straße hin,
Später wurde diese Bauform von Muslimen weiter
die Trennung der Räume für Gäste und Hausbe-
verbreitet und auch für Moscheen (sahn), Koran-
wohner, für Männer und Frauen, der Schutz des
schulen oder Paläste genutzt. Ein bekanntes Bei-
Hofes vor Einblicken durch Brechung des Zugan-
spiel für eine traditionelle arabische Wohntypo-
ges und weitgehende Rücksicht auf natürliche
logie mit Innenhof ist das marokkanische Riad,
Lüftungsprinzipien.
Das Privathaus als Ort der
ein mehrgeschossiges Patiohaus, das vor allem
Ruhe grenzt sich deutlich vom lebhaften, öffent-
in Marrakesch, Fès und Essaouira zu finden ist.
lichen Raum ab, was dem Wunsch nach Privat-
Das Riad ist vermutlich aus einer Vermischung der
sphäre und dem Schutz der Familie, insbeson-
römischen, islamischen und lokalen nordafrikani-
dere der islamischen Frau, entspricht. Die dicht
schen Architektur entstanden.65
62
Abb. 20: Marokkanisches Riad Abb. 21: Tunesischer Dar
34
35
Historie_ Mittelalter und Renaissance
Mit der Ankunft des Mittelalters in Europa (ca. 600
und wehrhaft als die Burgen und Schlösser der
n. Chr.) verschwand der Innenhof in Stadthäusern,
Herrschenden waren. Die späten Tudor- und frü-
ließ sich aber nach wie vor als Hof in ländlichen
hen Stuart-Häuser sind Beispiele wieder geplan-
Bauernhäusern oder in Festungen, Palästen und
terer und symmetrischerer Architekturen.68
Burgen der aristokratischen Oberschicht finden. Auch die europäischen Klosterhöfe sollen nach
Durch den Niedergang des römischen (ca. 500
Vorbild römischer Landhäuser entstanden sein.
n. Chr.) und später des oströmischen-byzanti-
66
nischen Reiches (ca. 1450 n. Chr.) verschwanDiese archetypische Form einer Freifläche, die für
den elaborierte Bauformen wie das Peristyl, At-
Arbeit, Sozialleben oder auch Viehhaltung genutzt
rien oder andere dekorative Elemente, wobei die
wurde, umgeben von Gebäuden, erinnert an die
Gründe hierfür unter Historikern umstritten sind.
frühen Formen des Patios. Durch die umgeben-
Erst mit der Gotik (ca. 1200 n. Chr.) wurden in Eu-
de Mauer und den einzelnen Eingang konnte das
ropa wieder vergleichbar komplexe Architekturen
Grundstück einfacher kontrolliert und verteidigt
erstellt, jedoch hauptsächlich in Form von Sakral-
werden. Stadthäuser hingegen befanden sich
bauten. Die eng bebauten mittelalterlichen Städ-
meist innerhalb einer befestigten Maueranlage,
te mit schmalen, funktionalen Lichthöfen um die
weshalb Wehrhaftigkeit für das einzelne Haus kei-
sich mehrgeschossige Wohnhäuser organisierten,
ne Rolle spielte, und darüber hinaus ließ der Platz-
dehnten sich im Barock aus und wurde wieder
mangel in Städten keine Innenhöfe zu.
raumgreifender mit einer Vielzahl von bürgerlichen
67
Plätzen und adeligen Prestigebauten.69 Im späten Mittelalter und der Tudor-Zeit (ca. 1500 bis 1600) in England wurde eine Art von EinfaAbb. 22: Bauernhof Abb. 23: Mittelalterliche Burg
36
milienhäusern gebaut, die größer als die Herrenhäuser des niederen Adels, aber weniger befestigt
37
Historie_ Andalusischer Patio
Seinen Weg zurück nach Europa hat der Patio
lich schmale Schlitze als Öffnungen in den Außen-
durch die Ausbreitung des Islams nach Spanien
mauern besaß, lassen sich in Spanien auch Fens-
von ca. 700 bis 1500 n. Chr. gefunden. Durch die
terfronten zur Straße hin finden.73 Auch entwi-
Verschmischung der griechisch-römischen, roma-
ckelten sich in Spanien deutlich unregelmäßigere
nisch-gotischen und muslimisch-arabischen Ar-
Grundrisse und Abwandlungen des traditionellen
chitektur entstand in Südspanien (heute Andalusi-
islamischen Wohnhauses.74 Viele hispanische In-
en, von „al-Andalus”) der spezielle „Mudejarstil”70.
nenhöfe werden jährlich zu Beginn des Frühlings
Die bewusste Verschließung des Hauses gegen
neu mit Kalk („cal“) geweißelt oder angestrichen.75
die Außenwelt und die Beschränkung von archi-
Als Sonnenschutz und temporäres Dach dient ge-
tektonischer Gestaltung auf den Innenhof wird von
legentlich ein bewegliches transparentes Textil
Wilhelmy als Ausdruck „weltverachtender Verinner-
(„toldo” oder auch „velas”)76.
lichung und auf einen beschaulichen Daseinsgenuß gerichtete Lebensauffassung des Morgenländers”71
Insbesondere Córdoba ist berühmt für die Anzahl
verstanden. Auch nach Auflösung des Islami-
und Schönheit seiner Patios. So gibt es dort sogar
schen Reiches in Spanien bestanden die höchst
einen jährlichen Wettbewerb für den schönsten
entwickelten maurische Bauformen weiter.
Patio.77 Auf Mallorca gelten die kleinen Innenhöfe, meist in historischen Häusern gelegen, als
Abb. 24: Andalusischer Patio Abb. 25: Andalusischer Palast mit mehreren Patios
38
Traditionell sind maurische Patios gepflasterte In-
Kulturerbe der Stadt, die sich ebenso auf den
nenhöfe, die als zentrale, offene Bereiche in einem
kanarischen Inseln finden lassen.78 In Madrid hat
selbst kleinen Wohnhaus dienen und mit Pflanzen,
sich das „corrala” als eigene Wohntypologie eines
Blumen, Brunnen und anderen Dekorationsele-
mehrstöckigen Mehrfamilienhauses um einen gro-
menten, gestaltet sind.
ßen Patio („corral“) herum entwickelt.
72
Als Weiterentwicklung
und Abwandlung des islamischen Patiohauses, das, wenn überhaupt, neben dem Eingang ledig-
39
Historie_ Lateinamerika
1 Veracruz
2 Havanna
3 Santiago de Cuba
2
3
5 Santo Domingo
wurde auch der Andalusische Patio auf den neu-
de nicht überwiegend funktionell zur Erschließung
en Kontinent exportiert. Dadurch entstand dort
genutzt, sondern war als Garten mit dekorativen
ein eigener kolonialspanischer Baustil aus der
Pflanzen und Brunnen gestaltet, der dadurch ein
Vermischung von spanisch-andalusischen, mau-
angenehmes Mikroklima schuf. Umgeben war der
risch-islamischen und nativ-indianischen Traditio-
Patio von halboffenen Säulengängen, die neben
nen.
den Pflanzen ebenfalls Schatten und insbeson-
Die unzähligen neuen Stadtgründungen erfolgten
dere Wetterschutz boten. Häufig gab es einen
ab dem 16. Jahrhundert in strukturierter und ge-
zweiten Patio („traspatio“), der von den Bediens-
planter Art und Weise, wobei sich die Spanier an
teten genutzt wurde und an die Küche und andere
den Büchern Vitruvs orientierten. So entstanden
Haushaltsräume angrenzte.81
gleichmäßige Planstädte im Schachbrettschema
5
6
4 Campeche
ausschließlich zu diesen. Der zentrale Patio wur-
79
1
4
Mit den ersten spanischen Entdeckern Amerikas
6 Santa Marta
mit fast überwiegend flachdachigen, einstöckigen
Auch wenn die Kolonialmächte lokale Bau- und
Wohnhäusern, deren horizontalen Profillinien die
Wohnformen der nativen Bevölkerung größtenteils
Regelmäßigkeit und Uniformität des Stadtbildes
auslöschten, haben diese auf die kolonialspani-
unterstrichen.80 Innerhalb der einheitlichen Wohn-
sche Architektur eingewirkt. So lassen sich in äl-
blöcke („manzanas“ oder „cuadras“) grenzten die
teren, ehemals indigenen Stadtteilen noch soge-
länglichen, schmalen Grundstücke Mauer an
nannte „pationes” (große Patios) finden, die auch
Mauer aneinander.
als „tropische Hausgärten” bezeichnet werden. In diesen werden alltägliche Aktivitäten, ähnlich wie
Abb. 26: Stadtzentren lateinamerikanischer Städte
40
Um die Belichtung und Belüftung sicherzustel-
in traspatios ausgeübt, aber auch Vieh gehalten
len, ordnen sich die Zimmer im klassischen kolo-
oder Obst und Gemüse angebaut.82 Der Inka- und
nial-spanisch Wohnhaus-Grundriss um einen bis
Azteken-Einfluss wird auch in der städtebaulichen
drei rechteckige Innenhöfe an und öffnen sich fast
Anordnung von Gebäuden um einen zentralen
41
Platz („plaza mayor“) gesehen, wenn auch die re-
und Adelspalästen der Oberschicht.
gelmäßigen Straßenzüge durch den historischen
Heutzutage sind in nur wenigen Großstädten gut
römischen Einfluss entstanden . Ebenso besaßen
erhaltene Bauten der Kolonialzeit vorhanden, je-
Lehmziegel, das überwiegende Baumaterial kolo-
doch lässt sich in vielen lateinamerikanischen
nialer Wohnhäuser, bereits vor der Ankunft der
Städten und Dörfern das schachbrettartige Stra-
Spanier eine lange Tradition. Die Schmucklosig-
ßenmuster finden.84 Die meisten alten Wohnhäu-
keit der kolonialspanischen Häuser ist somit durch
ser wurden von modernen Wohn- oder Bürokom-
die Materialwahl begründet, da mit Lehm und Putz
plexen ersetzt, wobei sich gut erhaltene Beispiele
eine Nachahmung der dekorativen europäischen
kolonialspanischer Architektur heute insbesonde-
Steinarchitektur nur eingeschränkt möglich war.
re in Lima, Peru und den alten Städten Argenti-
83
niens, wie Córdoba und Salta finden. Darüber hinaus findet man in öffentlichen und staatlichen sowie sakralen Gebäuden oder ehe-
Durch die Einwanderung von Süd- nach Nord-
maligen Wohnhäusern der Oberschicht, den Ein-
amerika, vor allem durch Mexikaner, hat sich das
fluss des maurischen Erbes: den arabischen Kup-
Patiohaus auch in den Grenzregionen Kalifornien,
pelbau, Minaretten gleichende Kirchtürme, Spitz-
Arizona und New Mexico verbreitet und wurde
und Hufeisenbögen, Galerien, Balkone, Säulen
von der Bevölkerung adaptiert85.
und Arabesken. Der zur gleichen Zeit in Europa herrschende Barock bzw. Rokoko (ca. 1570 bis 1770) und Klassizismus (ca. 1770 bis 1840) fand sich später in Lateinamerika in ausschweifenden, Abb. 27: Haus mit Traspatio und Patio Abb. 28: Haus mit Halbpatios
42
dekorativen Elementen und expressiven, überschwänglichen Farben wieder, insbesondere an den ornamentierten Fassaden der Bürgerhäuser
43
Historie_ Architekturmoderne
Moderne Innenhöfe in Wohnhäusern wurden in
tischer Ebene entstanden87. Erst durch die neu
Europa zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Archi-
entstandene Stadtplanung wurde versucht, das
tekten aufgrund von vielfältigen Inspirationsquel-
Wachstum der Stadt in geregelte Bahnen zu len-
len und gesellschaftlichen Entwicklungen wieder
ken, in dessen Zuge unter anderem in Großbri-
aufgegriffen, wodurch unterschiedlichste Variatio-
tannien die bekannte Gartenstadtbewegung ent-
nen, Ab- und Umwandlungen sowie Neuinterpre-
stand88.
tationen des Patios entstanden. Mit dem steigenden Wohlstand der Bevölkerung, Im Rahmen der Verstädterung und einem signi-
aber auch aufgrund des mangelnden Lebens-
fikanten Bevölkerungswachstum in Europa durch
standards in den Städten, fand gleichzeitig eine
die Industrielle Revolution im 18. und 19. Jahrhun-
Rückkehr in beziehungsweise Aufwertung ländli-
dert fand eine enormes Wachstum und eine Ver-
cher oder suburbaner Bezirke statt, als Ausdruck
dichtung der Städte statt.86 Arbeits- und Wohnor-
der Sehnsucht nach Natur und Ursprünglichkeit.
te wurden vermehrt voneinenader getrennt . Auch
Im Gegensatz zum Stadtkern war hier genug Platz
neue technische Möglichkeiten durch Bauma-
vorhanden, was zur Entwicklung des klassischen
terialien wie Stahl, Glas oder bewehrtem Beton,
westlichen freistehenden Einfamilienhauses bei-
trugen dazu bei, dass Hochhäuser und Mehrfami-
trug. Unter Rückbesinnung auf großbürgerliche
lienhäuser in großer Zahl errichtet werden konn-
Villen und dem Einfluss der Gartenstadtbewegung
ten. Auf diese Weise trugen sie ökonomischen
aus England, aber auch durch die Kriegersiedlun-
Aspekten und Platzgründen Rechnung.
gen nach dem Ersten Weltkrieg, entstanden die ersten Einfamilienhaus-Siedlungen in Europa.
Abb. 29: Patiohaus Abb. 30: Alleinstehendes Einfamilienhaus
44
Jedoch fand dieser Bauprozess weitestgehend unreglementiert statt, wodurch vielfältige Schwie-
Das Einfamilienhaus wurde aufgrund der Tren-
rigkeiten auf gesundheitlicher, sozialer und poli-
nung von Arbeit und Wohnen zum Rückzugsort
45
und Ideal der bürgerlichen Kleinfamilie, das sich
busier oder Alvar Aalto, später auch durch Josep
in den 1960er Jahren durch den wirtschaftlichen
Lluis Sert, Marcel Breuer oder Jörn Utzon. Diese
Aufschwungs mehr und mehr Arbeiter und Ange-
blieben jedoch meist architektonische Einzelwer-
stellte leisten konnten.
ke, die sich als Wohntypologie nicht weiter ausbreiteten.
In Anbetracht dieser städtebaulichen Entwicklungen und als Antwort auf die damaligen historisierenden Neo-Stile, entstand die Klassische Architekturmoderne. Die Möglichkeit, neue Wohnsiedlungen und Stadtteile von Grund auf zu entwerfen, gab der Verwirklichung neuer Ideen und Ideale einen Aufschwung. Eines dieser neuen Ideale war auch das Gartenhofhaus, das in 1960er Jahren in Westeuropa und Nordamerika entwickelt wurde. Die meist eingeschossigen,
winkelförmigen
Wohnhäuser
umschließen einen hintenliegenden „Gartenhof” komplett oder er grenzt an die Außenmauern des Nachbargrundstücks an. Hier verschwimmt jeAbb. 31: Casa Sert
doch bereits die Grenze zwischen Patio, Innenhof,
von Josep Lluís Sert
Hinterhof und Garten.
Abb. 32: Casa con patios von Ludwig Mies van der Rohe Abb. 33: Gartenhofhaus
46
In den 1930ern entstanden bereits die ersten Häuser mit Patios durch Mies van der Rohe, Le Cor-
47
Historie_ Neuzeit
Abb. 34: Nordamerikanisches
In der modernen Architektur werden mit „Atrium-
In einzelnen Kulturen existiert das Wohnhaus mit
haus” Wohnhäuser mit den verschiedensten Varia-
Innenhof noch als traditionelle Bauform, wobei
tionen von Innenhöfen genannt. Sie können eine
diese im Rahmen der Internationalisierung und
Rasenfläche oder einen befestigten Boden haben,
Globalisierung von Architektur in seiner klassi-
unter freiem Himmel oder von einem Glasdach
schen Form an Bedeutung verliert. Zwar gewan-
geschlossen sein, oder einfache innenliegende
nen im Zuge der Nachhaltigkeitsdebatte Grünflä-
Räume mit einem großen Anteil an Glas- oder
chen sowie natürliche Belichtung und Belüftung
Fensterflächen sein. Moderne Innenhöfe finden
wieder an Bedeutung, jedoch führen der Bevöl-
sich in privaten, gewerblichen, industriellen und
kerungswachstum, die anhaltende Landflucht und
öffentlichen Bauten, in denen sie vielerlei Funktio-
Verstädterung sowie die Immobilienwirtschaft zu
nen dienen können.
einer generellen Wohnungsknappheit in westli-
Heutzutage werden Wohnhäuser mit Innenhof
chen Städten, wodurch Innenhöfe auch als Platz-
hauptsächlich in Nordafrika, im Nahen Osten und
verschwendung angesehen werden oder als rein
angrenzenden Regionen, wie in mediterranen
funktionelle Bereiche gebaut werden.
Ländern und im gesamten Mittelmeerraum ge-
Es ist schwierig eine allgemeingültige Aussage
baut, somit vorwiegend in heiß-trockenen, mode-
über die weltweite Ausbreitung und Relevanz von
raten oder warm-feuchten Klimazonen.
Jedoch
Patios und Wohnhäusern mit Innenhof zu treffen.
lässt sich feststellen, dass in Europa nach wie vor
Man kann sagen, dass im derzeit vorherrschen-
das freistehende Einfamilienhaus mit umliegen-
den internationalen Architekturstil Patios keine
dem Garten die vorherrschende Wohntypologie
signifikante Rolle spielen, wobei sie mit Sicherheit
ist, neben mehrgeschossigen Mehrfamilien- und
in entsprechenden Klimazonen und Kulturen nach
Hochhäusern mit Miet- und Eigentumswohnun-
wie vor in Neubauten integriert werden.
89
gen in den Städten.
Patio-Haus
48
49
Eigenschaften_ Räumliche Eigenschaften Nutzungsmöglichkeiten Begriffliche Abgrenzung Qualitäten
51
Eigenschaften_ Räumliche Eigenschaften
Nachdem die historische Entwicklung und die
grenzung an die Grundstücksmauern ist möglich,
Nutzungsmöglichkeiten von Innenhöfen betrach-
die entweder direkt an Nachbarhäuser oder den
tet wurden, soll an dieser Stelle eine qualitative
öffentlichen Raum anschließen.
Beschreibung der Eigenschaften und vielfältigen Qualitäten des Patios erfolgen.
Für den Entwurf eines Innenhofs sind für den Architekten unter anderem zu beachten: die Ge-
Der Innenhof als Architekturelement ist, wie be-
staltung der Eingangssequenz (direkter Einblick
reits eingangs beschrieben, ein innerhalb eines
von der Straße möglich oder durch Verwinkelung
Gebäudes liegender Bereich, der weitestgehend
verhindert), die Platzierung innerhalb des Gebäu-
nicht überdacht ist. Im „Wörterbuch der Architek-
des (zentral oder nicht), die Orientierung (abhän-
tur” wird Patio als „geschlossener Innenhof eines
gig von der Lage, Klimazone und beabsichtigten
Gebäudes, häufig mit Umgängen”90 beschrieben.
Nutzung), die Form (rechteckig, quadratisch, rund;
Entscheidend scheint in jedem Fall die räum-
symmetrische oder unregelmäßige Gestaltung),
liche Begrenzung des Hofes in der Horizontalen
das Seiten- und Höhenverhältnis (davon abhängig
zu sein, wobei er sich vertikal zum Himmel öffnet.
die Verschattung beziehungsweise Belichtung),
Teile des Innenhofs können gegebenenfalls über-
die Vegetation (Position und Art der Bepflan-
dacht sein, zum Beispiel durch an den Seiten lie-
zung), die Fassadengestaltung (Anzahl, Position
gende, halboffene Gänge oder Überdachungen.
und Größe der Öffnungen, Nutzung von Arkaden),
Der Boden des Hofes kann versiegelt sein oder
Oberflächengestaltung und Materialwahl sowie
nicht, wobei ersteres häufiger zu finden ist in Form
die Vertikale Zirkulation (Durchwegung, Treppen)
von Pflasterung oder Betonierung. Im Falle eines
des Patios.91
zentral innerhalb eines Gebäude liegenden Hofes, Abb. 35: Typologie Patio
52
erfolgt die räumliche Begrenzung durch die umliegenden Räume. Aber auch eine teilweise An-
53
Eigenschaften_ Nutzungsmöglichkeiten
Betrachtet man die historische Entwicklung des
Klimatische Funktionen
Patios über die Jahrtausende hinweg, so fällt ein
eine entscheidende Rolle bei der möglichen Nut-
allgemeiner Trend auf, der von der rein funktionel-
zung des Innenhofs und der umliegenden Räume,
len Nutzungen, hin zur Betonung von dekorativen
die sich auch, je nach Jahreszeit, abhängig von
und sozialen Aspekten unter gleichzeitiger Er-
der Sonneneinstrahlung oder Wetter anpassen
haltung des funktionalen Nutzens verläuft. Diese
und ändern kann.92 Als Architekturelement bietet
Entwicklung ist auch in der allgemeine Weiter-
ein Innenhof die Möglichkeit der natürlichen Be-
entwicklung von menschlichen Behausungen zu
lüftung und Belichtung, wenn zum Beispiel Öff-
begründen, da „Luxus”, im Sinne von dekorativen
nungen in den Außenmauern nicht möglich oder
Räumen zur Entspannung, erst mit einem be-
erwünscht sind oder aus anderen entwurfstechni-
stimmten Wohlstand und technischen Möglich-
schen Gründen. Die Reinform eines lediglich aus
keiten in dem uns heute bekannten Maß möglich
funktionellen, klimatischen Gründen genutzten In-
wurde.
nenhofes wäre zum Beispiel ein Lichthof, der noch
Das Klima spielt
nicht einmal betretbar sein muss. An dieser Stelle erfolgt eine zusammenfassende Darstellung der vielfältigen Funktionen und Nutzungen, die Innenhöfe historisch erfüllt haben.
55
Regenwassersammlung Die Offenheit des
Strukturgebende Funktion
Ein zentral
Koch- und Arbeitsraum Begonnen bei den
Tierhaltung Wenn der Innenhof genug Platz bot,
Innenhofs wurde nicht nur zur Belichtung und Be-
liegender Innenhof kann die Struktur eines Ge-
frühen Innenhöfen in Mesopotamien und im alten
wurde er in manchen Kulturen auch zur Tierhal-
lüftung genutzt, sondern ermöglichte ebenfalls
bäudes als Gliederungselement entscheidend
Ägypten war die vermeintlich vorrangige Nutzung
tung genutzt. Durch die Abgeschlossenheit des
den Auffang von Regenwasser in einem Becken,
bestimmen und je nach Entwurf zum „Herz” des
als Koch- und Arbeitsraum, da sich in diesem die
Raumes waren die Tiere geschützt und konnten
das dann gegebenenfalls in eine Zisterne weiter
Gebäudes und Ordnungsmittel für den gesamten
offene Feuerstelle des Hauses befand. Insbeson-
nicht fliehen, befanden sich aber dennoch unter
geleitet werden konnte. Vorrangig als alltägliches
Grundriss werden. In diesem Fall ordnen sich die
dere die Frauen des Hauses hielten sich in diesem
freiem Himmel. Kleintiere wie Hühner, Kannin-
Nutzwasser, gewann dieses Becken später auch
Wohnräume um den Innenhof und richten sich zu
auf und erledigten die täglichen Hausarbeiten.
chen oder Hunde konnten problemlos selbst auf
an dekorativ-ästhetischem Wert, auch durch seine
diesem aus. Ist die Rolle des Innenhofs im Ent-
Später wurde in manchen Fällen für die Haus-
recht kleinen Flächen gehalten werden, aber auch
Reflektion und Spiegelung. Nebenbei haben Was-
wurf eines Wohnhauses programmatisch vorherr-
arbeiten und das Personal ein eigener Innenhof
Ziegen, Schafe oder Großvieh wurden bei ent-
serflächen einen nachweisbar positiven Effekt auf
schend, spricht man zum Beispiel von einem Hof-
(traspatio) angelegt, um diese vom Innenhof der
sprechendem Platz dort gehalten oder zumindest
das Mikroklima des Innenhofes, sowohl bezüglich
haus oder „casa patio”.
Familie zu trennen.
nachts zum Schutz hinein geholt.
der Temperatur als auch der Luftfeuchtigkeit. Darüber hinaus repräsentiert Wasser sowohl Leben und Kühle, als auch Frische und Reinheit. Die Oberfläche fängt das Licht und reflektiert den Himmel, seine Tiefe deutet auf das erdene Innere, das für uns nicht sichtbare und begreifbare der Welt hin.93 Das Wasserbecken kann auch zur Kühlung von Lebensmitteln oder gar zum Verstecken von Wertgegenständen dienen.94
56
57
Esszimmer und Aufenthaltsraum
Eine
Eingangs- und Empfangsraum
Zu eini-
Entspannung und Miteinander
Je mehr
Dekorative Funktion
Sobald der Patio als
weitere, vermutlich seit Anbeginn vorhandene
gen Zeiten wurde der Patio als Empfangsraum für
die alltäglichen Hausarbeiten in eigene Räume
Aufenthaltsraum genutzt wurde, entstand wahr-
Funktion, ist die Nutzung als Aufenthaltsraum für
Gäste und Geschäftspartner genutzt, damit diese
verlegt wurden, desto mehr gewann der Patio an
scheinlich auch der Wunsch seine Aufenthalts-
die Familie und Hausbewohner. Der Innenhof war
nicht in die privaten Räume der Familie gelang-
Aufenthaltsqualität. Hier trafen sich die Kinder der
qualität weiter zu steigern. Mit Hilfe von dekora-
dabei sowohl der räumliche Mittelpunkt, als auch
ten. Dies war insbesondere möglich, wenn zwei
Familie zum Spielen
oder die Erwachsenen für
tiven Mitteln wie Vegetation, Wasserspielen oder
der häusliche Mittelpunkt des sozialen Lebens.
oder mehr Innenhöfe vorhanden waren, sodass
eine gesellige Pause. Durch die Abgeschlossen-
Zierbrunnen, aber auch Kunstelementen wie
Als Speiseraum war er der zentrale Treffpunkt der
es einen halböffentlichen und für alle Besucher
heit zur Straße, dem öffentlichen Leben, ist der
Skulpturen, Malereien, Wandgemälden oder Mo-
Familienmitglieder und wurde in entsprechenden
zugänglichen, sowie einen privaten Innenhof le-
Innenhof ein ruhiger, privater Rückzugsraum, in
saiken, wurde der Innenhof verschönert. Auch
Klimazonen teilweise zum Schlafen genutzt.
diglich für die Hausbewohner gab. Auch konnte
dem man sich unbeobachtet entspannen kann,
die Materialwahl gewann an Bedeutung sowie die
durch den einzelnen Eingang der Zugang zum
ein wichtiger Aspekt für Frauen und Kinder.
gesamte ästhetische Komposition, wodurch der
58
95
Haus problemlos und für jeden sichtbar kontrol-
Innenhof zu einem durchgestalteten Zierelement
liert werden.
wurde.
59
Garten oder Grünfläche Ein Innenhof kann
Soziales Kommunikationsmittel In einigen
teilweise oder komplett begrünt sein und als Zier-
Kulturen zeugte bereits die Existenz eines Patios
Philosophische und religiöse Bedeutung In vielen Kulturen hatte der Innenhof auch
oder seltener auch als Nutzgarten dienen. Ist die
im Haus einer Familie von deren Wohlstand, aber
eine philosophische beziehungsweise religiöse
Bodenfläche versiegelt, werden häufiger Topf-
auch dessen architektonische und dekorative Ge-
Funktion, oder zumindest eine solche Bedeutung.
pflanzen genutzt, Rasenflächen oder Erdbereiche
staltung gab Aufschluss über den sozialen Stand
In ihm konnte rein praktisch der Hausaltar ste-
zur Anpflanzung sind aber auch möglich. Diese
der Hausbewohner. Patios waren Zeugnisse so-
hen, in ihm wurde gebetet oder Opfergaben dar-
Gartenhöfe können unter ästhetischen Aspekten
wohl des Reichtums als auch der gesellschaftli-
gebracht. Die Referenz des innenliegenden, be-
bis ins Detail durchgeplant oder eher natürlich be-
chen Bedeutung ihrer Erbauer beziehungsweise
schützten und privaten Bereiches zum göttlichen
lassen sein. Ihre Begrenzung kann durch Mauern,
Besitzer und dienten demnach der sozialen Ab-
Paradies hin ist naheliegend, was sich auch in
Zäune, Pergolen, Lattenwänden oder Glaswänden
grenzung. In dem Sinne gewann der Innenhof eine
zahlreichen Dekorationselementen wie Brunnen,
oder Hecken gebildet werden.
symbolische Funktion, um den Familienstatus
Wasserspielen, Pflanzen und Skulpturen ausdrü-
auszudrücken und ebendiesen direkt an Hausbe-
cken konnte. Bereits die häufig vorliegende qua-
sucher zu kommunizieren.97
dratische Grundform deutet auf Vollkommenheit
96
und Gleichmäßigkeit, somit auf Göttlichkeit hin.
60
61
Eigenschaften_ Begriffliche Abgrenzung
Atrium Ursprünglich bezeichnete man als Atrium
Peristyl Das Peristyl (griechisch peri - „um her-
den zentralen Innenraum eines römischen Ge-
um“, stylos - „Säule“) ist eine bestimmte Gestal-
bäudes, der durch eine Deckenöffnung belichtet
tungsform eines rechteckigen Innenhofes, in der
wurde, somit kein Innenhof im eigentlichen Sinn.
dieser an allen vier Seiten von Säulenhallen (Ko-
Später wurde der Begriff vor allem für den Vor-
lonnaden) umgeben wird. Diese Innenhoftypo-
hof von repräsentativen Gebäuden und frühchrist-
logie stammt aus der antiken griechischen und
lichen Kirchen genutzt. Heutzutage wird Atrium für
römischen Architektur und wird heutzutage selten
alle Arten von Innenhöfen verwendet, am meisten
verwendet, da durch bautechnische Entwicklun-
für mit Glas überdachte Bereiche.
gen freischwebende Vordächer möglich geworden sind.
63
Terrasse Als Terrasse bezeichnet man eine be-
Pavillon Den Pavillon kann man als Gegensatz
Lichthof Ein Lichthof ist im deutschen Sprach-
Hinterhof
festigte, meist gepflasterte, Fläche, die direkt an
des Innenhofs verstehen: Ist letzterer an allen
gebrauch
unbedachter
nicht innerhalb, sondern hinter einem Gebäude
eine oder mehrere Außenseiten eines Gebäudes
Seiten geschlossen und öffnet sich lediglich zum
Schacht, der zur Belichtung der angrenzenden
liegenden Hof, der meist als Parkplatz, Abstell-
anschließt. Dieser externe Bereich kann komplett
Himmel, so ist der Pavillon stets von einer Dach-
Räumlichkeiten dient, entweder innerhalb eines
oder hauswirtschaftliche Nutzfläche anderer Art
überdacht sein, jedoch ist er zu den Seiten hin
fläche bestimmt und an den Seiten weitestgehend
Gebäudes oder zwischen mehreren, nahestehen-
dient. Im Deutschen hat der Begriff „Hinterhof”
weitestgehend frei und erlaubt einen horizontalen
offen. Im Deutschen bezeichnen Pavillons leichte
den Häusern. Häufig ist er in dicht bebauten Städ-
einen eher negativen Beiklang, der durch schlecht
Ausblick. Sie ist auch als Dachterrasse auf einem
freistehende Bauwerke, die meist in Gärten oder
ten zu finden, zwischen mehrgeschossigen Wohn-
geplante Restflächen und mangels baukünstleri-
Flachdach möglich.
Parks zu finden sind, was sich auch in der Wort-
häusern zur natürlichen Belichtung und Belüftung.
scher Gestaltung ohne Aufenthaltsqualität zwi-
herkunft vom lateinischen „papillio” (Schmetterling
Der Lichthof hat durch seine Proportionen - kleine
schen Häusern entstanden ist. Selbstverständlich
oder übertragen „Lustzelt”) widerspiegelt.
Grundfläche und große Höhe - häufig keine Auf-
kann ein Hinterhof ebenso ansprechend gestaltet
enthaltsfunktion und ist teilweise nicht einmal zu-
sein, wie jeder andere Hof, zum Beispiel im Falle
gänglich.
eines hinten liegenden, geschützten Gartenhofs,
meist
ein
schmaler
Als Hinterhof bezeichnet man einen
denn im Prinzip ist der einzige Unterschied seine Lage nicht im Zentrum, sondern im hinteren Teil des Grundstücks.
64
65
Vorhof Der Vorhof ist einem Gebäude vorgela-
Hof Wie bereits am Wort erkennbar, muss ein Hof
Tiefhof
Eine eher seltene Abwandlung des In-
Platz Im übertragenen Sinn ist ein Platz ein städ-
gert und ist ein semi-öffentlicher Übergang zum
nicht innerhalb eines Gebäudes liegen. Als Hof
nenhofs stellt der Tiefhof dar, der in den Boden
tebaulicher Innenhof, eine von Gebäuden um-
privaten Grundstück, der teilweise überdacht sein
wird im Deutschen auch ein Gebäudekomplex
hinein versenkt ist. Dies kann aus gestalterischen,
gebene Freifläche innerhalb der Stadt, der dem
kann. Vor allem ist er bei repräsentativen und öf-
beschrieben, der sich um eben einen solchen an-
aber auch aus funktionalen Gründen geschehen,
öffentlichen Leben und sozialen Miteinander ge-
fentlichen Bauten zu finden, wie Palästen oder Sa-
ordnet. Höfe sind generell eher große Freiflächen,
da durch die Absenkung der Raum sowohl visu-
widmet ist. In vielen Städten lässt sich ein zentra-
kralbauten, wo er ebenfalls eine kultische Funk-
die zwischen einem oder mehreren Gebäuden
ell verlängert als auch eine größere Verschattung
ler Platz (Spanisch „plaza central”) als Mittelpunkt
tion besitzen kann.
liegen. Diese besitzen nicht unbedingt eine hohe
erreicht werden kann. Weidinger weist darauf hin,
der Stadt finden um den sich die wichtigsten öf-
Aufenthaltsqualität, sondern dienen eher der Er-
dass sich im Falle einer naheliegenden Straße, die
fentlichen Gebäude anordnen. Plätze können aber
schließung oder als Nutzfläche, zum Beispiel für
schweren Abgase des Verkehrs im Tiefhof sam-
auch kleiner sein, jedoch eint sie, dass meist ihre
Alltagsarbeiten oder zum Parken. Stilisiert wurde
meln können, weshalb in so einem Fall dieser aus
Aufenthaltsqualität durch Begrünung, Monumen-
der Hof als Ehrenhof der U-förmigen Schlossan-
gesundheitstechnischen Gründen nicht zu emp-
te, Brunnen oder andere dekorative Mittel sowie
lagen im Barock.
fehlen sei.100
Sitzmöglichkeiten aufgewertet wird.
Sprachlich und typologisch verwandte Formen sind der Bauernhof, Werkhof, Klosterhof, Freihof, Schlosshof, Schulhof, Kaufhof, Wirtschaftshof und Friedhof.98 Allgemein gesprochen lassen sich unendliche Variationen eines Wohnhauses mit Innenhof erdenken, wie zum Beispiel ein Atriumhaus, ein Hofhaus in U-Form, ein Winkelhofhaus oder ein Hofhaus mit zwei Höfen (H- oder T-Form). In Siedlungsverbünden entstehen dadurch sogenannte Teppichsiedlungen oder Kettenhaus-Siedlung.99
66
67
Eigenschaften_ Qualitäten
Laut Schoenauer sind psychosoziale, ökonomi-
Funktional Die vielfältigen Funktionen und Nut-
sche, klimatische und religiöse Aspekte des Pa-
zungsmöglichkeiten des Patios wurden im voran-
tios entscheidend für seine weite Verbreitung und
gegangen Kapitel bereits erläutert. In den frühen
Akzeptanz in verschiedensten Kulturen.
Im Fol-
Kulturen stand der funktionale Mehrwert durch
genden wird exemplarisch dargelegt, welche viel-
entsprechende Raumnutzung im Vordergrund:
fältigen Qualitäten der Patio für Menschen bieten
durch die Offenheit des Patios ermöglichte er die
kann.
einfache Entlüftung der offenen Feuerstelle und
101
diente somit zum Kochen. Durch die gleichzeitige Geschütztheit vor Wettereinflüssen wurde er zum geschützten Arbeiten im Freien oder zur Versammlung genutzt, denn durch seine Lage funktionierte er ebenso als zentraler Erschließungspunkt. Dieser rein funktionale Mehrwert des Patio ist unumstritten, jedoch spielen für seine weltweite Verbreitung andere Aspekte eine größere Rolle.
69
Psychosozial Einer der wichtigsten Gründe für
Innenhofes als Kommunikationsmittel dienen,
Klimatisch & ökologisch Im elementarsten
Ökonomisch
die Entstehung des Patios ist die Privatsphäre,
um den gesellschaftlichen Status an Besucher zu
Sinne bietet ein Innenhof Schutz vor Sonnenein-
punkten mag ein Innenhof nicht auf den ersten
die er bieten kann. Bereits von Anbeginn der Zeit
kommunizieren. Abgesehen von all diesen Aspek-
strahlung und Wind, relevant insbesondere in ari-
Blick sinnvoll erscheinen, jedoch ermöglicht er,
strebten Menschen nach sicheren, schutzbieten-
ten, bietet ein ästhetisch gestalteter Innenhof ei-
den Wüstenzonen und tropischen Klimata, aber
wenn geschickt geplant wird, eine größere Dichte
den Wohnformen. Der Innenhof bietet durch seine
nen enorme Aufenthaltsqualität, die Wohlbefinden
auch im gemäßigten, nördlichen Klima als Puf-
in Einfamilienhaus-Siedlungen, da diese direkt an-
innere Lage eben diesen Schutz, aber ermöglicht
und Entspannung in Menschen hervorrufen kann,
ferzone gegen Wind und Wetter.
In wärmeren
einander angrenzend gebaut werden können ohne
gleichzeitig den Kontakt zur Natur und Umwelt.
quasi als natürliches, kostengünstiges und un-
Gegenden bietet ein begrünter und idealerweise
Verlust des privaten Außen- bzw. Gartenbereichs.
Privatheit, Sicherheit und Ruhe sind entscheiden-
kompliziertes Mittel zur Stressreduzierung inner-
mit Wasserflächen versehener Innenhof eine na-
Gesamtwirtschaftlich betrachtet kann außerdem
de Aspekte, die ein Innenhof bieten kann - Wer-
halb der eigenen vier Wände. Der generelle Bezug
türliche Unterstützung zur Kühlung und Belüftung
eine bessere Luftqualität in Städten auch durch
te, die man als universell menschlich bezeichnen
zur Natur, dem Erleben der Jahreszeiten und die
des Hauses. Neben der effektiven Luftzirkulation
mehr Grünflächen in Privathäusern sowie deren
mag. In frühen Kulturen stand insbesondere der
Nähe zur Witterung stellen weitere Qualitäten des
kann im Innenhof ein zeitweiliges Wärmepolster
vermehrt unversiegelten Bodenflächen zum allge-
Schutz des Grundstücks und der Hausbewohner
Innenhofs dar.
entstehen, das durch entsprechende Bepflanzung
meinen Wohlbefinden der Bevölkerung beitragen
vor wilden Tieren oder vor feindlichen Stämmen
Ein interessanter Aspekt, den Dröge & Fischba-
und Verschattung unterstützt werden kann.105 So
und somit langfristig Kosten für vermeintliche Ge-
im Vordergrund102, wobei wir uns heutzutage eher
cher nennen, ist, dass die intime Ruhe und Ab-
bietet der Innenhof durch Temperatur, Luftbewe-
sundheitsschäden verringern.
vor den neugierigen Blicken der Nachbarn oder
geschiedenheit und des Patios Konzentration
gung und Luftfeuchtigkeit ein eigenes Mikroklima,
In Wohnhäusern kann durch die mikro-klimatische
Passanten schützen wollen. Auch der Schutz vor
und gar Meditation fördert und gleichzeitig den
das die Aufenthaltsqualität entscheidend beein-
Funktionsweise eines Innenhofs zur natürlichen
Verkehrs- und Stadtlärm bei gleichzeitiger Offen-
Wunsch nach sozialen Kontakten eher anregt,
flusst.
Zusätzlich zu den genannten mikroklima-
und somit kostensparenden Belichtung, Belüftung
heit des Raumes unter freiem Himmel ist eine
da im Gegensatz dazu das Ausgeliefertsein und
tischen Aspekten sind begrünte und bepflanzte
und Kühlung des Gebäudes beitragen, was Heiz-
wichtige Qualität des Innenhofes.
nicht zu vermeidende Begegnungen, gar Belästi-
Innenhöfe generell ökologisch wertvoll, da unter
und Kühlungskosten senken kann.
Auf sozialer Ebene ermöglicht der Innenhof zwi-
gungen, eher zu einer kompletten Ablehnung und
anderem in verschiedenen Studien festgestellt
schenmenschliche Begegnungen und ist eine
dem Wunsch nach Abgeschlossenheit führe.
wurde, dass diese positiv zur Artenvielfalt in Flora
Plattform, ein zentraler „Lebens- und Erlebnis-
104
106
Unter ökonomischen Gesichts-
und Fauna beitragen.107
raum”103 für das gemeinsame Leben der Hausbewohner. Gleichzeitig kann die Gestaltung des
70
71
Spirituell Die Aufladung des Innenhofes mit sym-
Gesellschaftlich Auf gesellschaftlicher Ebene
bolischen, insbesondere religiösen Werten fand
ist der Patio in manchen Kulturen als historisches
vermutlich bereits in den frühesten Kulturen statt.
kulturelles Erbe zu betrachten, dessen Erhaltung
Als spiritueller Zugang zum Himmel konnte im In-
und Weiterentwicklung von Bedeutung ist111. Lei-
nenhof den Göttern gehuldigt werden Auch seine
der verschwindet das Wohnhaus mit Innenhof,
spätere quadratische, gleichmäßige Form ver-
als „Urform der Behausung”112, durch vielfältige
deutlicht das Göttliche. Die ästhetisch anspruchs-
Faktoren, insbesondere aber durch die fortschrei-
volle Gestaltung mit Pflanzen, Brunnen und an-
tende die Globalisierung, mehr und mehr. Selbst
deren verschönernden Elementen als schattige
in arabischen und lateinamerikanischen Ländern,
Oase, deutet auf seine Bedeutung als Sinnbild
wo diese Wohnhaustypologie eine traditionelle,
des Paradieses hin . Fließendes Wasser, als le-
einheimische Wohnform darstellt, ist er immer sel-
bensspendendes Element, spielte ebenfalls eine
tener zu finden.
108
wichtige Rolle, insbesondere für Bewohner arider Klimazonen, aus deren Erfahrung mit Wasserknappheit eben dieses extrem wertvoll war.109 Der Innenhof gilt als „Raumsymbol der Innerlichkeit“, auf ihn trifft, laut Johannes Spalt, der Mythos zu, eine „Insel der Glückseligen” zu sein, welcher Nähe zum Archetypus der Mutter aufweist, als Symbol von Weiblichkeit.110
72
POR The sun was gone, but she had left his footprints in the
sky. It was the time for sitting on porches beside the road. It was the time to hear things and talk. These sitters had been tongueless, earless, eyeless conveniences all day long. Mules and other brutes had occupied their skins. But now, the sun and the bossman were gone, so their skins felt powerful and human.113
Definition_ Etymologie Sprachliche Definition
77
Definition_ Etymologie
Das spanische Wort „porche” wurde aus dem
che von Kirchen und öffentlichen Gebäuden, aber
Englischen von „porch” übernommen, das vom
auch auf das römische „Vestibul” hin116.
lateinischen „porta” (Eingang, Tür, (Stadt-)Tor) und „porticus” (Kolonnade, Arkade, überdachte Gale-
Die vielfältigen Begrifflichkeiten, die es in der eng-
rie) über das altfranzösische „porche” (Portalvor-
lischen Sprache gibt, lassen sich nach Visser117
bau, Vorhalle) hergeleitet wird.
in vier Kategorien einteilen: Mit dem weiten, zeitgemäßen Begriff „porch” synonym verwendbare
Der lateinische Begriff stammt vom proto-in-
Begriffe, die aber gegebenenfalls andere Nuancen
do-europäische Wortstamm per-, der so viel be-
und regionale oder historische Funktionen be-
deutet wie „(ein-)führen, überschreiten, -treten” und
inhalten (veranda, piazza, gallery); spezifische For-
wurde als „portic” um 1300 direkt ins Englische
men (portico, loggia, colonnade); eindeutig identi-
eingeführt.114 Einige Quellen erwähnen ebenfalls
fizierbare Stile (Gothic Revival, Italianate, Queen
eine Verwandtschaft mit den katalanischen Be-
Anne), sowie Begriffe, die Elemente oder Eigen-
griffen „porxe” und „porxo”.
schaften des porch beschreiben (columns, balustrades, brackets).
Die direkte Übersetzungen des spanischen Wortes „porche” ins Deutsche erfolgt meist als Veranda oder Vorhalle. Zum englischen „porch” gibt es unzählige weitere Übersetzungen wie Veranda, Portal, Schutzdach, Vorbau, -dach, -halle, Wetterdach und Windfang.115 Hier ist allerdings eine synonyme Verwendung nicht immer möglich. Die französische Wortherkunft deutet insbesondere auf die Eingangsberei-
79
Definition_ Sprachliche Definition
Laut dem Oxford und Cambridge Dictionary be-
reich eines Wohnhauses, der meist halboffen mit
schreibt das englische Wort „porch” einen „ge-
Säulen und einem Geländer versehen und vom
schützten, überdachten Unterstand oder eine
Boden leicht erhöht ist.
Struktur vor dem Eingang eines Gebäudes”, beziehungsweise im nordamerikanischen Sprachraum
Generell lässt sich feststellen, dass es sich um
die „Veranda” .
einen Bereich vor dem Hauptraum eines Gebäu-
118
des handelt, der durch eine Überdachung oder Der Duden definiert eine Veranda als einen „über-
Auskragung geschützt ist und somit als Teil des
dachten [an drei Seiten verglasten] Vorbau an einem
Hauses begriffen wird. Die jeweilige Ausformung
Wohnhaus”, was eine überraschend spezifische
ist dabei, je nach Gebäudetyp unterschiedlich und
Beschreibung ist. Im Gegensatz dazu zeigt eine
nicht enger definiert. Es können unterschiedlichs-
Bildersuche auf Google unzählige verschiedene
te Materialien zum Einsatz kommen und weltweit
Typologien, die an die oben genannte Vielfalt an
lassen sich vielfältige Struktur-, Gestaltungs- und
englisch-deutschen Übersetzungen erinnert.
Dekorationselemente je nach Funktion, Ort, Klima und Kultur finden.
Im Spanischen wird „porche” als „überdachter Bereich an die Fassade eines Gebäudes anschließend” oder „hoher und meist gepflasterter Bereich, der vor einigen Tempeln und Palästen zu finden ist” definiert.119 Die lateinamerikanische Typologie, von dem die Abb. 36: Typologie Porche
80
Auseinandersetzung in dieser Vertiefung angeregt wurde, ist der überdachte Vor- und Eingangsbe-
81
Historie_ Ursprung Antike Ă–stliche Architektur Mittelalter und Renaissance Kolonialarchitektur Lateinamerika Nordamerika Neuzeit
83
Historie_ Ursprung
Der tatsächliche Ursprung des lateinamerikani-
etwa 4500 v. Chr.) wurden „porticos”, getragen
schen Porche verbleibt aufgrund der genannten
von Stützen oder Säulen, an Wohnhäusern errich-
nicht eindeutig definierten Typologie und dem
tet, vermutlich um Schatten zu spenden und um
Mangel an historischen Zeugnissen umstritten.
als geschützter Arbeitsraum zu dienen.122 Auch in
Die genaue Diffusion durch und in die spanische,
Tempelanlagen und anderen Sakral- und Königs-
französische, britische, niederländische, afrika-
bauten lassen sich beeindruckend dimensionierte
nische, amerikanisch-indigene und karibische
Säulenvorhallen finden.
Kultur wird unter Anthropologen und Historikern diskutiert und kann im Anschluss lediglich exem-
Bereits in der Bibel gibt es, laut Visser, unzählige
plarisch dargestellt werden.
Verweise auf „porch” (ulam), zum Beispiel in Be-
120
schreibungen des Tempels von König Salomon. Fest steht, dass es sich um ein sehr altes und
Auch eine Abstammung von den westafrikani-
weitverbreitetes Architekturelement handelt, das
schen „shot gun” Häusern wird diskutiert, ebenso
sich in vielerlei Kulturen seit Anbeginn der Sied-
haben Archäologen ähnliche Holzstrukturen in Ir-
lungsgeschichte der Menschen findet. Vermeint-
land von etwa 2000 v. Chr. gefunden.123
lich kann das Konzept eines überdachten Eingangsbereiches bis hin zu den überhängenden Steinstrukturen in prähistorischen Zeiten zurückverfolgt werden.121 Abb. 37: Tempel Dendur, Metropolitan Museum of Art, New York, USA Abb. 38: Ägyptische Tempelanlage
84
Als einer der ersten Nachweise für überdachte Eingangsbereiche außerhalb des Hauses werden Zeichnungen in ägyptischen Hieroglyphen bewertet. Während des Alten und Mittleren Reiches (um
85
Historie_ Antike
Im antiken Griechenland wurden Kolonnaden, be-
sakralen und öffentlich-repräsentativen Gebäuden
ziehungsweise „stoae“ (überdachte Säulengänge),
und weniger als Vorräume privater Wohnhäuser
im öffentlichen Raum als geschützte Geh- und
errichtet wurden. Die klassischen römischen Tem-
Aufenthaltsbereiche genutzt. Die halboffenen und
pelanlagen weisen halboffene Säulengänge auf,
semi-öffentlichen Säulenhallen konnten für eine
die als Zwischen- und Vorbereich zum sakralen
Vielzahl von zwischenmenschlichen Begegnun-
Raum dienten.124
gen und Aktivitäten genutzt werden. Durch die Stadtplanung, die zur damaligen Zeit eiAuf der athenischen Agora findet sich zum Bei-
nem strengen Raster folgte, waren „Vorhöfe” oder
spiel die „stoa poikile” (500 v. Chr.), die als Lehrort
andere Bereiche vor dem Haus nicht vorgesehen,
diente und nach der die „stoische” Philosophie
oder kulturell nicht benötigt oder verbreitet. Die
benannt wurde. Die „Stoa des Attalos” (159 - 138
Empfangsfunktion des Porche erfüllte das Vesti-
v. Chr.) und die „Karyatiden” (ca. 421-405 v. Chr.)
bul oder der Patio, beziehungsweise das spätere
sind weitere herausragende Beispiele antiker grie-
Peristyl.
chischer Vorhallen. In den privaten Wohnhäusern verschwand der semi-private Eingangsbereich des „megaron“ mit Abb. 39: Korenhalle des Erechtheion, Akropolis, Athen,
der Weiterentwicklung zu fortgeschrittenen Wohntypologien und fand sich als Säulenumgang eher
Griechenland
in privaten Innenhöfen wieder, wie sie im Kapitel
Abb. 40: Stoa des
Historie des Patios näher erläutert werden.
Attalos, Athen, Griechenland Abb. 41: Augustus-Tempel, Pula, Kroatien
86
In der römischen Architektur entwickelten sich ebenfalls Kolonnaden, die überwiegend vor und in
87
Historie_ Östliche Architektur
Einige Quellen besagen, dass „Veranda” vom
Eine ähnliche Typologie des überdachten Vor-
Hindi „varaṇḍā” und dem bengalischen „bārāṇḍā”
raums existiert in Japan als „engawa” (縁側), aus
abstammt, wobei es ebenso Theorien gibt, die
„en” (Rand, Kante, Grenze) und „gawa” (Seite) zu-
diese Wörter bereits auf den frühen spanischen
sammengesetzt, oder auch einfach „en” (縁).
und portugiesischen Einfluss (varanda) in Indien
Dieser schmale Umgang aus Holz oder Bambus
zurückführen .
existiert in vielerlei Formen und Abwandlungen.
Als erste Quelle wird das Tagebuch des portugie-
Normalerweise läuft der „en” um die transluzenten
sischen Entdeckers Vasco da Gama auf seiner
„shōji“ Außenwände der Innenräume des Gebäu-
Reise nach Calicut, heute Kozhikode, Indien, im
des herum. Durch seine Überdachung ermöglicht
Jahr 1498 angesehen, womit ein späterer „Re-
er die geschützte, wetterunabhängige Öffnung
Import” nach Europa im 18. Jahrhundert wahr-
des Hauses, auch zur Belichtung und Belüftung,
scheinlicher ist.126
wobei mit einem leichten Gefälle das Regenwas-
Somit ist die Herkunft nicht indisch, sondern vom
ser vom Gebäude weggeleitet wird.128
125
spätlateinischen vāra (Querholz, gabelförmige Stange) oder vārāre (mit Stangen abschließen),
Als Teil des Hauses ist der engawa ebenfalls er-
im übertragenen Sinne als Umgrenzung oder Ab-
höht. Auf ihm werden, wie im Haus, keine Straßen-
sperrung übersetzbar.
schuhe getragen. Dieser Umgang ist breit genug
127
zum Sitzen, zum Beispiel zur Beobachtung des Nichtsdestotrotz lassen sich in Indien überdachte
Gartens, für das soziale Miteinander der Hausbe-
Mandapa in Shimo-
Eingangsbereiche und Säulenhallen finden, ins-
wohner oder zum Empfang von Gästen.
ga, Indien
besondere bei sakralen Bauten. So ist das „man-
In traditioneller japanischer Architektur kann der
dapa” in hinduistischen Tempeln eine dem Porche
en mit „amados“ (雨戸) zum Wetterschutz ver-
ähnliche Vorhalle, die zum Tempel hinführt und für
schlossen werden, in modernen Interpretationen
religiöse Tänze und Musik genutzt wurde.
geschieht dies häufig mit Glasschiebewänden.
Abb. 42: Indisches
Abb. 43: Traditionelle engawa Abb. 44: Moderne engawa mit Glasschiebewänden
88
89
Historie_ Mittelalter und Renaissance
Beginnend im Mittelalter entstanden in europäi-
ser italienischen Typologie mit einer „Great Piaz-
schen Kathedralen, Kirchen und Schlössern, aber
za”, „Little Piazza” und „portico houses”.130
auch in Wohnhäusern und anderen funktionalen Gebäuden überdachte Eingangsbereiche.
Als Typologie waren Verandas im 19. Jahrhundert bei Wohnhäusern im „Viktorianischer Stil”, auch
In gotischen Kathedralen wurden mit fortgehender
„Queen Anne Stil”, weit verbreitet und entsprechen
Entwicklung der Baukunst immer reicher verzierte
dem heute bekannten Bild einer klassischen Ve-
und kunstvoll gestaltete „Portiken” errichtet, auch
randa als erhöhter, halb-offener überdachter Ein-
„Narthex” genannt, die bis heute vor unzähligen
gangsbereich mit verzierten Säulen.
katholischen Kirchen in unterschiedlichen Ausformungen betrachtbar sind. In Italien entstanden während der Renaissance (14. bis 17. Jahrhundert) öffentliche Plätze, so genannte „piazzas”, die von Kolonnadengängen umgeben waren, als Neuinterpretation des antiken römischen Peristyls129. Diese schattenspendenden Außenbereiche sind in einer Vielzahl von itaAbb. 45: Narthex, Kathedrale von Chartres, Frankreich
lienischen, aber auch anderen südeuropäischen Städten zu finden.
Abb. 46: Piazza Maggiore, Bologna, Italien Abb. 47: Covent Carden Piazza, London, England
90
Die Übertragung in die englische Sprache erfolgte angeblich 1631 durch das „Covent Garden Piazza Development” in London, inspiriert von eben die-
91
Historie_ Kolonialarchitektur
Die klassische Typologie „porch” oder Veranda
meist über die komplette Frontseite des Hauses
entstand vermutlich erst in den Kolonien der euro-
zieht. Es wird vermutet, dass diese Struktur auch
päischen Eroberer. In all diesen Ländern gab es
von traditionellen kreolischen Architekturen inspi-
zwar vorher bereits ähnliche Typologien, jedoch
riert wurde.131
nicht vergleichbar mit den neu entstandenen Ve-
In den niederländischen Kolonien finden sich
randen im 16. und 17. Jahrhundert in Nord- und
ebenfalls verwandte Typologien132, wobei der „sto-
Südamerika.
ep” (Stufe, „Beischlag”) oder auch Quebec-Fran-
In Spanien existierte das so genannte „Riu Rau”,
zösisch „perron”, eine kurze Treppe vor dem
eine große halboffenes Säulenhalle, die in Zentral-
Hauseingang, üblicher war. Noch heute finden
und Ostspanien zum Trocknen von Weintrauben,
sich Beispiele vor vielen Stadthäusern in ameri-
also zur Herstellung von Rosinen genutzt wurde.
kanischen Städten, wie zum Beispiel in New York
Diese Strukturen schlossen teilweise auch direkt
und New Jersey.
an die Wohnhäuser an, was an spätere Veranden
Die großbritannische Entwicklung soll durch die
erinnert.
Veranden militärischer Gebäude vorangetrieben
Eine eigene Typologie gab es im damaligen Frank-
worden sein, die Status und Autorität ausdrückten
reich als „galerie”, ein überdachter Umgang an der
und auch zum besseren Überblick für die Vorge-
Hausvorderseite, der sowohl als „galerie basse”
setzten dienen sollten.133
oder „portique” im Erdgeschoss, als auch „galerie
Abb. 48: Riu Rau Abb. 49: French Style mit Veranda Abb. 50: Stoep
92
haute” oder „loggia” im Obergeschoss vorhanden
Genau lassen sich die Gründe für die Entstehung
war. Häuser im französischen Kolonialstil in Kana-
und weite Verbreitung der kolonialen Veranda
da, den französischen Außengebieten und weni-
nicht erklären. Am wahrscheinlichsten scheint
ger in den heutigen Vereinigten Staaten, sind stets
eine vielfältige Inspiration und Vermischung ver-
vom Boden erhöht und eine kurze Treppe führt
schiedenster Kulturen und Architekturstile.
hinauf auf die typische Veranda (galerie), die sich
93
Historie_ Lateinamerika
Einige Zeugnisse belegen, dass amerikanische
reichen weiter, die als neue Typologien aus der
Ureinwohner bereits vor der Ankunft der Europä-
Vermischung lokaler und spanischer Traditionen
er verschiedenste Typologien des Porche bauten
entstanden und ideal an klimatische und soziale
und nutzten.
Gegebenheiten angepasst waren.
Die aus Stein gebauten Portiken, Galerien und Kolonnaden der Maya-Kulturen in Mexiko und Belize
Im Jahr 1537 wurde gesetzlich im „The Laws of
werden auf 500 v. Chr. und später datiert.
the Indies” vorgeschrieben, dass öffentliche Plätze
134
stets Kolonnaden aufzuweisen hätten. Dies lässt In den südlichen Regionen der heutigen Ver-
sich heute noch in vielen lateinamerikanischen
einigten Staaten haben indianische Völker „(en-)
Stadtkernen an der „plaza mayor” beobachten.
ramadas” errichtet, eine offene, pavilionähnliche, schattenspendende Holzstruktur, die zum Ko-
Eine regionale Typologie, die bis heute Verwen-
chen, Essen und für andere Haushaltstätigkeiten
dung findet, ist der mexikanische „zaguán”. Als
genutzt wurde. Diese wurden sowohl freistehend
überdachter Eingangsbereich direkt hinter der
als auch an die „Adobe-Häuser“ der frühen Sied-
großen Eingangstür, die häufig offen steht, ähnelt
lerhäuser angrenzend gebaut.
dieser in seiner Form eher einem Vestibul, aber in seiner Nutzung als Empfangsraum und Über-
Abb. 51: MayaTempel
Auch die traditionellen „bohio” Häuser der indi-
gangsbereich teilweise dem Porche. Durch diesen
genen Arawaks und Taíno der dominikanischen
gelangt man in vielen Häusern in den Patio, von
Republik wiesen einfache Dachüberstände zum
dem aus die anderen Räume erreichbar sind.
Schutz des Eingangs auf.
Abb. 52: RamadaStruktur Abb. 53: BohioHütte
94
Mit der Ankunft der Spanier verbreiteten sich Wohnhäuser mit verandaähnlichen Eingangsbe-
95
Historie_ Nordamerika
Bis heute finden sich Veranden in unzähligen ame-
So findet sich auf auf Hawaii das „lānai” der frü-
rikanischen Wohnhäusern, insbesondere in den
hen Einheimischen, eine lange Veranda, die einem
wärmeren, südlichen Staaten.
Laubengang ähnelt und bis heute als eigene Typologie existiert137.
Die „Southern Porch” wird gar als kulturelles Erbe angesehen, das jedoch nach und nach aufgrund
Seit den 1850er Jahren fand sich vor fast jedem
von modernen Architekturtrends und anderen ge-
Wohnhaus eine Interpretation des überdachtes-
sellschaftlichen und technologischen Entwicklun-
nVorraumes, der für eine Vielzahl von sozialen und
gen verloren geht.
praktischen Tätigkeiten genutzt wurde. Spezielle Wohnhaustypologien, wie das „Monterey Haus”
In den 1920er und 1930er Jahren wurde fast jedes
oder „Dogtrot Haus” besitzen unterschiedliche tra-
Haus mit irgendeiner Form des „porch” ausgestat-
ditionelle Abwandlungen der Veranda oder Log-
tet, wobei nicht in allen Fällen die Aufenthaltsqua-
gia.
lität wie auf einer Veranda entstand oder gewollt war.135
Im US-amerikanischen Sprachgebrauch wurde damals in weiten Teilen von „piazza” gesprochen,
Die genaue Herkunft und Entwicklung der ame-
bevor sich später das Synonym „veranda” durch-
rikanischen porch ist uneindeutig und vermutlich
setzte.
als eine architektonische Hybridisierung und Vermischung vieler Kulturen zu interpretieren.136 Das Abb. 54: US-amerikanische Porch Abb. 55: Lānai Abb. 56: Dogtrot-Haus
96
auskragende Vordach soll einigen Quellen zufolge bereits weit vor den ersten europäischen Entdeckern existiert und diese zu ihrem Baustil inspiriert haben.
97
Historie_ Neuzeit
Der Porche als traditionelle, erhöhte und überdachte Veranda an der Frontseite des Hauses findet sich heute vorallem im südlichen Nordamerika und in Australien oder als ähnliches Bauelement in anderen milden, warmen oder tropischen Gegenden in Lateinamerika, Asien und Afrika. In Europa hat sich die klassische Veranda vor dem Haus nicht durchgesetzt. Hier finden sich eher kleine, den Eingang schützende, Vordächer, abgesehen von einigen südeuropäischen „Ranch”-ähnlichen Gebäuden. In modernen Einfamilienhäusern werden heutzutage eher Terrassen hinter dem Haus, als halb-öffentliche Bereiche vor dem Haus angelegt. Schaukelstühle und Hängeschaukeln, die häufig auf der Veranda zu finden waren, haben durch die Bewegung eine natürliche Luftbewegung und Kühlung erzeugt. Durch die Entwicklung von Klimaanlagen verschwand die Veranda als semi-priAbb. 57: Nordamerikanische Veranda Abb. 58: Moderne Porch
vater kommunaler Bereich, der Hausbewohner, Familienmitglieder
und
Nachbarn
verbunden
hat.
138
Abb. 59: Terrasse
98
99
Eigenschaften_ Räumliche Eigenschaften Nutzungsmöglichkeiten Begriffliche Abgrenzung Qualitäten
101
Eigenschaften_ Räumliche Eigenschaften
Die entscheidende räumliche Eigenschaft des
wird er als zum Gebäude zugehörig verstanden.
Porche liegt in seiner Überdachung und gleich-
In seiner räumlichen Funktion ist er ein Zwischen-
zeitigen Offenheit an mindestens einer Seite. Die
bereich zwischen drinnen und draußen, Privatem
rückseitige Begrenzung entsteht durch die Außen-
und Öffentlichem, Innenraum und Außenraum
wand des Gebäudes, in der häufig die, oder eine,
und dient somit dem Übergang vom einen in den
Eingangstür zum Haus liegt.
anderen Bereich (transitional space). Eine Aufenthaltsfunktion und -qualität muss nicht gegeben
Als architektonisches Element ähnelt der Porche
sein. Bei entsprechender Größe entsteht diese
einem Pavillon, der an das Haus anschließt. Je-
jedoch häufig, welche mit entsprechenden deko-
doch gibt es ebenso Varianten, die an den Seiten
rativen Elementen unterstützt wird.
geschlossen und lediglich nach Vorne offen sind. Außerdem können sie mit Wand- oder Glaselementen verschließbar sein. Die Begrenzung nach Vorne kann vielerlei Formen haben: offene Säulenzwischenräume, Steinmauern, Holzgeländer, Metallgitter wie auch eine Begrenzung durch eine Erhöhung des Gebäudes oder durch ein anderes Bodenmaterial. Der Porche kann ein- oder mehrgeschossig sein. Im letzteren Fall ist gegebenenfalls das Obergeschoss als Galerie oder Balkon gestaltet. Auch Abb. 60:
wenn der Porche außerhalb der Innenräume liegt,
Typologie Porche
102
103
Eigenschaften_ Nutzungsmöglichkeiten
Die Nutzungsmöglichkeiten des Porche als Bau-
Klimatische Funktion
element lassen sich hauptsächlich in zweckorien-
Ebene erfüllten bereits die frühesten einfachen
tierte und soziale Funktionen einteilen, wobei letz-
Vordächer und überdachten Eingangsbereiche
teres die wahrscheinlich überwiegende Funktion
die Rolle eines Wetterschutzes des Eingangs-
ist, die Einfluss auf Gesellschaft und Kultur der
bereiches. Durch die Überdachung konnte zum
jeweiligen Region genommen hat – oder anders
Beispiel auch bei Regen die Eingangstür zur Be-
betrachtet, ist der Porche ein Produkt eben dieser
lüftung geöffnet werden oder Besucher im Trocke-
sozialen Bedürfnisse und Eigenheiten der Men-
nen vor der Haustür empfangen werden ohne ins
schen.
Innere des Gebäudes eintreten zu müssen. Seine
Auf rein funktionaler
verschattende Funktion diente sowohl dem MenDie nachfolgende exemplarische Darstellung ver-
schen, als auch dem Gebäude, da dadurch die
schiedener Funktionen des Porche fokussiert sich
Außenwände und somit die inneren Räume kühler
auf Veranden, Loggien und Porches an Wohnhäu-
blieben, was in heißen Klimazonen von großer Be-
sern.
deutung war und ist. Auskragungen konnten das Gebäude vor Wettereinflüssen schützen und über die Veranda zum Beispiel Regenwasser vom Haus weggeleitet werden.
105
Eingangs- und Empfangsraum
reits erwähnt, diente der überdachte Bereich vor
sprechenden Klimazonen wurde der Porche als
tet ihrer Größe oder Form konnte die „porch” als
Nachbarschafts- und Gemeinschaftspflege Die bereits erwähnte soziale Funktion be-
dem Eingang als Empfangs-, aber auch als Ein-
Arbeitsbereich für allerlei Haushaltstätigkeiten der
Treff- und Mittelpunkt des sozialen Miteinanders
schränkt sich nicht auf die Hausbewohner alleine,
gangsbereich für die Hausbewohner. Hier können
Frauen genutzt. Zum Nähen, zur Kochvorbereitung
der Hausbewohner dienen. Hier spielten die Kin-
sondern bezieht Passanten und Nachbarn mit ein.
Schuhe und Jacken abgelegt werden, um zum
oder zum Kochen selber bot eine entsprechend
der der Familie, es wurde gemeinsam gegessen,
Durch die Offenheit des Porche sind Blickkontakte
Beispiel keinen Schmutz in das Haus zu tragen
große Veranda genug Platz, gleichzeitig geschützt
Geschichten erzählt und gemeinsam die Straße
und dementsprechend zwischenmenschliche Be-
oder um Besucher, die nicht ins Haus eintreten
vor jeglichem Wetter. In heißen Klimazonen war
und Passanten beobachtet. „Porch sitting” ist ein
gegnungen deutlich leichter herzustellen.
sollten, zu empfangen. Als geschützter Bereich
vor der Entwicklung moderner Lüftungs- und Kli-
amerikanisches Konzept und mittlerweile eine Tra-
Bei entsprechender Nutzung werden Veranden
vor den eigentlichen Wohnräumen besitzt die Ve-
maanlagen, die Temperatur und Luftqualität in den
dition, die insbesondere im Süden der Vereinigten
zu „semi-öffentlichen Außenbereichen, die Gemein-
randa einen privaten, aber dennoch öffentlichen
Häusern häufig bescheiden, sodass das Arbeiten
Staaten ein wichtiger sozialer und kultureller Be-
schaft und Nachbarschaftlichkeit” repräsentieren
Charakter, der ideal für Gespräche und Diskus-
an der frischen Luft bevorzugt wurde. Das Züch-
standteil des alltäglichen Lebens ist.
und dadurch einen enormen Wert für das sozia-
sionen mit Fremden oder Bekannten geeignet ist,
ten von Pflanzen, wenn kein Garten vorhanden
Vielen mag das Bild der Großeltern, die einen
le Gefüge einer Siedlung haben können140. Der
ohne sie in die eigene Privatsphäre eindringen zu
war, war ebenfalls möglich oder bei entsprechen-
Großteil des Tages im Schaukelstuhl auf der Ve-
öffentliche Charakter und die Exponiertheit bei
lassen. Durch die räumliche Betonung und Her-
den klimatischen Bedingungen konnte auf der Ve-
randa sitzen und der Ankerpunkt des lebendigen
gleichzeitigem Schutz und Nähe zum Haus kann
vorhebung der Vorderseite des Hauses wird diese
randa, beziehungsweise eher auf verschließbaren
Familienalltags um sie herum sind, aus, vor allem
Menschen Komfort bieten und dadurch gleich-
für Gäste eindeutig als Eingangsbereich festge-
Loggien, nachts geschlafen werden.
amerikanischen, Filmen oder Büchern bekannt
zeitig das „sichere” Kennenlernen der Anderen
legt. Die Positionierung der Treppe ist einladend
sein. Auf der Veranda wurden Geschichten erlebt
ermöglichen.
und gleichzeitig leitend, sodass die Annäherung
und erzählt, und von Generation zu Generation
Generell sind enge Nachbarschaftsbeziehungen
von Gästen an das Haus in einer definierten und
weitergereicht.
für die gefühlte und tatsächliche Sicherheit ent-
Wie be-
somit kontrollierbaren Art und Weise geschieht.
Arbeits- und Aufenthaltsraum
In ent-
Entspannung & Miteinander
Ungeach-
139
scheidend, wozu die Veranda einen räumlichen Beitrag leisten kann.141
106
107
Dekorative Funktion
wurden als funktionale Räume errichtet, sondern
das Vorhandensein eines überdachten Eingangs-
Philosophische und religiöse Bedeutung Insbesondere in Sakralbauten der Gotik
können zusätzlich oder ausschließlich dekorati-
bereiches gab in vielen Kulturen und Epochen
und Renaissance hat der „porch” oder der „Nart-
ven Zwecken dienen. Die reich verzierten und mit
Auskunft über den gehobenen Stand der Haus-
hex“ eine wichtige spirituelle Funktion. Als Vermitt-
verspielten Veranden angelegten Loggien und Ve-
bewohner. Seine Größe, Form und dekorative Ge-
ler zwischen dem Innen und Außen, als Zwischen-
randen im viktorianischen Stil oder im Jugendstil
staltung kommunizierte an Gäste, Nachbarn und
und Übergangsbereich zwischen weltlichem und
sind Beispiele für eine ästhetische Aufwertung der
selbst an Passanten den sozialen Status und die
heiligem Raum, wurde und wird er für einige reli-
Hausfassade durch einen vorgelagerten Porche.
finanziellen Möglichkeiten der Familie, aber eben-
giöse Rituale genutzt.
Durch die Vorlagerung einer ein- oder mehrge-
so deren Autorität. Gäste konnten so bereits vor
schossigen Vorhalle gewinnt das Haus an Tiefe
Eintreten ins Haus beeindruckt und beeinflusst
und die Fassade wird für das Auge interessan-
werden.142
Nicht alle Veranden
Soziales Kommunikationsmittel
Bereits
ter. Auch die Dekoration und Möblierung der Veranda kann eine entscheidende Rolle spielen für den Gesamteindruck des Eingangsbereiches des Hauses.
108
109
Eigenschaften_ Begriffliche Abgrenzung
Veranda Eine klassische Veranda ist eine über-
Terrasse
dachte, halb-offene, an das Haus angeschlossene
Struktur mit befestigtem Boden, für gewöhnlich im
Galerie, die normalerweise von einem Geländer
hinteren Bereich des Hauses, so spricht man von
zur Vorderseite abgeschlossen ist. Außerdem
einer Terrasse (lateinisch „terra” für Erde, englisch
kann sie sich über den Eingangsbereich auf die
auch „deck”). Dieser Bereich ist normalerweise
gesamte Hausfront ausweiten oder sogar um die
nicht überdacht, jedoch sind leichte und auch fes-
Seiten des Gebäudes herumführen. Traditionell
tere Strukturen möglich sowie Sonnensegel und
sind Veranden großzügige Strukturen an der Vor-
-schirme. Die Funktionalität ist ähnlich wie die Ve-
derseite des Hauses, die leicht erhöht vom Boden
randa, jedoch durch ihre Lage meist privater und
sind und mit einer kurzen Treppe erreichbar sind.
im klassischen zentraleuropäischen Einfamilien-
Handelt es sich um eine ebenerdige
haus an den eigenen Garten anschließend.
111
Loggia Als geschützte Außenbereiche sind Log-
Pergola Eine Pergola (italienisch für „Vorbau, An-
Balkon
Ein Balkon ist ein betretbarer offener
Wintergarten Ein Wintergarten (englisch „Flori-
gien eine eher geschlossene und befestigte Raum-
bau”) ist eine leichte, offene Dachstruktur, meist
Vorbau, der an die Hausfassade anschließt und
da room”, „patio room” oder „sun room”, französi-
struktur, die innerhalb des Gebäudes oder kaum
aus Holz, die in Gärten als Verschattungselement,
sich im einen Obergeschoss eines Hauses befin-
sche „véranda”, ist ein komplett verglaster, meist
vorspringend sind. Im Gegensatz zur Veranda ist
zum Beispiel über einer Terrasse, genutzt wird.
det. Dieser kann bei entsprechender Größe ledig-
von außen an ein Haus anschließender Aufent-
die Loggia nicht im Eingangsbereich des Hauses,
Sie dient lediglich der Verschattung und Dekora-
lich als Austritt oder als Aufenthaltsfläche genutzt
haltsbereich. Er wird zum wettergeschützten Ge-
sondern als ein überdachter privater Bereich, der
tion und wird häufig durch Rankpflanzen begrünt.
werden. Bei mehrgeschossigen Häusern sind sie
nießen der umgebenden Landschaft, als windge-
zum wettergeschützten Aufenthalt im Freien ge-
Im Gegensatz zur freistehenden Gartenlaube oder
in vielen Fällen durch darüber liegenden Balkone
schützter Sonnenraum oder als lichtdurchfluteter
nutzt wird, gedacht. Es existieren verschiedene
dem Pavillon schließt die Pergola im traditionellen
überdacht oder durch andere Strukturen wetter-
Aufenthaltsraum genutzt.
Formen der Loggia. Tendenziell befinden sie sich
Sinne stets an ein Gebäude an. Man spricht auch
geschützt.
nicht im Erdgeschoss und können teilweise durch
von einem Laubengang.
Wand- und Glaselemente verschlossen werden.
112
113
Galerie
In der Fassadengestaltung nennt man
Vordach Das einfache Vordach dient als Wetter-
Windfang
Ein, vor dem eigentlichen Hausflur
Beischlag Terrassenartig angelegt, vom Boden
einen offenen, an die Hauswand anschließenden
schutz des Eingangsbereiches, kann aber eben-
gelegener, kleiner Vorbau an Türen und Fenster-
erhöht, über eine Treppe von der Straße aus er-
Gang, meist im Obergeschoss eines Hauses, eine
falls dekorative Zwecke erfüllen. Ob als Dach-
türen, der das Eindringen von Wind und kalter Luft
reichbar, war der Beischlag (englisch „stoop”) weit
Galerie. Als Typologie ist es ein balkonartiger Um-
überstand, Auskragung oder an der Fassade be-
vermeiden soll. Er kann mit einer zusätzlichen Tür
verbreitet als Eingangsbereich von Stadthäusern
gang an einer oder mehreren Seiten eines Gebäu-
festigtes Element, es gibt viele Gestaltungsmög-
oder als halboffener überdachter Bereich gestaltet
in der Renaissance und im Barock. Meist haben
des, der zur Erschließung, aber auch als Aufent-
lichkeiten.
sein, jedoch stets die Haustür schützend.
sie ein Geländer und dehnen sich über die gesam-
haltsort genutzt wird. Dieser ist häufig in Innenhö-
Ein Windfang hat normalerweise keine Aufent-
te Fassade des Gebäudes aus.
fen, aber auch an Außenfassaden zu finden, wo er
haltsqualität, sondern wird lediglich unter funktio-
In ihrer Funktion aus dem Ostseeraum als Über-
durch entsprechende dekorative Gestaltung den
nalen Aspekten genutzt, zum Beispiel auch zum
schwemmungsschutz entstanden, erst als Holz-
Status der Hausbewohner wiederspiegelt.
Schuhe und Jacke ausziehen und ablegen.
konstruktionen, später aus Stein, wurden diese in der Renaissance dekorativer und verspielter.
114
115
Vorraum
Die amerikanische Typologie des
Portikus
Aus Italien stammt der „portico”, ein
„screened porch”, „screened-in-porch” oder auch
schlichtes, mit Säulen, Stützen oder Gewölben
„Arizona room” ist eine Veranda, die geschlossen
verziertes, Vordach, das die Eingangstür eines
gebaut oder nachträglich mit Wand- oder Glas-
Hauses schützt. Man spricht auch von einem Säu-
elementen verschlossen wurde. Die Funktion als
lengang oder einer Säulenhalle mit horizontalem
halboffener Außenbereich geht damit nur teilweise
Gebälk, das in der antiken römischen und grie-
verloren, da es sich eher um einen Vorraum han-
chischen Architektur verbreitet war. Im modernen,
delt, der gegebenenfalls geöffnet werden kann.
insbesondere englischen, Sprachgebrauch und in
Dieser wird bei entsprechendem Klima auch zum
der neuzeitlichen Architektur handelt es sich um
Schlafen genutzt, da er temperaturtechnisch an-
eine Vorhalle, die mit Säulen gestaltet wird. Im
genehmer als die Innenräume ist und gleichzeitig
Spanischen ist der „soportal” eine ähnliche Typo-
durch seine Geschlossenheit Tiere und Insek-
logie, die jedoch schon eher Kolonnaden oder Bo-
ten fernhält. Tendenziell liegt dieser eher an der
gengängen ähnelt.
Rückfront des Hauses, kann aber ebenso als verschließbare Veranda gebaut worden sein.
116
Eigenschaften_ Qualitäten
Funktional
Im vorangegangen Kapitel wurden
Klimatisch & ökologisch
Durch das Vor-
die Funktionen und Nutzungsmöglichkeiten des
dach, das über dem Porche vorhanden ist, ent-
Porche und seiner verwandten Typologien bereits
steht sowohl ein Sonnen- als auch Regenschutz,
dargestellt. Zu Beginn der historischen Entwick-
der vorteilhaft für die Trockenheit und Kühlung
lung des Porche stand vor allem sein funktiona-
des Gebäudeinneren ist. Die Verschattung be-
ler Nutzen als geschützter Eingangsbereich im
wirkt, dass die Außenwände keine Hitze erhalten
Vordergrund. Es entwickelten sich jedoch schnell
und die Innenräume des Hauses somit länger kühl
weitergehende Nutzungsmöglichkeiten als Ar-
bleiben. Bei entsprechender Lüftung kann die
beits- und Aufenthaltsraum, insbesondere für die
vorgekühlte Luft des Porche die Innenräume zu-
Frauen und Kinder des Hauses. Hier konnten auch
sätzlich kühlen oder zumindest kühler halten, als
bei Regen oder starker Sonne die Hausarbeiten
die direkte Lüftung über die erhitzte Außenluft es
in einem trockenen und schattigen Bereich aus-
ermöglichen würde. Das Mikroklima, das auf dem
geübt werden, der gleichzeitig luftig und natürlich
Porche entstehen kann, ist einer der Gründe für
vom Wind gekühlt wurde. Meist war es im Inneren
seine Qualitäten als Aufenthaltsraum und soziale
des Hauses wärmer, stickiger oder dunkler, wes-
Begegnungsstätte.
halb der Porche als privater Außenbereich, eigens
Wenn das Gebäude als Schutz gegen Wasser und
für die Bewohner, bevorzugt wurde. Bereits hier
Insekten insgesamt erhöht steht, funktioniert der
vermischen sich die funktionalen mit den sozia-
Porche als Übergangszone zum Innenraum. Kann
len und klimatischen Qualitäten, weshalb der rein
er ebenfalls verschlossen werden, wirkt diese
funktionale Mehrwert als Nutzraum kaum von den
Zone als Puffer um Wärme, Feuchtigkeit und In-
vielfältigen anderen Aspekten trennbar ist.
sekten aus den Wohnräumen zu halten.
119
Psychosozial Auf sozialer Ebene ist der halb-
hat. Hierdurch wird der Porche zu einer Schwelle,
Gesellschaftlich
Im gesellschaftlichen Kon-
auf das gesellschaftliche Zusammenleben, so-
offene, überdachte Bereich eines Porche, einer
einem Übergangsbereich, der eine wichtige psy-
text dient der Porche als verbindender Raum zur
wohl im kleinen, nachbarschaftlichen Rahmen, als
Veranda oder Loggia ein wichtiger Begegnungs-
chosoziale Rolle für die Hausbewohner erfüllen
Nachbarschafts- und Gemeinschaftspflege. Durch
auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene durch
punkt für die Hausbewohner untereinander. Wenn
kann.
ihn können Kontakte zu Nachbarn und Passanten
den verstärkten Schwerpunkt auf dem Privaten
keine anderen, geschützten Außenbereiche vor-
Auf zwischenmenschlicher Ebene kann die auf-
geknüpft und gepflegt werden, neben seiner Rolle
und der damit verbundenen Abgrenzung.
handen sind, wird der Porche insbesondere in
wendige Verzierung und Gestaltung des Porches
als Begegnungs- und Treffpunkt mit den Hausbe-
warmen und heißen Klimazonen der zentrale,
auch als Kommunikationsmittel dienen, das den
wohnern und Familienmitgliedern.
windgekühlte Aufenthaltsraum des Hauses. Hier
Status der Hausbewohner bereits vor dem Eintre-
In vielen traditionellen Häusern ist der Porche oder
entspannt man nach der Arbeit, erledigt Hausar-
ten in das Gebäude an Besucher, Passanten und
die Veranda die einzige, noch dazu geschütz-
beiten, plaudert und diskutiert auch mit Nachbarn
Nachbarn vermittelt.
te, Außenfläche. In entsprechenden Klimazonen
und Passanten.
spielt sich somit ein Großteil des Familienlebens
Durch die Positionierung des Porche ist es außer-
auf diesem ab und zentriert sich dort.
dem möglich, in ihm Besucher zu empfangen oder
Für das Sicherheitsempfinden der Bewohner kann
zum Beispiel Post oder andere Bestellungen an-
ein überdachter, einsehbarer Eingangsbereich
zunehmen, ohne dass die unbekannte Person in
ebenfalls zuträglich sein. Auch die engeren Nach-
die Privaträume eintritt. Da der Porche direkt an
barschaftsbeziehungen tragen zu einem gestei-
die Wohnräume anschließt, lässt er einen schnel-
gerten Sicherheitsempfinden und vermutlich auch
len Rückzug zu und die “Wand im Rücken” sowie
zu einer reell gesteigerten Sicherheit bei, wenn der
der durch die Bodenerhöhung verstärkte “Über-
“fremde” Nachbar zu einem “vertrauten” Bekann-
blick”, vermittelt zusätzliche Sicherheit. In die-
ten wird.
sem semi-privaten und semi-öffentlichen Raum
Der Rückgang von Porches durch die Entwicklung
empfindet man sich eindeutig in einem privaten
von Klimaanlagen und durch die Veränderung ar-
Bereich, der sich aber dennoch in der Öffentlich-
chitektonischer Baustile, hat somit auch Einfluss
keit befindet oder einen starken Bezug zu dieser
120
121
Ökonomisch
Der ökonomische Nutzen des
Spirituell Porches und ähnliche Typologien las-
Porche kann sich gegebenenfalls durch verringer-
sen sich seit jeher insbesondere in Tempelanla-
ten Kühl- und Wärmebedarf ergeben, da dieser
gen, Palästen und anderen öffentlichen Bauten
als Puffer dient und Wärme entweder im Haus
finden. Dort diente er als “Schwelle” zwischen
oder aus dem Haus hält, je nach Bedarf. Auch als
dem heiligen und öffentlichen Bereich, in einigen
natürlicher Sonnenschutz verringert er den Kühl-
Fällen auch in verschiedenen Abstufungen. Die
bedarf und kann als natürlich belüfteter Aufent-
Säulenhallen waren somit zugänglich für das Volk,
haltsraum ohne elektrische Klimaanlage dienen.
das durch diese ehrfürchtig hindurch schreiten
Wenn nicht ausreichend Freiraum auf dem Grund-
sollte, wohingegen lediglich ausgewählte Perso-
stück vorhanden ist, kann der Porche als platz-
nen weiter in die Anlage eintreten durften. Große
sparender, aber dennoch qualitativ hochwertiger
Säulenhallen und Portiken mit ihrer luftigen Höhe
Außenbereich funktionieren, wobei auf eine an-
vermitteln die Nähe zum Himmel und sind häufig
sprechende Gestaltung und Möblierung zu achten
als Ausdruck von Göttlichkeit interpretiert worden.
ist um die Raumqualität des Porche, trotz seiner
Der Zwischenbereich sollte auch dazu dienen
geringen Größe zu erhalten.
“böse Geister” aus den Anlagen oder auch Wohnhäusern fernzuhalten.
122
NICAR AGUA Mittelamerika ist ein Gebiet,
Ăźber das wir hierzulande mehr
Vorurteile als Wissen besitzen.143
Gesellschaft_ Allgemeines BevÜlkerung Kriminalität Wirtschaft Vergleich
127
Gesellschaft_ Allgemeines
Nicaragua ist ein Staat in Zentralamerika, der zwi-
besagen, dass es sich aus dem Nahuatl für nican
schen Honduras und Costa Rica liegt, und im Os-
– „hier“ und aráhuac – „Menschen“ abgeleitet hat.
ten an das Karibische Meer und im Westen an den
Andere vermuten eine Kombination von „Nica-
Pazifik angrenzt.
rao”, dem Namen des Oberhaupts der größten indigenen Siedlung, beziehungsweise Stammes,
In der Hauptstadt des Landes, Managua, leben
zur Zeit der spanischen Entdeckung, sowie dem
etwa eine Millionen der insgesamt 6,3 Millionen
Wort „agua” (Wasser)146. Der Eroberer Gil Gonza-
Nicaraguaner. Insgesamt leben ca. 90% der Ge-
lez Davila soll diesen Namen während seiner Ent-
samtbevölkerung in der westlichen Pazifikregion
deckungsreisen im 16. Jahrhundert aufgrund der
und im Gebiet Managuas .
beiden großen Süßwasserseen, dem Managuasee
Das Land ist mit 45,2 Einwohnern pro km² dünn
und Nicaraguasee im Westen des Landes, einge-
besiedelt, da ein Großteil Nicaraguas nach wie vor
führt haben.147 Die Nicaraguaner bezeichnen sich
aus unbesiedeltem Regenwald besteht.145
selbst meist als „Nicas”.148
144
REGION AUTÓNOMA DE LA COSTA CARIBE NORTE (RACCN)
NUEVA SEGOVIA MADRIZ ESTELI
JINOTEGA
MATAGALPA
CHINANDEGA LEON
PA Z
Managuasee
IFIS
MANAGUA
CH
ER
MASAYA
CARAZO
OZ
EA
N
REGION AUTÓNOMA DE LA COSTA CARIBE SUR (RACCS)
BOACO
ATLANTISCHER OZEAN
HONDURAS
Die Flagge des Landes basiert auf der Flagge der ehemaligen
das karibische Meer symbolisieren und der weiße Streifen das Land dazwischen. Blau und Weiß
CHONTALES
sind dementsprechend Nationalfarben, der NatioAbb. 61: Lage
Nicaraguasee RIO SAN JUAN
nalvogel ist der Türkisbrauenmotmot.
Nicaragua Abb. 62: Karte
COSTA RICA
128
Konfödera-
tion”, wobei die blauen Streifen den Pazifik und
GRANADA RIVAS
„Zentralamerikanischen
Nicaragua mit Departments
Über die Entstehung des Landesnamen Nicaragua existieren verschiedene Theorien. Manche
129
„Salve a ti, Nicaragua” ¡Salve a ti, Nicaragua! En tu suelo, ya no ruge la voz del cañón, ni se tiñe con sangre de hermanos tu glorioso pendón bicolor. Brille hermosa la paz en tu cielo, nada empañe tu gloria inmortal, ¡qué el trabajo es tu digno laurel y el honor es tu enseña triunfal!
„Heil dir, Nicaragua” Heil dir, Nicaragua! Auf deinem Erdboden donnert nicht länger die Stimme der Kanone noch befleckt das Blut von Brüdern dein glorreiches zweifarbiges Banner. Herrlich glänze der Frieden an deinem Himmel nichts trübe deinen unsterblichen Ruhm die Arbeit ist dein würdiger Lorbeer und die Ehre ist deine triumphale Fahne. Abb. 63: Anti-Regierungs-Demonstranten
130
131
Gesellschaft_ Bevölkerung
Männlich
Weiblich 100+ 95 - 99 90 - 94 85 - 89 80 - 84 75 - 79 70 - 74 65 - 69 60 - 64 55 - 59 50 - 54 45 - 49 40 - 44 35 - 39 30 - 34 25 - 29 20 - 24 15 - 19 10 - 14 5-9 0-4
4
3,2
2,4
1,6
0,8
0
in Mio.
132
136
68
0
in Tsd.
nen Bevölkerung. Bereits 60% der Bevölkerung
etwa 75 Jahren . Ein Großteil, ca. 70%, der Ni-
leben in Städten und durch die anhaltende Land-
caraguaner sind Mestizen, ca. 20% Weiße, meist
flucht ist die Tendenz steigend. Der zuverlässige
spanischer Herkunft, sowie etwa 10% afrikani-
Zugang zu fließendem Wasser und Elektrizität
scher Herkunft, die überwiegend in der östlichen
ist nicht überall vorhanden und die Qualität des
Atlantikregion leben sowie einige Indígenas (Mis-
Bildungs- und Gesundheitssystems leidet unter
kitos, Sumos und Ramas), die ebenfalls an der At-
mangelnder Finanzierung, Korruption und den
lantikküste leben . Darüber Hinaus gibt es einige
jahrzehntelangen politischen Unruhen.153
arabische und chinesische Einwanderer, haupt0
0,8
1,6
2,4
3,2
4
Weiblich
204
alt und die allgemeine Lebenserwartung liegt bei
150
100+ 95 - 99 90 - 94 85 - 89 80 - 84 75 - 79 70 - 74 65 - 69 60 - 64 55 - 59 50 - 54 45 - 49 40 - 44 35 - 39 30 - 34 25 - 29 20 - 24 15 - 19 10 - 14 5-9 0-4
372
schicht, als auch zwischen der ruralen und urba-
149
Männlich
340
Etwa die Hälfte der Bevölkerung ist unter 24 Jahre
sächlich in Managua. Die Hälfte der Bevölkerung
Viele Nicaraguaner verdienen trotz eines Jobs
ist römisch-katholisch und ein Drittel protestan-
nicht ausreichend. So lebt knapp die Hälfte der
tisch151.
Bevölkerung von $1 pro Tag, etwa 80% leben von maximal $2 pro Tag und insgesamt etwa 40% der
Die weiße Minderheit repräsentiert zu einem gro-
Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze.154
ßen Teil die Oberschicht. Hellere Haut und sozialer
Abb. 64: Bevölkerungspyramide Deutschland, 2016 Abb. 65: Bevöl-
0
68
136
204
372
340
kerungspyramide Nicaragua, 2016
Status korrelieren aufgrund von Rassismus und
Aufgrund der schlechten Wirtschaftslage, den
systemischer Diskriminierung miteinander. Auch
Bürgerkriegen und anhaltenden politischen Un-
nach der sandinistischen Landreform ist Landbe-
ruhen, wandern viele Nicaraguaner auf der Suche
sitz nach wie vor ein wichtiger Indikator für Reich-
nach dauerhaften Jobs, höheren Löhnen und bes-
tum und gesellschaftlichen Status.
seren sozialen und sanitären Umständen aus, vor
Das soziale Ungleichgewicht, zum Beispiel im
allem in das benachbarte Costa Rica, wo sie als
Einkommen oder der Gesundheitsversorgung
Saisonarbeiter in der Bananen- und Kaffeeernte
ist hoch, sowohl zwischen der Ober- und Unter-
arbeiten.155
152
133
Seit 1950 hat die Bevölkerung sich fast verfünf-
im mittleren Bereich, eingeordnet.159 Nichtsdesto-
facht, mit Geburtenraten von sechs Kindern pro
trotz liegt Nicaragua auf Platz 7 im Happy Planet
Frau in den 1980ern, bis heute, wo sich die Ein-
Index, mit einer recht hohen Lebenserwartung und
wohnerzahl auf Ersetzungsniveau stabil hält. Die
Zufriedenheit, einem niedrigen ökologischen Fuß-
hohe Anzahl von Schwangerschaften bei Teen-
abdruck und verhältnismäßig geringer Ungerech-
agern und jungen Erwachsenen ist problematisch,
tigkeit.160 Im Gegensatz dazu ist Nicaragua auf
das Durchschnittsalter von Frauen bei der ersten
dem Human Wellbeing Index, der aus Faktoren wie
Geburt liegt bei etwa 19 Jahren.
Gesundheit und Bevölkerung, Wohlstand, Wissen
Die Größe eines Haushalts liegt nach wie vor bei
und Bildung, Freiheit und Regierung sowie Ge-
sechs bis acht Personen und Familienbeziehun-
rechtigkeit und Gleichberechtigung besteht, mit
gen sind aufgrund der gesellschaftlichen Unsi-
28 von 100 Punkten schlecht bewertet.161
156
cherheiten und der hispanischen Tradition von großer Bedeutung.157 Häusliche Gewalt, sexueller Missbrauch insbesondere innerhalb der Familie, einer der Gründe für die unzähligen frühen Schwangerschaften und Alkoholmissbrauch sind verbreitet, insbesondere in den ländlichen Regionen. In vielen Familien sind Abb. 66: Demons-
alleinerziehende Frauen das Oberhaupt und Al-
tranten mit traditio-
leinversorgende der Familie.158
neller nicaraguanischer Maske Abb. 67: Demonstration gegen die Regierung
134
Auf dem Human Development Index wird Nicaragua unter „Medium Human Development”, also
135
Gesellschaft_ Kriminalität
Jamaika Dom. Rep. Puerto Rico
Mexiko Guatemala El Salvador Honduras Costa Rica Panama Kolumbien
Nicaragua Venezuela
Brasilien
Ecuador Peru
Bolivien Chile Paraguay
Uruguay pro 100.000 0 - 10 10 - 20 20 - 30 40 - 50 50 - 60 + 60
Argentinien
Abb. 68: Mordraten per 100.000 Einwohner in Lateinamerika, 2017
136
Auch wenn Nicaragua als eines der sichersten
Regionen gibt es Fälle von Menschenhandel und
Länder Zentralamerikas gilt, besteht dennoch das
Zwangsprostitution von Frauen und Kindern, die
Risiko von Überfällen und Vergewaltigungen, ins-
zum Anschaffen in die Großstädte geschickt wer-
besondere für ausländische Reisende.
den163.
Das Auswärtige Amt warnt vor allem vor Diebstäh-
Die allgemeine jährliche Mordrate lag 2016 bei
len und Überfällen an von Touristen frequentier-
einer Rate von 7,37 pro 100.000 Einwohnern,
ten Orten, wie den Stadtzentren der bei Touristen
die niedrigste in ganz Zentralamerika. Wie in
beliebten Städte Granada und Léon, aber auch
den meisten Ländern sind eher Männer die Op-
in Überlandbussen, bei Marktbesuchen oder auf
fer (Rate 15 zu 2).164 Im Gegensatz zu den umlie-
Busbahnhöfen. Auch in Managua sind Raubüber-
genden Ländern gibt es in Nicaragua keine aktiv
fälle auf Taxis, oftmals mit „falschen” Taxis von or-
operierenden Drogenkartelle. Es wird lediglich
ganisierten Banden, häufig. Ebenso wird dafür die
von kleineren Ablegern mexikanischer und ko-
Masche vom sympathischen Fremden genutzt,
lumbianischer Banden berichtet. Zwar wird die
der in ein angeblich vertrauenswürdiges Taxi oder
Karibikküste Nicaraguas als Umschlagplatz und
einen Privatwagen zur Mitfahrt eingelädt. Spazier-
Transportweg für Kokain, Heroin und Waffen ge-
gänge in der Dunkelheit und generelle Besuche
nutzt, die von Süd- nach Nordamerika gelangen
bestimmter Regionen und Stadtteile sollten ver-
sollen, jedoch werden die ausländischen Banden
mieden werden, ebenso das Campen abseits von
hier meist von lokalen Bewohnern, insbesondere
offiziellen, bewachten Plätzen. Insbesondere für
Fischern und Verkehrspersonal, unterstützt und
Frauen besteht in manchen Gegenden auch tags-
mit Drogen oder Geld bestochen165. Auch wenn
über das Risiko vergewaltigt zu werden.162
die Regierung im Kampf gegen den Drogenhandel
Für die lokale Bevölkerung bestehen diese Risi-
eher zurückhaltend ist, gar Beweise von Beste-
ken ebenso, auch Hauseinbrüche in den urbanen
chungszahlungen veröffentlicht wurden, besteht
Regionen sind keine Seltenheit. In den ländlichen
ein geringeres Risiko für die lokale Bevölkerung.166
137
Gesellschaft_ Wirtschaft
Nicaragua gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Laut Schätzungen des IWF lag das Pro-Kopf-Einkommen 2018 mit 2.207 US-Dollar unterhalb der Armutsgrenze. Trotz des GDP-Wachstums gibt es eine leichte Inflation und viele Nicaraguaner haben trotz Job kein ausreichendes Einkommen167. Die Infrastruktur und Wirtschaft Nicaraguas leiden nach wie vor unter den Folgen des Bürgerkrieges und Naturkatastrophen, wie zum Beispiel Hurrikan Mitch, der das Land 1998 schwer traf168. Wichtige Exportpartner, insbesondere für Kaffee, Fleisch, Gold, sowie Zigarren und Textilien, beziehungsweise Baumwolle, sind die USA (über 50%), Mexiko, El Salvador und Venezuela. Für den Import von Rohmaterialien, Konsumgütern und insbesondere Erdöl sind ebenfalls die USA und Mexiko, aber auch China wichtig.169 Generell ist Korruption insbesondere in öffentlichen Institutionen weit verbreitet.170
Abb. 69: Ländliches Nicaragua, 1978
138
139
Gesellschaft_ Vergleich Nicaragua & Deutschland Allgemein
Nicaragua
Deutschland
Fläche
130.370 km2
357.022 km2
Einwohner
6,3 Millionen
80,5 Millionen
Einwohner/km2
45,2
231
Hauptstadt
Managua
Berlin
Einwohner Hauptstadt
1,0 Millionen
3,5 Millionen
Staatsform
Republik, Präsidialsystem
Bundesrepublik, parlament. Demokratie
Sprachen
Spanisch Englisch Miskito, Sumo, Creole
Deutsch Regionale Dialekte
Nicaragua
Deutschland
Durchschnittliche Schuljahre
6,5 Jahre
13,2 Jahre
Arbeitslosigkeit Jugend (15-24)
6% 11,9%
4,3% 7,2%
Internetnutzung
24,6%
87,6%
Life satisfaction (0 bis 10)
5,9
7,0
Alphabetisierungsrate
82,8%
100%
Migrationsrate
-2,7 / 1.000
1,5 / 1.000
Währung
Córdoba Oro (NIO)
Euro (€)
0,645 Platz 124 / 188
0,926 Platz 4 / 188
Wechselkurs (am 21.05.2018)
1 NIO = 0,027086 €
1 € = 36,937635 NIO
Bruttoinlandsprodukt (Nominal)
$ 19,49 / 16,64 Mrd. €
$ 3,68 / 3,15 Billionen €
Einwohner (2015)
6,1 Millionen
80,7 Millionen
Pro-Kopf-Einkommen (GNI)
$ 2.207 / 1.884 €
$ 44.550 / 38.039 €
GDP-Wachstumsrate
4,5%
2,1%
Bevölkerungswachstum
0,98%
-0.16%
Geburtenrate
Unterhalb der Armutsgrenze
29,6%
16,7%
17,7 / 1.000 1,89 Kinder pro Frau
8,6 / 1.000 1,45 Kinder pro Frau
Multidimensional poverty
19,4%
8%
Sterberate
5,1 / 1.000
11,7 / 1.000
Inflation
4%
1,6%
Kindersterblichkeit
18,3 / 1.000 lebend
3,4 / 1.000 lebend
Einkommensungleichgewicht
32,1%
14,8%
Durchschnittsalter
25,2 Jahre
47,1 Jahre
Altersstruktur
0-14: 27,24% 15-24: 21,26% 25-54: 40,24% 55-64: 5,98% 65+: 5,28%
0-14: 12,82% 15-24: 10,09% 25-54: 40,45% 55-64: 14,58% 65+: 22,06%
CO2 Ausstoß
5,2 Millionen Mt
744 Millionen Mt
Energieverbrauch
3,2 Billionen kWh
514,6 Billionen kWh
Militärausgaben
0,55% vom GDP
1,2% vom GDP
Lebenserwartung
75,2 Jahre
81,1 Jahre
Homizidrate
11,5 / 100.000
0,9 / 100.000
Übergewicht
23,7%
22,3%
Gefängnisinsassen
171 / 100.000
78 / 100.000
Geburtenrate 15-19 Jährige
88,8 / 1.000
6,7 / 1.000
Suizidrate
4,9 Frauen / 100.000 15,4 Männer / 100.000
4,1 Frauen / 100.000 14,5 Männer / 100.000
Human Development Index
Bevölkerung
Bildung
Wirtschaft
Sonstiges
Quellen: siehe 171
140
141
Historie_ Entdeckung und Kolonialzeit Unabhängigkeit Diktator Somoza Sandinistische Revolution Nach 1990 Alemån und Ortega Familie Ortega Aktuelle politische Lage
143
Historie_ Entdeckung und Kolonialzeit
Über die frühen Völker Nicaraguas gibt es auf-
und teilweise handelnd, aber auch in kriegerischer
grund der Zerstörung durch die Kolonialherr-
Beziehung zueinander standen. Trotz friedlicher
schaften und der Verwendung von Materialien
erster Begegnungen, wurden das Land und seine
wie Holz und Lehm wenig Zeugnisse der frühen
Bewohner von den Europärern ausgebeutet. Ein
Kulturen. In der Pazifikregion war Nicaragua von
Großteil der indigenen Stämme - auch wirtschaft-
den „Chorotegas“ besiedelt, im Westen von den
lich und kulturell weit entwickelt - wurde versklavt.
„Maribios“. Die Kultur, Sprache und Lebensweise
Sie wurden zum katholischen Glauben bekehrt,
der Chorogetas und „Nicirano“ ähnelte denen der
Aufständische wurden häufig deportiert um in
Mayas und Azteken Mexikos, charakterisiert durch
südamerikanischen Minen zu arbeiten.
Landwirtschaft und Handel ihrer Produkte mit benachbarten Gruppen172. Die Siedler an der Karibik-
Wie in so vielen lateinamerikanischen Ländern,
küste lebten eher nomadisch und waren weniger
vernichteten die Eroberer absichtlich, aber auch
weit entwickelte Volksstämme, die vermutlich aus
unabsichtlich durch eingeschleppte Krankheiten
Südamerika eingewandert sind. Sie waren Jäger
und Ungeziefer, die native Bevölkerung Nicara-
und Fischer und nutzten simple landwirtschaft-
guas zu einem großen Teil.174
liche Methoden. Später wurde diese Region von entlaufenen afrikanischen Sklaven und anderen
Nach Aussage eines spanischen Mönches sollen
karibischen Indigenen bevölkert.
im Jahre 1522 keine 5.000 Menschen mehr in Ni-
173
caragua gelebt haben. Die Herrschaft der Spanier
Abb. 70: Karte Mittelamerikas im 16. Jahrhundert
144
Die pazifische Küste Nicaraguas wurde im frühen
konzentrierte sich vor allem auf die Westküste, wo
16. Jahrhundert als spanische Kolonie von Pana-
auch die ersten spanischen Kolonialstädte Gra-
ma aus besiedelt. Zur Zeit der Ankunft der Spa-
nada (1523) und León (1524) gegründet wurden.
nier soll es drei große indigene Volksstämme ge-
An der Ostküste existierte einige Zeit eine, von
geben haben, die unterschiedlich weit entwickelt
Jamaika aus, eroberte Kolonie Großbritanniens.175
145
Historie_ Unabhängigkeit
Im 18. Jahrhundert gab es mehrere Aufstände
Die Hauptstadt Managua liegt nicht zufällig geo-
durch die Indígenas, die Anfang des 19. Jahrhun-
grafisch zwischen den beiden Städten. Auch die
derts, während der französischen Revolution in
US-amerikanische Regierung nahm Einfluss auf
Europa und der Besetzung Spaniens, zu den Un-
die politische Lage in Nicaragua und besetzte
abhängigkeitskriegen in Mittelamerika führten. Die
zum Beispiel von 1912 bis 1933 Managua, Grana-
Unabhängigkeit von Spanien erlangte das Land
da und León zur Unterstützung der konservativen
am 15. September 1821, woraufhin es Teil der
Regierung gegen die liberalen Rebellen.179
Zentralamerikanische Föderation wurde176. Erst 1838 konnte Nicaragua als unabhängige Republik gegründet werden, um bereits in den folgenden 1850er Jahren von einem US-Amerikaner namens William Walker an sich gerissen zu werden.177 Nach seiner langwierigen Vertreibung waren auch die darauffolgenden Jahre von Unruhen und Aufständen geprägt. Insbesondere der alte Gegensatz zwischen der liberalen Elite aus León und der konservativen Elite aus Granada, begründet in jahrhundertealter Rivalität zwischen den Händlern der beiden Städte und ihren wirtschaftlichen IdeaAbb. 71: Granada Abb. 72: Managua Abb. 73: Leon
146
len, führte immer wieder zu Regierungsputschen und Bürgerkriegen.178
147
Historie_ Diktator Somoza
Im Jahre 1927 brach erneut ein Bürgerkrieg zwi-
einige Jahre später von Somoza selbst in einem
schen den Liberalen und Konservativen aus. Einer
Putsch überworfen.
der liberalen Generäle, Augusto César Sandino,
Danach war das Land durch die Nationalgarde,
sowie einige seiner Soldaten, widersetzen sich
die sowohl die Polizei- als auch die Armeefunk-
der Entwaffnung, die im Pakt von Espino Negro
tion erfüllte, fest in der Hand der Familie Somoza,
mit einem US-Abgesandten ausgehandelt (oder
die ihre Macht und die Nähe zu den USA nutzten
erzwungen) worden war, und zogen sich als Re-
um eines der größten lateinamerikanischen Wirt-
bellengruppe in die nördlichen Berge zurück.
schaftsimperien zu errichten. Unruhen wurden
Die von Sandino aufgestellte Gruppe kämpfte im-
unterdrückt und der Wiederaufbau nach dem ver-
mer wieder gegen die stationierten US-Marines,
nichtenden Erdbeben von 1931 und auch dem
bis diese schließlich 1932 abzogen und von der
Großbrand in Managua in 1936 wurden genutzt
nicaraguanischen Nationalgarde unter Anastasio
um den Grundbesitz der Familie zu vermehren.
Somoza García, einem Vertrauten der US-amerikanischen Regierung, abgelöst wurde.
Im zweiten Weltkrieg kooperierte Somoza mit den USA und nutzte die Kriegserklärung gegen Japan,
Nach dem Abzug der Marine legten Sandinos
Italien und Deutschland, um allen Deutschen ihr
Truppen die Waffen nieder, woraufhin er und seine
Land, Vermögen und insbesondere ihre Kaffee-
engsten Offiziere von Somoza zu einem Bankett
plantagen zu enteignen.
am 21. Februar 1934 eingeladen wurden, nach
Durch Unterstützung der USA konnten auch an-
dessen Ende sie jedoch auf Veranlassung Somo-
haltende Grenzkonflikte mit Costa Rica und Hon-
zas ermordet und verscharrt wurden.
duras, sowie ein Putschversuch ehemaliger Sol-
180
Abb. 74: Sandino
daten der Nationalgarde, die nun unter dem Be-
und Unterstützer Abb. 75: Anastasio Somoza García und Augusto C. Sandino
148
Ein Onkel Somozas, der Liberale Juan Bautista Sa-
fehl eines Sohnes von Somoza, Anastasio Somoza
casa, wurde 1933 als Präsident vereidigt, jedoch
Debayle, stand, überwunden werden.181
149
Schließlich wurde der Diktator Somoza im Jahr
Somoza genutzt um internationale Spenden auf
1956 durch den Dichter Rigoberto López Pérez bei
eigene Konten umzuleiten, Hilfsgüter zu verkau-
einem Bankett ermordet, der daraufhin von Somo-
fen und das Bau- und Bankgewerbe an sich zu
zas Leibwächtern erschossen wurde.
reißen184. Formal gesehen existierte ein Mehrparteiensys-
Bis 1963 herrschte daraufhin Somozas Sohn, Luís
tem, jedoch wurde jede echte Opposition von
Somoza Debayle, als Präsident, trotz des Versuchs
der Nationalgarde unterdrückt und Gewerkschaf-
der Konservativen Partei und der sandinistischen
ter sowie Kleinbauern drangsaliert. Die kritische
Guerillas die Regierung 1959 zu stürzen.
Presse, wie die Zeitung „La Prensa” von Pedro
Als Kandidat der Liberalen wurde 1967 sein Bru-
Joaquin Chamorro Cardenal wurde massiv bedroht
der Anastasio Somoza Debayle, ehemaliger Be-
und eingeschüchtert.
182
fehlshaber der Nationalgarde, durch Wahlbetrug zum Präsidenten und durch Sondervollmachten
Die bereits 1961 von Studenten der Universität
1972 und 1974 erneut im Amt bestätigt.183
Managua gegründete „Frente Sandinista de Libera-
Seine alles andere als liberale Regierung zeichne-
tion Nacional” (FSLN), die sich gegen Somoza rich-
te sich durch ihre Nähe und Unterstützung durch
tete und deren Mitglieder von dessen Regierung
die USA aus, die Nicaragua unter anderem als
verfolgt und ermordet wurden, gewann in diesen
militärischen Stütz- und Ausbildungspunkt nutzte,
Jahren mehr und mehr Zuspruch in der Bevölke-
zum Beispiel um Kuba anzugreifen oder Söldner
rung.185
gegen Guatemala auszubilden, aber auch wirtAbb. 76: Diktator Somoza, 1978 Abb. 77: Managua nach dem Erdbeben von 1972
150
schaftliches Interesse an Nicaragua hatte. Das starke Erdbeben, das am 23. Dezember 1972 einen Großteil Managuas zerstörte und durch das 10.000 Menschen starben, wurde von der Familie
151
„Nosotros no somos militares, somos ciudadanos armados...“ „Wir sein keine Soldaten, wir sind bewaffnete Bürger.“ General Augusto César Sandino, 1927
Abb. 78: Sandinistische Rebellen, 1978
152
153
Abb. 80: Kontrolle eines öffentlichen Busses, 1978
Abb. 79: Rebellen
154
Abb. 81: Plünderung
mit traditionellen
eines brennenden
Masken, 1978
Geschäfts, 1978
155
Abb. 82: Einzug der
Abb. 84: Zerstörte
Guardía Nacional in
Häuser während der
die FSLN-Hochburg
Revolutionskämpfe,
Masaya, 1978
Abb. 83: Guardía
Abb. 85: Revo-
Nacionale in Ma-
lutionskämpfer in
saya. 1978
156
Masaya, 1978
Managua. 1978
157
Herbstlied für Nicaragua Die Vögel sammeln sich - wissen, wohin sie fliegen Die Menschen sammeln sich - wissen, wohin sie geh'n Wer wird die Vögel hindern auf ihrem Weg in den Süden? Wer wird die Menschen hindern auf ihrem Flug in die Freiheit? Viele werden sterben an den Mühen des Weges - aber die andern kommen ans Ziel Dietmar Schönherr Casa de los tres mundos / das Haus der drei Welten186
Abb. 86: Sandinistische Rebellen, 1978
158
159
Historie_ Sandinistische Revolution
Anfang des Jahres 1977 kam es nach der Er-
der Bevölkerung entwickelte sich nur langsam.189
mordung des oppositionellen Zeitungsverlegers
Die sandinistische Regierung wurde in westlichen
Chamorro, zu einem Generalstreik, der moderate
Medien als kommunistisch betrachtet, weshalb
und sandinistische Kräfte gegen Somoza vereinte,
internationale Handelsbeziehungen lediglich ein-
initiiert von „Los Doces” (Die Zwölf), einer Gruppe
geschränkt möglich waren. Außerdem unterstütz-
nicaraguanischer Akademiker und Geschäftsleu-
te Nicaragua, zusammen mit Kuba und der Sow-
te .
jetunion, nach Aussagen der USA, linke Rebellen
Dies führte schließlich zu einem Bürgerkrieg, bei
in El Salvador.190
187
dem mehr als 50.000 Menschen starben. Schließlich floh Diktator Somoza 1979 und am 19. Juli
In den 1980ern versuchten die USA die nicara-
des gleichen Jahres, „el Día de la Revolución Sand-
guanische junta, nun hauptsächlich unter Leitung
inista”, konnten die FSLN-Guerilleros siegreich in
Daniel Ortegas, mit Hilfe der paramilitärischen, mit
Managua einziehen188.
amerikanischen Waffen und Geldmitteln ausgestatteten, Contras (Contrarevolucinarios) zu stür-
Die Sandinisten, nun mit einer Übergangsregie-
zen191.
rung „junta” an der Macht, starteten eine erfolg-
Abb. 87: Einzug der Sandinisten, 19. Juli 1979 Abb. 88: Vereidigung Daniel Ortegas, 1985
160
reiche Bildungskampagne, investierten in das
Obwohl die USA für diese Aktionen in und gegen
Gesundheitssystem und entwickelten die Frauen-
Nicaragua vom Internationalen Gerichtshof in Den
rechte. Der weltbekannte Dichter und Priester Er-
Haag zu Schadensersatzzahlungen verurteilt wur-
nesto Cardenal wurde zum Kulturminister ernannt.
den, sind diese bis heute nicht gezahlt worden.
Jedoch kam es auch zu Zwangsumsiedlungen
Trotz der Destabilisierungsversuche im „Cont-
von Miskito-Indianern aus der östlichen Küsten-
ra-Krieg” wurden die Sandinisten in den ersten
region ins Landesinnere und das Wirtschafts-
freien Wahlen im Jahr 1984, mit Daniel Ortega als
wachstum sowie der generelle Lebensstandard
Präsident, offiziell gewählt.
161
Historie_ Nach 1990
Durch das 1988 gefasste mittelamerikanische
der ehemaligen Contras und Sandinisten, die sich
Friedensabkommen wurde die sandinistische Ar-
gegen die Regierung stellten. Die schwierige Si-
mee umgewandelt und verkleinert, irreguläre Trup-
tuation wurde von der Präsidentin weitestgehend
pen demobilisiert und freie und geheime Wahlen
unter Kontrolle gehalten, indem sie Daniel Orte-
eingeführt, die 1990 mit Einverständnis der sandi-
gas Bruder zum Befehlshaber der Armee ernannte
nistischen Regierung von den Vereinten Nationen
und Einfluss auf die gesamte Presse nahm, die
überwacht wurden. Die Wahl 1990 gewann über-
großeteils durch ihre Familie kontrolliert wurde so-
raschend das Wahlbündnis UNO (Unión Nacional
wie mit finanzieller Unterstützung der USA.194 Es
Opositora), bestehend aus 14 konservativen und
wurde Stabilisierungs- und Sparprogramme be-
antisandinistischen Parteien, mit 55,2% der Stim-
schlossen, das die kapitalistische Privatwirtschaft
men, während die sandinistische Partei, die FSLN,
einführten und in vielen Sektoren eine Privatisie-
40,8% erhielt.192 Die UNO und ihre Kandidatin, die
rung und Verkleinerung durchführte. Ein Abkom-
Zeitungsverlegerin Violeta Chamorro, versprachen
men mit dem Internationalen Währungsfond und
das Ende des Contra-Krieges, die Aufhebung des
der Weltbank förderte eine weitreichende Libera-
Wirtschaftsembargos und generellen Wohlstand
lisierung der Wirtschaft und eine Reduktion der
für die Bevölkerung, die unter den Kriegsjahren
Sozialausgaben.
und seinen unzähligen Opfern, dem Embargo,
Ein entscheidender Vertrauensbruch der FSLN war
Inflation, Arbeitslosigkeit und einem nach wie vor
die sogenannte „Piñata”, die nach der Wahl 1990
niedrigen Lebensstandard litt.
bis zur Amtsübergabe geschah. In über 200 Fällen
Die neue Regierung bestand aus einer Koopera-
fand eine, bis heute unaufgeklärte, Überschrei-
tion zwischen dem moderaten Lager der konser-
bung staatlicher Vermögenswerte sowie einzelner
vativen und sandinistischen Partei. Auch wenn sie
Betriebe und eine Privatisierung von Dienstwagen
offiziell Frieden und ein Ende des Embargos er-
und Staatsgütern statt, an der sich auch die Präsi-
reichten, formierten sich erneut radikale Gruppen
dentenfamilie Ortega massiv bereicherte.
193
Abb. 89: AntiSandinista Contras, Honduras,1987 Abb. 90: Daniel Ortega vereidigt Violeta Chamorro
162
163
Historie_ Alemán und Ortega
In den folgenden Wahlen 1996, nach verschie-
benszeit mit Immunität für den Präsidenten und
denen Parteispaltungen und -neugründungen,
Vizepräsidenten eingeführt, von dem Alemán in
gewann die Alianza Liberal (AL) mit ihrem Kandi-
seinem Korruptionsverfahren profitierte.
daten Arnoldo Alemán, auch wenn die Wahl von
Die Wahlen 2001 verlor die FSLN ebenfalls erneut
einigen Unregelmäßigkeiten überschattet wurde
mit dem, auch innerhalb seiner Partei umstritte-
und im Anschluss erneut Widerstand der Contras
nen, Präsidentschaftskandidaten Daniel Ortega,
stattfand . Seiner Regierung wurde Vetternwirt-
gegen den Kandidaten der Liberal-Konservativen
schaft und Korruption vorgeworfen und nach sei-
Partei (PLC), Enrique Bolaños, der ehemalige Vi-
ner Amtszeit 2003 wurde Alemán wegen dieser zu
zepräsident Alemáns, mit 45% zu 53% der Stim-
einer Haftstrafe verurteilt, die er jedoch noch nicht
men. Der angekündigte Antikorruptionskampf
antreten musste, allerdings lebt er unter Hausar-
des neuen Präsidenten wurde jedoch von neuen
rest in Managua.
Korruptionsverdächtigungen und Privatisierungen
Gemeinsam mit Daniel Ortega, als Vorsitzender
überschattet, was die internationalen Geldgeber,
der Sandinisten, arbeitete Alemán während seiner
wie die USA und den IWF, Druck und die Forde-
Regierungszeit an einem Pakt zwischen der AL
rung nach Transparenz öffentlicher Gelder aus-
und der FSLN. Die Beiden versuchten die Errich-
üben ließ. Gleichzeitig versuchte die linke, sandi-
tung eines Zweiparteienstaates durch Gesetzes-
nistische Opposition im Parlament die Entmach-
und Verfassungsänderungen, zum Beispiel durch
tung des aktuellen Präsidenten voran zu treiben197.
das Verbot freier Bürgerlisten und die Erschwe-
Schließlich konnte sich in den Wahlen 2006, die
rung der Zulassung von neuen Parteien.
offiziellen internationalen Wahlbeobachtern zu-
Die wichtigsten Gremien, wie der Oberste Wahl-
folge ruhig und ohne Unregelmäßigkeiten verlief,
rat, der staatliche Rechnungshof und der Oberste
der ehemalige Guerilla-Führer, Daniel Ortega, mit
Gerichtshof, wurden ebenfalls in ihrem Interesse
38,1% zu 30% der Stimmen gegen den konserva-
besetzt sowie ein Abgeordnetenstatus auf Le-
tiven Kandidaten durchsetzen198.
195
196
Abb. 91: Alemán und Ortega, 1999 Abb. 92: Ortega mit Evo und Chavez, Inauguration 2007
164
165
Historie_ Familie Ortega
Im Jahr 2007 wurde Daniel Ortega als Präsident
lie und deren Vertrauen kontrolliert. Der Präsident
von Nicaragua vereidigt. Seiner Ehefrau Rosario
und seine Ehefrau, die gleichzeitig Vizepräsidentin
Murillo übergab er wichtige politische Posten,
ist, wirken zusammen als oberste Macht- und Be-
zum Beispiel als Regierungssprecherin, Vorsitzen-
fehlshaber, sowie sieben Kinder des Paares be-
de des Rates für Kommunikation und Bürgeran-
sitzen wichtigen Positionen in den Medien, der
gelegenheiten und Koordinatorin aller Volksräte,
Wirtschaft und der Politik.202
was von vielen Parteien als Verfassungsverstoß
Auf dem Demokratieindex der britischen Zeit-
kritisiert wurde. Ortega setzte einige Verfassungs-
schrift The Economist belegte Nicaragua 2016
änderungen durch, die ihm weitreichende Befug-
lediglich Platz 104 von 167 Ländern und gilt als
nisse ermöglichen . So war es ihm erst durch
ein „Hybridregime“ zwischen demokratischen
eine umstrittene Entscheidung des Verfassungs-
und autoritären System.203 Im Länderbericht der
gerichts möglich erneut zur Wahl 2011 zugelas-
US-amerikanischen Nichtregierungsorganisation
sen zu werden, obwohl laut Verfassung mehr als
Freedom House wurde Nicaragua 2017 als „par-
zwei Amtszeiten einer Person nicht möglich waren
tiell frei“ bewertet, mit schlechten Bewertungen
und Präsidenten nicht direkt wiedergewählt wer-
für den Wahlprozess, politische Pluralität und
den können200. Die Wahl, die von Unregelmäßig-
Transparenz der Regierung.204 Laut der Rangliste
keiten überschattet und bei der eine internationale
der Pressefreiheit von 2017, die jährlich von Re-
Beobachtung verhindert wurde, gewann Ortega
portern ohne Grenzen veröffentlicht wird, liegt Ni-
mit 62,6% der Stimmen, ebenso wie die Wahlen
caragua auf Platz 92 von 180, 17 Plätze niedriger
Ortega-Murillo mit
2016.
als im Vorjahr.205 Homosexualität ist nach einigen
Hugo Chávez
Offiziell ist Nicaragua eine präsidentielle Republik,
Jahren der Kriminalisierung seit 2008 wieder straf-
jedoch werden alle wichtigen Posten, die Präsi-
frei, nach wie vor herrscht jedoch ein absolutes
dentschaft, die Justiz- und die Nationalversamm-
Abtreibungsverbot, selbst im Falle von Vergewalti-
lung und der Oberste Wahlrat, von Ortegas Fami-
gungen oder Gefährdung des Lebens der Mutter.
199
Abb. 93: Familie
Abb. 94: Daniel Ortega und Rosario Murillo bei einer Regierungserklärung, April 2018
166
201
167
Historie_ Aktuelle politische Lage
Aktuelle Reisewarnung des Auswärtigen Amtes (Stand: 26. Juli 2018)
Anfang diesen Jahres gab es aufgrund ange-
zu verbinden und somit eine lukrative Konkurrenz
Von nicht erforderlichen Reisen nach Nicaragua wird weiterhin dringend abgeraten. [...] Seit Mitte April 2018
kündigter Sozialreformen, die unter anderem
zum Panamakanal darstellen209. Durch das Ab-
kommt es im gesamten Land zu massiven Demonstrationen gegen die Regierung und gewalttätigen Auseinan-
Rentenkürzungen vorsahen, zahlreiche friedliche
kommen hat die chinesische Firma gleichzeitig
dersetzungen, bei denen bisher rund 350 Menschen getötet und etwa 2000 verletzt worden sind. Nahezu täglich
Demonstrationen, die von der Polizei mit scharfer
für 50 Jahre das Recht auf Enteignung nicara-
kommt es zu Brandstiftungen, Plünderungen oder anderen Straftaten, von denen auch Ausländer betroffen sein
Munition niedergehalten wurden. Dabei wurden
guanischen Bodens erhalten. Aufgrund dessen
können. Straßensperren wurden mittlerweile beinahe vollständig geräumt, allerdings kann in der volatilen Situation
mindestens 26 Menschen getötet, was zu noch
und der dadurch befürchteten Umweltschäden,
die Errichtung neuer Barrikaden nicht ausgeschlossen werden. [...] Reisenden wird dringend geraten, die Lage-
größeren Demonstrationen, die sich nun gegen
Vermutungen der Korruption sowie politischem
entwicklung [...] zu beobachten, Demonstrationen und Menschenansammlungen unbedingt fernzubleiben und
die gesamte Regierung Ortegas richteten, führ-
Eigeninteresse, aber auch aufgrund des Mangels
den Anweisungen von Sicherheitskräften Folge zu leisten. Neben dem Risiko, in Auseinandersetzungen verwickelt
te. Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen
an Glaubwürdigkeit der chinesischen Investoren,
zu werden und dort zu Schaden zu kommen, verbietet das nicaraguanische Recht Ausländern die politische
Gegnern und Anhängern Ortegas sowie der Poli-
ist das Bauprojekt höchst umstritten und wird von
Betätigung. [...] Es wird empfohlen, sich nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr außer Haus zu bewegen.
zei, insbesondere in Managua, forderten weitere
der Bevölkerung weitestgehend abgelehnt.210
Menschenleben207. Zwischen dem 18. April und
Durch die aktuelle politische Machtstruktur, die
10 Juli 2018 gab es aufgrund von Protesten laut
Verfassungsänderungen und generelle Korrup-
Zahlen der Menschenrechtsorganisation ANPDH,
tionverdächtigungen wird im US-Senat derzeit
351 Tote, 2.100 Verletzte und mehr als 500 Ver-
der „Nicaraguan Investment Conditionality Act”
haftete.208
(NICA) diskutiert, der neue Investitionen und wei-
206
tere finanzielle Unterstützung durch die USA an
Abb. 95: Studenten bei einer Demonstration
168
Auch das 2013 von der Regierung unter Daniel
bestimmte Bedingungen wie Transparenz der
Ortega geschlossene Abkommen zum Bau eines
öffentlichen Gelder und generelle Förderung de-
interkontinentalen Kanals war und ist Grund für
mokratischer Strukturen knüpfen soll.211 Dies wird
Widerstand der Bevölkerung. Eine neu-geformte
Investitionen internationaler Geldgeber erschwe-
chinesische Firma soll für geschätzte 50 Billionen
ren und die nicaraguanische Wirtschaft durch das
US-Dollar (42,7 Billionen €) eine Wasserstraße
Ausbleiben amerikanischer Gelder vermutlich wei-
quer durch das Land bauen, um die beiden Meere
ter schwächen.
169
Gegebenheiten_ Geographie Klima Flora Architektur
171
Gegebenheiten_ Geographie
Nicaragua besteht hauptsächlich aus drei ver-
berühmte Momotombo (1.280 Meter), am Fuße
schiedenen geografischen Zonen: dem pazifischen
des Managuasees, der als aktiver Vulkan immer
Flachland im Westen zwischen niedrigen, aber
wieder Aschewolken ausstößt. Das Deutsche
rauen Bergen und Vulkanen, der nördlich-zentra-
Auswärtige Amt weist auf die generelle, unbere-
len Bergregion und dem karibischen Flachland mit
chenbare Gefahr durch die erhöhte Aktivität aller
einer großen Regenwaldregion, die an der Küste
sechs aktiven Vulkane hin, insbesondere auf die
in Deltas und Lagunen, sowie Korallenriffen, Inseln
Wahrscheinlichkeit vulkanischer Beben.215
und Sandbänken an die Karibik angrenzt.212 Die seismischen Aktivitäten in Nicaragua entste-
MANAGUA
In den niedrigen Ebenen im Westen des Gebirges
hen dadurch, dass sich die Cocos-Erdplatte unter
bis hin zum Pazifik, befinden sich der Nicaragua-,
die Karibische Platte schiebt, auf der sich das
Managua- und Masayasee, sowie die meisten ni-
Land befindet. Dies führt zu einem hohen Erdbe-
caraguanischen Städte. Der Nicaraguasee ist mit
benrisiko im Südwesten des Landes, vor allem um
8.157 km2 der größte Binnensee in Mittelamerika
die Hauptstadt Managua und Touristenstadt Léon.
und der zweitgrößte See in Lateinamerika.213
Spannungen und Erdbeben entstehen auch durch Bewegungen der Nordamerikanischen Platte im
Die durchschnittliche Höhe liegt bei 298 Metern
Norden und Osten und die Ausläufer der südame-
über dem Meer und dem höchsten Punkt, dem
rikanischen Nazca-Platte.216
Berg Pico Mogotón (2.436 Meter). Die Vulkanket-
Die letzten verheerenden Erdbeben in Managua
te im Südwesten des zentralen Gebirges besteht
waren 1931 (Magnitude 5,6) und 1972 (Magnitu-
aus etwa 40 Vulkanen, von denen sechs als aktiv
de 6,2), die einen Großteil der Stadt komplett zer-
gelten . Die höchsten Vulkane sind San Cristóbal
störten, tausende Menschenleben forderten und
(1.780 Meter), Concepción (1.610 Meter), der auf
Millionen obdachlos machten.
214
Abb. 96: Topographische Karte von Nicaragua
172
der Insel Ometepe im Nicaraguasee liegt, und der
173
Gegebenheiten_ Klima
Generell hat Nicaragua ein tropisches Klima, das
sind die heißesten Monate in Nicaragua (Trocken-
über das Jahr hinweg recht konstante Temperatu-
zeit, sogenannter Sommer), wenn die Sonne be-
ren aufweist. Es gibt drei hauptsächliche Klimabe-
reits sehr hoch steht und die Regenzeit (Winter)
reiche innerhalb des Landes: äquatorial-feuchtes
noch nicht begonnen hat.
Klima, Monsun-Klima und tropisch-trockenes Sa-
Die karibische Küstenregion ist ein wenig kühler,
vannenklima, die sich jeweils durch unterschied-
aber auch deutlich regnerischer (durchschnitt-
liche Temperaturen und Regenfall auszeichnen,
lich 3.810mm jährlich) als der pazifische Westen
die durch die Höhenunterschiede der Regionen
(1.905mm, Vergleich Deutschland ca. 750mm),
begründet sind.
wobei im ganzen Land die Hauptregenzeit von
Als „tierra caliente” werden die Ebenen bis 750
Mai bis November währt und Dezember bis April
Metern ü. M. bezeichnet, mit Tagestemperaturen
als Trockenzeit gilt218. Zur Hauptregenzeit regnet
von 30 bis 33°C und nächtlichen 21 bis 24°C die
es meist täglich für eine kurze, jedoch intensive
meiste Zeit des Jahres. Die „tierra templada” liegt
Zeit219.
auf 750 bis 1.600 Metern und hat mildere TemMANAGUA
peraturen (tagsüber 24-27°C, nachts 15-21°C).
Sowohl die östliche als auch westliche Küstenre-
Lediglich die nördlichen, hohen Berge über 1.600
gionen sind außerdem Tropenstürmen und Hurri-
Metern gelten als „tierra fría” (22-24°C tagsüber,
kanen ausgesetzt, die vor allem von Juli bis Ok-
unter 15°C nachts).
tober mit ihren starken Winden, Starkregen und
217
Äquatoriales Klima (Af) Monsun Klima (Am) Tropisches Savannenklima (Aw)
Fluten großen Schaden durch Überschwemmun-
Abb. 97: Klimazonen nach Köppen in Nicaragua
174
Der Westen Nicaraguas, in dem auch die wich-
gen und Erdrutsche anrichten.220 Zuletzt trafen
tigsten Städte liegen und der Großteil der Bevöl-
Hurrikan Mitch (1998), Otto (2016) und Nate (2017)
kerung lebt, hat tropisch-heiße Temperaturen, die
das Land schwer, forderten Menschenleben, zer-
sich das meiste Jahr durchschnittlich konstant
störten unzählige Wohnhäuser und Gebäude und
zwischen 28 und 32°C halten. März, April und Mai
hinterließen tausende Menschen obdachlos.221
175
Gegebenheiten_ Flora
Aufgrund des tropisch-feuchten Klimas hat Nica-
strengen Auflagen und Kontrollen mittlerweile ein-
ragua eine große Vielfalt an Flora (etwa 6.000 Ar-
gehalten und weitestgehend nachhaltig und legal
ten) und Fauna (mehr als 13.000 Arten), von denen
geforstet.224 Auch in der Hauptstadt Managua gibt
etwa 200 einzig in Nicaragua zu finden sind.222 Der
es eine große Vielfalt an Vegetation.
Westen des Landes ist durch die Vulkanasche besonders fruchtbar und geeignet für landwirt-
Exotische und seltene Pflanzen und Bäume wie
schaftlichen Anbau.
Ceibos, Pochotes, Genízaros, Tigüilotes, Königspalmen, Piñuelas and Madroños finden sich in der
Der Osten ist geprägt von Pinien- und Palmen-
ganzen Stadt225. Kultiviert, besonders für den Ex-
savannen und weniger fertilen Böden, abgesehen
port, werden unter anderem Kaffee, Tropenfrüchte
von den Ufergegenden um die unzähligen Flüsse.
wie Bananen, Avocados, Papayas, Guaven oder
Östlich der Berge gibt es außerdem eine Region
Ananas, Zuckerrohr, Reis, Nüsse und andere Hül-
mit Regenwald, in den nördlichen Bergen finden
senfrüchte, Tabak und Baumwolle226.
sich Pinien- und Eichenwälder.223
Auch die Haltung von Rindern, Kühen, Schweinen und Geflügel zur Milch- und Fleischproduktion,
Abb. 98: Playa Gigante, Karibikküste Abb. 99: Blick auf den Momotombo Abb. 100: Peñas Blancas, Regenwald
176
In Nicaragua wachsen unzählige wertvolle Tropen-
ebenfalls zum Export, ist verbreitet227. Die Züch-
hölzer wie Palisander, Zeder, Pinien und Mahago-
tung und der Fang von Shrimps, Hummern und
ni, jedoch hat sich von 1950 bis 2000 laut einem
anderen Meeresfrüchten, sowie Fisch, dient in
Report der Ernährungs- und Landwirtschaftsorga-
den Küstenregionen als auch an den westlichen
nisation der Vereinten Nationen der Waldbestand
Binnenseen als Erwerbsquelle der Bevölkerung.228
des Landes aufgrund der Landreformen, der
Die zahlreichen natürlichen Ressourcen des Lan-
Ausbreitung landwirtschaftlicher Flächen und un-
des wie Gold, Silber, Kupfer, Wolfram, Blei und
regulierter Holzindustrie fast halbiert. Dank der
Zink wurden bereits zu Kolonialzeiten von den
seit 1998 operierenden Forstbehörde werden die
Spaniern und Briten ausgebeutet.229
177
Gegebenheiten_ Architektur
Über frühe, indigene Bauformen in Nicaragua ist,
terschiede zwischen den ruralen Landwirten und
aufgrund der Zerstörung während der Kolonialzeit,
ihren häufig einfachen Holzhütten, geprägt von
nicht viel bekannt. Die meisten Städte sind im ty-
Armut und den urbanen Bewohnern mit teilweise
pischen Planraster der spanischen Kolonialarchi-
großzügigen Eigenheimen sowie luxuriösen Ho-
tektur angelegt worden, die sich um einen zentra-
telanlagen im Kolonialstil und einigen modernen
len Marktplatz herum anordnete. Einige Städte in
Neubauten wie die Kathedrale im internationalen
den Bergen sowie die Hauptstadt Managua folgen
Architekturstil.232
diesem System jedoch nicht.230
Die meisten Nicaraguaner, wenn einigermaßen
Die meisten einfachen Hütten auf dem Land wur-
wohlhabend, wohnen in ihrem eigenen Haus. Miet-
den bis ins 19. Jahrhundert hinein aus Stroh und
wohnungen sind eher selten und tendenziell meist
Hölzern wie Rohrstock oder Bambus gebaut, wa-
für Studenten, Junggesellen oder Geschäftsleute
ren zu den Seiten hin offen und hatten einen ein-
gedacht. Häuser und Wohnungen zur Miete sind
fachen Erdboden. Besser gestellte Familien be-
je nach Lage und Ausstattung verhältnismäßig
festigten ihre Häuser mit einfachen Dachziegeln
teuer und liegen häufig in geschlossen und be-
und Mauern.231
wachten Anlagen, so genannten „condominios”.233
Die Stadthäuser bestanden aus Lehmziegeln,
Abb. 101: Blick über Managua Abb. 102: Avenida Bolivar Abb. 103: Downtown Managua
178
meist eingeschossig mit einem großen Patio, den
Die meisten Wohnhäuser sind, aufgrund der Ein-
man durch ein teilweise reich verziertes Eingangs-
sturzgefahr bei Erdbeben, nicht höher als zwei
portal erreichte. Die umliegenden Räume wurden
Etagen und haben aus Sicherheitsgründen Gitter
mittels überdachter, halboffener Gänge erreicht
vor Fenstern und Türen. Traditionell häufig ver-
und innerhalb des Patios gab es unzählige Pflan-
wendete Baumaterialien sind Ton, Lehm und Ado-
zen und Bäume, insbesondere Orangen.
be, zusammen mit Stroh und einfachen Hölzern
Die Architektur in Nicaragua erscheint ebenso di-
wie Zuckerrohr oder Bambus. Heutzutage sind die
vers wie seine Flora und Fauna. Es gibt große Un-
meisten Häuser gemauert oder aus Stahlbeton.234
179
ENT-
The house, as I see it, is a sort of airy structure that moves about the breath of time. It really is open to the wind of another time.235
Analyse_ Anforderungen Entwurfswerte Vertiefungsanalyse Ortsanalyse
183
Analyse_ Anforderungen
Hausbewohner
Es handelt sich um eine
deutsch-nicaraguanische
20,00
10,00
Familie
der
Raumprogramm Es stehen 200 qm Grundflä-
Mittel-
che zur Verfügung. Gefordert sind, ohne Angabe
schicht, wobei die Anzahl der Bewohner zwi-
einer definierten Quadratmeteranzahl: ein Porche
schen einer bis sechs Personen inklusive Gästen
als Eingangsbereich; ein großzügiger Wohnraum
schwankt und sich über den Familienzyklus erwei-
mit Essmöglichkeiten; ein Kochbereich, der deut-
tert und verkleinert. Zu Beginn handelt es sich um
schen Ansprüchen entspricht; mindestens zwei
einen Erwachsenen oder ein Paar, die durch die
Schlafzimmer; ein oder mehrere Arbeitsbereiche;
Geburt von ein oder zwei Kindern zu einer Familie
mindestens zwei Badezimmer, eventuell eine zu-
anwachsen. Als gegebenenfalls pflegebedürftige
sätzliche Gästetoilette; ein offener Patio mit Auf-
Senioren würde das Paar nach wie vor in dem
enthaltsmöglichkeiten; ein Pool; sowie Stauraum.
Haus wohnen.
Der Grundriss soll weitestgehend offen und flie-
Das Alter der Bewohner reicht somit von Kleinkin-
ßend gestaltet werden und durch den geschickten
dern bis hin zu Senioren, weshalb das Haus so-
Einsatz von luft- und lichtdurchlässigen Mate-
wohl kinder- als auch altersgerecht, beziehungs-
rialien und geschlossenen Flächen eine abwechs-
weise entsprechend umbaubar, sein sollte.
lungsreiche Raumabfolge entstehen.
Für Gäste und Besucher soll es möglich sein, einen eigenen Bereich vom Hauptwohnraum zeitweise abtrennen zu können. Gleiches gilt für die Möglichkeit, dass ein/e Hausangestellte/r oder ein/e Pfleger/in komfortabel mit im Haus wohnen kann. Eine Vermietung Teile oder des gesamten Hauses, insbesondere bei Abwesenheit der HausAbb. 104: Entwurfs-
besitzer, sollte ebenfalls möglich sein.
Grundstück
184
185
Wandelbarkeit
Da das Wohnhaus für längere
Raumklima Innerhalb des Hauses soll ein an-
Atmosphäre Das Haus soll ein natürlicher und
Sicherheit
oder kürzere Zeiträume an andere Bewohner ver-
genehmes Mikroklima geschaffen werden, dass
erholsamer Rückzugsort sein, der sich zwar nach
umliegenden Häuser ist ein wichtiger Faktor,
mietet werden können soll, ist eine flexible Raum-
eine hohe Aufenthaltsqualität besitzt und den-
Außen, beziehungsweise zur Straße hin, schützt
auch, damit dem Haus nicht auf den ersten Blick
struktur, die an die entsprechenden Bedürfnisse
noch das lokale Klima erfahrbar macht. Es soll
und abgrenzt, jedoch im Inneren einen luftigen
als lohnenswertes Einbruchsziel erkennbar ist.
angepasst werden kann, gewünscht. Durch die
somit kein komplett abgeschotteter, voll klimati-
und offenen Eindruck erweckt. Privatsphäre und
Überdies soll so die Akzeptanz und Integration
Umwandelbarkeit und Flexibilität soll das Haus
sierter Innenraum, sondern mit möglichst natür-
Offenheit sollen beide möglich sein, ohne sich
in die Nachbarschaft erleichtert werden. Darüber
sowohl für den Hausbesitzer als auch für die Un-
lichen Mitteln ein erholendes Raumklima entste-
gegenseitig zu bedingen. Die Materialwahl und
hinaus muss das Haus komplett verschließbar
termieter individualisierbar sein, sowie darüber hi-
hen. Das Haus soll Schutz vor der extremen Hitze
Oberflächengestaltung sollte die Natürlichkeit und
sein, sodass auch das Einsteigen von Oben, zum
naus alternative Nutzungsmöglichkeiten ohne viel
der Sommermonate und dem Monsunregen der
den Naturbezug des Hauses verstärken. Durch
Beispiel durch den Patio, nicht möglich sein wird.
Aufwand zulassen.
Winterzeit bieten und diese gleichzeitig erleb-
den geschickten Einsatz von Vegetation und Was-
Gleichzeitig soll für die Hausbewohner kein Gefühl
bar lassen um den Bezug zur Außenwelt und zur
serflächen soll das Gefühl einer „Oase” entstehen,
des „Eingesperrtseins” entstehen.
Natur zu erhalten. Die Wohnräume sollen mit na-
die Entspannung und Raum zur Besinnung und
Ein weiterer, wichtiger Aspekt ist die Sicherheit
türlichem Tageslicht belichtet werden, wobei die
Reflektion bietet.
der Stromzufuhr, weshalb eine Unabhängigkeit
Die äußerliche Anpassung an die
Schaffung einer schattigen, erholenden Lichtstim-
vom lokalen, regelmäßig ausfallenden, Stromnetz
mung, beziehungsweise die Möglichkeit zur Ver-
wünschenswert wäre. Ebenso sollte eine ständige
dunklung, gewünscht ist. Der Staub und Lärm der
Wasserzufuhr und Warmwasserversorgung mög-
Außenwelt soll möglichst aus dem Haus gehalten
lich sein. Die Erdbeben- und Einsturzsicherheit
werden, auch wenn keine komplette akustische
des Hauses ist eine essenzielle Bedingung, die
Abgrenzung gefordert ist. Generell soll das Raum-
durch entsprechende baukonstruktive Strukturen
klima möglichst angenehm und stabil sein, sowie
und Materialien gewährleistet werden muss.
lokalen Unwägbarkeiten stand halten und es den Bewohnern gleichzeitig ermöglichen, den natürlichen, jahreszeitbedingten, klimatischen Wandel zu spüren.
186
187
Analyse_ Entwurfswerte
Dem Entwurf liegt eine ethisch-moralische Grund-
Menschlichkeit
haltung zugrunde, die sich in der Gestaltung des
Rücksichtnahme auf andere Menschen und ihre
Hauses wiederfinden soll. Deshalb werden im
Lebenswirklichkeit zu verstehen, aber auch die
Folgenden die Werte definiert, an denen sich ent-
Gestaltung des Entwurfs in einer humanen und
wurfsbezogene Entscheidungen orientieren sol-
humanistischen Art und Weise. Es geht nicht um
len.
„schöne Räume”, sondern um Architektur für den
Unter Menschlichkeit ist die
Menschen. Ganz im Sinne Niemeyers – „Architektur ist nur ein Vorwand. Wichtig ist das Leben und der Mensch.”236 – steht der Mensch im Mittelpunkt des Entwurfs, ohne selbstverständlich die zuvor erwähnte holistische Verantwortungsperspektive zu verlieren. Es geht nicht um ein Vorzeigeprojekt, um Architektur um der Architektur Willen, sondern um die Erfüllung der Anforderungen der Hausbewohner unter Einbezug der weiteren Werte. Menschlichkeit bedeutet auch eine umfassende, globale Betrachtungsweise des Wohlergehens der Menschen und ein Bewusstsein über die Konsequenzen des eigenen Handelns, beziehungsweise des Entwurfes.
189
Verantwortung
Architektur berührt uns Men-
schaffen: „In der Arbeit des Architekten geht es zu-
Nachhaltigkeit
Der Entwurf soll abseits von
Erfahrbarkeit Im Fokus des Entwurfs steht die
schen in einer Vielzahl von Dimensionen – sie
nächst darum, Räume zu schaffen, die für die Men-
überstrapazierten
Nachhaltigskeitsdiskussionen
„Erfahrbarkeit” verschiedener Aspekte der Um-
prägt unsere Stimmung, strukturiert unser Mitei-
schen nützlich und angenehm sind. [...] Architektur
eine Langlebigkeit bei gleichzeitiger Flexibilität
welt, ob des Wetters, der Kultur und Gesellschaft
nander, konditioniert unsere Sinne, kommuniziert
stellt nicht nur eine „Wellness-Funktion“ für die Men-
ermöglichen. Zwar sollen Nachhaltigkeitsaspekte
oder der verschiedenen Situationen und Perspek-
Weltanschauungen, verkörpert Wissen und vieles
schen dar. Daher sollte man das „gute“ Leben nicht
auch auf energie- und materialtechnischer Ebene
tiven innerhalb des Hauses. Diese sollen nicht
mehr. Ihr Einfluss auf unser Leben ist unverkenn-
mit dem „angenehmen“ Leben verwechseln” .
beachtet werden, jedoch geht es mehr um das
nur betrachtet werden, sondern körperlich oder
bar – sie ist unser Lebensraum. Die Gestalt unse-
Die Frage nach dem „guten Leben” ist die grund-
Schaffen eines nachhaltigen Konzepts für die ak-
geistig erfahren werden, was Immersion und ge-
rer gebauten Umwelt ist das kombinierte Ergebnis
legende Frage der Ethik, für jeden Menschen eine
tuelle und zukünftige Nutzung. Hier sind Umnut-
gebenenfalls auch Ausgeliefertsein bedeutet. In
aus einer Vielzahl und Vielfalt von architektoni-
andere Antwort finden muss. Fest steht jedoch,
zung oder unkomplizierter Umbau denkbar, aber
diesem Kontext verweist Nietzsche auf Goethe,
schen, stadtplanerischen, ingenieurtechnischen
dass das „gute” Leben nur unter Einbezug unserer
auch Raumnutzungsveränderungen durch ent-
der sagte: „Übrigens ist mir alles verhaßt (sic!), was
und politischen Entscheidungsprozessen, die von
gesamten Umwelt, das heißt Mitmenschen, Tiere
sprechende Verschaltungsprinzipien. Das Haus
mich bloß (sic!) belehrt, ohne meine Tätigkeit zu ver-
verschiedensten interdependenten Akteuren be-
und Natur, möglich ist. Unter diesem gesamtheit-
soll auf die sich verändernden Bedürfnisse der
mehren oder unmittelbar zu beleben.”238 Es geht
trieben werden.
lichen Gedanken soll auch der Entwurf betrachtet
Nutzer reagieren können und dadurch eine Zeit-
nicht darum etwas zu zeigen oder demonstrieren,
Der Architekt ist einer dieser Akteure, der dem-
werden.
losigkeit gewinnen. Dadurch kann das Gebäude
der Entwurf will weder seine Bewohner noch die
nach mit seiner Entscheidungsgewalt Menschen
„mitwachsen” und über mehrere Generationen
Passanten belehren, sondern sie etwas erfahren
und ihr Leben beeinflusst. Dort wo Einfluss ge-
hinweg ein ansprechendes Zuhause darstellen
lassen, sei es Licht und Schatten, Regen und Son-
nommen werden kann, gewinnt die Frage nach
ohne die Notwendigkeit häufig Umziehen zu müs-
ne oder Privates und Öffentliches. Insbesondere
einer moralischen und ethischen Verantwortung
sen. Neben dem Familienszenario sollen auch
die Zwischenbereiche, der Raum zwischen den
an zentraler Bedeutung. Das Bewusstsein über
weitere Nutzungsmöglichkeiten bedacht werden,
Extremen, die Graustufen, das „Dazwischen” soll
das Ausmaß und die Komplexität dieser Verant-
sodass insgesamt eine möglichst lange Nutzung
im Entwurf erfahren werden, insbesondere durch
wortung spielt eine entscheidende Rolle, wenn
des Gebäudes möglich ist. Dadurch wird Nach-
deren Abwechslung und Wandel.
man davon ausgeht, dass jeder Architekt den An-
haltigkeit nicht Teil des Entwurfs und nicht nur
spruch erhebt „gute” Architektur zu schaffen. Da-
eine technische Entscheidung.
237
bei ist es nicht getan rein angenehme Räume zu
190
191
Lokalität Obwohl die Hausbewohner inter- und
Natürlichkeit
multinational sind, soll der Entwurf eindeutig lokal
bezieht sich sowohl auf die Materialwahl als auch
verortet sein. Es soll kein bezugsloses und sich
auf die räumlichen und klimatischen Qualitäten.
abschottendes Gebäude geschaffen werden, son-
Bezugnehmend auf das lokale Klima soll mit mög-
dern Beziehung zum Außen aufgebaut werden.
lichst natürlichen Mitteln ein angenehmes Raum-
Dies kann auf räumlicher, aber auch auf konzep-
klima geschaffen werden, ohne dass auf eine
tioneller Ebene geschehen, zum Beispiel durch
vollautomatische Klimatisierungsanlage zurück-
lokale Baumaterialien und Arbeiter, die Nutzung
gegriffen werden muss. Durch passiven Belüf-
lokaler Architekturelemente und die Bezugnahme
tungs- und Belichtungsprinzipien wird der Entwurf
auf die Kultur und Umgebung sowie das Klima vor
auch dem Nachhaltigkeitswert gerecht und lässt
Ort. Die Verortung des Gebäudes soll spürbar und
darüber hinaus die Erfahrbarkeit der lokalen Ge-
wie bereits erwähnt erfahrbar sein.
gebenheiten zu. Auch die Integration von Natur im
Der Anspruch der Natürlichkeit
Sinne von Vegetation, aber auch Elementen wie Wasser, Erde und Holz sollen eine Rolle spielen.
192
Analyse_ Vertiefungsanalyse
Im Entwurf sollen Aspekte aus den Typologien
Patio Der Patio hat als Architekturelement eine
einfließen, die in der vorangegangen Vertiefung
Geschichte, die bis zu den ersten dauerhaften
analysiert wurden. Deshalb werden diese im Fol-
menschlichen Siedlungen zurückgeht. In den
genden kurz zusammengefasst und für die kon-
verschiedensten Kulturkreisen, Klimazonen und
zeptionelle Weiterentwicklung abstrahiert.
Epochen hat sich der Innenhof in vielerlei Formen und Funktionen durchgesetzt. Von einem funktionell-konstruktiven Bereich zur Belüftung und Belichtung der umliegenden Wohnräume und als Koch-, Speise- und Arbeitsraum hat er sich zu einem Ort der Entspannung und Unterhaltung mit Aufenthaltsqualität entwickelt. Er dient aber auch als soziales Kommunikationsmittel um Status und Stand der Hausbewohner an Gäste und Besucher zu vermitteln. Heutzutage ist der Patio in der westlichen Architektur kaum noch vorhanden und wurde von freistehenden Einfamilienhäusern, Klimaanlagen und mit Glas überdachten Atria und Wintergärten verdrängt. Jedoch wird er nach wie vor in warmen Regionen als traditionelles Bauelement genutzt und findet in der nachhaltigen Architekturströmung wieder Anerkennung aufgrund seiner mikroklimatischen Eigenschaften und seiner vielfältigen sozialen Funktionen.
195
Die vielfältigen Qualitäten des Patio, auf klimati-
In diesem Sinne dient der Patio als Oase und
Porche
Der Porche in seiner lateinamerikani-
Dabei ermöglicht der Porche die Erfahrbarkeit
scher und funktionaler Ebene, scheinen der Grund
„privates Paradies”, und befriedigt weit mehr als
schen Ausformung entstand ebenfalls aus einer
des „Außen“ in einem geschützten Bereich, der
für seine weite Verbreitung zu sein, jedoch ste-
funktionelle Aspekte. Die philosophische Bedeu-
jahrtausendealten Tradition von halböffentlichen,
Sicherheit vermittelt, was wiederum zu größerer
chen insbesondere die Vorteile auf psychosozialer
tung von „Leere”, wie sie unter anderem im Is-
geschützten Eingangsbereichen vor Gebäuden.
Offenheit dem „Anderen“ und „Fremden“ gegen-
Ebene hervor. Die Privatheit und Intimsphäre eines
239
lam als „Symbol des Göttlichen in allen Dingen”
Diese haben weltweit sehr verschiedene Formen
über führen kann. Das „Außen“ wird weniger be-
Innenhofes macht ihn zu einem idealen Rückzugs-
wichtig ist, ist auch im Innenhof zu finden. Als
und Bezeichnungen und reichen in vielerlei Varia-
drohlich, wenn es von der Schwelle des eigenen,
ort, sowohl als Ort der Begegnung mit der Familie
„negativer Raum”, der von „positiven Räumen”,
tionen von schmal bis ausladend, geschützt bis
sicheren „Innen“ erlebt und erfahren werden kann.
und anderen Hausbewohnern, als auch zu einem
den Wohnräumen, umgeben ist, entspricht er dem
ungeschützt, geschlossen bis offen. Wichtige As-
Ort der Einsamkeit und Ruhe, in dem die Eindrü-
islamischen metaphysischen Prinzip der Einheit.
pekte scheinen bei seiner Verbreitung die Sicher-
cke und der Stress des Alltags verarbeitet werden
Gerade die Abwesenheit von Etwas, wie die Stille
heit und Aufenthaltsqualität zu sein, die er und
können. Er bietet Raum für Reflektion und Er-
zwischen zwei Tönen, das „Dazwischen”, macht
andere verwandten Typologien bieten.
kenntnis, zum „bewusst werden“. Ebenso ermög-
verschiedene Zustände für uns erfahrbar und ver-
Im Gegensatz zum privaten Patio ist der Porche
licht er die Erfahrbarkeit von Wetter und der ver-
stärkt deren Wirkung.
die „Schwelle“ vom öffentlichen zum privaten
gehenden Zeit, was vor allem durch Bepflanzung
Auch Wasser, das häufig in Innenhöfen zu finden
Raum und umgekehrt. Er dient als Filter von Gäs-
verstärkt wird, so macht zum Beispiel ein Garten
ist, sowohl funktional als kühlendes Element dien-
ten und Besuchern, die man unverfänglich auf
die Jahreszeiten und seine Zyklen anhand von da-
lich, aber auch philosophisch-spirituell aufgela-
dem Porche empfangen kann ohne sie ins private
mit verbundenen Tätigkeiten erlebbar. Der Patio
den, repräsentiert zusammen mit der Sonne zwei
Innere des Hauses zu lassen. Somit bildet der Por-
als Garten holt ein Stück Natur in das Haus und
essentielle lebensspendende Elemente. Andere
che den Übergangsbereich von Straße und Haus,
verbindet die Bewohner mit der Umwelt, in dem
Elemente wie Wind, Holz und Metall sowie gege-
und dient dadurch als Vermittler zwischen Öffent-
sie dieser bis zu einem gewissen Grad ausgesetzt
benenfalls Feuer sind im Patio erlebbar.
lichkeit und Privatheit. Gleichzeitig erlaubt er es
sind im Rahmen der Unabwägbarkeit des Wetters,
seinen Bewohnern in Kontakt mit der Außenwelt
der Langsamkeit des pflanzlichen Wachstums
zu treten, im Dialog mit Nachbarn und Passanten,
und der damit verbundenen Muße und benötigten
in der Beobachtung des öffentlichen Straßenleben
Geduld den Garten zu erhalten und pflegen.
und durch die eigene Sichtbarkeit.
196
197
0
0
30
300
25
250
20
200
15
150
10
100
5
0
Regenfall (mm)
Temperatur / Windstärke / Tagesstunden
Analyse_ Ortsanalyse
50
Jan
Feb
Mär
Apr
Mai
Regenfall (mm) Max. Temperatur (°C) Min. Temperatur (°C) Durchschnittstemperatur (°C) Durchschnittl. Windstärke (Beaufort) Tageslänge (Stunden)
Jun
Jul
Aug
Sep
Okt
Nov
Dez
0
genzeit von Mai bis Oktober (Winter) auszeichnet.
liegt im Süden Managuas auf 12°6’51.38“N/
Im heiß-feuchten Monsunklima schwanken die
86°14’54.81“W. Es schließt an drei Seiten an die
Temperaturen im monatlichen Durchschnitt zwi-
Nachbargebäude an und öffnet sich nach vorne
schen 25 - 28 °C. wobei die minimale Tempe-
zu einem Platz, der von anderen Wohnhäusern
ratur etwa bei 17 °C und die maximale bei etwa
umgeben ist. Im Gegensatz zu vielen Häusern und
37 °C liegt. Die Luftfeuchtigkeit schwankt in der
Wohnungen der, insbesondere ausländischen,
Trockenzeit zwischen 40 - 80 %, in der Regenzeit
Mittel- und Oberschicht, befindet es sich nicht ab-
zwischen 60 - 90 %, wobei sie jeweils zum Mittag
geschottet in einem condominio (gated communi-
sinkt. Die Bodentemperatur entspricht auch in vier
ty), sondern im Süden der Stadt, mitten in einem
Meter Tiefe der Lufttemperatur und es herrschen
Viertel der nicaraguanischen Mittelschicht. In gu-
generell geringe Temperaturschwankungen von
ter Erreichbarkeit befinden sich Einkaufsmöglich-
etwa 6 - 12 °C zwischen Tag und Nacht.240
keiten und öffentliche Verkehrsmittel sowie Schu-
Während Trockenzeit ist der Himmel wolkenlos
len, Krankenhäuser und Freizeitangebote.
und es gibt eine intensive direkte Sonneneinstrah-
Managua ist eher eine chaotische Großstadt, die
lung, wohingegen es in der Regenzeit meist be-
nach wie vor von dem verheerenden Erdbeben
deckt ist und hauptsächlich diffuse Einstrahlung
1972 gekennzeichnet ist. Die Stadt besitzt kein
durchkommt. Nachts ist der Himmel generell kla-
richtiges Stadtzentrum und ein Großteil der Innen-
rer als tagsüber. Sonnenaufgang ist ganzjährig
stadt nach wie vor nicht wieder aufgebaut.
gegen 6 Uhr, der Sonnenuntergang gegen 18 Uhr. Der Wind kommt hauptsächlich von Nord-Ost,
Abb. 105: Klima Managua
198
Das 10 auf 20 Meter große Baugrundstück
Managua besitzt, nach der Köppen-Geiger-Klassi-
Osten und Süd-Ost, wobei lediglich geringe
fikation, ein tropisches Savannenklima (Aw), was
durchschnittliche Geschwindigkeiten von 2 - 4
sich durch eine deutlich ausgeprägte Trockenzeit
m/s erreicht werden, abgesehen von den Hurrika-
von Dezember bis April (Sommer) und eine Re-
nen in der Regenzeit.
199
Konzept_ Vergangenheit & Zukunft Regen & Sonne Verschlossenheit & Offenheit Lokalität & Globalität
201
Grundriss Erdgeschoss (1:133)
202
Grundriss Obergeschoss (1:133)
203
Dachaufsicht (1:200)
Obergeschoss (1:200)
Dachaufsicht (1:133)
204
Erdgeschoss (1:200)
205
Axonometrie Nord-Ost
206
Axonometrie SĂźd-West
207
Axonometrie SĂźd-Ost
208
Axonometrie Nord-West
209
Konzept_ Vergangenheit & Zukunft
[D]ie Architektur muss die Unvorhersehbarkeit des Lebens beachten. Sie muss offen sein, denn sie hat es mit dem menschlichen Lebensraum zu tun247.
A
Paar
1-2 Erwachsene
B
Kleinfamilie
2 Erwachsene + Kind
C
Familie
2 Erwachsene + 2 Kinder
D
Senioren
2 Senioren + 2 Erwachsene + 2 Kinder
E1
Fritanga
2 Senioren + 4 Erwachsene + 2 Kinder
E2
Restaurant
2 Erwachsene + 2 Kinder + 47 Gäste
rungen zu entwerfen, das lediglich dieser spezi-
die einzige wahre Konstante, denn sie bedeutet
fischen, gegenwärtigen Situation gerecht wird,
nichts anderes als das Fortschreiten der Zeit.
wurde eine umfassendere, zukunftsorientierte Be-
Erst durch Veränderung, durch das „Vergehen“
trachtungsweise gewählt. Das Haus soll über den
von Etwas, durch Bewegung, wie das konstante
gesamten Familienzyklus (Szenarien A-D) hinweg
Ticken eines Sekundenzeigers, wird Zeit für uns
seine Qualität behalten und darüber hinaus ande-
erfahr- und erlebbar. Diese Vergänglichkeit ist Al-
re Szenarien und Nutzungskonzepte (Szenarien
lem und Jedem inne, ebenso uns Menschen und
E1-E4) ermöglichen. So entsteht die Nachhaltig-
unserer Umgebung. Im Sinne von „Planen heißt:
keit des Gebäudes nicht auf materialtechnischer
Zukunft vorausdenken“
und unter dem Aspekt
Ebene, sondern aufgrund seiner Zukunftsorientie-
der Nachhaltigkeit, insbesondere im Angesicht
rung und der vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten.
des fortschreitenden Klimawandels und seiner
In diesem Sinne wird die Zukunft in der Gegenwart
unberechenbaren, bereits spürbaren Auswirkun-
des Entwurfs mitgedacht, und gleichzeitig Erfah-
gen, sollte Architektur mehr sein, als momentane,
rungen aus der Vergangenheit einbezogen.
kurzfristige Bedürfnisbefriedigung. Die funktionel-
Der Lebenszyklus der Bewohner beginnt mit ei-
le Alterung von Gebäuden ist signifikant schneller
nem alleinlebenden Erwachsenen oder einem jun-
als ihre materielle Alterung. Stein- oder Stahlbe-
gen Paar (A), das schließlich mit dem ersten Kind
tonbauten können Jahrzehnte, gar Jahrtausende
zu einer Kleinfamilie (Szenario B) und mit einem
selbst ohne Pflege überstehen, allerdings bereits
zweiten Kind (Szenario C) zu einer klassischen
nach einigen Jahren funktionell unbrauchbar wer-
Mittelschichtsfamilie anwächst. Mit fortschreiten-
den. Diesem Verfall entgegenzuwirken, war ein
dem Alter werden die erwachsenen Kinder wo-
entscheidender Aspekt für das Entwurfskonzept,
möglich das Haus verlassen und das Elternpaar
denn anstatt ein Wohnhaus für eine feststehende
immer gebrechlicher und weniger mobil (Szenario
Anzahl von Hausbewohnern mit fixen Anforde-
D), gegebenenfalls sogar pflegebedürftig. Dieser
241
E3
Büro
6 Arbeitsplätze
E4
Hostel
9 Schlafplätze
210
Wie ein bekannter Spruch sagt, ist Veränderung
211
Szenario A - Paar
212
213
klassische Familienzyklus242 kann nach dem Aus-
Paars vom vorderen ins hintere Gebäude stellt
zug oder gar dem Tod der Eltern mit dem Einzug
einen Perspektivenwechsel dar, der im übertrage-
der Kinder oder neuer Bewohner von vorne be-
nen Sinne mit der neuen Verantwortung und der
ginnen.
Rolle als Eltern zusammenfällt. Mit einem Kleinkind mag ein komfortables, gemeinsames Schla-
Der Alterungs- und Veränderungsprozess der Be-
fen im vorderen Teil noch möglich sein (B), doch
wohner spiegelt sich in der räumlichen Anpassung
mit fortschreitendem Alter wird das Kind andere
und Nutzung des Hauses wieder. Schlafen die
Bedürfnisse haben und spätestens mit Ankunft
Eltern in Szenario A noch in einem großzügigen,
des zweiten Kindes bietet es sich an, dass die
offenen Arbeits- und Schlafbereich im vorderen
Eltern der „neuen Generation“ Platz machen (C).
Obergeschoss und nutzen das hintere Oberge-
Die weiten Räume mit viel Platz weichen intimeren
schoss als komfortablen Wohnbereich, werden sie
Raumzellen, die das ungestörte Zusammenleben
mit der Ankunft des zweiten Kindes (C) vom vor-
von vier Personen ermöglichen, wobei das Erd-
deren in den hinteren Gebäudeteil umziehen. Der
geschoss nach wie vor als weitläufiger gemein-
offene, vordere Raum kann nun von den beiden
schaftlicher Wohn- und Aufenthaltsraum genutzt
Kindern die hier zwei eigenständige Schlafzim-
wird.
mer haben, mitgenutzt werden. Die Eltern werden
Szenario A Paar
214
im hinteren Bereich, durch Einzug einer weiteren
Mit weiterem Verstreichen von Zeit können die
Wand, ein getrenntes Schlaf- und Arbeitszimmer
Eltern als Senioren vom Ober- ins Erdgeschoss
erhalten.
umziehen, um kürzere Strecken im Haus zurück-
Dadurch wird die Geburt der Kinder auch auf
legen zu müssen und insbesondere, um das
räumlicher Ebene eine Veränderung und schränkt
Treppensteigen zu vermeiden (D). Das ehemali-
den vorher großzügigen, fast luxuriösen Freiraum
ge Wohnzimmer der Familie kann als Schlafraum
der Eltern in vielerlei Hinsicht ein. Der Umzug des
umfunktioniert und das angrenzende Badezimmer
215
behindertengerecht ausgebaut werden. Hierdurch
Durch dieses Rotationsprinzip durchwandern die
entsteht ein erneuter Perspektivenwechsel des
Eltern das Haus von vorne, nach hinten, nach
Elternpaars, die nun das Haus, aber auch ihr eige-
unten und erleben es somit immer wieder neu.
nes Leben, durch ihre körperliche Einschränkun-
Durch den Wechsel innerhalb des Hauses kann
gen und Abhängigkeit von anderen Leuten, wieder
das Haus nicht nur die primären, konstanten Be-
neu erfahren.
dürfnisse, wie Schlafen, Essen und Hygiene, der
In Nicaragua ist es üblich, dass die Eltern von
wechselnden Anzahl der Bewohner erfüllen, son-
ihren Kindern gepflegt werden und bis zum Tod
dern auch deren sekundäre, veränderliche Be-
Teil der Großfamilie bleiben, auch aufgrund des
dürfnisse. Diese sind einerseits von Mensch zu
Mangels an sozialen Strukturen wie Altenheime,
Mensch verschieden, da wir unterschiedliche Vor-
wobei es ebenso möglich wäre, dass eine Pflege-
lieben und Bedürfnisse zum Beispiel nach Privat-
kraft zeitweise mit in das Haus einziehen würde,
sphäre oder Gemeinschaft haben, und ebenfalls
da das vordere Obergeschoss in sich als Einlie-
über die Zeit hinweg, ob im Tages- oder Jahres-
gerwohnung funktioniert. Die besuchenden Kin-
verlauf, veränderlich.
der und Enkelkinder können nach wie vor bequem
Szenario B Kleinfamilie
216
im hinteren Obergeschoss übernachten.
Dieser Wunsch nach Veränderung, das Kontrast-
Schließlich können die Kinder nach dem Wegzug
bedürfnis, ist ein essenzielles Streben, das wir
oder dem Tod der Eltern, das Haus wieder allei-
Menschen zwar unterschiedlich stark, aber alle in
ne oder eines von ihnen mit einer eigenen Familie
irgendeiner Form kennen. Es ist der Wunsch nach
nutzen. Sie würden ihr ehemaliges Kinderzimmer
Neuem, nach Abwechslung und Wachstum, nach
dann in einer völlig anderen Situation neu erleben
kurzfristiger Veränderung, ein sogenanntes extro-
und den Familienzyklus neu beginnen. So wieder-
vertiertes Bedürfnis – und gleichzeitig strebt der
holen sich die Zyklen und es passiert wieder das
Mensch ebenso nach Sicherheit, Konstanz und
Gleiche mit anderen Menschen.
Vertrautem, nach langfristigem Ankommen, das
217
introvertierte Bedürfnis. Diesem Hin und Her, dem
gen, sodass bereits über 300 Menschen ihr Leben
Schwanken zwischen den beiden Ansprüchen,
für den gewünschten Wandel gelassen haben.244
der konstanten Veränderung und immer wieder-
Die Ablehnung der Regierung, der Wunsch nach
kehrenden Neuausrichtung kann das Haus durch
mehr Demokratie und der damit erhofften Anhe-
seine vielfältigen Möglichkeiten gerecht werden.
bung des generellen Lebensstandards treibt die
243
Menschen auf die Straßen.
Szenario C Familie
218
Mit der Zeit verändert sich jedoch nicht nur der
Könnte Nicaragua es schaffen vom Entwicklungs-
einzelne Mensch, beziehungsweise konkret die
land zum Schwellenland, und gar zum Entwick-
Art, Anzahl und das Alter der Hausbewohner,
lungsland zu werden, würden sich dadurch eben-
sonder auch eine Gesellschaft und ihr „Zeitgeist“.
so die Bedürfnisse der Menschen, ihre Ansprüche
Gesellschaftliche Transformation ist auf einer täg-
und Erwartungen verändern, inklusive ihrer Wohn-
lichen Ebene nicht spürbar, aber über Jahrzehn-
standards verändern. Mit wachsendem Wohl-
te, gar über eine ganze Lebensspanne hinweg,
stand, mehr sozialer Sicherheit und steigender
manchmal aber auch schon innerhalb weniger
Bildung gehen viele Veränderungen einher, auch
Monate oder Jahre, bemerkbar.
auf familiärer und zwischenmenschlicher Ebene,
Im konkreten Fall bahnt sich derzeit (Juli 2018) in
die sich wiederum in der Architektur wiederfinden
Nicaragua ein einschneidender gesellschaftlicher
lassen.
Wandel an. Seit Beginn des Jahres und verstärkt
Dieser gesellschaftliche Entwicklungszyklus be-
in den letzten Wochen hat sich ein umfassender
sitzt in jeder Phase eigene Herausforderungen für
Widerstand gegen die Ortega-Murillo-Regierung
Architekten. Zu Beginn sind es Themen wie die
formiert, der in Demonstrationen, Straßenblocka-
Verfügbarkeit von Wohnraum und dessen konst-
den und Streiks der Bevölkerung Ausdruck findet.
ruktive Sicherheit und Qualität, sowie dem Woh-
Von der Polizei und anderen regierungstreuen
nen auf engstem Raum und Wohnen für Großfa-
Gruppen werden diese gewaltsam niedergeschla-
milien. Letzteres bedingt sich durch die soziale
219
und wirtschaftliche Unsicherheit, die sich für viele
haben nur begrenzte Bedeutung in Nicaragua –
Menschen aus einem wenig entwickelten Staat er-
können dort aber in Zukunft bei entsprechender
gibt, sodass familiäre und generelle soziale Bande
Entwicklung relevant werden.
eine größere Rolle spielen. Niedrige Bildung und
Szenario D Senioren
220
Kinder als „Rentenvorsorge“ haben ebenfalls Ein-
Als Motive für die Veränderung des Wohnverhal-
fluss auf die Geburtenrate und Familiengröße.
tens werden von Schroeder245 zum Beispiel die
Mit fortschreitender Entwicklung und wachsen-
Verlagerung des Arbeitsplatzes, sozialer Auf- und
dem Wohlstand werden Familien unabhängiger
Abstieg, Emanzipation und Individualisierung,
und mobiler, die Anzahl der Geburten pro Frau
vermehrte Freizeit sowie steigende Ansprüche
sinkt und soziale Beziehungen zu Nachbarn und
an den Wohnkomfort genannt, die alle auf gesell-
der erweiterten Familie weniger wichtig, da die
schaftlichen Veränderungen basieren. Selbst ein-
soziale Sicherheit steigt. Dafür werden Themen
zelne architektonische Elemente entstehen und
wie Verstädterung und Verdichtung, sowie Land-
verändern sich aufgrund von gesellschaftlichem
flucht insbesondere in der Übergangsphase rele-
Wandel.
vant. In Entwicklungsländern ist zu beobachten,
So entstehen zum Beispiel heutzutage kaum noch
dass die demographische Veränderung durch die
Neubauten mit einem klassischen Porche, da die-
Alterung der Gesellschaft und die häufig damit
ser von Klimaanlagen und einer generellen „Pri-
einhergehende Vereinsamung Herausforderun-
vatisierung“ des Familienlebens gewichen ist, der
gen im architektonischen Bereich werden. Auch
aufgrund des oben beschriebenen gesellschaft-
Nachhaltigkeitsaspekte wie Müllvermeidung und
lichen Wandels entstanden ist. Seine vielfältigen
energiesparendes Bauen werden erst ab einem
Qualitäten sind jedoch unumstritten, weshalb er
bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungsstand
durch die, für den Entwurf entwickelte, multifunk-
relevant. Das heißt, Themen, die in Deutschland
tionale Nutzungsmöglichkeit wieder Relevanz in
gerade in der Architekturszene diskutiert werden,
der Gegenwart und Zukunft erlangen kann.
221
Szenario D - Senioren
222
223
Auch der Patio ist in einer weiterentwickelten,
In diesem Fall könnte zum Beispiel eine nicara-
modernen Form im Entwurf zu finden. Anstatt die
guanische Familie als Untermieter oder auch als
klassischen umlaufenden Galerien auf einer Ebe-
neue, dauerhafte Hausbewohner einziehen. Dies
ne anzulegen, wurden diese auf zwei Ebenen ver-
könnte bedeuten, dass mehr Personen im Haus
teilt um dem Patio mehr Höhe und somit Tiefe zu
unterkommen müssten, da klassische lokale Fa-
geben. Von oben betrachtet ergibt sich eine klas-
milien durchaus aus fünf bis sieben Personen be-
sische Patiohaus-Aufsicht, jedoch ist diese durch
stehen können. Diesem Anspruch kann das Haus
die versetzten Höhen durchbrochen.
gerecht werden, indem zum Beispiel das hintere Erdgeschoss auch als Schlafzimmer genutzt wird,
Szenario E1 Fritanga
224
Dem oben erwähnten Anspruch der Nachhaltig-
wie im Szenario der Senioren (D), sodass insge-
keit folgend, kann der Entwurf auch auf die ge-
samt bis zu fünf Schlafzimmer denkbar wären.
nannten gesellschaftlichen Veränderungen einge-
Dies ist jedoch nicht die einzige Veränderung, die
hen. Unter den gegeben, derzeitigen Umständen
eine lokale Familie mit sich bringen könnte. Als
wäre es zum Beispiel denkbar, dass die Familie
Einheimische fällt es ihnen möglicherweise leich-
das Land verlässt, da die Sicherheitslage extrem
ter, sich in die Nachbarschaft zu integrieren und
unsicher ist und ein zu großes Risiko für die Kinder
aufgrund des gleichen kulturellen und sprach-
darstellt, abgesehen von der Tatsache, dass viele
lichen Hintergrunds, mit den Nachbarn und Pas-
Krankenhäuser, Schulen und öffentliche Gebäude
santen ins Gespräch zu kommen. Dieses Szenario
seit Monaten geschlossen sind und das öffentli-
würde eine Veränderung für den Porche bedeuten,
che Leben in weiten Teilen stillsteht oder nur sehr
der sich mehr öffnen könnte und durch entspre-
langsam läuft. Selbstverständlich ist dies nur eine
chende Bestuhlung einladender werden kann.
von vielen denkbaren Szenarien, in denen die Fa-
Der Porche erfüllt für Nicaraguaner jedoch mehr
milie sich entscheiden könnte, das Haus temporär
als die Funktion eines Eingangs- und Empfangs-
zu verlassen oder ganz zu verkaufen.
bereichs. Hier finden sich häufig sogenannte
225
„fritangas“ (E1), kleine Stände an denen selbstge-
Szenario ein komplett öffentlicher Durchgangsbe-
machtes Essen aller Art verkauft wird, meist vom
reich, je nach Wunsch ausschließlich zu den Öff-
Grill. Diese Option bietet das Haus ebenfalls an,
nungszeiten der Fritanga oder ganztägig.
da der Porche sich in direkter Nähe zur Küche
Szenario E2 Restaurant
226
und zum Grill im Patio befindet. Die Schiebe- und
Würde die Familie im Verlauf der Zeit ihren klei-
Drehtüren des Porche können geschlossen wer-
nen Betrieb weiter ausbauen wollen, bestünde die
den und lediglich die Fenster als Durchreiche und
Möglichkeit das komplette Erdgeschoss als Res-
Theke geöffnet werden. Im Porche selber könnten
taurant (E2) zu nutzen. Die Qualität des Patios mit
gegebenenfalls sogar Tische stehen, an denen
seiner Vegetation und seinen vielfältigen Raum-
die Passanten zum Essen verweilen würden. So
sequenzen, würde eine atmosphärische Inszenie-
kommt man ins Gespräch und holt sich Besucher
rung des Restaurants ermöglichen. Im Porche, im
und Fremde ins Haus, ohne dass sie in die pri-
Essbereich, im Patio hinter der Küche und hinter
vaten Bereiche vordringen oder, wenn nicht ge-
der Vegetation sowie im vormaligen Wohnzimmer
wünscht, diese Gäste nicht einmal einen Einblick
könnten Tische verschiedener Größe stehen, die
in den Privatbereich hätten, da dieser durch die
von der halboffenen Küche und dem Grill bedient
Lamellentüren und Vegetation verhindert wird.
würden. Im Extremfall wäre es denkbar, den Pool
Der Grill, der eigentlich privat für die Familie war,
mit Holzplanken zu versehen, damit auf diesen
würde durch die veränderten Umstände, nicht
ebenfalls Tische stehen könnten, wodurch insge-
mehr nur für die Hausbewohner, die Bekannten,
samt ca. 40-50 Sitzplätze möglich wären. Es wür-
sondern auch für Passanten, die Fremden, ge-
den sich sogar ausreichend Parkplätze auf dem
nutzt werden und könnte auch als Einnahmequel-
Platz vor dem Haus befinden. Obwohl der untere
le dienen. Der Porche als semi-privater, und meist
Bereich somit einen Großteil des Tages, haupt-
geschützter Eingangsbereich, der sogar mit einem
sächlich abends, öffentlich als Restaurant genutzt
Vorhang zugezogen werden kann, wäre in diesem
wäre, könnten die Hausbewohner nach wie vor
227
Szenario E1 Fritanga
Szenario E2 Restaurant
228
ihre privaten Wohn- und Schlafräume im Ober-
den, in Teilen oder komplett, was auch zu Durch-
geschoss haben, wo komfortabel vier und bis zu
lüftungszwecken sinnvoll ist. Die erwähnten Sze-
sechs Personen unterkommen könnten.
narien der Fritanga oder des Restaurants würden
Insbesondere dem Porche kommen über die Zeit
ebenfalls eine deutliche Veränderung der Funktion
hinweg die verschiedensten Funktionen zu, da er
des Porche, jenseits von Eingang- und Durch-
als Eingang zum Haus persönliche, aber auch ge-
gangsbereich, mit sich bringen.
sellschaftliche Veränderungen sichtbar machen
Durch die Szenarien der Fritanga und des Restau-
kann. Unter den beschriebenen neuen gesell-
rants wird deutlich, dass das Haus auf sich ver-
schaftlichen Umständen könnte es zum Beispiel
ändernde, zukünftige Bewohner und Bedürfnisse
möglich sein, dass man den ihn nicht mehr kom-
eingehen kann, ohne dass es an Qualität verliert.
plett verriegeln muss aus Angst vor Einbrüchen.
Die Anpassbarkeit existiert in mehreren Varian-
Im Wissen der Sicherheit, kann man das Gebäude
ten246. Jederzeit ist eine Raumnutzungsverände-
anders nach Außen öffnen und zum Beispiel tags-
rung möglich, da insbesondere die oberen Räume
über offen stehen lassen, wie es unter anderem
gleichwertig in Größe und Erschließung sind. Ob
in manchen Teilen in Deutschland möglich wäre.
man das Schlafzimmer nach vorne oder hinten
Auch müsste man zum Beispiel das Auto nicht im-
legt, Arbeiten oder Wohnen daneben oder doch in
mer im Porche parken und einschließen, was die
den anderen Gebäudeteil verlagert, diese Freiheit
Aufenthaltsqualität in diesem noch weiter erhöhen
ist jederzeit gegeben. Zuschaltvariabilität herrscht
würde. Je nach Bewohnern, deren gesellschaftli-
aufgrund der vielfältigen Öffnungs- und Ver-
chem Sicherheitsempfinden und sozio-kultureller
schlussgrade der Lamellentüren im Porche und
Prägung kann dieser Aufenthaltsbereich nach Au-
vorderen Obergeschoss. Küche, Essbereich und
ßen geöffnet oder durch den Vorhang geschützt
Porche, beziehungsweise die drei oberen Räume
werden. Auch die hintere Schiebewand kann, je
können beliebig miteinander verschaltet werden,
nach Bedürfnis, geöffnet oder geschlossen wer-
sodass unzählige Möglichkeiten entstehen. Eine
229
Wechselnutzung innerhalb eines Raumes ist, zum
Das Vergehen der Zeit, und somit die sich ver-
Beispiel durch das Verschieben des Mobiliars in
ändernden Bewohner, deren wechselnden Be-
oder aus dem Porche in den Eingangsbereich vor
dürfnisse, aber auch die mögliche gesellschaftli-
der Küche, oder durch die Möglichkeit an ver-
che Transformation und der wandelnde Zeitgeist,
schiedenen Stellen im Patio zu essen, möglich.
wirken sich konkret in der Raumgestaltung und
Auch kann das hintere Obergeschoss gleichzeitig
-nutzung auf das Gebäude aus. So verschmelzen
als großzügiger Wohn- und Arbeitsbereich genutzt
der Lebenszyklus der Bewohner, der Gesellschaft
Q5
werden. Zuschaltflexibilität ergibt sich durch die
und des Hauses miteinander. Das Vergehen der
Q4b
Möglichkeit das vordere Obergeschoss für einen
Zeit wird in räumlicher Form sichtbar und die Ver-
Untermieter oder dauerhaften Gast abzutrennen.
änderung eine Konstante des Gebäudes. Sowohl
Auch eine Umbau-Variabilität ist denkbar, wenn
Vergangenheit als auch die Zukunft sind in der
zum Beispiel das hintere Obergeschoss durch
Gegenwart des Hauses möglich.
einen kleineren Eingriff in zwei Räume aufgeteilt, oder das hintere Badezimmer im Erdgeschoss altersgerecht ausgebaut wird. Das vordere Badezimmer kann bei Bedarf mit dem anschließenden Stauraum verbunden und dadurch vergrößert werden, da in der Trennwand absichtlich keine wichtigen Anschlüsse liegen. Die gesellschaftliche Transformation und der sich damit verändernde Zeitgeist, hat Einfluss auf die Menschen, die wiederum, das Gebäude ihren neuen Bedürfnissen entsprechend, ohne großen Aufwand anpassen können.
230
231
Konzept_ Sonne & Regen
Wir erkennen an der Natur ‘da draußen’ die Anteile, die wir uns zurechnen müssen, und erfahren an uns externe und intrinsische Effekte, die uns nicht als Subjekten angehören, sondern deren transitorischer Schauplatz wir sind.248
Das Vergehen der Zeit ist für uns Menschen am
unter dem Aspekt des „Erlebens“ und der Erfahr-
deutlichsten durch den Tag-Nacht-Rhythmus so-
barkeit der Lokalität (siehe Abschnitt Lokalität &
wie den Verlauf der Jahreszeiten und das sich ver-
Globalität) eine bewusste Entwurfsentscheidung
ändernde Wetter erlebbar. All diese sind durch das
gewesen.
Motiv des Patios jederzeit im Haus ersichtlich, da sich alle Räume zum zentralen, beziehungsweise
Generell ist der Patio ein Ort in dem Zeit und ihr
zum kleineren Patio im vorderen Obergeschoss
Vergehen in vielfältiger Art und Weise erlebt wer-
Q3
öffnen. Der Bezug zum Außen, zum Wandel des
den kann. Die Veränderung des Sonnenstandes im
L2b
Wetters, ob Regen oder Sonne, ist demnach in je-
Tagesverlauf wird durch die wandernden Schat-
dem Raum vorhanden.
tenwürfe der Holzlamellen neben der Brücke und in der Dachterasse sichtbar. Bereiche mit Licht
232
Darüber hinaus ist man bei der Bewegung durch
und Schatten wechseln über den Tag hinweg,
das Haus und die Räume, aufgrund der frei lie-
wobei das oben liegenden „Toldo“ als zusätzli-
genden Treppe und Brücke zwischen dem vor-
che Verschattungsmöglichkeit dienen kann. Auch
deren und hinteren Gebäudeteil, dem Klima und
das überkragende Dach des hinteren Gebäude-
der momentanen Wettersituation ausgesetzt.
teils schafft zusätzliche Verschattung, die sich
Möchte man vom Erd- ins Obergeschoss und es
durch den Jahresverlauf hinweg verändert, jedoch
regnet, muss man entweder in Kauf nehmen nass
selbst die flacher aus dem Süden strahlende Win-
zu werden oder den Regenguss abwarten, bezie-
tersonne nicht in die hinteren Erdgeschossräume
hungsweise sich anders organisieren. Zwar ist der
hineinlässt. Der sich verändernde Sonnenstand im
Patio selber durch die Brücke und Dachterrasse
Jahresverlauf wird durch die vielfältigen Licht- und
teilweise regengeschützt, jedoch ist es nicht mög-
Schattenspiele im Patio sichtbar und damit für die
lich, komplett trockenen Fußes vom vorderen in
Hausbewohner erfahrbar. So entsteht zum Bei-
den hinteren Gebäudeteil zu gelangen. Dies ist
spiel durch die skulpturale Anmutung der Treppe
233
mit frei schwebenden Auftritten ein interessantes
Im Patio befindet sich ein großzügiges Beet, das
Schattenspiel, das den Verlauf der Zeit durch den
mit tropischen Pflanzen, und einer großen Palme
Sonnen- und Schattenverlauf im Patio sichtbar
ausgestattet ist. Bei entsprechendem Sonnen-
macht.
stand ergibt sich eine angenehme Verschattung im Patio durch die Bepflanzung. Aufgrund ihrer
Der Jahreszeitenzyklus, das heißt die Trocken-
Positionierung unter den Holzlamellen der Dach-
und Regenzeit, Sommer und Winter, wird durch
terrasse fangen sie das durch die Lamellen fal-
Q4a
die Offenheit des Patios für die Hausbewohner
lende Licht auf, schwächen es ab und färben es
L2a
sichtbar. Der Wechsel von Licht und Schatten, als
ebenfalls leicht. Durch eben diese Öffnung er-
auch Sonne und Regen sind stets Teil des Hau-
halten sie auch die benötigte, natürliche Bewäs-
ses, so, wie gute und schlechte Zeiten Teil des Le-
serung. Als Sichtschutz brechen sie den direkten
bens der Bewohner sind. Die Vergänglichkeit und
Einblick vom Porche, durch den Essbereich, in
der konstante Wandel werden durch den Einbe-
den hinteren Gebäudeteil und geben dem Patio
zug des Klimas und Wetters in das Haus deutlich
aus verschiedenen Perspektiven zusätzliche Tie-
und als Teil des Alltags spürbar.
fe. Ihre klimatische Funktion als Luftbefeuchter und dementsprechend Kühlungselement durch
234
Die Vegetation im Haus verstärkt diese Sichtbar-
Verdunstung von Wasser auf den Blättern sowie
keit und manifestiert das Vergehen der Zeit durch
die qualitative Verbesserung des Mikroklimas,
ihr Wachstum und Sterben, aber auch aufgrund
sind weitere entscheidende Vorteile der Bepflan-
ihrer Konstanz durch das Überdauern der ver-
zung im Patio.
schiedenen Zyklen. Generell besitzt die Bepflan-
Um von den Vorteilen der Bepflanzung profitieren
zung verschiedene Funktionen: als Verschat-
zu können, Bedarf es auch der Pflege und Zuwen-
tungselement, Sichtschutz, klimatischer Regula-
dung der Hausbewohner. Sich um einen Garten
tor und als (Nutz-)Garten.
zu kümmern, ist jedoch weit mehr als eine rein
235
zweckmäßige Tätigkeit. Wie Han sagt, ist „die Zeit
will, was man gesät hat, ist dies nicht sofort oder
des Gartens“ die „Zeit des Anderen“, da der Garten
direkt am nächsten Tag möglich, sondern es Be-
eine Eigenzeit hat, über die der Gärtner nicht ver-
darf Geduld und Muße, sich an die für uns emp-
fügen kann.
fundenen „langsamen“ Prozesse des Pflanzen-
249
wachstums anzupassen. Durch die Begleitung
236
Die Natur, unsere Umwelt, die Welt in der wir le-
des Patiogartens über das Jahr hinweg, können
ben, ist eine Konstante, die unseren Lebenszyk-
die Hausbewohner sich über den Zyklen des
Q2
lus weit überlebt. Zwar mag eine einzelne Pflanze
Wachstums und des Verfalls bewusst werden.
L3
eine kürzere Lebensspanne haben, ebenso wie
Das Vergehen der Zeit wird sichtbar, in kürzeren
andere eine vielfach längere. Fest steht jedoch,
oder längeren Prozessen, die nur über die Dau-
dass die Natur lange vor uns Menschen und auch
er und mit einem aufmerksamen Blick zu beob-
lange nach jedem Einzelnen von uns existieren
achten sind. Darüber hinaus wäre es möglich, auf
wird. Sie verbindet uns alle als „Um-Welt“ und ist
der Dachterrasse Nutzpflanzen anzubauen, die
das, was immer einen Weg zurück findet, egal wie
an dieser exponierten Stelle sowohl vom Regen
sehr wir Menschen versuchen, sie nach unseren
als auch von der Sonne profitieren und an dieser
Bedürfnissen auszugrenzen oder anzupassen. Ein
höchsten Stelle des Hauses ungestört wachsen
Baum wächst, wie er wächst. Wir haben lediglich
können.
gelernt, durch entsprechende Pflege oder Be-
Die menschliche Sehnsucht nach Natur ist ein Ur-
schnitt Einfluss zu nehmen, jedoch wird er weiter-
sinn, der vielleicht durch die Gewöhnung an urba-
hin Richtung Sonne wachsen und nicht von allei-
ne Gegenden etwas verloren gegangen ist, aber
ne in der perfekten Form bleiben, die wir uns zum
der dennoch in uns allen schwelt. Kleingärten, die
Beispiel wünschen.
Flucht des Städters auf jede erdenkliche Grünflä-
Die Pflege eines Gartens erfordert somit Zeit, Auf-
che bei gutem Wetter und die unzähligen Reisen,
wand und Aufmerksamkeit. Wenn man „ernten“
die wir „ins Grüne“ unternehmen, zeigen, dass wir
237
uns unbewusst dieses Wunsches bewusst sind.
Raum wie der Küche, der im Inneren des Hauses
Es ist der Wunsch nach Immersion, nach Natür-
liegt, ist der Bezug zur Natur und zum Wetter so-
lichkeit und einer häufig damit verbundenen Stil-
mit gegeben. Regnet es, regnet es ins Haus und in
le, das Gewahrwerden des „Seins“, des Hier und
den Patio hinein. Scheint die Sonne, ist die durch
Jetzt, der viele Menschen immer wieder in die Na-
die entsprechenden Dachfenster und durch die
tur treibt. Obwohl in ihr viel passiert, dank Tieren
Öffnungen zum Patio sichtbar. Obwohl sich das
und Insekten, dem Wetter und den Wachstums-
Haus kaum, lediglich im Porche, nach außen öff-
Q1
und Verfallsprozessen der Pflanzen, liegt all dem
net, ist das Außen dennoch Teil des Inneren und
L1
gleichzeitig eine tiefe Ruhe inne. Es ist die Ruhe
dort spürbar.
des Lebens im Hier und Jetzt, ohne Widerstand gegen das, was im Moment ist. Ein Baum „ist“
Das Klimakonzept des Entwurfes wurde auf die-
jederzeit, er kennt kein Gestern und Morgen. Er
ses Ziel abgestimmt. Anstatt komplett geschlos-
passt sich an die Umstände an und wächst mit
sene Räume mit technischer Klimatisierung zu
dem, was er bekommt, so wie er kann.
planen um dem heiß-feuchten Klima entgegenzuwirken, wurde mit den Prinzipien der natürlichen
238
Diese Qualität der Natur wurde in das Haus ge-
Belichtung und Belüftung gearbeitet.
holt, auch weil die Stadt keine attraktiven Außen-
Hierfür war die Verschattung der innenliegenden
bereiche bietet, auch wenn sie recht grün wirkt. Es
Räume wichtig, wodurch das auskragende Dach
befindet sich nicht nur in den Patios Vegetation,
des hinteren Gebäudeteils entstanden ist. Die,
sondern die „Natur“ wurde sich ins Haus geholt.
im Sommer von schräg oben und im Winter et-
Ein Baum, der im vorderen Erdgeschoss unterhalb
was flacher südlich stehende Sonne, kann durch
eines klassischen römischen Atriums steht, einem
dieses nicht direkt in die Räume im Erd- und
unverglasten Dachfenster, holt das Wetter bis in
Obergeschoss einstrahlen. Mittels der zusätz-
den Lebensraum der Bewohner. Selbst in einem
lichen Verschattung durch die Brücke bleibt so
239
N AA - 22. Dezember
BB - 21. Juni
BB - 22. Dezember
CC - 21. Juni
CC - 22. Dezember
21. Juni 05:21
18:12
W
O
17:26
A
B
C
A
B
C
06:00 22. Dezember
S
Sonneneinfall zur Sonnenstand im Jahresverlauf
240
AA - 21. Juni
Sommer- und Wintersonnenwende
241
der Wohnraum im hinteren Erdgeschoss stets ver-
den Speicherbatterie eine 100% Deckung erreicht
schattet. Dadurch wird eine Aufheizung und das
werden könnte. Durch den hohen Deckungsgrad
aggressive direkte Sonnenlicht vermieden. Statt-
des Himmels in der Regenzeit müsste dann al-
dessen gelangt durch die indirekte Einstrahlung
lerdings auf die lokale Stromversorgung oder al-
und Reflektion, zum Beispiel der Wasserfläche,
ternative Energiequellen zurückgegriffen werden.
angenehmes diffuses Licht in die Wohnräume. Es
Zu dieser Zeit spielt auch eine Entfeuchtung eine
mag für einen Deutschen schwer vorstellbar sein,
wichtige Rolle, da die Luftfeuchtigkeit zu hoch
der Sonne entkommen zu wollen, aber bei ganz-
ist um effektiv zu kühlen. Demnach müsste das
jährigen Temperaturen um 30 Grad und entspre-
Lüftungssystem in den Obergeschossräumen mit
chender Äquatornähe sind schattige und dadurch
einem Entfeuchter ausgestattet sein um eine ein-
kühle Bereichen eine Wohltat für das Auge und die
wandfreie Wirkungsweise zu garantieren.
Körpertemperatur.
Aufbau Porenstein
242
Das Erdgeschoss funktioniert dabei als komplett
Ein wichtiger Bestandteil zur natürlichen Belüf-
offener Bereich ohne Verglasung, da dies aufgrund
tung und Kühlung des Hauses sind die Fenster
der Temperaturen, die ganzjährig über 15 Grad lie-
aus Porenstein, der durch seine zylindrische Form
gen, problemlos möglich ist. Im Obergeschoss ist
Luft in den Patio zieht und die Außenluft durch
die Aufheizung durch direkte Sonneneinstrahlung
Verdunstungskühle vorkühlt. Dieses Prinzip, an
nicht zu vermeiden, weshalb die kleineren Räume
eine indische Entwicklung250 angelehnt, findet sich
und die Dachfenster verschließbar sind und durch
innerhalb des Patios an der Ostseite des Hauses,
ein in der der Decke liegendes Lüftungssystem
da dies die Hauptwindrichtung vor Ort ist. Die er-
gekühlt werden können. Die großen Flachdachflä-
wähnte mikroklimatische Funktion des Patios wird
chen bieten sich für Photovoltaik und Solarthermie
dadurch verstärkt. Im vorderen Bereich verstärkt
an, da der Ertrag insbesondere im Sommer mehr
der Porenstein die Luftbewegung im Atrium und
als ausreichend wäre und mit einer entsprechen-
zur Küche hin, die gleichzeitig durch den Baum
243
weiter abgekühlt wird. Zusätzliche Ventilatoren in
fahrbarkeit, Natürlichkeit und Nachhaltigkeit des
den Innenräumen verstärken die Luftbewegung.
Klimakonzepts, um die Einbettung in den Kon-
Auch die Wasserfläche im Patio hat mikroklima-
text und die Umwelt des Hauses zu ermöglichen.
tischen Einfluss. Tagsüber in weiten Teilen ver-
Ohne hochtechnisierte Anlagen, sondern mit ein-
schattet, dient der Pool nicht nur als Abkühlung
fachen, wartungsarmen und kaum energieintensi-
für die Hausbewohner, sondern kühlt die Luft im
ven Methoden wird so ein angenehmes Klima im
Patio durch Verdunstungskälte. Die Reflektion der
Haus geschaffen, ohne das Außenklima komplett
Sonne bringt diffuses Licht in die hinteren Räume
auszuschließen und abzulehnen.
und ergibt gleichzeitig ein dekoratives Lichtspiel an der Unterseite der Brücke. Neben der Vegetation, dem Porenstein und dem Wasser erfüllt der Patio bereits alleine aufgrund seiner Kurvatur eine mikroklimatische Funktion, da in ihm in der Nacht kalte Luft absinkt und warme Luft aus dem Haus entweichen kann. Unter dem Prinzip der Nachtlüftung können zusätzlich die Türen zum Porche geöffnet werden um Luft frei zirkulieren zu lassen. Generell ist das Klimatisierungsprinzip eine Kombination aus aktiven und passiven Methoden und zieht aus beiden Prinzipien die für den Entwurf Funktionsweise Porenstein
244
sinnvollsten Maßnahmen. Das Augenmerk lag dabei den Entwurfswerten entsprechend auf der Er-
245
Durchlüftung
246
Durchlüftung
Schnitt Q3
Schnitt Q1
Schnitt L3
Schnitt L1
247
Konzept_ Verschlossenheit & Offenheit
Die fruchtbare Tiefe der Beziehungen, die hinter jedem geoffenbarten Letzten noch ein Allerletztes ahnt und ehrt, [...] ist nur der Lohn jener Zartheit und Selbstbeherrschung, die auch in dem engsten, den ganzen Menschen umfassenden Verhältnis noch das innere Privateigentum respektiert, die das Recht auf Frage durch das Recht auf Geheimnis begrenzen läßt.253
Ansicht Nord (1:200)
Ansicht Süd (1:200)
248
Das Thema des Schließen und Öffnens ist ein wei-
Generell wirkt das Gebäude von außen weitest-
terer, essentieller Aspekt des Entwurfskonzepts,
gehend verschlossen. Die Fassadenflächen besit-
der sich vorallem auf den Aspekt der Privatsphä-
zen abgesehen vom Porche keine größeren Ein-
re bezieht. Als Ergänzung zum obigen Zitat kann
schnitte und werden lediglich durch den perme-
man sagen, „die menschliche Seele braucht offen-
ablen Porenstein und ein kleines Fenster an der
bar Sphären, in denen sie bei sich sein kann ohne
Westseite aufgebrochen. Die Wehrhaftigkeit nach
den Blick des Anderen.“
Dieses Bedürfnis nach
außen ist ebenfalls ein Sicherheitsaspekt, da die
Privatsphäre und „Uneinsehbarkeit“, nach dem
sechs Meter hohen Wände ohne Öffnungen ein
„nicht transparent“ sein, besitzen wir alle. Kom-
ausreichend großes Hindernis darstellen.
plette Öffentlichkeit, jederzeit in Kontakt mit Men-
Der wehrhafte Charakter von außen wird durch
schen und niemals alleine zu sein, überfordert uns
den komplett offenen Innenbereich kontrastiert
auf Dauer und lässt uns den Bezug zu uns selber
und durch die Funktionsweise des Porche und der
verlieren, zu dem, was uns eigen ist.
Schiebetüren zum Essbereich hin durchbrochen.
Dieses Eigen entfaltet sich im Geheimnis, im Im-
Werden diese geöffnet, ist ein Einblick von außen
permeablen, dem Unerklärbaren, dem was uns al-
in das Innere des Hauses möglich, der jedoch vom
len eigen ist. In Anlehnung an Hans Gesellschafts-
Grill und der Vegetation abgefangen wird. Ist das
kritik, soll der Entwurf den Zeitgeist der Trans-
Eingangstor gleichzeitig geschlossen, ist ein Ein-
parenz- und Positivgesellschaft kontrastieren,
blick, jedoch kein Eindringen möglich. Mag ein
ohne ihm jedoch entgegenzuwirken. Das Haus ist
Passant von außen nichts besonderes am Haus
transparent und einsehbar, und gleichzeitig ver-
feststellen können, zeigt sich seine Qualität erst
schlossen und undurchsichtig. Durch vielfältige
beim Eintreten ins Haus, in die privaten Räume.
Verschluss- und Öffnungsmöglichkeiten kann es
Die verschiedenen Grade der Öffentlichkeit kön-
auf die Bedürfnisse seiner Bewohner und Besu-
nen beim Zick-Zack-förmigen Rundlauf durch das
cher eingehen.
Haus erschlossen werden. Sie schwächen sich
251
249
von außen nach innen ab und changieren inner-
lamellen im Boden der Terrasse ist diese Privat-
halb des Hauses erneut. Der öffentlichste Bereich
sphäre jedoch unterbrochen, da man nicht kom-
ist die umliegende Nachbarschaft, der Platz vor
plett vom Rest des Hauses abgeschottet ist, son-
dem Haus. Als semi-öffentlich kann man den Por-
dern Sichtbezüge vom Patio und umgekehrt hat.
che betrachten, der allerdings nach Verschließen
Ansicht West (1:200)
Ansicht Ost (1:200)
250
des Vorhangs ebenfalls privat werden kann. Der
Eine ähnlich kontrastreiche Rolle besitzt der Por-
innere Privatraum teilt sich in gemeinschaftliche
che. Er dient als Schwelle und Schleuse, als Kon-
Bereiche wie den Patio, der als Verbindung, Ver-
trollpunkt, wie weit Passanten, das „Fremde“, ins
teiler und Kontaktpunkt dient, sowie die Küche
Haus eindringen können oder nicht. Er verwischt
und das Wohnzimmer auf. Privater sind die indi-
die Grenzen zwischen Öffentlichem und Privatem
viduellen Zimmer im Obergeschoss, die jedoch
und fordert die Hausbewohner immer wieder he-
auch gemeinschaftliche Bereiche, wie den kleinen
raus, diese Grenzen für sich selber zu definieren.
Patio oder die Dachterrasse besitzen.
Zur Schwelle zitiert Han Heidegger: „Die Schwelle
Umgekehrt gibt es innerhalb der gemeinschaftli-
ist der Grundbalken, der das Tor im Ganzen trägt. Er
chen Flächen im Erdgeschoss an verschiedenen
hält die Mitte, in der die Zwei, das Draußen und Drin-
Stellen privatere, intimere Ecken, die bei Bedarf
nen, einander durchgehen, aus. Die Schwelle trägt
als Rückzugsort dienen können, so wie zum Bei-
das Zwischen. In seine Verläßlichkeit fügt sich, was
spiel die Ecke zwischen Vegetation und hinterem
im Zwischen aus- und eingeht. Das Verläßliche der
Badezimmer, die Ecke neben der Küche unter der
Mitte darf nirgendhin nachgeben.“252
Brücke oder die höhlenartige Sequenz unter der
In jedem Szenario und innerhalb dieser sind, wie
Dachterrasse im Obergeschoss. Die Dachterras-
bereits beschrieben, verschiedene Nutzungs- und
se ist der Endpunkt des beschriebenen Rundlaufs
Verschaltungsmöglichkeiten des Porche denkbar,
durch das Haus und vermeintlich der privateste
die mit unterschiedlichen Öffnungsgraden einher-
und intimste Punkt des Hauses. Durch die Holz-
gehen. Vom komplett privaten, geschlossenen
251
Spielbereich für die Kinder der Familie, über einen
der Tür. Durch diese Funktionalität ergeben sich
halboffenen Eingangsbereich und teilweise öffent-
unzählige Möglichkeiten, den Porche mit der Kü-
lichen Essbereich der Fritanga, bis hin zum kom-
che und dem Essbereich sowie die Räume im vor-
plett öffentlichen Bereich des Restaurants, kann
deren Obergeschoss miteinander zu verschalten.
der Porche unzählige Grade an Öffentlichkeit und Privatsphäre generieren. Durch die Öffnung fließt
Der Grad der Öffentlichkeit des Hauses liegt,
der Raum des Porche mit dem Küchen- und Ess-
durch die flexiblen Dreh- und Schiebetüren, in den
bereich, sowie dem Patio ineinander. Hier kann
Händen der Hausbewohner. Die Familie (Szena-
ein durchgängiger, großflächiger Raum entstehen,
rio A-D) wird vielleicht eher privat, in sich gekehrt
dessen Nutzung ganz von der Anforderungen und
wohnen wollen solange die Kinder noch jünger
Phantasie der Bewohner abhängt, von Garage
sind, kann sich aber später für eine graduelle
bis Werkraum. Als Nebeneffekt wäre es möglich,
Öffnung entscheiden, verstärkt durch die besse-
durch ihn bequem Baumaterialien für eventuelle
re Integration in die Nachbarschaft, zum Beispiel
Umbauten ins Haus zu transportieren.
durchs Kennenlernen der Nachbarn, des Erlernens der Sprache und die wachsende Vertrautheit
Die flexiblen Lamellentüren, zu finden im vorde-
mit der lokalen Kultur.
geöffnet
geschlossen
ren Erd- und Obergeschoss, können je Element
Lamellentüren – Axonometrie, Schnitt, Ansicht
252
in sieben verschiedenen Öffnungsgraden ver-
So wie sich die Familie nach außen öffnen kann,
schaltet werden und sind so in einer Vielzahl von
kann sich auch das Haus öffnen und andere Nut-
Möglichkeiten kombinierbar. Sie können komplett
zungen ermöglichen. In einem extremen Fall wäre
aufgestellt oder es kann nur das obere Fenster
die komplette öffentliche Nutzung des Gebäudes
aufgeklappt werden. Die Holzlamellen können ge-
zum Beispiel als Büro beziehungsweise andere
schlossen oder schräg gestellt werden, unabhän-
gewerbliche Nutzung oder auch als Kulturstätte
gig voneinander im oberen und unteren Bereich
(Szenario E3) denkbar. Die kleinteiligen Räume,
253
ร ffnungsmรถglichkeiten Porche
254
Verschaltungsmรถglichkeiten Porche
255
wie bereits im Szenario der Familie (C) und Fritan-
Obwohl sich das Gebäude nach außen verschließt,
ga (E1) dargestellt, können als einzelne Büro- und
ist das Außen ins Haus integriert und kann nicht
Meetingräume genutzt werden. Der Porche könn-
komplett ausgeschlossen werden. Der permeab-
te zum Beispiel als Ausstellungsbereich oder War-
le Porenstein lässt stets Licht und Luft durch und
teraum dienen. Die Patios verstärken den Cha-
selbst bei geschlossenem Toldo gelangt Sonnen-
rakter des „Arbeitens in einer Oase“ und schaffen
licht durch die Lamellen im Boden der Dachterras-
angenehme Ausblicke aus den einzelnen Büros.
se in den Patio hinein. Die Verbindungen mit dem Außenbereich im Inneren des Hauses mag viel-
Eine Nutzung als öffentlicher Kulturraum und ge-
leicht nicht auf visueller Ebene stattfinden, jedoch
sellschaftlicher Begegnungsraum im Sinne des
dringen Geräusche und Gerüche in das Haus ein,
„Platz für das Volk“ hebt das Konzept des Öffnens
und insbesondere das Klima ist fester Bestand-
und Schließens auf eine weitere Ebene. Sich zu
teil des Hauses und jederzeit spürbar. So wird das
einer Kultur zu öffnen, diese zu integrieren und
„Draußen“ ein Teil des „Drinnen“ und das „Fremde“
gar Teil dieser zu werden, ist sowohl für die Fa-
in das „Vertraute“ integriert.
milie als auch das Haus möglich. Hier wird die Öffnung nach außen, in den öffentlichen Raum, auch als Öffnung zur Stadt, dem Land und der damit zusammenhängenden Kultur verstanden. Das „Draußen“ ist das „Fremde“, das „Andere“, das erfahren und erlebt werden kann. Die Hausbewohner können in vielfältiger Weise entscheiden, inwiefern sie sich öffnen oder schließen wollen, inSzenario E3 Büro
256
wiefern sie die lokale Umwelt und Kultur erleben und ihr eigenes Leben berühren lassen wollen.
257
Szenario E3 - BĂźro
258
259
Stadtplan Managua (1:50.000) 1 km
260
261
Konzept_ Lokalität & Globalität
Hospital Polizei Transport Freizeit Einkaufen Schule Universität
Wenn du den Schmerz der Schwellen spürst, dann bist du kein Tourist; es kann den Übergang geben.254
Entscheidend neben der räumlichen und klimati-
Morgens nicht anspringen, ist es hilfreich sich mit
schen Lokalisierung ist jedoch die kulturelle und
dem Mechaniker zwei Häuser weiter gut zu ver-
konzeptionelle Verortung. Als Außenstehender, als
stehen. Geht der Kühlschrank kaputt und reichen
jemand, der noch keine Berührungspunkte mit der
die finanziellen Möglichkeiten Ende des Monats
lateinamerikanischen und spezieller mit der nica-
nicht für den Kauf eines neuen, kann man sich
raguanischen Kultur hatte, mag es schwierig sein,
Geld leihen oder kurzfristig den Kühlschrank des
sich an einen solchen Entwurf und seine Hinter-
Nachbarn mitbenutzen. Dies mag aus einer heu-
gründe anzunähern.
tigen, deutschen Perspektive ungewöhnlich und gar berechnend wirken, jedoch beruht dieses Mit-
Im Gegensatz zu Deutschland werden in Nica-
einander auf selbstverständlicher Gegenseitigkeit.
ragua soziale Beziehungen insbesondere in der
Viertel
Hospital Polizei Transport Freizeit Einkaufen Schule Universität
(1:10.000)
Nachbarschaft deutlich stärker gelebt. Es herrscht
Für uns Deutsche ist dies aufgrund unseres Wohl-
ein regeres Sozialleben, eine größere Offenheit
standes auf vielerlei Ebenen nicht mehr notwen-
und Gelassenheit und ein herzlicher Umgang auch
dig. Die Meisten von uns besitzen ausreichend
mit Fremden und Passanten. Ein kurzer Plausch,
Mittel alles jederzeit zu besorgen und zu erledi-
ob beim Bäcker, im Bus oder einfach auf der Stra-
gen. Kinder ziehen früh von zu Hause aus um allei-
ße, ist stets willkommen und die nachbarschaft-
ne zu wohnen. Die Beziehung zwischen Eltern und
lichen Beziehungen werden sorgsam gepflegt,
Kindern ist weniger abhängig durch ein funktionie-
nicht zuletzt, weil man gegebenenfalls aufein-
rendes Sozialsystem und Altersabsicherung, aber
ander angewiesen ist. Da, wo der Staat und das
auch durch eine generell distanziertere Kultur. In
Sozialsystem versagen oder schwächeln, werden
Nicaragua wohnen Kinder meist bis zur Heirat, die
zwischenmenschliche Beziehungen, sowohl in-
allerdings recht früh sein kann, bei den Eltern und
nerhalb der Familie als auch mit Freunden, Nach-
es ist keine Seltenheit, dass drei oder vier Genera-
barn und Bekannten wichtiger. Will das Auto eines
tionen unter einem Dach wohnen.
100 m
262
263
50 m Nachbarschaft (1:4000)
264
In diesem Klima der Nähe und Verbundenheit be-
tanz voneinander befindet sich somit auf räum-
gegnet man auch Fremden anders. Gäste sind
licher und zwischenmenschlicher und demnach
gerne gesehen und werden wie selbstverständ-
auch auf gesellschaftlicher Ebene.
lich als Teil der Familie integriert und allgemein
Auf räumlicher Ebene bildet das Haus diese Viel-
wie ein weiteres Kind behandelt und verwöhnt.
falt und ihre Abstufungen ab. Bereits in den Fa-
Gastfreundschaft kann man auch auf die geistige
milienszenarien (A-C) ist es möglich, einen oder
Haltung gegenüber Neuem und Fremden übertra-
mehrere Gäste für kurze, als auch für längere Zeit
gen. Das große Interesse oder gar die Neugier für
unterkommen zu lassen. Ob im hinteren Erd- oder
Bekannte und Fremde mag für einen (stereotypi-
Obergeschoss, in einem Raum im vorderen Ober-
schen) Deutschen ungewöhnlich und teils unge-
geschoss, oder gar in dem kompletten Bereich:
mütlich sein, doch das Gefühl des „Willkommen-
es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten Über-
seins“ wird auch er schätzen können.
nachtungsgäste komfortabel unterzubringen. Es
Hier spielen erneut die Aspekte der Privatsphäre
wurde insbesondere darauf geachtet, dass der
und Offenheit eine Rolle. Wohingegen ein Nica-
Gast Rückzugsmöglichkeiten hat und seine Räu-
raguaner es gewöhnt ist, im engen Kontakt mit
me für ihn privat abtrennbar sind, ohne dass dies
Familienmitgliedern und anderen Menschen zu
die Raumnutzung der restlichen Bewohner extrem
sein, wird in Deutschland tendenziell das Privat-
einschränkt. So kann die Vertrautheit innerhalb
leben stärker geschützt. Man grenzt sich räumlich
des Hauses durch Gäste und Freunde der Familie
voneinander ab, auch weil ausreichend Platz und
beeinflusst und durchbrochen werden.
ökonomische Mittel vorhanden sind. Bei entspre-
Obwohl Gäste sich innerhalb des Hauses zurück-
chendem Wohlstand ist es nicht mehr notwendig,
ziehen können, sind sie nichtsdestotrotz Teil der
mit vier Personen in einem winzigen Zimmer zu
Familie. Die gemeinschaftliche Küche als zentraler
schlafen, sondern hier erhält zum Beispiel bereits
Begegnungspunkt im Haus sowie der Patio als
jedes Kleinkind einen eigenen Raum. Diese Dis-
zentraler Erschließungs- und Durchwegungsbe-
265
reich, werden immer zu zwischenmenschlicher
material, das aber durch die Wahl von Ortbeton
Kommunikation führen.
im Gebäude neu lokalisiert wird. Es müssen keine
Daneben ist der Gast, genauso wie jeder andere
teuren Fertigteile angeliefert werden, die sowieso
Hausbewohner, dem lokalen Klima ausgesetzt.
in Nicaragua kaum verbreitet sind, sondern es
Die Erfahrbarkeit des Lokalen steht im Kontrast zu
kann auf das bereits bekannte Material des Stahl-
den voll-klimatisierten, abgeschlossenen Hotelan-
betons zurückgegriffen werden, mit dem lokale
lagen, die man aus Urlaubsreisen kennt. Hier wird
Arbeiter vertraut sind. Die Lamellentüren und Holz-
das fremde Land, die andere Kultur, die Lokali-
strukturen an der Brücke und Dachterrasse sind
tät, verschwischt und abgeschwächt, gar ausge-
aus nicaraguanischen Tropenhölzern erstellt und
grenzt, um den Gästen ihren gewohnten Standard
ebenso wie die Möbel, von lokalen Handwerks-
zu ermöglichen. Zwar ist das Haus mit westlichen
betrieben hergestellt. Aufgrund der vergleichs-
Annehmlichkeiten, man könnte sagen Luxus, wie
weise niedrigen Lohnkosten, ist eine individuelle
einem Pool (der aber umgenutzt werden kann,
Gestaltung nach Wünschen der Hausbewohner
siehe Szenario Restaurant) oder mehreren Bädern
problemlos möglich. Dies erhöht gleichzeitig die
ausgestattet, jedoch bleibt das Lokale unvermeid-
Qualität und Langlebigkeit der Möbelstücke und
lich Teil des Aufenthalts im Haus. Elemente wie
baut einen größeren persönlichen Bezug zu den
die Vegetation aus lokalen Pflanzen oder der Grill,
Objekten auf, sodass sie die Familie, im Gegen-
beziehungsweise die Fritanga, verstärken zusam-
satz zu billiger Massenware, problemlos über
men mit dem Wetter die Verortung innerhalb des
Generationen hinweg begleiten können. Das Holz
Hauses.
wird aus nachhaltigen Forstbetrieben gewonnen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, das im
10 m Wohnblock (1:1333)
266
Die Materialwahl wurde ebenfalls unter den As-
Osten des Landes von Tropenstürmen gefällte
pekten der Lokalität und Globalität getroffen. Be-
Holz zu verwerten, da dies sonst unbrauchbar
ton ist zwar ein internationales, modernes Bau-
werden würde.
267
Die Holzelemente geben eine Wärme zu den über-
deutschen Hintergrund sowie die Gäste der Haus-
wiegend rohen Sichtbetonwänden, deren Flächig-
bewohner, die von „woanders“ kommen und für
keit im Patio insbesondere durch die Vegetation
eine Zeit ein Teil der Welt der Hausbewohner und
und vielfältige Schattenspiele aufgebrochen wird.
umgekehrt werden.
Im Patio finden sich dadurch alle fünf Elemente
Treibt man den Gedanken des Gastes und der
nach asiatischer Lehre : Feuer in Form des Grills,
Globalität weiter, gelangt man zum Szenario des
Erde durch das Beet, Wasser durch den Pool und
Hostels (E4). Dieser bedeutet als Gegensatz zum
den Regen, Metall durch die Bestuhlung und Holz
Szenario der lokalen, nicaraguanischen Hausbe-
durch die Lamellen und die Pflanzen. Jede dieser
wohner, eine komplette Globalisierung und inter-
Elemente deutet auf einen anderen Prozess und
nationale Orientierung des Gebäudes. In diesem
Aspekt hin.
Fall würde das Haus wie im Büro-Szenario (E3)
Darüber hinaus finden sich weitere, internationale
komplett öffentlich sein, aber innerhalb unter-
Elemente im Haus, wie das andalusische „Toldo“
schiedliche Privaträume ermöglichen. Der Porche
als Verschattungselement, die japanisch anmu-
ist in diesem Szenario noch viel stärker ein „Tor
tende Schwelle im Eingangsbereich, die dazu
zur Fremde“, da dieser im offenen Zustand den
anhält die Schuhe auszuziehen, der indisch-inspi-
Berührungspunkt zwischen den internationalen
rierte Porenstein, die von traditionellen Ramadas
Gästen und der lokalen Bevölkerung darstellt. Als
oder französischen brise soleils inspirierten Holz-
„Übergang in eine andere Welt“ ist er der Ein- und
elemente, die Lamellentüren in der Funktionswei-
Ausgang in das Unbekannte. Durch ihn gelangt
se eines „louvre“-Fensters, das klassische römi-
das Fremde in vielfältiger Form in das Haus.
sche Atrium und selbstverständlich der Patio als
Reisen kann den Horizont erweitern und neue
weit gewanderte Typologie (siehe Abb. 2).
Einblicke, Erkenntnisse und Perspektiven ermög-
Weit gewandert, beziehungsweise weit gereist,
lichen. Das Verständnis der Verbundenheit von al-
sind ebenso die Familienmitglieder mit ihrem
len Dingen, der Auswirkungen unseres westlichen
255
Szenario E4 Hostel
268
269
Szenario E4 - Hostel
270
271
Lebensstils und eine gewisse Dankbarkeit für
se erleben Touristen das Land aus einer eher dis-
den eigenen Lebensstandard kann durch Reisen
tanzierten Perspektive, was durch eine nachbar-
in fremde Ländern geweckt werden. Nicht selten
schaftliche Integration vermieden werden könnte.
kehren Reisende, insbesondere Langzeitreisende
Die lokale Gemeinschaft könnte als „Host“ und
oder Expaten, als „andere“ Menschen zurück,
Gastgeber funktionieren und das Hostel in einer
aufgrund der Vielzahl an Erfahrungen, die sich
eher familiären Atmosphäre betreiben. Lokale An-
durchlebt haben, die vielleicht in dieser Intensität
gestellte verstärken den Kontakt und den Aus-
im Alltag „daheim“ nicht möglich wären.
tausch der Kulturen.
Die internationalen Gästen mit ihren verschiede-
Schiebetüren im Porche, Aufsicht
272
nen kulturellen Hintergründen begegnen sich an
Andererseits kann der Reisende als „hyperkul-
einem fremden Ort, den sie nach und nach erkun-
tureller“ globaler „Tourist“ auch kritisch betrach-
den werden. Das Erleben des Anderen wird durch
tet werden. Als unreflektierter und unbewusster
die beschriebene Funktionsweise des Hauses
Pauschalreisender nimmt er direkt und indirekt
verstärkt, aber gleichzeitig die üblichen Annehm-
Einfluss auf die Länder, die er sich „beschaut“. Es
lichkeiten für einen Reisenden geboten. Dank der
steht fest, dass Reisen auf Kosten der Umwelt,
Lage des Hauses in einem Viertel der nicaragua-
anderer Menschen und Regionen geht. Gleichzei-
nischen Mittelschicht und nicht in einer geschlos-
tig wird Reisen immer leichter, zugänglicher und
senen „gated community“ oder „condominio“, er-
„schmerzloser“ durch die fortschreitende Globali-
möglicht es den Gästen, in die lokale Kultur ein-
sierung. Kulturen gleichen sich immer weiter an,
zutauchen und „die andere Welt“ kennenzulernen.
sodass Han bereits von einer „Hyperkulturalität“
Umgekehrt kann die lokale Bevölkerung auch
der heutigen Gesellschaft spricht und darauf hin-
von den Reisenden profitieren. Tourismus ist eine
weist, dass ein schwellenloser Übergang kein „Er-
wichtige Einnahmequelle und der Kontakt mit
leben des Fremden“ ermöglicht. Denn letztendlich
Ausländern kann bereichernd sein. Normalerwei-
ist es erst dieses Fremde, das Neues und Wachs-
273
tum ermöglicht, oder wie Han nach Heidegger
umgänglich und auch ein wichtiger Bestandteil
sagt, „die Anwesenheit des Fremden ist, so gese-
unserer menschlichen Erfahrungen. Erst durch
hen, notwendig für die Bildung des Eigenen.“
das Erleben des Spannungsfeldes zwischen Posi-
256
tiv und Negativ, zwischen Glück und Leid, sind wir
Eingangstor und Vorhang im Porche, Ansicht und Aufsicht
274
Das Fremde ist jedoch nicht nur mit Positivem,
Menschen fähig zu lernen und zu wachsen. Das
sondern auch mit Schmerz und Negativem in
Negativ, die Lücke, schafft Wert und Tiefe, sie
Form von Konfrontation, Veränderung und in
macht die Dinge für uns interessant und wertvoll.
einem gewissen Grad auch dem Verlust des Al-
Die Spannung, die aus dem „Anderen im Selben“
ten und Bekannten verbunden. Wie Han sagt,
und dem „Verweilen am Negativen“, dem Rauhen,
ist der menschliche Geist eine „Schmerzgeburt“
Neuen, Ungemütlichen, entsteht, macht uns Men-
und verweist auf Nietzsche, der sagte, dass die
schen häufig Angst. Es ist die Angst vor dem Neu-
menschliche Seele ihre Tiefe, Größe und Stärke
en, dem Ungewissen, Unbekannten, der Leere,
gerade dem Verweilen am Negativen verdankt:
die aus der Abwesenheit, dem Negativ, entsteht.
„Jene Spannung der Seele im Unglück, welche ihr
„In dem erbitterten Ringen alter und neuer Kräfte
die Stärke anzüchtet [...], ihre Empfindsamkeit und
entstehen gerechte Maße und bilden sich sinnvolle
Tapferkeit im Tragen, Ausharren, Ausdeuten, Aus-
Proportionen259“, demnach in der Abkehr vom Be-
nützen des Unglücks, und was ihr nur je von Tiefe,
kannten und der Hinkehr zum Neuen, das aus der
Geheimnis, Maske, Geist, List, Grösse geschenkt
Begegnung mit dem Fremden entsteht. Tradition
worden ist: - ist es nicht ihr unter Leiden, unter der
wird zur Moderne und die Moderne wieder zur
Zucht des grossen Leidens geschenkt worden?“
257
Tradition, Gegenwart wird zur Zukunft und Zukunft
Dies deutet auf Hans Konzept der „Positivgesell-
zur Gegenwart, womit sich das Themenfeld des
schaft“
Konzepts in sich schließt.
258
hin, in der Negativgefühle nicht zuge-
lassen werden und verlernt wurde mit Leiden und Schmerz umzugehen, dabei ist das Negative un-
275
Wohnen K체che/Essen Schlafen Arbeiten Bad Freifl채che
Szenario A - Paar
Szenario B - Kleinfamilie
Szenario E1 - Fritanga
Szenario E2 - Restaurant
Szenario E3 - B체ro
Szenario E4 - Hostel
Fl채chennutzung in den verschiedenen Szenario C - Familie
276
Szenario D - Senioren
Szenarien
277
20
3,00
3,00
60
20,00 2,40
20
4,00
6,60
20
80
2,80
2,00
4,00
2,00
90
3,40 10,00
90
90
6,60
6,80
4,00
Grunrdriss
3,00
20
80
20
3,00
2,40
2,00
50
8,60
1,80
3,80
60
6,60 2,20
4,10
2,00
20
20
50
3,50
50 6,60
90
3,00
10,00
8,80
7,10
Dachaufsicht
EG bemaßt
bemaßt
(1:200)
(1:200)
20
Grunrdriss
3,50
20
20
70
4,00
2,80
50
1,4
3
4,10
20
1,40
50
6,50
3,20
20 5,00
10,00
8,00
2,00 1,00
2,00
3,30
4,00
4,00
278
5,80
6,90
4,60
2,80
3,50
90
1,80 20
70 1,00
20
2,00
5,60
1,20
90
6,60
2,00
80
2,00
20
90
2,00
20,00
20
4,00
2,50
(1:200)
20
4,00
4,10
20,00
20
OG bemaßt
4,40
2,00
7,10
6,50
279
10,00 2,50 2,00
7,10 4,30
50
2,00
80
20
6,10
Schnitt Q4
1,50
1,50
– 1,80
bemaßt
40
40
(1:200) 2,70
7,30
20,00
20 1,00
6,10 3,20
1,90
2,00
50
3,00
6,90 4,40
3,00
20 50
2,00
6,60 2,00
50
6,90 1,00
2,20
60
4,10
1,60
90
5,60
3,00
20
1,40
2,40 8,30
3,30
3,30
2,80
0,10
0,50
0,30
– 0,30
2,30
Schnitt L1
Schnitt L3
bemaßt
bemaßt
(1:200)
(1:200)
20
40
2,40 40 3,20 40
280
3,60
1,00
1,90
1,50
3,10
20
3,10
3,20
2,40
8,30
5,20
– 1,80
1,90
2,40
2,80
0,50
0,30
– 0,30
6,50 2,00
6,10 5,10
3,30
50
4,40
40
40
6,10
40
20,00
20
1,00
2,60
3,20
8,30
40
0,50
0,30
– 0,30
40
2,40
3,30
1,40
2,00
6,00
1,00
40
40
20
6,00
4,10
2,50
50
5,60
3,00
20
281
12
13 14
01
02a
02b
03
04
05
11 09
08
10
06
05 04
07
03
02 01 Perspektiven Erdgeschoss
282
283
08
09
05a
05b
10
11
06a
06b
12
13
06c
07
14
15
284
285
10
06
08
07
09 11
01
02
03
04
05a
05b
05 12 03 04 17
02
01 14 15
13 16 18
Perspektiven Obergeschoss
286
287
06
07a
11
12
08
07b
13
14a
09
10
14b
15a
288
289
15b
01
02
03
04
16a
04
16b
16c
03 02 01
17
290
18
Perspektiven Dachgeschoss
291
Epilog_ Dazwischen
Wohnen zwischen den Welten bedeutet mehr als
genheit in die Gegenwart für eine gewünscht Zu-
multikulturelles Miteinander. „Dazwischen sein”
kunft. Es gilt, das Negative als Teil des Alltags zu
bedeutet Leben in einem Spannungsfeld voller
begreifen und sich diesem hinzuwenden um den
Reibung und Kontraste.
Geist durch das Fremde und Andere wachsen zu
Es ist das „Nirgendwo-ganz-hingehören”, das
lassen.
„Zwischen-den-Stühlen-sitzen”, das „Zwei-Herzenin-der-Brust-schlagen”. Die Kunst liegt im klugen
Das Haus ist eine Einladung zum Erleben und zur
Umgang mit eben diesen Spannungen, die einen
Erkenntnis, zum Kennenlernen des Fremden und
in manchen Momenten zu zerreißen scheinen. Al-
des Vertrauten. Die Variabilität der Raumkonfigu-
les auf einmal ist nicht möglich, und so bleibt ei-
ration ermöglicht den Umgang mit dem Verge-
nem nur Eines: eine Entscheidung. Dabei ist diese
hen der Zeit und dem Wandel der Welten. In ihm
schmerzliche Tat stets für und gleichzeitig gegen
werden Dunkel und Hell, Regen und Sonne sowie
etwas, wie die untrennbaren Seiten einer Münze,
Offenheit und Privatheit gleichwertig, aber den-
die niemals beide sichtbar sein können.
noch immer neu erfahren. Aus dem Lokalen und Globalen schöpfend, bietet es sich an, ohne sich
Der Entwurf formt sich aus diesem Zwiespalt, dem
selber zu vergessen.
auch durch das „Sich-entscheiden” kein Ende gesetzt wird. Immer und immer wieder kann und
Ein Weltenwandler, ein Wanderer zwischen den
muss die Entscheidung getroffen werden, denn
Welten, der im „Dazwischen” Zuhause ist.
die Abwesenheit von Veränderung bedeutet Stillstand und somit das Ende von jeglicher Lebendigkeit als Abschied vom Leben. So ist das Neue, das Andere, das „Negativ”, immer eine Einladung zur Veränderung, zum Transzendieren der Vergan-
293
A N HANG
Anhang_ Endnoten Literaturverzeichnis Abbildungsverzeichnis
297
Anhang_ Endnoten
1 Hannah Arendt in Jaeggi, Rahel (1997): Welt und Person: zum anthropologischen Hintergrund der Gesellschaftskritik Hannah Arendts. Berlin: Lukas Verlag für Kunst- und Geistesgeschichte, S. 15. 2 Johannes Spalt in: Blaser, Werner (1985): Atrium: Lichthöfe seit fünf Jahrtausenden. Basel: Wepf & Co. AG Verlag, S. 7. 3 Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) (2007): Duden. Das große Fremdwörterbuch. Herkunft und Bedeutung der Fremdwörter. 4. Auflage. Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich: Dudenverlag. 4 Vgl. deutsche, englische, spanische und französische Artikel unter Wikipedia: Patio. URL: https://wikipedia. org/wiki/Patio. Abgerufen am 27.07.2018., sowie Pons: Online-Wörterbuch Deutsch - Latein. URL: https://de.pons. com/%C3%BCbersetzung. Abgerufen am 27.07.2018. 5 Sowohl „court” als auch „yard” stammen vom gleichen proto-indo-europäischen Wortstamm ab: gher- “erfassen, einfassen”, woraus sich „Umschlossenheit” ableitet. Vgl. Etymonline: Patio. In: Online Etymology Dictionary. URL: https:// www.etymonline.com/word/patio. Abgerufen am 27.07.2018. 6 Cambridge University Press: Patio. In: Cambridge Dictionary. URL: https://dictionary.cambridge.org/de/worterbuch/englisch/patio. Abgerufen am 27.07.2018. (Übersetzung durch Autor) 7 Oxford University Press: Patio. In: Oxford Dictionary. URL: https://en.oxforddictionaries.com/definition/patio. Abgerufen am 27.07.2018. (Übersetzung durch Autor) 8 Real Academia Española: Patio. In: Diccionario de la lengua española, Edición del Tricentenario, Actualización 2017. URL: http://dle.rae.es/?id=SA01ROy. Abgerufen am 27.07.2018. (Übersetzung durch Autor) 9 Das, Nibedita (2006): Courtyards Houses of Kolkata: Bioclimatic, Typological and Socio-Cultural Study. Thesis. Manhattan: Kansas State University, College of Architecture, Planning and Design, Department of Architecture, S. 2. 10 Hinrichs, Craig (1989): The Courtyard Housing Form as Traditional Dwelling. In: Traditional Dwellings and Settlements Working Paper Series, Volume 06. Berkeley: Center for Environmental Design Research, University of California, S. 2-28. 11 Schoenauer, Norbert und Seeman, Stanley (1962): The Court-Garden House. Montreal: McGill University Press. 12 Oliver Hinrichs in: Oliver, Paul (2003): Dwellings: The Vernacular House World Wide. Oxford: Phaidon Press Ltd.,
299
sowie vgl. Schoenauer & Seeman (1962) und Blaser (1985).
33 Blaser: Atrium, S. 70.
13 Schoenauer & Seeman: The Court-Garden House
34 Reynolds: Courtyards, S. 5.
14 Blaser: Atrium, S. 11.
35 Deane, Andrew R. (2010): Chapter 8: The Courtyard Garden. In: Japanese Gardening. URL: https://www.japane-
15 Israel Ministry of Foreign Affairs: Sha’ar Hagolan-A Neolithic Village. URL: http://www.mfa.gov.il/mfa/israelexperience/history/pages/shaar%20hagolan%20-%20a%20neolithic%20village.aspx. Abgerufen am 27.07.2018. 16 Goring-Morris, Adrian Nigel und Belfer-Cohen, Anna (2013): Houses and Households: A Near Eastern Perspecti-
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Anhang_ Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Typologie Patio (Eigene Darstellung) Abb. 2: Diffusion des Patio-Hauses. Santa Cruz Astorqui: Estudio tipológico, constructivo y estructural de las casas de corredor en Madrid, S. I-10. (Eigene Darstellung) Abb. 3: Siedlung in Sha’ar Hagolan. Goring-Morris: Houses and Households, S. 29. (Eigene Darstellung) Abb. 4: House 1, Babylon, Merkes. Baker: House size and household structure. (Eigene Darstellung) Abb. 5: Altägyptische Tempelanlage. Blaser: Atrium, S. 11. (Eigene Darstellung) Abb. 6: Rekonstruktion ägyptischer Hofhäuser. Bibliographisches Institut: Wohnhaus. URL: http://www.zeno.org/Meyers-1905/B/Wohnhaus. (Eigene Darstellung) Abb. 7: Traditionelles Hofhaus in Peking. Blaser: Atrium, S. 17. (Eigene Darstellung) Abb. 8: Chinesisches sìhéyuàn. Ebd., S.17. (Eigene Darstellung) Abb. 9: Shinden-Residenz. URL: http://japangardentale.blogspot.com/2010/10/residencias-shinden-zukuri-del-periodo.html. (Eigene Darstellung) Abb. 10: Japanisches Gartenhofhaus. URL: http://id753breaux.blogspot.com/2010/03/meishan-courtyard-first-floor. html. (Eigene Darstellung) Abb. 11: Verschiedene Megaron-Typologien. URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/19/Megaron. JPG. (Eigene Darstellung) Abb. 12: Prostas-Haus. Nevett: House and Society in the Ancient Greek World. URL: http://tinymanz.blogspot. com/2016/10/ancient-greek-housing.html. (Eigene Darstellung) Abb. 13: Pastas-Haus. Ebd. (Eigene Darstellung) Abb. 14: Peristyl-Haus. Ebd. (Eigene Darstellung) Abb. 15: Einfaches etruskisches Haus. URL: http://cw.routledge.com/textbooks/9780415498647/images19.asp. (Eigene Darstellung) Abb. 16: Etruskisches Hofhaus. Ebd. (Eigene Darstellung) Abb. 17: Römisches Domus mit Peristyl. McManus. URL: http://www.vroma.org/~bmcmanus/house.html. (Eigene Darstellung)
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Abb. 18: Römisches Domus. Blaser: Atrium, S. 15. (Eigene Darstellung) Abb. 19: Idealplan eines Atriumhauses nach Patroni. Ebd. (Eigene Darstellung) Abb. 20: Marokkanisches Riad. Edwards: Courtyard Housing, S.12. (Eigene Darstellung) Abb. 21: Tunesischer Dar. Burtscher: Hofhäuser, S. 9. URL: http://www.johannesburtscher.at/hofhaus/iRecord_11646-7.PDF. (Eigene Darstellung) Abb. 22: Bauernhof. Ipinimg: URL: https://s-media-cache-ak0.pinimg.com/564x/61/7a/ba/617aba29aeeedd09b7d65d24108d924d.jpg. (Eigene Darstellung) Abb. 23: Mittelalterliche Burg. Clipartxtras. URL: https://img.clipartxtras.com/6dcb83a4116efd998bec4c0601a3a1c7_a-dictionary-of-military-architecture-viking-castle-drawing_258-230.gif. (Eigene Darstellung)
Abb. 42: Indisches Mandapa in Shimoga, Indien. Dinesh Kannambadi. Creative Commons. URL: http://cdn.findmessages.com/images/2016/05/1659-mandapa-and-pillars-of-jain-narayana-temple-at-pattadakal-karnataka-india.jpg. Abb. 43: Traditionelle engawa. Emzett85. Creative Commons. URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/da/Japanese_House_-_Engawa.jpg. Abb. 44: Moderne engawa mit Glasschiebewänden. Gnsin. URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/34/Expo_2005_of_Satsuki_and_Mei%E2%80%99s_House_15.jpg. Abb. 45: Narthex, Kathedrale von Chartres, Frankreich. TTaylor. Public Domain. URL: https://en.wikipedia.org/wiki/ Porch#/media/File:Chartres_Cathedral_020_south_facade_TTaylor.JPG. Abb. 46: Piazza Maggiore, Bologna, Italien. Bologna Welcome. URL: https://www.bolognawelcome.com/imageserver/
Abb. 24: Andalusischer Patio. Ruiz Padrón. URL: https://www.flickr.com/photos/luis_ruiz/8691438265.
gallery_big/files/turisti/scopri/luoghi/architettura-e-monumenti/edifici-e-vie-storiche/piazza-maggiore/photogallery/piaz-
Abb. 25: Andalusischer Palast mit mehreren Patios. Reynolds: Courtyards, S. 6. (Eigene Darstellung)
zamaggiore.jpg.
Abb. 26: Stadtzentren lateinamerikanischer Städte. Hofer: Karl Brunner, S. 21. (Eigene Darstellung)
Abb. 47: Covent Carden Piazza, London, England. Edward Rooker. Public Domain. https://upload.wikimedia.org/
Abb. 27: Haus mit Traspatio und Patio. Wilhelmy: Die spanische Kolonialstadt, S. 32 (Eigene Darstellung)
wikipedia/commons/2/22/Covent_Garden_Piazza%2C_by_Edward_Rooker_after_Thomas_Sandby%2C_1768_-_
Abb. 28: Haus mit Halbpatios. Ebd. (Eigene Darstellung)
bm_1860%2C0623.108.jpg.
Abb. 29: Patiohaus. Edwards: Courtyard Housing, S. 333. (Eigene Darstellung) Abb. 30: Alleinstehendes Einfamilienhaus. Ebd. (Eigene Darstellung) Abb. 31: Casa Sert von Josep Lluís Sert. Urbipedia. URL: https://www.urbipedia.org/images/5/58/Sert.CasaCambridge.Planos1.jpg. (Eigene Darstellung) Abb. 32: Casa con patios von Ludwig Mies van der Rohe. URL: https://at1patios.wordpress.com/2009/07/16/reflexion-1-ejemplos-paradigmaticos-01/ (Eigene Darstellung) Abb. 33: Gartenhofhaus. Aratas Architekten: Gartenhofhaus. URL: https://www.aratas-architekten.de/de/projects/ gartenhofhaus.html. (Eigene Darstellung) Abb. 34: Nordamerikanisches Patio-Haus. Pinterest. URL: https://www.pinterest.com/pin/514888169880847556/. (Eigene Darstellung) Abb. 35: Typologie Patio (Eigene Darstellung) Abb. 36: Typologie Porche (Eigene Darstellung) Abb. 37: Tempel Dendur, Metropolitan Museum of Art, New York. URL: https://images.metmuseum.org/CRDImages/ eg/original/DT563.jpg. Abb. 38: Ägyptische Tempelanlage. Blaser: Atrium, S. 11. (Eigene Darstellung) Abb. 39: Korenhalle des Erechtheion, Akropolis, Athen, Griechenland. Mark Stepanov. Creative Commons. URL: https://www.panoramio.com/photo/115472194. Abb. 40: Stoa des Attalos, Athen, Griechenland. Adam Carr. URL: https://en.wikipedia.org/wiki/Stoa#/media/File:Stoa_in_Athens.jpg. Abb. 41: Augustus-Tempel, Pula, Kroatien. Wikipedia Commons. URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/be/Augustus_temple_Pula.jpg.
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Abb. 48: Riu Rau. Luri: Casa del Cocentari. URL: http://www.joseluisluri.com/wp-content/uploads/2016/04/casa_cosentari.jpg. Abb. 49: French Style mit Veranda. Jones. Public Domain. URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/ thumb/3/31/Historic_American_Buildings_Survey_Lester_Jones%2C_Photographer_February_26%2C_1940_VIEW_ FROM_EAST_-_Homeplace_Plantation%2C_River_Road%2C_Hahnville%2C_St._Charles_Parish%2C_LA_HABS_ LA%2C45-HAHNV%2C1-3.tif/lossy-page1-1600px-thumbnail.tif.jpg. Abb. 50: Stoep. Wilson. URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/f/f6/Presidents_Chester_A_Arthur_123_Lexington_Ave.jpg/800px-Presidents_Chester_A_Arthur_123_Lexington_Ave.jpg. Abb. 51: Maya-Tempel. Schulz. Creative Commons. URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/44/ East_Portico_%2816537962917%29.jpg. Abb. 52: Ramada-Struktur. Scottsdale Historical Society. URL: http://ventanafineproperties.com/wp-content/uploads/2016/10/ElliottHouse-SHSphoto.jpg. Abb. 53: Bohio-Hütte. C9hatillodelmar. URL: http://www.c9hatillodelmar.com/images/1002Taino2.jpg. Abb. 54: US-amerikanische Porch. Ayay.co. URL: http://ayay.co.uk/backgrounds/countries/USA/american-flag-onthe-porch.jpg. Abb. 55: Lānai. Calbear22. Public Domain. URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/34/Backside_of_ the_Hulihee_Palace.JPG. Abb. 56: Dogtrot-Haus. Billy Hathorn. Creative Commons. URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/ a8/Dogtrot_house%2C_Dubach%2C_LA_IMG_2552.JPG. Abb. 57: Nordamerikanische Veranda. Lovas. URL: https://s3-production.bobvila.com/slides/14373/original/Porch_ Makeover_-_Declutter.jpg?1501001034
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Abb. 58: Moderne Porch. Ana-Maria Klizs. URL: https://www.bluebirdkisses.com/wp-content/uploads/2017/10/ipemodern-porch-in-toronto.jpg. Abb. 59: Terrasse. Hill. URL: http://www.thextrema.com/figure/Extended-Porch-Modern-With-Staircase-Lighting-Southwestern.jpg. Abb. 60: Typologie Porche (Eigene Darstellung) Abb. 61: Lage Nicaragua. Alexrk2. Creative Commons. URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/24/ Nicaragua_relief_location_map.jpg. (Eigene Darstellung)
and_Staff_enroute_to_Mexico._Siglo_XX.%2C_06-1929_-_NARA_-_532357.tif.jpg. Abb. 75: Anastasio Somoza García und Augusto C. Sandino. Archivo de la biblioteca de Enrique Bolaños. URL: https://niu.com.ni/wp-content/uploads/2018/05/NIUSANDINO.jpg. Abb. 76: Diktator Somoza, 1978. Meiselas: Nicaragua, S. 7. Abb. 77: Managua nach dem Erdbeben von 1972. TKM News. URL: https://resizer.mundotkm.com/unsafe/1920x1265/http://cfar01.mundotkm.com/2016/04/8-10.jpg. Abb. 78: Sandinistische Rebellen, 1978. Meiselas: Nicaragua. S. 26.
Abb. 62: Karte Nicaragua mit Departments. TUBS. Creative Commons. URL: https://upload.wikimedia.org/wikipe-
Abb. 79: Rebellen mit traditionellen Masken, 1978. Ebd., S. 23.
dia/commons/thumb/e/e3/Nicaragua_on_the_globe_%28Americas_centered%29.svg/660px-Nicaragua_on_the_glo-
Abb. 81: Kontrolle eines öffentlichen Busses, 1978. Ebd., S. 42.
be_%28Americas_centered%29.svg.png. (Eigene Darstellung)
Abb. 80: Plünderung eines brennenden Geschäfts, 1978. Ebd., S. 33.
Abb 63: Protest in Nicaragua 2018. Alfredo Zuniga/AP. URL: http://www.telemundo.com/sites/nbcutelemundo/files/ images/gallery/2018/05/11/nicaragua_protest.jpg. Abb. 64: Bevölkerungspyramide Deutschland, 2016. World Factbook. URL: https://www.cia.gov/library/publications/ the-world-factbook/geos/nu.html. (Eigene Darstellung) Abb. 65: Bevölkerungspyramide Nicaragua, 2016. World Factbook. URL: https://www.cia.gov/library/publications/theworld-factbook/geos/gm.html. (Eigene Darstellung) Abb. 66: Demonstranten mit traditioneller nicaraguanischer Maske. O. Rievers/Reuters. URL: https://www.dw.com/ image/44655093_303.jpg. Abb. 67: Demonstration gegen die Regierung. Jose Cabezas/Reuters. URL: https://media.metrolatam. com/2018/04/30/nicaraguaprotestas-5ec4315a82d658307d6533014c0d380b.jpg. Abb. 68: Mordraten per 100.000 Einwohner in Lateinamerika, 2017. InSight Crime. URL: https://www.insightcrime.org/ wp-content/uploads/2018/01/15-02-13-Map-Homicides-2017.jpg. (Eigene Darstellung) Abb. 69: Ländliches Nicaragua, 1978. Meiselas: Nicaragua, S. 2. Abb. 70: Karte Mittelamerikas im 16. Jahrhundert. Juan Migel. Creative Commons. URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/archive/9/93/20170716101353%21Centroamerica_prehispanica_siglo_XVI.svgchive/9/93/20170716101353%21Centroamerica_prehispanica_siglo_XVI.svg. (Eigene Darstellung) Abb. 71: Granada. Fundación Enrique Bolaños. URL: https://guerranacional.enriquebolanos.org/index.php/imagenes?start=20. Abb. 72: Managua. Ephraim George Squier. Public Domain. URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/8a/Managua_1849._Blick_vom_Strand_auf_den_Managuasee._Skizze_von_Ephraim_George_Squier.jpg. Abb. 73: Leon. Fundación Enrique Bolaño. URL: https://guerranacional.enriquebolanos.org/index.php/imagenes?start=70. Abb. 74: Sandino und Unterstützer. Department of the Navy. U.S. Marine Corps, Historical Division. Public Domain. URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/8/8a/General_Sandino_%28center%29_and_Staff_enroute_to_Mexico._Siglo_XX.%2C_06-1929_-_NARA_-_532357.tif/lossy-page1-1599px-General_Sandino_%28center%29_
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Abb. 82: Einzug der Guardía Nacional in die FSLN-Hochburg Masaya, 1978. Ebd., S. 49. Abb. 83: Guardía Nacionale in Masaya. 1978. Ebd., S. 48. Abb. 85: Zerstörte Häuser während der Revolutionskämpfe, Masaya, 1978. Ebd., S. 32. Abb. 84: Revolutionskämpfer in Managua. 1978. Ebd., S. 51. Abb. 86: Sandinistische Rebellen, 1978. Ebd., S. 64. Abb. 87: Einzug der Sandinisten, 19. Juli 1979. Ebd., S. 68. Abb. 88: Vereidigung Daniel Ortegas, 1985. La Prensa/Archivo. URL: https://s3-us-west-2.amazonaws.com/laprensa-bucket/wp-content/uploads/2016/11/05115105/Daniel1-1024x706.jpg. Abb. 89: Anti-Sandinista Contras, Honduras, 1978. J.B. Diederich, Contact Press Images. URL: https://contact.photoshelter.com/image/I0000pskSNlv5OaQ. Abb. 90: Daniel Ortega vereidigt Violeta Chamorro. TeInteresa.es. URL: http://images.teinteresa.es/mundo/Violeta-Chamorro-presidenta-Nicaragua_TINIMA20131216_0312_3.jpg. Abb. 91: Alemán und Ortega, 1999. Hoja de Rutas, Jacobo Alcutén Artal. Creative Commons. URL; http://4.bp.blogspot.com/-h2aH1VwXB0U/Ui7ng-bl5-I/AAAAAAAAUJg/N8THPgUMC8w/s690/Managua06.jpg. Abb. 92: Ortega mit Evo und Chavez, Inauguration 2007. La Prensa. URL: http://cdn.laprensa.com.ni/wp-content/uploads/2016/11/05174657/PACTO.jpg. Abb. 93: Familie Ortega-Murillo mit Hugo Chávez. Agencia SNN. URL: http://1.bp.blogspot.com/-fsigDEHWrRE/UMcy3YTIUwI/AAAAAAAAA3A/86aHg4usy1w/s1600/La+familia+real+Ortega-Murillo+y+el+padrino+de+Ch%C3%A0vez.. jpg. Abb. 94: Daniel Ortega und Rosario Murillo bei einer Regierungserklärung, April 2018. CCC Cairo Cajina. URL: http:// www.lavozdelsandinismo.com/wp-estaticos/2018/04/201301.jpg. Abb. 95: Studenten bei einer Demonstration. Chicago Tribune. URL: http://www.trbimg.com/img-5adbe917/turbine/ ct-nicaragua-ortega-deadly-protests-20180421. Abb. 96: Topographische Karte von Nicaragua. Imagenes Tropicales S.A.. URL: http://www.costarica-nature.org/ FRANCAIS/infos_generales_Nicaragua/geographie_Nicaragua/illustration/nica_carte.gif. (Eigene Darstellung)
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Abb. 97: Klimazonen nach Köppen in Nicaragua. Oganesson007. Creative Commons. URL: https://upload.wikimedia. org/wikipedia/commons/thumb/8/88/Nicaragua_map_of_K%C3%B6ppen_climate_classification.svg/1200px-Nicaragua_map_of_K%C3%B6ppen_climate_classification.svg.png. (Eigene Darstellung) Abb. 98: Playa Gigante, Karibikküste. Christian Heeb Photography. URL: http://www.orotravel.com/images/oro-travel-discover-nicaragua-activities-beach-01.jpg. Abb. 99: Blick auf den Momotombo. Nicaragua Tourism Board (INTUR). URL: https://d11nuriyhamvfv.cloudfront.net/ uploads/media/the-gentlemans-guide-to-exploring-nicaragua-230-16x9.jpg. Abb. 100: Peñas Blancas, Regenwald. Ebd. Abb. 101: Blick über Managua. Haakon S. Krohn. URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/e9/Managua.jpg. Abb. 102: Avenida Bolivar. Jairo Cajina. Creative Commons. URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/cf/Avenida_Bolivar_A_Chavez.jpg. Abb. 103: Downtown Managua. Jairo Cajina. Creative Commons URL: https://es.wikipedia.org/wiki/Managua. Abb. 104: Entwurfs-Grundstück. (Eigene Darstellung) Abb. 105: Klima Managua. Climatemps.com. URL: http://www.managua.climatemps.com/managua-climate-graph.gif. (Eigene Darstellung) Abb. 106: Climate Consultant. UCLA Energy Design Group. (Eigene Darstellung)
Abb. 107 und folgende Abbildungen: eigene Darstellungen.
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