SOZIALVERSICHERUNG ► € 37.336.900.000
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UNTERRICHT, KUNST UND KULTUR ► € 30.603.100.000
PENSIONEN ► € 32.561.900.000
Open Data – Die Hoffnung auf mehr Transparenz James Blake / James Franco / Newsgrape Black Brown White. Toro Y Moi. LittleBigPlanet 2. Auskehren. Robag Whrume. Tron. Esben And The Witch. Gustav Ernst. Wire. Jen Wang. White Lies. Im Wortwechsel: Wie verändert die 24-Stunden-U-Bahn die Clubkultur?
113 Magazin für Glamour und Diskurs.
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MONATLICH. VERLAGSPOSTAMT 1040 WIEN, P.B.B. GZ 05Z036212 M, Nº 113, FEBRUAR 2011
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003 null null drei
► l e i ta rt i k e l ►Von Thomas Weber
meine erste milliarde 2011 steht ein runder Geburtstag bevor. Grund zu feiern ist es dennoch keiner, wenn der siebenmilliardste Mensch in die Welt geworfen wird.
BILD MICHAEL WINKELMANN
G
elänge es ihnen, seiner habhaft zu werden, die Herren der Welt würden den siebenmilliardsten Menschen mit Milchpulver, Beißring, Impfampullen und einem Sack Einwegwindeln willkommen heißen. Ganz so, wie unsere Bezirksvorsteher Jubiläums-Greisen Geschenkkörbe aushändigen, wenn ein Grätzl-Fotograf zugegen ist, würden sie für ein schnelles Foto ihre Arme um den brüllenden Neuankömmling legen: Vereinnahmt als Symbol für Zukunft, Wachstum, Fortschritt, eine bessere Welt. Doch sie werden ihn nicht zu fassen kriegen. Er ist bloß ein Konstrukt der Statistik: Irgendwo in der Anonymität der namenlos wuchernden Millionenstädte Indiens, Afrikas oder Zentralasiens wird er Hochrechnungen der UNO zufolge gegen Ende 2011 ungefragt in eine Welt geworfen, die weder frisches Wasser, noch ausreichend Nahrung und medizinische Versorgung für ihn bereithält. So bleibt Nummer 7.000.000.000 vermutlich ein Kurzzeitgast. Denn, auch das sagt die Statistik, die Chancen stehen schlecht, dass er seinen 13. Geburtstag überhaupt erleben wird, wenn wir es dann 2024 auf acht Milliarden gebracht haben werden. Solche Zahlen machen es einem schwer, besonnen zu bleiben. Zu verlockend wäre es, sich in Endzeitgedanken zu verlieren. Denn: Mulmig darf einem angesichts des enormen Bevölkerungswachstums durchaus zu Mute sein. Mir selbst ist es das, seit ich 1999 in einem Artikel für ein Nachrichtenmagazin den sechsmilliardsten Menschen begrüßt habe. Seither fühle ich mich persönlich durch die zügellose Ausbreitung des Homo sapiens betroffen. Dass ich mittlerweile den Zuwachs einer ganzen Milliarde innerhalb von nur elf Jahren mitverfolgen konnte, verstärkt dieses Unbehagen. Denn es ist kein Ende absehbar, während wir längst über unsere Verhältnisse leben und in unseren Breiten kein Mensch ernsthaft daran denkt, mit dem Verfügbaren hauszuhalten, wenn es um den eigenen Lebenswandel geht. Gleichzeitig erodieren unvorstellbar große Flächen fruchtbaren Landes, die Meere gleichen leer gefischten Kloaken und – verheerend, aber nachvollziehbar – jene Teile der Welt, die all das nicht selbst zu verantworten haben, trachten danach, es den Kolonialherren gleichzutun. Auch diejenigen, die einen Ausweg zu kennen behaupten, predigen bloß die eigenen Interessen und die plumpen Versprechungen ewigen Wachstums. Dabei
ist der Ansatz der Agrarindustrie grundfalsch. Denn wenn es die Menschheit jetzt nicht schafft, prinzipiell Vorhandenes gerecht zu verteilen, wird sie das Verteilungsproblem auch nicht durch hundert-rippige Mastsauen, hyper-ertragreiche Soya-Gewächse und andere Segnungen der Gentechnik in den Griff bekommen. Die DNA-Ingenieure stützen mit ihren Vorhaben bloß ein marodes System, zum Besseren werden sie nichts wenden.
Mahnmal der Urgewalt
Ich schreibe diese Zeilen am anderen Ende der Welt, im unmittelbaren Eindruck eines mehrwöchigen Trips durch eine definitiv ländliche Landschaft, die dennoch über das verfügt, was wir »westlichen Standard« nennen, eine nicht-urbane Gesellschaft, eine der am dünnsten besiedelten Weltgegenden. Die immergrüne Kulturlandschaft Neuseelands, die vermeintliche Abgeschiedenheit einer globalisierten Agrarnation, zeigt einem eindrucksvoll, dass es längst keinen Flecken Welt mehr gibt, der nicht bewirtschaftet wurde – und sei es von Geysir-Touristikern, als Genpool-Reservat oder filmkulissentauglicher Nationalpark. Das ist ernüchternd, aber wahrscheinlich gut so, denn es profitieren hier alle davon. Es gibt in Neuseeland zwar nicht überall Handyempfang, doch in jedem Kuhkaff ein Museum und eine öffentliche Bibliothek. Viele Menschen sind zumindest teilweise Selbstversorger. Durchs Land zieht sich ein Riss, der alle vereint: Die Erdplatten reiben aneinander, lassen die Erde immer wieder beben und Vulkane wachen als ruhende Urgewalten darüber, dass die Menschen nicht zu übermütig werden und selbstvergessen agieren. Vielleicht ist das die einzig vertretbare Art, in Zukunft modern und zivilisiert zu leben – mit Respekt und ein wenig Ehrfurcht vor der eigenen Endlichkeit. Denn Maßlosigkeit lässt sich nur durch Bildung und Bewusstsein in den Griff kriegen. ¶
Thomas Weber, Herausgeber weber@thegap.at
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018
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Open Data
Clou d Musi c
Auch wenn die Politik ziemlich selten optimistisch stimmt, gibt es Bereiche, in denen Hoffnung angesagt ist. EU-weit kommt Bewegung in das Projekt Open Data. Regierungen orientieren sich am USund UK-Beispiel und beginnen den Bürgern öffentliche Daten und Statistiken zur Verfügung zu stellen. Werner Reiter über Modelle, Bedingungen und Nutzungs-Beispiele.
Musik aus der Wolke, überall und jederzeit verfügbar, auf allen Geräten daheim, per Streaming oder auch offline – klingt so gut, dass sich die Wolke mittlerweile zur größten Hoffnung der Musik industrie aufgeblasen hat. Bis das Musik-Abo allerdings dort an kommt, ist es noch ein weiter Weg. Stefan Niederwieser ist ihn ein Stück weit mitgegangen.
Magazin 018 Open Data
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Unter dem Motto »Die Bürger, die Verwaltung und die Hoffnung auf mehr Transparenz« begibt sich Werner Reiter auf die Suche nach dem aktuellen Stand der Dinge in Sachen Open Data. G old en Frame : A n ton C h r i st i a n Die Malereien und Skulpturen des Künstlers Anton Christian widmen sich wenig ästhetisiert Themen wie dem Altwerden, der Einsamkeit oder dem Tod. James Fran co Anlässlich des Kinostarts von Danny Boyles »127 Hours« nähert sich Joachim Schätz dem Schauspieler James Franco, der auf faszinierende Weise dazu neigt, seine reale Person ebenfalls als Rolle zu inszenieren. Best O f A-Film Unsere Filmredaktion hat die sehenswertesten Filme aus Österreich von 2000 bis 2010 zusammengestellt. »Das weiße Band« war offiziell aus Deutschland, aber sonst die ganze Bandbreite. »Bl ack Br own Wh i t e « Erwin Wagenhofer, als Dokumentarfilmer einer der Welt erklärer der Nation, drehte nach »Let’s Make Money« nun einen Spielfilm. An seinen Themen hat das wenig geändert.
Aktuelle Raiffeisen ClubEventtipps: INNSBRUCK - BERGISEL
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035 To r o Y Mo i
Sein Debüt wurde zum Meisterwerk des Chill Wave erkoren. Dabei wollte er nur wie My Bloody Valentine auf HipHop-Beats klingen. Für sein zweites Album hat Toro Y Moi die Watte aus den Ohren genommen. 036 Ja m es B l a k e Seine ersten EPs wurden mit Lob und Facebook-Shares überschüttet. Die Erwartungen an das Debüt von James Blake übertreffen die Standards eines gewöhnlichen Hypes. PostDubstep-Songwriter? 038 Neu e Tö n e : C lo ud M u s ic Musik aus der Wolke war das ständig wiederkehrende Schlagwort der Musikmesse in Cannes. Ein weiteres, leeres Versprechen? 040 Au s k e h r e n Der Besen ist seit Jahrzehnten fester Bestandteil politischer Propaganda. Sebastian Hackenschmidt hat sich die Bildpolitik dahinter näher angesehen. 042 Ne ws g r a p e Die Finanzierung mittels kickstarter.com ist gelungen. Nun müssen die Wiener Jungunternehmer zeigen, dass ihre Plattform Newsgrape das Zeug zum »YouTube für Texte« hat. Betastart ist im Februar.
Basislogo-Anwendun
4c, 2c, 1c Positiv:
GASOMETER WI E N 04.+05.03.2011
GASOMETER WHITE
LIES
8 .3 .2 0 1 1
Editorial bi ldER d e r au sga b e Wie jedes Jahr waren wir auch heuer wieder mit dem The Gap-Stand beim FM4-Geburtstagsfest in der Arena. Der schwarze Peter unseres Glücksrads hat die Initialen KHG.
Rubriken 003 Leitart i k e l 005 Ed itoria l 006 Porträts / I m p r ess u m 009 Fo nd ue 010 Fabul a Ra sa 011 Un bezah lt e r A n z e ige r 012 Charts / Sp l i t t e r 044 Wo rtwech s e l :
2011. Für heuer haben wir uns vorgenommen, den eingeschlagenen Weg fortzuführen, als Magazin einer interessierten, kreativen Zielgruppe Artikel, Interviews und Rezensionen zu liefern, die wir für relevant und berichtenswert halten. Neben allerlei Produkten und Produktionen der (Pop-)Kultur gehören dazu auch weiterhin (moderne) Medien in all ihren Ausformungen. Aktuell etwa Open Data und die neuesten Entwicklungen auf diesem Gebiet, denen sich Werner Reiter in unserer Coverstory (ab Seite 018) annimmt. Unsere Praktikantin Julia Karzel hat die Wiener Entwickler der Plattform Newsgrape getroffen, welche ein »YouTube für Texte« werden soll. Ein anderer Schwerpunkt hat sich für uns im Film-Bereich ergeben. Die Redaktion hat die besten österreichischen Filme der vergan genen Dekade gewählt (ab Seite 028), Joachim Schätz widmet sich dem »Metastar« James Franco (ab Seite 026), der gerne mit der Präsentation seiner Person in der Öffentlichkeit spielt und seine reale Person schon mal als Kunstfigur inszeniert. Jan Hestmann hat sich Erwin Wagenhofers Spielfilmdebüt »Black Brown White« genauer angesehen (ab Seite 032). Personell wird es in den nächsten Wochen kleine Veränderungen geben: Stefan Niederwieser, der seit rund zwei Jahren das Profil der Musikredaktion schärft und auch sonst maßgeblich das Heft mitgestaltet, wird sich ab der MärzAusgabe die Chefredaktion mit mir teilen und sich künftig auch an dieser Stelle zu Wort melden. ¶
ngen (Abfallend+Satzspiegel)
Wie verändert die 24-Stunden-U-Bahn die Clubszene?
046 Pro sa: M a r l e n e G es e l l e 048 Bil dstr eck e Wor kstat ion : Te r esa Zöt l 054 Grün d e r s e r i e Ga r m z # 9 : e -com m e r ce 057 Reviews 059 Lost in Mu s ic: Kr u de r & Dor fm e i st e r 061 T racksp ot t i ng 076 T ermine
4c, 2c, 1c Negativ:
4c, 2c, 1c Neg mit Outline:
Kolumnen 018 Zahlen, b i t t e ! 082 Know-Not h i ng - G es e l l sch a ft
Martin Mühl muehl@thegap.at
GASOMETER
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27.04.2011
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CLUESO
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02.04.2011
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15.3.2010
ORCHESTRA
GASOMETER WIEN
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ARENA WIEN
Unbequeme Kommunikation Wir arbeiten gerne mit jungen Leuten zusammen, lassen uns von deren frischen Ideen leiten und geben ein bisschen unserer Erfahrung und Kontakte zurück. Werner Reiter ist ein gutes Beispiel dafür, dass es auch ganz anders gehen kann. Er ist schon etwas älter als die Kernredaktion von The Gap, bringt regelmäßig die besten Ideen ein, hat in manchem sicher mehr Erfahrung als wir und braucht unsere Kontakte wahrscheinlich nicht. Die letzten zehn Jahre war er erst bei Mobilkom Austria (u.a. als Senior-Innovations-Manager) und zuletzt Pressesprecher von A1 Telekom. Auch sonst hat er schon so einiges erledigt, u.a. ein Publizistik-Studium abgeschlossen und zwei Töchter gezeugt. Ein Projekt bei seiner letzten Tätigkeit war die Entwicklung der Diskussionsreihe twenty.twenty gemeinsam mit The Gap, die auch heuer weitergeht. Am 23. Februar wird es dabei im Wiener Hub um das Thema Open Data gehen. Eben dieses bereitet Werner auch in unserer aktuellen Coverstory (ab Seite 020) auf und schafft einen feinen Überblick über den Stand der aktuellen Entwicklungen. Beruflich macht er sich nun selbstständig – als Unternehmens- und Kommunikationsberater und einer, der Dinge quer denkt und neu vernetzt. Zentrale Anlaufstelle wird seine Website www.werquer.com sein. Derzeit betreibt er dort seinen Blog, in dem er immer wieder auch leidenschaftlich Grantiges und Unbequemes über Business und IT, Theater bis (Kraut-)Rock schreibt.
Kammer-Musik und Online-Lesegewohnheiten
— www.werquer.com
Julia ist seit Kurzem als Praktikantin bei uns und hat sich intern schon einen Namen als richtig gute Schreiberin gemacht. Ihr Weg führte sie über Kammer am oberösterreichischen Attersee, wo sie geboren wurde und aufwuchs, nach Graz, um ein Russisch- und Englisch-Dolmetsch-Studium erfolgreich abzubrechen und dann Journalismus und Public Relations am FH Joanneum zu beginnen. Dass Julia dafür prädestiniert ist, trauen wir uns bereits nach ihren ersten drei Wochen in unserer Redaktion zu sagen. Neben dem Schreiben kann sie auch richtig gut Saxofon, Klavier und Gitarre spielen und passabel Tiefkühlpizza anrichten. Musik macht Julia nicht nur selbst, sondern hört sie genauso gerne. Entweder in der ersten Reihe bei verrauchten Konzerten in sämtlichen Underground-Läden in und um Graz oder auch zu Hause. Das ist wohl der Grund, warum sie ihren Studienkollegen immer wieder mit dem Satz »Ich kannte die Band schon, als sie noch uncool waren« auf die Nerven geht. Von Indie bis Electro ist bei ihr alles dabei, Hauptsache es passt zur Stimmung. Sogar Freejazz-Ausbrüche gehören bei Julia zum guten Ton, da die BebopKassetten ihrer Eltern während früheren Autofahrten tiefe Furchen in ihrem kindlichem Hirn hinterlassen haben. Fernsehen gab es für Julia als Kind keines, deshalb hat sie kurzerhand auf Bücher und später Social Media umgesattelt. Für die aktuelle Ausgabe porträtiert sie das heimische Start-up Newsgrape (Seite 042), das sich anschickt, unsere Online-Lesegewohnheiten aufzumischen.
TEXT martin mühl
TEXT maximilian zeller
► 0 0 6 / AUSGABE 113
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Für den Inhalt von Inseraten haftet ausschließlich der Inserent. Für unaufgefordert zugesandtes Bild- und Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Jegliche Reproduktion nur mit schriftlicher Genehmigung der Geschäftsführung.
werner julia reiter karzel
Stephan Bruckner, Ann Cotten, Juliane Fischer, Holger Fleischmann, Manfred Gram, Dominique Gromes,Benedikt Guschlbauer, Christoph Hofer, Sebastian Hofer, Peter Hoffmann, Julia Hold, Lena Hopp, Reiner Kapeller, Iris Kern, Markus Keuschnigg, Hubert Kickinger, Stefan Kluger, Michaela Knapp, Markus Köhle, Michael Bela Kurz, Philipp L’Heritier, Gunnar Landsgesell, Johannes Luxner, Nureddin Nurbachsch, Florian Obkicher, Michael Ortner, Julian Paschinger, Ritchie Pettauer, Stefan Pichler, Johannes Piller, Stefanie Platzgummer, Karoline Podolecka, Christian Prenger, Werner Reiter, Georg Russegger, Joachim Schätz, Barbara Schellner, Bernhard Schmidt, Werner Schröttner, Richard Schwarz, Katharina Seidl, Wolfgang Smejkal, Bernhard Schmidt, Johann Scholz, Cornelia Stastny, Gerald C. Stocker, Johanna Stögmüller, Asha Taruvinga, Martin Tschiderer, Hanna Thiele, Horst Thiele, Ursula Winterauer, Maximilian Zeller, Martin Zellhofer, Barbara Zeman PRAKTIKUM Julia Karzel termine Johanna Stögmüller AUTOREN Georg Cracked, Michaela Knapp, Michael Lanner, Moriz Piffl-Percevic, Stefan Tasch, Jürgen Wallner, Martin G. Wanko fotografie Florian Auer, Lukas Beck, Stephan Doleschal, Andreas Jakwerth, Klaus Mähring, Georg Molterer, Ingo Pertramer, Karin Wasner, Michael Winkelmann Illbilly-illustration Jakob Kirchmayr COVERBILD Basierend auf »Budgetvisualisierung« von open3.at WORKSTATION-FOTOstrecke Teresa Zötl / momentfang.com DESIGN Monopol, SuperFi Lektorat Wolfgang Smejkal, Adalbert Gratzer web Super-Fi, Codeon, m-otion anzeigen Herwig Bauer, Thomas Heher, Micky Klemsch, Martin Mühl, Christoph Ullmann, Thomas Weber (Leitung) Distribution Martin Mühl druck Manz Crossmedia GmbH & Co KG, Stolberggasse 26, A-1051 Wien geschäftsFÜHRung Bernhard Schmidt PRODuktion & MedieninhabERin Monopol GmbH, Favoritenstraße 4–6/III, 1040 Wien kontakt The Gap c/o Monopol GmbH, Favoritenstraße 4–6/III, 1040 Wien; Tel. +43 1 9076766-41; wien@thegap.at, www.thegap.at, www.monopol.at, office@thegap.at bankverbindung Monopol GmbH, easybank, Kontonummer 20010710457, BLZ 14200 abonnement 10 Ausgaben; Inland EUR 15, Europa EUR 35, Rest der Welt EUR 42; HEFTPREIS EUR 2.00 erscheinungsweise 10 Ausgaben pro Jahr; Erscheinungsort Wien; Verlagspostamt 1040 Wien
006
Impressum HERAUSgeber Thomas Weber chefredakteur Martin Mühl Leitung Musikredaktion Stefan Niederwieser Redaktion Gregor Almassy, Michael Aniser, Matthias Balgavy, Christine Baumgartner, Claire Benedikt, Josef Berner, David Bogner, Klaus Buchholz, Ivo Brodnik,
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BILD Pilo Pichler
Kontributoren
Support …
… success … passion
… big smiles, sometimes … bravery … people Member of Cine Regio
Im Kino: Na putu –
Zwischen uns das Pa
radies von Jasmila Žba
ni´c © coop99
ng Murnberger © Aichholzer Berlinale ’11: Mein bester Feind von Wolfga
Film
Berlinale ’11: Die Va
terlosen von Marie Kre
Im Kino: Vielleicht in einem anderen Leben
utzer © Novotny & Nov
von Elisabeth Scharang © epo-film
Support films: that’s what we do. www.filmfonds-wien.at
otny
Glanz und Elend der Know Nothing Gesellschaft. Gesammelt im leistbaren Prachtband. e üchtigt Die ber e aus Kolumn
Illbilly the K.I.T.T. Jetzt unter dem Ladentisch und im gut sortierten Buchhandel. »Wer ist dieser Perversling?« »Eines der begnadetsten Schandmäuler überhaupt.« »Ich möchte kein Teil der ›Know Nothing Gesellschaft‹ sein.« »Was denkt sich der Junge bloß dabei?« »Ein bissl ein Saubartl.«
(Posting auf thegap.at) (Martin G. Wanko) (Susi Ondrušová, FM4) (Mama) (Thomas Maurer)
www.facebook.com / illbilly —— www.thegap.at Mit Bildern von Jakob Kirchmayr
Fondue.
Zusendungen an fondue
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thegap.at
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Hast auch du einen Blick für das Bemerkenswerte da draußen? Dann halte deine Handycam stets im Anschlag, fang die Stilblüten und optischen Querschläger ein, und schick sie uns per MMS oder E-Mail an fondue@thegap.at BILD Stof Hofer, Christian Bezdeka, Asha Taruvinga, Barbara Piller, peter roth
R.I.P. Tom Turbo. Nach einem Drogen-Cocktail aus Kettenöl und Silikonspray hat sich der ehemalige TV-Star während eines irregeleiteten Paarungsversuches tragischerweise selbst erhängt.
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A Bam, zwa Bam, drei Bam. So geht’s, das kleine Baumschul-Einmaleins.
Halblustige Bildunterschriften ebenso.
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Kindergarten im Klartext: Wir kümmern uns um eure kleinen Scheißer.
Willkommen im Café Depresso. Happy Hour täglich von 19.30 Uhr bis halb acht abends.
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FABULA RASA
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KOLUMNE GEORG CR ACKED
Standards in Sachen vertretbarem Kulturpessimismus. »Don’t hate the game, hate the player.« (Slogan einer Kunstgalerie)
»Winner. Another word for loser.« (Daria, Zeichentrick-Serienstar)
Ein Jänner-Morgen in der Wiener U-Bahn und mir fällt auf, dass ich von Verrückten umgeben bin. Klinisch diagnostizierbaren Irren. Die Wahnvorstellung, das eigene Leben unter Kontrolle zu haben, lese ich von den meisten Gesichtern ab. Der Größenwahn, alsbald etwas Tolles aus seinem Leben zu machen, eine Karriere zu forcieren oder auf den Titelblättern als Helden von Heute zu erscheinen, ist bei den Unter-30-Jährigen weit verbreitet. Die dissoziative Störung entfremdeter Selbstwahrnehmung epidemisch in einer Gruppe Ed Hardy-Jugendlicher. Vegetativer Autismus bei einer gepflegten Hausfrau mit diesem »Hauptsache meiner Familie geht’s gut«-Ausdruck rund um die Mundwinkel. Retardierende Paranoia strahlt aus der »Besserals-du«-Positur eines Ökopärchens. Ein soziopathischer Hang zum Kriminellen bei dem Biker, der sein Rennrad in den morgendlichen Stoßverkehr schiebt. Alle sind sie da, die eingebildeten Kranken und selbstentfremdeten Neurotiker, die Beziehungsgestörten und die in ihre Fantasiewelt entrückten. Es gilt als eines der klarsten Anzeichen für Irrsinn, nicht mehr zwischen richtig und falsch unterscheiden zu können, nicht mehr zwischen Wahrheit und Fantasie, oder immer wieder die gleiche Handlung zu setzen und trotzdem einen anderen Ausgang zu erwarten. Und trotzdem gibt es Raucher, die andere anzuqualmen für einen Teil ihrer Freiheit halten. Und Frauen, die so sein wollen wie Sex and the City. Und Firmenchefs, die die Preise senken, wenn der Umsatz die Ausgaben nicht mehr deckt. Und es gibt Banksy. Keine Ahnung, was Banksy hiermit zu tun hat, aber momentan taucht er so beständig auf wie Kommentare zum Bildungssystem. Blicken wir lieber noch einmal zu dem Firmenchef, der sich aus ganz unterschiedlichen Gründen in die U-Bahn verirrt hat. Zwei Termine in der Stadt, am Vortag ein Blick auf die summierten Spesenkosten für Taxi und Parkgaragen in der Innenstadt, eine Affäre mit einer ökologisch angehauchten Werksstudentin, die ihm ins Gewissen geredet hat, ein Leitartikel im Wirtschaftsblatt über die Anlagehorizonte bei grüner Energie und der SAT1-Katastrophenfilm im Hauptabend vorige Woche haben zusammen zu einem Aufflackern von globalem Gewissen geführt, das aber bereits wieder durch den Anblick von Personal und Arbeitslosen und Schmarotzern gelöscht wird. Das Mädchen aus dem Büro, mit dem er seine Frau betrügt, hat grüne Augen, einen glatten, frischen Körper und trägt seltsames buntes Gewand, das aussieht, als hätte sie es sich in der Früh aus irgendwelchen Fetzen umgebunden, aber wenn er sie auszieht, dann sind es doch einzelne, normale Kleidungsstücke. Er bildet sich ein, dass sie ganz anders als seine Frau ist und dass er ihr etwas Besonderes bietet, denn sie will nach dem Reden nach dem Sex wieder Sex und dann wieder Reden. Hier ist meine Station; ich muss hier raus. cracked69@hotmail.com ► 0 1 0 / AU S GA B E 1 1 3
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Unbezahlter Anzeiger
Alle Waren und Dienstleistungen dieser Welt sind gleich gut. Die scheinbaren Unterschiede werden nur im Kopf der Konsumentinnen erzeugt, u.a. bzw. v.a. mit Werbung, d.h. z.B. mit bezahlten Anzeigen. Auch in diesem Heft gibt es davon welche, und nur die bewusste Verknappung vermag dem Impact noch ein zu sätzliches Momentum zu verleihen. Um einer drohenden Branchenmonopolisierung eine angemessene Blockade entgegenzustellen, finden sich an dieser Stelle einige unbezahlte Anzeigen – Segnungen des Konsumiversuns.
KITARA
Rock-Star-Dasein ohne Bürden: Hornhaut, gesprungene Fingernägel, von der obligatorischen Hepatitis ganz zu schweigen – ein ordentliches Rock-Idol hat’s gar nicht so leicht, wie es auf der Bühne aussieht. Statt Holz, Humbucker und Stahlsaiten rockst du daher bei der Kitara mit hygienischem Vollpastik, kleinen Knöpfchen und Touchscreen. Kurioserweise läuft das Niederstromruder übrigens auf Linux ... und wer weiß was das ist, hat schon mal keine Chance mehr, ein Rockstar zu werden. www.misadigital.com ▪▪
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Die Wunderbeere macht aus sauer nicht lustig, sondern süß, sodass du fast eine Wut kriegen willst, weil du es nicht in deinen Kopf reinkriegen kannst. Aber dafür musstest du ja auch die Matura einmal wiederholen. Jedenfalls: Einmal eine Beeren-Tablette eingenommen, besetzen aktive Glycoproteine deine Papillen, und lachen dann erstmal über dich weil du noch immer bei deiner Mutter wohnst. Und dann? Zitronen und Rhabarber schmecken eine Zeit lang süß statt sauer, und nach kurzer Zeit ist eh wieder alles beim Alten. www.wunderbeere.com ▪▪
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Spice up your Speis’. Fruchtig, süß, peppig, hitzig – das EZA Chili Chutney passt auf die Quesadilla genauso wie auf die Dessert-Palatschinke. Ein köstlicher Gatsch aus Zwiebel, Chili, Apfel, Tomaten, Knoblauch, Ingwer und Gewürzen – super auch geeignet für Leute, denen normales Ketchup zu proletuid ist. Alle Zutaten wurden zudem natürlich fair gehandelt, was einem – zumindest solange man nicht die Kalorien nachzählt – zum Genuß auch noch ein gutes Gewissen beschert … www.eza.cc ▪▪
Rudi Wrany / Crazy Sonic (Flex / Crazy)
TOP 10
ÖSTERREICHISCHE ACTS / PRODUCER / ELEKTRONIK
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Dorian Concept Peter Kruder Ken Hayakawa Patrick Pulsinger Ogris Debris Elektro Guzzi Karl Möstl Christopher Groove Komaton MarFlow
TOP 05
BESTE ETHNO-RESTAURANTS 01 Sosaku – Asiatisch / Japanisch; Neustiftgasse, 1070 Wien 02 Indu – Indisch; Radetzkystrasse, 1030 Wien 03 The Bangkok – Thai; Neustiftgasse, 1070 Wien 04 Zum Kaiserlichen Thron – Chinesisch; Andreasgasse, 1070 Wien 05 Saigon – Vietnamesisch; Getreidemarkt, 1060 Wien
AUCH NICHT SCHLECHT:
Die Nacht U-Bahn am Wochenende in Wien
Die Naive New Beaters spielten beim Europavox in Brüssel. Das Bühnenlicht beeindruckte, das restliche Line-up nur halb.
Quotenregelung
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Beim Europavox in Brüssel stimmte nicht immer alles zusammen. Trotzdem braucht es diese Blicke ins Abseits europäischer Popmusik. Das Europavox-Festival findet alljährlich im Herzen der französischen Pampa statt: in Clermont-Ferrand. Mit viel Aufwand wird eine beachtliche Zahl an Musikern, Bands und Journalisten aus allen Ecken Europas eingeflogen, um die kulturelle Vielfalt zu feiern. Neuerdings wandert das Festival zusätzlich einmal pro Jahr aus, nämlich in jenes Land, das gerade den Ratsvorsitz der Europäischen Union hält. Im Dezember 2010 bedeutete das: Belgien. Drei Tage dauerte das Ableger-Festival, bespielt wurden drei Konzertsäle der Brüsseler Botanique. Das Line-up war allerdings nicht so hochkarätig wie bei der französischen Mutter-Veranstaltung.
(Vice Austria)
TOP 10 serien
01 Arrested Development 02 The Simpsons 03 30 Rock 04 Will & Grace 05 Lost (die letzte Staffel vergessen wir an dieser Stelle mal) 06 It’s Always Sunny In Philadelphia 07 Glee 08 United States Of Tara 09 Sabrina - Total Verhext 10 The Good Wife
TOP 05 wiener
01 Der Opernsänger beim Südtirolerplatz 02 Der Herr in weiß mit Sackerl, Zopf und einer roten Blume 03 Der hochdekorierte Veteran am Stephansplatz (†) 04 Der Rapidler, der den Augustin in Hütteldorf verkauft 05 Raimund Körner, der unfreundliche U-Bahnfahrer
AUCH NICHT SCHLECHT: Die Kardashians
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Musik als Bildungsauftrag
Dass man anderes so ähnlich schon gesehen hat, dieses Gefühl beschlich einen auch beim Europavox immer wieder. Es gab aber diese Überraschungen, jene Bands, die seitlich der eigenen Scheuklappen spannende, manchmal beeindruckende Musik machen. Die schwedischen Wildbirds & Peacedrums etwa wären da so eine Ausnahme. Im Vordergrund stehen sachtes Geklöppel am Schlagwerk und die Stimme von Sängerin Mariam Wallentin, dazu gesellen sich vorsichtig Steel Drums oder ein 20-köpfiger Chor. Oder auch My Awesome Mixtape aus Italien, die wie eine tänzerische, manchmal mit Elektronik und Bläsern aufgebrochene Version von At The Drive-In wirkten. Und da waren dann noch Instrumenti aus Lettland. Die Finnen pressten mit einem Selbstverständnis wunderliche Melodien und Einfälle hervor – wunderlich angezogen waren sie sowieso –, coverten Kanye West, schlossen R’n’B und Pop und Indie miteinander kurz und war definitiv einer der Höhepunkte des Europavox. Ganz so lustig war es aber nicht immer. Der erste Tag des Festivals führte etwas in die Irre, weil es an den beiden folgenden Tagen wesentlich jünger zuging. Igor Boxx ist zwar auf dem Label Ninja Tune daheim, die audiovisuelle Auseinandersetzung mit der Geschichte seiner Heimatstadt Wroclaw (Breslau) fiel hingegen allzu flach aus. Marsheaux aus Griechenland warten wohl schon sehnsüchtig auf die Reunion von Ladytron. Und Julian Paretta meint ganz offenbar, dass Maroon 5 der Gipfelpunkt abendländischer Kultur ist. Ah, die Bar ist draußen? Welch ein Glück … Gefühl hinterher: Das Europavox konnte manch blinde Flecken entfernen, schaffte es, Bands, die sonst nicht am Radar von internationalen Blogs, Websites und Magazinen liegen, an einem Ort zu versammeln. Dabei gelten die Acts in ihren eigenen Ländern jeweils als die besseren Vertreter ihrer Kunst. Internationaler Festivaltourismus ist damit wohl nicht zu machen. Muss ja auch nicht. ¶
bild Stefan Niederwieser
Dalia Ahmed
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www.thegap.at / gewinnen
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Ride Snowboard Jacket & Pants
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Am 11. und 12. März gibt es in Garmisch-Partenkirchen die Premiere des Ride Shakedown. Snowboard-Profis und -Amateure – also ihr – messen sich dort auf Kicker und Rail-Parcour um ein massives Preisgeld. Wer noch die richtige Ausrüstung braucht, kann bei uns eine Ride-Jacke und eine Ride Pant (beides Größe L) gewinnen. Betreff: 113 Tricks im 20.000mm Outfit.
Carrera RC Agent Black Power 02
Schon seit einiger Zeit widmet sich Hobby-RennbahnSpezialist Carrera mit den RC-Racern der Wiederbelebung der ferngesteuerten Autos aus unserer Kindheit. Der Agent Black Power Watergun erfüllt dabei ganz besonders viele Buben- und Mädchenträume: Zwei Geschwindigkeiten (Wohnung und Outdoor), 18 km/h-Turbo und eine eingebaute Spritzpistole, die bis zu sechs Meter weit für mehr oder weniger willkommene Nässe sorgt. Wir verlosen einen Offroad-Racer. Betreff: 113 Kinderwünsche
My Name Is Earl 03
Nachdem es in der dritten Staffel besonders rund ging, findet Earl in der finalen, vierten Staffel »Ende gut, Chaos perfekt«. Diesmal hat er es in seiner Community gar nicht so leicht, denn die sieht in ihm mittlerweile eher einen Spießer. Und das Karma treibt weiter seine wenig berechenbaren Spielchen. Haben wir schon mal gesagt, dass »My Name Is Earl« eine der lustigsten Serien überhaupt ist? Wir verlosen 3 Boxen der vierten Staffel. Betreff: 113 Karma-Korrekturen
Fargo / Der fantastische Mr. Fox 04
Die feine Fox-DVD-Reihe CineProject wird um vier Titel erweitert. Kurz vor dem Kinostart des neuen Coen-Films »True Grit« erscheint deren Klassiker »Fargo« neu. Auch Wes Andersons Stop-Motion-Film »Der fabelhafte Mr. Fox« kommt in der Edition, ebenso wie »Rain Man« und »Benny & Joon«. Wir verlosen je 3 Exemplare der bösen Krimi-Komödie »Fargo« und des Tierabenteuers »Der fabelhafte Mr. Fox«. Filme, die garantiert jede DVD-Sammlung bereichern. Betreff: 113 cinephile Krimipointen
Open data. Open rules? Rahmenbedingungen für einen gläsernen Staat. »Wie werde ich 2020 mit Politik und Verwaltung interagieren und welche Daten stehen mir dafür zur Verfügung?« Keynote Daniel Dietrich (Open Knowledge Foundation, Gründer & CEO des Open Data Networks, Deutschland) Offene Diskussion
23.02.2011 – 19.00 Uhr The Hub Vienna, vienna.the-hub.net Wien 7., Lindengasse 56 / Top18-19 Seit einiger Zeit hört und liest man nicht nur vom gläsernen Menschen, sondern auch vom gläsernen Staat – und von der Forderung, dass Institutionen, die durch Steuergelder finanziert werden, ihre Daten für diejenigen offenlegen sollen, mit deren Geldern sie arbeiten. Doch um mit entscheiden zu können braucht es Interpretationshilfen für die veröffentlichten Daten. Wenn Open Data entsprechend aufbereitet sind, eröffnen sie neue und direktere Möglichkeiten an Entscheidungen teilzunehmen. Welche Rahmenbedingungen braucht es, die Hoffnungen auf mehr Partizipation und Demokratie durch die Offenlegung von Daten aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft auch tatsächlich zu erfüllen? Die Veranstaltungsreihe twenty.twenty widmet sich als offene Diskussionsplattform Zukunftsszenarios einer Welt 2020. Denn: Zukunft kann nicht gepredigt oder verordnet werden. Sie gehört diskutiert und gestaltet.
www.twentytwenty.at | www.facebook.com / exploring2020 | www.twitter.com / exploring2020
Anna Liska
(Magazin, www.magazinvienna.com)
TOP 10
TODAY’S FAVOuRITE ZINES IN COUPLES RANDOMLY TOP-ED / ALPHABETICAL ORDER 032c & A Magazine Another Man & Black Pages Dérive & Dot Dot Dot Magazine Fantastic Man & (The) Gentle Woman I Love You Magazine & Kaleidoskop Metropolis M & Monocle Mono.Kultur & Oase Pin-Up & Purple Magazine S Magazine & Tate etc. Un Demi Zine & Used Future
Eines von zwei Konzerten im Wiener Gasometer ist bereits ausverkauft, die Sommerfestivals gebucht. Live sind die Beatsteaks mitreißender als bei einem Interview in einem grauen Wiener Hotelzimmer.
LOVE-TUNES-STORY IN CHRONOLOGICAL ORDER, IF IT WORKS OUT:
Punkrocker sind richtig gut beim Putzen
01 The Swans – Blind Love« (Feel Good Now) 02 Art Brut – Good Weekend (Bang Bang Rock and Roll) 03 Human League – »Reach Out (Instrumental Version) 04 Talking Heads – This Must Be The Place 05 Bela Bartok – Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3
Die Beatsteaks stehen mit ihrer neuen Platte »Boombox« am Start. Vorweg haben wir mit Gitarristen Peter Baumann und Bassisten Torsten Scholz über die kleinen und großen Themen im Leben einer Band gesprochen.
TOP 05
AUCH NICHT SCHLECHT:
»Post Internet Survival Guide 2010«, Revolver Publishing by Katja Novitskova
Gernot Kremser (Posthof Linz)
TOP 10
MEINE MEISTAUFGELEGTEN SOULSINGLES BEIM SOUL OF SOLARIS (2-MONATLICHER CLUB IN LINZ)
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The Precisions – If This Is Love The Falcons – I Can’t Help It The Mighty Marvelous – Talkin’ About Ya, Baby Jackie Wilson – I Don’t Want To Loose You Betty Swan – (My Heart Is) Closed For The Season The Impressions – Can’t Satisfy The Mob – I Dig Everything About You Marvin Gaye – You Sam & Dave – I Thank You Bobby Bland – Honey Child
TOP 05
GRÖSSTE KONZERTMOMENTE 2010 01 Gorillaz, Berlin Velodrom 02 Belle & Sebastian, Manchester Apollo 03 Scott Matthew, Linz Posthof 04 Vampire Weekend, München Backstage 05 We Have Band, Istanbul Bronx
AUCH NICHT SCHLECHT:
Regenspaziergang am Lido in Venedig
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Die bereits 15-jährige Geschichte der Beatsteaks ist geprägt von einer Vergangenheit als Hardcore-Band und dem Schweiß unzähliger Konzerte. Musikalisch sind sie längst ihren Wurzeln entwachsen, aber die Beatsteaks blieben stets eine Band, die für das Touren wie gemacht scheint. Kann man »Boombox« als eine Art Befreiungsschlag verstehen, ist diese Platte wichtiger als andere davor? p e t e r : Im Moment denke ich natürlich, dass es die tollste Platte der Welt ist! Vielleicht ist sie auch wichtiger in dem Sinn, dass wir bei dieser Platte mehr als je zuvor das Ruder selbst in der Hand hatten. Niemand hat etwas für uns entschieden. Befreiungsschlag ist aber ein bisschen zu hoch gegriffen, weil wir ja vorher auch nicht gefangen waren. t o r s t e n : Ich finde, dass das Album viel positiver und versöhnlicher klingt als die Platte zuvor. Das gibt auch die Stimmung der Band wieder. Nicht, dass die vorher schlecht war, aber es war alles ein bisschen verkrampfter. Freut ihr euch mehr auf den Beginn oder das Ende einer Tour? p e t e r : Ich freue mich auf beides, vor allem aber auf die gute Phase. Das sind meist drei bis sechs Konzerte, die der totale Knaller sind. Dann gibt es einen Hänger, wo sich irgendjemand einfach zu wohl fühlt. t o r s t e n : Bei einer Tour von 3 ½ Wochen gibt es immer ungefähr in der Mitte ein Konzert, das nicht richtig klappt. Nach Hause will eigentlich niemand. Welche Talente besitzt ihr abseits der Musik? t o r s t e n : Ich bin unglaublich gut im Saubermachen, Staubsaugen und Wäsche aufhängen. Peter kann sehr gut Geschichten erzählen, vor allem aus seiner früheren Zeit bei der Berliner Stadtreinigung. Das sind Running Gags, die wir uns schon seit zehn Jahren erzählen. Arnim kann gut Leute karikieren und Bernd kann das Schwingen eines Messers im Baumstamm imitieren. Thomas … ja, Thomas kann unglaublich gut Schlagzeug spielen. Habt ihr für das viele Herumreisen auch umweltbewusste Strategien entwickelt? t o r s t e n : Auf Tourneen ist das sehr schwer umzusetzen. Dafür berücksichtigen wir bei unserem Merchandising, dass die Produkte fair gehandelt sind und aus regenerativen Materialien bestehen. Unterm Strich kostet das zwar etwas mehr, ist den zusätzlichen Aufwand aber wert. Unsere Busfirma hat moderne Fahrzeuge, als Band kann man darüber hinaus nicht viel mehr machen. ¶ »Boombox« erscheint am 28. Jänner via Warner. Live spielen die Beatsteaks am 04. und 05. März im Wiener Gasometer. Das vollständige Interview: www.thegap.at/beatsteaks
interview Reiner Kapeller & evelyn baier bild Reiner Kapeller
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Fabian Burstein und Ramon Rigoni realisieren ePaper und Hörbücher im Home-Office-Stil. Den Bit-Nachschub besorgt gerade Stefan Tauber.
»Zweite Wahl zu sein ist nicht schlimm!«
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interview Manfred gram bild René Prohaska / format
McPublish ist der erste Internet-Verlag, der ausschließlich Erstveröffentlichungen als E-Books und Hörbücher verkauft und damit die literarische Verwertungskette umdreht. Ein Kurzinterview mit den Start-up-Gründern Ramon Rigoni und Stefan Tauber. Wie und warum kam es zur Idee, einen Internetverlag zu gründen? r i g o n i : Vor ungefähr einem Jahr hatten wir bei einer Autofahrt über mögliche Projekte gesprochen. Ein E-Book- und Hörbuchverlag erschien uns spannend. Wir wollten eine Plattform gründen, auf der man sich austoben kann, ohne sich in riesige Kosten zu stürzen und dabei eigene Synergien nutzen. Thematisch stehen dabei alle Horizonte offen. Wichtig ist nur, dass es sich um Erstveröffentlichungen handelt. t a u b e r : Wir kommen ja auch aus der Filmbranche und arbeiten oft parallel an aufregenden Projekten, die nicht umgesetzt werden können. Gute Drehbücher kann man so auch über ein anderes Medium realisieren. Es ist ja schade, wenn etwas nur für die Lade geschrieben wurde. Das klingt ein wenig nach Resteverwertung in eigener Sache? t a u b e r : Nein, das ist es nicht. Wir wollen ein originäres EFormat schaffen und sind für alle Autoren offen. Ich liebe das haptische Gefühl von Büchern, keine Frage, aber hier soll eine neue Form entstehen, die das neue Medium »Tablets« bedient. Was braucht man dazu an Startgeld? t a u b e r : Das ist schwer beziffern. Mit unserem Unternehmen Illuminati Film haben wir ja schon die Infrastruktur und eine
multimediale Betriebsumgebung. Video, Foto, Grafik, Text und Ton ist alles bei uns im Haus. Bis bei so einem Start-up alles steht, müsste man ansonsten sicher 200.000 Euro reinstecken. Und der ökonomische Erfolg bleibt dann noch immer fraglich. Auch weil der deutschsprachige E-Book-Markt sehr klein ist und wohl auch langfristig fest in der Hand etablierter Verlagshäuser bleiben wird? t a u b e r : Wir werden wohl in den nächsten zwei Jahren nicht reich werden damit. r i g o n i : In fünf Jahren werden die äußeren Parameter aber vielleicht anders aussehen. Ich glaube, dass sich diese Branche schnell entwickelt und lukrative Nischen entstehen. Ihr wollt auch zugkräftige Autoren mit Namen verpflichten. Fürs Startprogramm habt ihr etwa Michael Stavaric und Journalistenlegende André Müller ködern können. Ist da nicht ‒ bei aller Exklusivität der digitalen Erscheinungsform ‒ nicht auch ein wenig die Gefahr dabei, zweite Wahl zu sein? Etwa, wenn ein bekannter Autor einen Text nirgendwo unterbringt oder gezielt Halbgares aus der Schublade verwerten will? t a u b e r : Es ist doch nichts Schlimmes dabei, zweite Wahl zu sein, wenn wir der Meinung sind, damit ein gutes Buch im Programm zu haben. Wir sind außerdem nicht so sehr in der literarischen Welt verhaftet, dass wir Angst haben ein Gesicht zu verlieren, wenn wir nur Zweitverwerter sind. Warum sollten sich junge Autoren bei McPublish melden? t a u b e r : Da wir multimedial agieren und gut vernetzt sind, können wir unsere Autoren mit Kampagnen begleiten ‒ etwa kleine Videoporträts drehen und den Verfassern so ein Gesicht geben. Zudem können wir Hörbuch und Soundtrack zu einem Buch gleich mitliefern. So etwas macht kaum ein Verlag, weil es zu teuer ist. Außerdem zahlen wir Autoren das doppelte Honorar (Anm.: marktüblich sind 8 bis 10 Prozent des Nettoverkaufspreises). — www.mcpublish.com AU S GA B E 1 1 3 / 0 1 5 ◄
►KOLU M NE / Z a h l en , b i t t e ! ►Von Thomas Edlinger
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ie Hamburger Neo-Vegetarierin und Autorin Karen Duve macht mit ihrem protokollarischen Entwicklungsroman »Anständig essen« eine gute Figur, wenn es darum geht, sich dem kurrenten Imperativ der freiwilligen Selbstoptimierung zu unterwerfen. Ihr »Selbstversuch«, der Geißel des industrialisierten Fleisches zu entrinnen, hat sie nicht nur zu einem bis heute andauernden Flirt mit dem Adel der Veganer inspiriert, sondern ihr sogar für einige Zeit die Freuden der fruganen Lebensform geschenkt. Der messianische Frutarismus, dem sich allerdings weltweit nur sehr wenige Jünger und Jüngerinnen verpflichtet fühlen, besagt: Du sollst nichts essen, was dir die Natur nicht freiwillig gibt. Kartoffel ernten, nach Salat graben, Äpfel pflücken, Bäume schneiden – all das ist tabu. Von Tieren zwischen Rind und Einzeller reden wir erst gar nicht. Erlaubt ist nur, was im sprichwörtlichen Sinn vom Himmel bzw. von den Bäumen, Sträuchern und Pflanzen fällt, weil es nicht mehr weiter gedeihen (oder soll man sagen leben?) will, nämlich die Früchte von Pflanzen. Im Orden der Fruganer trifft so die steinalte Selbstkasteiung des Bettelmönchs auf die aktuelle Forderung nach Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit. Duves Umerziehung ihrer selbst fängt so an, als würde Sloterdijks Appell zur Rehabilitierung der menschlichen »Vertikalspannung« zwischen Tier und Übermenschwerdung namens »Du musst dein Leben ändern« noch in ihrem Ohr nachdröhnen: »An dem Tag, an dem ich beschloss, ein besserer Mensch zu werden, stand ich morgens in einem Rewe-Supermarkt und hielt einen flachen Karton mit der Aufschrift Hähnchen-Grillpfanne in der Hand.« Sloterdijks philosophischer Gewährsmann Friedrich Nietzsche hätte Duve vermutlich aufgrund der ihr attestierten demütigen Einübung in die Sklavenmoral mit einem heftigen Schnauber seines Schnauzers verlacht (während HardcoreStraight Edge-Bands wie Fugazi wohl als angemessene BandT-Shirt-Lieferanten für den moralischen Rigorismus der anständigen Esserin wären). Sloterdijks eigenes Verhältnis zur Selbststeigerung erscheint aber bei genauerem Hinsehen selbst ambivalent. Während er auf der einen Seite nicht müde wird, die im Namen einer situativen Political Correctness forcierte Opfermentalität der in diversen kulturellen Stellungskriegen verhafteten Benachteiligten dieser Welt nach Gutsherrenart abzutun und deren politische Ansprüche durch die Hoffnung auf generöse Almosen der Besitzenden zu ersetzen (siehe Sloterdijks Alternativvorschläge zum Hartz4- »Versorgungsstaat«), kann er sich durchaus für einen (mit PC kompatiblen), asketischen Idealismus erwärmen, den er zwischen Hungerkünstlern, Brahmanen, Gurus und anderen Formen einer auf Vergeistigung hinzielenden Lebensweise der Weltentsagung festmacht. In diesen Ausweitungen der Übungszone finden sich dann eine Dynamik der Arbeit an sich bzw. Sorge um sich, die sich paradoxerwei-
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se sowohl als Selbststeigerung wie auch als Selbstbescheidung bezeichnen ließe. Optimierung durch Verzicht, bzw. Demut als elitäre Größe. Gefragt ist, in der (freilich bei Sloterdijk von konkreten gesellschaftlichen und politischen Kontexten weitgehend entkoppelten) Morgenröte der schönen neuen Welt ein Subjekt, das sich aus dem Bannkreis althergebrachter Subjektivierungsformen befreit. Ein Subjekt, das nicht nur keine Macht mehr hat, sondern auch nicht mehr von Machtformen (des Sexismus, des Rassismus usw.) durchwirkt ist. Mit ein wenig retrofuturischer Fantasie könnte man dieses Subjekt auch einen Neuen Menschen nennen – ein Konstrukt, wie ihn der Sowjetkommunismus der 1920er Jahre ebenfalls im Auge hatte. Dieser Neue Mensch ist einer, der mit den expliziten und impliziten didaktischen Anforderungen, wie sie im Namen von Political Correctness an eine verbesserungswürdige Realität gestellt werden, möglicherweise mehr gemeinsam hat, als das beiden Teilen lieb ist. Der Neue Mensch bemüht sich um eine Sprache, die nicht mehr denunziert, die niemanden mehr ausschließt, aber auch niemanden paternalistisch einschließt. Der Neue Mensch weiß, das zum Beispiel Weiß-Sein genauso eine Konstruktion ist wie Mann- oder Frau-Sein. Er hat keine Ethnie, keine Nationalität und kein biologisches Geschlecht mehr. Er hat den Unfug des Verfassungspatriotismus und die Falle des essentialistischen Multikulturalismus genauso überwunden wie den Gender-Eiertanz. Er ist weder XX noch XY, sondern trans. Auf dem Weg dorthin freilich muss der alte Mensch, bevor er wirklich neu aufgesetzt ist, noch einiges an sich reflektieren – und beständig verändern. Stellvertretend für die insistierende (Selbst-)Kritik an den Geschlechterrollen sei an dieser Stelle ein Ankündigungstext eines Vortrags der Gender-Professorin Gundula Ludwig genannt. Darin geht die in Marburg lehrende Wissenschaftlerin (zu Recht) davon aus, dass die rigide Regelung von geschlechtsspezifisch »richtigem« Verhalten von Frauen und Männern sowie die Grenzziehung zwischen »normaler« und »perverser« Sexualität hierzulande vorbei sei. Doch damit ist aus ihrer Sicht nicht unbedingt schon etwas gewonnen. Denn: »Haben Geschlecht und Heteronormativität für die gesellschaftliche Ordnung an Bedeutung verloren? Oder sind, durch die neoliberale Flexibilisierung auch von Normen, zwar einerseits rigide Formen des Überwachens von Geschlecht und Heteronormativität aufgeweicht, zugleich aber die Weisen, wie geschlechtliche und sexuelle ›Normalität‹ hergestellt wird, subtiler geworden?« Die Morgenröte lässt also wohl noch auf sich warten. Und vielleicht kommt sie nie. ¶
Die Qual der Zahl – 9 wie »Revolution Nr. 9« oder 99 wie in »99 Luftballons«? Schreibt uns eure Vorschläge, um welche Zahl zwischen 0 und unendlich es nächstes Mal gehen soll. zahlenbitte@thegap.at
bild Ingo Pertramer
% der klimaerwärmenden Gase weltweit werden angeblich durch Viehzucht ausgelöst. Müssen also nicht nur wir, sondern auch die Tiere ihr Leben ändern – oder ist das just another eurozentrische AnmaSSung?
Antw o r t e n löse n Fra g e n .
gehör t. gewusst. D a s
Ö 1
Q u i z
Jeden Sonntag, 13.10 Uhr, Ö1 oe1.ORF.at/quiz
Anmeldung als Kandidat/in E: gehoert.gewusst@orf.at T: (01) 501 70-371 I: oe1.ORF.at/quiz
► Open Data ► Die Bürger, die Verwaltung und die Hoffnung auf mehr Transparenz.
Transparenz etabliert sich als neuer politischer Wert, Daten sind der neue Rohstoff politischer und gesellschaftlicher Diskurse. Hier leaken Dokumente, dort erhalten Entscheidungsprozesse durch öffentlich zugängliche Daten neue Grundlagen. Nicht jeder, der mit solchen Daten operiert, ist ein Spion. Die etablierten Kräfte zeigen sich dennoch abwartend.
Vor allem in Österreich.
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TEXT Werner Reiter BILD European Commission, Robert Harm / Open3, Martin Ladstätter
ufbruchsstimmung in vielen De- zeugt: »Mit der Offenheit der Daten steigt die Qualimokratien der Welt: Open Govern- tät des politischen Diskurses.« Phänomen Nummer ment und Open Data heißen die zwei: Verwaltungen veröffentlichen ihre Daten selbst Versprechungen, die die Leistungen – zumindest in Teilbereichen. Die Bürger erhalten devon Politik und Verwaltung denen taillierte Informationen, was mit ihren Steuergeldern wieder näher bringen sollen, die mit ihren Steuergel- geschieht und über neue Services auch neue Möglichdern auch dafür bezahlen. Die Obama-Administra- keiten für Partizipation. tion hat hier innerhalb kürzester Zeit viel bewegt. In Großbritannien gibt es bereits über 100 Web-An- Der österreichische Weg wendungen, die diesem Bereich zuzurechnen sind. Obwohl grundsätzlich kaum Zweifel darüber besteDie EU-Kommission hat sich im Dezember klar und hen, dass Bürger das Recht auf vollständige Informadeutlich zu Open Data bekannt und ein Portal an- tion haben, gibt es auf dem Weg zu Open Government gekündigt, über das zahlreiche Datensätze für die und Open Data eine ganze Reihe von Hindernissen weitere Bearbeitung zur Verfügung gestellt werden. auszuräumen. Ein Beispiel: Die Wiener Linien haben Diesen Entwicklungen liegt ein Wert zugrunde, der einen barrierefreien Zugang zu ihren Verkehrsmitteln im politischen Diskurs immer mehr an Bedeutung nahezu vollständig realisiert. Wenn ein Lift ausfällt, gewinnt: Transparenz. Der Ruf danach wird immer ist das grundsätzlich auch bekannt, aber nur telefolauter. Und zwar abseits aller Ideologien. Auch hier- nisch (in den Amtsstunden) zu erfragen. Martin Ladzulande formiert sich eine Open Data-Szene. Erst- stätter vom Verein BIZEPS hat daher die Initiative mals sind Open Data auch Thema in einem (Stadt-) gestartet, die Informationen auch online zugänglich Regierungsprogramm: Rot-Grün will in Wien eine zu machen. Der Verein Open3, ein offenes Netzwerk, Expertengruppe einsetzen, die ein Konzept dafür das Open Data hierzulande forciert, hat die Plattausarbeitet. Im Juni soll im Rahmen der Open Go- form www.ubahnaufzug.at entwickelt, die diese Lücke vernment Data Konferenz ein entsprechendes Weiß- schließt. Allerdings nicht mit den Daten der Wiener buch vorgestellt werden. Laut Thomas Thurner von Linien, sondern mit Informationen, die die Fahrgäste Open Government Austria könnte sich heuer sogar selbst posten. Die Wiener Linien »beobachten das noch die Ausschreibung eines Applikations-Wettbe- Projekt mit Interesse«. Aus der Begründung, warum werbs ausgehen. Damit würden auch Anreize für die die Verkehrsbetriebe ihre Daten nicht zur Verfügung stellen, lässt sich ein allgemeines Problem mit dieser heimische IT-Landschaft gesetzt. Form der Transparenz ablesen. »Mit der Bereitstellung von Daten für die weitere Bearbeitung verliert Zwei Seiten der Transparenz Das Misstrauen gegenüber politischen Entschei- die Verwaltung die Deutungshoheit«, meint Carldungsträgern und Verwaltungen wird größer, der Ruf Markus Piswanger von Open3. Bei den Wiener Linien nach wirksamen Kontrollmechanismen immer lauter. klingt das so: »Für uns muss im Sinne der Fahrgäste Das resultiert in zwei Phänomenen. Das erste findet an allererster Stelle die Datenqualität liegen.« in WikiLeaks seinen sichtbarsten Ausdruck. In einem Akt zivilen Ungehorsams wird an die Oberfläche ge- Die Schwierigkeit bracht, was die Eliten mit allen Kräften geheim hal- der Interpretation ten wollen. Die Konsequenzen sind bekannt: Julian »Grundsätzlich hat die Verwaltung kein Problem, Assange wird wie ein Spion verfolgt. Für Albert Stein- ihre Daten zur Verfügung zu stellen«, sagt Wolfgang hauser, den grünen Abgeordneten und Justizsprecher Keck, Projektkoordinator und Mitglied mehrerer Arist klar, dass dieser »Tabu- und allfällige Gesetzes- beitsgruppen im Bereich eGovernment und eHealth. bruch« Veränderungen bewirken kann, aber eben ein Schließlich können diese ihre eigenen Leistungen rebellischer Akt ist. Die politische Forderung, die er so auch entsprechend darstellen. Vorbehalte gibt es daraus ableitet, ist simpel: eine radikale Einschrän- einerseits, weil man die Interpretationshoheit nicht kung des Amtsgeheimnisses. Auch Georg Holzer, der abgeben will und andererseits auch, weil mit Daten Kärntner Journalist und Betreiber des Polit-Watch- auch Geschäft gemacht wird (wie etwa mit Grundblogs www.k2020.at, schlägt in dieselbe Kerbe. Poli- buch-Abfragen). Partizipations-Experte Piswanger tik und Verwaltung sollen alle ihre Daten offen legen. ist allerdings überzeugt, dass eine grundsätzliche Nur in begründeten Fällen (Persönlichkeitsschutz, Offenheit nicht nur neue Möglichkeiten für die BürGefährdung von Amtshandlungen) sei es gerechtfer- ger bietet, sondern auch für die Verwaltung selbst. tigt, Daten nicht zu veröffentlichen. Holzer ist über- Die hat nämlich bedeutend weniger Spielraum, neue AU S GA B E 1 1 3 / 0 1 9 ◄
Dinge auszuprobieren als es Applikations-Entwickler haben. EU-Kommissarin Kroes sieht in dem Bereich ein beträchtliches Geschäftspotenzial für Entwickler und Anbieter neuer Services. Gerade bei LocationBased Services und Smartphone-Apps bieten eGovernment und Daten von öffentlichen Institutionen eine große Spielwiese für neue Anwendungen und attraktiven Mehrwert für bestehende Services. Ein solcher Entwickler ist Robert Harm (ebenfalls von Open3). Von ihm stammt die Visualisierung des Sparpakets der österreichischen Bundesregierung. Diese klickbare Budgetdarstellung speist sich zwar nicht aus maschinenlesbaren Daten, zeigt aber trotzdem eindrucksvoll, welche Möglichkeiten der Arbeit mit Daten sich abseits der journalistischen Aufbereitung bieten.
Serviceanbieter, Bürgerjournalisten oder Spione?
Die Globalisierungskritiker von ATTAC begrüßen klarerweise die Entwicklungen in Richtung Open Data. »Gerade im Bereich der Steuerpolitik und Vermögensverteilung ist Transparenz ein wesentliches Mittel, um eine Verschleierungspolitik im Interesse der Vermögenden wirksam zu verhindern«. Die Veröffentlichung von Landwirtschaftssubventionen der EU habe etwa aufgezeigt, dass die Empfänger nicht immer Landwirtschaftsbetriebe, sondern auch Exporteure von Agrarprodukten sind. Von Finanzdaten der EU bis hin zu sehr spezifischen regionalen Informationen wie etwa den Aufzugsdaten tut sich ein weites Feld von potenziellen Anwendungen auf. Entlang dieser entstehen auch neue Rollen. Service-Anbieter und Entwickler, die das Rohmaterial in Anwendungen aufbereiten, übernehmen Aufgaben, die bislang primär im Journalismus lagen. Bürger, Steuerzahler und Endanwender treffen auf Basis dieser Informationen Entscheidungen oder erleben neue Formen der Interaktion mit Behörden und Verwaltung. Um dieses System nachhaltig zu leben, ist ein anderer Umgang mit Fehlern erforderlich. In Klagenfurt arbeiten einige Programmierer an schandfleck.in. Über eine mobile Applikation können Schandflecken an die jeweils zuständigen Behörden gemeldet werden. Das sei kein moderner Pranger, sagt Georg Holzer. »Die Behörden können nicht überall sein. Die Bürger sind es.« CarlMarcus Piswanger hegt die Hoffnung, dass der Staat neue Dynamik gewinnt und die Menschen sich wieder stärker mit öffentlichkeitsrelevanten Themen auseinandersetzen, wenn man solche Anwendungen gezielt für die Kollaboration verwendet. In Einzelfällen werden auch Whistleblower wie etwa die WikiLeaksInformanten nötig sein. Wer auf eklatante Missstände aufmerksam macht, soll das auch ohne Anzeige zu erstatten tun können, fordert Albert Steinhauser. Dafür braucht es entsprechende Schutzmechanismen im Arbeitsrecht und im Beamtendienstrecht. Vor allem ein entsprechendes gesellschaftliches Klima. Das ist scheinbar im angloamerikanischen Raum eher gegeben als hierzulande. ¶ Open Data sind auch Thema bei der nächsten Veranstaltung von twenty.twenty, einer Diskussionsreihe von A1 Telekom Austria und The Gap. »Open Data. Open Rules?« findet am 23. Februar 2011 im Wiener Hub statt. Mehr dazu auf — www.twenty.twenty.at
»Mit der Bereitstellung von Daten verliert die Verwaltung die Deutungshoheit.« – Carl-Marcus Piswanger und Robert Harm von Open3.
Bundesfinanzrahmen 2011–2014. Visualisiert von Open3.
Martin Ladstädter startete die Plattform www.ubahnaufzug.at
Government 2.0 Eine Auswahl von Crowdsourcingund Open Data-Projekten
Die USA und Großbritannien gelten als Vorzeigeländer für ein neues Verständnis von Partizipation und Transparenz in Politik und Verwaltung. Auf dem Portal der US-Verwaltung finden sich über 700 sogenannte Tools, die man für weitere Bearbeitung nutzen kann. Bei den Geodaten sind es sogar über 30.000. Allerdings sind viele der Datensätze nur von historischem Interesse. Der populärste Datensatz sind die U.S. Overseas Loans and Grants, die internationale Geldflüsse seit 1946 aufzeigen. Das Portal in Großbritannien listet mehr als 100 Anwendungen (die meisten aus dem Bereich Gesundheit und viele zum Thema »Crime«) sowie mehr als 5000 Datensätze. ►► data.gov.uk (UK), www.data.gov (USA) Crowdsourcing-Projekte Spesenskandal (UK) Die britische Tageszeitung Guardian rief im Herbst 2010 seine Leser auf, die veröffentlichten Spesenabrechnungen britischer Abgeordneter zu durchforsten. Die Erkenntnisse aus insgesamt 460.000 Dokumenten wurden systematisch erfasst und der Guardian bekam schneller als jedes andere Medium interessante und gehaltvolle Geschichten. ►► www.guardian.co.uk Parking Mobility (USA, Kanada) An der Anwendung erkennt man ein grundlegend anderes Verständnis von Öffentlichkeit. Hier melden US-Bürger Parksünder, die Behindertenparkplätze unrechtmäßig nutzen, direkt an die Behörde. ►► www.parkingmobility.com Wahlversprechen (BRD) Laut Eigendefinition ist die Sammlung für gebrochene und gehaltene Wahlversprechen deutscher Politiker ein kollektives Langzeitgedächtnis. ►► www.wahlversprechen.info Visualisierung und Karten London Tubes (UK) Die Echtzeit-Visualisierungen der Verkehrsdaten der Londoner U-Bahnen gelten als Königsklasse in diesem Metier, da hier extrem viele Daten verarbeitet werden. ►► traintimes.org.uk Plattformen mysociety.org (UK) Diese britische Non-Profit-Organsation unterstützt und fördert Projekte. Am interessantesten sind: »They Work For You«, ein umfassendes Verzeichnis aller Reden und Diskussionsbeiträge von Abgeordneten (►► www.theyworkforyou.com) und »Fix My Street«, eine Plattform, über die Straßenschäden und Verkehrsbehinderungen gemeldet werden (►► www.fixmystreet.com). City Data (US) Auf diesem Portal werden Verwaltungsdaten, user-generated Content und lizenzierte Inhalte aggregiert. In Summe ist so ein umfassendes Informationssystem zu nahezu allen Lebensaspekten in amerikanischen Städten entstanden. Von Gelben Seiten über Veranstaltungshinweise, Zahlen und Daten bis hin zu Listen der Sexualstraftäter. Das Portal hat über 15 Millionen Besucher pro Monat. ►► www.city-data.com In Österreich Die Website des Vereins Open3: ►► www.open3.at Open Government Data Austria: ►► gov.opendata.at sowie die Konferenzwebsite ►► www.ogd2011.at
» die bestehenden regelungen sind für open data ausreichend« Die EU-Kommission hat im Rahmen der Digitalen Agenda ein klares Bekenntnis zu eGovernment und Open Data abgegeben. EU-Kommissarin Neelie Kroes im Interview. Welchen Stellenwert hat das Thema Open Data in der Digitalen Agenda der EU? Die Offenlegung von Daten des öffentlichen Sektors ist ein wesentlicher Treiber für die Entwicklung von Content-Märkten in Europa. In dem Bereich werden neue Geschäftsmodelle entstehen und auch Jobs geschaffen. Für Bürger und Konsumenten bedeutet das mehr Wahlfreiheit und mehr Leistung für ihre Steuergelder. Daher haben wir dem Thema viel Platz in der Digitalen Agenda eingeräumt und es im eGovernment Action Plan nochmals fest geschrieben. Unser Ziel ist, möglichst viele Daten zur Verfügung zu stellen. Um das wirtschaftliche Potenzial heben zu können, wird die Kommission vorschlagen, die Direktive für Public Sector Information (PSI) nochmals zu überarbeiten. Was sind die konkreten Vorhaben in Bereich Open Data? Ich möchte noch mehr Bürgerinnen und Bürger, aber auch Unternehmen haben, die Nutzen aus Open Data ziehen. Die EU-Verwaltung eröffnet neue Partizipationsmöglichkeiten und wird damit auch transparenter. Dafür binden wir verstärkt DrittAnbieter ein, die über ein Portal auf diese Daten zugreifen können. Ziel ist, Daten, die ohnehin vorliegen, leicht auffindbar zu machen und sie verständlich aufzubereiten. Grundsätzlich sollen das Daten aus AU S GA B E 1 1 3 / 0 2 1 ◄
» Unser Ziel ist, möglichst viele Daten zur Verfügung zu stellen.«
allen Bereichen der EU sein. Die Kommission wird natürlich mit gutem Beispiel vorangehen und die eigenen Datenbestände zuerst in das Portal integrieren. Welche Rahmenbedingungen braucht es, damit solche Daten auch wirklich genutzt werden können? Meine persönliche Meinung ist, dass es der kollektiven Verantwortung von Regierungen und öffentlichen Institutionen (inklusive EU-Kommission) entspricht, ihre Daten der Bevölkerung möglichst vollständig zur Verfügung zu stellen. Und zwar in einer maschinenlesbaren Form, damit die Inhalte auch weiter verarbeitet werden können. Wichtig ist, dass die Rohdaten zeitnahe und möglichst granular vorliegen – und das ohne Restriktionen. Diese technischen und organisatorischen Barrieren hindern nämlich noch viele Entwickler daran, Apps und Services anzubieten, wie wir sie aus anderen Bereichen schon tagtäglich auf unseren Smartphones nutzen. Welche Informationen wird die EU als Open Data bereitstellen? Und wie werden Sie auf die nationalen bzw. regionalen Verwaltungen einwirken, das auch zu tun? Die Kommission stellt schon eine ganze Reihe von Informationen zur Verfügung: Etwa statistische Daten via Eurostat oder die online zugängliche Datenbank mit allen EU Gesetzen. Es gibt auch eine Datenbank, wo die Informationen über zugewiesene EU-Fördergelder für alle Bürger zugänglich sind. Für all diese Daten können wir die Aufbereitung und Durchsuchbarkeit noch entscheidend verbessern. Und wir werden weitere Datenquellen öffnen. Parallel dazu suchen wir den Dialog mit Entwicklern und Anwendern, um neue Ideen für Services und verbesserten Zugang zu entwickeln. Immer mehr EU-Staaten haben interessante Projekte auf nationaler oder lokaler Ebene. Datenkataloge und Portale werden aufgebaut und erweitert.
Zum Teil finden diese auch schon breiten Anklang. In Zukunft wäre es denkbar, nationale Daten im EU-Portal zu aggregieren. Der Begriff Open Data taucht meistens im Zusammenhang mit öffentlichen Institutionen auf. Wie stehen Sie zur Forderung, dass auch gewisse Daten von Unternehmen veröffentlicht werden sollen? Unsere Pläne fokussieren jetzt einmal auf den öffentlichen Sektor. Bei Unternehmensdaten gelten andere Regeln. Es gibt schon jetzt eine Reihe von Bestimmungen für die Veröffentlichung von Unternehmensdaten, insbesondere Finanzkennzahlen. Wie sehen Sie das Verhältnis von klassischem Journalismus und den Anbietern von Services, die Open Data verwenden? Mit der Öffnung von Contents öffentlicher Institutionen entsteht eine neue Form der Berichterstattung. Der »Datenjournalismus« floriert. Es eröffnen sich neue Möglichkeiten für die Analyse und kontextuelle Aufbereitung, die zu einem besseren Verständnis von komplexen Zusammenhängen beitragen. In Großbritannien zum Beispiel wurden im Vorjahr Details über die Ausgaben einiger Ressorts veröffentlicht und ein paar Stunden später hatten Journalisten schon spannende Ansätze für ihre Geschichten gefunden. Welche Rahmenbedingungen sind für die Arbeit mit Open Data nötig? Wir haben sowohl auf EU-Ebene als auch in den Mitgliedsstaaten ausreichende Regelungen, um den Risiken des Missbrauchs zu begegnen. Bevor man aber mit Daten arbeiten kann, müssen sie zugänglich sein. Da gibt es klare Regelungen, die die staatliche, finanzielle und militärische Sicherheit von Staaten garantieren. Auch der Schutz von persönlichen Daten der Bürger ist durch bestehende Gesetze gewährleistet. Medizinische oder andere persönliche Details sind nicht Teil dieser Daten. Konsumentenschutzrichtlinien und Regeln für fairen Wettbewerb decken den Bereich der weiteren Verwendung von Daten ab. Sollte darüber hinaus die Definition weiterer Rahmenbedingungen nötig sein, werden wir das entsprechend anpassen. Bis jetzt haben wir noch keine Notwendigkeit gesehen. ¶ Die niederländische Politikerin Neelie Kroes ist EU-Kommissarin für die Digitale Agenda.
Anton Christian, Zwei Schwestern: 150 Ă— 112 cm, 2010, Schellack auf Papier
► G ol de n Fra me ► Anton Christians Serie »Alte Menschen« TE X T erwin uhrmann BILD Tiroler L andesmuseum
25 Old Style, neue Tabus Ganz abseits von Trends und Mainstream bewegt sich der Künstler Anton Christian. Seine Arbeiten, Malerei und Skulpturen, zeigen zumeist etwas, von dem oft gesprochen, was aber selten tatsächlich eingelöst wird – sie »tun weh«. Christians Motive greifen Tabus der Gesellschaft auf wie Altwerden, Einsamkeit und Sterben. Beachtlich dabei ist, dass nichts unnötig ästhetisiert, sondern mit eigenwilligem Stil offengelegt wird. Anton Christian zeigt, was es heißt, alt zu werden, am Rand der Gesellschaft zu stehen. Er bringt menschliche Abhängigkeiten, aber auch all das, was gerne versteckt wird, zum Vorschein. Dafür hat er einen völlig eigenen, zeitlosen Stil entwickelt. Die dunkle Seite menschlichen Seins, die Einsamkeit, aber auch die Ästhetik des Vergänglichen spiegeln sich darin wider: wunde Körperteile, verzerrte, aber auch von Alters wegen gelassene Gesichter, an denen das Menschliche zum Vorschein kommt. Nichts Oberflächliches verdeckt den Körper. Dass Verfall, Schmerz und Leiden eine Konsequenz menschlichen Handelns sind, jeder Körper Spuren des Lebens ansammelt, die verblassen und zum Tod führen, ist und bleibt ein Tabu, das hier offensiv gebrochen wird. Der Künstler hat damit auch sein eigenes Altwerden, im vergangenen Jahr wurde er 70, thematisiert. Christians Malerei hat einen archaischen Touch. Als seine Zeitgenossen in den 1970er Jahren ins Abstrakte gingen, bewegte er sich anachronistisch zum Mainstream und suchte nach einem Weg des Figurativen. Farben und Technik streichen das Körperliche, das Menschliche und Verletzliche hervor. So werden Emotionen und innere Zustände nach außen transportiert. Fleisch, Haut, Falten, Haare, Blut sind im Vordergrund. Dabei spürt Christian den Nuancen der Veränderungen des Körpers, vor allem im Altwerden, nach, dem Vergehen des Antlitzes bis hin zum Tod, wo jegliche Spannung vom Körper abfällt. Christian begibt sich damit unter die glänzende Oberfläche, die Malerei auch bedeuten kann, er spült den Lack ab von seinen Figuren und zeigt sie nackt und schutzlos, nicht ohne den Respekt zu verlieren. Zutiefst ernst und ungeschönt kommt dabei das Sterben als Teil des Alltags ans Tageslicht. Über die Jahre hat der Künstler eine beachtliche Sammlung an afrikanischen Masken und Fetischen zusammengestellt; eine Quelle, die erheblichen Einfluss auf sein Werk ausübt. 2008 begann der Künstler mit dem Zyklus »Alte Menschen«, den er seither ausbaut. Kritisch und schonungslos ist etwa das Bild »Granny Dumping«, wo ein alter Mensch in einem Einkaufswagen am Waldrand entsorgt wird. Anton Christian feierte im vergangenen Jahr seinen 70. Geburtstag. Er studierte Ende der 1950er Jahren an der Akademie der Bildenden Künste Wien. Einige Jahre verbringt er in Paris, wo er Paul Celan kennenlernt. Später lebt er auch in London, Houston und New York. Er hat zahlreiche internationale Ausstellungen und erhält Ehrungen und Preise. Bis Ende Jänner waren seine Werke in einer Schau im Innsbrucker Landesmuseum zu sehen. Anton Christian ist Vater dreier Söhne und lebt und arbeitet in Natters bei Innsbruck. ¶ AU S GA B E 1 1 3 / 0 2 5 ◄
► Jam es F r an co ► Filmstar, Renaissance-Mensch, Performance-Kunstwerk
TEXT Joachim Schätz BILD CentFox / Pandora
Eben hätte er fast einen Golden Globe gewonnen, jetzt wird er die Oscars moderieren. Wenn er nicht zu beschäftigt ist. — Porträt eines Meta-Stars. Die meisten kennen das fein gezeichnete Gesicht noch immer vor allem aus den »Spider-Man«-Filmen. Dort spielte James Franco mit zusammengepressten Lippen Harry Osborn, einen Freund Peter Parkers und Widersacher Spider-Mans. Seither ist der Kalifornier mit dem James Dean-Profil gern gebucht als Aufputz für Hollywood-Schmonzetten wie Arthouse-Dramen. Was man seinen gefälligen Auftritten in »Eat Pray Love« oder »Milk« aber nicht ansieht: James Franco hat sich in den letzten fünf Jahren zu einem der faszinierendsten Filmstars seiner Generation entwickelt hat. Erstens, weil er sich mittlerweile als exzellenter Darsteller abseits makelloser Schmachtblicke bestätigen konnte: zum Beispiel als anhänglicher Drogendealer Saul Silver in der Actionkomödie »Pineapple Express« (2008), als minutiös nachempfundener Allen Ginsberg im sonst eher einfältigen Biopic »Howl«, und derzeit – nominiert für einen Golden Globe – als Bergsteiger Aron Ralston in Danny Boyles Überlebensdrama »127 Hours«. Noch interessanter ist aber, wie Franco in den letzten Jahren sein Star-Image als versponnenes Kunstwerk in progress betreibt. Seit er 2006 seine Uni-Ausbildung wieder aufnahm (derzeit studiert er postgradual Filmemachen und Fiction-Writing),
hat er ein regelrechtes Parallelwerk aus Fernsehauftritten, Internetvideos und Kunstperformances aufgebaut. Dort kommentiert der »Meta-Star« (Ekkehard Knörer) Franco unermüdlich und oft ziemlich lustig die Kontraste und Gerüchte, die sich an seiner öffentlichen Person verdichten: Gucci-Model und ColumbiaStudent, brütender Charakterdarsteller und gelassener Bubenkomiker, Mädchenschwarm mit queeren Interessen. Zwischen zielstrebigen Star-Maschinen vom Schlage Zac Efrons und dezidierten Anti-Stars wie Jesse Eisenberg gibt er das rare Spektakel eines Stars ab, der seine medialen Spielräume neugierig und mit Vergnügen erkundet.
»We asked James Franco to destroy this room«
Den Durchbruch schaffte James Franco, kein Einzelfall, im Komödienkosmos Judd Apatows: In der von Apatow produzierten, fantastischen Highschoolserie »Freaks & Geeks« (1999–2000; aus dem ORF-Samstagnachmittag als »Voll daneben, voll im Leben« bekannt) gab er mit Anfang 20 den schlitzohrigen rebel without a cause Daniel Desario, der lieber mit Seth Rogen und Jason Segel im Probekeller Krach macht als das Basketballteam anzufeuern. Bereits in dieser Serie wurden Qualitäten entdeckt und schlau herausgearbeitet, auf denen Francos markante Filmpräsenz heute noch aufbaut (Anspieltipp: Episode 5, »Tests and Breasts«): die leicht nuschelnde Stimme, die zeitgleich aufgeregt und ein bisschen weggetreten wirken kann; das intensive Spiel in dramatischen Szenen, hinter dem jäh Unernst hervorlugt; und vor allem dieses superbreite Grinsen, das die ebenmäßigen Züge verzerrt und dem Schönlingsgesicht etwas Dubioses gibt. Im Gegensatz zu den meisten Kollegen aus dem Apatow-Ensemble hat Franco keinen Hintergrund als Live- oder TV-Komiker. Sein aktueller Erfolg – am 27. Februar wird er gemeinsam mit Anne Hathaway durch die Oscar-Zeremonie führen – hat trotzdem viel damit zu tun, dass er sich nach einer Reihe unbefriedigender Versuche als dramatischer leading man (»Flyboys«, »Tristan & Isolde«) auf Komödien verlegt hat. Manchmal reicht inzwischen ein fünfminütiger Franco-Kurzauftritt, um ein fades Studioprodukt wie »Date Night« vorübergehend aus dem Comedy-Koma zu holen. Und selbst die frische, unsentimental packende Darstellung in »127 Hours« verdankt sichtlich mehr seinem zappeligen Komödienspiel als seiner bisherigen geradli nig seriösen Rollenarbeit. Das Faible für selbstreflexive Blödel-Improvisationen, von dem man sich auch auf der Comedy-Homepage »Funny or Die« überzeugen kann (lehrreich: die Serie »Acting with James Franco« mit Bruder Dave), verbindet sich überraschend plausibel mit einem Interesse an Performance-Kunst: Im Video »Erased James Franco« (2008) spielte sich Franco für den renommierten Künstler Carter durch Momente seiner bisherigen Filmrollen, exorziert dabei quasi seine an Reinfällen reiche Filmografie. Ein anderes Vernichtungsexperiment führte Franco für Autor Dave Eggers durch: »We asked James Franco to destroy this room«, beginnt ein Trailer für Dave Eggers’ »The Room Before And After, Part 1« (2009): »He agreed.« Worauf Franco – im Anzug und mit perfekt sitzenden Locken, als käme er vom Shooting eines seiner Gucci-Werbefotos – ein aufgeräumtes Schlafzimmer betritt und Mobiliar und Mauerwerk fröhlich zu verwüsten beginnt.
»127 Hours«: Bergsteiger in der Klemme Es war eine eher unwahrscheinliche Wahl: Ausgerechnet Danny Boyle (»Trainspotting«, »Slumdog Millionaire«), der rast- und atemloseste von Großbritanniens Filmemachern, hat sich an die wahre Geschichte des Aron Ralston gewagt. Der End-20er steckte nach einem Unfall bei einer Canyonwanderung mit dem rechten Arm unter einem Felsbrocken fest. Nach fünf Tagen, die er allein in einer Felsspalte ausharrte, befreite er sich durch Amputation des Arms. Vergleichbare Ausdauer beweist Boyle nicht: Ihm ist jede Kranfahrt und Fantasiesequenz recht, um sich für ein Weilchen ins Freie zu retten. Nach einer ersten Hälfte, deren Rhythmus sich plausibel an die Wahrnehmung des Draufgängers und anschließend Eingesperrten koppelt, begräbt Boyle den Film schließlich unter banalen Assoziationsblitzen. James Franco Hauptpartie überlebt trotzdem fast unbeschadet: Auch sein Ralston hat noch in der schlimmsten Klemme etwas seltsam Sonniges, Aufgekratztes. Aber diese Stimmung erweist sich in seiner energischen Darstellung nicht als Ablenkung, sondern als Kraftvorrat, um der eigenen Situation ins Auge zu blicken.
mit reger Aufmerksamkeit rechnen. Der halten sie nicht immer stand: Seine längeren Regiearbeiten – etwa das eitle Wunderkind-Drama »Good Time Max« (2007) und eine dem Vernehmen nach eher unabsichtlich aufschlussreiche Doku über das Treiben hinter den Kulissen der Sketchshow »Saturday Night Live« – sind über merkliches Bemühen wenig hinausgekommen. (Gerüchte über anstehende Faulkner- oder Cormac McCarthyBearbeitungen machen trotzdem neugierig.) Eine Belastung, wie man aus vorauseilendem Celebrity-Mitleid meinen könnte, ist Francos Prominenz für seine Ambitionen nicht: Im Gegenteil ist sein Schaffen gerade dort am interessantesten, wo es seine Star-Persona zum Einsatz seiner Kunst macht. Von zusätzlichen Abspielflächen wie Sketch-Videos und Galerien profitiert freilich nicht zuletzt der Marktwert des Stars. Über das findige Generieren von Aufmerksamkeit ist das Projekt Franco aber inzwischen weit hinausgewachsen. Selbstironische Cameos wie ein Auftritt in der Sitcom »30 Rock«, wo Spekulationen über Francos sexuelle Orientierung aufgegriffen wurden, entsprechen noch durchaus der Norm von Öffentlichkeitsarbeit im aktuellen Medienbetrieb. Ungewöhnlicher ist die Gastrolle, in der Franco seit über einem Jahr durch die US-Seifenopern-Institution »General Hospital« geistert: Er verkörpert darin den undurchsichtigen Künstler »Franco«, der mit seinen makaberen Werken – Nachbauten von Mordschauplätzen – die Intrigen und Paarwechsel des Schauplatzes Port Charles aufmischt. Wie »Franco’s« Kunstwerke in Port Charles die Trennung zwischen Kunst und Verbrechen, Schein und Sein Wunderkind im Hospital nachhaltig durcheinander bringen, so schlingert Francos Spiel Solche Ausflüge in die Kunstwelt (samt eigener Multimedia- in dieser hochstandardisierten Daily Soap permanent zwischen Ausstellung in der Clocktower Gallery in New York) sind nur ein Parodie und straighter Interpretation, zärtlicher Aneignung und Bruchteil von Francos Output. Der kolportierte Eifer, mit dem er Meta-Experiment, ohne je ganz aus dem Rahmen zu kippen. seit 2006 neben der Filmkarriere an bis zu vier Unis gleichzei- »Franco« ist das vorläufige Meistwerk des Konzeptkünstlers tig sein Film- und Literaturstudium betreibt, sorgt für allerhand Franco. Aber ohne dieses breite, betörende Grinsen des Filmstars ¶ Spekulationen: Hat man es mit einem hyperaktiven Genie zu Franco wäre es nur ein schlechter Witz. tun, mit dreister Hochstapelei oder vielleicht doch einfach mit einem Anzeichen dafür, dass Hollywood seine spannendsten »127 Hours« startet am 18. Februar im österreichischen Kino und Jungstars derzeit mit flachen Rollenangeboten zu Tode langweilt am 27. Februar moderiert er gemeinsam mit Anne Hatheway die (siehe Joaquin Phoenix)? Auf jeden Fall können die Ergebnisse Oscarverleihung. Er ist als bester Hauptdarsteller für »127 Hours« von Francos Studien – Filme, Kurzgeschichten, Installationen – nominiert. AU S GA B E 1 1 3 / 0 2 7 ◄
Prädikat: besonders wertvoll
Wir wollen nicht viele Worte machen, sondern lieber ein wirklich gutes Bier. Mit dem milden, frischen Geschmack, der strahlend goldgelben Farbe. Ein einmaliges Geschmackserlebnis, das bei Millionen von Fans in über 170 Ländern der Welt auf so großen Anklang stößt.
► Ö st e r r e i c h i s c h e r F i lm 2 0 0 0 – 2 010 ► Eine Top-Twenty-Liste
AUTOREN / WÄHLERVOLK David Bogner, Klaus Buchholz, Hans-Christian Heintschel, Martin Mühl, Lena Nitsch, Joachim Schätz
Der österreichische Film hat ein wildes Jahrzehnt hinter sich. Bevor die Dekadentür zufällt, hat unsere Film- und DVD-Redaktion 20 österreichische Produktionen gewählt, die wichtig waren und bleiben werden.
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Die Naughts hatten es in sich für das Filmland Österreich: Oscar-Nominierungen und Auszeichnungen schufen Öffentlichkeit für eine Branche, die im Inland sonst vor allem mit internem Zwist in die Nachrichten-Randspalten kam. Und während international das Label Österreich als Epizentrum des Feel-Bad Cinema umging, regten sich allmählich Versuche eines jungen, dezidiert populären Kinos abseits von Kleinkunst-Zweitverwertung. Öffentliche Förderungen wurden nach vielem Bitten und Drängen aufgestockt, das Interesse des heimischen Publikums bleibt enden wollend. Doch statt abgefrühstückter Tristesse-Klischees fällt bei diesem Rückblick die erstaunliche Vielfalt von Zugängen und Inhalten auf. Bitte mehr davon!
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Instructions for A Light And Sound Machine ■ (Peter Tscherkassky, 2005) — Konstant Weltklasse ist das Filmland Österreich vor allem im Experimentalfilm. Ein Beispiel von Dutzenden ist diese Augen-und-Ohren-Dröhnung des Found Footage-Monteurs Tscherkassky, gebaut aus Bruchstücken von Sergio Leones »The Good, The Bad And The Ugly«.
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Der Überfall ■ (Florian Flicker, 2000) — Feines kleines Kabinettstück über die patscherte Zufälligkeit des Lebens und ein großartiges Zusammentreffen von Düringer, Bissmeier und Hader. Der Schluss gehört zu den absurdesten und schönsten des zeitgenössischen Films.
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Der Räuber ■ (Benjamin Heisenberg, 2010) — Bisheriger Höhepunkt der Allianz zwischen österreichischem Spielfilm und Berliner Schule: Ein spartanischer Actionfilm, der sich an der wahren Geschichte des österreichischen Marathonläufers und Bankräubers Johann Kastenberger orientiert.
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Hat Wolff von Amerongen Konkursdelikte begangen? ■ (Gerhard Benedikt Friedl, 2004) — Kein Film zur Krise, ein Film zum Wirtschaftssystem: Die Tonspur rekapituliert die Viten deutscher Industrie- und Handelsbosse, die Kamera bewegt sich durch europäische (Stadt-)Landschaften. Zusammenhänge werden greifbar und verflüchtigen sich wieder. Gerhard Friedls einziger, umwerfender Langfilm. AU S GA B E 1 1 3 / 0 2 9 ◄
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Jesus, Du weiSSt ■ (Ulrich Seidl, 2003) — In dieser Studie über die Kulturtechnik Beten hat Seidl seinen konfrontativen Dokumentarismus aufs Wesentlichste reduziert: Gläubige Christen sprechen ihre Botschaften an Gott in die Kamera und erzeugen beim Zuschauen Unbehagen.
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Immer nie am Meer ■ (Antonin Svoboda, 2007) — Die Ausnahme-Kabarettisten Stermann und Grissemann brillieren erstmals als Spielfilm-Protagonisten: Die tragikomische Geschichte dreier Männer, gefangen mitten im Wald im Dienstwagen des ehemaligen Bundespräsidenten Waldheim.
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Mein halbes Leben ■ (Marko Doringer, 2008) — Vom 30. Geburtstag überrumpelt, schnallt sich Marko Doringer eine Kamera auf den Kopf und porträtiert seine Generation der Ungewissen. Eine pointiert arrangierte Selbstanalyse, deren persönlicher Charme ihre gesellschaftspolitische Relevanz verstärkt.
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Workingman’s Death ■ (Michael Glawogger, 2005) — Glawogger spürt dem Verbleib körperlicher Schwerstarbeit in fünf Episoden nach: Der knochenharte Arbeitsalltag von Minenarbeitern in der Ukraine oder Schlächtern in Nigeria geht in imposanten Bildkompositionen auf, die durchwegs erschüttern und faszinieren.
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Universalove ■ (Thomas Woschitz, Naked Lunch, 2008) — In Einklang mit dem Sound von Naked Lunch inszeniert Nachwuchsregisseur Woschitz einen intensiven Episodenfilm rund um den Erdball. Schwierige (Liebes-)Beziehungen von Tokyo bis Rio werden in eindrückliche Bilder und Songfetzen gefangen.
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Import Export ■ (Ulrich Seidl, 2007) — Optimismus schaut anders aus, aber in seinem berührenden zweiten Spielfilm gesteht Ulrich Seidl seinen Hauptfiguren erstaunliche Handlungsmacht zu. Zwei ziehen in die Welt hinaus, finden Europa und gehen trotzdem nicht kaputt.
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Richtung Zukunft durch die Nacht ■ (Jörg Kalt, 2002) — Der beste und irrwitzigste Film des 2007 verstorbenen Regisseurs Jörg Kalt und die einzige gelungene romantische Komödie der Dekade: Boy meets Girl, man verliebt sich und trennt sich wieder. Und dann dreht Nick im Liebeskummer die Zeit um, und seine Romanze mit Anna läuft im Rückwärtsgang noch einmal an ihm vorüber.
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Das Vaterspiel ■ (Michael Glawogger, 2009) — Politikersohn Ratz wird von einer Freundin gebeten das Haus umzubauen, in dem sich ihr Großvater, ein NS-Verbrecher, versteckt. Diese Josef Haslinger-Verfilmung interessiert, ohne Thrill erzeugen zu müssen, und ist formal ungewöhnlich gelöst, ohne dass man das Gefühl hat, es mit oberflächlichen Spielereien zu tun zu haben.
In drei Tagen bist du tot ■ (Andreas Prochaska, 2006) — Andreas Prochaskas Horrorthriller fuhr vor vier Jahren in viele Knochen ein. Mehr als 80.000 Kinobesucher waren für einen Slasher made in Austria eine Sensation. Sein mit Laiendarstellern gedrehter Film steht noch immer solitär in der heimischen Filmlandschaft herum.
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Die Klavierspielerin ■ (Michael Haneke, 2001) — Von Michael Haneke durchexerzierte Elfriede Jelinek-Verfilmung: Isabelle Huppert darf sich als manische Klavierautorität stückweise selbst zerstören und reißt alle blank inszenierten Schablonen, die Haneke um sie herum errichtet, eindrucksvoll mit sich.
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Der Knochenmann ■ (Wolfgang Murnberger, 2009) — Das gesamte Ensemble läuft bei dieser dritten Verfilmung eines Wolf Haas-Krimis zu Hochform auf. Viel mehr als für die Story um einen steirischen Wirtshausbesitzer interessiert sich der Film für die Figuren und für die einzelnen Situationen und Szenen. Streckenweise unpackbar lustig.
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Hotel ■ (Jessica Hausner, 2004) — Ein atemberaubendes Stillleben: Der Ausbildung wegen kommt Irene in ein österreichisches Waldhotel, der Sage nach gab es einst eine Hexe im Wald. Tourismusalltag und nicht enden wollenden Hotelkorridore kennen aber ihren ganz eigenen Grusel.
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Contact High ■ (Michael Glawogger, 2009) — Michael Ostrowski (Drehbuch und Hauptrolle) und unser Listenkaiser Glawogger (Regie und Drehbuch) arbeiten sich am kinematographisch-komödiantischen Potenzial des Drogenrauschs ab. Die Wiedergeburt der Louis de Funès-Klamotte als LSD-Trip, bestechend blöd.
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Silentium ■ (Wolfgang Murnberger, 2004) — Murnbergers drei Wolf Haas-Verfilmungen heben sich von vielen selbstmitleidigen, langatmigen oder einfach nur unlustigen Filmen hierzulande ab. Wie »Komm, Süßer Tod« und »Der Knochenmann« lebt auch »Silentium« wesentlich von Hauptdarsteller und Ko-Autor Josef Hader, der sich zu einem von Österreichs besten Filmschauspielern entwickelt hat. »Silentium« funktioniert als spannender Film Noir samt Autoverfolgungsjagd im Parkhaus. Als angriffslustigster Film in der Reihe pisst er außerdem österreichische Institutionen wie Hochkultur-Adel und katholische Kirche an.
Böse Zellen ■ (Barbara Albert, 2003) — Einsamkeit und emotionale Abhängigkeit vereint die Hauptfiguren in Barbara Alberts zweitem Langspielfilm nach »Nordrand«. Der tödliche Autounfall der jungen Mutter und Ehefrau Manu setzt eine Kette von Ereignissen in Gang, die Menschen in Manus Umfeld nachhaltig beeinflusst. In einem an Chaos theorie und Familienaufstellung orientierten Erzählnetz lässt die Regisseurin ihre Figuren eigensinnige, oftmals undurchsichtige Wege gehen. Atmosphärisch dicht und bewegend.
Ausführlichere Filmtexte und Einzellisten
sind auf www.thegap.at nachzulesen.
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Revanche ■■■ (Götz Spielmann, 2008) — Johannes Krisch ist Alex und der hält seinen Kopf hin für das kleine Glück und für einen großen österreichischen Film. Sinnbildlich ist die Stirn von Hauptdarsteller Krisch auch das Poster von »Revanche«, und die größte Leistung dieses oscarnominierten Dramas liegt tatsächlich in der Präsenz seiner Darsteller: eine fantastische Ursula Strauss als unfreiwillige Femme fatale, ein selbstzersetzender Andreas Lust. Wie Spielmann mit ihnen über Vergeltung, Flucht und Sehnsucht nachsinnt, ohne dabei den Suspense aus dem Fokus zu verlieren, das ist so nahe an glaubhafter Epik wie kaum ein österreichischer Film. ¶
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► Bl ac k B row n W h i t e ► Erwin Wagenhofers Spielfilmdebüt
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roadmovie-welterklärungen Mit »We Feed The World« und »Let’s Make Money« hat sich Erwin Wagenhofer zum Welterklärer des heimischen Kino-Dokumentarfilms gemausert. »Black Brown White« ist sein Spielfilmdebüt – der gesellschaftskritische Blick bleibt.
Die Dreharbeiten für »Black Brown White« unter der Südosttangente.
Der Trucker Don Pedro (Fritz Karl) und sein Kollege Jimmy (Karl Markovics) betreiben ein lukratives Geschäft mit Menschenschmuggel. Während der im Rollstuhl sitzende Jimmy vom Büro aus agiert, erledigt Don Pedro, eigentlich Peter, den riskanten Part. Regelmäßig fährt er mit seinem LKW, beladen mit mehreren Tonnen Knoblauch, nach Marokko. Zurück kehrt er mit wesentlich heiklerer Fracht. Hinter dem Gemüse, in einem schmalen Hohlraum, versteckt er Flüchtlinge. Unter hohem Risiko befördert er sie über die spanische Grenze nach Europa, vorbei an Zollbeamten und Polizei. Als die junge Frau Jackie mit ihrem Sohn auftaucht und sich weigert, wie die anderen Flüchtlinge in den hinteren Teil des LKWs zu klettern, nimmt Don Pedro die beiden schließlich zu sich in die Fahrerkabine. Damit sind die Probleme vorprogrammiert.
Von allen Seiten
In »We Feed The World« sind es, wenn es um Verteilungsgerechtigkeit geht, Großkonzerne wie Nestlé, die an den Pranger gestellt werden. In »Let’s Make Money« bekommen Investmentgroßanleger ihr Fett ab. Für seine vereinfachten Darstellungen hat Wagenhofer nicht nur viel Lob, sondern auch Kritik ernten müssen. In »Black Brown White« behält der Regisseur stattdessen den Fokus dicht an seinen Protagonisten, ohne das Umfeld näher auszuleuchten. Die Ungerechtigkeit wird ausschließlich anhand des gezeigten Leids seiner Charaktere sichtbar. Wer daran Schuld hat, muss der Zuseher hier für sich entscheiden. Den Schlepper selbst, er ist ja nur ein kleines Rädchen im Getriebe, beleuchtet Wagenhofer von allen Seiten und streicht dabei auch dessen ehrenhaften Züge hervor. Sogar Jackie fühlt sich im Laufe des Films zunehmend zu Don Pedro hingezogen. Bis sich die Situation zuspitzt und er gezwungen ist, nicht mehr menschlich, sondern rational zu handeln. Beinahe wäre er sogar als passabler Held der Geschichte durchgegangen, doch ganz so simpel läuft die Story bei Wagenhofer dann doch nicht. Gut für den Film, denn der Regisseur zieht hier rechtzeitig die Bremse und bewahrt sich die komplexe Thematik, statt in eine seichte Beziehungskiste zu rasen. Während des Roadtrips durch Spanien tauchen altbekannTEXT Jan Hestmann te Orte auf, von Kameramann Martin Gschlacht (»Lourdes«, BILD Filmladen »Revanche«) imposant in Szene gesetzt. Die Reise führt vorbei an einer andalusischen Gewächshausanlage, wie wir sie schon aus »We Feed The World« kennen – da, wo hauptsächlich nord afrikanische Arbeitskräfte ohne Papiere beschäftigt sind. Als Nächstes hält der Truck in einer weißen Geisterstadt in Spanien: Seit »Let’s Make Money« wissen wir, dass diese unbewohnten Siedlungen lediglich eifrigen Spekulanten als Wertzuwachs dieenn man den Namen Erwin Wagenhofer hört, ist die nen. Diese Verknüpfungen machen einen der interessantesten Verbindung zur Kino-Doku Marke Österreich schnell gemacht. Aspekte von »Black Brown White« aus – zumindest für Kenner Stets kritisch hat er das Publikum – dem großen Erfolg sei der Dokus. Dass man möglichst viel hineinpacken wollte, hat Dank – auch weit über die nationalen Grenzen hinaus eindring- aber leider auch negative Auswirkungen. An manchen Stellen lich belehrt. In »We Feed The World« (2005) führt er uns den hätte eine Kürzung nicht geschadet, um die Spannung durchverschwenderischen Umgang unserer Gesellschaft mit Lebens- gängig aufrecht zu erhalten. Umso abrupter kommt dafür das mitteln vor Augen. Drei Jahre später rechnet er in »Let’s Make Ende und macht die ein oder andere Länge wieder einigermaßen Money« mit der Bereicherung Weniger auf Kosten der Armen ab. wett. Insgesamt ist Wagenhofer ein passables Debüt gelungen, Sein aktueller Film »Black Brown White« handelt von Schlep- mit dem er sich thematisch treu geblieben ist. Es bleibt dabei: pern, die Flüchtlinge von Marokko nach Europa schleusen. Wo Wagenhofer drauf steht, ist Wagenhofer drin. Das kann man Dieses Mal ist dabei aber ein Spielfilm herausgekommen. Neue nun bewerten, wie man will. ¶ Gewässer für Wagenhofer, thematisch bleibt er sich treu – der Film orientiert sich hart an der Realität. »Black Brown White« startet am 18. Februar im Kino. AU S GA B E 1 1 3 / 0 3 3 ◄
VICESTYLE.COM
Photo by RJ Shaughnessy
► To r o Y Mo i ► Emanzipation von Chillwave
TEXT KLAUS BUCHHOLZ BILD Bryan Bush
die angesagteste muschel am ohr Mit dem zweiten Album »Underneath The Pine« verabschiedet sich Gallionsfigur Toro Y Moi von seinem gefeierten Genre Chillwave. Das glorreiche Ende eines rauschenden Sommermärchens. Im Sommer 2009 war es wieder soweit, Urknallstimmung im Popkultur-Universum. Chillwave? Ja, Chillwave! Wer war zuerst da, Hype oder Blog-Eintrag? Den überlieferten Schöpfungsmythen zufolge war es ein Blogger namens Carles (hipsterrunoff.com), der als erster Bands wie Neon Indian, Washed Out, Memory Tapes, Small Black oder Toro Y Moi unter dem Genrenamen Chillwave zusammenfasste und damit das Phänomen begründete. Der Begriff meint einen psychedelisch rauschenden Sound, der sich aus effektlastigem (Loops, Reverbs, Microsampling, Filter) 80er Synth-Pop, HipHop, Ambient, Shoegaze und sanften Disco-Anleihen zusammensetzt. Doch abseits der Blogosphäre gab es keinen wirklichen regionalen Knotenpunkt einer Szene, keine gemeinsame Geisteshaltung und zum Teil bildeten nur einzelne Songs gemeinsame Nenner. Vereinzelte Künstler fühlten sich falsch etikettiert, doch mit zunehmender Aufmerksamkeit und gestiegenen Bookings ging die Kritik bald im eigenen Rauschen unter. Etwas verspätet erreichten die neuen Lo-Fi-Laptop-Melancholiker mit ihren Ausdifferenzierungen Richtung Club oder Gitarrensounds dann auch Europa. So versuchte etwa das Berliner Label !K7 im vergangenen Winter eine Auswahl populärer Chillwaver auf »F*>k Dance, Let’s Art« nachträglich zusammenzufassen. Mit »Sounds From A New American Underground« verzichtete die Compilation gleich auf ambivalente Begriffsklärungen. Schließlich waren in der Zwischenzeit bereits düstere Subgenres wie Witch House an den Rändern von Chillwave entstanden, die ähnliche Wellen schlugen und ebenso auf den Sampler mussten. Während sich das Phänomen Chillwave also seinem internationalen Höhepunkt näherte, fiel in der breiten Rezeption vor allem ein Name immer wieder positiv auf: Toro Y Moi. Besonders tanzbare Pop-Harmonien verschafften Vorsprung und Massentauglichkeit.
Jenseits des Wellenbrechens
Chaz Bundick aus South Carolina ist Anfang 20, studierter von Horror-Soundtracks inspiriertem »Underneath The Pine« Grafiker und als Toro Y Moi die Speerspitze des verblassenden auch wirklich: Das schwammige Rauschen ist einem klaren Phänomens Chillwave. Seine Karriere begann damit, Songs an Brodeln gewichen, fragile Disco-Anleihen wurden von psycheBlogs zu verschicken, kurz darauf wurde sein Album »Causers delischen Funk-Harmonien und handfester Space Disco ersetzt, Of This« schon vom britischen NME als »Masterpiece« gefeiert. aus Tracks wurden Songs. Selbstbewusst mit Instrumenten im Bald fand sich Chaz auf Festivalbühnen und gemeinsamer Tour Rücken, singt Toro Y Moi nun kleine Dream-Pop-Hymnen, die mit Caribou wieder. Dank sachter Disco-House-Verweise blieben immer noch verspielt, jedoch deutlich unterscheidbarer und ausdie Melodien seines smarten Debüts dauerhaft in Erinnerung. gereifter sein wollen. Toro Y Moi klingt damit immer noch auBesonders mit seinem verträumten und splittrigem R’n’B-Rau- ßergewöhnlich, hat aber kaum mehr was mit echtem Chillwave schen klang Toro Yo Moi bis zuletzt wie die sprichwörtliche Mu- zu tun. Aber das ist 2011 – Stichwort: Post-Chillwave – ohnehin ¶ schel am Ohr. Seine Tanzbodenaffinität gliederte er indes auf das schon Schall von vorgestern. Projekt Les Sins aus, wo er mit mit Dance-Pop, Italo Disco und House experimentiert. Album zwei von Toro Y Moi ist der nächste Schritt zur Ausdifferenzierung seiner Musik und seines Gen- »Underneath The Pine« erscheint am 22. Februar via res Chillwave. Im Vorfeld meinte Chaz, dass sein Songwriting Carpark Records. Die 12" »Lina« von Les Sins ist dort hier viel geradliniger ausfallen würde und das hört man bei dem bereits erschienen. AU S GA B E 1 1 3 / 0 3 5 ◄
► jam es b l a k e ► Das Hype-Album dieser Wochen zeigt, wo die Musik herkommt
die intimität des labors Ein Blick ins Wesen des Künstlers: Eine schon seit fühlbaren BlogEwigkeiten zur Sensation des ersten Jahresdrittels hochposaunierte Platte findet ihren Triumph in Reduktion und Intimität. TEXT Philipp L’Heritier BILD Atlas / Universal
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enn dieser Tage James Blakes selbstbetiteltes Debütalbum erscheint, wird der weite, leere Klangraum, die darin minutiös, fast schon pedantisch im Schwebezustand hineingehangenen Sounds und Töne, die maßgeblich die Essenz dieser Platte bestimmen, für Eingeweihte keine Überraschung mehr sein. Kaum eine Neuerscheinung dieses noch jungen Jahres ist im Vorfeld von derlei Getöse und Blog-Lärm begleitet worden. Am 20. Dezember 2010 wurden erste Details veröffentlicht ‒ Artwork, Tracklist, Erscheinungstag ‒, einen Tag später war »James Blake« bereits im Netz geleakt. In der Person und dem Output des 21-jährigen Produzenten-Wunderkinds aus London lässt sich wieder einmal scheinbar alles mit allem arrangieren: Wirkungsweisen, Styles, Soundreservate ‒ ohne dabei nach groß angelegtem Projekt oder bemühtem Konstrukt zu riechen.
Durch die Mangel der Zukunftsvision
Sieht so der Konsens-Act 2011 aus? Der Brite James Blake ist erst 22 Jahre alt, aber bereits gestandener Komponist und Musik-Hype der Stunde.
Nach seiner ersten, zwar wohlwollend, jedoch noch nicht so Albums. Blake hat jetzt aber nicht endlose Schichten Genialisensationsheischend begrüßten EP »Air & Lack Thereof« aus tät und Eklektizismus in sein Werk gegossen, sondern aus den dem Jahr 2009 veröffentlichte Blake 2010 drei brillante EPs, die Bestandteilen Stimme, Klavier und rudimentäre Elektronik eine jeweils unterschiedliches Terrain bearbeiteten und so ein Künst- vermeintlich karge Platte arrangiert. Elf Stücke in gerade einmal lersubjekt skizzierten, das mühelos verschiedenstes Schnitz- 36 Minuten, schon rein vom formalen Aspekt her hat Blake ein werkzeug zur Disposition zu haben schien: »The Bell Sketch« traditionelles Album aufgenommen, dem die Opulenzen so ziemwar noch deutlich in Dubstep oder, wenn man so will, Post- lich aller Dance-, R’n’B- oder HipHop-Alben fremd scheinen. Dubstep verankert, den Territorien, die für gewöhnlich als Blakes Vorbildfunktion hatten hier laut Blake selbst seine Landsleute Heimat wahrgenommen werden. Die hier zu vernehmenden von The XX, die 2009 ebenfalls aus den Überresten britischer Sounds waren dabei schon unerhört verpitcht, manipuliert und Bassmusik und dem Wunsch nach großem Songwriting ein durch die Mangel der Zukunftsvision gedreht. Auf »CYMK« de- sprödes Meisterwerk entwickelten. kontextualisierte Blake digitalen R’n’B, namentlich Samples von Kelis und Aliyah, die bislang letzte, »Klavierwerke« betitelte EP Perfekt Ausgemessene Illusion baute aus Fragmenten von Blakes Stimme, Bruchstücken von Die Platte ist wie ein atmendes Zimmer ‒ wir hören das Piano und einigen wenigen, höchst präzise gesetzten Sounds – Knacksen und das Rauschen, die Einstellung des Mikrofons, hier eine Snare, da ein trockenes Händeklatschen ‒ mit sehr viel der Bass scheint, eingeschnürt in eine Matratze, im Keller aufStille und Pause eine berauschend wabernde Geistermusik. genommen worden zu sein. Blake zeigt uns die Kabel und die »James Blake« von James Blake ist nun weder Verweigerung Schaltkreise und das Vibrieren der Luft, hier entsteht eine eleknoch radikale Abkehr von seinem noch jungen Frühwerk. Seine tronische Gospel-Musik, die näher dran ist an Großtaten von Coverversion von »Limit To Your Love« der kanadischen Sänge- Erykah Badu oder D’Angelo als an den pompösen Gewittern von rin und Songwriterin Leslie Feist zeichnete Ende 2010, als Single Burial. Es gilt hier Songs zu erfahren, die Ahnungen von Folk in erschienen, schon den Weg vor und steht nun im Zentrum des Beat-Musik übertragen oder ‒ andersrum gedacht ‒ R’n’B in
37 Richtung Kammermusik entschlacken, und zu großen Teilen von der Illusion zehren, man befände sich als Hörer direkt im Proberaum. Freilich aber hat man es mit einer Intimität zu tun, die unter Labor-Bedingungen entstanden ist. Ein perfekt ausgemessenes Konstrukt, in dem Sound und Song ideal zusammenfallen, eine Preziose des Klangdesigns ‒ wie mühsam es wohl gewesen sein muss, all das zu generieren, was es hier nicht zu hören gibt, kann man nur erahnen. Blake ist mit Soul, Gospel, R’n’B und Jazz aufgewachsen und hat das Klavier ausgiebig trainiert. Er singe nun mal gerne, kann man ihn in Interviews sagen hören. Vergangenes Jahr habe er eben Lust dazu gehabt, ein paar Dubstep-Tracks zu veröffentlichen, sein Debüt-Album hätte er aber schon immer als Pianoplus-Vocals-Platte angedacht gehabt. Bis auf Weiteres wird auf der Bühne auch kein Laptop zu entdecken sein, jedenfalls nicht zur Klangerzeugung. In den Interviews kündigte er auch an, dass seine Konzerte gegenwärtig und wohl auch, wenn es nach ihm geht, in näherer Zukunft allesamt zu 100 Prozent live abgewickelt werden sollen. Einen Vorgeschmack, wie der junge Mann sich die konzertante Darbietung seines Materials vorstellt, kann man schon jetzt in einem YouTube-Clip der Live-Performance von »The Wilhelm Scream« für BBC Radio One erleben:
Der Künstler selbst an einem Prophet-Synthesizer sitzend, vor einem Mikrofon, in das mit souligem Schmelz seine Stimme hineinvibriert. Begleitet von zwei Freunden – einer an Gitarre und Sampler, der andere am minimalistischsten Schlagzeug-Set-up, das die Welt je gesehen hat. Das Licht ist gedimmt, hinten links steht ein Flügel. James Blake zeigt, wo die Musik herkommt. Der Mann kann singen und er sagt »Unmittelbarkeit«. ¶
»James Blake« von James Blake erscheint am 07. Februar auf seinem eigenen Label Atlas (Universal). Tourdaten, Hörproben und Information unter jamesblakemusic.com AU S GA B E 1 1 3 / 0 3 7 ◄
► Neu e Tön e : C loud Mus i c ► Nachwuchs-Hoffnung 2011: Spotify / Simfy / Mspot / Qriocity
graue wolken Das große Schlagwort bei Europas größter Zusammenkunft der Musikbranche – der Midem in Cannes – war Cloud. Vom Leben und Sterben der Musik in der Wolke. as Urheberrecht ist ein historischer Irrtum Ursuppe auf dem Rechner liegen, wo man sie mühsam für jedes inmitten von Jahrtausenden künstlerischer Abspielmedium eigens synchronisieren muss, sondern wie von Freiheit und die Musikindustrie soll sterben.« Zauberhand zuhause und unterwegs auf verschiedenen Geräten Auch solche Statements konnte man bei der wie Laptop, Autoradio, Tablet oder Handy auftauchen. Unsere Midem hören, doch der überwiegende Teil der elektronischen Begleiter werden bald durchgehend mit dem Netz 6.000 Messebesucher versucht innerhalb der verbunden und App-ifiziert sein. So soll die Cloud Music erstIndustrie, den Musikmarkt zu bewegen – selbst wenn den Mu- mals Realität werden. sikprofessionellen schon länger die Zukunft unter den Fingern Eigentlich war ja bereits vor Jahren die Rede von der himmzerrinnt. Seit dem Napster-Desaster keimte in der Branche jedes lischen Jukebox, die das Streamen auf Wunsch möglich machen Jahr neue Hoffnung auf, dass das kommende Jahr nicht ganz so soll. Doch einige der größten Anstrengungen sind gescheitert: schlimm werden würde wie das vergangene. Mal waren es die Nokias Comes With Music wird beinahe vollständig eingestellt, sozialen Netzwerke, dann Musik am Handy, iTunes, werbefinan- das britische Sky Songs ebenfalls. Und MySpace ist schon länzierte Plattformen, einfachere Lizenzen, dann wieder Monetari- ger nicht viel mehr als ein toter Haufen Sound-Sprühnebel. Die sierung durch Remix-Wettbewerbe, Bonustracks, limitierte CD- Gründe dafür sind vielfältig. Denn bei allen Anbietern gab es Editionen und erhöhte Umsatzbeteiligung bei Live-Konzerten. Einschränkungen, die das Musikhören verkomplizierten: Diverse Immer neue Rettungsfloße der Musikindustrie stechen seit Jah- große wie kleine Bands waren nicht verfügbar, man musste mit ren in See – und regelmäßig saufen sie ab. 2011 soll also das Jahr dem Netz verbunden sein oder die Musik funktionierte nur auf der Cloud Services werden. Alle bauen gemeinsam daran: Google, dem Handy, aber sonst nirgends. Und wenn man das Service Apple, die Mobilfunker und die Majors. kündigte, waren nicht nur der Zugang, sondern alle persönlichen Anstrengungen verschwunden.
Himmlische Jukebox
Die Idee: Musik schwebt in einer großen Wolke. So wie auf YouTube mittlerweile eine schier unübersehbare Fülle an TVBeiträgen, Kinofilmen und Musikclips abrufbar ist, soll man in der Cloud auf das komplette Musikuniversum zugreifen können. Und das überall und jederzeit. Klingt soweit fantastisch, war nur so bisher nicht umsetzbar – vor allem wegen der ungeklärten Rechtsfragen, aber auch, weil das technisch bisher nicht funktionierte. Mit der rasanten Verbreitung von Smartphones hat sich die Situation aber geändert. Musik soll nicht mehr nur als File-
Marktmacht und Reichweite
Nun unternimmt Sony mit Qriocity den Versuch, ein neues Cloud-Service zu etablieren. Der erste Eindruck: fad. Auf der Sony Playstation oder einem Sony Bravia-Fernseher wirkt es eher wie eine verwaschene Version von Last.fm – dabei fehlen sogar dessen beste Funktionen, die Artist-Radio-Stationen und User-Library-Radio-Stationen. Nach Genres, nach Stimmungen und nach Jahrzehnten kann man die Musik gerade noch filtern. Es gibt einen Like-Button. Und in der Premium-Version kann
man sich selbst Playlists zusammenbauen. Aber alles andere: Fehlanzeige. Qriocity ist aber vorerst gar nicht das Service für die digitalen Eingeborenen gedacht, es soll ältere Leute, die Musik immer noch nicht digital hören, überzeugen, soll einfach bedienbar, einfach durchschaubar sein. Alle wirklich wichtigen Features kommen später. Die da wären: seinem sozialen Netzwerk mitteilen, welche Musik man mag, auf dem Handy jederzeit verfügbar sein, auch offline verfügbar sein. Eines der erfolgreichsten Cloud-Services weltweit – YouTube – kann schließlich fast überall per Code eingebettet werden, Soundcloud ebenfalls. Dadurch schießen Videos und Tracks wie ein Virus durch das Netz. Ohne dieser Funktion bleibt Qriocity eine sehr einseitige Angelegenheit mit wenig spielerischen Freiheiten. Stattdessen setzt Sony auf bisher unerreichte Marktmacht und Reichweite. Kein anderes Service kann so schnell auf derart vielen Geräten unter die Leute gebracht werden. Mit den interessanteren Features will sich Sony dafür erst im nächsten Schritt auseinandersetzen. Google und Apple sind noch nicht einmal so weit. Spotify oder Simfy allerdings sehr wohl.
Zugang ist alles
Spotify und Simfy gibt es sowohl am Desktop wie auch am Smartphone, Teile davon gratis, durch Werbung finanziert, andere Teile nur im bezahlten Abo. Weil es aber so etwas wie eine Lizenz für globale Nutzung von Musik nicht gibt und die Situation in großen Ländern wie Deutschland und den USA besonders schwierig ist, sind beide bisher nur in sehr wenigen Ländern erhältlich, jedenfalls nicht in Österreich – so wie übrigens auch Sonys Qriocity. YouTube verfolgte in seinen Anfängen einen ganz anderen Weg: Man nutzte rechtliche Grauzonen, stellte geschütztes Material erst einmal online, expandierte und erst nachher wurde verhandelt, ob und wie viel Profit Labels und Bands davon haben sollten. Genau das wurde aber jetzt bei einer Podiumsdiskussion auf der Midem dem Musik-Streamer Mspot vorgeworfen, und das bleibt auch die größte Sorge, die zum Thema Cloud auf der Midem geäußert wurde: Dass irgendwo in Russland oder Indien jemand einen Weg finden wird, die große Wolke anzuzapfen, bevor es ein funktionierendes, legales Service gibt. Denn die Zwölfbis 15-Jährigen hören Musik heute fast nur noch auf dem Handy, und Zugang ist alles. Wenn es aber wieder nur ein Cloud-Napster, Cloud-eMule geben wird, bevor Apple, Google oder die großen Labels eine sinnvolle Alternative starten, dann wird die Industrie noch weiter schrumpfen – aber auch die auf die es ankommt, die Bands selbst, werden davon betroffen sein. Von Spotify, Simfy, YouTube oder Mspot bekommen sie ohnehin nur ein paar Groschen. Den Fans wiederum wird das herzlich egal sein. Die Wolke kommt so oder so. Ob sie hell oder dunkel schimmern wird, entscheidet sich im kommenden Jahr. ¶ Der Gründer und Geschäftsführer von Simfy, Christoph Lange, wird am 8. Februar bei den »Neue Töne Music Talks« in Wien über das Thema Urheberrecht/ Rights Management diskutieren.
Ausgewählte Cloud-Musik-Services www.qriocity.com www.spotify.com www.simfy.de www.mspot.com www.last.fm www.deezer.com www.youtube.com www.soundcloud.com www.myspace.com
TEXT STEFAN NIEDERWIESER
Neue Töne der Musikwirtschaft Die Musik ist im Umbruch. Die digitale Revolution hat keine Kunstform so erschüttert wie die Musik. CDs verstauben in den Regalen, im Gegenzug sind unsere Mobiltelefone voll mit Tracks. Werbung, Mode und Serien kaufen Musik an, im sozialen Web wird sie vervielfältigt, Festivals multiplizieren sich und ganze Städte entdecken Musik als Standortfaktor. Kurz: Die gesamte Wertschöpfungskette von Musik ist drunter und drüber. Das eröffnet viele Chancen für jene, die früh dran sind, für First Mover, für einfallsreiche Köpfe. Departure, die Kreativagentur der Stadt Wien, fördert die Wiener Kreativwirtschaft. Im Juni 2011 startet der Themencall »Focus Musik« unter dem Titel »Neue Töne der Musikwirtschaft«. Für innovative Projekte in der Musikwirtschaft steht eine Gesamtfördersumme von rund 800.000 Euro zur Verfügung. In Zusammenarbeit mit Departure und dem Musikwirtschaftsexperten Peter Tschmuck wird The Gap bis dahin neue Perspektiven der Musikwirtschaft beleuchten, erfolgreiche Projekte vorstellen, Entwicklungen aufzeigen. Außerdem wird es Diskussionen mit internationalen Experten im Wiener Mica geben. Das Ziel: möglichst gute und weitsichtige Einreichungen. Musik aus Österreich boomt, die Strukturen dafür sollen es auch. www.thegap.at / neuetoene www.departure.at AU S GA B E 1 1 3 / 0 3 9 ◄
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► Sau b e rm a nn- Po l i t i k ► Der Besen als politische Waffe 01
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kehrt aus! Der Besen ist nach wie vor in den meisten Haushalten in Verwendung. Die damit verbundene Tätigkeit des Fegens hat in der politischen Ikonografie ein äußerst einprägsames Bildmotiv hervorgebracht: der Besen als Symbol für den politischen Kehraus. it dem Besen befreien wir unsere Umgebung von Schmutz und Kehricht. Über diesen funktionalen Gebrauch hinaus haben sich im Laufe der Jahrhunderte verschiedene symbolische und affektbesetzte Umgangsweisen mit ihm verbunden. So hat der im Volksglauben verbreitete Hexenbesen die Dingbedeutsamkeit des Besens bis heute geprägt. Das Motiv des gesellschaftlichen Kehraus, in dem der Besen als politische Waffe dient, war im Rahmen der politischen Agitation des 19. und frühen 20. Jahrhunderts ein vielzitiertes Motiv der Bildpropaganda und unmittelbar verständlich als Aufforderung zum »Großreinemachen« im Staat. Aufgrund seiner besonderen Anschaulichkeit wurde er im politischen Machtkampf häufig verwendet – wie etwa auf einem 1905 von Albert Hahn gestalteten niederländischen Druck, auf dem ein überdimensionierter Arbeiter die Oberschicht fortfegt und damit seine politische Handlungsfähigkeit demonstriert (Abb. 1). Die Kehrenden erscheinen dabei meist in der Rolle von Giganten, die als übergroße Gestalten breitbeinig über einer Landkarte stehen und unerbittlich die zu Liliputanern geschrumpften Staaten und Menschen hinwegfegen. Obwohl der Besen als Waffe des politischen Haushalts auf solchen Bildern auch von weiblichen Personifikationen gelenkt werden kann, sind es doch bevorzugt Männergestalten, die den Kehraus im öffentlichen »Haushalt« vornehmen.
HeroISCHE Arbeiterschaft
Der ungarische Grafiker Mihály Biró – über den unlängst die Ausstellung »Pathos in Rot« im Wiener MAK zu sehen war – hat den Kehraus mehrfach für seine Plakate verwendet und in den Dienst seiner politischen Überzeugungen gestellt: Sein 1919 als Werbung für die ungarische »Ostzeitung« entstandenes Plakat zeigt einen überdimensionierten nackten Mann, der mit einem gewaltigen Besen einen Haufen kleinerer Figuren hinwegfegt
KOMMENTAR Sebastian Hackenschmidt
Abbildungen: 01 Albert Hahn: »Onder Zwart Régime« (Unter schwarzem Regime) Druck, Amsterdam, 1905 02 Mihály Biró: »Keleti Ujság« (Ostzeitung) Werbeplakat, Budapest, 1919 03 Michael Tscheremnych / Victor Deni: »Genosse Lenin säubert die Erde von Unrat« Plakat, Sowjetunion, 1920 04 Mihály Biró: »Kehrt aus! Wählt sozialdemokratisch« Wahlplakat, Wien, 1920 05 Victor Theodor Slama: »Wählt sozialdemokratisch!« Wahlplakat, Wien, 1930 06 Joseph Beuys: Uraufführung von Filmen von Klaus Peter Brehmer und Jürgen Böttcher über die Beuys-Aktion »Ausfegen« in Berlin am 1. Mai 1972 Filmplakat, Kunstverein Hannover, 1973 07 Gerald Scarfe: »The New Broom« Karikatur aus der Sunday Times, 2008 08 Arnold Schwarzenegger als Kandidat für das Amt des Gouverneurs von Kalifornien, 2003 09 BZÖ: »Wir säubern Graz!« Wahlplakat, Graz, 2007
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– Vertreter von Monarchie, Kirche, Großbürgertum und Groß- jedoch keineswegs von seinem Vorhaben abbringen zu lassen, den grundbesitz – und unter denen sich deutlich Kaiser Franz Joseph Augiasstall der überkommenen Habsburgermonarchie, die sich von Österreich, König von Ungarn, und sein Nachfolger Kaiser nach Kriegsende im Programm der konservativen Parteien fortKarl wahrnehmen lassen (Abb. 2). Das Plakat bringt die purga- zusetzen drohte, endgültig auszumisten. Der auskehrende Besen torische Funktion des Besens klar zum Ausdruck: Er dient als erwies sich als bildmächtiges Wahlkampfmotiv, das 1930 – nach schlagkräftige Waffe im Klassenkampf, als Werkzeug, mit dem zehn Jahren christlichsozialer Herrschaft in Österreich – auch sich der Staat vom gesellschaftlichen Übel befreien lässt. Geführt durch den Plakatkünstler Victor Theodor Slama nochmals für wird der Besen von einer nackten, muskulös-maskulinen Gestalt, eine sozialdemokratische Wahlwerbung verwendet wurde (Abb. in der sich die Darstellungsweisen der nackten Athleten und He- 5). Eine Fülle von Beispielen aus der jüngeren Geschichte, die von roen der Antike mit dem seit dem 19. Jahrhundert zunehmend der berühmten Aktion »Ausfegen« des Künstlers Joseph Beuys bildwürdigen Arbeiter verbinden und die als heroische Personi- 1972 in Berlin (Abb. 6) bis zu jüngsten politischen Karikaturen fizierung der Arbeiterschaft fungiert. Das Motiv des Kehraus (Abb. 7) reichen, belegt, dass sich Sach- und Symbolgeschichte war allerdings nicht nur auf das Umfeld der Arbeiterparteien des Besens im Motiv des Kehraus zu einer immer wieder aktubeschränkt: Auch wenn der Besen bevorzugt als Instrument des alisierbaren Bildformel verbunden haben. Auch »Gouvernator« Volkes diente, so konnte er ebenso von sozialistischer wie von fa- Arnold Schwarzenegger nahm 2003 den Besen in die Hand – »to schistischer Seite reklamiert werden. Zudem wurde er durchaus clean the house in Sacramento« – ohne Erfolg, wie sich nun heauch Herrschern in die Hand gegeben, die damit ihre außenpoli- rausgestellt hat (Abb. 8). tische Macht signalisierten, wie es auf einem russischen Plakat Allerdings bleibt über dieses Schlagbild der politischen Ikonovon 1920 der Fall war, auf dem Genosse Lenin die Erde von »Un- grafie kritisch anzumerken, dass es lediglich die Aufforderung rat« befreit (Abb. 3). zu einem gesellschaftlichen Eingriff oder Umbruch visualisiert, nicht aber die Vision für eine Gesellschaft nach dem »Kehraus« Bildmächtiges zum Ausdruck bringt: So kann dieses Bildmotiv eben auch leicht Wahlkampfmotiv auch für die geschichtsvergessenen, konkret fremdenfeindlichen Kurz nachdem Biró sich aus politischen Gründen gezwungen und menschenverachtenden Hetzkampagnen rechter Parteien sah, Ungarn zu verlassen und in Österreich Zuflucht zu suchen, instrumentalisiert werden – wie dies zuletzt etwa bei der Wahlentstand anlässlich der Nationalratswahlen im September 1920 kampagne der BZÖ anlässlich der Gemeinderatswahlen 2008 in ¶ ein weiteres Plakat, für das der Grafiker auf die Symbolik des Graz der Fall war (Abb. 9). Besens als Mittel zur gesellschaftlichen Neuordnung zurückgriff (Abb. 4): Vier Vertreter von Militär, Kirche, Großbürgertum und Großgrundbesitz versuchen den Riesen als Sinnbild der österreichischen Sozialdemokratie daran zu hindern, Waffen Sebastian Hackenschmidt ist Kustos für Möbel am MAK, Wien. und Kriegsgerät sowie die imperialen Insignien von Krone und Der Text basiert auf seinem Beitrag zum Ausstellungskatalog Thronsessel auszukehren. Der herkulische Arbeiter scheint sich »Mihály Biró – Pathos in Rot«, MAK, Wien, 2010. AU S GA B E 1 1 3 / 0 4 1 ◄
► NEWSGRAPE ► Ein Wiener Start-up will ein YouTube für Texte entwickeln
TEXT JULIA KARZEL bild felipe kolm
schöne neue textwelt Eine Handvoll österreichischer Studenten möchte den Online-Journalismus verändern und damit das Internet neu aufmischen. In Kürze startet die BetaPhase für die ambitionierte Blogging-Plattform Newsgrape und klingt nach einer spannenden Angelegenheit. leich in ihrem ersten Image-Video reihen sich Felix Häusler (21) und Leo Fasbender (22) vorlaut in die Riege der medienrevolutionierenden Erfinder ganz vorne ein. Newsgrape heißt ihr Projekt, das eine neue Ordnung in die unüberschaubaren Möglichkeiten bringen will, seine Texte im World Wide Web zu verbreiten. Mit dem Web-Dienst soll eine zentrale Plattform geschaffen werden, auf der sowohl Leser als auch Verfasser auf direktem Weg zueinander finden. Das bedeutet Lesen und Recherchieren ohne lästiges Hin und Her zwischen unzähligen Tabs auf der einen Seite, unkompliziertes Veröffentlichen und größtmögliche Chance gelesen zu werden auf der anderen. Newsgrape ist also gewissermaßen eine Blogging-Plattform für Blogs. Nichts Neues? Abwarten. Bemerkenswert ist das gründlich durchdachte Konzept von Newsgrape auf jeden Fall. Nachdem die Entwickler bereits seit einem Jahr an dem Projekt tüfteln, wurde jedes einzelne Element der Webseite schon mehrfach durchleuchtet und überarbeitet. Das vorerst bescheidene Startkapital von 10.000 Euro, um die Webseite in einer Beta-Phase starten zu können, haben die Newsgrape-Gründer mithilfe der Crowdfunding-Plattform Kickstarter locker zusammenbekommen.
Struktur
Auf der Newsgrape-Startseite werden dem Besucher nach einem YouTube-ähnlichen Prinzip Texte von unterschiedlichen Verfassern vorgeschlagen. Vom privaten Blogger bis zum professionellen Online-Medium können alle ihre Artikel einstellen. In
einem leicht bedienbaren Interface lässt sich die Artikeldatenbank nach Suchwörtern, Charts, Genres und Tags durchsuchen. Neben der gängigen Kategorisierung kann der Leser dabei auch je nach Gemütsverfassung auswählen, ob es ihm gerade nach leicht verdaulichem oder anspruchsvollem Brainfood gelüstet. Zudem kann man festlegen, in welchen und wie vielen Sprachen man Themen vorgeschlagen bekommen möchte. Ein Herzstück der Seite ist E-Go, ein individueller Kanal, in dem man Autoren, Magazine und Newsfeeds abonnieren und diese in verschiedenen Abogruppen abspeichern kann. Das integrierte Microbloggingsystem Fast News ist vergleichbar mit Twitter und zeigt die aktuellsten Kurznachrichten je nach steigendem Interesse ‒ also je nach Klick ‒ an. Aber nicht nur für die Konsumenten, auch für die Schreiber bietet die Plattform so einiges an Anreiz. Anstatt mit seinen Texten in einem unübersichtlichen Meer von Inhalten und Blogs um Aufmerksamkeit zu buhlen und dabei auf wenig glanzvolle Weise im Datenstrom unterzugehen, soll auf Newsgrape jeder die Möglichkeit bekommen, eine große Leserschaft zu erreichen. Durch die Vielfalt des Angebots profitiert man als Autor von den Lesern anderer Blogs und kann auch gleich ein eigenes Onlinemagazin gründen ‒ virtuelle Redaktionskonferenzen inklusive. Ähnlich wie auf YouTube werden die Content-Anbieter am Umsatz beteiligt: Bis zu 75 Prozent der Werbeeinnahmen sollen an erfolgreiche Autoren ausgezahlt werden – so lautet zumindest der Plan. Der wirkt aber noch etwas unausgegoren, da sich die Beteiligung an der Anzahl der Abonnenten errechnen soll, diese Zahl jedoch ziemlich leicht manipulierbar ist.
» Versucht erst mal mit einer Webseite in den Kinderschuhen rastlose Internet benutzer dazu zu überreden, die Sache noch ein zweites Mal zu besuchen. « Felix Häusler und Leo Fasbender wollen nicht in die DiasporaFalle tappen.
Resonanz
Zweifel
Die kommerziellen Medien zeigen sich noch zurückhaltend Damit sind wir beim umstrittensten Kritikpunkt der Newsgegenüber der geplanten Plattform. Newsgrape-Gründer Felix grape-Skeptiker angelangt: der Qualitätssicherung. Mit dem Häusler vermutet, die mangelnde Euphorie beruhe möglicher- leuchtenden Modell der Meinungsfreiheit vor Augen besteht imweise auch auf der Angst, Newsgrape könnte die eigene Online- mer auch die Gefahr des Totalchaos – jeder schreibt, aber nicht Berichterstattung konkurrenzieren. »Wir sind durch das Web jeder schreibt gleich gut. Deshalb hat das Entwicklerteam einen mit einer neuen Form des Publizierens konfrontiert – das betrifft intelligenten Algorithmus namens Newsrank ausgetüftelt, der natürlich vor allem den Journalismus. Newsgrape ist aber kein die Artikel nach Qualität bewerten soll. Dabei zählt nicht clevere Medienkannibale. Eine Zusammenarbeit mit den großen Me- Suchmaschinenoptimierung, sondern eine Qualitätsbeurteilung dienhäusern ist geplant«, erklärt er. Tageszeitungen, Magazine, des Texts, kombiniert aus Semantik, Klickraten, Leserverhalten TV-Sender können Appetizer auf Newsgrape veröffentlichen und Kommentaren. Klar ist mit dieser Erklärung des Algorithund mit Links auf ihre eigene Webseite verweisen, so die Theo- mus aber eher wenig. Schon die allgemein schwammige Definitirie. Dass Newsgrape aber nicht nach dem Prinzip »Journalisten on des Begriffs »Qualität« macht die Funktionsweise eines solschreiben, Leser konsumieren« funktioniert, ist ihm wichtig: chen Rankings eher kryptisch. Wenn die Meinung eines Autors Jeder soll schreiben, kommentieren, mitmischen können – eine vielen Lesern widerspricht, wird sein Artikel dadurch schlecht demokratische Idealvorstellung. bewertet? Können gute Semantik und die bei einem provokativen Der Raum für Meinungs- und Redefreiheit, Diskurs und Thema naturgemäß hohe Klickrate die Flut an »Gefällt-MirTransparenz wird von den Machern groß und in Leuchtbuch- Nicht«-Kommentaren ausgleichen? Wird hingegen ein Artikel, staben geschrieben. Auf ihrer Website zeigen sie sich gegenüber der gut geschrieben und gut recherchiert ist, gut gerankt, obwohl Skeptikern betont aufgeschlossen und fordern Kritik geradezu er niemanden interessiert? Wie und ob dieses System funktioein, mit dem Versprechen, die besten Argumente plus Antwort zu niert, wird sich wohl erst in der Beta-Phase sagen lassen, wenn veröffentlichen. Damit zeigen die Newsgrape-Gründer auch eine sich eine gewisse Anzahl an Schreibern und Lesern auf Newsordentliche Portion Selbstsicherheit, aber die muss wohl Voraus- grape tummelt. setzung sein, will man mit Anfang 20 das Internet umkrempeln. Allen Zweifeln zum Trotz hat die Idee aber sicherlich genügend »Versucht erst mal mit einer Webseite in den Kinderschuhen Potenzial um Wellen zu schlagen, wie man am Erfolg des ersten rastlose Internetbenutzer dazu zu überreden, die Sache noch Fundraisings ersehen kann. Sollte das Konzept aufgehen, könnte ein zweites Mal zu besuchen«, ist einer der häufig geäußerten Newsgrape tatsächlich zu einem revolutionären neuen ContentZweifel. Zudem sei Newsgrape gefährdet, ein Sammelplatz für Sammelportal im Internet werden – der Idealismus, dieses Ziel PR-Blogger zu werden, die dort mit gezielten Werbetexten Mar- zu erreichen, ist bei den österreichischen Machern jedenfalls in ¶ ketinginteressen von Unternehmen verfolgen würden. Diese In- ausreichendem Maß vorhanden. strumentalisierung ihres Portals wollen Felix Häusler und Leo Auf www.newsgrape.com kann man sich als Beta-User anmelden. Fasbender aber weitestgehend unterbinden. AU S GA B E 1 1 3 / 0 4 3 ◄
► WO RTWECHSEL ► D igitale Medienkompetenz
DOKUMENTATION Johannes Piller & Maximilian Zeller
wie verändert die 24-stunden-u-bahn die clubkultur? Für Großstädter ist Mobilität ein wichtiger Wohlfühl-Faktor. Seit Anfang September 2010 gibt es in Wien die 24-Stunden-U-Bahn. Was bringt es den Nachtschwärmern und Clubgängern nun wirklich, wenn die U-Bahn an Freitagen, Samstagen und in den Nächten vor Feiertagen durchfährt? Welche Vor- oder Nachteile entstehen dadurch für Club-Betreiber und welche Auswirkungen hat die Nacht-U-Bahn auf den Verkehr und die unzähligen Taxiunternehmen Wiens?
S
eit 3. September 2010 fährt in Wien an Wochenenden und vor Feiertagen die Nacht-U-Bahn. Im 15-Minutentakt bringt sie Nachtschwärmer quer durch die Stadt an ihr Ziel. Die extra eingesetzten uniformierten Ordnungshüter sind schon wieder passé, von Übergriffen oder vermehrten Gewalt- und Drogendelikten wird nicht berichtet. Nur ein per Handy gefilmter Koitus sorgte in den Medien für kurze Erregung, großteils für Lacher. Die Nacht-U-Bahn bietet dabei nicht nur für Jugendliche einen Mehrwert, sondern auch für Club- und Barbetreiber. Glaubt man zumindest. Da die Besucher nun nicht mehr nach Betriebsschluss mit dem Taxi kommen, sollten sie auch mehr Bares haben, das sie in der Location ihres Vertrauens ausgeben können. Das wäre logisch. Dass Menschen nicht immer von Ratio getrieben werden, ist das andere. Lockten die Veranstalter bisher ihre Besucher mit ermäßigtem Eintritt vor Mitternacht, kommt es nun immer öfter vor, dass die Tanzflächen bis zwei Uhr Früh fast leer bleiben. Dafür geht es danach vor den Türen oft turbulent zur Sache, da sich das Vorglühen daheim um ein bis zwei Stunden verlängert und somit der Heiterkeitsspiegel und die Selbstüberschätzung der Besucher steigen. Ist der Rausch dann doch heftiger als geplant, bringt einen das Taxi doch noch am sichersten nach Hause. Aber reichen den Taxilenkern diese Einkünfte in Anbetracht etwaiger Gewinn einbußen? Auf jeden Fall ist die 24-StundenU-Bahn ein kleiner Schritt in Richtung internationaler Metropole. Die Eingewöhnungsphase ist bald vorbei, doch wie gravierend sind die Auswirkungen der Nacht-U-Bahn wirklich? ¶
»Aus betriebswirtschaftlicher Sicht zu hinterfragen.«
»Ein wesentlicher Schritt in Richtung Metropole!«
Anna Leiser
Die Einführung der Nacht-U-Bahn stellt einen kleinen, aber wesentlichen Schritt Wiens in Richtung europäischer Metropole dar. Wiens Partyszene wird in letzter Zeit nicht selten in einem Atemzug mit Städten wie Berlin genannt. Die anfängliche Befürchtung mancher Veranstalter, die Partys würden dadurch möglicherweise noch später beginnen, hat sich meiner Erfahrung nach nicht bewahrheitet. Diese schienen ohnehin schon längst unabhängig von den U-Bahn-Zeiten zu sein. ¶ Anna Leiser, 26, ist DJ, Musikerin und Veranstalterin (Resolut).
Christian Gerzabek
Die Mehrheit der Wiener Bevölkerung hat sich für die Verlängerung der Betriebszeiten der U-Bahnen am Wochenende ausgesprochen. Dieser Wunsch wurde umgesetzt. Für das Wiener Taxigewerbe bedeutet dies, dass das Fahrtenvolumen um rund zehn Prozent zurückgegangen ist – eine schmerzliche Auswirkung. Die Kunden, insbesonders junge Kunden, nutzen nun die freie Fahrt mit den U-Bahnen, wobei sich bei den Endstellen der U-Bahnen ein neuer Markt entwickelt. Wenn in einem Taxi vier Personen fahren und man den Fahrscheinpreis von Euro 1,80 pro Person (4 × Euro 1,80 = Euro 7,20) vergleicht, ergibt sich oft keine Ersparnis. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist zu hinterfragen, ob sich die Betriebszeitenverlängerung für die Wiener Linien und die Stadt Wien rechnet, oder die Steuerzahler die zusätzlichen Betriebskosten bezahlen müssen. ¶ Christian Gerzabek, 53, Kommerzialrat und Obmann der Fachgruppe für die Beförde rungsgewerbe mit PKW (Taxiinnung).
»Die 24-stundenU-bahn bringt’s.«
BILD wolfgang hoffer, WIRTSCHAFTSKAMMER WIEN, ANSWER LANG, Peter Nachtnebel, Chaloupka & Risser
Christine Chaloupka-Risser & Ralf Risser
»Die Nacht wird länger.«
Answer Lang
Es war klar, dass die Einführung der 24-Stunden-U-Bahn Auswirkungen auf die nächtliche Mobilität vor allem junger Leute haben würde. Mit dem dann erzielten Effekt hätte aber niemand gerechnet: Die Anzahl der Fahrgäste in den Öffis hat sich bereits an den ersten Wochenenden im Vergleich zu Nachtbus-Zeiten verdreifacht. In jeder Nacht vor einem Samstag, Sonntag oder Feiertag fahren jetzt im Schnitt über 40.000 Menschen mit der U-Bahn. Dieser enorme Anstieg an Fahrgästen zeigt zweierlei: Zum Einen ist man in der Nacht mit dem Viertelstunden-Intervall der U-Bahnen viel flexibler als man bei den halbstündlich verkehrenden Nachtbussen war; zum Zweiten bietet das U-Bahn-Netz bekannte Wege, also keine Umstellung auf ein im Kopf weniger verfestigtes Nachtbus-System. Es sind also nicht unbedingt mehr Menschen in der Nacht unterwegs, aber zwischen den Locations wird viel mehr geswitched. Das macht die Nacht in Wien in den Clubs und Bars und auch in den Öffis selbst um einiges lebendiger. In anderen Städten hat die Einführung der 24-Stunden-U-Bahn auch gezeigt, dass sich die Club- und Veranstalterszene umstellt. Partys und Konzerte fangen später an, die Nacht wird buchstäblich länger. Eine Entwicklung, die man für Wien für die nächsten Monate und Jahre auch erwarten kann. ¶ Answer Lang, 34, Kommunikationschef der Wiener Linien
Der 24-Stunden-Betrieb der Wiener Linien freut uns vom Fluc sehr. Das Plus an Lebendigkeit und Großstadtfeeling auf der Suche nach der besten Party, dem spannendsten Konzert oder der interessantesten Kunst-Performance in der Stadt kann von unserer Seite nur begrüßt werden. Fakt ist, dass die Leute an Wochenenden noch später kommen als bisher, dafür bleibt aber der Zustrom an Besuchern beständig über die ganze Nacht hindurch bestehen. Letztlich sind alle Veranstalter nunmehr noch mehr gefordert, den mobilen Partyhoppern Topacts und besten Sound zu bieten, um sie zum Verweilen zu bewegen. Dieses Bemühen und dieser damit einhergehende weitere Qualitätsschub in der Wiener Clubszene zeichnet sich meiner Meinung nach bereits ab und wird auch noch verstärkt zur Geltung kommen. Das Fluc als Location, die direkt an zwei U-Bahnen und der Schnellbahn liegt, hat mit dieser Zusatzleistung sicherlich gewonnen. Der nächste Schritt der Stadtregierung müsste jetzt sein, die rigide Sperrstundenregelung zu überdenken und schlussendlich ebenfalls zu liberalisieren. Die von oben verordnete 4.00 bzw. 6.00 Uhr Ausnahmegenehmigung erscheint unter diesen neuen Voraussetzungen wie ein Relikt aus den 50er Jahren. Wer A sagt, darf auch B sagen … ¶
Offenbar haben die Wiener Linien eine tatsächliche Bedarfslücke gefüllt, indem sie, den durchgehenden Betrieb auf den U-Bahnlinien von Freitag auf Sonntag und vor Feiertagen eingeführt haben. Am deutlichsten profitieren davon offensichtlich all jene Ausgehfreudige, die mit dieser Mobilitätsmöglichkeit ohne Parkplatzsorgen oder Bedenken in Bezug auf Verkehrstüchtigkeit für das Lenken von Kraftfahrzeugen ihre Locations anfahren können. Junge Leute sind »nachtaktiv«. Davon zeugen vielerlei Umfragen, die die Lebensweisen junger Menschen in Österreich genauer unter die Lupe nehmen. Laut Auskunft der Wiener Linien zählen immerhin 90% aller Fahrgäste am Wochenende zu den Ausgehfreudigen. Außerdem wird die U-Bahn von deutlich mehr Fahrgästen genützt, als man ursprünglich annahm – es sind etwa doppelt so viele wie erwartet! Kann man auch über die Altersgruppen noch nichts Genaues aussagen, da noch keine diesbezüglichen Statistiken vorliegen, so stellen doch die Erfahrungen von Taxifahrern und Klubbesitzern fest, dass die Passagiere vorwiegend der jüngeren Altersgruppe (bis ca. 25) angehören dürften. Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch die Vernetzung mit den Nachtbussen, vorausgesetzt, die Verbindung stimmt zeitlich. Da dürfte laut Auskunft von Jugendlichen noch einiges an Nachbesserung nötig sein. Derzeit gibt es noch keine repräsentativen Umfragen bei den jungen Nutzern der Nacht-U-Bahn, die über Einstellungen dazu Auskunft geben. Sieht man sich aber in den Chatrooms der Sozialen Netzwerke um und twittert ein wenig, dann bekommt man eine durchgehend positive Atmosphäre widergespiegelt. Einer Studie im Auftrag des Verkehrsministeriums ist zu entnehmen, dass sich junge Leute oft unter der Woche als »Beförderungsfall« bei den Öffis empfinden, etwa auf dem Weg zur Schule oder zur Lehre. Hier beim Nachtbetrieb, wo man mehrheitlich unter Peers in Ausgehlaune verkehrt, scheint dieses Empfinden nicht vorzuherrschen. Aggressionen oder Alkoholexzesse dürften keinen Platz im nächtlichen U-Bahngeschehen haben, davon zeugen Berichte der Wiener Linien, die in den vier Monaten seit Einführung des Betriebes noch kaum mit unangenehmen Vorfällen konfrontiert wurden – gute Laune steckt eben an. ¶
Martin Wagner, 41, Künstler, Kurator und Mitbegründer und -betreiber des Fluc und der Fluc_Wanne am Wiener Praterstern.
Christine Chaloupka-Risser, 54 und Ralf Risser, 62; FACTUM OHG, Verkehrspsychologen
»Der nächste Schritt müsste sein, die rigide Sperrstundenregelung zu überdenken.«
Martin Wagner
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► pr o sa ► Marlene Geselle: Das Buch der lebenden Toten
die zombies kommen Wenn die Untoten aufmarschieren, schrumpft die Dorfgemeinschaft. Der Rest verbarrikadiert sich, schießt auf alles was sich bewegt und wird trotzdem immer weniger. Als einziger Ausweg in der Aussichtslosigkeit bleibt da nur noch ein bombensicheres Grab. Eine Geschichte von Marlene Geselle. Urnen aus Stahl
Respekt hatte ich schon immer. Nie diese Angst, die lähmt, auch jetzt nicht. Das ist gut so, denn dieser Tag dürfte mein letzter sein. Wörtlich, nicht bildlich, da mache ich mir nichts vor. Als die ersten Berichte in den Medien erschienen, haben wir alle nur die Köpfe geschüttelt. Innenminister aus dem Schwäbischen sind bekanntlich eine Sorte für sich. Webcams gegen Terroristen, Rasterfahndung per Internet gegen Wirtschaftskriminalität – und jetzt auch noch Kasernierung verdächtiger Personen, um die Ausbreitung der ZombieSeuche zu verhindern. An jeder Landstraße, die sich in ein anderes Bundesland schlängelte, an jedem ehemaligen Zollhäuschen Richtung EU oder Schweiz sollten die Kontroll-Container aufgestellt werden. Wehe dem, der beim Anzünden eines Streichhölzchens die falschen Gesten machte oder unerwünschte Laute von sich gab! Die ersten Toten gab es bereits nach wenigen Stunden. Gegen die Beamten wurde ermittelt. Zu mehr als dem Anlegen einer Ermittlungsakte kam es nie. Aus verschiedenen Gründen.
Wanderer, der du ins Laucherttal kommst und darauf hoffst, dass sich diese Idylle als das neue Paradies erweist, lass dich warnen! Brave Bürger tun, was ihnen gesagt wird, machen sich zusätzlich schlau und gehen mit schwäbischem Fleiß und preußischer Gründlichkeit ans Werk. Die Bundesstraße abzusperren war eine Kleinigkeit. Die beiden Straßen, die von Ost nach West den Ort durchquerten, waren auch kein Problem. Es war Herbst,
Berichten erwiesen sich die Zombies als durchaus wasserfest und zeigten keine Scheu, den Fluss als Straßenersatz zu akzeptieren. Diejenigen unter uns, die vor wenigen Jahren erst Fantasiepreise für die Baugrundstücke an der Lauchert bezahlt hatten, errichteten nun Zäune und Mauern. Schwerbewaffnete zogen durch die Straßen und schossen auf jeden, den sie nicht kannten. Wir nahmen es sportlich. Nicht eine Strafanzeige gab es, obwohl der dicke Messhart oder die alte Sie kamen nicht des Nachts, wenn die Wöringer durchaus Grund gehabt hätten, meisten schliefen und etliche Männer und Frauen für unsere Sicherheit sorgten. den Schwiegersohn oder den streitsüchDie ersten Eindringlinge kamen an einem tigen Nachbarn von unserem Dorfsheriff in den provisorischen Knast stecken Dienstagvormittag. Fünf alte Weiblein, zu lassen. Wir hielten zusammen wie die die Lauchert entlang gingen, um den Pech und Schwefel und hofften, dass die Kirchweg abzukürzen, waren ihre ersten Gefahr bald gebannt sein würde. Die Opfer. Was man von ihnen fand, passte Chefs der einflussreichsten Clans in unbequem in einen einzigen Sarg. Die serer beschaulichen Stadt gelobten dem Kleiderfetzen, von unserem Dorfsheriff Allmächtigen, für die vierzehn Nothelfer nach bestem Wissen und Gewissen un– die bis dahin von den frommen Leuten tersucht, wiesen auf sechs Zombies hin: unserer Stadt schmählich vernachläsdrei verschiedene Männerschuhe, zwei sigt worden waren – eine eigene kleine unterschiedliche Blusenknöpfe, ziemlich Kirche zu bauen, wenn wir von weiteren altmodisch. Reste einer MädchenjaÜberfällen der Untoten verschont bleiben cke, mehrere Jahre alt, wie sich anhand würden. alter Versandhauskataloge herausstellte. Bemerkt hatte niemand etwas. Die Berufstätigen waren außer Haus, die Wanderer, ob du ein Navi benutzt oder eine Kinder in Schule oder Kita, die wenigen Straßenkarte, folge nicht blindlings jedem Hausfrauen daheim, wo sich von diesem Weg, der dir eine Abkürzung verspricht. Tag an jedermann einschloss. die Speisekammern und Vorratsscheunen waren randvoll. Mit der Außenwelt betrieben wir Tauschhandel wie anno dazumal, als die Pest die Stadt heimgesucht hatte. Waren auf die Straße legen, zwanzig Schritt zurückgehen. Dann wurden die Güter entgegengenommen, das Geld auf die Straße gelegt. Rückzug wie gehabt. Wanderer, der du zu uns kommst, misstraue einfachen Lösungen.
Wanderer, wenn du den Fluss siehst, wohin die Spuren der Täter führten, vergiss die Sache mit der reinigenden und erlösenden Kraft des Wassers. Von außen bekamen wir nur noch von den Medien Hilfe. Will sagen, wir waren auf uns alleine gestellt. Entgegen allen
Flüsterasphalt auf verschlungenen Kleinstadtstraßen ist eine Wohltat. Für jeden. Bis dahin hatten wir praktisch nichts gelernt. Von den außergewöhnlichen Sinnesleistungen der Zombies beim Riechen und Hören hatten wir zwar gehört, aber wir konnten sie uns nicht vorstellen. Was der Bauer nicht kennt, das isst er nicht nur nicht, er ignoriert
es. Bis zu jenem Mittwochabend, als die drei jüngsten Messhart-Männer Patrouillendienst hatten. Ansgar hörte plötzlich schlurfende Schritte, konnte aber im Gewirr der Gässchen zwischen Lauchert und Sägewerk keinen Fremden ausmachen. Torben schrie um Hilfe und rannte Richtung Holzlager, den scheinbar kürzesten Weg in die Sicherheit. Seine Brüder folgten ihm. Die Menschen hinter den verschlossenen Fenstern mussten mit ansehen, wie eine Prozession von schweigenden, schlurfenden Untoten den Fliehenden folgte. Einige Beherzte griffen zu ihren Jagdgewehren, trafen sogar. Leider nicht die Gehirne! Aber die Zombies ignorierten die Treffer und trieben ihre Opfer weiter Richtung Holzlager. Die Arbeiter im Sägewerk hatten es gerade noch geschafft, sich in der Sägemühle zu verbarrikadieren. Von ihnen erfuhren wir anderen später, wie ein zweiter Trupp Zombies, vom Bahndamm kommend, den Messhart-Männern entgegenschlurfte. Schlurfen, Grunzen, Schreien. Ein Knäuel von Leibern. Was von den Toten übrigblieb, hätte nur noch von Ameisen weiter abgenagt werden können. Keine Ahnung, wie Dorfsheriff und Heilpraktiker es geschafft haben, die Knochen so auseinander zu sortieren, dass man sie einigermaßen ordentlich bestatten konnte. Wir verbrannten die Toten hinter dem Sägewerk. Die Urnen aus Stahl wurden verschweißt. Hatten wir die ersten Opfer noch ganz normal auf dem Friedhof begraben, landeten diese Toten in einem drei Meter tiefen Schacht, der mit Beton ausgegossen wurde. Wanderer, wenn du zu uns kommst, schlucke deinen Zorn hinunter, egal wie brennend er ist und wie gerecht. Wir hatten einfach nicht mehr die Kraft, unseren eigenen Leuten die Ehre zu erweisen, die man selbst seinen Feinden erweist. Wir entsorgten unsere Freunde und Verwandten wie gefährlichen Müll. Spätestens jetzt waren wir nicht mehr die, die wir einmal gekannt hatten. Baulärm übertönt Schlurfen, besonders wenn der Feind schweigt. Eigentlich logisch, aber genau das hatten wir nicht bedacht. Es ging Schlag auf Schlag. Eine kleine Gruppe von höchstens sieben Zombies reichte aus, die Freiwilligen, die einen doppelt mannshohen Zaun entlang des Bahndamms ziehen sollten, zu überfallen und durch Bisse zu verletzen. Allen gelang die Flucht nach Hause. Kein Glück gehabt. Binnen zwölf Stunden war ein Drittel der Bevölkerung infiziert und machte sich ebenfalls daran, weitere Opfer aufzuspüren. Meine Schwester, mein Schwager, die beiden kleinen Mädchen … Ich lockte sie in den alten Werkstattraum, kletterte durchs Fenster. Mein
Bruder, bis dahin gut versteckt hinter einem Mauervorsprung, schloss unsere untoten Familienmitglieder ein, warf eine brennende Fackel in den Raum. Hackschnitzel für die Heizung, Waschbenzin und Lackreste tun auch dann ihre Pflicht, wenn die Leiber bereits seelenlos sind. Schreie vor Zorn, nicht nur von den Untoten. Gelöscht wurde das Haus, in dem die Hälfte meiner Familie geboren wurde, nicht. Wir ließen es brennen. Wanderer, wenn du siehst, wie die Überbleibsel deiner Feinde den Fluss hinuntertreiben, sei auf alles gefasst. Sie kamen Punkt zwölf Uhr. Wie eine Schlange aus eisernen Urweltmonstern kamen sie aus Ost und West, aus Nord und Süd. Sie hatten uns nicht vorgewarnt. Und wenn ich ehrlich bin, hätte ich das auch nicht getan. Es macht keinen Unterschied, ob man friendly fire in seinen Bericht schreibt oder Kollateralschäden bedauert. Für niemand. Panzer, bestückt mit Flammenwerfern, durchkämmen jetzt die Gassen, schießen in Brand, was sie nicht niederwalzen. Flucht? Das Tal ist sehr schmal, die Felswände ragen viel zu steil auf, um sich als Bergsteiger zu versuchen. Der Fluss ist um diese Jahreszeit viel zu seicht, um etwas anderes als das halbe Dutzend Kanus zu benutzen, die die einzige Attraktion für unsere wenigen Touristen darstellen. Ich bin allein. Wer von meiner Familie und meinen Freunden noch nicht verbrannt ist, der ist bei den Untoten. Ich wohne im kleinsten Haus unserer Straße, am Rande der Stadt. Hier findet nicht einmal das Navi hin. Das will ich ausnutzen. Wie lange ich noch bei Verstand sein und mein Tun lenken können werde, weiß ich nicht. Bei einigen dauerte es nur wenige Minuten, andere funktionierten noch etliche Stunden, ehe sie nicht mehr die waren, die wir kannten. Meine Papiere und den wenigen Schmuck, den ich besitze, packe ich schon jetzt in die feuerfeste Kiste. Ein heißes Schaumbad will ich mir noch gönnen, wenn ich hier fertig bin, und eine Flasche von dem Rotwein, der uns allen immer so gut geschmeckt hat.
ZUM BUCH Zombies sind schwer umzubringen. Auf Leinwänden und Mattscheiben, in Computerspielen und Büchern erfreuen sich die Untoten vor allem in Krisen- und Postkrisen-Zeiten großer Beliebtheit. Das nutzten die Macher der Netzzeitschrift »evolver.at« und riefen zu einem Zombie-Kurzgeschichten-Wettbewerb auf. Aus 249 Einsendungen filterte eine Jury 21 Storys, die Thomas Fröhlich und Peter Hiess nun als »Das Buch der lebenden Toten« (Evolver Books) als Anthologie (auch zum Downloaden) herausgeben. Darin zu finden: Einfallsreiche, stilistisch vielfältige Geschichten von Autoren (meist engagierte Hobby-Literaten) aller Altersklassen. Beiträge, die zu fesseln vermögen, aber auch mit einer kräftigen Portion Trash aufwarten können. Blutig, appetitverderbend oder schockierend staubtrocken, wie die hier abgedruckte von der 53-jährigen Marlene Geselle.
Wanderer, wenn du in den Resten meines Hauses wühlst, vergrabe meine Asche unter dem Holunderstrauch und bete für mich. AU S GA B E 1 1 3 / 0 4 7 ◄
Frenk Lebel, 44, Musiker
»Die Ruhe trägt am Besten.« Das nahm Frenk Lebel aus einigen Auftritten mit seinem aktuellen Soloprojekt »Poems.Contradictions« mit. Auch die Tätigkeit als Kindergärtner und die Zeit mit seiner Gruppe bestärkt die Beobachtung. Entspannt kann man einfach besser aufeinander zugehen und deshalb erwähnt er vor dem gemeinsamen Mittagessen noch: »Ich will, dass wir jetzt ruhiger werden. Das wird uns allen gut tun.« Die Reaktion der Kinder lässt Zustimmung vermuten. Jeder Kreationsprozess setzt voraus, dass man zur Ruhe kommt. So entstehen gute Gespräche bei Tisch und auch gute Songtexte. In den 90ern schrieb er sie für Play The Tracks Of, womit er sich gemeinsam mit Walter Möbius 1996 zum besten deutschen Popalbum – laut Rolling Stone – spielte. Gleichzeitig begleitet ihn auch die Arbeit mit Kindern seit seinem Pädagogikstudium. Die Musik ist ständig präsent – ohne die geht es nicht. Die beiden Lebensrealitäten vermischen sich und ergeben einen Erziehungsstil, mit dem das nähere Umfeld gut kann. Alle in der Gruppe haben mittlerweile eine Gitarre und präsentieren jede Woche neue Lieder. Die Texte sind meist Bestandsaufnahmen, wie man in der Welt steht. Die Musik begleitet den Alltag und Frenk bemerkt dazu – auch in Bezug auf die eigenen Songs: »Oft sehe ich, dass der Inhalt genau das ist, was ich brauche.« — www.frenklebel.com
FOTO Teresa Zötl — www.momentfang.com doku richard schwarz
Bettina Urban, 46, Restauratorin
Labor, Büro und Werkstatt vereinen sich zum Atelier von Bettina Urban. Auf ihrem Schreibtisch im Belvedere befinden sich Gutachten zum Erhaltungszustand von Gemälden und Skulpturen. In den Schränken daneben lagern Pulverchen und Flüssigkeiten mit Beschriftungen wie Hasenhautleim oder Lemon-Schellack. Und im Zentrum steht das Bildnis »Fritza Riedler (1906)« von Gustav Klimt, das wieder in altem Glanz erstrahlen soll. Jüngerer Staub, der sich mit dem Pinsel aufwirbeln lässt, wurde mit einem Kleinstaubsauger bereits entfernt. Da aber gilt, »jeder Staub ist Fett«, benötigt älterer Schmutz die human-enzymatische Reinigung. Schonend und reversibel, wie es der Berufsethos vorschreibt, wird dabei mit Enzymen, die sich auch im Speichel finden, die Schmutzschicht abgetragen. Die Fläche der Figur wurde bereits derart behandelt – eine Arbeit von rund zwei Monaten. Diese Form des Kunstgenusses erhält durch die vertiefende Tätigkeit etwas Zeitgeistfremdes; doch auch die Kunst der Restaurierung existiert in keiner Blase. Mit Museen, die wirtschaftlich eigenständig agieren, hat sich die Zeit am Objekt stark reduziert. Ähnlich wichtig wurde die detaillierte Dokumentation der Behandlungen oder auch die Bearbeitung von Leihanfragen. Alles steht im Dienst der alten Werke, um sie möglichst lange jung zu halten.
Advertorial — powered by impulse
_ Nur die Sonne leuchtet schöner
Das Cine Reflect Lighting System (Cine-RLS) bringt Licht auf die Sets und orientiert sich dabei an einem echten Star: der Sonne. Anstatt mit Dutzenden Scheinwerfern den Aufnahmeort zuzustellen, wird meist mit nur einer einzigen Lichtquelle gearbeitet – den Rest erledigen Reflektoren. Bernhard Höfert, Prokurist von CRLS, erklärt: »Eine der prägenden Parameter des Sonnenlichts ist, dass es nur aus einer Richtung kommt und bei klarem Himmel das Licht nur wenig streut. Dadurch ist es für eine natürliche Beleuchtung notwendig, ein ebenso paralleles Licht zu erzeugen. Das gelingt durch den qualitativ sehr hochwertigen Parabolspiegel, der das Herzstück des Systems darstellt.« Der hohe Wirkungsgrad des gesamten Systems und die sehr kompakt gehaltenen Komponenten ermöglichen ein wirtschaftlich und technisch effizientes Arbeiten. Nicht nur Kameraleute, sondern auch Schauspieler, Regisseure und die gesamte Filmcrew profitieren davon, da sehr viel mehr Platz am Set zu Verfügung steht. Zudem werden Produktion und Technik entlastet, da weniger Geräte zu transportieren, auf- und abzubauen sind. Seit drei Jahren arbeitet das Team rund um den Filmprofi Christian Berger bereits zusammen. Spezialisten aus Film, Forschung und industrieller Umsetzung vereinen ihr Know-how und haben ein Modulsystem entwickelt, dass aufgrund der niedrigen Einstiegskosten und seiner Vielseitigkeit ein breites Anwenderspektrum hat: Kino- und Fernsehfilme (beispielsweise »Das weiße Band«), Dokumentationen, Fotografie oder Hochgeschwindigkeitsaufnahmen und noch vieles mehr. ¶
»Die Reflektoren sind klein und leicht genug, um sie problemlos transportieren zu können. So haben auch Hobbyanwender jederzeit ein kleines Beleuchtungsset zur Verfügung.« (Bernhard Höfert (CRLS))
Foto: CRLS
Mit einer neuen Beleuchtungstechnik spart Cine-RLS Strom, Gewicht und Platz und liefert ein modulares System für eine Vielzahl an Einsatzmöglichkeiten, sowohl für das Studio als auch für Außenaufnahmen.
»Das weiße Band« von Michael Haneke wurde gänzlich mit CRLS beleuchtet. Bernhart Höfert über impulse: Neben der finanziellen Unterstützung kam durch das impulse-Programm vor allem auch ein Fingerzeig aus der Wirtschaft, dass es sich beim CRLS um ein Produkt mit Potenzial für die Zukunft handelt. Außerdem konnte dadurch – und durch den zugesprochenen »Mercur 2010 – Innovationspreis der Stadt Wien« – eine wichtige Präsenz in den Medien geschaffen werden.
Wie etabliert man ein neues Produkt in der Filmszene? Zu Beginn haben wir mit einer Marktstudie die Schlüsselmärkte identifiziert: 15 Länder produzieren zusammen mehr als 75 Prozent aller Filme und verwenden dafür über 90 Prozent aller Filmmittel. Um diese Märkte zu erschließen, präsentieren wir zuerst in Fachzeitschriften und auf Messen. Dort zählen die direkten Kontakte zu Kunden und Anwendern oder man wird eingeladen, Seminare zu geben. In einem nächsten Schritt suchen wir uns Opinion Leader, denen wir unser System in der Praxis näher bringen. Was den Vertrieb betrifft, haben wir noch nicht entschieden, ob wir auf Verkauf, Verleih oder eine Mischung von beidem setzen werden. Das ist vom Feedback abhängig, eventuell auch mit regionalen Unterschieden. Größere Anwender und Filmproduktionen werden vermutlich eher auf Material von Verleihern zurückgreifen, das in flexibel bestückbaren Roadcases den Ansprüchen der meisten Drehorte genügen wird. Werden gerade Filme mit dem Cine-RLS gedreht? An laufenden Projekten sind vor allem eine Produktion in der Ukraine zu nennen (Kamera: Jürgen Jürges), sowie mehrere Produktionen, die über unsere Partner in München und Amsterdam bedient werden.
Was werden die nächsten Produkte sein? Sobald die Entwicklung des Panibeam 1200 Watt abgeschlossen ist, soll eine verkleinerte Version mit 800 Watt konstruiert werden, um ein noch kompakteres Set für Dokumentationen und Reportagen anbieten zu können. Die optischen Qualitäten werden vergleichbar sein, allerdings werden der Durchmesser des Lichtstrahls und die abgegebene Lichtmenge entsprechend geringer sein, so dass nur kleinere Sets beleuchtet werden können. Anschließend und abhängig von der technologischen Entwicklung und den damit verbundenen Möglichkeiten, soll die Forschung in Richtung modernere Lichtquellen wie Leuchtdioden oder Schwefeldampflampen gehen. Diese Leuchtmittel haben einen höheren Wirkungsgrad und vor allem eine viel höhere Lebensdauer, von der sowohl wir als auch unsere Kunden profitieren würden. Ebenfalls wird auch daran geforscht, wie der Wirkungsgrad der Reflektoren weiter verbessert werden kann und wie ein System zur Fernsteuerung und Positionierung der Reflektoren aussehen könnte.
Das Förderprogramm impulse unterstützt CRLS im Rahmen von impulse XL. www.impulse-awsg.at
kreativwirtschaft in österreich by
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►Gründ e r s e r i e Vo l . 2 ►Garmz #9: Die Tücken des E-Commerce TEXT A NDREAS KLINGER BILD Garmz.com
versand, logistik, ummibären Im vergangenen Jahr wurden bei Garmz.com eine Menge Ziele erreicht. Da liegt es auf der Hand, die Messlatte für 2011 noch etwas höher zu legen. Neben der Ausrichtung auf neue Märkte gibt es eine weitere neue Herausforderung – den internationalen E-Commerce. Andreas Klinger, einer der Gründer von Garmz.com, erzählt vom Start in das neue Jahr.
ährend nun mittlerweile ein guter Teil des Teams in London – unserem zukünftigen Hauptsitz – arbeitet und dort scheinbar die meiste Zeit damit verbringt, uns hier in Wien via Email, Facebook und Twitter wissen zu lassen, wie toll London ist, hat sich der andere Teil des Teams in Wien verbarrikadiert. Lockdown. Es wird intensiv an Erweiterungen der Webpage gearbeitet und fleißig Ware an Kunden verschickt, denn der Webshop hat nun endlich geöffnet. Internationale Bestellungen gehen ein und einzelne Größen sind bereits ausverkauft, bevor sie überhaupt bei uns eintreffen.
Customer Care
Den Vorraum samt Büroküche mit riesigen Kistentürmen zur Auslieferung bestückt zu sehen, erfüllt einen auf den ersten Blick mit Stolz. Beim zweiten Hinschauen kommen statische Befürchtungen hinzu und später will man eigentlich nur mehr irgendwie heil an die Kaffemaschine kommen. Der interne Ablauf, wenn eine neue Produktion ankommt, ist mittlerweile gut trainiert, aber dennoch sehr arbeitsintensiv. Zuerst verstaut man die Lieferung im Lager, kontrolliert Bestand und Qualität, füllt Papiere aus, archiviert diese und beginnt, die Bestellungen zu paketieren. Dann Rechnungen drucken, in etwa 100 Systeme eintragen, Geld abbuchen, DHL Backends updaten, Papiere, handgeschriebene Dankschreiben und Goodies beilegen. Zukleben, nochmals alles überprüfen, schimpfen, nochmals aufmachen, den Fehler korrigieren, wieder zumachen und ab in den Vorraum. Übernimmt schlußendlich der DHLMitarbeiter die Pakete, geht man emotional davon aus, dass die Arbeit geschafft ist. Geht zurück zum Laptop, öffnet die Inbox, irrt sich prompt und beantwortet die Kundenanfragen zu den Bestellungen falsch. Customer Care: die Perle des E-Commerce. Erfolge machen sich in stillen Details bemerkbar, Fehler aber werden lauthals und über jedes Medium kommuniziert. Denn leider passieren Fehler. Eine Kundin zum Beispiel bestellte online genau in dem Moment, als wir von Pre-Orders zu Orders wechselten. Unser Webshop-System war hiermit überfordert ► 0 5 4 / AUSGABE 113
und generierte kurzerhand eine dreifache Bestellung inklusive mehrfacher Abbuchung und eine etwas überraschte und zu Recht wütende Kundin. Ansonsten aber hatten wir bisher ein sehr positives Feedback zu den Produkten und weniger Returns als erwartet.
Customs Care
Mein neuestes Feindbild ist übrigens der gemeine russische Zollbeamte. Mit meinem inneren Auge sehe ich zwei dickliche Kerle mit Fellmantel und Roter-Stern-Mütze hinter einem hellen Holztisch unter einem großen Bild von Putin. Ihr gestrenger Blick scheint zu jedem Garmz-Paket, das ihnen vor die Nase kommt, »Njet, aufmachen!« zu sagen. Die Ernsthaftigkeit und Konsequenz, mit der jede unserer Sendungen nach Russ land kontrolliert wird, grenzt ans Unheimliche und stellt für mich das grundsätzliche Prinzip des internationalen Handels in Frage, ist aber laut Spedition vollkommen normal. Hier hilft es auch nichts, Dokumente mehrfach beizulegen und für die Abfertigung extra zu bezahlen. Die Gummibären in der Verpackung helfen übrigens auch nicht. Jedesmal kurz nach dem Versand einer Bestellung nach Russland rufen mich die freundlichen Logistikmitarbeiter an, ob wir nicht zusätzlich zu Adresse, Telefonnummer und E-Mail noch andere Kontaktmöglichkeiten zum Kunden hätten – ein Facebook-Profil vielleicht. Da ist aber bei uns die Schmerzgrenze erreicht. Der russische Zoll kontaktiert nämlich bei jeder privaten Einfuhr penibel den Empfänger und befragt ihn zu Produkt und Importgrund. Im Falle von Schlechtwetter sollen die Kunden auch gerne ins Amt zitiert werden. Andere Länder, andere Sitten, andere Jahrzehnte. China? Lieber gar nicht erst fragen. Und merke: Keine Gummibären in die USA verschicken, die machen Probleme. Vermutlich Gummibärchen-Explosionsgefahr. ¶ Garmz.com will mit Hilfe des Internets die Modewelt verändern. Eine Community für junge Modedesigner und der Möglichkeit auf Produktion für jene Designs, die von der Community nachgefragt werden.
super-fi.eu
. . . N O ! R O E S L P MING Y-SAM
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: T E D I E S AUS TSCH
G N N E O M R S U S H S I G R E N I V EBL UNI
I L Y E B R D U E E T OR P P U S NG I T DEM O V ? M I D C N E E I H D F STE U A N E L L O S DS N A B E WELCH
A
f u a r a u r b e F . b 10
IN WORTEN: siebenundfünfzig
Der Einfluss der Zukunft Die Spuren der Postpunk-Heroen Wire finden sich im britischen Pop ebenso wie im Hardcore. Sie selbst orientieren sich nur an der Zukunft. Immer noch. Wire Red Barked Tree (P ink F lag)
Colin Newman meinte einmal in einem Interview, die Zukunft habe den größten Einfluss auf das Musikverständnis von Wire. Das gilt auch für das neue Album. Noch immer und mehr den je. 1977, als sich Punk als pures Dagegensein zu wenig wurde, veröffentlichten Wire ihr erstes Album »Pink Flag«. Ihre damalige Haltung, dem Rock’n’Roll radikal alle Schnörkel abzuschlagen, hat deutliche Spuren in diversen Musikrichtungen hinterlassen. Legionen von Bands berufen sich auf Wire oder haben ihre Songs gecovert. Die Bandbreite reicht von Hardcore-Schwergewichten wie Black Flag oder Minor Threat über Konsensrocker wie R.E.M. bis zu gefeierten Postpunk-Erneuerern der dritten Generation wie Bloc Party oder Franz Ferdinand. Wire selbst haben es auch heute noch nicht nötig, sich an anderen zu orientieren. Und sie treten schon gar nicht auf der Stelle. Für ihr aktuelles Album haben sie sich auf ihren Nukleus besonnen und ohne Gastmusiker gearbeitet. In der DreierKombination aus Sänger und Gitarrist Colin Newman, dem zweiten Sänger und Bassisten Graham Lewis und dem Drummer Robert Grey sind sie ganz bei sich selbst und klingen wie Wire, obwohl es – wie sie selbst sagen – keine Definition dessen gibt, wie Wire zu klingen haben. Sie spielen gekonnt mit melodischen Elementen, repetitiven Rhythmen, geschickt eingesetzten Tempi-Wechseln, reduzieren auf das Wesentliche und packen das in ein spitzes, aber dennoch voluminöses Soundkleid. Wire repräsentieren damit nach wie vor die denkbar kürzeste Verbindung zwischen tanzbarem Pop und radikal harschem Minimalismus. Die Lyrics auf »Red Barked Tree« sind wie der Sound eine Klasse für sich. »Please take your knife/ out of my back/ and when you do/ please don’t twist it!« lautet der erste Satz. Bis zum letzten Track gibt es noch viele von dieser Art. 9/10 werner reiter
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Abt. Musik
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a. 113/ R ezensi one n
Navel Neo Noir
Esben And The Witch Violet Cries
( N oisolution )
( Matador)
Nimmermehr
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Esben And The Witch baden in dunklem Symbolismus. Ihr Nightmare Pop ist trotz Klischee-Verdacht stimmig und magnetisch.
»It’s a lonesome, lonely journey«. Solche Phrasen packt man schnell einmal in eine Rocknummer. Navel meinen das auch so. Die Reise ist alles andere als komfortabel, aber es gibt kein Ticket für die Rückfahrt in den Schweizer Tessin, wo die Band 2003 während eines Ferienjobs gegründet wurde. Der Songtitel erklärt auch, warum: »It’s The Road That Makes The Song«. Es ist eine innere Notwendigkeit, weiterzumachen, auch wenn die Straße mit allerlei Widrigkeiten gepflastert ist. Den größten Rückschlag erfahren Navel, als ihr Plattenlabel in die Insolvenz geht und die Anfang 2010 gemachten Aufnahmen für ihr zweites Album weg sind. Nach einem gefeierten Erstling, 250 Live-Auftritten und Konzerten mit den Queens Of The Stone Age, Wolfmother, Trail Of Dead ist aber klar, dass Aufgeben nicht drin ist. Der ewige Rockmythos braucht neues Futter, die alten Geschichten müssen immer wieder neu erzählt werden. Auch wenn es weh tut. Und so kehrt die Band die Scherben auf und beginnt von neuem. Der Schmerz und die Beharrlichkeit finden ihren Ausdruck in verzerrten Gitarrenwänden, Gesang, der sich in Hallräumen verliert, in zähflüssigem Tempo und gelegentlich eingestreuten Harmonika-Tupfern. Überall Zitate und Hinweise aus dem Grenzland zwischen Blues und Rock der schwereren Bauart. Wenn sich Navel mal etwas Entspannung gönnen, so höchstens mit Neil Youngs »Rockin’ In The Free World«. Das tun Pearl Jam übrigens auch.
Die alten Gefühle müssen raus. Dieses Trio aus Brighton knüpft dort die Fäden der Nornen weiter, wo Zola Jesus, Soap & Skin und eventuell The XX und die Crystal Castles ihre dunkle Stahlwolle ausgerollt haben. Sie alle sind dem Debüt von Esben And The Witch überlegen, weil sie mehr Verbindungen und Bedeutungen offen ließen, uneindeutiger waren. Das südenglische Trio gefällt sich auf »Violet Cries« zu gut im kalten Zischen der Zwischenwelt, in der Pose vom Leben in der geworfenen, nackten Existenz. Im Video von »Marching Song« stehen sie etwa entblößt vor der Kamera, stellen sich in die Blicke des Publikums: Nein, wir erzählen euch keine Geschichten, sondern etwas vom Leben da draußen und das ist kalt und unbarmherzig, eine Flutkatastrophe jagt die nächste, Unruhen, Aufstand, Entropie – über solche Dinge reden sie zumindest in Interviews. Auf dem Album übersetzen sie ihre Gegenwart, die nicht gerade überfüllt mit Gelassenheit und Aufbruchsstimmung ist, in literarischere Bilder. »Nightmare Pop« hat die Band das selbst genannt. Nur um dann das alte Rein-Raus-Spiel zu spielen – nämlich in späteren Interviews zu einem Begriff, den man sogar selbst aufgebracht hat, auf Distanz zu gehen. »Nightmare Pop« wäre eigentlich gut gewählt. Schlamm, Dreck, Dunkelheit, oh steh uns bei, Krankheiten mit obskuren Namen, finstere Literatur und Symbolismus von William Blake, das ist der Stoff, den das Trio ausschenkt. Da. Hör’s. Verschluck’s. Selbst der Bandname kommt von einem ziemlich unwirtlichen dänischen Märchen voll mit Kindsmord. Geisterhafte Gitarren durchziehen »Violet Cries«, weitläufige, aber kontrollierte Echos schimmern im kalten Windhauch, verzerrte Dissonanzen, verminderte Akkorde machen das Album nicht bekömmlicher. Das erinnert mitunter an Katastrophen-Voyeurismus. Ja, bald ist alles aus, Zombies werden durch die Straßen stolpern und nicht wissen wohin mit ihren ausgemergelten Körpern. Geil. Aber das war’s. Einen Ausweg deuten Esben And The Witch höchstens undeutlich an. Mit ihrem Klang der emotionalen Vereisung schafften es Esben And The Witch bereits auf die Hotlists der BBC und der Q Awards. Die Wunschlisten der Musikindustrie blieben allerdings schon einige Mal unerfüllt. Von »Violet Cries« bleiben die einzelnen Songs weniger im Ohr als die Grundstimmung des Albums. Musik als ein Welttheater aus Angst ist selbst 2010 wohl nicht mehrheitsfähig, zieht aber in etwa so an, wie auch eine alte Gaslampe Motten anzieht, wenn schon sonst kein Licht in der Nacht schimmert.
7/10 werner reiter
7/10 stefan niederwieser
Straucheln. Weitermachen.
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Das Schweizer Trio Navel schert sich nicht um musikalische Trends. Stur befahren sie die Straße, die einst in Seattle ihren Ausgang nahm. Und wenn sie straucheln, machen sie weiter. Unbeirrt.
► 0 5 8 / AUSGABE 113
Lost in Music — N°. 47 _
Q
QUALITÄT kann man sich leisten*
Text Stefan Niederwieser
NEU
Kruder & Dorfmeister K&D Sessions (Studi o !K7, 1998)
Kurz bevor Downtempo endgültig in die Belanglosigkeit abtaucht, zeigen Peter Kruder und Richard Dorfmeister mit den »K&D Sessions« noch einmal alle Stärken kunstvoll zerdehnter Zeit auf. Ab 1991 waren TripHop und Downtempo explodiert, wurden aber bald austauschbar und waren auf dem Weg vom Club in die DesignCafes und Fahrstühle. Das Wiener Duo rettet Downtempo vor seinen Seichtgebieten, balanciert auf dem schmalen Grat zwischen Coolness, Eleganz und dressiertem Nichts. 1994 verwenden Kruder & Dorfmeister für ihre Debüt-EP »G-Stoned« – in elektronischer Musik Tabu – ihre bürgerlichen Namen und klatschen ihre Gesichter kokett aufs Cover. Ihre Pose zitiert dabei ein Album von Simon & Garfunkel und inszeniert das Duo als feinsinnige Personality-Songwriter des Samplings. Über das britische Magazin Straight No Chaser – nebenbei das Zentralorgan von gelacktem Acid Jazz – werden sie international schnell bekannt, ihr makelloser Sound ist da bereits abgesteckt. 1996 gelingt ihnen mit ihrer »DJ Kicks« einer der relevantesten DJ-Mixes der 90er, bis sie schließlich zwei Jahre darauf mit den »K&D Sessions« demonstrieren, wie weit sich sowohl Mix wie auch Remix als eigenständige Kunstformen entwickelt haben. Auf zwei CDs schaffen sie Verbindungslinien und sanfte Überblendungen zwischen ihren eigenen, aufwendig gemischten, aber mühelos fließenden Remixarbeiten.
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Kulturtechnik »Sampling«
Möglich wird das delikate Remixing auch durch billigere und verbesserte Samplingtechniken. Speziell die Firma Akai macht auf ihren Samplern seit Mitte der 80er immer neue Funktionen, immer mehr Speicherplatz verfügbar. Seit 1991 müssten allerdings die Rechte an längeren Samples geklärt werden; das Wühlen in Plattenkisten nach obskuren, quasi rechtefreien Samples wird spätestens da zu einer Königsdisziplin. Kruder & Dorfmeister sind nun sicher nicht die ersten, die so arbeiten, aber wenige beherrschen diese Techniken derart virtuos. So wirkt der Klang der »K&D Sessions« auch heute keine Spur angestaubt. Sampling ist dabei eine Kulturtechnik, um sich auf das symbolische Kapital des Originalsongs zu beziehen. HipHop, Jazz, Dub, Bossa Nova, Drum’n’Bass und Funk werden bei Kruder & Dorfmeister allerdings eher auf neutralem Boden miteinander versöhnt, sind mit Zurückhaltung zu einem supranationalen Gebilde collagiert. Ihre Heimatstadt Wien ist nicht nur UNO-Standort seit 1980, sondern seit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 auch wieder ein Knotenpunkt kultureller Transformationen. Kruder & Dorfmeister betonen immer wieder die Bedeutung Wiens für ihre Musik, behaupten, dass sie in der Tradition von Schubert und Mozart stehen würden und schüren selbst die Klischees von Kaffeehaus-Gemütlichkeit. Mit etwas selbstgemachter Standortpromotion bringt ihre Musik allerdings wirklich erstmals wieder Wien an die Welt heran. Die »K&D Sessions« werden konsequenterweise auch zum Soundtrack des neuen, weltoffenen Radiosenders FM4. Vor allem aber befreien sie Downtempo von allem unnötigen Ballast, verbinden stilsicher das Dunkle und das Weiche mit einer blockfreien Stil-Melange. ¶
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Abt. Musik
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Rainbow Arabia Boys And Diamonds
Forsch’ und Facette Forsch’ und Facette
( Kompakt)
( Melting Pot Music / G roove Attack)
Deutsch verschlüsselt In allen Regenbogenfarben
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Rainbow Arabia aus L.A. verquicken Casio-KeyboardSounds, afrikanische Musik und Eastern Beats mit hippieeskem Avantgarde-Indiepop. Ihre Tracks sind zurückhaltend, die Indie-Gemeinde sollte trotzdem jubeln.
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Mit lyrischem Rap und abstraktem Soul löst Fleur Earth die Grenzen sprachlicher Hörgewohnheiten auf. Ihr neues Projekt »Forsch’ und Facette« klingt komplex, intim und frei.
Ethno-Musik ist endgültig im Pop angekommen. Nicht nur im Mainstream-Pop à la Lady Gaga schmückt man sich längst mit Sounds von jenseits des europäischen Tellerrands, sondern auch in Indie-Kreisen ist dieser Style immer noch en vogue. Rainbow Arabia aus Kalifornien sind ein weiteres ansprechendes Beispiel dafür. Das Duo besteht aus Future Pigeon- und Whisky Biscuit-Keyboarder Danny Preston und seiner Frau Tiffany Preston. Erstmals fielen sie 2008 nach einer gemeinsamen Tour mit Gang Gang Dance auf, als ihre vielgelobte Single »Omar K« samt fantastischem Video durch die Blogs rotierte. Ihr Debüt-Album folgte ein Jahr später und wurde von NME, Pitchfork und XLR8R enthusiastisch besprochen. Auch ihr neues Album »Boys And Diamonds« dürfte ähnlich einschlagen. Diesmal nicht nur bei Hipstern und der geneigten Musikpresse, sondern auch beim Publikum. Dafür wird wohl das Label Kompakt, in der Szene ein Synonym für Qualität und gute Vertriebsarbeit, sorgen. Das Album ist hörbar zurückhaltender und ausgewogener in der Produktion. Der etwas zu harsche Electro-Pop des Anfangsmaterials wurde deutlich reduziert. An dessen Stelle treten nun eher sphärische Synthesizer-Schwaden, asymetrische Tribal-Beats, catchy Rhythmen und produktionstechnische Tiefe. Schön zu hören, wie schlau Rainbow Arabia afrikanische, osteuropäische und arabische Musik in ihren AvantgardePop einarbeiten. Kurz bevor ihre Sounds und Gesänge Gefahr laufen, in zu abgeschmackte Gefilde abzugleiten, werden Haken geschlagen und Erwartungen unterwandert. Der adoleszente Zuckaus und DanceWahnsinn von früher ist nur mehr im Ansatz vorhanden, wird aber nicht schnöde exerziert – man scheint auf Substanz zu setzen. Hoffentlich ist man in der Indie-Disco nicht enttäuscht, dass Bombast-Hits wie »Omar K« oder »Let Them Dance« diesmal ausbleiben.
Die Presse tut sich schwer mit Fleur Earth. Deshalb versucht sie ihrer Kunst mit einfachen Lösungen beizukommen. 2009 ernennt Der Spiegel die damals 29-jährige Fleur Mouanga zur »deutschen Erykah Badu«. Die Kriterien dieses Ressentiments: dunkle Haut, voluminöses Haar, eine Jugend zwischen Kongo und DDR, ihr täglicher Job als Elektroinstallateurin und gleichgeschlechtliche Liebe. Den Umgang mit Stereotypen gewohnt, winkt Fleur gelassen ab: »Ich hab vielleicht die gleiche Hautfarbe, würde mich aber nicht mit ihr vergleichen«. Höchste Zeit, die projektierten Sehnsüchte nach anspruchsvollem deutschen Soul bei Seite zu lassen. Fleur selbst bezeichnet ihr Konzept als Straßenköter-Soul, gemäß dem mit der Funk / Reggae-Band Fleur Earth Experiment vertonten Album »Soul des Cabots« (2009). Sie fällt besonders mit kantigem Sprechgesang auf, der zwischen Rap und Spoken-Word experimentiert, aber verdammt gut fließt. Ihre Reimfähigkeiten und der 90er-Boom-Bap-Sound von Twit One, Hulk Hodn und anderen Produzenten stehen außer Zweifel. Was einer breiten Rezeption vermeintlich im Weg steht, ist das Herzstück ihrer Kunst: abstrakte, emanzipatorische Lyrik, die mit verspieltem Soul-Sprechgesang kodiert wird. Seit jeher setzt sich Fleur Earth bewusst über sprachliche Formalia hinweg. Sie will Gefühle und Attitüde assoziieren, statt sie grammatikalisch zu rationalisieren. Ihr neues Projekt Forsch’ und Facette scheint diesem Paradigma sehr nahe zu kommen. 2011 ist es Produzent Quo Vadis, der ihre kryptischen Texte mit flächiger Knister-Electronica neuartig mystifiziert. Zu seinem basslastigen Mix aus TripHop, Broken Beat, Jazz und HipHop verbalisiert Fleur sogar noch entgrenzter als gewohnt. Erneut reflektiert sie Zwänge, Besitzverhältnisse, Macht, Entfremdung, Liebe und Sex. Auch wenn sich mögliche Interpretationen erst nach mehrmaligem Hören erschließen, entwickeln ihre Songs schnell eine hypnotische Dynamik und Intimität. Begleitet von organischen, teils gespenstischen Sound-Kulissen lässt Fleur rätselhafte Textwesen entstehen. Spielerisch reißt sie Grenzen deutscher Artikulation weg und offenbart außerordentlichen Soul, dessen Entschlüsselung genauso herausfordert wie begeistert.
6/10 maximilian zeller
8/10 klaus buchholz
Abt. Musik
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Trackspotting 12-Inch, Singles und Kleinformatiges für große Aufmerksamkeitsspanner TEXT Florian Obkircher
Das war’s dann wohl, adieu 1210er! Die Produktion des wichtigsten DJ-Plattenspielers aller Zeiten, des Technics SL-1210, wurde mit Ende letzten Jahres eingestellt. Aber ganz ehrlich: Angesichts der veränderten Produktionsmöglichkeiten und der beschleunigten Musikverbreitungsmöglichkeiten übers Internet hat der 1210er seine Schul digkeit echt getan. Da können nostalgische Vinyl-Gralshüter – und gerade auch Jung-DJs, vermutlich aus überzogenem Respekt – noch so jammern, mittlerweile macht digitales Auflegen einfach Sinn. Aber dieses Nachtrauern, diese »Früher-war-alles-besser«-Mentalität, ist halt so unauslöschlich wie menschlich. Sonst würde z.B. das Berliner Label Ostgut Ton seine übrigens grandiose neue Compilation »5 Years In 60 Minutes« wohl nicht auf Kassette rausbringen.
Koreless – M.T.I. ( White L abel)
Iron & Wine Kiss Each Other Clean (4AD)
Soft-Hit-Sammlung
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Iron & Wine sammelt diesmal ungeahnt eingängige und zwingende Nummern – die am Stück genossen aber schon mal nerven können. Gibt es einen Kolumnisten, der nicht irgendwann einen Text als Sammlung verschiedener nicht benützter Textanfänge veröffentlichte? Sam Beam aka Iron & Wine tut das auf gewisse Weise im großartigen Opener »Walking Far From Home« auf seinem neuen Album »Kiss Each Other Clean«. Was für ein Hit! Die Nummer fräst sich hymnisch in die Gehörgänge – verweigert aber den Höhepunkt. Und doch war Sam Beam bisher nie so eingängig und pop-affin wie auf diesem Album. Schon mit dem Vorgänger »The Sheperd’s Dog« schien er sich 2007 von seiner Klischee-Nische (Waldschrat-Bartträger und Songwriter der Will Oldham-Schule) befreien zu wollen. Mit dem neuen Album gelingt dies mit Leichtigkeit. Und eben diese Leichtigkeit ist eines der musikalischen Grundthemen des Albums. Keine Nummer die aneckt, die nicht leichtfüßig und sanft zum Mitgehen bewegt. Die Instrumentierung wurde breiter (siehe Wilco, die aber immer ein bisschen ernster bleiben) und je nach Lesart lassen sich hier afrikanische Versatzstücke, diverse Spielarten von Jazz (Saxofon), Gospel und Indierock oder aber auch einfach 70er-Soft-Rock (Saxofon) erkennen. Gut so, denn dass eben dieser ein reichhaltiger Fundus ist, haben in den letzten Jahren schon Gonzales oder die genialen My Morning Jacket bewiesen. Alles ist weich, einlullend, manchmal vielleicht ein wenig süßlich. Melodiemäßig greift »Rabbit Will Run« den Opener – wohlwollend gesehen –wieder auf. Zum Abschluss gibt sich »Your Fake Name Is Good Enough For Me« erwartungsgemäß leicht episch. Textlich bewegt sich Sam Beam wieder einmal in Bildern, die zwar Atmosphäre erzeugen, in ihrer kryptischen Nicht-Auflösung und verweigerten Narrativität aber genauso als belanglos bezeichnet werden können. Viele Nummern überzeugen, begeistern und funktionieren garantiert auch im Radio (zumindest auf FM4), aber als Album enttäuscht »Kiss Each Other Clean« ein wenig. Alles ist schön, gut, immer wieder hörenswert – aber mitunter auch offensichtlich substanzlos. Die großartigen Melodien funktionieren auf Dauer als eingestreute Tracks zwischen anderen einfach besser als auf einen Haufen geworfen. Iron & Wine wird mit diesem Album hoffentlich breiter als bisher Anerkennung finden und wir werden viele Stücke noch Jahre immer wieder gerne hören. Nur eben nicht im ganzen AlbumDurchlauf, in dem die einlullende und zwingende Sanftheit einen auch schon mal genervt auf den Pause-Knopf drücken lässt. 7/10 martin mühl
Solche Tracks wie »M.T.I.« kommen ohnehin schon lange nicht mehr auf Platte raus. Sie kommen eigentlich gar nicht mehr raus – im kon ventionellen Sinn – die gibt’s einfach irgendwann im Netz. Alles an dere wäre für einen Produzenten wie den 18-jährigen Koreless aus Manchester wohl auch unnatürlich. Jamie XX hat seinen grandiosen Track »M.T.I.« unlängst in einem BBC-Mix gedroppt und den Hype in Schwung gebracht. Den ersten Soloversuchen des The-XX-Spunds nicht ganz unähnlich, lässt Koreless zerhackte R’n’B-Snipsel über zu ckersüße Synths perlen, die Drums rascheln verhalten, dafür drückt der Bass. Hätte sich eigentlich einen schöneren Genre-Namen als Post-Dubstep verdient, dieser Bastard zwischen Garage und Electroni ca, an dem sich da derzeit Leute wie Jamie XX, Gold Panda oder teils auch Mount Kimbie abarbeiten … Morr-Step vielleicht?
Dimlite – My Human Wears Acedia Shreds EP ( Now Again)
Der Schweizer Dimlite würde in diesem Genre wohl die Schirmherr schaft innehaben. Verspielt, verdreht, verstolpert, es rappelt im Kan ton. Wenn auch immer um eine Ecke jazziger und mehr sophisticated als die jungen Kollegen aus Großbritannien. Sun Ra, Bruce Haack, Amon Düül II und Stone-Throw-HipHop dreht Dimlite auf seiner neu en 4-Track-EP durch den Fleischwolf, diesmal noch organischer und psychedelischer als auf seinem letztjährigen Meisterstück »Prismic Tops«. Und Lichtjahre davon von all dem Zeug, das da momentan aus dieser Jazz-Hiphop-whatever-Ecke kommt. Der verstolper te Future-Funk von »Gone-O-Tron«, die Can-meets-FlyLo-Hymne »Loins«: fantastisch flirrende Tracks, die die Pforten der Wahrneh mung von innen öffnen.
The Bullitts feat. Jay Electronica & Lucy Liu – Close Your Eyes
Toll auch das neue Projekt von The-Gorillaz-Producer Jeymes Sa muel, vermutlich eines der großen Dinger 2011. Am Debütalbum »They Die By Dawn And Other Short Stories« wird noch feingeschlif fen, mit angekündigten Features wie Tori Amos, Mos Def und Passi on Pit sollte promomäßig aber nichts schief gehen. Siehe auch die Vorabsingle mit, ja, der echten Lucy Liu am Mikrofon. Verschroben verrauschter VHS-Tape-R’n’B à la Sa-Ra Creative Partners trifft Se venties-Filmzitate und die schnelle Zunge von Jay Electronica. Die ser übrigens auch einer, dessen Name heuer ganz oben auf unserer Watchlist steht. Bekehrung und Begeisterung bringt spätestens die aktuelle Single des US-Rapper / Producers, »Shiny Suit Theory« mit Jay Z, einem souligen Hiphop-Track, so gut, dass er ein neues Golden Age einläuten könnte.
Martyn / Mike Slott – Collabs # 1 ( AC C 1 2 x1 2 x 1 )
Gerade in erster Blüte steht noch immer dieses Tech-Step-Ding. Mar tyn, Genre-Onkel, hat sich für den ersten Teil einer neuen Splitserie des famosen All City-Labels mit Mike Slott zusammengetan. Und schon »All Nights«, ein Bas(s)tard aus wolkigen Basic-Channel-Syn ths und galoppierenden Techno-Beats, killt alles, während »Pointing Fingers« den Speed runterdreht und in einem verschwommen schö nen Electronica-Epos kulminiert. Das nächste Team der Serie wird’s nicht leicht haben da mitzuhalten!
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Abt. Musik
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Deckchair Orange The Age Of The Peacock
White Lies Ritual
( D ienje / H oanzl )
( Fiction)
Super Nice
_ Auf der sicheren Seite
Österreichischer Indie-Rock, gepaart mit aufgeweckten Beats und harmlosen Texten. Solide, technisch korrekt und insgesamt respektabel. Die erste Single »Dance With The Geeks« weckt die aufrichtige Hoffnung, dass diese technisch wirklich passable Band sich diesmal zu etwas richtig Interessantem durchgerungen hat. Die Nummer katapultierte die doch noch recht jungen Indie-Rocker gleich einmal in die FM4 Sound Selection. Auf der neuen Platte schaffen sie es, musikalisch aufzutrumpfen und das Image der bravsten Band der Welt ein wenig auszublenden. Die Songs machen mit coolen Beats auf sich aufmerksam und verbreiten eine durch und durch positive Stimmung. Trotzdem enthält das Album immer wieder kleine Überraschungen. Seien es dezente synthetische Einlagen oder ein plötzlicher Aufbau von Spannung, die sich an unerwarteter Stelle entlädt – die einzelnen Song-Bausteine sind höchst ansprechend arrangiert. Bemerkenswert ist auch, dass die Bandmitglieder sich stets gegenseitig Raum zu geben scheinen, damit jeder sein Talent gebührend einbringen kann. Es ist kein Ziehen in alle Richtungen zu hören, wie das bei jungen Bands manchmal vorkommt. Ihr Ziel ist ein rundes Gesamtwerk, das hört man deutlich heraus. Die ihnen anhaftende Harmlosigkeit konnten Deckchair Orange allerdings immer noch nicht ganz abschütteln. Das Album ist von einer beharrlichen Happiness durchzogen. Einfach gestrickte, dafür sehr aufrichtige Texte behandeln das Thema Entscheidungen und wie sie das eigene Leben beeinflussen. Es geht darum, dass man manchmal getrennte Wege geht und darüber ins Grübeln kommt. Die Bruchlinien im eigenen Leben sind der zentrale Gegenstand des Albums. Produziert wurde das neue Werk übrigens von Ron Flieger, einem musikalischen Multitalent aus Deutschland. »Super Nice« sei die Platte seiner Meinung nach geworden. Besser könnte man es auch kaum sagen. Nett ist sie ja wirklich. Zwar nicht irre einprägsam, aber musikalisch wirklich gelungen. In punkto künstlerischer Fertigkeit ist »The Age Of The Peacock« eine eindeutige Weiterentwicklung, die zuversichtlich für zukünftiges Schaffen dieser Band macht. Schließlich fehlt den Songs nur noch ein bisschen der Mut zum eigenen Charakter. Mit dem neuen Album sind Deckchair Orange auf ihrer Reise zur Selbstfindung allerdings ein ganzes Stück vorgerückt. Das österreichische Pendant zu Sugarplum Fairy sind sie vielleicht noch nicht ganz, aber sie sind auf dem besten Weg, es in naher Zukunft zu werden. 6/10 teresa reiter
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Mit »Ritual« etablieren sich White Lies nun endgültig als fester Bestandteil der britischen Rockszene. Zwar fehlt es bei Sex, Drugs and Rock’n’Roll noch an Glaubwürdigkeit, ansonsten ist alles beim Alten. Mit ihrem Erstlingswerk »To Lose My Life« ließen White Lies 2009 all jene Kritiker aufhorchen, die das Ende von New Wave bis dahin für besiegelt gehalten hatten. Schnell wurde das Londoner Trio zu den Erben von Joy Division deklariert: ein klarer Synthiesound, eine gewaltvolle Mischung aus treibenden Schlagzeug und dumpfen Bass, und Harry McVeighs markante Stimme, die Einblicke in die Untiefen menschlicher Existenz gewähren sollte. Nun melden sich White Lies mit ihrer neuen Platte »Ritual« zurück. Wer auch hier etwas Bahnbrechendes sucht, wird dieses Mal nicht fündig werden. Ohne Zweifel, die Band hat ein Händchen für eingängige Popmelodien, die sofort ins Ohr und in die Beine gehen und ein Garant für ausverkaufte Hallen sind. Ihr Sound ist vielleicht noch orchestraler geworden, doch textlich dominieren weiterhin jene Themen (Liebe, Sex, Tod, Einsamkeit), bei denen sich manch fürsorglicher Zuhörer um das Seelenwohl der stets in schwarz gekleideten Jungs eigentlich Sorgen machen müsste. Doch sind es gerade die Texte, die den größten Schwachpunkt darstellen: aufgeblasene, mit religiösen Metaphern verzierte, Wortgebilde, denen es an Tiefgründigkeit und Kreativität mangelt. Jedoch schafft Veighs stets leidende Stimme, die in »The Power And The Glory« zu einem Chorgesang anschwillt, eine emotional mitreißende Atmosphäre, die jene lyrischen Durchhänger kompensiert. So hinterlässt »Come Down«, das zu dem Schluss kommt, »I’ll never be good enough/ for you or for me«, den Hörer in einer bedrückenden Stimmung der Hoffnungslosigkeit. So hätte »Ritual« mehr Mut zum Experimentieren gut getan. Nur für kurze Momente wagen sich White Lies in die dunklen Gefilde des Industrials, um dann in altbewährten Schienen weiterzufahren. Dem Vergleich mit ihrem großen Vorbild Ian Curtis konnten sie somit nicht standhalten, denn dazu hätten sie Risiken eingehen und Grenzen überschreiten müssen. Für ihre Fans dürfte »Ritual« bereits jetzt schon der neue Soundtrack für einsame, trübsinnige Stunden sein. Eine konsequente Fortsetzung ihres Vorgängers, die weder für Überraschungen noch für große Enttäuschungen sorgen wird. 7/10 raphaela valentini
Abt. Musik
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Various Artists Bangs & Works Vol.1 – A Chicago Footwork Compilation
Robag Whrume Wuppdeckmischmampflow ( Kompakt)
(P lanet M u)
Can’t Stop, Won’t Stop
_ Das neue Immer
Das englische Label Planet Mu holt hochprozentige Rhythmuspartikel aus einer kulturellen Dunkelkammer Chicagos in den Halbschatten der Welt.
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DJ-Mixes gibt es zur Genüge, fast zu viele und die wenigsten stechen dabei hervor. Doch »Wuppdeckmischmampflow« schafft das, was zuletzt Michael Mayer mit »Immer« vollbracht hat.
Kurz vor Jahreswechsel war was los im Hühnerstall. Auf der FootworkCompilation des Labels Planet Mu donnerten schwer durchschaubare Schwälle von schnalzenden Claps, synkopisierten Säbelzahn-Hi-Hats und stotternden Vocals aus den Boxen, roh wie einige der ärgsten Acid House-Tracks, wie die finstersten Momente früher Grime-Tage, wie kolossaler Dubstep, nur ohne den Bass. Kinnlade ab. Wie aus einer historischen Blase ist Footwork, eine Mutation von Juke House, in die Welt geplatzt. Die Spuren reichen zurück bis in den frühesten Chicago House, die verschiedenen Clans und Dance Gangs sind über die Stadt verstreut, die Musik mal eher in der Sporthalle, dann wieder im Club daheim. Immer wieder hätte es Gelegenheit gegeben, Footwork zu entdecken, sich Sporen für den eigenen Blog zu verdienen, indem man als Erster darüber schreibt. Vier Jahre nach dem Urknall von Dubstep fiel den Musikredaktionen Europas die Footwork-Compilation von Planet Mu in die Hände. Ah, jetzt geschnallt, urwichtig das. Footwork-Performances sieht man sich besser im Internet an. Da werden auf flirrendem Tempo die Beine verbogen. Die Tracks sind kohärent, manchmal bis hin zur Schablone, und dennoch sind auch deutliche Unterschiede hörbar. Tha Pope hat scheinbar eine Schwäche für Wild Style Pitches der Vocals. Während DJ Killa E seinen Track »Star Wars« mit einem gecutteten Retorten-Orchestertusch-Sample radikal überlädt. DJ Trouble beweist, dass sich selbst ultra-gefilterte Heavy Metal-Gitarren mit den Snare-Salven von Footwork vertragen. Nicht umsonst ist in einigen Artikeln bereits gefragt worden, ob die Fußarbeiter aus Chicago nicht in den falschen Zaubertrank-Bottich gefallen sind. Juke also. Voll Low-Tech und Fremdkörper. Warum ausgerechnet das Thema geworden ist? Vielleicht nur, weil Footwork zur Abwechslung etwas Neues, Obskures ist; ein unentdecktes Land voll mit nicht-dechiffrierten Bedeutungen, ein Thema zum Angeben in der Disco. Blöd nur, dass Footwork auch wirklich unglaublich roh, düster, wie aus der Zeit und der Kultur gefallen klingt.
Ad Personam: Gabor Schablitzki aka Robag Whrume war die eine Hälfte der Whinghnomy Brothers. Seine Produktionen haben über die Jahre eine unverkennbare Handschrift bekommen. Egal ob als Themroc, Rolf Oksen, Machiste oder Dub Rolle schafft er es, seinen Stil derart markant umzusetzen, dass dieser nach den ersten Takten vor einem steht wie der Heilige Geist vor der Jungfrau Maria. Robag Whrumes letzter, sehr eklektischer Mix für das Label Vakant wurde über 60.000 Mal heruntergeladen. Ein Studiomix wie »Wuppdeckmischmampflow« bekommt deshalb bereits im Vorhinein eine andere Gewichtung mit auf den Weg. Doch die Erwartung kann hier gar nicht so hoch sein, als dass Gabor Schablitzki sie nicht erfüllen könnte. Es ist wie bei dem Übergang von der zweiten auf die dritte REM-Phase: Eine Leichtigkeit setzt ein, die natürliche Gravitation schwindet. So hebelt Robag Whrume an der Schwerkraft, dreht an den Naturgesetzen und lässt uns hineingleiten in sein Koordinatensystem. Hier treffen sich die Geister, die wir riefen und nun nicht mehr loswerden: Guillaume & the Coutu Dumonts, Trentemøller, Villalobos, Moderat, Four Tet, DJ Koze, Ian Simmonds, Tiefschwarz, Kollektiv Turmstraße und so weiter. Die Aufzählung alleine genügt, um die Behauptung aufzustellen: Respektabel. Aber dies wäre kein Kompakt-Mix und schon gar nicht von Herrn Whrume, wenn das schon alles wäre. Whrume hat ein immenses Talent und Gespür dafür, Tracks, die ohnehin für sich sprechen, miteinander zu verbinden und daraus etwas Neues entstehen zu lassen, Tracks, die immer schon vor unseren Ohren lagen, aber noch nie so verbunden wurden. Doch einzigartig wird »Wuppdeckmischmampflow« durch sein – wie er es nennt – Smapelschatull. Whrume mischt seine eigene Atmosphäre dazu, postproduziert den Mix und lässt dabei Tracks auftauchen, artig in die Runde grüßen und zwei Übergänge später wie alte Tretmienen in den Gehörgängen explodieren. Er beweist dabei ganz entspannt, welche Fähigkeiten und Erfahrungen ein DJ und Produzent sammeln muss (z.B. Selektion aus übervollem Fundus mit eigener Handschrift), um einen derart zeitlosen Mix aufzunehmen. Musik als Heilung für den Künstler. Musik als Heilung für den Zuhörer.
8/10 stefan niederwieser
9/10 johannes piller
AU S GA B E 1 1 3 / 0 6 3 ◄
Abt. Twitter-Reviews
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a. 113/ R ezensi one n
Die Welt auf Scheibe – erklärt in 140 Ausführlicheres auf www.thegap.at
Zeichen zum Angeben in der Disco.
Adele 21 (xl) Es gibt Stimmen, die kann man nicht abschleifen, sondern nur mit konservativen Arran gements bezähmen. Adeles Album #2 ist leider ▪ überzahm. 6/10 stefan niederwieser … And You Will Know Us By The Trail of Dead Tao Of Dead (superball / emi) Die Texaner überset zen 70er Prog ins Stadion der Jetztzeit und bleiben ▪ große Melodien schuldig. 7/10 werner reiter Athlete Singles 2001–2010 (emi) Eine Band, die in ihren Anfängen Oasis nacheiferte, hat sich über die Jahre emanzipiert. Die vorliegende Compilation zeichnet den Aufstieg nach. 7/10 gerald c. stocker ▪ Badly Drawn Boy It’s What I’m Thinking (Part One Photographing Snowflakes) (edel) Wenn sich der Gezeichnete das Hauberl aufsetzt, fangen die Löffeln an zu knistern. Zeitlose Pop songs, liebliche Melodien und sehr sympathisch. 7/10 robert penz ▪
Darkstar North (hyperdub / cargo) Hyperdub setzt abermals Maßstäbe. Mit Darkstar diesmal weitestgehend abseits von Dubstep und seinem Nachbeben. Avantgardistisch! 9/10 klaus buchholz ▪ Ray Davies See My Friends (universal) Die al ternde Kinks-Ikone setzt beim Geldeintreiben auf die Expertisen von guten Bekannten wie John Bon Jovi, ▪ Richie Sambora und Metallica. 4/10 robert penz Deadmau5 4 x 4 = 12 (emi) Es funktioniert. Blen dend. Wer sich mehr als breiten Tekkno erwartet, ▪ ist selbst schuld. 6/10 stefan niederwieser The Decemberists The King Is Dead (beggars / rough trade) Britischer Folk ist passé, auf dem neuen Album dominiert spartanischer Americana-Sound. Gut ist das ja, aber auch ein bisschen gar unaufgeregt. 7/10 sandra bernhofer ▪
Tim Hecker Ravedeath, 1972 (kranky) Der Ka nadier hat in einer isländischen Kirche über Sounds meditiert. Sein mit Verzerrung aufgebrochener Ambient hätte so viel innere Ruhe gar nicht nötig. 5/10 stefan niederwieser ▪ I’m Not A Gun Solace (city centre offices) John Tejada und Takeshi Nishimoto perfektionieren ihren Akademiker-Post-Rock. Schön. Aber auch irgend ▪ wie sehr nüchtern. 6/10 martin mühl Nicolas Jaar Space Is Only Noise (circus company / word and sound) Ein starkes Stück zwischen Autoren-Electronica und Downbeat-Electro-Pop. Dieses Debüt ist trotz Vielseitigkeit eine runde Sache, leicht zu fassen ist es nicht. 6/10 katharina seidler ▪ James The Morning After (mercury) Die Indie-Saurier der 80er Jahre schaffen es nach zwi schenzeitlicher Schaffenspause ohne Retro-Pin am Revers mit alternativem Synthie-Rock zu punkten. 7/10 gerald c. stocker ▪
The Bewitched Hand Birds & Drums (zomba) Von psychedelischem Bombast-Rock über RetroSurfpop bis hin zu symphonischem Folkschmus – da kann schon mal der Atem stocken. 6/10 gerald c. stocker ▪ Aril Brikha Deeparture In Time - Revisited (art of vengeance / word & sound) Techno-Schwerge wicht Aril Brikha legt sein Album von 2000 wieder auf. Eine ganz große, deepe Detroit-Techno-Platte, ▪ damals und heute. 8/10 maximilian zeller British Sea Power Valhalla Dancehall (rough trade) Mit ihrem neuen Werk bleiben BPS ihrem vertrauten Shoegazing-Konzept treu, lassen aber auch das Keyboard im Stil von Kraftwerk verdäch ▪ tig mächtig brummen. 6/10 gerald c. stocker Camel Slavedriva (vienna wildstyle) Soll wohl unter den Hashtags #Sklaventreiberei_2_0 #Ge genwart laufen, kann aber außer Unruhe wenig ▪ einlösen. 3/10 stefan niederwieser
Dedicated To Pixton.A. (crater8) Prototypischer, heimischer Fun-Punk der Schule 1994. Bisschen unbedarft und sicher nicht modern, aber ebenso ▪ unpeinlich und souverän. 6/10 martin mühl Destroy Munich Don’t Forget The Birthday Cake (schönwetter) Liebenswerter Home-Made Indierock mit zehenwärmenden Melodien. Für fröhliche Partys oder eben das spontane Picknick. Hauptsache, es gibt Kuchen. 7/10 juliane fischer ▪ Escapado Montgomery Mundtot (grand hotel van cleef) Das deutsche Quartett spielt Screamo mit Herz, Hirn, Druck und Ansätzen von Melodie. Vermutlich nicht jedermanns Sache, trotzdem ▪ akzeptabel. 6/10 martin zellhofer Faust Something Dirty (bureau b) Die Krautrock legenden und Industrialpioniere zeigen sich klüger als zuvor. Im faustischen Sinne. 8/10 werner reiter ▪
Jamiroquai Rock Dust Light Star (mercury / universal) Jay Kay schüttelt Eingängiges aus dem Ärmel, spielt mit der Discokugel und holt die Hö rerschaft aus der Evergreen-Bar. Die Zeit steht still. 6/10 robert penz ▪ Joan As Police Woman The Deep Field (pias) Dieses beseelte Werk atmet sinnlich, hat scharfe Kanten und weiche Ecken und stirbt zum Glück nicht den frühen Tod einer überproduzierten Nu▪ Soul-Platte. 7/10 gerald c. stocker Sven Kacirek The Kenya Sessions (pingipung) Das Hauptproblem dieses interkulturellen Musikdialogs: er klingt trostlos. Dabei wäre das Soundkonzept Elektronica meets Field Recordings durchaus überzeugend. 5/10 stefan niederwieser ▪ Kaizers Orchestra Violeta Violeta Vol. I (petroleum) Selbst wenn man des Norwegischen mächtig wäre, hilft das vermutlich nur bedingt, um die herzerfrischend abgründige Musikwelt des Kai zers Orchestra zu verstehen. 7/10 gerald c. stocker ▪
Catekk / Patrick Pulsinger Vintage Love (houztekk) Die Liebe im Titel ist wörtlich zu nehmen. Techno-Produzenten, die ihre Maschinen lieben, sind nichts Neues – hier kann man es allerdings ▪ hören! 6/10 maximilian zeller Chra Von der Liebe – remixed by Mathias Schaffhäuser (comfortzone / trost) Die Verwand lung des Stücks von Experimental-Elektronik zum Technotrack ist geglückt, das neue Kleid steht dem ▪ elektronischen Chanson gut. 5/10 hanna thiele The Coral Butterfly House Acoustic (cooperative) Ein gelungenes Album mit seinem akustischen Pendant zu toppen, birgt die Gefahr des Scheiterns in sich. The Coral schaffen mit ihrem Versuch die ▪ Trendwende. 6/10 gerald c. stocker Cut Copy Zonoscope (modular) Nicht schlecht, nicht gut, nicht neu. Cut Copy wursteln sich durch ▪ ihr drittes Album. 3/10 barbara schellner
Flying Horsemen Wild Eyes (conspiracy) Dieses Album versprüht vom ersten Ton an jene Trau rigkeit, die sich seit Jahren bei den Tindersticks ▪ eingenistet hat. 5/10 gerald c. stocker The Go! Team Rolling Blackouts (memphis industries) Am Sound von The Go! Team hat sich über die Jahre sehr wenig verändert. Was früher fast innovativ klang, klingt heute nur mehr sympa ▪ thisch. 6/10 klaus buchholz The Happy Kids The Happy Kids (trash rock productions) Garage-Punk/Surf-Rock Debüt-7" im Stile von trashigen Hives, Kills bzw. Man Or Astro-Man? Auf 300 Stück limitiert und eigentlich sehr fein. 6/10 werner schröttner ▪ Harrys Gym What Was Ours Can’t Be Yours (splendour / cargo) Träumerischer Electro-Pop/Rock zwischen Atlas Sound und Nina Kinert. Eine Elegie der kitschigen Melancholie aus Schall und Hauch. 4/10 malin heinecker ▪
Low Frequency Orchestra & Wolfgang Mitterer Mole (chmafu) An konzentrierter Energie sind die fünf Ouvertüren des LFO dem großen gemeinsamen Improv-Krach mit Wolfgang Mitterer ▪ durchwegs überlegen. 6/10 stefan niederwieser Hannes Loeschel Songs Of Innocence (col legro) William Blake-Gedichte vertont klingen wie Helge Schneider. Kein Scherz. 5/10 werner reiter ▪ Maceo Plex Life Index (crosstown rebels) Maetrik produziert nun House und den auf gewohnt hohem Niveau. Passt perfekt auf Crosstown Rebels, ist nur ein wenig spät, um gehypt zu werden. 5/10 johannes piller ▪ Souad Massi Ó Houria (wrasse) Im Exil lebend scheint Massi ihren ganz persönlichen Stil zwischen Rai, Chaabi und Folk-Rock gefunden zu ▪ haben. 6/10 gerald c. stocker
Abt. Twitter-Reviews
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Mob Mob (problembär / hoanzl) Akustischer Indiepop aus Wien, gewürzt mit entwaffnenden deutschsprachigen Texten. Mob ist ein Lobgesang auf Teil zeitmelancholiker und Träumer. 7/10 teresa reiter ▪ Mr. Oizo & Gaspard Augé Rubber (ed banger) Neben Drehbuch, Regie, Kamera, Schnitt ist natür lich auch die Musik zu »Rubber« von Mr. Oizo. In allen Disziplinen schlägt er sich richtig gut. Freizeit ▪ hat der Typ wohl keine!? 6/10 maximilian zeller My Chemical Romance Danger Days: The True Lives of the Fabulous Killjoys (reprise records / warner) Ein radikaler Imagewandel soll das bisherige Emo-Getue vergessen lassen. Das Ergebnis ist ein laues Mainstream-Album. 3/10 jan hestmann ▪ Naive New Beaters Wallace (kitchenware) Naive New Beaters wollen mittels Electro-RockRap sehr lustig und Indie-Pop sein. Das gelingt dem französischen Trio aber nur sehr selten. 4/10 klaus buchholz ▪
Röyksopp Senior (wall of sound / pias) Dunkel und alt melden sich Röyksopp aus den Tiefen der Zeit zurück und klingen schwermütiger als bisher. 7/10 julia melcher ▪ Schluck den Druck Im Rausch mit Freunden (druckplatten records) Die Berliner Kombo macht wenig aufregenden Elektrodiscopunk mit sinnent leerten Texten. Das sollte witzig sein – ist es aber ▪ kaum. 3/10 martin zellhofer Sense Of Akasha People Do Not Know Who Rules (sense of akasha / hoanzl) Ruppiger Post-Rock gepaart mir dringlichen Spoken-Word-Parolen – das passt. Die Indie-Rock-Nummern danach ▪ braucht es nicht unbedingt. 7/10 martin mühl Shigeto Full Circle (ghostly international) Der sinnliche Bastler Shigeto ist begeisternder Beweis dafür, dass der Schatten von Gallionsfigur Flying Lotus mit der Zeit kürzer wird. 8/10 klaus buchholz ▪
Thelma & Clyde White Line (karmakosmetix / snowhite) Für das TripHop-Revival ist es definitiv noch zu früh. Als Hybrid aus Witch House und norwegischem Electro gehen Thelma & Clyde aber ▪ durch. 5/10 stefan niederwieser Shugo Tokumaru Port Entropy (p-vine records) Bittersüße japanische Poetik, die schwer nachvoll ziehbar ist. Hier treffen zwei Welten aufeinander, die sich scheinbar widersprechen. 5/10 julia melcher ▪ The Suzan Golden Week for the Poco Poco Beat (fool’s gold / cooperative music) Endlich wieder eine Frauenband, mit einer Prise Punkrock, aber ganz ohne Harajaku! The Suzan fallen auf, ohne zu übertreiben. Und das zu Recht! 7/10 julia melcher ▪ TV Buddhas Dying At The Party (trost) »PunkBand aus Tel Aviv« wäre ja an sich schon Style-Fak tor genug. Zusätzlich machen die drei TV-Buddhas noch richtig steile Rock-Musik. 8/10 teresa reiter ▪
Nouvelle Vague Couleurs Sur Paris (barclay) Diesmal überrollt die »Bossa Nova« nicht altbe kannte New Wave-Hits, sondern französische 80er Jahre-Kleinode und gewährt verfremdete Einblicke in die französische Post Punk-Epoche. 5/10 gerald c. stocker ▪ Pascal Pinon Pascal Pinon (morr) An der Gren ze zum Amateurhaften bewirkt das zarte Alter, was die Großen so selten können. Eine unheimliche Au thentizität. Zwei Köpfe, ein Kopfhörer, ein Gedanke. 6/10 juliane fischer ▪ Plug Plug (upset the rhythm) Plug machen NoisePop und Post-Punk mit einfachen Mitteln und poli tischer Ironie. Als Debüt klingt das nicht schlecht, ▪ aber unbeeindruckend. 5/10 klaus buchholz Red Rack’em The Early Years (bergerac) Red Rack’em verzaubert mit komplexem Disco-DeepHouse, der am dunklen Dancefloor genauso funktioniert wie unter der Picknicksonne. 8/10 klaus buchholz ▪
Space Invadas Soul:Fi (bbe / hoanzl) Die bunten Außerirdischen flimmern nicht mehr über den Arcade-Bildschirm, sondern bedrohen mit New School Funk aus dem australischen Outback. 5/10 michael ortner ▪ Street Sweeper Social Club The Gettho Blaster EP (cooking vinyl) Rap Rock, der irgendwo zwischen den Genres schwimmt und dabei einiges an Boost aus dem Ghetto Blaster verliert. 4/10 julia melcher ▪ Suede The Best Of Suede (ministry of sound) Gerade eben für eine kurze »Best Of«-Tour wieder vereint, präsentieren die vier Glamour-Pop-Briten alte Hits und B-Seiten, die nichts an Glanz verloren ▪ haben. 8/10 gerald c. stocker Tahiti 80 The Past, The Present & The Possible (human sounds / rough trade) Das sechste Album in alter Manier hebt sich wenig von den Vorgängern ab, lässt interessante Lieder vermissen und ist überhaupt ziemlich langweiliger French ▪ Pop. 2/10 malin heinecker
Ultrnx The Byterockin‘ EP/Pimp My Life (audiolith) Mit Ultrnx zeigt sich das gute Label Audiolith von seiner uninspirierten Seite. »The Byterockin’ EP« ist vernachlässigbarer Electro House. 3/10 klaus buchholz ▪ Various Artists Le Pop 6 – Les Chansons de la Nouvelle Scène Francaise (le pop musik / groove attack) Die neue Chansons-Compilation prä sentiert Gainsbourg-Ästhetik mit subtilen ElektroBasteleien und neuen kanadischen Pop-Einflüssen. 7/10 malin heinecker ▪ Various Artists Pop Ambient 11 (kompakt) Wer hat die dicksten Soundwände, die schillerndsten Drones, die tiefgründigsten Echokammern, den Geist der Romantik aus der Elektronendose? Pop ▪ Ambient haz em! 7/10 stefan niederwieser Various Artists Werkschau (bpitch control / kompakt) Statt Best-Of gibt es 17 unveröffentlichte Stücke. Feine Tracks ohne große Überraschungen, die sich teilweise sogar abseits des erprobten ▪ Labelsounds bewegen. 6/10 maximilian zeller
Resoe The Black Void Of Space (echochord) Bis ganz zum Mond schafft es die Dubstep-Raum sonde namens »The Black Void Of Space« nicht, aber der Ausblick von dort oben ist schön. 5/10 johannes piller ▪ Hans-Joachim Roedelius Selbstporträt I / Selbstporträt II / Geschenk des Augenblicks (bureau b) Drei Werke dokumentieren die Entwick lung der musikalischen Sprache eines außerge ▪ wöhnlichen Musikers. alle 7/10 werner reiter Rotzpipn … is a wos wert (harlots) Simmeringer Milieuvarieté: Dieses Debüt ist eine wilde Mischung aus zorniger Politsatire, punkigen Heurigengstanzln und schräge Liebeserklärung an den 11. Wiener ▪ Bezirk. 6/10 gerald c. stocker Round Table Knights Say What?! (made to play / rough trade) Ein Drahtseilakt zwischen souligem Deep House und abgeschmackt pop pigem Tech-House. Bei manchen Tracks schüttelt man freudig die Beine, bei vielen den Kopf. 4/10 maximilian zeller ▪
MEHR REVIEWS WWW.THEGAP.AT GROSSES ARCHIV
065 AU S GA B E 1 1 3 / 0 6 5 ◄
Abt. Film
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066 Cyrus
(von Jay und Mark Duplass; mit John C. Reilly, Marisa Tomei, Jonah Hill, Catherine Keener) Mumble core fusioniert mit Hollywood: Die Brüder Duplass, Mitbegründer des aktuellen US-Low-BudgetBefindlichkeitskinos, haben das Beziehungsgeflecht ihres neuen Films nicht mehr mit No-Names aus dem Bekanntenkreis besetzt, sondern mit einem Starquartett. Als unberechenbares Muttersöhn chen und Verehrer der Mutter improvisieren sich Jung-Comedian Hill und Charakterdarsteller Reilly beherzt durch eine zahm dahinplätschernde Dramö die in verwackelten Zooms. Ein bisschen mehr vom Irrsinn ihrer Studioproduktionen hätte gut getan. 6/10 joachim schätz
Inside America
(von Barbara Eder; mit Raul Juarez, Aimée Lizette Saldivar) Brownsville/Texas, nahe der mexikani schen Grenze: Zwischen Schulabbrechern, Street Gangs und fanatischen Patrioten entsteht ein USHighschool-Drama made by Austria. Hier, wo ver schiedene ethnische Gruppen aufeinander stoßen und Waffen- und Drogenhandel florieren, verfolgt die ortskundige Filmstudentin Barbara Eder mit wackliger Handkamera sechs sehr unterschiedliche Jugendliche und lässt tief in amerikanische Seelen blicken. Eder arbeitet mit ansässigen Laiendar stellern, die sich in »Inside America« quasi selbst porträtieren. Das Ergebnis: Ein starkes, ehrliches Drama mit dokumentarischen Elementen, abseits von Teenie-Film-Konventionen. 8/10 jan hestmann
Tucker & Dale vs Evil
(von Eli Craig; mit Tyler Labine, Alan Tudyk, Katrina Bowden, Jesse Moss) Die kanadische Genre-Parodie »Tucker & Dale vs Evil« verfügt über all jene Zu taten, die Popcorn-Horror zu intelligentem Kino für die Massen werden lässt: Kunstblut und Gedärm in rauen Mengen, unerbittliche Schlächter und ge erdete Sympathieträger, effektive Spannung und überraschende Action, Humor mit makaberen Kan ten. Regisseur Eli Craig verstrickt für seinen Back wood-Slasher zwei gutherzige Hillbilly-Figuren, Tu cker und Dale eben, in eine Kette von unglücklichen Zufällen, die eine Gruppe von dumpfen CollegeUrlaubern schrittweise dezimiert. Bis sich einer der Studenten in dieser schwarzen Verwechslungsko mödie schließlich als blutrünstiger Psychopath entpuppt. Mit zunehmender Dynamik entgleitet der Erzählung das Spiel mit gängigen Grusel-Sujets und Hollywood-Stereotypen etwas. Doch trotz ge legentlichen Abflachungen (vor allem in Richtung Sexschmäh), zünden bis zum Finale hin die meisten Lacher erfolgreich. 7/10 klaus buchholz
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I Am Love
(von Luca Guadagnino; mit Tilda Swinton, Marisa Berenson, Flavio Parenti)
Tilda-Mania
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Der Ausbruch einer Frau aus dem sogenannten goldenen Käfig steht im Mittelpunkt des gefühlsintensiven Dramas von »I Am Love«. Ein Film wie gemacht für die Ausnahmekünstlerin Tilda Swinton, in einer Szenerie, die durch ihre Geradlinigkeit überzeugt. Mitten in Mailand lebt Emma als Frau des Oberhauptes des Rechi-Clans, einer der vermögendsten Familien der Stadt. Zu ihren beiden erwachsenen Kindern hat sie eine scheinbar innige Beziehung, die aber durch das steife Leben in der Rechi-Villa stark beeinträchtigt wird. Als sie den jungen Koch Antonio kennenlernt, verführt sie dieser mit seinen Kochkünsten und zeigt ihr eine andere Welt außerhalb des herrschaftlichen Stadtlebens. Die Treffen mit ihm sowie ein herber Schicksalsschlag lassen Emma das Interesse für sich selbst wiederfinden, um so ihrem prunkvollen Gefängnis zu entfliehen. Die Melodramen-Formel von der sinnlichen Emanzipation der einkorsettierten Hausfrau gestaltet Guadagnino in sehr klaren Formen aber auch mittels Farben plastisch durch. Ihre Wandlung vollzieht sich in einer Inszenierung mit viel Liebe zum Detail, die jedoch nie ihr Ziel aus den Augen verliert oder sich zu tief in Nebenstränge verirrt. Tilda Swinton vollführt in »I Am Love« eine ihrer leidenschaftlichsten, undistanziertesten Darstellungen. Die wohl tatsächlich als einzigartiges Phänomen zu bezeichnende Schauspielerin überzeugt nicht nur durch ihr glaubwürdiges Spiel einer Wandlung, sondern vor allem durch die spürbar vollständige Hingabe an ihre Rolle. Die Figur der Emma legt sie erst bewusst ruhig an, um dann ihre Wandlung umso intensiver zu vollziehen. Mit einfachen aber wirkungsvollen Stilmitteln – pointiert eingesetzten Musikkompositionen des Post-Minimalisten John Adams sowie perfekt eingefangenen Szenerien vor allem in der ländlichen Region der Lombardei – versetzt einen »I Am Love« in eine Welt voller Gegensätze zwischen unglaublicher Statik und feiner Leichtigkeit. Ein Muss für Swinton-Fans sowieso. 9/10 barbara nitsch
Abt. Film
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Film, Motion-Design & Mehr www.nked.at
Tron: Legacy
(von Joseph Kosinski; mit Jeff Bridges, Garrett Hedlund, Olivia Wilde, Michael Sheen, Bruce Boxleitner)
Mit dem Dude in der Lounge
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Es ist Jeff Bridges gegenüber nicht fair, ihn auf seine Rolle in »The Big Lebowski« zu reduzieren. Rund zwölf Jahre nach dieser Legendenbildung ist es ihm gegenüber auch nicht fair, eine Abwandlung dieser Filmfigur in die steril-futuristische Kulisse von »Tron: Legacy « zu packen, aber es ist wenigstens unterhaltsam. Regisseur Joseph Kosinski holt für sein Spektakel »Tron: Legacy« also den Lebowski’schen Dude aus der Mottenkiste und karikiert ihn als ergrauten Guru. Als Programmierer Kevin Flynn aus dem Kultfilm »Tron« (1982) ist er in der Fortsetzungsgeschichte ein meditierender Gefangener im selbst geschaffenen Computer-Utopia. Ein böser Doppelgänger hat indes die Macht übernommen und pflegt faschistoiden Imperialismus, Gladiatorenkämpfe inklusive. Eines Tages wird der als möglichst draufgängerisch charakterisierte Hacker-Sohnemann (Garrett Hedlund) vom verschollenen Vater kontaktiert und findet sich kurze Zeit später als Gladiator in der besagten Parallelwelt wieder. Verhältnismäßig beeindruckend wurde diese sehr düster und kühl visualisiert, bietet für Protagonist und Publikum – neben Verfolgungsjagden und Laser-Action – aber vor allem futuristisches Dekor. Dazu müssen auch die wenigen Frauen im Film gerechnet werden, deren minimalistischem Charakterdesign kaum mehr zugesprochen wurde als geometrisch, funktional und sehr sexualisiert zu sein. Am außergewöhnlichsten und unterhaltsamsten wurde hier allerdings der allwissende Hippievater in Szene gesetzt, dessen Exilwohnung eine Art hypermoderner Bungalow in simpelstem Lounge-Schick geworden ist. Er selbst wird als cooler alter Dude-Gott vorgeführt, der Drinks und Drogen gegen Meditation und Schöpfermythos getauscht hat. Geblieben sind der lockere Haarwuchs, die lockere Kleidung und die lockeren Sprüche. Annähernd skurrile Momente hat sich Kosinski leider nur selten gegönnt, wie etwa in einer Szene, wo Dude, Sohn und Gespielin (Olivia Wilde) gemeinsam ein hier außerirdisch wirkendes Spanferkel zu Abend essen. Oder überhaupt die Figur von Michael Sheen (»Frost / Nixon«), der einen sexuell geladenen DavidBowie-Gangster-Dandy und damit die interessanteste Rolle spielen darf. Die inhaltlichen Stärken von »Tron: Legacy« liegen in vereinzelten Augenblicken auf Nebenschauplätzen und überwiegend bei Bridges und Sheen. Die Optik ist gigantomanisch reizvoll, die Science-Fiction insgesamt aber selten begeisternd. 5/10 klaus buchholz
VoiceOver
_ Abt. DVD
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Enter The Void (Capelight Pictures)
von Gaspar Noe; mit Nathaniel Brown, Paz de la Huerta, Cyril Roy DVD / Blu-Ray
text Martin Mühl
6/10 klaus buchholz
Die Zukunft im deutschen Fernsehen In den letzten Monaten haben sich einige deutsche TV-Projekte in Science-Fiction versucht. Teilweise erfolgreich, aber: besser geht immer. »Alpha 0.7« will mehr sein als eine TV-Serie. Ent standen in einem Nachwuchs- und Experimen tierumfeld des SWR, nähert man sich in sechs 25-minütigen Folgen dem Jahr 2017 in Stuttgart: Ein Unternehmen will EU-weit Gehirn-Scans an öffentlichen Plätzen durchführen, um Verbrecher bereits vor der Tat zu entlarven und mittels Chip umzupolen. Eine Gruppe junger Rebellen kämpft im Untergrund gegen diese Pläne, während ein ChipVersuchs-Kandidat sich zu befreien versucht. Die Serie wurde nicht nur im SWR, sondern auch auf Arte und zuletzt auf 3Sat ausgestrahlt. Dass sie bil lig produziert wurde (z.B. heutige Auto-Modelle, …) stört hier nicht. Und es ist eine feine Idee, die Serie als Thema online weiterzuspinnen: Hörspiel, Pod casts, Doku-Fiction, Comedy oder auch eine Band laden dazu ein, sich intensiver mit »Alpha 0.7« aus einanderzusetzen. Das lässt auch das eher offene Ende der TV-Produktion verschmerzen. Ganz im Gegensatz zu dessen Qualität. Man sieht der Serie die Unerfahrenheit der Macher an; Drehbuch und Schauspielführung könnten deutlich besser sein und brechen immer wieder jede Erzähl-Illusion. Ebenso geerdet, aber noch düsterer geht es in »2030 – Aufstand der Jungen« zu. Jörg Lühdorff drehte für das ZDF den Nachfolger zu seiner Serie »2030 - Aufstand der Alten«. Das Budget war hier offensichtlich höher, Mode und Frisuren erfüllen SFKlischees und als Fahrzeug gibt es zumindest ein VW-Concept Car. Auch die Einbettung funktioniert: Die Doku-Fiction simuliert eine ZDF-Reportage, in der eine Journalistin die Protagonistin beim Ver such begleitet, den angeblichen Tod eines Freundes aufzuklären. Vielleicht hätte sich Lühdorff aber mehr als 90 Minuten Zeit lassen sollen für seine Story, denn so kommen die gesellschaftlichen Zu sammenhänge (keine staatliche Pensionen mehr, keine flächendeckende Krankenversicherung, …) arg schablonenhaft ins Bild. Trotz offensichtlicher Mängel sind aber beide Versuche, Science-Fiction ins deutsche Fernsehen zu bringen, durchaus ver folgenswert. »Alpha 0.7« kann komplett auf dem YouTube-Kanal des SWR gesehen werden. www.alpha07.de lädt dazu ein, auch Hörspiele, Podcasts und den Rest des Erzähluniversums zu verfolgen. »2030 – Aufstand der Jungen« war im Jänner im ZDF zu sehen und ist nun als DVD (Universum) erhältlich.
Mit »Enter The Void« hat Regisseur Gaspar Noé (»Irréversible«) einen nicht enden wollenden psychedelischen Trip geschaffen. Genau darin liegt auch das Problem dieses optisch durchaus atemberaubenden Films. Die Geschichte um eine Geschwister paar in Tokio, deren Welt aus den Angeln kippt, weil der dealen de Bruder im Drogenrausch zu Tode kommt und plötzlich als transzendentierte Seele über den Dingen schwebt, ist eine große visuelle Herausforderung. Doch so konsequent hier fliegende Ka merafahrten, Farbenspiele, Rückblenden, Schockmomente und andere Überreizungen als Konzeptarbeit durchexerziert werden, so sehr vernachlässigt Noé die Spannungsbögen in seiner etwas schlicht geratenen Erzählung. Da die narrative Absicht des Films sehr bald etabliert wird, wirken viele der Flugstunden und Wie derholungen, die das Publikum an der Seite des Protagonisten unternehmen darf, auf die Dauer einfach langweilig. Gesehen sollte man dieses optische Opus Maximum aber dennoch haben, alleine schon wegen dem betörenden Intro.
Frozen ( Universum)
von Adam Green; mit Emma Bell, Shawn Ashmore, Kevin Zegers DVD / Blu-Ray
»Frozen« ist einer jener modernen Spannungsfilme in der Schule von »Open Water« oder »Buried«, die Kollege Schätz Immobilisierungs-Horror nannte. Es gibt im Gegensatz zum klassischen Hor rorfilm keine Gegner oder Bösewichte. Die Protagonisten haben schlicht keinen Handlungsspielraum, kämpfen mit der Natur und ihren eigenen Fehlern. Bei »Frozen« werden drei Mittzwanziger auf einem Sessellift vergessen. Es droht nicht nur der Erfrierungs tod, sondern auch die Wölfe der Umgebung sorgen für Unwohl sein. Nach einer Einleitung, die die Protagonisten als alternde Tee nager porträtiert, wird es rund eine halbe Stunde ziemlich heftig und die erste Nacht sorgt für einiges an (Fremd-)Schmerz. Dann entschleunigt der Film, es geht wieder um Teenie-Probleme und das Finale bleibt ziemlich vorhersehbar. Das Drehbuch hat also deutliche Schwächen und der Film bis auf sein Spiel mit ein paar Urängsten wenig zu bieten, ist aber streckenweise dennoch ganz schön grauslich und spannend. 5/10 martin mühl
Moon ( Koch Media)
von Duncan Jones; mit Sam Rockwell, Kevin Spacey, Dominique McElligott DVD / Blu-Ray
Frei nach Regisseur Duncan Jones ist das Astronautenleben in naher Zukunft, als Angehöriger der Arbeiterklasse im industri alisierten All, nur bedingt spannend. Sam Bell (Sam Rockwell) arbeitet drei Jahre lang alleine auf einer Raumstation am Mond. Nur der sprechende Roboter Gerty (Kevin Spacey) ist bei ihm und sichert seine Existenz. In zwei Wochen soll Sam zu Frau und Kind zurückkehren können. Jedoch schleichen sich Halluzinationen ein und als er nach einem Unfall erwacht, befindet sich plötzlich ein Doppelgänger mit ihm in der kleinen Raumstation. Souverän spielt Rockwell gegen sich selbst und bleibt damit der Höhepunkt dieses verschwörungstheoretisch (Stichwort: Klon) unterfüt terten Paranoia-Dramas. Jones deutet verschiedene Handlung sideen an, ist aber erzählerisch inkonsequent und inszeniert bis zum Schluss leider eine etwas abflachende Science-Fiction. Trotz seines überzeugenden Hauptdarstellers bleibt »Moon« damit re lativ unspannend. 5/10 klaus buchholz
Tannöd ( Constantin)
von Bettina Oberli; mit Julia Jentsch, Monica Bleibtreu, Volker Bruch DVD / Blu-Ray
Bettina Oberli verfilmte mit »Tannöd« den Erfolgsroman von An drea Maria Schenkel, der lose auf einem realen Kriminalfall aus dem Jahr 1924 beruht. Die Handlung ist in die 50er Jahre verlegt und im Gegensatz zum Roman erfindet der Film eine Figur hinzu, die der Zuseher begleiten kann. Kathrin kehrt nach dem Tod ihrer Mutter in ein abgelegenes Dorf zurück, in dem zwei Jahre zuvor auf einem Bauernhof eine ganze Familie plus Magd ermordet wurde. Die Dorfbewohner beschuldigen sich seitdem gegenseitig und schon bald ist klar, dass es untereinander erwartungsgemäß archaisch (Inzest, …) zugeht. Oberli beherrscht das Spiel mit der düsteren Atmosphäre und die Betonung des wenig warmherzigen Umgangs untereinander. Das offene Ende wirkt wie im Buch durch einige allzu klare Fährten aufgesetzt und auch sonst wird hier mehr angerissen als ausgeführt. »Tannöd« funktioniert deswegen als Film in erster Linie über die Horror-Atmosphäre und den EkelFaktor im Umgang der Protagonisten untereinander. Der echte Mörder wurde übrigens nie gefunden. 6/10 martin mühl
Abt. Sachbuch Juliane Batthyány Kinos in Wien – Vom Alltag und Überleben der kleineren Filmtheater
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a. 113/ R ezen sione n
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(S utton ) Es gibt eine Radiowerbung, in der eine Person die andere fragt, ob sie lieber ins Kino oder ins Multiplex gehe. Multiplex lautet die zielsichere Antwort. Noch gehen aber genug Menschen – und viele davon mit Absicht und ausschließlich – lie ber in kleine, mitunter sehr alte Kinos. Deren Zahl schrumpft dennoch ständig: 2009 schloss das Tuchlauben, 2006 das Atelier, 2004 das Eos, 2002 das Flotten und so weiter. Der Bestand der verblie benen ist aber bei Weitem nicht gesichert. Erst im Dezember berichtete Der Standard vom Überle benskampf des Gartenbaukinos, Ähnliches ist im mer wieder von altehrwürdigen Häusern zu hören. Eine nicht ganz vollständige Bestandsaufnahme der momentan noch bespielten Wiener Lichtspielhäu ser präsentiert der kleine Bildband »Kinos in Wien« der Fotografin Juliane Batthyány. Der Sutton Verlag veröffentlicht aufgrund seines Verlagsprofils keine großformatigen Prachtbände, vorliegendes Werk erfüllt dennoch seinen Zweck. Bilder von Kinosälen, von alten Buffets und Vorführgeräten, aktuellen Außenansichten und manch historische Aufnahme halten eine verschwindende Welt fest. Geschäfts führer, Kassierer oder Filmvorführer erzählen von der besonderen Programmgestaltung, der behut samen Renovierung, der Beziehung zum (Stamm-) Publikum oder dem Design und Interieur ihrer Ki nos. Auf Zahlen, Daten und Fakten wird größtenteils verzichtet – hier wirkt die eingefangene Stimmung. 7/10 Martin Zellhofer
Oliver Errichello, Arnd Zschiesche Wir Einmaligen
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(E ichborn ) Distinktionsdruck ist die Geißel un
serer Zeit. Wir arbeiten alle verdammt hart daran, unseren Individualismus zu betonen und gehen dabei nur klugen Marketingstrategen auf den Leim. Das ist die Kernthese dieses unterhaltsamen Bandes. Die Stärken des Buches liegen auch in der Unterhaltung. Beinahe kabarettistisch führen die beiden Autoren die Verhaltensweisen derer vor, die wir hierzulande Bobos nennen. Das Verfassen eines Kinderbuches etwa wird als einfach zu realisierende Königsklasse der kreativen Selbstverwirklichung geschildert. Wo sie Philosophen und Soziologen als Zeugen anru fen, bleiben sie an der Oberfläche und bringen kei nerlei neue Erkenntnisse oder Erklärungsmodelle. Zwischen den gelungenen Kalauern sollen Zitate von Ernst Jünger, Ortega y Gasset, Michel Focault oder Pierre Bourdieu für die intellektuelle Veranke rung sorgen. Das sind allesamt ehrenwerte Denker. Allerdings eignen sie sich kaum dazu, aktuelle Phä nomene wie Social Media hinreichend zu erklären. Noch schwieriger wird es beim Happy End, das ein derartiges Buch scheinbar haben muss (»Heiterkeit ist da deutlich gesünder als zynische Desillusionie rung«). Errichello und Zschiesche empfehlen lust volles Surfen zwischen verschiedenen Gruppen und Massenphänomenen und meinen zum Schluss auch noch, es sei »immens wichtig, dass auf dieser Erde einige Dinge weiterlaufen«.
4/10 Werner Reiter
Gilles Peterson & Stuart Baker Original Cover Art – Bossa Nova and the Rise of Brazilian Music in the 1960s
Coop Himmelb(l)au Complete Works 1968–2010 ( Taschen Verlag)
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Fliegende Linien Mehr als fünf Kilogramm wiegt der umfassende Ziegel mit allen bisherigen Projekten der vielleicht einzigen österreichischen Architekturstars Coop Himmelb(l)au.
Neben dem Gewicht wird dem Wälzer vor allem mit einem Format von 46 µ 34 cm die Lagerung in zahlreichen Regalen wohl verhindert sein. Abgesehen davon kommt es aber recht klassisch daher. Vorangestellt ist dem Bildband eine kurze Einleitung des Architekturjournalisten Michael Mönninger, danach werden auf knapp 500 Seiten sämtliche Projekte des Wiener Architekturbüros chronologisch vorgestellt. Coop Himmelb(l)au lassen die gestalterischen Grundsätze, die bis heute verfolgt werden, bereits in ihren ersten verwirklichten Projekten gut erkennen – anhand einer schnellen, alles sagenden Skizze, die anschließend in Modelle, Pläne und zuletzt in ein gebautes Projekt übersetzen wird. Die Architektur ist geprägt von wild wirkenden Linien und Überlagerungen. Komplexe Grundrisse sowie eine ausgeprägte vertikale Entwicklung der Gebäude sorgen für spannende Innenräume und abwechslungsreiche Perspektiven. Statische Architektur wird zugunsten einer erlebbaren Dynamik verdrängt. Bis heute ist Coop Himmelb(l)au zu einer internationalen Marke mit zahlreichen Mitarbeitern und Büros in Wien und Los Angeles herangewachsen. Doch gerade an aktuellen Projekten wird immer wieder kritisiert, dass sich Coop Himmelb(l)au von der ursprünglich erwünschten Wirkung ihrer Architektur weit entfernt haben, und die revolutionären Ansätze ihrer frühen Studien zugunsten des Bauens immer komplexerer Geometrien verloren haben. Das Büro stehe mittlerweile für eine Signature-Architektur, die auf ein bekanntes, spektakuläres Formenrepertoire zurückgreift, aber keine grundlegenden Neuerungen mehr erreicht. Bei der Menge und Größenordnung an Bauten, die sie zuletzt realisiert haben, ist eine gewisse Verwässerung der Grundideen wohl auch nicht auszuschließen. Jedoch arbeiten Coop Himmelb(l)au nach wie vor an Projekten, in denen die Grenzen des technisch Machbaren, in manchen Fällen auch die Grenzen der Möglichkeiten ihrer Architektur, aufgezeigt werden. Das große Format dieses Bildbandes kommt nun dem Inhalt sehr zugute. Man hätte die Anzahl der Fotos zugunsten von einigen technischen Details reduzieren können, bis auf einige wenige Ausnahmen fehlen diese vollständig. Insgesamt handelt es sich aber um ein kurzweiliges Buch, das einen tiefen Blick in das Werk von Coop Himmelb(l)au erlaubt. 7/10 Albert Frisinghelli
stilistischen Überblick über das Cover-Design von Bossa Nova-Platten aus den 1960er Jahren. Was in den USA der Soul war, war für Brasilien der Bossa Nova: die »neue Welle« repräsentierte einerseits eine musikalische Stilrichtung, die aus Samba her vorging und US-amerikanischen West Coast Jazz involvierte. Andererseits verkörperte Bossa Nova eine Bewegung, die einen modernen, urbanen Le bensstil propagierte. Die 200 Seiten bieten einen groben Querschnitt über brasilianische Cover Art und reichen von farbenfrohen Designs bis zu puri
stischem Schwarz-Weiß. Überwiegend finden sich Porträt-Fotos, teils kitschige, teils psychedelisch angehauchte Szenen. Die modernen, revolutionären Designs auf Labels wie Odeon, Festa, Elenco und Philips reflektieren darüber hinaus die Coolness und das Kosmopolitische zu Beginn des Jahrzehnts. Plattensammler und Cover-Liebhaber können mit diesem Buch durch die Vergangenheit schmökern, die wenigen historischen und kulturellen Randinfos werden jedoch keine breite Leserschaft anziehen. 4/10 Michael Ortner
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(S oul Jazz Books ) Was haben Joao Gilberto, An
tonio Carlos Jobim und Vinicius de Moraes gemein sam? Nun ja, sie haben den Bossa Nova erfunden – zumindest wenn es nach dem neuen Buch aus dem Hause Soul Jazz Records geht. Das parallel zur CD erschienene Buch bietet einen chronologischen und
AU S GA B E 1 1 3 / 0 6 9 ◄
Abt. Buch António Lobo Antunes Mein Name ist Legion
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a. 113/ R ezensi one n
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( Luchterhand ) In seinem 19. Roman widmet sich der portugiesische Ausnahmeromancier einem Elendsviertel am Rande Lissabons, in der afrika nische Kolonienzuwanderer, vom weißen Subprole tariat verachtet, in Armut und Kriminalität leben. Eine Gang aus farbigen, retardierten Jugendlichen terrori siert den Bezirk mittels Überfällen, Drogendeals und Vergewaltigungen, die Polizei kann die Konflikte trotz gezielter Tötungen nicht lösen. Antunes erzählt dies wie stets achronologisch und metaphernreich über verschiedene Perspektiven – durch einen Polizisten, die Viertelbewohner und Gangmitglieder –, deren Ge samtsicht ein Bild der gesellschaftlichen Verwahrlo sung, Entfremdung und antisolidarischen Vereinze lung über dem tobenden Erbe des Kolonialwahnsinns ergibt. Vielgestaltig und -stimmig, bildreich und prä zisen Blicks, hochassoziativ und -poetisch – neuerlich ein Meisterwerk des ehemaligen Psychiaters, der seit Jahren als Nobelpreiskandidat gilt. 10/10 Roland Steiner
Rawi Hage Kakerlake
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( Piper ) Halb Mensch, halb Kakerlake: So fantasiert
sich der stets lügende, namenlose Ich-Erzähler, wenn er nicht gerade stiehlt, bei seiner ihn sexuell anziehenden aber widerwillig besuchten Therapeu tin einbricht, mit der Exil-Iranerin Schohreh vögelt oder Drogen konsumiert. Aus dem BürgerkriegsLibanon nach Montreal gespült, betrügt er hier die nach Folklore-Exotik der Marke »Migrationshin tergrund« gierende Schickeria und beraubt seine Exilkollegen, ehe er nach einem Suizidversuch als Hilfskellner zu arbeiten, dabei die Tochter des Chefs zu lieben und den Mord an einem iranischen Gefäng niswärter zu planen beginnt. Der in Beirut gebore ne Kanadier Rawi Hage hat einen halluzinogenen Roman um das Fremdsein im überlebensharten Under- und gleichgültigen Overground geschrieben, der sich nicht um stereotype Migranten-Attributi onen der PC-Tugendwächter schert und Asyltrau mata in ein kafkaeskes wie auch pointiert witziges Schuldaufarbeitungsdrama flicht.
7/10 Roland Steiner
Josef Kleindienst An dem Tag, als ich meine Friseuse küsste, sind viele Vögel gestorben
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( S onderzahl ) Mit seinem Debütroman landete der Kärntner Josef Kleindienst (2010 BachmannPreis-Teilnehmer) gleich einmal auf der Shortlist für den kuriosesten Buchtitel 2010. Nicht minder schräg und skurril geht es auf den 132 Romanseiten zu. Serviert in kleinen Beobachtungs- und Gedan kenfetzen, schön geordnet und durchnummeriert wird eine Welt präsentiert, in der es handlungstech nisch (im besten Sinne) drunter und drüber geht. Der Ich-Erzähler ist wohl irgendwo in seinen 30ern mit dazugehörenden Kleinkrisen zu verorten. Antriebs los, aber geil heißt es etwa: »Ich möchte onanieren. Ich möchte die Welt wegonanieren.« Jedenfalls fin det sich der von Weltekel geplagte Held plötzlich in einer Verschwörung wieder, die von Affen getragen werden soll. Science Fiction meets Alltagsbeobach tungen und Tagebuchweisheiten. Klingt wirr, ergibt aber Sinn. Ironisch, trocken und gut.
Gustav Ernst Beste Beziehungen ( Haymon)
Hau hin
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Gnadenlos hackt Gustav Ernst mit seinen Figuren in Konflikt-Sketches zwischen Splatter-Trash und Wahnsinn herum. Der Autor und KolikHerausgeber gibt sich in seinem neuen Roman »Beste Beziehungen« gewohnt kraftmeierisch, angriffslustig und grauslich körperlich. Die expliziten Monologe stoßen dabei an die Grenze des rhetorisch Erträglichen. »Wenn zwei Menschen zusammenkommen, vor allem ein Mann und eine Frau, streiten sie. Wenn nicht gleich, dann bald. Wenn sie längere Zeit zusammen sind, dann sicher bald. Männer und Frauen passen halt nicht zusammen. Kurz vielleicht, aber nicht lang.« Im Laufe der Geschichte haben wir den Spleen entwickelt, den Menschen, mit dem wir die anstrengenden Tätigkeiten der Kindererziehung und des Bettenteilens ausführen, auch noch lieben zu wollen. Die freie Partnerwahl ersetzte mehr und mehr das elterliche Heiratsarrangement, was den oben angesprochenen Streitfaktor nicht unbedingt verringert. Nach wie vor ist das Unterfangen immer dann noch um einen Grad schwieriger, wenn die soziale Schicht der beiden nicht homogen ist (reiches Mädl, armer Bub oder umgekehrt). Hier gezeigt am Beispiel Lisa und Franz. Sie als materialistischer Familientyrann, fühlt sich ständig bemüßigt, sich mit anderen Leuten zu messen und projiziert diesen Leistungsdruck auf den romantischen Franz, der sich Luft verschafft, in dem er aus heiterem Himmel seelenruhig alle mit der Hacke erschlägt. Meistens spielt dabei Sex bzw. der Nicht-Sex eine Rolle. Und eigentlich immer die Triebe. Das unglaubliche Streben nach Macht, nach einer perversen Erfüllung, nach Reichtum, nach Ausbrechen aus dem Leben. Das Gemetzel gibt es in jeder Schicht. Mit Küchenmesser, Hacke oder Pistole. Früher oder später verlieren alle die Fassung. »Dem 55-jährigen Gymnasiallehrer Philipp S., bisher unbescholten, wird vorgeworfen, seine siebenjährige Nichte während der Nachhilfestunden, die er ihr gab, mehrmals missbraucht zu haben«, steht dann in der Zeitung. Wie in Glavinics »Der Kameramörder« tritt auch hier unweigerlich die Sensationslust, dieser Medienvoyeurismus am Grauen an die Themenoberfläche. Die These, dass Reality-TV einen besonderen Service für das Gefühlsmanagement und die Emotionskontrolle seiner Zuschauer bietet, gibt es ja. Gewaltdisponierte, die sich zugleich ängstlich und fremdbestimmt erleben, konfrontieren sich mit dem, was sie beunruhigt. Gustav Ernst liefert in »Beste Beziehungen« blanke Nerven im Drehbuchstil. Mit Hilfe einer stark formalisierten Sprache, die vor allem auf Monologen, indirekter Rede und Wiederholungen beruht, strickt er immer engmaschiger ein Beziehungsnetz aus Sexualität und Tod. 6/10 Juliane Fischer
6/10 Manfred Gram
Nagel Was kostet die Welt
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( H eyne) Nagel (Thorsten Nagelschmidt), ehema
liger Sänger der Punkrock-Band Muff Potter, debü tierte 2007 mit seinem lesenswerten, vermutlich halbfiktiven Tourtagebuch als Sänger einer fiktiven Band. Sein zweiter Roman begleitet nun den 27jäh
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MEHR REVIEWS WWW.THEGAP.AT GROSSES ARCHIV
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rigen Berliner Tunichtgut und Barkeeper Meise, der von seinem Vater 15.000 Euro erbt. Sparen oder In vestieren kommen für ihn nicht in Frage – das Geld verwendet er für das, was sein Vater nie getan hat: Reisen. Den letzten Rest gibt Meise für einen Trip an die Mosel aus. Dort ereignet sich ein fulminanter Showdown … Der Hauptdarsteller, nach außen hin meist höflich, innerlich ein misanthropischer Zy niker, will ein guter, freier und selbstbestimmter Mensch sein. Das Leben seiner Eltern dient ihm als mahnendes Beispiel. Er hält nichts von finanzieller Sicherheit oder Karriere, Spießertum ist ihm ein Gräuel und den meisten Menschen glaubt er sich überlegen. Tatsächlich aber erkennt der nicht wirk lich sympathische Meise sein eigenes Unvermögen meistens nicht. »Was kostet die Welt« ist ein Buch über das tägliche Scheitern der Menschen, ohne Wertung, ohne Erkenntnis. Am stärksten ist es dort, wo nüchtern Alltägliches wie die Langeweile des Provinzlebens, zynisch die geistige Stumpfheit von Menschen oder rasant ein gedanklicher Amok lauf in einer Kleinstadt beschrieben werden. Der richtig große Wurf ist der Roman aber nicht, denn Meise steckt in jedem von uns. Und somit ist das hier nichts wirklich Aufregendes. 6/10 Martin Zellhofer
Ullrich Noller & Gök Senin Celik & Pelzer
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(E ichborn Verlag) Der Krimi dieses neuen Au
torenpaares kommt schnell auf Touren, ist auf den ersten Seiten wirklich packend, liefert kantige Personenbeschreibungen und scannt sein Umfeld ziemlich gut ab. Auch die Dialoge haben genug Schärfe, und trotzdem, der Roman verheddert sich zunehmend in private Plänkeleien zwischen den Figuren Celik und Pelzer. Das wäre jetzt auch nicht das Problem, aber aus einem aktuellen Krimi zum Thema RAF müsste die Fiktion stärker in die Realität und in die jüngere Zeitgeschichte verzahnt sein, gerade wo hier noch viel im Diffusen liegt. Da müssten Tatsachen auf den Tisch und keine fiktiven RAF-Sub-Organisationen. Der Krimi punktet jedoch als deutsch-türkisches Literaturprojekt. Hierzu braucht es aber keinen Blick in die Vergangenheit.
5/10 Martin G. Wanko
Bruno Pellandini Krawanker – Eine Erzählung
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(E dition Krill ) »Ein Buch ist kein Joghurt. Es
verdirbt nicht, sondern hat Bestand«, meinen die Macher der Edition Krill. Nimmt man die Neuer
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scheinung »Krawanker« zur Hand, merkt man schnell, was damit gemeint ist. Denn die Erzäh lung, die vom Verschwinden eines Mannes in ei ner Dorfgemeinde handelt, zeichnet sich sowohl durch die außergewöhnliche Buchgestaltung des Typografen Jost Hochuli (unter erstmaliger Anwendung seines Schriftsatzes Allegra) als auch die abgründige Schilderung menschlicher Existenz in den Bergen durch den St. Gallener Autor, der seit 1995 in Wien lebt, aus. »Die Leute im Dorf, sie sind wie die Schwammerln. Wo einer ist, ist der andere nicht weit. Für Außenstehende unsichtbar konspirieren sie versteckt unter der Oberfläche, spinnen ihre Myzele, weiten ihre Blutund-Boden-Verbindungen aus. Je älter sie werden, desto krummer gehen sie.« Wer aber ist oder war Krawanker? Man möchte fast meinen der Er zähler selbst, der sich auf die Suche nach einem Vermissten begibt und aufgrund der klaustropho bischen Atmosphäre in dessen Haus, in dem er den Sommer verbringt, auch merklich seine Um gangsformen annimmt. 7/10 Eva Morocutti
Tom Rachman Die Unperfekten
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(dtv ) Rachman, selbst Journalist, schreibt einen 400 Seiten starken Roman über eine englischspra chige Tageszeitung, die in Rom erscheint und sein Zielpublikum in den USA hat. Ja, das ist schon vom Ansatz her ein schwieriges Konstrukt, aber egal, es ändert nichts an Rachmans Motiv. Der Autor hat einen Roman konzipiert, der in der Machart wie James Camerons Kinoklassiker »Titanic« funktio niert. Der Leser weiß vom Klappentext weg, dass die Zeitung am Ende ist, doch die Angestellten haben keinen blassen Schimmer davon. Der Autor nimmt sich nun einige Mitarbeiter, die er auf ihrem letzten Weg begleitet und wirft zwischendrin eini ge Blicke in die Vergangenheit, die der Leser erst nach und nach versteht. Die Geschichte als Sum me bleibt aber im melancholischen Bereich ange siedelt: Man spürt richtig, wie die Reporter in die Schreibmaschinentasten hämmern, die Aschenbe cher übergehen und alter Kaffee getrunken wird. Im Gegensatz dazu aber bewegt sich die Welt doch weiter und sehr schnell noch dazu. Zum großen Showdown kommt es etwas zu spät, dafür ver zichtet der Autor auf Kollateralschäden unter den Beteiligten und wirft einen kleinen Blick in die Zu kunft. Also eher ein Buch für Leserinnen. 7/10 Martin G. Wanko
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Abt. Comic David Boswell Reid Fleming, World’s Toughest Milkman Volume 1
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( I DW P ublishing ) Kunst hat einige berühmte
Speerspitzen, aber viele geheime Helden. Namen, die von einem Künstler an den anderen weiterge geben werden; Werke, die sich schwer erschließen lassen, dann aber ein wahres Füllhorn an Inspira tion bieten. Ein solcher Name ist David Boswell. Und sein berüchtigtes Werk heißt »Reid Fleming, World’s Toughest Milkman«. Der gewalttätige, verbitterte, aufrührerische, hoffnungslose Reid Fleming bricht und tritt durch Kurzschlüsse seines Lebens. 1978 brachte Boswell diesen wahren An tihelden zum ersten Mal auf Papier. Der populäre Erfolg blieb aus, scheiterte aber nicht an Geheim niskrämerei oder Elitarismus. Vielleicht lag es daran, dass der schwarze Humor Boswells so tief gräbt, dass er erst wenig auffällt. Auf dem Cover der IDW Publishing-Sammlung an Fleming’schen Missetaten deutet der Milchmann mit dem Finger durch die vierte Wand auf uns. Weniger als Dro hung, sondern mehr als Hinweis: »Hey, Du bist gemeint! Wenn Du mich nicht verstehst, dann ver stehst Du dich selbst nicht. Du Arsch.« Mag sein, dass »Reid Fleming« etwas für Kenner ist, aber an dererseits mag doch jeder einen rauchenden und saufenden Rebellen, oder nicht?
7/10 Nuri Nurbachsch
Brecht Evens Am falschen Ort
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( R eprodukt ) »Am falschen Ort« ist ein gra
fisches Experiment, bei dem es Brecht Evens meisterlich gelingt, eine Graphic Novel in Aqua relltechnik umzusetzen – in einer fantastisch lebendigen, stimmungsvollen und detailreichen Form, in der die Nuancen sozialer Situationen ebenso eingefangen werden wie die dichten At mosphären der Schauplätze. Zugleich ist »Am falschen Ort« eine Reflexion über die »Ökonomie der Aufmerksamkeit«, die unsere Gesellschaft durchdringt und tut dies in der Gegenüberstel lung zwei sehr unterschiedlicher Freunde: Gert und Robbie. Gert ist unscheinbar, unzufrieden mit seinem Leben und blickt träge in eine Zukunft, die für ihn keine Überraschungen mehr bereitzuhal ten scheint. Robbie, der Tanzclubbesitzer, ist hin gegen voller Lebenslust und Ungeniertheit – ein von allen bewunderter Lebemensch. Gert scheint dazu bestimmt, sich immer »am falschen Ort« zu fühlen, während Robbie immer genau richtig ist. Nach einer langweiligen Wohnungsparty und einer berauschenden Clubnacht wissen wir etwas mehr über die beiden – und verstehen vielleicht, warum am Ende einer nicht springen kann – und vielleicht auch, warum das gut sein könnte. Denn der Ort bleibt der falsche: die falsche Bewährungsprobe vor den falschen Menschen.
072 Jen Wang Koko Be Good ( : 0 1 First Second)
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Tu Gutes
Viele fragen sich, was der Sinn ihres Lebens sein mag. Jen Wang lässt ihre Protagonisten in »Koko Be Good« diesen im Großen und Kleinen suchen. Eine scharfsinnig-unterhaltsame Beobachtung menschlichster Zustände. Mag sein, dass eines der größten Dilemmas vieler Menschen heutzutage die Frage nach Verwirklichung ist. Denn es stellt sie vor das Problem der Wahl: Vieles, beinahe alles, steht ihnen offen, aber nur wenig sinnvoller Rat und Hilfestellung bei der Entscheidungsfindung. So fragen wir uns Nahestehende, wenden den Blick in unser Inneres oder folgen willkürlichen Leitfäden. Unsere Entscheidungen sind dabei immer genau so gut oder schlecht, wie wir uns selber wahrnehmen. Und meist kennen wir uns selbst nicht besonders gut. Darüber vergessen wir den nächsten Schritt, auf der Suche nach dem größeren Bild, dem übergeordneten Ziel. Jen Wang scheint ein ausgeprägtes Organ zum Erkennen solcher Verwirrungen zu besitzen. In »Koko Be Good« erzählt sie von Jon und Koko. Jon ist ein eher ruhiger, junger Musiker. Etwas ungelenk, ein wenig verunsichert. Durch sein Studium lernt er Emily kennen und verliebt sich in sie. Als Emily beschließt nach Peru zu ziehen, um sich der Beziehung zu ihrer Mutter und Familie klarer zu werden, aber auch um einige Visionen in die Tat umzusetzen, will Jon ihr folgen. Während Emily und Jon sich auf diesen Schritt vorbereiten, beginnen Jon Zweifel zu plagen und es fällt ihm schwer abzuschätzen, wohin diese Entscheidung führen könnte. Koko hingegen lebt in den Tag hinein, mit wenig Rücksicht auf Konsequenzen, weder für sich selbst noch für andere. Sie betrügt und lügt auch, um über die Runden zu kommen. Dabei ist sie sich sicher, dass sie für Grosses vorbestimmt, ein Schmetterling in einem Kokon ist. Zufälligerweise lernt sie Jon kennen, dessen Bekanntschaft und Beziehung zu Emily sie davon überzeugen ein »besserer« Mensch sein zu wollen. Ohne zu wissen, wie sie das anstellen soll, stolpert sie dabei von einem »Verbesserungsschritt« zum nächsten. Nach keinem fühlt sie sich jedoch als besserer Mensch oder zufriedener. Jen Wang trug unter anderem schon Bemerkenswertes zu den Anthologien »Flight Vol. 1« und »Flight Vol. 2« bei, aber mit »Koko Be Good« wird ihr volles Talent sichtbar. Ihre Illustrationen, zugleich mit der Präzision von Animationsfilmen wie auch der Spontaneität einer Skizze beseelt, sind weich und rund. Die Gesichter und Körper ihrer Figuren ausdrucksstark und einprägsam. Mindestens genau so beeindruckend ist auch die Sensibilität, mit der sie die Gefühle und Gedanken dieser Figuren sichtbar macht. Ihre Beobachtungsgabe scheint sich direkt auf die Leser zu übertragen. Ohne besondere Erklärungen werden Ängste, Sehnsüchte und Fragen offensichtlich. »Koko Be Good« ist ebenso witzig wie einfühlsam – ein hervorragendes Debüt für Jen Wang. 10/10 Nuri Nurbachsch
8/10 Alexander Kesselring
Oji Suzuki A Single Match
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( D rawn & Q uarterly ) So wie Musik eine als »universell« beschreibbare Ebene enthalten kann, so gilt das auch für Poesie. In ihrem Bestreben, japanische Comic-Kultur anderen Teilen der Welt zugänglich zu machen, veröffentlichen Drawn & Quarterly mit »A Single Match« eine Kollektion der poetischen Kurzgeschichten von Oji Suzuki, einem Pionier des Gekiga. Die Teile, aus denen »A Single Match« besteht, fließen in einer Art traumgleichen Logik ineinander. Suzuki kehrt inneren Monolog in extrovertierte Metapher, die sich dann aber doch nicht dem Betrachter, sondern dem fiktiven Sub jekt / Objekt (die Differenzierung ist verschwommen und scheinbar wenig bedeutend) zuwendet. Ähnlich wie Suzuki seine Figuren oft in tiefste Schatten stellt, gerade noch anhand einer Silhouette er
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kennbar, so versteckt er auch die innere Bedeutung der Geschichte unter einer ungreifbaren Schicht an Emotionen. Geht man davon aus, dass sich die Schönheit eines Gedichts nur durch das Unerklär liche daran voll ausdrücken kann, dann sind Oji Su zukis Bilder und Geschichten melancholische Verse in einem wunderschönen Haiku. 8/10 Nuri Nurbachsch
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Abt. Games
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LittleBigPlanet 2 (Sony) ; P S 3
Vergnügen garantiert
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Sony bringt mit »LittleBigPlanet 2« ein umfangreiches Update seiner Spielkiste, die mit Witz und Technik begeistert. Alles ist mehr – und trotzdem jederzeit spielbar. Schwer zu sagen, welcher Aspekt der Kern von »Little Big Planet 2« ist. Das Jump’n’Run-Gameplay, in dem es gilt, mit seinem Sackboy – oder mit bis zu drei anderen Sackboys – sich durch diverse Level zu schlagen, erschließt sich für jedermann. Simple Rätsel, ein bisschen Physik, Geschicklichkeitsaufgaben und eine gelungen verspielte Präsentation machen dies zum Vergnügen und zu einem jener Spiele, mit dem sich auch Nichtspielern schnell veranschaulichen lässt, dass Games Spaß machen. Rund um dieses zentrale Spielelement hat Sony den Spielern eine Unzahl an Werkzeugen gegeben. Die Sackboys lassen sich ziemlich komplett den Spielerwünschen anpassen, die Level lassen sich unter anderem mit Stempeln verzieren und in Verbindung mit der PlaystationKamera kann das eigene Antlitz oder ein anderes Objekt in das Spiel transferiert werden. Damit nicht genug, lassen sich wie schon beim Vorgänger ganze Level und diesmal auch Spiele selbst gestalten. Inklusive aller Apparaturen, Mechanismen und Rätsel. Gerade bei diesen Veränderungsund Gestaltungsmöglichkeiten übertrifft der Titel den Vorgänger und bietet eine schwer fassbare Tiefe an Eingreifmöglichkeiten – ohne allerdings grundlegend Neues zu bieten. Gespielt werden kann auch online, gemeinsam mit anderen – wenn diese einen mitspielen lassen. Sind die 30 Original-Level einmal durch, greift man auf von anderen Spielern gebastelte zurück. Die Community dafür ist vorhanden und es ist davon auszugehen, dass sich hier einiges an ziemlich abgefahrenen Ideen versammeln wird. Das mit dem Vorgänger eingeführte Prinzip, mit dem Spiel auch gleich den Spiele-Editor mitzuliefern, hat – zumindest in diesem Perfektionsgrad und in dieser Präsentation – nichts an Anziehungskraft verloren. Das wichtigste Argument ist aber: »Little Big Planet 2« bietet dem Spieler zwar eine unüberschaubare Anzahl an Möglichkeiten, bleibt aber trotzdem jederzeit spielbar. Ein garantiertes Vergnügen. 9/10 martin mühl
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The Ball
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( T ripwire I nteractive LLC, T eotl Studios ); PC; www. theballthegame . com
Puzzle-Action mit einer Riesenmurmel. Innovatives Gameplay und hübsche Effekte sorgen für Ab wechslung und Kurzweil. Mit der Betonung auf Kurz. 6/10 Johann Scholz
BlazBlue: Continuum Shift ( A rc System Works / H eadup
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Games ); Xbox 360 getestet, PS3; www.blazblue .com
Erneut grandiose Spielbarkeit und eine 2D-Grafik, die dem Auge schmeichelt. Im Vergleich zum Vor gänger bietet dieses Profi-Beat’em’Up jedoch kaum Neuerungen – und fühlt sich wie ein Update an. 8/10 Stefan Kluger
Echochrome 2
( S ony ) ; PSN; www. playstation. at
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»Echochrome 2« erweitert die Spielidee gelungen um die Move-Steuerung in Form von Schattenspie len. Sehenswert! 8/10 Martin Mühl
Lego Universe
( Warner I nteractive ); P C getestet, M ac; universe .lego. com
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Das Universum aus Legosteinen ist leider nur ein nettes Standard-MMO geworden, in dem einzig der riesige Baumodus heraussticht. 6/10 Lisa Dittlbacher
Michael Jackson – The Experience
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super Metal-Soundtrack. Trotz technischer Mängel: Lasst das Metzeln beginnen.
7/10 Stefan Kluger
7/10 Lisa Dittlbacher
Nail’d
Trapped Dead ( Head Up ) ; P C ;
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(Techland); Xbox 3 6 0 getestet, PS3, P C ; naild.deepsilver .com
Die 26 legendärsten Songs des King of Pop nach zu tanzen ist nicht nur dank der großzügigen Punkte vergabe für Jacko-Tänzer ein Spaß. Nicht zuletzt Zuseher werden prächtig unterhalten. 6/10 Lisa Dittlbacher
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( J unction P oint / D isney I nteractive ); W ii ; www.disney. de
Micky ist zurück! Gelungenes Revival der berühmten Maus. Das kreative, recht freie Jump‘n‘Run macht
Puristischer Querfeldein-Fun-Racer mit ordentlich Tempo, aber Schwächen in Technik und Multiplayer. Ideal für zwischendurch.
Wer an Zombies denkt, hat zeitgemäß etwas Schnelles im Kopf. Der Survival-Shooter ist nicht besonders schnell – der Spielspaß deswegen enden wollend.
6/10 Martin Mühl
5/10 Stephan Bruckner
NBA Jam
Tron: Evolution
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(Electronic A rts) ; Xbox 360 ( getestet ) , P S 3 ; www. easports . com
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( Propaganda Games / D isney Interactive) ; Xbox 3 6 0 (getestet) , P S 3 , Wii, P S P, D S ; www.disney. de/tron
Spielerisch schlicht, manchmal richtig unfair. Egal, das Remake von »NBA Jam« macht auch 2011 noch mächtig Spaß. Gesellige Runde und ein wenig Frustresistenz vorausgesetzt.
Wenig Substanz, kaum Innovation, mäßige Spielbar keit. Dank gelungener Präsentation der zeitlos coo len Welt dennoch mehr als einen Blick wert.
7/10 Stefan Kluger
6/10 Stefan Kluger
Pac-Man Championship Edition
World Of Warcraft: Cataclysm ( Blizzard) ; P C, Mac;
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(Namco Bandai) ; P S 3 , P S P ; www. namcobandaigames. com
Bei Blizzard arbeitet man im Kontext von »World Of Warcraft« immer sehr sauber. Aus Fehlern wird gelernt, und die Gaming-Community wird brav in die Entwicklung des MMORPG-Hits miteinbezo gen. Bisher nicht spielbare Rassen der Gnome und Worge wünschte man sich in der Fanbase dichter ins Spielgeschehen. Dieses Update konzentriert sich wieder auf die ursprüngliche Spielwelt Kali mor und die der östlichen Königreiche. Dauerhafte Modifikationen machen Alt-Azeroth wieder zur Zentrale für höherstufige Spieler. Dazu wurde um gestaltet und die Welt für Flugtiere erschlossen – wobei man die in den neuen Unterwasserarealen gleich wieder absatteln kann. Dort gibt’s nämlich schwimmende Reittiere und einen Haufen neues Gameplay. Neu ist auch das so genannte Phasing, dass Gegenden temporär verändert – je nach Zielfortschritt. Das macht »WoW« wieder einigermaßen state-of-theart, der geringe neue Spielinhalt rechtfertigt den Preis der Erweite rung aber nur bedingt. MEHR REVIEWS
Neue Strategien sind gefordert, wenn sich Laby rinthe dauernd ändern und die einzusammelnden Punkte Spuren legen. Macht süchtig und ist ein würdiges Update. 8/10 Niko Acherer
Rune Factory 2: A Fantasy Harvest Moon
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Hobby-Gärtner auf Brautschau kommen bei »Rune Factory 2: A Fantasy Harvest Moon« auf ihre Ko sten. Leider sind Monsterkämpfe und die Explora tion der Welt weniger lustig als erhofft. 7/10 Stefan Kluger
Splatterhouse (Namco Bandai) ;
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www.wow-europe. com
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Xbox 360 getestet, P S 3 ; www. splatterhousegame.com
Brutal, blutig, dreckig: Übertriebene Gewalt und obendrauf eine solide Story untermalt von einem
6/10 Stephan Bruckner
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www.trappeddead. com
(Rising Star / Koch Media) ; D S ; www. mmv.co. jp
( Ubisoft ); W ii ; theex perience-thegame . ubi.com
Micky Epic
Spaß. Leider ist die Steuerung nur mittelprächtig, die Kamera schwach. Nostalgie-Bonus!
WWW.THEGAP.AT GROSSES ARCHIV
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Belle & Sebastian schreiben Pop-Songs über die Liebe. Ein Pferd haben sie auch.
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Belle & Sebastian sind eine wenig aufdringliche Band. Immer wieder mal drängelt sich einer ih rer unverwechselbaren Ohrwürmer in irgendeine Hitlist und lässt uns mit einem »Ach, da sind sie ja mal wieder« aufhorchen. Dass die siebenköpfige Band zwischendurch unverdient in Ver gessenheit gerät liegt vor allem daran, dass ihre Mitglieder immer schüchtern im Hintergrund herumstehen, den Medien gegenüber mehr als scheu sind und wenig Wert auf gewaltige Pro mo- und Werbeaktionen legen. Dabei haben Belle & Sebastian in ihrer mittlerweile 15-jährigen Musiklaufbahn bereits acht Studioalben veröffentlicht und mit Hymnen wie »I’m A Cuckoo« und »Funny Little Frogs« in der Indie-Musikszene gewaltig Staub aufgewirbelt. Das verwundert nicht, schließlich verstehen sich die Schotten vorzüglich darauf, rund um eingängige Riffs versponnene Zupf-, Blas- und Streicherarrangements zu schachteln und hin und wieder mit rhythmischen Spie lereien zu versehen. Bandhäuptling Stuart Murdoch singt dazu mit einer Stimme, die so indietypisch sanft klingt, als ob er diese Kunst jeden Abend unter der Dusche zur Perfektion trainiert. Ein bisschen schade ist nur, dass, seit Isobel Campbell die Band 2002 verlassen hat, das weibliche Gesangspendant fehlt. Beinahe überflüssig zu sagen, dass Belle & Sebastian sich auch live nicht in einer bombastischen Mörderperformance verlieren, sondern eine relaxt-zufriedene Darbietung liefern, die es nicht nötig hat, noch irgendjemandem etwas zu beweisen. 16. April Wien, Gasometer
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Maps & Atlases
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Ein bisserl progressives Herumtüfteln mit diversen Effekten, dazu lupenreine Popmelodien, aus gefeilter Percussioneinsatz und ein Leadsänger, der wie ein bärtiger Folkbarde klingt. Maps & Atlases liefern auf ihrem ersten Album »Perch Patchwork« und auf der Bühne eine Mischung aus Foals, Band Of Horses und TV On The Radio. Das ist zwar vieles auf einmal, aber anstrengend wird das zu keiner Sekunde. 16. Februar Wien, Szene
077 Jamaica
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Eine Band trägt den Namen Jamaica und dabei handelt es sich um keinen Bob Marley-Verschnitt? Danke. Ja maica aus Paris glänzen vielmehr mit feinem Indierock, Synthieklängen und kreativen Songtiteln. In punkto Fröhlichkeit hat sich das Jamaica-Duo eindeutig eine Scheibe von seinen Elektro-Landsmännern Phoenix abgeschnitten, allerdings rumpeln Antoine und Flo mit nostalgisch ausufernden Gitarrensoli doch etwas fre cher über die Bühne. 25. Februar Salzburg, Rockhouse 26. Februar Wien, Flex
Oh No Oh My
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Der Sound von Oh No Oh My rollt anfangs träge ins Ohr, beinahe wie Southern Rock, gleichzeitig schwebt er ein bisschen abgehoben durch den Raum. Beides kein Wunder: Erstens stammen alle Bandmitglieder der Band aus Texas, zweitens sind alle Bandmitglieder Multiinstrumentalisten, die neben beeindruckender Virtuosität auch eine gesunde Portion an Durchge knalltheit mitbringen. Die Musik selbst erinnert an Bright Eyes und Someone Still Loves You Boris Yelt sin, ist zwar nicht besonders herausragend, dafür aber leichtfüßig und angenehm. 13. Februar Wien, Fluc 14. Februar Innsbruck, Weekender
Nathan Fake
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Nathan Fake gehört zu einer Riege von Soundtüftlern, die ihre Tracks beinahe ausschließlich am Compu ter produzieren. So entstehen bei dem jungen Briten verträumt-verspielte, künstliche Klangwelten, gut geeignet für klare Sternenabende und Experimente mit bewusstseinserweiternden Substanzen. Bekannt wurde Nathan Fake (übrigens kein Künstlername), als sein »The Sky Was Pink« von Elektrogröße James Hol den zu einem sehr minimalistischen Remix verwurstet wurde. 03. Februar Wien, Fluc
The Young Gods
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Düster, melancholisch, fast ein bisschen bösartig raunt der Young Gods-Sänger ins Mikrophon, während die EGitarren vor sich hinjaulen, das Schlagzeug eilig treibt und der Bass unbeirrt seine Linie bringt. Dazu vernimmt man seltsame Geräusche im Hintergrund. Dieses Kon zept ergibt eine sehr eigentümliche Atmosphäre, mit der die Schweizer Industrial- und Alternativ-Band auch live auf faszinierende Art zu spielen weiß. 08. Februar Graz, Explosiv 28. Februar Wien, Porgy & Bess 01. März Linz, Stadtwerkstatt
Duo 505
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Irre wirre im Hirn! Wenn das Duo 505 anfängt zu fri ckeln, wird man schnell etwas Banane im Kopf. Dazu tragen auch dadaistisch anmutende Songtitel wie »Tsip Tsap« ein Schäufelchen bei. Zum Glück kom men zu der abgehackten Drum-Maschinerie aus dem Lautsprecher schnell sehr schöne Synthieharmonien und Gitarrenmelodien hinzu. Das ist dann wirklich zau berhaft: reine Instrumentalmusik, die nicht langweilig wird. Lässig. 04. Februar Wels, Schlachthof 05. Februar Innsbruck, PMK 04. März Graz, Forum Stadtpark
Sir Tralala & The Golden Glanders / Nice Girls Don’t Explode
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Lasst uns alle ein bisschen psychedelisch sein. Für diesen Zweck hüpfen wir frenetisch auf und ab, schlagen am besten auf mitgebrachte Triangeln oder Konzertflügel ein und hören schön abgedrehte Rockmusik von Sir Tralala & The Golden Glanders. Am besten live. Und am besten am 19. Februar in der Kapu. Denn da unterstützen Nice Girls Don’t Explode den guten Sir Tralala und diese Jungs wissen auch, wie man die Masse zum Kochen bringt: mit einer musikalischen Neuinterpretation des »It’s Alive!«Doppelalbums der Ramones. 19. Februar Linz, Kapu
Monster Exhibition _
Zwei Initiatoren hatten eine Idee, die im Grunde da rin bestand, dass 43 Street Artists aus Österreich, Deutschland und der Schweiz im Herbst 2010 den bisher monströsesten Riesensticker aller Zeiten zu sammenstückelten. Nun wird das 130 x 75 cm große Werk zusammen mit anderen Arbeiten der Künstler ausgestellt. Musikalisch untermalen die Vernissa ge neben Kalifornia Kurt und Kid Copy Parkwächter Harlekin. Mit seinem Mix aus HipHop und melodra matischem Pop liefert er einen sehr charmanten Soundtrack zu einem sehr charmanten Projekt. 04. Februar Wien, Das Viadukt Monster Exhibition – Street Art Group Show w/ Parkwächter Harlekin, Kalifornia Kurt & Kid Copy Ausstellungsdauer: 04. bis 18. Februar
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Termine Kultur
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Maradona, ehemaliger Fußballgott und politischer Heilsbringer? Christine Würmell zeigt in ihrer Arbeit »Stop Bush« den medienwirksamen Kicker als prominenten Widerpart zu George W. Bush.
Nach der Demokratie
Sa. 12.02.2011 21 Uhr
Das Volk ist zu dumm für Demokratie – gemäß diesem Motto nehmen einzelne Global Player das Ruder in die Hand und steuern die Galeere im Alleingang. Zumindest kann der Pöbel noch gepflegt protestieren. Vorausgesetzt, die Rebellion wird nicht selbst Spielball des Kapitalismus, der Medi atisierung und nicht zuletzt der Popkultur. Dann bleibt dem unzufriedenen Individuum nur mehr der Sprung über Bord. Dort, im Abwasser der Gesellschaft, drängt sich allerdings schon die zum Subvolk abgestempelte Schar der Migranten. Mit Zeichnungen, Hörproben und Fotos präsentieren verschiedene Künstler Bilder der Welt nach der Demokratie. Künstler/innen: Eva Egermann, Nina Höchtl, Bjørn Melhus, Anna Meyer, Sarah Ortmeyer, Dan Perjovschi, Oliver Ressler, Rirkrit Tiravanija, Christine Würmell Eröffnung: 13. Jänner, 19.00 Uhr 14. Jänner – 12. März Kunstraum Niederösterreich, Wien; www.kunstraum.net
Rocko Schamoni
w w w. t b a . c c
market
Linke Wienzeile 36, 1060 Wien U4 Kettenbrückengasse
r e z a L rd Swo
Gerne auch mit einem wenig bescheidenen »King« vor seinem Künstlernamen bedacht, machte Rocko Schamoni den Trash dieser Welt salonfähig und erhob sich mit absonderlichem Humor und chronischer Umtriebigkeit zu einer Ikone der Popkultur. In Wien liest er unter anderem aus »Dorf punks« (2004) und »Sternstunden der Bedeutungslosigkeit« (2007), wirft aber auch mit unveröf fentlichten Texten um sich. 07. April, 20.00 Uhr WUK, Wien; www.wuk.at
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Here, My Dear ‒ Photos by Thomas Reitmayer
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Aufgezogen von einem Skateboard, liebevoll genährt mit Punk-Rock – so muss Thomas Reitmayer aufgewachsen sein. Zumindest wenn man von den Fotos seiner Solo-Ausstellung ausgeht, die nun den Wiener Skateshop und Recordstore Yummy noch ein bisschen schöner machen. Die sind in Schwarz-Weiß gehalten, zeigen Motive des Moments, sind meistens rau und manchmal trostlos, aber immer cool.
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17. Januar – 19. Februar Yummy, Wien; www.yummy.at
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Florian Pumhösl Was passiert eigentlich, wenn man einen auf einem abstrakten Bild basierenden Film drehen möchte? Im Zuge seiner Ausstellung gibt Florian Pumhösl seine Antwort auf diese Frage und präsentiert zusätzlich eine filmische Verschmelzung aus Tanzfilm und abstrakter Animation sowie den 48-teiligen Bilderzyklus »Diminution« zu den Möglichkeiten des Porträtgenres. Eröffnung: 03. März, 19.00 Uhr 04. März – 29. Mai 2011 MUMOK, Wien; www.mumok.at
Next Comic 2011
Do. 24.02.2011 22 Uhr
w w w. t b a . c c
Beschäftigungstherapie für Analphabeten? Schundheft? WC-Lektüre? Auch. Manchmal zumin dest. Doch ganz nebenbei hat sich der Comic mittlerweile zur anerkannten Literaturform gemau sert. Ob Graphic Novel oder Manga – den Heftchen mit den Bildchen wird beim Next Comic Festival 2011 in ganz Österreich Tribut gezollt. Unter anderen zeigt Paradekritzler Gerhard Haderer im Lentos ausgewählte Werke. Eröffnung: 04. März, 16.00 Uhr 04. – 11. März Festivalzentrum OK, Offenes Kulturhaus Oberösterreich, Linz, OK-Platz 1, www.nextcomic.org
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Termine Galerien
REDAktion Stefan Tasch
HIGHLIGHTS FEBRUAR SA. 5.2. 22:00 | DUB / REGGAE
HOMEGROWN RIDDIM FESTIVAL FT. JAH MASON & HOUSE OF RIDDIM DI. 8.–MI. 9.2. 20:00 | THEATER
„WINTER“ VON JON FOSSE. MIT ANDREAS PUEHRINGER & KATHARINA BIGUS FR. 11.2. 20:00 | KABARETT
THOMAS STIPSITS: BAUERNSCHACH
SA. 12.2. 20:00 | ROCK
THE BASE / PHILADELPHY François Morellet, Après réflexion n°13, 2005, Neon, Unikat, 240 × 240 cm, Courtesy Galerie Nikolaus Ruzicska, Salzburg
François Morellet
Heimo Zobernig, O.T., 2010, Acryl/Leinwand, 200 × 200 cm, Courtesy Galerie Meyer Kainer, Wien
Heimo Zobernig
Der in Cholet und Paris lebende Künstler François Morel let feiert am 30. April seinen 85. Geburtstag und das Cen tre Pompidou beehrt ihn deshalb zu Recht mit einer Re trospektive, die am 2. März eröffnet wird. In Salzburg hat man schon vorab die Möglichkeit, sich mit Hauptwerken aus den letzten 25 Jahren auseinanderzusetzen. Morellet gilt als Vertreter der Konkreten Kunst, die sich der ge ometrischen Konstruktion ihrer Bildinhalte verschrieben hat und auf jegliche symbolische Bedeutung verzichtet (Materialisierung des Geistigen). Die hier abgebildete Ar beit bezieht sich auf eine Installation aus 1964, in der Mo rellet sechs sich kreuzende Neonröhren auf eine schwarz gestrichene Raumdecke montierte. Darunter befand sich ein etwa gleichgroßes Wasserbecken, in dem sich die De ckenarbeit spiegelte und auch verzerrte – abhängig von der Bewegung des Wassers. Das Ergebnis der verzerrten Spiegelung wurde in zittrige Lichtlinien und einer eigen ständigen Arbeit 2005 neu übersetzt.
In seiner aktuellen Ausstellung zeigt der 1958 in Mauthen (Kärnten) geborene Künstler eine Reihe neuer Tafelbilder, die er in einem schlichten Setting aus Stoffbahnen und blauen papierenen Fotohintergründen präsentiert. Zober nig, der sowohl an der Akademie der Bildenden Künste als auch an der Hochschule für Angewandte Kunst stu dierte und in den späten 1970er Jahren als Bühnenbild ner tätig war, greift hierbei auf die Gestaltungselemente wie sie in TV-Studios (Blue-Box-Technik) verwendet wer den zurück. Die Reduktion auf das Wesentliche und die gleichzeitige Unterwanderung einer für die Minimal Art typischen perfektionistischen Ausführung unterstreicht Zobernig mit der bewussten Verwendung von Industrie materialien oder handelsüblicher Baumarktware wie Pressspan oder Karton. Die in der Ausstellung gezeigten monochromen Malereien beschäftigen sich auch mit dem bildhaften Charakter der Schrift, der aufgrund einer einheitlich verwendeten Helvetica und des Verzichts auf Durchschüsse (Abstand) zwischen den einzelnen Zeilen zusätzlich verstärkt wird.
GALERIE NIKOLAUS RUZICSKA Faistauergasse 12, 5020 Salzburg Bis 05. März
GALERIE MEYER KAINER Eschenbachgasse 9, 1010 Wien Bis 26. Februar
WIEN CHARIM GALERIE Dorotheergasse 12/1, 1010 Wien BIS 26. Februar Erwin Bohatsch. Places to Recall
NIEDERÖSTERREICH GALERIE JÜNGER Pfarrgasse 1, 2500 Baden 27. Februar bis 16. April Oswald Oberhuber
DANA CHARKASI Fleischmarkt 11, Griechenbeisl-Haus, 1010 Wien BIS 22. Februar Klaus Auderer. Psychoplasma II
OBERÖSTERREICH GALERIE 422 MARGUND LÖSSL An der Traunbrücke 9-11, 4810 Gmunden Bis 27. März Helmut Swoboda / Anna Stangl SALZBURG GALERIE THADDAEUS ROPAC Mirabellplatz 2, 5020 Salzburg Bis 26. März Harun Farocki. War at a distance
GALERIE ANDREAS HUBER Schleifmühlgasse 6-8, 1040 Wien BIS 05. März Josef Dabernig. Sports Grounds and Structural Approach GALERIE GRITA INSAM An der Hülben 3, 1010 Wien BIS 12. März Ruth Schnell. Mirrors of the Unseen GALERIE MEZZANIN Getreidemarkt 14/Eschenbachgasse, 1010 Wien BIS 05. März Katrin Plavcak GALERIE NÄCHST ST. STEPHAN ROSEMARIE SCHWARZWÄLDER Grünangergasse 1 / 2, 1010 Wien BIS 26. Februar Michal Budny WINIARZYK Nibelungengasse 8 (Eingang Eschenbachgasse 7), 1010 Wien BIS 05. März Daniel Domig GALERIE HUBERT WINTER Breite Gasse 17, 1070 Wien BIS 05. März Birgit Jürgenssen. Gemalte Fotografie
MO. 14.2. 20:00 | REGGAE
EASY STAR ALL STARS: DUBBER SIDE OF THE MOON DO. 17.2. 20:00 | LITERATUR
LINDA STIFT / JULYA RABINOWICH / ERNST MOLDEN
DO. 17.2. 20:00 | KABARETT
MARTINA SCHWARZMANN: WER GLÜCK HAT KOMMT FR. 18.2. 20:00 | ROCK ’N’ ROLL
WANDA JACKSON & BAND FR. 18.2. 20:00 | ROCK
STEVE LUKATHER (TOTO) SA. 19.2. 20:00 | KABARETT
SINA HEISS & FRANZISKA FLEISCHANDERL: VAGINAS IM DIRNDL DI. 22.2. 20:00 | KABARETT
OLIVER POLAK: JUD SUSS SAUER DO. 24.2. 20:00 | ROCK
KRAUTSCHÄDL / MARKUS BEER & DIE VOLKSVERTRETER / GUIDELINE MO. 28.2. 20:00 | POP
EDWYN COLLINS: LOSING SLEEP
TIROL GALERIE ELISABETH & KLAUS THOMAN Maria-Theresien-Strasse 34, 6020 Innsbruck Bis 10. März Siegfried Anzinger. HeiSSe Malerei VORARLBERG GALERIE FEURSTEIN Johannitergasse 6, 6800 Feldkirch Bis 12. Februar christoph getzner / markus getzner. zwischenzustand STEIERMARK GALERIE EUGEN LENDL Bürgergasse 4/1, 8010 Graz Bis 26. Februar Edgar Tezak. Geröstete Farben KÄRNTEN WHITE 8 / VILLACH Widmanngasse 8, 9500 Villach Bis 06. April Catarina Lira Pereira. On my Way
Das komplette Programm gibt’s auf www.posthof.at POSTHOF – Zeitkultur am Hafen, Posthofstr. 43, A-4020 Linz Info + Tickets: Fon: 0732 / 78 18 00 www.posthof.at
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Termine Festivals
3 Fragen an
Gabi Frimberger Festivalleiterin der Frauen Film Tage
Warum gibt es die Frauen Film Tage? Wir haben 2004 aus gesellschaftspolitischem Interesse begonnen, die Frauen Film Tage zu konzipieren. Auch fehlte uns ein kontinuier liches Frauenfestival. Wir zeigen spannende, interessante Doku- und Spielfilme, die gesell schaftspolitischen oder frauenpolitischen Hintergrund haben und im Kino nicht zu sehen sind. Dazu laden wir Gesprächspartner ein, die für Publikumsgespräche anwesend sind.
Letztes Jahr hat erstmals eine Frau den Regie-Oscar bekommen. Gibt es andere Bereiche im Film, wo Frauen noch nicht angekommen sind? Nach meiner Beobachtung gibt es in tech nischen Bereichen wie Kamera und Ton immer noch wenige Frauen. Angekommen heißt für mich auch, wie viel Fördermittel stehen für das Filmprojekt zur Verfügung oder sind Frauen in Entscheidungsgremien vertreten. 24. Februar – 03. März Filmcasino und Filmhaus-Kino am Spittelberg, Wien www.frauenfilmtage.at
Liebe Sigourney, bald schon schlüpfen kleine eklige Monster aus dem Bauch all deiner Astro-Kollegen. Und denselben Scheiss musst du danach noch dreimal erleben. »Alien« zu sehen im Filmmuseum.
Science:Fiction Eine Geschichte der Zukunft
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Gesellschaftskritisch, visionär und mahnend zu gleich – Science-Fiction-Filme machen seit mehr als 50 Jahren vor, wie man schwierige Themen anpackt und ganz nebenbei die Zukunft designt. Das Filmmuseum widmet diesem Genre einen Schwerpunkt. Eine Retrospektive, gewidmet der Utopie. Das Filmmuseum stellt sich der Herausforderung, eine Werkschau entlang von 50 herausragenden Arbeiten aus den Jahren 1946 bis 2008 zu präsentieren. Anhand dieser wird das stetig expandierende Genre Science-Fiction nach den Parametern Wissen schaft, Erzählkunst und Gesellschaftsphilosophie vorgestellt. Die Spannweite ist dabei enorm: Von Stanley Kubricks Klassiker »2001: A Space Odyssey« über philosophische B-Pictures wie »The Incre dible Shrinking Man« bis hin zu Blockbustern wie »Starship Troopers« wird das komplette Spektrum ausgeleuchtet. Ausgangspunkt ist das Ende des Zweiten Weltkriegs, als der Begriff »Science Fiction« zum ersten Mal populär wurde. Von da an wird der Bogen bis in die Gegenwart gespannt und der Frage nachgegangen, welche Aufgaben der utopische Film in vergangene 50 Jahren erfüllte: Reflektor von Weltkrieg und Atombombe, Verantwortung der Wissenschaft gegenüber der Menschheit, Reise ins Weltall und Invasion durch Außerirdische. Auch literarische Einflüsse auf das Genre wirken und wirk ten. Ob in »Soljaris« von Andrej Tarkovskij, der sich bei Stanislav Lem bediente, bis hin zum Comic wie im Beispiel »Robocop«. Nur für »Avatar 3D« konnte das Filmmuseum nicht rechtzeitig umgerüstet werden. Dabei sind die blauen Männchen so süße Maskottchen des Umweltschutzes. 09. Februar – 10. März Filmmuseum, Wien
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Was sind die diesjährigen Schwerpunkte? Die letztes Jahr eingeführte Personale wid men wir 2011 der verstorbenen Regisseurin Karin Brandauer. Sie stand immer im Schat ten ihres berühmten Mannes Klaus Maria Brandauer. Der internationale Teil des Festi vals zeigt vielfältiges, junges Kino mit dem Schwerpunkt »Frauen im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne« aus Brasi lien, Iran, Polen, Schweiz, Israel, Schweden, Deutschland, Österreich und USA. Der öster reichische Beitrag ist »Liebe Geschichte«, ein Film über Nachwirkungen von Nationalsozia lismus und Shoah im Leben weiblicher Nach kommen von Tätern und Mitläufern.
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Das österreichische Festival sound:frame ist nicht nur hierzulande im Bereich audiovisueller Kultur aktiv, sondern auch jenseits der Landesgrenzen. In der Slowakei, Deutschland, Slowenien, Schweiz, Amerika und China war das Team bereits zu Gast. Dieses Jahr geht es weiter nach Australien, Polen, und Russland, um die Neun voll zu machen.
In »Teenage Riot« von Joeri Smet & Alexander Devriendt schließen sich acht Jugendliche ein und wälzen Probleme. Beim Szene Bunte Wähne Festival stehen Teens, Twens und solche die es werden wollen im Vordergrund.
Szene Bunte Wähne Tanzfestival
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Bereits zum 14. Mal findet das kreative Tanzfestival statt. Thema sind heuer jene Meeres tiere, die fast zur Gänze unerforscht in den Tiefen der Ozeane leben und oft von so ge ringer Größe sind, dass sie mit freiem Auge kaum erkennbar sind. Diese fiktiven Wesen – vor allem aber deren Bewegungen – bilden den Ausgangspunkt für die Tanz- und Per formancestücke. Diese sollen vorrangig ein junges, aber auch jung gebliebenes Publikum ansprechen; also Kinder und auch deren Eltern. Die partizipierenden Tänzer und Tänze rinnen sind zum Teil international noch unbekannt, was aber ihr Talent nicht schmälert, werden sie doch zum Großteil von Erfahrenen motiviert und gecoacht wie zum Beispiel von Het Lab Utrecht. Neben einem modernen Märchen für Kinder ab vier Jahren gibt es gewohnt unterhaltsame Performances und Tanzproduktionen, die zum Mitmachen einla den sollen. 25. Februar – 05. März 2011 diverse Locations, Wien
OdeonMusik III
Im Zentrum stehen dieses Jahr zwei Konzerte der Neuen Vocalsolisten Stuttgart und dem Vienna Saxophonic Orchestra. Die gesamte Woche über gibt es Uraufführuneng sowie österreichische Erst aufführungen zu hören – in einer der schönsten Locations von Wien. 01. – 05. März 2011 Odeon Theater, Wien
12. Internationales Akkordeon Festival Wien
bild Mirjam Devriendt, andi peichl
Neben der traditionellen Eröffnungsgala mit dem heimischen Akkordeon-Star Otto Lechner wird dieses Jahr ein Blick auf die französische und bel gische Akkordeonszene geworfen. Dazu werden Musiker aus allen neun Bundesländern in einen Kontext mit ihren internationalen Kollegen ge stellt. 26. Februar – 27. März diverse Locations, Wien
An diesem Brett hat der Großmeister Rachimov mit dem Teufel Schach gespielt. Mit »Bauernschach« findet auch Kabarett seinen Platz beim Heimspiel 2011.
Heimspiel 2011
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Nicht nur für Schnitzel, Marzipankugeln und seine Weinkeller ist Österreich bekannt. Aus diesem Grund widmet der Posthof einen ganzen Monat lang sein Programm der hei mischen Kunst: von mundartigem Krautrock über Blues’n’Soul bis hin zu Freistil-Songwri tern gibt es nichts, was es nicht gibt. Auf elf Abende teilen sich die Konzerte, Lesungen, Tanz- und Theateraufführungen auf. Neben der Posthof-Koproduktion »Winter« mit Katha rina Bigus und Andreas Pühringer wird auch das Homegrown Riddim Festival eine zentrale Rolle spielen. Ernst Molden wird aus seinem Liederbuch vortragen, außerdem lesen Julya Rabinowich und Linda Stift aus ihren neuen Romanen. Multikulturell mit Stil. 01. Februar – 04. März Posthof, Linz
Wiener Gitarre Festival
Ob ein Vortrag über die Entwicklung der Gitarre, Präsentation aktueller Gitarrenmanufakturkunst bis hin zu Konzerten von Alter Musik und der Welt premiere des neuen Bach-Programms von Hop kinson Smith ist für jeden etwas dabei, der sich für die klassische Variante dieses Musikinstruments interessiert. 15. – 22. Februar diverse Locations, Wien
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►KOLU M NE / k now- not h i ng- g es e l l s c h af t ►Von Illbilly The K.I.T.T.
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mmer wieder ertappe ich mich beim Friseur dabei, dass ich unter der Pelerine mein Glied streichle. Ich erzähle das jetzt übrigens, weil es momentan en vogue ist, überall mit peinlichen Geständnissen punkten zu wollen. Wenn man will, geht das übrigens auch wortlos. Man koche einfach wieder einmal etwas Schönes, zücke dann die Digitalkamera, um anschließend ein schmackhaftes Foto vom fertigen Gericht auf die Social-Network-Plattform seiner Wahl zu stellen. Pfuigacki schaut das meistens aus, was die von der Zubereitungsliebe schon fast erblindeten Augen der Hobbyköche da amateurhaft abfotografieren und durch die digitalen Räume jagen. Manchmal wortlos, manchmal mit komischen Phrasen wie yummy, yum yum oder hmm, le cker, schmecker, Zuckerbäcker versehen, stempeln sich so täglich unzählige Menschen freiwillig zu kulinarästhetischen Verlierern ab. Warum man das tut habe ich bis dato nicht verstanden, ich wünsche mir aber, dass ausgefuchste Datensatzverwerter kommen mögen, um diesen Food-Fotografen die Werbung auf den Leib zu schneidern, die sie verdienen. Sie sollen in Jamie Oliver- und Alfons Schuhbeck-Pop-upReklamen untergehen. Sorry, ich weiß grad gar nicht, warum ich schon wieder so drauf bin. Wahrscheinlich, weil es doch tausend schönere Wege gibt, sich öffentlich zum Deppen zu machen. Hab ich zum Beispiel schon erwähnt, dass ich mich beim Friseur immer wieder dabei ertappe, wie ich mein Glied unter der Pelerine streichle? Ja, hab ich. Und das hätte ich aus mehreren Gründen jetzt wohl besser nicht geschrieben. Erstens liegt nun der Verdacht nahe, dass ich ein äußerst schlechtes Kurzzeitgedächtnis habe. So lange ist nämlich der Startsatz dieser Kolumne noch nicht her. Zweitens könnte man sich denken, dass es wohl einen ziemlichen Vollkoffer von Verfasser braucht, um eine rhetorische Frage in einen Text einzuweben, um sie dann gleich eigenhändig zu beantworten. Und drittens erweckt die inhaltliche Komponente dieser Aussage wieder einmal den Eindruck, bei mir an einen waschechten Perversling geraten zu sein. Aber das stimmt so nicht, denn ich kann nichts dafür. Jetzt wäre übrigens der letzte Zeitpunkt gekommen, sich nicht noch weiter von der Geständnisspirale in die Tiefe reißen zu lassen, aber he, ich will ja punkten und wenn’s leicht geht nicht mit hässlichen Fotos von Essen. Darum hole ich jetzt etwas weiter aus und erkläre feierlich, dass mein doch leicht fehlgeleitetes Triebverhalten am Friseurstuhl wohl aus meiner Kindheit herrührt. Ich spielte nämlich als kleiner Stoppel immer wieder mal mit Barbiepuppen. Einerseits, um sie auszuziehen und kleine, naivgeile Rudelbumsrunden zu veranstalten, die meist regelrecht in ein schmatzendes Plastik-Baccharal ausarten konnten. Andererseits, um ihnen todschicke Frisuren zu verpassen. So richtig mit Taft und Pomade. Meistens heimlich
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und alleine, manchmal, wenn ich mich sicher fühlte, auch mit Mädchen. Wenn sich nun also heute, Jahre später, entzückende Friseusen mit ihren Scheren an mich ranpirschen, erregt mich das ungemein. Den Rest geben mir dann leise Hoffnungsanflüge, von weichen Körperteilen gestreift zu werden und die etwas abstruse Vorstellung, dass Spitzenfriseusen ihr Vaginalsekret in kleinen Döschen sammeln und Spezialkunden wie mir als Haarwachs bis tief in die Wurzel runter reinreiben. Ich habe null Geschäftssinn, aber ich glaube, dass ein derartiges Produkt, wenn es einen schönen Namen wie »Créme d’Amour« verpasst bekäme, eventuell zum Verkaufsschlager avancieren könnte. Zumindest aber einem schlecht gehenden, schäbigen Friseursalon ein bisschen mehr an Kundschaft besorgt. Auf Alleinstellungsmerkmale in Nischen kommt es nämlich heutzutage an. Es bringt ja echt nichts mehr, seiner Coiffeur-Stube einen halblustigen Namen wie »Haari Krischna«, »Schnittstelle« oder »KreHAARtiv« zu verpassen – im Gegenteil, das schreckt die Laufkundschaft doch vielmehr ab. Meiner Lieblingsfriseuse hab ich jedenfalls, nachdem sie sich wieder einmal bei mir beschwert hatte, wie schlecht der Laden doch läuft, diese Idee anvertraut und stieß dabei auf nicht gerade taube Ohren. Zuerst dachte ich ja, dass, bedingt durch die Wirtschaftskrisenberichterstattung der letzten Jahre, jeder noch so kleiner Strohhalm, der eventuellen ökonomischen Erfolg verspricht, ergriffen werden will. Aber dann erinnerte ich mich, dass sie mir einmal erzählt hatte, dass sie früher, als sie frisch vom Balkan hier ankam, mit dem Verkauf ihrer getragenen Unterwäsche via Internet ein nettes Zubrot verdiente. Wir haben nämlich ein sehr vertrautes Verhältnis, seit ich sie einmal angepflaumt habe. Ich bemerkte nämlich, dass ich von ihr argwöhnisch gemustert wurde, als ich beim Warten auf den Haarschnitt das Migranten-Magazin Biber intensiv studierte. Und so bildete mein grantiges »Da schaust du, was? Der Schwabo liest die Tschuschenpost!« den Anfang einer wunderbaren Freundschaft. Ob ich denn noch mehr Ideen für ihren Laden hätte, fragte sie und ich musste leider verneinen. Stattdessen blödelte ich herum und stellte fest, dass noch niemand ein Nachtsicht-Monokel erfunden hat und erklärte, wie man die Karriere von Christina Stürmer wieder in Schwung kriegen könnte. »Man muss ihr Repertoire in Richtung Electro-Pop erweitern und ihren Namen anders schreiben. Crystal Stürmer drängt sich förmlich auf. Zudem würden Lederelemente im Outfit den Richtungswechsel noch deutlicher machen.« Wir lachten herzhaft und für einige Momente war ich unter der Pelerine nicht ganz allein. Wachs, Baby, wachs! ¶ www.facebook.com/illbilly
ILLUSTRATION JAKOB KIRCHMAYR
lass dein haar herunter