Fünf Perspektiven auf Europa Popkultur, Jugend, Klimakrise, Migration und Neue Rechte
AUSGABE APRIL / MAI 2024 — THE GAP IST KOSTENLOS UND ERSCHEINT ZWEIMONATLICH. VERLAGSPOSTAMT 8000 GRAZ, P.B.B. | MZ 18Z041505 M N ° 204 € 0,—
Wo treffen Theaterikonen wie Elfriede Jelinek und Peter Brook auf Radikalperformerinnen wie Carolina Bianchi und nora chipaumire?
Wo musizieren Pussy Riot und Mozart Seite an Seite, wo geht Florentina Holzinger ins Nonnenkloster und ist Hamlet eine Frau?
Wo werden Klassiker und Dieselmotoren gesprengt? Welches Festival öffnet dem Publikum seine Büros, hat eine eigene Hymne und gibt sich eine Verfassung? Wo werden Politik, Wirtschaft und Medien vors Tribunal der Kunst gezerrt? Es sind die Wiener Festwochen, es ist die Freie Republik Wien! festwochen.at
Foto Kampagne Rafaela Pröll
Editorial People Have the Power
Das förmliche Prozedere beim Einchecken im Wahllokal, das heimlichtuerische Ausfüllen des Stimmzettels in der Wahlkabine, das Einwerfen des Kuverts vor den Augen der Beisitzenden und dann – wieder zu Hause – das gespannte Warten. Auf die erste Hochrechnung, auf diverse Detailergebnisse und schließlich auf das vorläufige Endergebnis. Ich liebe Wahlen! Die Spannung, mit der sie verbunden sind, aber natürlich auch, wofür sie in einer Demokratie stehen. Und auch die Idee von einem geeinten Europa mag ich sehr. Zugegeben: Beides ist in der aktuellen Ausführung nicht makellos, aber immer noch besser als alles, was in dieser Hinsicht sonst so von Zeit zu Zeit ausprobiert worden ist (frei nach Winston Churchill).
2024 ist demnach ein Jahr, auf dessen Verlauf ich mit großer Spannung schaue. Erst die Europawahl, dann die Nationalratswahl sowie die Landtagswahlen in der Steiermark und in Vorarlberg. Und schließlich der Showdown in den USA. Noch dazu scheint sich vielerorts ein Rechtsruck abzuzeichnen. Wie ein solcher eine Demokratie schon in kurzer Zeit aushöhlen kann, zeigt sich ganz in unserer Nähe: in Viktor Orbáns Ungarn. Bleibt zu hoffen, dass der aktuelle Wiederstand dort aufrecht und die Zivilgesellschaft stark bleibt. Wer etwas dazu beitragen will, könnte sich am 9. Juni eine halbe Stunde Zeit für die Demokratie nehmen. Die Europäische Union mag zwar oft wie ein Papiertiger wirken, letztlich weist ihr verbrieftes Wertefundament (Würde des Menschen, Freiheit, Demokratie, Gleichstellung, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte) den ungarischen Premier aber doch wie kaum sonst etwas in die Schranken – wenn auch über den Umweg von zurückgehaltenen Fördergeldern. Wie gesagt: nicht makellos, aber immer noch besser als …
Der EU ist aus gegebenem Anlass auch unsere Coverstory gewidmet, beziehungsweise fünf Perspektiven auf sie, die uns für The Gap von besonderer Relevanz erscheinen. Außerdem beschäftigen wir uns in unserem Special »Being a Band« mit Themen, die für Musikschaffende besonders spannend sein dürften. Dass es da in Form zweier Directto FanPlattformen auch ein wenig um die Demokratisierung des Musikmarkts geht, erkläre ich hiermit im Superwahljahr 2024 für durchaus stimmig.
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Herausgeber
Manuel Fronhofer, Thomas Heher
Chefredaktion
Bernhard Frena
Leitender Redakteur
Manfred Gram
Gestaltung
Markus Raffetseder
Autor*innen dieser Ausgabe
Luise Aymar, Christoph Benkeser, Lara Cortellini, Victor Cos Ortega, Astrid Exner, Barbara Fohringer, Carina Karner, Oliver Maus, Tobias Natter, Dominik Oswald, Antonia Patzak, Helena Peter, Mira Schneidereit, Ghassan Seif-Wiesner, Jana Wachtmann, Sarah Wetzlmayr
Kolumnist*innen
Josef Jöchl, Christoph Prenner
Fotograf*innen dieser Ausgabe
Manuel Fronhofer, Alexander Galler
Coverillustration
Felix Malmborg
Lektorat
Jana Wachtmann
Anzeigenverkauf
Herwig Bauer, Manuel Fronhofer (Leitung), Thomas Heher, Martin Mühl
Distribution
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Druck
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Leitartikel
Warum Gatekeeping nicht immer schlecht ist
Unlängst musste ich mal wieder an Soul Seduction denken. In einer für meinen Musikgeschmack prägenden Phase – den späten Te ens – war der Wiener Musikvertrieb rund um den Plattenladen Black Market einer meiner Hauptbeschaffungsorte für Musik. Wer nämlich in Zeiten vor Spotify neue Musik hören wollte, stand vor zwei Problemen: erstens, die Musik zu finden, und zweitens, sie zu beschaffen. Soul Seduction erlaubte mir beides. Auf der Website konnte man bequem in kurze Samples der Tracks hineinhören und anschließend die Alben direkt über das Internet bestellen. Das klingt heute geradezu trivial, war für mich damals ab er ein Novum. Endlich nicht mehr durch überfüllte Plattenregale wühlen und dann stapelweise CDs zu den Hörstationen balancieren. Endlich nicht mehr hoffen müssen, dass in der nächsten »La Boum de Luxe« auf FM4 was Spannendes dabei ist, man den Namen richtig versteht und der lokale Plattenladen es zu vernünftigem Preis und in erträglicher Zeit bestellen kann. Endlich nicht mehr gezwungen sein zu schauen, ob die Freund*innen irgendwo was brauchbares Neues ergattern konnten und das dann überspielen, später brennen, zur Not selbst besorgen. Und endlich nicht mehr im nächsten The Gap nachlesen müssen, ob irgendwelche Redakteur*innen, deren Geschmack man vertraut, zumindest ein Album halbwegs positiv besprochen haben.
Dieses Problem zog sich nicht nur durch die Musik, sondern quer durch alle Medien. Egal ob Filme, Serien, Computerspiele oder Comics, bis Anfang der Nullerjahre war der Zugang zu Medien aller Art von Schranken geprägt. Durch eine schnelle und günstige Internetverbindung,
durch die zunehmende Bedeutungslosigkeit physischer Medien und nicht zuletzt durch algorithmische Empfehlungsmechanismen wurde sowohl das Finden als das Beschaffen von Kulturprodukten radikal gestrafft. Alles war plötzlich und quasi uneingeschränkt verfügbar. Japanische Animes, Brasilianischer Baile Funk und die neueste NetflixSerie sind nun ähnlich wenige Klicks entfernt. Soul Seduction stand in gewisser Weise am Anfang dieser Entwicklung, war ein Fortschreiben der analogen Medienpraktiken der letzten Jahrhunderte und gleichzeitig Wegweiser in das heutige digitale Ökosystem.
Fast Media
Mit der uneingeschränkten Verfügbarkeit sind jedoch auch Dinge verloren gegangen. Man muss bei solchen Feststellungen immer etwas vorsichtig sein, um nicht in die Nostalgiefalle zu tappen. Eingeschworene Fanzirkel, die sich primär darüber nach außen abgrenzen, wie viel sie über ihr Lieblingsgenre wissen, mögen in uns schöne In Group Erinnerungen wecken. Dass dieses hart erkämpfte Wissen heute nur eine Google Suche entfernt ist, lässt sich jedoch – nüchtern betrachtet – kaum als negative Entwicklung einordnen. Was aber in diesem Schritt durchaus verloren gegangen ist, ist eben die Notwendigkeit, sich dieses Wissen anzueignen, die Notwendigkeit, sich intensiv mit den Medien auseinanderzusetzen, die wir konsumieren.
Das führt dazu, dass viele Medien schlichtweg beliebiger werden. Besonders stark merke ich das beim Binge Watching. Wenn ich eine komplette Staffel einer Serie in einem Rutsch durchschaue, verblasst die Erinnerung daran
schon kurze Zeit danach. Wenn ich hingegen gezwungen bin, Woche für Woche Folge um Folge zu sehen, und dazwischen Zeit habe, mich mit dem Gesehenen auseinanderzusetzen, es vielleicht sogar mit anderen zu diskutieren oder im Internet zu kommentieren, dann hinterlässt das ganz andere Spuren in mir. Und nicht nur in mir, auch in der breiteren Kultur. Streamingdienste erstrecken die Veröffentlichung ihrer Serien auch deswegen zunehmend wieder über einen längeren Zeitraum, weil sie merken, wie dadurch der kulturelle Impact steigt. Damit ziehen sie künstliche Beschränkungen ein, die ohne limitierte Sendeslots längst nicht mehr erforderlich wären.
Einfach wieder arbiträre Zugangsbeschränkungen einzuführen, ist natürlich weder zielführend noch wünschenswert. Was es eigentlich braucht sind andere Formen der Aufmerksamkeitsökonomie. Einzelnen medialen Inhalten muss wieder mehr Zeit gewidmet werden. Statt einer nicht enden wollenden Flut von Einheitsbrei brauchen wir – analog zu Slow Food – eine Form von Slow Media, einen bewussten, reflektierten, aber auch genussvollen Umgang mit den Dingen, die wir konsumieren. Diese neue alte Mentalität werden wir aber nicht im Internet finden. Vielmehr finden wir sie im Plattenladen, wo wir uns Alben empfehlen lassen, in die es sich hineinzuhören lohnt. Wir finden sie in linearen Radioformaten, für die Moderator*innen mit Bedacht ein Programm kuratieren. Wir finden sie im Gespräch mit Freund*innen darüber, was bei ihnen in letzter Zeit hängengeblieben ist. Und vielleicht finden wir sie auch in Magazinen wie The Gap, wenn wir uns die Zeit nehmen, uns hinzusetzen und sie zu lesen.
004 Alexander
Galler
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WAS IST WIENER AKTIONISMUS?
Magazin
012 Fünf Perspektiven auf Europa
Popkultur, Jugend, Klimakrise, Migration und Neue Rechte
025 Was darf ein Subkulturverein?
Zur Schließung des Venster 99
028 Tour de Chance
Wie können Musiker*innen klimafreundlich touren?
032 Kunst, Handwerk, Hochleistungssport und Geburtsroulette
Was es für eine Karriere in der klassischen Musik braucht
036 Die Fans ins Boot holen
Direct-to-Fan-Services als neuer Weg in der Musikbranche
006
Simon Reithofer, Manuel Fronhofer, Ina Aydogan, Michael Schulte, Stefan Reichmann, Lukas Weidinger
028
Antonia Patzak
Vielbeschäftigt ist eine Untertreibung für Antonia: Neben der Organisation diverser größerer und kleinerer Kulturevents studiert sie Kultur- und Sozialanthropologie und setzt sich quasi in der Freizeit noch für die Aufarbeitung systematischer Diskriminierung ein –mit Fokus auf die Schwarze Community in Österreich. Umso mehr freut uns, dass sie Zeit findet, für The Gap Theaterrezensionen und Coverstorys zu schreiben. Bleibt zu hoffen, dass wir nicht zu einer ihrer – nach eigenen Angaben – zahlreichen Jugendsünden werden.
Felix Malmborg
Unser neuester Coverillustrator freut sich, dass er heuer wieder bei einer Wahl in Österreich wählen darf. Das passiert nämlich nicht so oft, schließlich ist er Däne. Mittlerweile lebt er aber schon seit 2015 in Wien, hat hier an der Angewandten studiert und arbeitet als Illustrator. Unter anderem hat er seinen »bubbly« Stil schon für Der Standard, Süddeutsche, Rockhouse und FM4 gekonnt eingesetzt. Besonders gerne malt er Personen mit viel Bewegung – ob sein aktuelles Marathontraining damit in Zusammenhang steht?
Being a Band Das Leben als Musiker*in und alles, was dazugehört
Special Comics aus Österreich
Rubriken
Kolumnen
Lukas Weidinger
Auf unserer Seite 8 zeigen Comickünstler*innen aus Österreich, was sie können. Diesmal beweist Lukas Weidinger Humor mit Stil. ———— Ein Witz ist nur dann witzig, wenn er »richtig« erzählt wird. Falls die Timings nicht passen, die Pointe wackelt, die falschen Teile des Narrativs betont werden, fällt der Witz flach. Ein visueller Witz ist da in gewisser Weise noch unnachgiebiger, denn er funktioniert unmittelbarer. Du siehst ihn und lachst – oder eben nicht. In seinen Arbeiten zeigt Lukas Weidinger nicht nur, wie man Humor bildlich auf den Punkt bringt, sein markanter Stil erlaubt überhaupt erst, manche Witze »richtig« zu erzählen. Das gilt für seine strichreichen Tuschezeichnungen, die nur so vor versteckten Details strotzen, ebenso wie für seine Animationen, die oft mit Elementen aus Kitsch oder Internetkultur spielen, und auch für seine Comics, die genau die richtige Balance aus Reduktion, Ausdrucksstärke und Eigenwilligkeit treffen.
Lukas Weidinger beschäftigt sich seit über zehn Jahren mit narrativer Bildschöpfung. Seine Arbeiten sind direkt über die Website www.lukaswww.com verfügbar.
Die Rubrik »Comics aus Österreich« entsteht in Kooperation mit der Österreichischen Gesellschaft für Comics. www.oegec.com
003 Editorial / Impressum 008 Comics aus Österreich 009 Charts 022 Golden Frame 040 Workstation 044 Prosa: Evelyn Bubich 046 Gewinnen 047 Rezensionen 052 Termine 060 Screen Lights: Christoph Prenner 066 Sex and the Lugner City: Josef Jöchl
047 025
007
Charts
Christoph Gruber
TOP 10
Phobien
01 Hexakosioihexekontahexaphobie, die Angst vor der Zahl 666
02 Arachibutyrophobie, die Angst vor Erdnussbutter am Gaumen
03 Anatidaephobie, die Angst, von Enten beobachtet zu werden
04 Pogonophobie, die Angst vor Bärten
05 Nomatophobie, die Angst vor Namen
06 Phobophobie, die Angst vor der Angst
07 Ablutophobie, die Angst vor dem Baden und Waschen
08 Somniphobie, die Angst vor dem Schlafen
09 Cacophobie, die Angst vor Hässlichkeit
10 Nomophobie, die Angst, ohne Handy zu sein
TOP 03
Aktuelle Alben
01 Arnold Burk »Parkhausdeck«
02 Endless Wellness »Was für ein Glück«
03 Maiija »I Am«
Auch nicht schlecht:
Eine Gitarre, die sich durch das Spannen der Saiten selbst zusammenbaut.
Neben seiner Tätigkeit als freischaffender Musiker ermittelt
Christoph Gruber seit Anfang des Jahres im Auftrag der Musikindustrie die Ö3 Austria Top 40.
Charts Simon Dietersdorfer und Martin Hemmer
TOP 10
Sci-Fi-, Horror- und Weird-Fiction von Frauen
01 Ursula K. Le Guin »The Left Hand of Darkness«
02 Raphaela Edelbauer »Dave«
03 Shirley Jackson »The Haunting of Hill House«
04 Asa Nonami »Bødy«
05 Connie Willis »To Say Nothing of the Dog«
10 Octavia E. Butler »Blood Child«
TOP 03
Sci-Fi-Filme von Regisseurinnen
01 »High Life«, Regie: Claire Denis
02 »Testament«, Regie: Lynne Littman
03 »Strange Days«, Regie: Kathryn Bigelow
Auch nicht schlecht:
Gemeinsam zum Konzert der Band Escuela Grind gehen – und sich ein bisschen das Hirn umrühren lassen.
Simon Dietersdorfer und Martin Hemmer sind ab 25. April in der SoundPerformance »Der Ursprung der Welt« im Dschungel Wien zu erleben.
Christoph Gruber,
Theresa
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Apollonia
Bitzan
06 Margaret Atwood »Wilderness Tips«
07 Angela Carter »The Bloody Chamber«
08 Yume Kitasei »The Deep Sky«
09 Nnedi Okorafor »Binti«
THE GAP UND FM4 SUCHEN DEN SZIGET FESTIVAL SUNDOWNER 2024!
Die Donauinsel in Budapest wird auch heuer wieder zur »Island of Freedom«, wenn von 7. bis 12. August Abertausende Menschen aus zig verschiedenen Ländern am Sziget Festival zusammenkommen, um friedlich zu feiern – das Miteinander, die Vielfalt, den Sommer und natürlich die Musik. Wir von The Gap freuen uns, in Kooperation mit Radio FM4 und gemeinsam mit euch wieder eine Band in die ungarische Hauptstadt entsenden zu dürfen. Welchen der fünf nominierten Acts möchtet ihr auf der Europe Stage am Sziget Festival sehen?
ENESI M.
Sie dreht Clubmusik durch den Fleischwolf, rappt dazu, singt oder gibt das MetalBrülltier. Von Genres lässt sich Enesi M. jedenfalls nicht einschränken.
FILLY
Fillys Melodien sind hartnäckige Ohrwürmer, ihre satten Clubbeats bringen die Beine in Bewegung. Dazu funkeln und glitzern die Synths. Hyperpop!
COUSINES LIKE SHIT
Eingängiger IndiePop mit AvantTrashAttitüde, so lassen sich Cousines Like Shit beschreiben. Übrigens echte Cousinen – aber sicher nicht scheiße.
OXYJANE
Wie dieses Grazer Trio Grunge und Pop auf einen Nenner bringt, lässt IndieHerzen höherschlagen. Mal zuckersüß, mal eher widerborstig.
UCHE YARA
Die Multiinstrumentalistin setzt bei ihren Songs auf Bewegungsfreiheit: zwischen psychedelischem Rock, R&BGrooves und speziellen Stimmeffekten.
Von 11. bis 22. April könnt ihr unter thegap.at/sziget2024 für eure Favorit*innen abstimmen.
Rockstar Photographers, Duranite, Tim Rudle, Mitzi Gugg, Alexander Krischner, Mala Kolumna
Beginn der Anmeldephase für die Eurogames Vienna
Die 21. Ausgabe der Eurogames kommt von 17. bis 20. Juli nach Wien. ———— Wer IOC und FIFA zu staubig und korrupt findet, ist vielleicht mit den Eurogames besser bedient. Seit 1992 wird das LGBTQIA*freundliche Sportevent – mit kleineren Pausen – jedes Jahr in einer anderen europäischen Stadt veranstaltet. Dabei sollen möglichst viele Menschen unabhängig von ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität, ihrem Alter oder ihren körperlichen Fähigkeiten teilnehmen können. Diese angestrebte Diversität schlägt sich auch in der Vielzahl von – zum Teil auch ausgefalleneren – Disziplinen nieder. So sind neben Klassikern wie Fußball, Tennis oder Schwimmen auch Sportarten abseits des Mainstreams wie Roller Derby (im Bild: Roller Derby Vienna), Tischfußball oder Bridge im Angebot. Derzeit werden insgesamt 34 Sportarten auf der Website gelistet, die meisten noch zusätzlich in mehrere Bewerbsarten (z. B. Solo oder Team) und Alters- bzw. Geschlechtskategorien unterteilt. Wobei die finale Anzahl aller Angebote davon abhängt, für welche es bis 30. April genug Anmeldungen gibt. Es heißt also: Lieber schnell für die Lieblingssportart registrieren!
Queerer Sport als Netzwerk
The-Gap-Leser*innenführung: »Matta«
Nachhaltig geprägt vom Zusammentreffen mit Pablo Picasso rund um die Weltausstellung 1937 in Paris, für die dieser sein Jahrhundertwerk »Guernica« schuf, wandte sich der gelernte Architekt Roberto Matta endgültig der Malerei zu. Als jüngster Vertreter des Surrealismus und später als Impulsgeber für die Künstler*innen des Abstrakten Expressionismus in New York hinterließ Matta mehrfach Spuren in der modernen Kunstgeschichte. Nach mehr als 30 Jahren ist dem in Santiago de Chile geborenen Maler und Visionär nun wieder eine Retrospektive in Österreich gewidmet.
Die Ausstellung »Matta« ist bis 2. Juni 2024 im Bank Austria Kunstforum Wien zu sehen. Unsere Leser*innenführung findet am 25. April um 17 Uhr statt. Wir verlosen 25 Tickets unter www.thegap.at/gewinnen.
Bernhard Frena
In einem Interview mit Radio Orange erzählte die Mitorganisatorin Maria Schinko, wie schön und wichtig es sei, dass queere Menschen sich über den Sport vernetzen. »Es gibt ja nicht nur die Eurogames«, so Schinko. »Es gibt ja auch ganz viele andere queere Sportveranstaltungen über ganz Europa verteilt, die auch teilweise schon eine ganz lange Tradition haben.« Zusätzlich zum Sportprogramm wird es auch ein Eurogame-Village am Karlsplatz geben sowie ein Vielzahl von Rahmenveranstaltungen auch für sportlich weniger Interessierte. Quasi ein zusätzlicher kleiner Pride-Monat Ende Juli nur mit etwas mehr Bewegung als einmal anders um den Ring herum.
Detaillierte Informationen sowie eine Anmeldemöglichkeit für die Eurogames Vienna sind unter www.eurogames2024.at verfügbar.
Franz Reiterer
News
Splitter
Matta Archives
Auf der Suche nach dem europäischen Publikum Europa und die Popkultur
Eine gemeinsame europäische Kultur wird häufig als Quelle europäischer Identität heraufbeschworen. Doch bei einem Blick auf die Popkultur in Europa drängt sich die Frage auf, wo dieses Gemeinsame denn zu finden ist. ———— Eine Analyse europäischer Popkultur ist zwangsläufig auf schwammigen Grund gebaut. Gibt es Europa? Gibt es Popkultur? Gibt es europäische Popkultur? Natürlich gibt es alle drei, irgendwie. Aber inwiefern? Dass Europa nur ein koloniales Konstrukt ist, dessen postkoloniale Rechtfertigung immer irgendwie ein »ja, aber …« provoziert ist jetzt keine neue Erkenntnis. Genauso wenig, dass in Zeiten von gleichzeitiger Genreverschmelzung und Publikumsdiaspora die Rede von einer einzigen populären Kultur zunehmend schwierig wird. Aber uns beschäftigt hier vor allem die dritte Frage: Inwiefern gibt es so etwas wie europäische Popkultur? Und die Folgefrage: Inwiefern sollte es so etwas geben? Kultur in Europa ist in erster Linie eine nationale Angelegenheit. »Die Kulturpolitik fällt in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, die Union fördert die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und unterstützt und ergänzt deren Tätigkeit«, hieß es 2018 offiziell in der sogenannten »Neuen europäischen Agenda für Kultur« der EU-Kommission. Das schränkt das Tätigkeitsfeld der EU schon mal gehörig ein. Und zeigt das Grundproblem auf: Kultur wird in Europa nach wie vor als etwas wahr-
genommen, das innerhalb nationalstaatlicher Grenzen passiert. Transnationale Kultur ist da kein gegenseitiger Austausch, sondern läuft immer nur in eine Richtung und tendenziell von größeren Staaten in kleinere. So flimmert eine Vielzahl von britischen, französischen, deutschen und selbstredend amerikanischen Filmen und Serien über die österreichischen Bildschirme und Leinwände. Umgekehrt passiert das nur im Einzelfall.
Eine Schiene für alles
Das Werkzeug, mit dem die EU versuchen möchte, diese Grenzen durchlässiger zu machen, heißt »Creative Europe«. Innerhalb dieser Förderschiene wurden 2021 und 2022 insgesamt 1.909 Projekte im Gesamtwert von 674 Millionen Euro gefördert. Klingt nach einer ganzen Menge, hierbei gilt es aber zu beachten, dass »Creative Europe« erstens alle kulturellen Bereiche – von Film über Musik bis hin zu beispielsweise Textilkunst – und zweitens in diesen Bereichen alle Spielarten von sogenannter Hoch- bis hinein in die Niederungen der Popkultur umfasst. Für populäre Kultur einer bestimmten Sparte fällt also schon mal ein vergleichsweise kleines Stück vom Kuchen ab.
Dennoch können sich einzelne Projekte durchaus über Summen freuen, mit denen man arbeiten kann. Das Projekt Europavox wurde beispielsweise bereits zweimal für jeweils vier Jahre mit zwei Millionen
Felix Malmborg
012 Coverstory Europa
Euro gefördert – mit dem Ziel ein europaweites Netzwerk aus Musikfestivals aufzubauen sowie einen Roster von europäischen Musiker*innen, die diese Events bespielen. Während das für die individuellen Acts durchaus eine Chance sein kann, über ihre lokalen Szenen hinauszuwachsen, bleibt der Einfluss auf diese lokalen Szenen – geschweige denn auf eine breitere europäische Szene – limitiert. Spricht man mit dem Europavox-Gründer François Missonnier, ist zwar durchaus von idealistischen Konzepten wie europäischer »Citizenship« die Rede, aber gleichzeitig geht es zentral immer darum, ob die Bands bereit sind, »das Spiel mitzuspielen«, bereit sind »für den Export«. Dieser individualisierte Fokus, bei dem sich alles um den Export einzelner Kunstprodukte bzw. -produzent*innen in andere europäische Märkte dreht, zieht sich wie ein roter Faden durch die europäische Kulturpolitik.
Neoliberale Marktlogik
Das ist kein Wunder liegen doch die Wurzeln der EU bekanntermaßen in einem Wirtschaftsbündnis. Der Kern des europäischen Projekts ist der gemeinsame Binnenmarkt.
Und dort hat Wert, was sich marktförmig machen lässt. Schon 2012, als die Förderschiene »Creative Europe« noch in den Startlöchern stand, kritisierte Andreas Kämpf vom deutschen Kulturrat gegenüber der IG Kultur dessen Fokus auf Wirtschaftlichkeit: »Das halten wir für eine sehr gefährliche Entwicklung, weil es natürlich absurd ist, Kultur auf Ökonomie oder die ökonomischen Effekte zu reduzieren – die sie natürlich hat, was aber nicht das einzige ist. Und so wie es da steht, da kommt ja im ganzen Text nichts anderes vor.« Unter diesem Gesichtspunkt scheint es gleichermaßen ironisch wie bezeichnend, dass der gemeinsame Binnenmarkt scheinbar keine transnationale europäische Kulturszene zu etablieren vermag. Denn Kultur lässt sich eben nicht auf den ökonomischen Faktor reduzieren, ist nicht nur ein Produkt, das an beliebigen Orten von beliebigen Menschen produziert werden kann. Stattdessen ist sie höchst abhängig von den Szenen, in denen sie entsteht und dem Publikum, an das sie sich richtet.
Und hier sind wir beim eigentlichen Problem: Was für eine gemeinsame europäische Popkultur fehlt, ist ein gemeinsames europä-
isches Publikum. Erstaunlicherweise war gerade der angeblich so unpolitische Eurovision Song Contest von Anbeginn an als technisch-soziopolitisches Werkzeug gedacht, um hier Abhilfe zu schaffen. Die gleiche Sendung zur gleichen Zeit auf unzähligen europäischen Fernsehgeräten ergibt eine breite gemeinsame Medienöffentlichkeit. Halt beschränkt auf ein jährliches Großevent. Damit es jedoch tatsächlich so etwas wie ein europäisches Publikum geben kann, braucht es eine beständige europäische Medienlandschaft, braucht es eine Kulturpolitik, die Kunst nicht als Export- sondern als Gemeingut versteht. Solange aber neoliberale Marktlogik als Basis für eine europäische Identität dienen soll, solange wird Popkultur nie ihr vereinendes Potenzial einlösen können. Bernhard Frena
Der Creative Europe Desk Austria ist die österreichische Kontaktstelle für das EUProgramm »Creative Europe«. Der Nächste Eurovision Song Contest findet von 7. bis 11. Mai in Malmö statt.
jede familie hat ein geheimnis
Coverstory Europa AB 1. MAI IM KINO
PRODUZENTEN VON ES UND BARBARIAN
LIZZY CAPLAN WOODY NORMAN ANTONY STARR VOM
Die Zukunft als vergessene Mehrheit Europa und die Jugend
Die anstehende Europawahl ist entscheidend für vieles – vor allem auch für jene Themen, die unsere Zukunft und damit nicht zuletzt die Jugend Europas betreffen: Klima, Migration, soziale Gerechtigkeit. Doch wer interessiert sich wirklich dafür, was junge Menschen zum politischen Geschehen zu sagen haben? Welches Mitspracherecht haben sie? ———— Gesellschaftlicher oder politischer Wandel äußert sich oft am schnellsten bei denen, die ihre Position in der Welt noch finden müssen, sprich: bei der Jugend. Die anstehende Europawahl wird wichtiger denn je, um Weichen für die Zukunft Europas und seiner Bevölkerung zu stellen. Doch nimmt die Politik das gesellschaftliche Barometer Jugend überhaupt wahr? Werden junge Menschen in ihren Wünschen und Bedürfnissen gehört?
Laut der SORA-Jugendstudie »Junge Menschen und Demokratie in Österreich 2023« fühlen sich 54 Prozent der 16- bis 26-Jährigen vom österreichischen Parlament kaum oder gar nicht vertreten. Bei jenen in ökonomisch prekären Verhältnissen sind es gar 67 Prozent. Tendenz steigend – auch weil über ein Drittel der Befragten angab, dass sich ihre finanzielle Lage im letzten Jahr verschlechtert habe. Weniger Geld heißt weniger Ressourcen für (politische) Bildung, weniger Zeit sich zu informieren und politisch zu partizipieren. Ein Teufelskreis also. Aber Hauptsache ein Hamburger von McDonalds geht noch – oder, Herr Nehammer?
Demokratie lernen
Hermann Niklas vom gemeinnützigen Verein Sapere Aude will diesen Teufelskreis durchbrechen. Er engagiert sich für politische Bildung und will junge Menschen dabei begleiten, demokratische Prozesse zu reflektieren. Er wünscht sich mehr Unterstützung für die Arbeit mit den Nachwuchswähler*innen: »Jugendliche sollten mehr das Gefühl bekommen,
dass sie als Europäer*innen gebraucht werden. Dass sie dieses Europa sind.« Das könne vor allem durch Mobilitätsprogramme, Netzwerke, gute Kommunikation und natürlich mehr finanzielle Mittel von der EU gefördert werden. Gerade auch für junge Menschen, die in solchen Settings oft übersehen werden, wie z. B. Lehrlinge oder Menschen mit Lernschwierigkeiten, solle mehr getan werden. Formate wie Erasmus+, die ein europaweites Netzwerk von beruflichen und bildungsfördernden Projekten anbieten, zeigen, welche Chancen im Projekt Europa liegen.
Eine Studie der TUI Stiftung mit Menschen zwischen 16 und 26 Jahren zeigt jedoch ähnliche Tendenzen in ganz Europa auf: Rund die Hälfte aller Befragten ist unzufrieden mit der Politik im eigenen Land und wünscht sich vermehrten Fokus auf die Interessen von unter 30-Jährigen, von Minderheiten und Menschen mit niedrigem Einkommen. Was sind
diese Interessen? Am häufigsten angegeben wurden Wirtschafts- und Finanzpolitik, Klimakrise, Asyl und Migration, Wohnen sowie die ungleiche Verteilung von Vermögen. Viele der Befragten sind sogar bereit dazu, den eigenen Lebensstandard beispielsweise für die Bekämpfung der Klimakatastrophe einzuschränken.
Verwunderlich ist das nicht, denn genau diese Themen entscheiden über die Zukunft, in der die junge Generation leben und alt werden soll. Und davor noch, wem es überhaupt ermöglicht wird, an europäischer Politik und Gesellschaft teilzuhaben. Denn wir sollten bei der Diskussion um die Jugend Europas nicht jene jungen Menschen vergessen, die vor EU-Grenzen die ganze Härte und Feindseligkeit unserer Institutionen erleben, und jene, die zwar bereits in Europa sind, aber aus verschiedensten Gründen vom gemeinsamen Leben ausgeschlossen werden.
014
Coverstory Europa
Felix Malmborg
Eine gute Aussicht ist, dass es die Bereitschaft zu handeln gibt: Die Mehrheit der Studienteilnehmer*innen setzt auf Wahlen als Mittel für Veränderung und in allen teilnehmenden Ländern ist das Vertrauen in EU-Institutionen größer als das in deren heimische Pendants. Und das, obwohl die EU als langsame oder auch mangelhafte Demokratie verschrien ist. Jede*r zweite Befragte identifiziert sich als europäisch. Das Projekt Europa also als Wunsch nach überregionaler Gemeinschaft?
Das Europäische Jugendforum YFJ bietet jungen Menschen eine Plattform für Diskussion und Partizipation. Larissa Lojic´ ist Studentin der Politikwissenschaft in Wien und bei der BJV, der gesetzlich verankerten Jugendvertretung Österreichs, aktiv. Sie war auch beim Europäischen Jugendforum schon dabei: »Neben der Lobbyarbeit bei Entscheidungsträger*innen organisiert das YFJ verschiedene Workshops und Trainings, um jungen Menschen die Möglichkeit zu bieten, am politischen Leben zu partizipieren. Es ist eine der größten Plattformen für junge Menschen weltweit und dadurch ein riesiges Sprachrohr für unsere Anliegen. Die meisten großen Entscheidungen werden heut-
zutage auf EU-Ebene getroffen, daher ist es wichtig, seine Meinung auch auf dieser Ebene kundzutun.« Was sich mitunter als schwierig erweisen kann, denn in längst nicht allen EULändern gilt ein Wahlrecht ab 16 Jahren. Auch unsere deutschen Nachbar*innen genießen es erst seit heuer.
Das YFJ setzt sich unter anderem für eine einheitliche Regelung zur Teilnahme junger Wähler*innen in den EU-Ländern ein. Doch junge Menschen, die nicht wählen dürfen, sich nicht gehört fühlen, werden eben andere Wege finden, an einer Politik zu partizipieren, die über ihre Zukunft entscheidet. Teilweise bejubelt und von anderen belächelt zieht es sie zum Aktivismus, zu Demonstrationen und Blockaden für die Themen, die ihnen am Herzen liegen.
Back to the Future
Was dabei offensichtlich wird: Als Gesellschaft können wir die Bedürfnisse und Rechte von Kindern und Jugendlichen nicht länger übergehen. Und wir müssen Anreize und Möglichkeiten dafür schaffen, dass junge Menschen sich wahrgenommen fühlen und am politischen Geschehen teilnehmen kön-
WALK OF INSECTS
von Edgar Honetschläger
nen, gerade bei einem Ereignis von so breiter Relevanz wie der anstehenden Europawahl. Statt die Jugend auf Tiktok mit peinlichen Populismusschmähs zu bombardieren, wie es die neue Rechte immer wieder versucht, wäre eine unvoreingenommene Aufmerksamkeit für tatsächliche Bedürfnisse der jungen Wähler*innen ein guter Anfang. Larissa Lojić schaut jedenfalls mit Tatendrang auf die bevorstehende Wahl: »Österreich, die EU und Europa sind alles andere als perfekt – genau deshalb müssen wir aktiv werden.«
Lara Cortellini
Der Verein Sapere Aude hat seinen Sitz in Wien und ist unter sapereaude.at im Netz zu finden. Das Team bietet ein breites Programm von Workshops und Weiterbildungsmöglichkeiten für Jugendliche und Erwachsene an. Das Europäische Jugendforum YFJ ist eine Plattform für nationale Jugendorganisationen und NGOs aus den EU-Ländern, die sich für die Vertretung junger Interessen in Europa einsetzen. Informationen und Partizipationsmöglichkeiten unter youthforum.org.
Lesen Sie mehr über unser aktuellstes Kunst & Bau-Projekt und über BIG ART unter www.big-art.at/projekte.
Coverstory Europa Entgeltliche Einschaltung Foto © Christoph Panzer
Von gut gesteckten Zielen zu fragwürdigen Ausnahmen Europa und die Klimakrise
Europa nimmt endlich die Klimakrise ernst und passt mit neuen Maßnahmen seine Klimaziele an. Doch sofort folgen dubiose Ausnahmen, die den Umstieg auf erneuerbare Energien bremsen könnten. Wird Europa die ökologische Wende schaffen? ———— Letzen Sommer haben sich meine Nichten aus dem Mostviertel auf eine schlaglöchrige Landstraße vor den Hof meiner Oma gelegt und »Klimakleber« gespielt. Da auf der Straße jede Stunde ungefähr ein Auto vorbeikommt, weiß ich zwar nicht, wie effektiv diese Protestmaßnahme war, aber ich weiß jetzt definitiv, dass die Klimadebatte in Österreich in der Breite der Gesellschaft angekommen ist.
Losgetreten haben diese Debatte die großen EU-weiten Klimastreiks 2019, bei denen jeden Freitag junge Menschen auf die Straße gegangen sind, um sich für die Einhaltung der Klimaziele und somit für den Erhalt unseres Planeten einzusetzen. Mit Klimazielen ist dabei vor allem die Beschränkung der durch Treibhausgase verursachten Erderwärmung auf 1,5 Grad gemeint, die im Pariser Abkommen 2015 von 195 Staaten und der Europäischen Union beschlossen wurde.
Agnes Zauner, die Geschäftsführerin der Umweltorganisation Global 2000, ist sich sicher, dass die Entscheidungsträger*innen in der EU erst durch die anhaltenden Klimastreiks zum Handeln gebracht worden seien: »Bis 2019 hatte die EU lediglich das Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 40 Prozent zu reduzieren. Durch die Proteste schraubte sie das Ziel dann auf minus 55 Prozent hoch.« Aktuell wird unter dem Namen »Fit for 55« eine Reihe von Regulierungen und Gesetzen beschlossen, die diese minus 55 Prozent Treibhausgasemissionen europaweit sicherstellen sollen.
Ausnahme E-Fuel
Eine der wichtigsten Maßnahmen aus dem »Fit for 55«-Paket ist das Aus für Verbrennungsmotoren bei Autos und Klein-LKWs mit dem Jahr 2035. Schließlich macht der motorisierte Individualverkehr mit seinem CO2-Ausstoß etwa 12 Prozent aller Treibhausgasemissionen in der EU aus und ist damit ein wichtiger Hebel für den Klimaschutz. Das bedeutet allerdings nicht, dass ab 2035 nur noch Elektroautos fahren werden, denn es wurde
von Deutschland in letzter Sekunde noch eine Ausnahme für E-Fuels in den Beschluss reinreklamiert. E-Fuels sind aus erneuerbarem Strom hergestellte, CO2-neutrale Treibstoffe, die genau so viel CO2 emittieren, wie zu ihrer Herstellung verwendet wurde. Das klingt erst mal gut, doch Klimaforscher Daniel Huppmann vom Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA) sieht das kritisch: »E-Fuels wird es auf absehbare Zeit nicht in ausreichender Menge geben. Sie sind noch im Prototypstadium und die Erforschung bis zur Industriereife dauert sicher noch Jahrzehnte.«
Huppmann treibt die Sorge um, dass durch diese E-Fuel-Ausnahme der Umstieg auf Elektromobilität gebremst werde: »Klar kannst du mit E-Fuels dein Benzinauto weiterverwenden und das Tankstellennetzwerk aufrechterhalten, so wie es sich die deutsche Autolobby wünscht. Aber um welchen Preis?
Wenn Europa so an Verbrennern festhält, wird es den Anschluss verpassen, weil die in China hergestellten Elektroautos einfach jetzt schon effizienter und billiger sind, als E-Fuels es vermutlich jemals sein werden.«
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Überhaupt scheint der Teufel bei den Klimaschutzbemühungen im Detail zu stecken. So ist zwar der Ausstieg aus fossilen Energieträgern geplant, doch es fehlt an konkreten Ausstiegszeitpunkten. Auch hier wird mit Technologie spekuliert, die es so noch gar nicht auf industriellem Niveau gibt. Carbon Capture and Storage (CCS), also die Abscheidung und dauerhafte Lagerung von CO2, ist in einem noch früheren Forschungsstadium
zum Beispiel mit Wind- und Sonnenenergie günstigere Alternativen. Wir befürchten, dass auf diese Weise der Kohleausstieg verzögert wird – mit fatalen ökologischen und gesundheitlichen Folgen.« Schließlich gehe es ja nicht nur um Energieeffizienz, sondern auch um Energiesuffizienz, also darum, »Energie einzusparen, sodass wir die Grenzen des Planeten respektieren und so weiter auf ihm leben können«.
Schützt die Wirtschaft!
»Wir befürchten, dass der Kohleausstieg verzögert wird – mit fatalen ökologischen Folgen.« — Agnes Zauner
Diese beiden Beispiele zeigen gut, dass es bei den EU-Klimamaßnahmen nicht zuletzt um den langfristigen Erfolg Europas im internationalen Wettbewerb um effiziente und zukunftsträchtige grüne Technologien geht. Das klingt eigentlich ziemlich kapitalistisch und pragmatisch. Umso absurder wirkt der konservative und rechte Backlash gegen die EU-Klimapolitik, der gerade auch in Österreich zu beobachten ist, wo die ÖVP fast jeder EU-Klimaschutzmaßnahme kritisch gegenübersteht und wo die FPÖ gegen den »Ökokommunismus« der EU wettert. Sollte eine starke Wirtschaft in einer Post-CO 2Welt nicht gerade im Interesse der neoliberalen ÖVP und FPÖ sein?
das bewusste brachliegen lassen von Ackerflächen vor. »Die ÖVP hat das Renaturierungsgesetz auf EU-Ebene mit abgelehnt, mit der Begründung, dass es den Bäuer*innen die Lebensgrundlage entziehe. Doch gleichzeitig enteignet die niederösterreichische ÖVP in Wiener Neustadt gerade etliche Bäuer*innen, um dort eine Straße zu bauen, die niemand braucht und von vielen Menschen abgelehnt wird«, so Huppmann. »Es hat sich bereits eine Bürger*inneninitiative gebildet, die ›Vernunft statt Ostumfahrung‹ fordert«, setzt er kampfeslustig nach.
Doch trotz aller Abstriche und Verwässerungen der Gesetze halten Huppmann und Zauner die Maßnahmen aus »Fit for 55« für sinnvoll und einen ersten Schritt Richtung ökologischer Transformation. Es müssen nun aber, da sind sich beide einig, weitere konkrete Schritte folgen. So gibt es schon Pläne, bis 2040 die Treibhausgasemissionen um 90 Prozent zu senken. Hierfür wird wohl das Ergebnis der kommenden EU-Wahl richtungsweisend sein. Carina Karner
als E-Fuels. Dennoch wird darauf gesetzt, dass CCS-Vorrichtungen in Stromkraftwerke eingebaut werden können. »Die Technologie ist teuer und selbst nicht klimaneutral, weil es keine hundertprozentige Abscheidung gibt und enorm viel Energie benötigt wird«, zeigt sich Agnes Zauner von Global 2000 besorgt. »Deshalb wollen wir auf keinen Fall, dass CCS auch bei Kraftwerken zur Stromerzeugung zum Einsatz kommt. Hier gibt es
Kurzfristige populistische Erfolge und myopische Klientelpolitik scheinen hier wichtiger. Aber manchmal verstrickt sich diese klimafeindliche Politik dann doch in Widersprüche. Ein Beispiel ist für Daniel Huppmann das Renaturierungsgesetz, laut dem 20 Prozent aller geschädigten Ökosysteme wiederhergestellt werden sollen. Das Gesetz schlägt etwa Grünstreifen auf Feldern, die Wiederbewässerung von Mooren sowie
Agnes Zauner ist die politische Geschäftsführerin der Umweltorganisation Global 2000 und setzt sich unter anderem gerade gegen den Ausbau des Kraftwerks Kaunertal und damit für die Erhaltung des Ökosystems im Ötztal ein. Daniel Huppmann ist Klimaforscher am Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse, das auch den jährlich erscheinenden IPCC-Klimabericht mit herausgibt. Huppmann und sein Team arbeiten an Softwarepaketen, mit denen Klimaszenarien analysiert und interpretiert werden können.
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Über Grenzen hinaus Europa und die Migration
Europa, ein Kontinent geprägt von Grenzen und Migration. Während die Geschichte Europas in einem Geflecht aus Mythen und Realitäten liegt, steht die gegenwärtige Debatte über Migration im Zentrum politischer und sozialer Auseinandersetzungen. Dieser Konflikt for-
dert Menschenleben, verwandelt Menschen in Migrant*innen, Soldat*innen in Täter*innen und Zivilist*innen in humanitäre Helfer*innen. ———— Eine phönizische Prinzessin wird von Göttervater Zeus verzaubert, der ihr in der Gestalt eines Stieres erscheint und sie mit sich auf die offene See reißt – weg vom Festland und auf eine kleine Insel. Der Name der Prinzessin: Europa. Die romantisierte Entstehungsgeschichte eines Kontinents, der aus Mangel an gemeinsamer Identität auf alte Mythen zurückgreift. Will man diese Geschichte einer Neuinterpretation unterziehen, so wäre die Prinzessin ein Flüchtlingsmädchen aus Syrien oder dem Libanon, das von einem Schlepper anstatt von einem weißen Stier aufs offene Mittelmeer gebracht wird. Falls unsere Prinzessin wieder festen Boden unter den Füßen bekommt, wäre sie in diesem Fall nicht auf Kreta, sondern höchstwahrscheinlich in Moria gelandet. Zu hoffen ist, dass unserer Europa dann nicht dasselbe Schicksal widerfährt wie so vielen Prinzessinnen, die Zeus gefallen haben.
Vom Menschen zur Migrant*in Migration war schon immer ein Kernthema Europas und ein Problemthema der EU. Völkerwanderungen und Handelsrouten haben seit jeher sichergestellt, dass Europa kein homogener Ort sein kann. Dass ein Mensch formell Immigrant*in werden kann, ist jedoch eine Erfindung der Nationalstaaten. Indem man Grenzen errichtet und definiert, wer Inländer*in ist, erfindet man auch die Ausländer*innen. Um eine gemeinsame Identität zu schaffen, wo früher vielfältige Leben stattfanden, muss man nicht nur definieren, was »wir« sind, sondern auch, was die »anderen« sind. Migrant*innen sind weniger Menschen und vielmehr eine Sammlung von Regeln, Situationen und Adjektiven. Eine deutsche Frau, die für ihr Studium nach Krems gezogen ist, teilt sich dieselbe Migrant*innendefinition mit unserer phönizischen Prinzessin: eine Person, die sich länger als ein Jahr außerhalb des Staates aufhält, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt. Rein rechtlich bleibt die Deutsche aber natürlich ein Mensch, der arbeitet, studiert, reist und wohnt. Die Prinzessin wird durch die Einreise zu einer Migrantin, über die entschieden werden muss. Darüber, wo sie arbeitet und wo sie wohnt, ob und wohin sie
reisen darf und falls sie in der Heimat studiert hat, ob das überhaupt gut genug für uns ist.
Die Diskrepanz zwischen Fakten und Wahrnehmung bei Fluchtthemen wird oft durch Medienberichte verstärkt. Im vergangenen Jahr kamen laut Migrationsforscher Gerald Knaus so viele Menschen aus Afrika mit Booten in die EU wie im Jahr 2022 Ukrainer*innen an anderthalb Tagen nach Polen. Von einer »Flut an Flüchtlingen« wird aber bei jenen gesprochen, die über das Mittelmeer kommen. Dabei werden die meisten Flüchtlinge nicht von Europa, sondern von Nachbarländern in Afrika oder Asien aufgenommen. Dominik Bartsch, UNHCR-Repräsentant in Deutschland, betont: »Die Flüchtlingskrise findet woanders statt, in Ländern wie Libanon, Bangladesch oder Uganda. In Europa besteht lediglich eine Krise der Solidarität.«
Europas Kolonialerbe
Die häufige Frage, ob Europa sich leisten könne, Menschen auf der Flucht aufzunehmen, scheint insbesondere unüberlegt, wenn man bedenkt, was diese überhaupt erst zur Flucht zwingt: nämlich wie viele Konflikte, Bürgerkriege, Hungersnöte und repressive Regime ihre Wurzeln im europäischen Imperialismus haben. In Europa profitiert man bis heute von den Erträgen des Kolonialismus, der Rohstoffe
»Die Flüchtlingskrise findet woanders statt. In Europa besteht lediglich eine Krise der Solidarität.« — Dominik Bartsch
und Menschen als Ressourcen im industriellen Aufstieg verheizt hat. Wer sich der 500-jährigen Ausbeutungsgeschichte Europas und (neo) kolonialer Praktiken bewusst ist, sollte noch einmal reflektieren, welche Fragen im Kontext um Flucht und Aufnahme legitim sind.
Inmitten dieser Diskussionen und der historischen Kontextualisierung von Migration und Flucht, formen sich die verschiedenen Routen, auf denen Menschen nach Europa gelangen. Eine der drei großen Hauptrouten ist die Balkanroute. Diese Route, geprägt von Unsicherheit und Leid, wurde in den Medien
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wegen inhumanen Lagern wie in Biha ć und den aggressiven Pushbacks an den Grenzen bekannt. Petar Rosandić, Aktivist und Mitbegründer des Vereins SOS Balkanroute, auch bekannt als Rapper Kid Pex, beschreibt die Zustände an den Grenzen als einen »de facto rechtsfreien Raum«. Er schildert Vorfälle, bei denen Pushbacks so aggressiv durchgeführt werden, dass Menschen teilweise schwer verletzt gezwungen sind, den bis zu 70 Kilometer langen Weg zurück ins letzte Lager anzutreten. In manchen Situationen werden den Betroffenen sämtliche Wertgegenstände oder sogar ihre Kleidung abgenommen.
Berufliche Deformation
Diese Vorfälle ereignen sich auch an Grenzübergängen, an denen österreichische Polizist*innen im Einsatz sind. Rosandić äußert seine Besorgnis darüber, dass das Verhalten Europas wie ein Bumerang wirken könnte. Flüchtende Menschen würden durch die erlebte Aggression an den Grenzen zusätzlich traumatisiert und die Polizist*innen, die dort in den Einsatz geschickt werden, seien gezwungen in einem rechtsfreien Raum zu agieren. Dies könne zu einer beruflichen Deformation führen, die sich auch auf ihre Arbeit in Österreich auswirke. Pushbacks und die Situationen in Lagern entlang der Balkanroute betrachtet Rosandić eindeutig als Abschreckungskampagne. Seine Antwort auf die Frage, was schieflaufe: »Der Irrtum besteht darin, dass wir unseren Reichtum so vehement verteidigen, dass wir Menschen abschrecken, die sowieso keine andere Wahl haben.«
Die Forderung nach völlig offenen Grenzen unterstützt der Aktivist nicht, er ist der
Meinung, dass Humanität und Ordnung in Einklang gebracht werden können und müssen. Legale Fluchtwege sieht er als Schritt in die richtige Richtung. Theoretisch hat Europa klare humanitäre Regelungen festgelegt, wie mit Menschen auf der Flucht umgegangen werden soll, doch die Praxis weist in eine völlig andere Richtung. Denn für viele Menschen markiert die österreichische Grenze das Ende ihrer Fluchtroute. Ein ehemaliger Grundwehrdiener, der 2022 einen Monat lang dort stationiert war, berichtet uns: »Die Soldaten betrachteten das Ganze als eine Jagd, als das Game.« Eine erschreckende Bezeichnung, die es auf beiden Seiten gibt, wie Rosandić weiß. Für die Fliehenden ist das Spiel geleitet vom Wunsch, über die Grenze zu gelangen, wohingegen auf Seiten der Soldaten jene Einheit »das Game« gewinnt, die die meisten Menschen »eingefangen« hat. Während in der mythischen Entstehungsgeschichte Europa also diejenige ist, die eine neue Heimat finden musste, agiert das reale Europa mehr wie Zeus, der ihr empathielos seinen egoistischen Willen aufzwingt. Es ist eine erschreckende Geisteshaltung, von der man Abstand nehmen muss. Nur so lässt sich eine Balance finden zwischen den pragmatischen Erfordernissen von Sicherheit und den moralisch-humanitären Verpflichtungen jenen gegenüber, die aus Not zu uns kommen.
Antonia Patzak
Organisationen wie SOS Balkanroute bieten nicht nur humanitäre Hilfe, sondern dokumentieren auch die Vielfalt menschlicher Erfahrungen und Schicksale, die sich hinter den politischen Debatten und Statistiken verbergen.
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Über EUTentakel, das christliche Abendland und Ökokommunismus Europa und die Neue Rechte
Nicht nur in Österreich steht uns nach den diesjährigen Wahlen ein potenzieller Rechtsruck ins Haus. Doch während sich der rechte Rand hierzulande unter einem Banner vereint, ist die Lage europaweit komplizierter. Was verbindet und was trennt die europäische Rechte. ———— »Ich will die EU zerstören«, verkündete Marine Le Pen 2014 süffisant in einem Spiegel-Interview. Damit ist die Chefin der rechten französischen Partei Rassemblement National (RN) in guter Gesellschaft am rechten Rand Europas. Schon seit jeher befinden sich die rechten Parteien eher unfreiwillig in der EU und sie haben sich auch immer wieder für deren Auflösung oder zumindest für den Austritt ihres jeweiligen Landes eingesetzt. Um 2015 herum stand dabei für die Rechten die Angst im Zentrum, im europäischen Binnenmarkt nicht bestehen zu können. Diplomatisch ausgedrückt. In den Worten Le Pens klingt das dann so: »Die EU ist ein antidemokratisches Monster und ich möchte es davon abhalten, fetter zu werden, weiter zu atmen, alles zu greifen mit seinen Krallen und seine Tentakel in jeden Teil unserer Legislatur zu strecken.« Was Le Pen mit diesem Bild verschwörerisch andeutet, ist eine typisch rechte Einflüsterung, der zufolge EU-Regulierungen immer nur die jeweils anderen Länder reicher machen, während sie die Wirtschaft im eigenen Land immer
nur hemmen. So einfach ist die Weltwirtschaft also. Aber es geht noch einfacher, wie der britische Rechtspopulist Boris Johnson zeigte, als er 2015 »Take back control« auf Busse plakatieren ließ und prompt mit dem Brexit »belohnt« wurde.
Geeint durch Hass
2015 drehte sich dann allerdings der politische Wind. Als im damaligen Sommer vor allem durch den anhaltenden Bürgerkrieg in Syrien vermehrt Menschen in Europa Schutz und Asyl suchten, wurde Migration vom nationalen Dauerbrenner zum zentralen Thema in der EU. Statt flüchtenden Menschen Schutz zu gewähren, hetzten die rechten Demagog*innen im Chor gegen sie. Egal ob Geert Wilders in den Niederlanden, Matteo Salvini in Italien, Viktor Orban in Ungarn oder Marine Le Pen in Frankreich. In diesem antimuslimischen Rassismus fanden die rechten Parteien Europas einen gemeinsamen Nenner – egal ob rechtspopulistisch oder rechtsextrem.
Vergessen waren Austrittsbestrebungen und das wirtschaftliche Gegeneinander Anfang der 2010er-Jahre. Nun wurde unter dem Motto des christlichen Abendlandes das Gemeinsame im rechten Europa hervorgehoben und es stand bald die Frage im Raum, ob man eine große rechte Partei im
europäischen Parlament bilden solle. Denn die Rechten sind im Europäischen Parlament bislang in zwei Fraktionen aufgespalten: in die rechtspopulistische Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer, kurz ECR, die derzeit 68 der 705 Sitze im EUParlament hält, und in die rechtsextreme Fraktion Identität und Demokratie (ID) mit 58 Sitzen. In der ECR sind die wichtigsten Parteien die italienische Fratelli d’Italia und die polnische Prawo i Sprawiedliwość (PiS; Recht und Gerechtigkeit), während die ID vor allem von der französischen RN und der deutschen AfD (Alternative für Deutschland) getragen wird. Die FPÖ, die sich auch in der ID tummelt, hat dort derzeit drei Sitze.
Von rechts bis rechter Während die Hetze und der geschürte Hass gegen Muslim*innen Rechtsextreme wie Rechtspopulist*innen vereint, gibt es doch gravierende Unterschiede. Der Rechtsextremismusexperte Andreas Peham unterscheidet dabei zwischen rechtspopulistisch, rechtsextrem und neofaschistisch: »Am einen Ende des rechten Spektrums befinden sich die neofaschistischen Parteien. Sie sind offen gewalttätig und zeichnen sich durch einen positiven Bezug zum deutschen Nationalsozialismus oder zu faschistischen Strömungen in ihrem Land aus. Das bedeu-
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tet auch, dass sie sozialistisch – im Sinne von antikapitalistisch – sind, was auch mit Antiamerikanismus einhergeht.« Beispiele für neofaschistische Parteien sind etwa die griechische Chrysi Avgi oder die italienische Casapound. Ein Blick auf die Sitzverteilung zeigt allerdings, dass neofaschistische Parteien im EU-Parlament kaum vertreten sind.
Getrennt dank Russland
»Am anderen Ende des rechten Spektrums befinden sich die rechtspopulistischen Parteien«, so Peham. »Sie bewegen sich im Gegensatz zu den Neofaschist*innen innerhalb des rechtsstaatlichen Systems und sind neoliberal und proamerikanisch eingestellt.« Also stimmgewaltige Hetzreden statt offener Straßengewalt. »Die rechtsextremen Parteien sind zwischen Neofaschismus und Rechtspopulismus angesiedelt, also zwischen antikapitalistisch und neoliberal. Teils mit Nähe zu gewalttätigen Vorfeldorganisationen, wie die FPÖ derzeit mit den Identitären, und teils ohne, wie mittlerweile die RN.« In diesen Parteien gibt es demnach oft weltanschauliche Widersprüche, wie man zum Beispiel bei der rechtsextremen FPÖ beobachten kann, die einerseits mit Slogans wie »Fair. Sozial. Heimatreu« das NationalSoziale betont, und andererseits die neolibe-
»Die rechtsextremen Parteien sind zwischen Neofa schismus und Rechtspopulismus angesiedelt, also zwischen antikapitalistisch und neoliberal.«
— Andreas Peham
ral motivierte Einführung des 12-StundenArbeitstages mitgetragen hat.
Aber trotz dieser Unterschiede zwischen Rechtspopulist*innen und Rechtsextremen war ab 2015 der antimuslimische Rassismus als Thema so stark, dass 2020 / 2021 die Vereinigung der ECR und der ID zu einer starken rechten EU-Partei im Raum stand. Doch dann überfiel Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine und die davor verborgenen Gräben wurden sichtbar. Die ECR stellte sich auf die Seite der Ukraine und setzte sich für Waffenlieferungen ein, während die Parteien der ID-Fraktion stramm auf der russischen Seite standen und noch immer stehen. Das bedeutet, dass es auch in der kommenden Periode
im EU-Parlament wohl zwei getrennte rechte Fraktionen geben wird.
Ein Blick auf jüngste nationale Wahlen und Umfragen zeigt allerdings, dass sowohl die Parteien der ECR als auch jene der ID deutlich an Stimmen zulegen werden. Obwohl Migration oder – anders ausgedrückt – rassistische Hetze weiterhin Thema sind, hat sich die Welt weitergedreht und die fortschreitende Klimakatastrophe ins Rampenlicht gerückt. Rechte Tiraden bezeichnen die als Green Deal bekannten EU-Klimaschutzmaßnahmen als »Ökokommunismus« (FPÖ / AfD). Und wenn der ID-Präsident Marco Zanni vom »grünen Kreuzzug gegen Hausbesitzer« schreibt, dann wird ein fiktiver Kampf der Häuslbesitzer*innen gegen die grünen EU-Eliten heraufbeschworen. Womit wir wieder bei den am Anfang thematisierten rechten Verschwörungsantworten auf wirtschaftliche Ängste wären und damit bei Le Pens’ Tentakeln. Nur dass diese nun grün sind.
Carina Karner
Andreas Peham arbeitet beim Dokumentations-archiv des österreichischen Widerstandes (DÖW). 2011 hat er das Buch »Extreme Rechte in Europa« in der Edition Steinbauer ver-öffentlicht.
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Zeitgenössische Kunst im angemessenen Rahmen
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Golden Frame
Kaminfeuer unterm Arsch
Sasha Auerbakh
»Heti P. 2
(Kamin Piece)«
In der Glasbox gegenüber dem Leopold Museum im Museumsquartier finden sich derzeit Arbeiten von Sasha Auerbakh. Eine von ihnen sticht in ihrer Monumentalität und witzigen Kühnheit hervor. ———— »Heti P. 2 (Kamin Piece)« zeigt einen sitzenden nackten Mann, unter dem ein Feuer brennt – was ihn offensichtlich in keiner Weise stört. Sein Gesicht ist ausdruckslos bis milde und er macht keinerlei Anstalten, der aufsteigenden Hitze irgendwie zu entfliehen. Im Gegenteil, er sitzt leicht vornübergebeugt, gibt sich der Schwerkraft hin und hält sich, um nicht vollends einzusacken, an seinem Bein fest.
Er wird eingeengt von einem eigentlich zu kleinen Format; er sitzt auf einem lächerlichen Polyesterbürodrehsessel; er ist dabei, gegrillt zu werden; er ist nackt; er ist der Öffentlichkeit preisgegeben. Die Gesamtsituation ist also, könnte man sagen, durchaus prekär, und er hat dabei nicht mal die Bühne für sich alleine, sondern wird von einer Girlande aus billigen Alu-Cupcake-Formen in den Hintergrund gedrängt und muss auch noch dem Vergleich seines schon etwas geschundenen Körpers mit jenen zweier weiterer Nackter (nicht im Bild) standhalten. Schien sein Blick anfangs melancholisch-stoisch, scheint er nun leicht frustriert.
Es ist vielleicht kein Zufall, dass das Foto von innen durchleuchtet wird und damit eine Technologie aufgreift, die aus der Welt der Werbung stammt. Denn auch inhaltlich gibt es eine solche Nähe: Darstellungen nackter Körper in absurden Settings und Konkurrenzverhältnissen kennt man ja. Nur sind da meistens die Geschlechterverhältnisse umgekehrt.
Was Sasha Auerbakh macht, ist, Darstellungstraditionen aufzugreifen und ihre Implikationen offenzulegen. Im vorliegenden Fall drängen sich Bezüge zu jenen der Werbeindustrie, aber natürlich auch der christlichen Kunst auf und schließlich auch zur Designsphäre. Das bedeutet nicht, dass die gleichen Mechanismen, die dort wirken, dies in gleicher Weise auf Auerbakhs Fotomodelle tun. Noch stehen die Glastüren des Ofens offen. Sie sind kurz davor, zuzufallen und mit einer niedlichen, aber festen Schleife verschnürt zu werden.
Victor Cos Ortega
Bei Sasha Auerbakh trifft man auf eine Auseinandersetzung mit gegenderten Symboliken und männlichen Machtstrukturen, die verwendet, verfremdet und entlarvt werden. Die Ausstellung »Lux« in der MQ Art Box ist bis 12. Mai kostenlos zu sehen.
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(Kamin Piece)«, Museumsquartier Wien, 2024; Bildrecht / Fot o: Simon Veres
Die Türen des Venster 99 bleiben vorerst geschlossen. Aber hinter anderen wird an einer Lösung gearbeitet.
Was darf ein Subkulturverein? Zur Schließung des Venster 99
Das gesetzliche Regelwerk für Veranstaltungslokale ist streng und überholt. Bevor wir es erneuern, müssen wir uns die Frage stellen, ob Vereine mit geringen Auflagen in denselben Gewässern fischen dürfen sollen wie gewerbliche Venues. ———— Mit dem Venster 99 musste zuletzt ein langjähriger Kulturraum am Wiener Gürtel schließen. Laut Magistrat sei der seit 2006 bestehende Verein ähnlich einer Bar als sogenannter Gastgewerbebetrieb geführt worden. Verantwortliche des Venster 99 führen hingegen an, als nicht kommerzieller Verein keine Gewinne erzielt zu haben. Tatsache ist: Das Venster 99 bleibt auf unbestimmte Zeit geschlossen. Die Diskussion um die Schließung führt aber weit über diesen Kulturverein hinaus und in den Paragrafendschungel der Gewerbeordnung hinein.
Dort wird nämlich festgelegt, wann ein Gewerbe ein Gewerbe ist. Wesentlich sind das »gastgewerbliche Erscheinungsbild« und die »Ertragserzielungsabsicht«. Verkaufen Vereinsmitglieder in ihrem Vereinslokal zum Beispiel Getränke oder bieten diese gegen freie Spende an, kann die Behörde eine Gewerbetätigkeit vermuten. Sollte ein Vereinslokal außerdem mehrmals in der Woche geöffnet haben und keine Mitgliederliste führen, verstärkt das die Annahme, dass der betreffende Verein wie ein Gewerbe betrieben wird.
Paragrafendschungel
An diese gesetzlichen Vorgaben müssten sich auch namhafte Subkulturvereine halten, hebt Andrea Leitner, Pressesprecherin der Magistratsdirektion der Stadt Wien, auf
»Orte wie das Venster 99 sind essenzieller Bestandteil einer Stadt und tragen zu einem lebendigen Kulturleben bei.« — Thomas Jirku
Manuel Fronhofer
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Anfrage hervor. Auch wenn der Verein nun betone, gemeinnützig gehandelt zu haben, sei er »realiter gewerbsmäßig betrieben« worden. Zu dieser Feststellung sei die Behörde im Falle des Venster 99 nach »mehrfachen Überprüfungen durch unterschiedliche Kontrollorgane« gekommen, so Leitner. Auch in einem Bericht des Marktamtes Wien, der dem Verein vorliege, sei dieser Sachverhalt festgehalten.
Offiziell führt die Magistratsdirektion Lärmbeschwerden als Grund für die Kontrollen an. Das sei in der bisherigen Kommunikation mit dem Venster 99 jedoch nicht mitgeteilt worden, erklärt Thomas Jirku von der Vienna Club Commission (VCC). Zwar kämen Lärmstörungen am Wiener Gürtel immer wieder vor – es handelt sich um eine der am stärksten befahrenen Straßen Österreichs –, mit der Gewerbebehörde hätten mögliche Lärmbeschwerden aber nichts zu tun, führt Jirku aus.
Vermehrte Kontrollen
»Tatsache ist: Das Venster 99 bleibt auf unbestimmte Zeit geschlossen. Die Diskussion um die Schließung führt aber weit über diesen Kulturverein hinaus und in den Paragrafendschungel der Gewerbeordnung hinein.«
Dass es in der jüngeren Vergangenheit zu vermehrten Kontrollen in Clubs kam, dürfte einen anderen Grund haben. An Silvester 2023 starb eine Frau bei einem Brand in einer Grazer Bar. 21 weitere Personen wurden teils schwer verletzt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen gegen Mitarbeiter*innen des zuständigen Magistrats. Der Verdacht: Amtsmissbrauch wegen fehlender Kontrollen. Österreichweit sei es deshalb zu Schwerpunktaktionen in Clubs und Lokalen gekommen, vermutet die VCC.
Inwiefern die Kontrollen von Magistrat, Direktion und Finanzpolizei im Venster 99 mit dem Vorfall in Graz zusammenhängen, lässt sich nicht eindeutig sagen. Auch unsere Anfrage an den Verein blieb unbeantwortet. Jirkus Einschätzung nach führe die Debatte allerdings zu mehreren Fragen: Man müsse klären, wie die Beziehung zwischen Vereinslokalen und gastgewerblichen Betrieben – mit künstlerischem Nischenprogramm und ähnlichem Zielpublikum – aussehe und wie die Koexistenz dieser Orte funktionieren könne. Fragen, die ein Spannungsverhältnis vermuten lassen. Schließlich müssen sich Vereinslokale an weniger Auflagen halten als eine gewerblich geprüfte Bar.
Die Diskussion um Vereinslokale und Gastgewerbebetriebe besteht schon länger. So forderte die Interessenvertretung der freien Kulturarbeit in Österreich (IG Kultur) bereits 2016 eine Änderung der Gewerbeordnung. »Die Ausnahme für Kulturinitiativen von dieser Ordnung wäre ein kohärenter Schritt in der Entrümpelung der Gewerbeordnung«, heißt es dort. Außerdem würde die Arbeit der Vereine durch »sichere Rahmenbedingungen«
und den Wegfall »unnötig bürokratischer Auflagen« erleichtert werden.
Das angeführte Kriterium der Gemeinnützigkeit könnte in dieser Angelegenheit wichtig sein. Ein Verein wie das Venster 99 wird von ehrenamtlichen Mitgliedern betrieben und ist auf keinen wirtschaftlichen Vorteil ausgerichtet. Das heißt: Erhält ein Verein eine freiwillige Spende für ein Dosenbier, diene das »ausschließlich der Erfüllung des ideellen Zwecks der Initiative«, wie die IG Kultur schreibt. Man könnte auch sagen: Die Spenden erhalten einen nicht kommerziellen Veranstaltungs- und damit Kulturraum – gerade indem er frei zugänglich ist und mehrere Tage in der Woche geöffnet hat.
Folgt man dem aktuellen Gesetzestext, kann diese Herangehensweise für das Vereinslokal jedoch übel enden. Vermutet die Behörde nämlich »gewerbsmäßige Ziele«, kann es zur Schließung kommen. Das Sub in Graz, ein selbstorganisierter Verein samt Lokal, musste 2019 schließen, weil Getränke gegen Spenden ausgeschenkt worden waren. Erneut öffnen konnte das Sub nur, weil auf die Bar verzichtet wurde. Seither gibt der Verein an, dass Veranstaltungen ausschließ lich »vereinsintern« seien. Auch der Wiener Kulturverein Einbaumöbel – unmittelbarer Gürtelbogen-Nachbar des Venster 99 – betont im jüngsten Vereinsnewsletter, dass der »Ver einsraum und somit auch die Veranstaltungen nur für Mitglieder zugänglich« seien.
Grenzen für Vereinslokale?
Den Barbetrieb dauerhaft einzuschränken, dürfte für Vereine wie das Venster 99 aller dings keine Lösung sein. Hier bleibt derzeit die Frage offen, wie sich das Spannungsver hältnis zwischen Vereinslokalen und Gastro nomiegewerbe lösen lässt. Dafür bräuchte es zunächst eine politische Diskussion darüber, ob Vereinskonzepte mit ihren geringeren Auf lagen ähnliche Zielgruppen bedienen können sollen wie gewerbliche Betriebe, die strenge Regelungen und Eignungen erfüllen müssen.
Der Gesetzestext hinkt in dieser Konstel lation hinterher. Eine Änderung, wie von der IG Kultur vor Jahren vorgeschlagen, wäre eine mögliche Lösung. Für Jirku von der VCC ist jedenfalls klar: Orte wie das Venster 99 sind essenzieller Bestandteil einer Stadt und tragen zu einem lebendigen Kulturleben bei. Das Venster 99 habe in den letzten Jahren vielen Musiker*innen zu ersten Bühnenerfahrungen verholfen. Außerdem sei der Raum ein Experimentierfeld ohne ökonomische Zwänge. Auch deshalb wolle die VCC das Venster 99 »unter Einhaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen« unterstützen. Christoph Benkeser
Zum Druckschluss ist das Venster 99 noch geschlossen. Zwischen dem Verein, dem Magistrat und dem Bezirk laufen aber Verhandlungen.
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Manuel Fronhofer
SingerSongwriter
1 Konzert im Großen Saal
2 Konzerte im Mozart-Saal
1 Konzert im Berio-Saal
03/10/24 KOVACS
Do, 19.30 Uhr »Child Of Sin Tour 2024«
Sharon Kovacs Gesang, Hannah Roelofs Backing Vocals, Jan Dekker Trompete, Jan »David« Hoogerheide Keyboard, Estelle Stijkel Gitarre, Korné ter Steege E-Bass, Jelle Huiberts Schlagzeug
11/11/24 VILLAGERS
Mo, 21.00 Uhr
21/03/25 Anja Om Plus Schmusechor
Fr, 21.00 Uhr Anja Om Klavier, Gitarre, Gesang
Veronika Sterrer Gesang, Synth-Bass
Ursula Reicher, Mira Perusich Gesang, Floor Tom
Egal wo du gerade im Leben stehst, ob du gerade die Matura hinter dich gebracht hast, bisher einem Lehrberuf nachgegangen bist oder aber den Wunsch hegst dich auf zweitem Bildungsweg beruflich zu verändern und weiterzuentwickeln.
Bei uns bist du genau richtig!
Kursstart immer im März / Sept
Mach dein Hobby zum Beruf!
KOVACS © Lisa Klappe
PRAXISNAHE STUDIENGÄNGE, AUS -UND WEITERBILDUNGEN IN DER MEDIENBRANCHE
Abo24/25
Tour de Chance Wie können Musiker*innen klimafreundlich touren?
Simon Reithofer, Carina Antl
Wind-, Muskel- und Solarkraft: dreimal erneuerbare Energie am Tourfoto von Manu Delago
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»Es würden viele gerne klimafreundlich touren, aber das kostet Zeit und Geld. Und mit Musik wird man nicht unbedingt reich. Es ist die Aufgabe der Politik, hier die Rahmenbedingungen zu schaffen«
— Ruth Ranacher
Nachhaltige Konzerttourneen sind international Thema: Coldplay und Billie Eilish veröffentlichen umfassende Sustainability-Berichte, Massive Attack und Seeed erarbeiten mit Univer sitäten konkrete Maßnahmen. Und wie steht es um österreichische Acts auf Tour? Welche Bemühungen es gibt und wo die Reise hingeht, das erzählen die Musiker*innen Manu Delago, Oska und Euroteuro. Außerdem haben wir bei Bookingagenturen, Anlaufstellen und Initiativen nachgefragt, wie die Rahmenbedingungen aussehen und wer das alles bezahlen soll. ———— Einer, der in der österreichischen Musikszene als Pionier in Sachen Nachhaltigkeit gilt, ist Manu Delago. Unter eigenem Namen spielt er für bis zu 1.000 Menschen, als Teil der Liveband von Björk steht er auch mal vor 80.000 Besucher*innen. Als Delago 2021 erstmals auf »ReCycling Tour« ging und die gesamte Crew auf Fahrrädern von Innsbruck nach Wien und wieder zurück radelte – Anhänger inklusive –, war das eine aufwendige, aber öffentlichkeitswirksame Machbarkeitsstudie. »Wir haben versucht, viele Aspekte der Nachhaltigkeit abzudecken, nicht nur das Rad statt ein Auto oder Flugzeug zu nehmen«, fasst er das Mammutprojekt zusammen. Mit 30 bis 120 Kilometern Abstand zwischen den Tourstopps war die Reisegruppe fünf Wochen unterwegs. Die Band montierte Solarpaneele auf ihre Lastenanhänger, um Bühnenstrom zu erzeugen, ernährte sich vegetarisch, bat die Veranstalter*innen darum, Müll und Plastik beim Catering zu vermeiden, und ermutigte das Publikum, zu Fuß, mit dem Rad oder den Öffis anzureisen.
Auf Tour mit dem Rad
Weil die Routenplanung einer Fahrradtour kaum Umwege und Abweichungen zulässt, waren Manu Delago und sein Team im Booking eingeschränkter als sonst, auch, als sie 2023 ein zweites Mal auf Fahrradtour gingen – diesmal von Innsbruck nach Amsterdam. »Zehn Konzerte konnten wir gut buchen. Dann mussten wir zu allem Ja sagen, was möglich war. Man hat wenig Verhandlungsspielraum, weil man nicht flexibel ist«, reflektiert Delago. Umsetzbar war das alles nur,
weil es Sponsor*innen und Förderungen gab: »Die waren notwendig für die Finanzierung der Tour. So konnte ich allen Musiker*innen und der Crew eine Gage zahlen.«
Wenn Coldplay im August an vier Abenden im Wiener Ernst-Happel-Stadion gastieren, dann ist auch Oska mit von der Partie. Die Singer-Songwriterin tritt im Vorprogramm der Briten auf. Bei deren »Music of the Spheres World Tour« können Fans mit Fahrrädern und auf »Kinetic Dancefloors« Strom erzeugen, blinkende LED-Armbänder werden nach dem Konzert wieder eingesam-
melt und es gibt Wasserauffüllstationen. Außerdem legt die Band Wert auf lokale Support-Acts mit einem hohen FLINTA*-Anteil. Damit ist klar, dass Coldplay sich nicht nur um ökologische Nachhaltigkeit bemühen, sondern auch den sozialen Aspekt des Themas am Schirm haben.
Für Oska sind Support-Gigs nichts Neues. Sie hat schon Tom Odell, Stu Larsen und andere quer durch Europa begleitet. Dabei nutzt sie unterschiedliche Fortbewegungsmittel, wie sie im Interview sagt: »Wir mieten zum Touren einen Bus und schauen, dass das Equip-
ment und fünf bis sechs Leute in ein Fahrzeug passen, wenn wir als Band in Österreich und Deutschland unterwegs sind. Wenn ich in Europa spiele, fahre ich viel Zug. Es waren aber auch schon ein Schiff, Linienbusse und Flüge dabei. Die Kosten spielen da eine große Rolle.« Bei zusätzlichem Aufgabegepäck wie Gitarrenkoffern seien Bus und Zug günstiger als das Flugzeug, rechnet ihre Managerin Annemarie Reisinger-Treiber aus dem Off vor.
Die beiden sprechen aber nicht nur den Faktor Geld an, sondern auch die weniger glamourösen Seiten des Tourgeschäfts, die Körper und Psyche fordern. »Für eine halbe Stunde auf der Bühne musst du manchmal neun Stunden im Flixbus sitzen. Beim langen Schleppen meiner Gitarren stoße ich an meine Grenzen. Aber es ist den Aufwand wert. Trotzdem: Wenn du touren willst, erfordert dein Beruf, dass du gewisse Dinge falsch machen wirst«, bleibt Oska bei allem ökologischen Idealismus realistisch.
Ressourcenteilung
Das Touren mit dem Zug hat das Wiener Duo Euroteuro perfektioniert. Florian SeyserTrenk geht auch mit Voodoo Jürgens auf Tour und hat die hiesige Musikszene mit Mile Me Deaf und den Sex Jams mitgeprägt. Mit Euroteuro wollte er nicht mehr vom Auto abhängig sein und hat mit seiner Partnerin Katarina Maria Trenk viel über nachhaltigeres Touring nachgedacht. Mittlerweile reisen sie mit einem praktischen Schubkarren: »Da passen zwei Keyboardständer, eine Tischplatte und ein großer Synthesizer hinein. Zu zweit kann man den Schubkarren gut in den Zug heben. Aber die Grenzen sind erreicht. Man kann nicht alles mitnehmen, und man verzichtet auf einen gewissen Komfort – vor allem zwischen der Ankunft am Bahnhof und dem Auffinden der Venue«, erzählt Seyser-Trenk.
Bislang haben die beiden nur gute Erfahrungen gemacht, allen Schauergeschichten über die Deutsche Bahn zum Trotz. Mittlerweile würden sie die Züge kennen und wissen, wo sie am besten einsteigen. »Es ist eine gute Idee, mit dem Personal am Bahnsteig zu reden. Dann wissen die gleich, wem das Zeug gehört
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Being a Band
Paulina Parvanov, Music Declares Emergency
Special
Als freischaffende Künstlerin kann Oska den Kostenfaktor nicht ignorieren.
und können dir zeigen, wo du es gut abstellen kannst«, empfiehlt er. Neben dem Nachhaltigkeitsgedanken spielt auch bei Euroteuro der finanzielle Aspekt eine Rolle in der Tourplanung: »Für unsere zehntägige Tour haben wir insgesamt 600 Euro gezahlt. Hätten wir für den gleichen Zeitraum ein Auto gemietet, wären wir mit Benzinkosten locker auf mehr als das Doppelte gekommen.«
Seyser-Trenk produziert auch Alben für junge Bands wie Topsy Turvy. Dabei sei ihm aufgefallen, dass sich die Haltung zum Touring wandelt: »Topsy Turvy haben vor Kurzem in Graz gespielt und sind ganz selbstverständlich mit dem Zug angereist. Als ich 20 war, war es undenkbar, zu irgendeinem Konzert mit einem Zug zu fahren.« Dieses Umdenken müsste seiner Meinung nach strukturell gefördert werden, indem etwa Konzertlocations mit Verstärkern und Instrumenten ausgestattet werden. »Man ist sich ja der Absurdität durchaus bewusst, wenn man durch die Gegend fährt und täglich an einem anderen Ort das eigene Equipment aus- und einlädt. Es geht um das Teilen von Ressourcen. Auch Musikinstrumente sind Ressourcen, die man teilen kann.«
Diesen Aspekt sieht Corinna Maier etwas differenzierter. Sie ist Bookerin bei Arcadia Live und organisiert Touren für österreichische Bands. In dieser Rolle steht sie sowohl mit Veranstalter*innen als auch mit ihren Acts im Austausch. Sie bestätigt, dass Bands zu Be-
Ruth Ranacher, Mica – Music Austria
Einstellung meist. »Ab einem gewissen Level in der Karriere ist die Produktion in sich geschlossen und alles aufeinander abgestimmt. Dann ist es schwer, einzelne Teile auszutauschen«, gibt Maier zu bedenken. »Da reden wir noch gar nicht von künstlerischer Freiheit, sondern es geht schlicht um Professionalität.«
Aufgabe der Politik
ginn ihrer Karriere gern mit dem Zug fahren: »Die sind noch flexibel, wenn es ums Equipment geht. Aber wenn sie mit dem Zug unterwegs sind, müssen die Veranstalter*innen die Backline organisieren, was nicht überall möglich ist.« Sobald ein bestimmter Professionalisierungsgrad erreicht sei, verändere sich die
Szenenwechsel von den Akteur*innen on the road zu Ruth Ranacher und Michael Ternai, die sich im österreichischen Musikinformationszentrum Mica – Music Austria intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit befassen. Aus der Vogelperspektive informiert die Anlaufstelle und bildet ab, was sich in der Szene tut. Ternai und Ranacher nennen etwa Hearts Hearts, Alicia Edelweiss, Takeshi’s Cashew und das Festival Wellenklænge als Positivbeispiele, loben den Jazzbereich und wissen, dass es in der Klassik und in der Hochkultur noch Luft nach oben gibt. Sie warnen aber auch davor, die Verantwortung auf die Musiker*innen abzuwälzen. »Es würden viele gerne klimafreundlich touren, aber das kostet Zeit und Geld. Und mit Musik wird man nicht unbedingt reich. Es ist die Aufgabe der Politik, hier die Rahmenbedingungen zu schaffen«, meint Ranacher.
Das sieht die weltweit agierende Initiative Music Declares Emergency genauso: »Wir fordern vor allem politische Entscheidungsträger*innen auf, die Rahmenbedingungen zu schaffen, weil das Problem ganzheitlich gelöst werden muss«, sagt die
Musikmanagerin Paulina Parvanov, die den österreichischen Ableger der Initiative mitgegründet hat. Unter dem Motto »No Music on a Dead Planet« stellt das ehrenamtliche Team auch grundlegende Infos und praktisches Know-how für Künstler*innen bereit: »Es ist zwar nicht die Verantwortung von Einzelnen, ein ganzes System zu ändern, aber jede*r kann etwas beitragen, zum Beispiel durch BacklineSharing oder einen Green Rider.« In Ridern werden technische und kulinarische Anforderungen an Veranstalter*innen übermittelt. Sie bilden daher einen Hebel für Nachhaltigkeit, den Bands proaktiv nutzen können.
Parvanov weist aber auch darauf hin, dass es eigentlich die An- und Abreise des Publikums ist, die den Großteil der CO2Emissionen ausmacht. Darum wünscht sie sich »einen Diskurs, der auch die Venues und Veranstalter*innen miteinbezieht«. Deutschland ist hier einen Schritt weiter und hat im Rahmen von Pilotprojekten und Studien bereits Daten erhoben, die den Entscheidungsträger*innen als Argumentationsgrundlage vorgelegt werden können.
Angst vor dem Shitstorm
Was kann man als Mensch, der regelmäßig die Aufmerksamkeit eines Publikums in seinen Bann zieht, sonst noch für einen lebenswerten Planeten tun? Sowohl bei den Aktivist*innen von Music Declares Emergency als auch in der Informationsstelle Mica ist man sich einig: Die eigene Reichweite kann für die Kommunikati-
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Manuel Hauer, Maria Frodl (2), Florian Lehner
on des Themas genutzt werden. »Es gibt eine Gruppe von Menschen, die sich mit Klimaschutz noch nicht auseinandergesetzt hat. Um diese zu erreichen, können Kultur und Musik ein großer Hebel sein«, so Ruth Ranacher vom Mica. Womit wir wieder bei Coldplay wären. Die Musikerin Oska freut sich auf die Bühne im Happel-Stadion und findet es gut, dass Coldplay ihre Nachhaltigkeitsbemühungen auch in die Öffentlichkeit tragen, denn: »Wenn es Coldplay und Billie Eilish können, dann müssen andere große Bands mitziehen.«
Dass ein bisschen mehr öffentlicher Druck für Klimaschutz notwendig ist, zeigen derzeit der österreichische Veranstalter Klaus Leutgeb und der Entertainmentgigant Live Nation. Sie holen den Megastar Adele im August für zehn Konzerte nach München und stampfen extra dafür ein Pop-up-Stadion aus dem Boden. Wer Adele heuer in Europa sehen will, muss nach München reisen. Ein Gutteil der 800.000 Fans wird dabei das Flugzeug nehmen. Doch der Ärger darüber ist bisher verhalten. Das zeigt, wie niedrig die Erwartungen an die Livebranche sind, nachhaltig zu agieren. Und trotzdem scheuen sich laut Paulina Parvanov von Music Declares Emergency viele Artists davor, sich öffentlich für den Klimaschutz einzusetzen – aus Angst, dann selbst kritisiert zu werden:
»Selbst, wenn dir das Thema am Herzen liegt, kann es sein, dass du trotzdem in einem Nightliner oder einem Flugzeug sitzt, einfach weil du musst und es dein Job ist«, zeigt sie dafür Verständnis, dass manche einen Shitstorm fürchten. Und sie hat für diesen Fall auch einen Rat parat »Wer die Problematik auf dem Radar hat, sich aber nicht auf Social Media dazu äußern will, kann sie intern ansprechen. Allein schon, mit dem eigenen Umfeld darüber zu reden, macht einen Unterschied.«
Und was würde sonst noch einen Unterschied machen? Dass das Zugfahren mit Equipment einfacher und leistbarer werden
muss, darüber sind sich alle Befragten einig. Wer auf der Straße unterwegs ist, kann wie Oska oder Manu Delago auf seiner aktuellen Tour darauf achten, dass alles in einen Van passt. Politische Maßnahmen und Regulierungen wie der Autobahn-Hunderter werden ebenso genannt wie mehr Förderungen für nachhaltige Tourkonzepte. Euroteuro mit ihrem Schubkarren sehen außerdem noch häufig Nachholbedarf für Barrierefreiheit. Und Corinna Maier von der Konzert- und Festivalagentur Arcadia Live wünscht sich mehr Kooperationen mit den ÖBB, wie sie das Poolbar Festival in Feldkirch und das hauseigene Lido Sounds in Linz erfolgreich vorgemacht haben. Es gibt also viele Hebel und viel zu tun. The time is now.
Astrid Exner
Manu Delago spielt ab 26. April mehrere Konzerte in Österreich. Im Mai kommen Euroteuro für einige Shows nach Vorarlberg, in die Schweiz und nach Deutschland. Oska ist von 21. bis 25. August als Support-Act von Coldplay in Wien zu sehen. Das Lido Sounds findet von 27. bis 30. Juni in Linz statt. Eine Vorlage für einen Green Rider gibt es auf musicdeclares.net/at. Und auf musicaustria.at/tag/klima-und-musik stellt Mica – Music Austria Infos zum Thema bereit.
Euroteuro touren gerne mit Zug und Schubkarren.
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Michael Ternai, Mica – Music Austria
Special Being a Band
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Kunst, Handwerk, Hochleistungssport und Geburtsroulette
Was es für eine Karriere in der klassischen Musik braucht
Wer eine Laufbahn in der klassischen Musik anstrebt, muss hart arbeiten und viel üben. Wenn man genug leistet, schafft man es –oder? Welche Strukturen liegen der Welt der klassischen Musik zugrunde? Warum sind Orchester immer noch überwiegend weiß und männlich? Und welche Rolle spielt dabei Repräsentation? ———— Vom Tellerwäscher zum Millionär – ein kapitalistisches Märchen, das ungerechte gesellschaftliche Mechanismen gekonnt kaschiert. Auch in der klassischen Musik ist der Weg zum renommierten Orchesterplatz keine bloße Frage des nötigen Einsatzes. Schaut man sich Biografien erfolgreicher Musiker*innen an, wird klar: Klassische Musik ist nicht nur Kunst, sondern auch Handwerk und Hochleistungssport. Ein Instrument ausreichend zu beherrschen, verlangt nach viel Zeit und Übung. Das zu schaffen ist nahezu unmöglich, wenn man nicht bereits als Kind damit beginnt. Motivation, Konsequenz und eine Portion Talent bilden den Grundstock, sind aber keine Garantie dafür, sich im Beruf durchzusetzen. Studienplätze sind begrenzt, begehrte Fixanstellungen noch rarer. Selbst ein abgeschlossenes Studium an einer sehr guten Musikuniversität ist nicht ausreichend, um sich für eine Anstellung zu qualifizieren: Als Anwärter*in muss man sich gegen zig andere Bewerber*innen behaupten.
Dass die Branche von Leistungsdruck geprägt ist, ist bekannt. Doch wer wird durch die leistungsorientierten Strukturen benachtei-
ligt? Welche Zahnräder müssen im »Wheel of Privilege and Power« ineinandergreifen, damit man es schaffen kann, das Hobby zum Beruf zu machen?
Seit er vier Jahre alt ist, bekommt Konrád nun schon Cellounterricht. Durch seinen Vater, der als professioneller Cellist bei den Wiener Philharmonikern, einem der renommiertesten Orchester der Welt, engagiert ist, hatte er früh
»Man muss einfach immer und immer wieder beweisen, dass man es wert ist, gefördert zu werden« — Jasmin
Kontakt zu klassischer Musik. Nicht nur als Hobby, sondern auch als Beruf. Nach der Volksschule fing er am Musikgymnasium Wien an, ab 13 wurde er zusätzlich an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien (MDW) unterrichtet, ehe er an die private Johann-Sebastian-Bach-Musikschule wechselte.
Die gleichaltrige Jasmin hat mit sechs begonnen, an einer Musikschule in ihrer Heimatstadt Cellounterricht zu nehmen. Für sie war der erste Kontakt zu einem professionellen
Umfeld der Eintritt in ein Jugendsinfonieorchester im Alter von zehn Jahren. Dort sah sie bei anderen Jugendlichen den Weg, den man gehen kann, wenn man Musik zum Beruf machen möchte: Einige waren am MGW, dem Musikgymnasium Wien, andere studierten ihr Instrument bereits. Durch ihren Cellolehrer erfuhr sie von Wettbewerben, Sommercamps und anderen Möglichkeiten zur musikalischen Weiterbildung. Er war es auch, der vorschlug, dass sie die Oberstufe am MGW besuchen solle.
Förderung in der Kindheit
Um besonders musikinteressierte Kinder schon früh bestmöglich zu fördern, ist neben einem musikalischen Umfeld auch emotionale Unterstützung aus dem Elternhaus notwendig. Maria Grün, die als Cellistin bei den Wiener Symphonikern engagiert ist und an der MDW im Vorstudienbereich unterrichtet, kennt diese Hürde nur zu gut: »Eltern müssen gewillt sein, das Kind zum Musikunterricht anzumelden, es dorthin zu begleiten und zumindest ein bisschen zu schauen, dass zu Hause geübt wird.« Auch Magdalena Bork, Karriereforscherin und Leiterin des Talentlabs, einer Organisation für Begabtenförderung der MDW, ist überzeugt: »Gerade Kinder werden es nicht durchhalten, wenn niemand in ihrem Umfeld das Musikmachen gutheißt.«
Als Kind überhaupt erst einmal ein Instrument zu lernen und sich so die Möglichkeit offenzuhalten, die Musik später zum Beruf zu
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machen, ist vom Einkommen der Eltern abhängig. Bevor das Spielen eines Instruments als Lebensunterhalt relevant wird, ist es viele Jahre lang ein teures Hobby. »Es beginnt beim Instrument, man muss sich Unterricht leisten können, man braucht Noten und Saiten«, so Grün. »Allein schon ein Cellosaitensatz kostet 300 Euro, Bogenbehaarung um die 100 Euro. Beides braucht man eigentlich zweimal im Jahr, wenn man ordentlich übt. Das ist wahnsinnig teuer!«
Gibt es Fördergeld, das explizit für Familien mit geringem Einkommen zur Verfügung steht? Nicht wirklich: Finanzielle Unterstützung ist bis zum ordentlichen Studium nur punktuell verfügbar, etwa als Kostenzuschuss, um auf ein Sommercamp fahren oder einen Meister*innenkurs besuchen zu können. Längerfristige Förderprogramme, wie sie die MDW anbietet, sind an ein Vorspiel gekoppelt und damit leistungsbasiert. Jedes Semester entscheidet eine Fachjury, ob der Förderanspruch weiter besteht. Dieser zusätzliche Stress betrifft vor allem Kinder und Jugendliche, deren Eltern sich die Kosten für Instrument, Unterricht und Noten nicht leisten können. »Man muss einfach immer und immer wieder beweisen, dass man es wert ist, gefördert zu werden«, bestätigt Jasmin. Und auch Konrád weiß: »Es gibt Stipendien für sehr wenig Leute und Plätze für etwas mehr, also muss man zu den noch besseren gehören, um ein Stipendium zu bekommen.«
Weniger Geld, mehr nötige Leistung
Ein Fördersystem, das auf Leistung statt auf Bedarf basiert, verschärft den in der Branche ohnehin omnipräsenten Leistungs- und Konkurrenzdruck vor allem für ärmere Menschen. »Es ist schon anstrengend«, stellt Jasmin fest. »Zeit zum Üben zu finden, ist oft schwierig. Ich habe Schule und danach muss ich arbeiten, irgendwann noch etwas essen und zwischen Wien und zu Hause pendeln. Ich habe schon ein stressiges Leben, aber es ist machbar für mich.« Seit zwei Jahren arbeitet sie geringfügig neben Schule und Studium. Ihre alleinerziehende Mutter unterstützt sie, wo es geht, allfällige Kosten wie Anmeldegebühren für Wettbewerbe oder Reisekosten für Tourneen zahlt sie aber meistens selbst. »Wenn ich etwas ganz dringend brauche, dann frage ich meine Oma, die ist immer bemüht, mir Sachen zu sponsern.« Für größere Anschaffungen, wie etwa ihr erstes eigenes Instrument, spart die ganze Familie. Jasmin wird sich für einen Studienplatz an der MDW bewerben, um im nächsten Semester Konzertfach Cello zu studieren. Für sie würde eine Aufnahme ins ordentliche Studium eine große finanzielle Entlastung bedeuten, denn dann müsste sie ihre Unterrichtsstunden nicht mehr selbst bezahlen.
Aber wie wird eigentlich entschieden, ob Jasmin einen Studienplatz bei ihrem gewünschten Uni-Professor bekommt? Grün spricht von einem Graubereich, der die Beurteilung ab einem hohen technischen Niveau besonders schwierig mache. Musikalische Fähigkeiten seien nicht gut messbar und sobald im technischen Können der einzelnen Bewerber*innen kaum mehr Unterschiede zu merken seien, werde die Beurteilung schnell von subjektiven Präferenzen beeinflusst. Wenn man Bewertung nicht mehr rechtfertigen muss, wenn die Aussage »der war eben überzeugender« ausreicht, um eine Entscheidung zu treffen, dann gibt es Raum für Beurteilung aufgrund von internalisierten Vorurteilen, die sich auf Geschlecht, Hautfarbe oder andere äußerli-
»Wir haben den Auftrag, den Zugang gleichberechtigt allen Menschen, die musikinteressiert sind, offenzuhalten.«
— Magdalena Bork
che Merkmale beziehen. Seit einigen Jahren ist es daher im Bewerbungsprozess für Orchesteranstellungen üblich, die Kandidat*innen hinter einem Vorhang vorspielen zu lassen, sodass die Jury sich völlig auf ihre Ohren verlassen muss. Eine Praxis, die zu einem sprunghaften Anstieg des Frauenanteils in Orchestern führte.
Auch wenn sich in den letzten Jahren sehr viel verändert hat, ist die klassische Musik immer noch eine ziemliche Männerdomäne. Cello zu spielen war aufgrund der breitbeinigen Haltung für Frauen lange Zeit verpönt, deshalb gibt es auch heute noch wenige Cellistinnen und damit wenige Vorbilder für junge Frauen. Konrád hatte es da leichter als Jasmin, sein erstes Vorbild war sein Vater. Als Woman of Colour hatte es Jasmin gleich doppelt schwer: »In letzter Zeit merke ich, dass fehlende Repräsentation der Grund ist, warum ich so wenig das Gefühl habe, es schaffen zu können. Es gibt generell schon wenige Frauen, die erfolgreich sind, aber ich kenne keine einzige erfolgreiche, dunkelhäutige Cellistin. Ich hatte eigentlich nie Vorbilder.«
Feedbackschleife Repräsentation
Repräsentation ist enorm wichtig, um sich überhaupt zuzutrauen, etwas zu können. Das Gute ist, dass schon kleine Verbesserungen große Auswirkungen haben können. Wenn beispielsweise mehr weibliche Musikerinnen
Teil von Orchestern werden, trauen sich auch mehr Mädchen zu, eine professionelle Karriere einzuschlagen. Dadurch gibt es mehr erfolgreiche weibliche Orchestermusikerinnen, was wiederum dazu führt, dass sich das Bild einer vorwiegend männlichen Orchesterbesetzung ändert. Das bricht das Vorurteil auf, Frauen wären weniger gut fürs Orchesterspielen geeignet als Männer, wodurch das Bauchgefühl von Jurys vielleicht schon bald keinen Unterschied mehr zwischen weiblichen und männlichen Musiker*innen macht. Eine positive Feedbackschleife entsteht.
Wie müssten sich also die Strukturen verändern, damit der Zugang zum Musikstudium und damit der Weg in den Beruf als Musiker*in wirklich allen Menschen unabhängig von Einkommen, Hautfarbe oder Geschlecht offensteht?
Magdalena Bork nimmt Musikschulen, Universitäten und nicht zuletzt sich selbst in die Pflicht: »Man müsste alle Zugänge überprüfen. Man müsste schauen, wer in die Musikschulen kommt und wie. Man müsste den ganzen Zubringermarkt, bis die Leute an der Uni landen, transparent machen. So, wie es jetzt ist, überlassen wir das der freien Marktwirtschaft und das widerspricht eigentlich unserem Bildungsauftrag. Wir haben natürlich den Auftrag, den Zugang gleichberechtigt allen Menschen, die musikinteressiert sind, offenzuhalten. Wir, die die Universität vertreten, müssten dafür sorgen, dass das passiert.«
Die klassische Musik als Branche ist gewissermaßen die Gesellschaft in einem Goldfischglas, denn diskriminierende Strukturen sind in alle Lebensbereiche eingraviert. Wer sich dessen bewusst ist, kann etwas daran ändern. Wer jedoch Leistungsorientierung als Chancengleichheit missversteht, verschließt die Augen vor einem eigentlich offensichtlichen Problem: Die Verkettung von Privilegien bedeutet, wie immer wenn es um strukturelle Benachteiligung geht, dass sich vor allem weibliche, rassifizierte, behinderte, dicke oder queere Menschen mehr anstrengen müssen. Sie müssen mehr leisten, zu den noch besseren gehören, um eine annähernd gleiche Chance zu haben. Wenn die Ausgangssituationen unterschiedlich sind, führt Gleichbehandlung nicht zu Gleichberechtigung.
Helena Peter
Jasmin und Konrád sind beide im Maturajahr des Musikgymnasiums in Wien. Dort haben sie die Möglichkeit, ihre musikalischen Karrieren während ihrer Schullaufbahn weiterzuverfolgen. Maria Grün bereitet Kinder und Jugendliche in Lehrgängen auf die Eignungsprüfungen für die Universität für Musik und darstellende Kunst Wien vor. Magdalena Bork leitet das Talentlab, eine Teilorganisation der MDW, die verschiedene Förderprogramme für Studierende anbietet.
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Rebecca Saunders Rockaby (2017–2024) 24.2.–2.6.2024 9.3.–28.4.2024 © Anna Zehetgruber Roberto Matta, Out to Alisma #2 1948 © Estate Roberto Matta Eine Kooperation mit dem Wiener Musikverein
Die Fans ins Boot holen
Direct-to-Fan-Services
als neuer Weg in der Musikbranche
Das Fanklub-Gründerteam:
Mit Fanklub und Talentir setzen zwei noch recht junge österreichische Onlineplattformen darauf, die Fans zu beteiligen, um Artists neue Einkommensmöglichkeiten zu erschließen. ———— Im Lockdown nahm es seinen Anfang. Als Corona die Welt lahmlegte, standen viele Musiker*innen plötzlich vor einem Problem: Ohne Livekonzerte hatten sie einen wesentlichen Teil ihrer Einnahmen verloren. Alternative Möglichkeiten für die Monetarisierung ihres Musikschaffens waren mit einem Schlag gefragter denn je. Es sollte nicht von heute auf morgen gehen, aber aus zwei der Ideen, die damals in Österreich gewälzt wurden, sind mittlerweile taugliche Direct-to-Fan-Services geworden, die durchaus das Potenzial haben, sich auf einem Musikmarkt, der mehr und mehr von dominanten Streamingkonzernen abhängig ist, zu behaupten.
Zum einen wäre da die Plattform Fanklub. Als »Weg zum musikalischen Grundeinkommen« beschreibt sich der Dienst auf seiner Website. Der Impuls dafür kam von Sebastian Król und Arne Thamer von der Hamburger Musikagentur Backseat, die sich damit an ihren Wiener Geschäftspartner Andreas Jantsch vom Label Las Vegas Records wandten. Das Prinzip: Abonniere deinen Lieblingsact und erhalte dafür exklusive Inhalte. Ab einem monatlichen Beitrag von 1,99 Euro können Fans mit dabei sein. Für die Künstler*innen ist die Nutzung gratis. Jantsch: »Es geht darum, die Superfans anzusprechen. Also jene Fans, die ihre Artists lieben, die bereit sind, Geld auszu-
geben für Tickets, für T-Shirts, für Konzerte. Und die im Idealfall in der Schule oder in der Arbeit erzählen, wie toll ihre Lieblinge sind.«
Analoge Freude
Als Anreiz für ein Abo bieten die Musiker*innen neben Greifbarem wie Konzerttickets oder Merch auch Einblicke in ihre Welt, eine gewisse Nahbarkeit. Einer, der darin besonders gut ist, ist Ian Fisher. Der gebürtige US-Amerikaner lebt in Wien, seinem digitalen Fanklub macht er unter anderem mit Analogem wie Gitarrenstunden oder Postkarten eine Freude. Je engagierter ein Artist vorgehe, desto besser funktioniere das Konzept, erklärt Jantsch. Als Paradebeispiel nennt er eine Schweizer Band, die die Plattform als zentrales Tool zur Kommunikation mit ihren Fans ein- und dabei jährlich einen fünfstelligen Betrag umsetze.
Eine Anstoßförderung der Wirtschaftsagentur in der Höhe von 150.000 Euro half maßgeblich dabei, Fanklub aus der Taufe zu heben. Aktuell sei man mit rund 4.500 registrierten Fans und 130 Artists, von denen etwa die Hälfte aktiv ist, noch nicht rentabel – zehn Prozent der Aboerlöse bleiben im Unternehmen. Es gehe seit dem Launch im September 2022 sehr viel darum, Überzeugungsarbeit zu leisten, um neue Acts auf die Plattform zu bekommen. Das sei durchaus schwieriger als gedacht: »Musiker*innen sind halt faule Säcke«, meint Jantsch mit einem Augenzwinkern. Bei Innovationen seien sie eher zurückhaltend, das habe sich schon beim Thema Crowdfunding gezeigt. »Viele von ihnen wollen einfach nur Musik machen. Fair enough.«
Wenn es das Ziel von Fanklub ist, das »Grundeinkommen« von Musiker*innen zu sichern, dann kann Talentir, die andere
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Special Being a Band
Sebastian Król, Andreas Jantsch und Arne Thamer
Direct-to-Fan-Plattform, um die es hier gehen soll, als niederschwellige Möglichkeit gesehen werden, in Artists zu investieren – und zwar vorerst einmal in deren Youtube -Videos. Das Wiener Start-up hat ein Co-Ownership-Modell entwickelt, das es Künstler*innen ermöglicht, Anteile an ihren Musikvideos zu verkaufen. Fans können so ihre Lieblinge unterstützen und werden überdies mit einer Beteiligung an den Werbeeinnahmen der Videos belohnt. Die Blockchain-Technologie macht’s möglich.
Eine Million Euro
Den beiden Talentir-Gründern Lukas Steiner und Johannes Kares – der eine hat als Mitinhaber der Horst Group das Wiener Nachtleben um fünf Clubs bereichert, der andere bei Sennheiser einen Algorithmus mitentwickelt, der von einem namhaften Streaminganbieter fürs Audio-Processing eingesetzt wird – ist es dafür gelungen, in einer ersten Runde fast eine Million Euro von Investor*innen einzusammeln. Auch bei den beiden war das Stillstehen des (Club-)Kulturbetriebs Ausgangspunkt dafür, darüber nachzudenken, wie man Musik anders monetarisieren könnte.
Aktuell ist Talentir in einer Betaversion online, mit etwas mehr als einem Dutzend Videos. Grafiken in Grün oder Rot zeigen deren »Kurs«, also die Views. Daneben verraten Zahlen die Einnahmen der letzten 30 Tage. So hat etwa die in der Republik Moldau geborene und in Österreich lebende Violinistin Rusanda Panfili mit »Meditation from Thaïs for Violin and Piano« von Jules Massenet etwas über 200 Euro für sich und ihre 76 Co-Owners eingespielt. Und zwar allein im letzten Monat. Mit dem Verkauf von 22 Prozent ihrer Anteile am Video zu je 150 US-Dollar konnte die Musikerin überdies einen nicht ganz niedrigen vierstelligen Betrag von ihren Fans lukrieren.
Talentir-CTO Kares: »Wir geben Künstler*innen und Labels die Möglichkeit, frei zu entscheiden, wie viele Prozent der Rechte sie hergeben möchten und zu welchen Konditionen. Sie können auch Anteile verschenken, etwa im Gegenzug für Newsletter-Anmeldungen oder Social-Media-Shares.«
Aktuell kuratiere man das Angebot auf der Plattform noch, weil gerade in der Startphase eines solchen Projekts qualitativer Content wichtig sei. Über kurz oder lang stehe Talentir aber allen offen. Einzige Einschränkung: Um das Service nutzen zu können, müsse man auf Youtube Anspruch auf Monetarisierung haben, also auf seinem Channel mindestens 1.000 Abonnent*innen verzeichnen und zusätzlich entweder 4.000
Stunden Wiedergabezeit in den letzten zwölf Monaten oder zehn Millionen Shorts-Aufrufe in den letzten 90 Tagen.
Gemeinsam wachsen
Grundsätzlich sei es die Vision von Talentir, dass Künstler*innen ihre Fans mit ins Boot holen können, erläutert Kares: »Es gibt fast nichts Verbindenderes als gemeinsam etwas zu besitzen, gemeinsam etwas zu promoten, gemeinsam zu wachsen.« Als Miteigentümer*innen hätten die Fans natürlich ein gesteigertes Interesse daran, »ihr« Musikvideo unter die Leute zu bringen. »Das ist auch die Hypothese gewesen, mit der wir ins Rennen gegangen sind: dass die Co-Owners ein neuer Weg sind, Marketing zu betreiben«, sagt Steiner, der CEO des Unternehmens.
Dass Direct-to-Fan-Services immer wichtiger würden, davon ist man jedenfalls bei Fanklub ebenso überzeugt wie bei Talentir. Das zeige sich auch am Interesse der großen Marktteilnehmer*innen an den beiden Plattformen. Kares: »Ich glaube, die Major-Labels stehen vor demselben Problem wie zu Beginn des Streaming-Zeitalters. Sie checken, dass gerade etwas passiert – mit all den ArtistLabels und Distributoren. Aber ich glaube, sie checken nicht so ganz, was es tatsächlich langfristig bedeuten kann. We’ll see … Aber wir haben schon den Anspruch, da ein bisschen aufzumischen. Denn man kann etwas verändern und ich bin mir ziemlich sicher, es wird sich etwas verändern.«
Manuel Fronhofer
Nähere Infos zu Fanklub findet man unter www.fanklub.com, die Betaversion von Talentir unter www.talentir.com.
»Es gibt fast nichts Verbindenderes als gemeinsam etwas zu besitzen, gemeinsam etwas zu promoten, gemeinsam zu wachsen.«
— Johannes Kares, Talentir
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Karo Pernegger, Oliver Jiszda
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Lukas Steiner und Johannes Kares von Talentir
Wortwechsel Wie viel Fair Pay verträgt die Musikbranche?
Von Musik zu leben, ist nicht leicht. Weder für die meisten Musiker*innen selbst, noch für viele Berufsgruppen, die es diesen erst ermöglichen, live aufzutreten, zu touren, Alben aufzunehmen und diese zu vertreiben. Der Ruf nach fairer Bezahlung für geleistete Arbeit scheint natürlich nur gerecht. Wie müssen Förderungen strukturiert sein, damit sich auch kleinere Clubs und Veranstaltungen solche Gagen leisten können? Wie rentabel muss Musik für alle Beteiligten sein? Wer bestimmt, was fair, was Ausbeutung und was finanzierbar ist? Und zu guter Letzt: Welche Rahmenbedingungen muss die Politik setzen?
Eva-Maria Bauer Österreichischer Musikrat
Fair Pay als Vision ———— In der Fragestellung versteckt sich die Annahme, es würde sich um einen freien Markt handeln, der sich durch Angebot und Nachfrage selbst reguliert. Tatsächlich sind große Teile des Musikbetriebs jedoch durch öffentliche Subventionen gestützt. Viele Initiativen können sich nicht einnahmenseitig finanzieren, sie sind auf Zuschüsse angewiesen. Der öffentlichen Hand als Fördergeberin kommt deshalb eine zentrale Rolle am Markt zu, die mit großer Verantwortung einhergeht. Daher ist es nur sinnvoll und folgerichtig, dass der Fair-Pay-Prozess bei öffentlichen Förderstellen ansetzt und auch die Honorarempfehlungen im Musikbereich primär für den geförderten Bereich entwickelt wurden.
Was bedeutet faire(re) Bezahlung konkret? In der Fair-Pay-Strategie der Gebietskörperschaften 2022 haben sich Bund, Länder, Städte und Gemeinden darauf geeinigt, dass im Förderwesen die Empfehlungen der Interessensgemeinschaften als Orientierung herangezogen werden sollen. Sie stellen Mindeststandards dar, damit Künstler*innen und Kulturarbeiter*innen von ihrer Tätigkeit leben können.
Es gibt die Befürchtung vonseiten besser verdienender Musiker*innen, dass bei einer Etablierung der Honoraruntergrenzen keine höheren Gagen mehr bezahlt werden würden.
Wir sind in Österreich jedoch noch weit von einer flächendeckenden Durchsetzung von Fair-Pay-Standards entfernt. Und ohne eine breite Solidarität in der Szene kann Fair Pay nicht funktionieren.
Es gibt die Befürchtung seitens Veranstalter*innen, dass mit der Etablierung von Fair Pay ihre Aktivitäten nicht mehr finanzierbar seien. Ja, es braucht kräftige Erhöhungen der Kulturförderbudgets und Fair-Pay-Zuschüsse für Auftrag- und Arbeitgeber*innen, damit Fair Pay realistisch ist. Aber ich sage auch: Weniger ist manchmal mehr. Wäre es nicht besser, einige Veranstaltungen und Produktionen weniger anzusetzen und dafür fair zu bezahlen, als weiterhin ein Künstler*innenprekariat strukturell mitzutragen?
Fair Pay ist vor allem eines: eine Vision. Eine Vision von Schutzmaßnahmen und Standards, die in anderen Berufssparten in Österreich längst Realität sind. Es sollte selbstverständlich sein, dass Musikvermittler*innen nach einem Kollektivvertrag bezahlt werden, mit geregelten Arbeitszeiten. Es sollte selbstverständlich sein, dass Musiker*innen bei einem Konzert Spesenersatz für Anreise und Unterkunft erhalten. Schließlich diskutiert auch niemand mit Installateur*innen über die Legitimität von Anfahrtspauschalen.
Es läuft auf die Frage hinaus: Was ist uns Kunst wert? Kulturarbeit ist Arbeit und verdient eine faire Entlohnung. Künstlerische Arbeit ist wertvoll und verdient eine faire Entlohnung. So viel Fair Pay verträgt der Markt.
Eva-Maria Bauer ist seit diesem Jahr Präsidentin des Österreichischen Musikrats. Gemeinsam mit Günther Wildner hat sie die Fair-Pay-Empfehlungen für den Bereich Musik im »Fair Pay Reader« des Kulturrats Österreich formuliert.
Bernhard Frena Stephan Polzer, Ina Ayodgan, Kerstin Scharrer, Siegrid Cain
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Special Being a Band
Eine Frage der Bereitschaft ———— In einer perfekten Welt hätten alle Menschen die Möglichkeit, in Frieden und Freiheit zu leben, kreativ zu sein und Kunst zu machen. Da wir davon leider extrem weit entfernt sind, setze ich anders an. So wie größere Entertainmenthäuser durchfinanziert und gefördert werden, so muss es auch in der freien Szene möglich sein, faire Löhne/Gagen zu zahlen. Dabei geht es um annähernd faire Kompensation des Arbeitsaufwands. Proben werden immer noch relativ selten kompensiert, sind aber ein großes zeitliches Commitment. Gutes, ständig gewartetes und zeitgemäßes Equipment wird quasi vorausgesetzt. Das Investment auf Seiten der Künstler*innen ist immens.
Man sehe sich einmal die verschiedenen Einkommensquellen von Musiker*innen an: Tantiemen, die mitunter stark durch Beteiligung vieler Parteien beschnitten werden; Livegagen, bei denen die jeweilige Venue gut zahlen muss, damit nach den Reisekosten etc. noch genug übrig bleibt. Und demgegenüber stehen die Ausgaben: steigende Kosten fürs Recording, Mixing und Mastering; Miete für Proberäume; etwaige Ausbildung; Instandhaltung und Anschaffung von zeitgemäßem Equipment. Die Liste ist sicherlich noch länger, aber man kann sich vorstellen, warum hier zumindest für adäquate Livegagen gekämpft wird. Da ist die Leistung am sichtbarsten.
Also ja, Fair Pay muss »ertragen« werden. Es ist hauptsächlich eine Frage der Bereitschaft und Wertschätzung von Politik und zum Teil vom Publikum (Stichwort »Gratiskonzerte«). Die gesamte Arbeit sollte eigentlich so gut entlohnt werden wie bei anderen Berufen. Installateur*innen verrechnen korrekt Anfahrt und Stunden. Warum können das nicht auch alle in der Musikbranche tun? Ich kann die Branche nicht schöner malen, als sie ist. Wegen der Schönheit des Produkts (d. h. der Kunst) haben wir ein romantisiertes Bild von diesem Beruf und daher auch der Branche. Es macht ja Spaß, also warum sollte man dafür auch noch Geld bekommen? Darf Arbeit keinen Spaß machen, erfüllend sein? Österreich nennt sich Musikland, das ist schön. Aber nicht nur in der Klassik gibt es Bedarf und Publikum, sondern ebenso in Subkulturen, freier Szene und Popmusik.
Mira Lu Kovacs ist als Musikerin sowohl solo als auch in Bands wie My Ugly Clementine und 5K HD aktiv. Außerdem ist sie Botschafterin der IG Freie Musikschaffende. Kürzlich ist ihre neue Single »Disappear« erschienen, ab Mitte April ist sie wieder auf Tour..
Ist das fair? ———— Die Frage »Was ist Gerechtigkeit?« ist so alt wie die Menschheit. Es ist deshalb wenig verwunderlich, dass sie – zumindest in Form der Fair-Pay-Debatte – nun auch im Kultursektor angekommen ist. Eine Antwort darauf haben die klügsten Köpfe der Geschichte nicht gefunden, sie ist daher auch von Kulturpolitiker*innen oder Interessensvertretungen nicht zu erwarten. Was also tun?
In meiner alltäglichen Arbeit in einem Kulturzentrum mit mehreren Angestellten und Honorarkräften, zahlreichen Ehrenamtlichen und natürlich regelmäßig auftretenden Künstler*innen begegnet mir das Thema faire Bezahlung ständig. Fast täglich stellt sich die Frage nach einer angemessenen Gage für künstlerische Darbietungen: Ist es fair, der Band X für eineinhalb Stunden Bühnenshow 300 Euro zu zahlen, während ich Band Y für ihr ebenso langes Liveset unter 5.000 Euro gar kein Angebot zu machen brauche, weil die sonst einfach nicht kommt? Am Ende bleiben halt bei Band Y aufgrund höherer Einnahmen ein paar hundert Euro übrig, die ich brauche, damit ich Band X statt 300 zumindest 500 Euro Gage geben oder der unbekannten Band Z überhaupt eine bezahlte Auftrittsmöglichkeit bieten kann. Ist das fair?
Ähnliches gilt im nicht künstlerischen Bereich: Warum bekomme ich als Bürokraft (übrigens auch nach Fair-Pay-Schema der IG Kultur) für dieselbe Arbeitszeit die Hälfte mehr bezahlt als meine Kolleg*innen von der Reinigung? Warum kriegt der Plakatierer weniger als die Barleiterin? Der Tontechniker mehr als die Reinigungskraft? Und warum sollen überhaupt Menschen unentgeltlich (man beachte das schöne Wort »ehrenamtlich«) teilweise schwere und verantwortungsvolle Arbeit wie Aufbau-, Ordner*innen- oder Kassadienste leisten?
Das Wichtigste an der Fair-Pay-Debatte scheint mir derzeit zu sein, dass Strukturen geschaffen werden, die es den unterschiedlichen Berufsgruppen im Kulturbereich ermöglichen, jeweils gerechte Arbeitsbedingungen zu verhandeln. Richtlinien für faire Mindestgehälter und -gagen spielen dabei eine zentrale Rolle. Eine Gleichmacherei wird besonders im künstlerischen Bereich, wo Bekanntheit die zentrale finanzielle Rolle einnimmt, ohnehin nicht funktionieren.
Florian Walter ist Politologe und Kulturarbeiter. Beim Alten Schlachthof Wels ist er für Ticketing, Öffentlichkeitsarbeit, Projekte und Proberäume verantwortlich.
Susanne Lipinski
Dachverband Salzburger Kulturstätten
Höheres Kulturbudget ———— Das Berufsbild Musiker*in hat sich stark gewandelt. Musiker*innen arbeiten in den Bereichen Musikproduktion, Veranstaltungs- und Labelmanagement, sie spielen in unterschiedlichen Ensembles oder Bands. Wie in anderen Sparten finden sich freischaffende Musiker*innen sowohl in (prekären) selbstständigen wie auch unselbstständigen Beschäftigungsverhältnissen wider. Das bestehende Steuer- und Sozialversicherungssystem ist jedoch nicht für diese Vielschichtigkeit ausgelegt, was die soziale Absicherung beeinträchtigt.
In Sachen Fair Pay hat Salzburg hier eine Vorreiterrolle eingenommen. Fair Pay I, also eine schrittweise Gehaltserhöhung für angestellte Kulturarbeiter*innen wird vom Land Salzburg seit mehreren Jahren erfolgreich umgesetzt. Die Stadt Salzburg zieht hier 2024 nach. Fair Pay II, also die gerechte Entlohnung für selbstständige Künstler*innen, gestaltet sich allerdings aus oben genannten Gründen ungleich schwieriger. Immerhin stellt das Land Salzburg aber für 2024 400.000 Euro für Fair Pay II zur Verfügung.
Viele Salzburger Institutionen sind bemüht, auch ihre selbstständigen Musiker*innen fair zu bezahlen. Doch Thomas Randisek, Geschäftsführer des Dachverbands, bringt das Dilemma auf den Punkt: »Unsere Mitglieder wie das Rockhouse Salzburg oder der Jazzit Musik Club versuchen bereits, eine faire Bezahlung der bei ihnen auftretenden Musiker*innen und Bands zu gewährleisten. Solange sie dafür aber keine Sonderförderung erhalten, können sie Honorarnoten nicht zur Gänze nach Fair Pay auszahlen.« Durch die Salzburger Vorreiterrolle und durch viele Kampagnen der Interessenvertretungen gibt es hierzulande zunehmend Bewusstsein für Fair Pay. Fakt ist aber, dass sich rechtliche wie finanzielle Rahmenbedingungen zum Besseren wenden müssen.
Zwei wesentliche Forderungen sind etwa verpflichtende Fair-Pay-Kriterien für Förderungen und faire Honorare im nicht geförderten Bereich. Speziell für Salzburg bleibt zu hoffen, dass der Gemeinderat der Stadt sich auch nach dem Generationen- und Parteienwechsel dem Thema faire Entlohnung für freischaffenden Musiker*innen annehmen wird. Das würde einfach formuliert bedeuten: ein höheres Kulturbudget für die freie Szene insgesamt.
Susanne Lipinski arbeitet als Kulturvernetzerin, Schauspielerin und Texterin. Sie ist Kulturarbeiterin im Dachverband Salzburger Kulturstätten und Leiterin des Künstler*innenkollektivs Kollinski Sozial.
Walter
Schlachthof Wels
Florian
Alter
Mira Lu Kovacs Musikerin
Workstation
Menschen am Arbeitsplatz
Evelyn Krakora
Landwirtschaftsgärtnerin
Die Liebe zum Gärtnern hat Evelyn Krakora von ihrem Opa mitbekommen. Für den war das nur ein Hobby, Krakora setzt ihren grünen Daumen nun aber auch beruflich ein. Für die MA 42, die Wiener Stadtgärten, ist sie im ersten Bezirk stationiert und kümmert sich dort mit ihren Kolleg*innen um alles, was wächst und gedeiht – vom kleinen Blümchen bis zum stattlichen Baum. »Ich schätze das Vielseitige, dass man nicht jeden Tag dasselbe macht«, erklärt sie einen großen Vorzug ihres Berufs. Trotzdem gibt es natürlich auch Routine, Tag für Tag, aber gerade auch aufs Jahr gesehen. Aktuell stehen alle Zeichen auf Frühling. Soeben sind Krakora und ihre Kolleg*innen mit der Bepflanzung des Rathausparks fertig geworden. Jetzt erblüht alles wieder in bunten Farben. Keine leichte Arbeit, es gehe viel ins Kreuz und in die Knie. »Aber wenn es fertig ist, sieht man wenigstens, was man getan hat.« Allen Leuten könne man es dabei natürlich nicht recht machen, »doch es wäre schon schön etwas mehr Anerkennung von außen zu bekommen«. Nach getaner Arbeit findet Krakora beim Linedancing einen Ausgleich. Oder sie gärtnert privat gleich weiter. Ob sie denn nach der Arbeit nicht genug vom Gärtnern habe? »Nein, weil es mir halt Spaß macht.«
Alexander Galler Bernhard Frena
Denise Frost
Umweltarbeiterin
Denise Frost ist stolz darauf, Orange zu tragen: »Wir vertreten die 48er, wir sind das Aushängeschild und demnach geben wir uns natürlich von der besten Seite.« Die MA 48 für Abfallwirtschaft, Straßenreinigung und Fuhrpark ist in Wien allgegenwärtig. Da wird gekehrt, gestreut, entsorgt und geräumt. »Ohne MA 48 würde Wien untergehen«, ist Frost überzeugt. Aktuell ist Frühjahrsputz angesagt: »Wir bauen alle Fahrzeuge vom Winterbetrieb um, kehren den Schotter ein und bereiten alles für den Sommer vor.« Frost fährt mit dem Pritschenwagen, bringt Kehrer*innen in ihre Kehrgebiete, entleert Mistkübeln und entsorgt herumstehenden Müll. »Man merkt schon, dass es mehr Müll auf der Straße und weniger im Kübel wird. Das fühlt sich manchmal undankbar an.« Trotzdem findet sie, dass die Anerkennung für ihren Beruf generell hoch ist. »Überhaupt als Frau merkt man das. Das Schönste ist, wenn du die Freude bei den Leuten siehst oder Kinder dir zuwinken. Da hat man dann selbst ein Lachen im Gesicht.« Diese Aufmunterung braucht es auch, denn die Arbeit bei den 48ern ist ein Knochenjob, der bei keiner Witterung haltmacht. Das gehe nur gemeinsam: »Wichtig ist, dass wir zusammenarbeiten, wir sind abhängig vom Funktionieren des Teams.«
KINDHEITSBILDER
Prosaminiaturen sind die Gemälde unter den Texten. Auf engstem Raum werden darin Sprachbilder gepinselt. Ohne sprachlichen Ballast entstehen dichte Texte, die zwischen Prosa und Lyrik zu Hause sind. Dass sie diese Textsorte beherrscht, zeigt Evelyn Bubich in drei Miniaturen.
NEUANFANG IN MINIATUREN
Zwei kleine Boote, blaue Rümpfe aus Holz, gestrandet im Sand. Ein, zwei, Körper, drei, darauf platziert, eine Frau zupft ihr Kopftuch zurecht. Wo bleibt das Meer, fragt sie, erst in ein paar Stunden wird es zurückkommen.
Ein Kind, es steht kaum knietief im Meer, lässt das Salzwasser in sein Kübelchen fließen. Viel Sand ist darin, und viel wird passieren, wenn das Kind einmal groß ist. Kopfüber hält es das Kübelchen in die Luft, lässt das Wasser herausfließen. Die Schwerkraft bringt es wieder zurück. Gegenwärtig bleibt das Kind Kind, und das Meer bleibt Meer, und vielleicht wird auch nichts mehr passieren.
Das Schwitzen der Wasserflasche, das Schwitzen der Körper, die Pigmente der Hitze konturieren die Luft. Der dicke Mann und das Meer. In der rechten Hand hält er sein Mobiltelefon. Kur fillon, kur fillon, wann geht’s los, fragt er. Zwischen den Zehen des dicken Mannes bilden sich Festungen aus Sand. Sehr kleine Zehen, vergleicht man sie mit dem Rest seines Körpers.
Die kosovarische Großmutter stemmt die Arme in die Hüften, auf ihrem Kittel wachsen die Blumen. Schon ein wenig staubig. Der kleine Bub steht neben dem Blumenfeld und hat große Augen. Er ist fasziniert, von dem laut brummenden Gemüsetransporter, der sich schnaufend und stockend, ganz behäbig in seiner Bewegung, bemüht voranzukommen. Eine Melone fällt auf den Boden. Dreißig Lek für die Vögel.
Petulla të çastit. Zwei Frauen schieben, unermüdlich, ihren Süßspeisenwagen über den Strand. Petulla të çastit. Sie sehen nicht glücklich aus. Të çastit. Sie haben keine Wahl. Sie wollen nach Amerika. Sie wissen, auch dort ist das Meer. Das Meer und ein Augenblick. Hundert Millionen Milliarden Synapsen, um neu zu begreifen. Manchmal ist ein Periskop hilfreich.
Auf einem gefalteten Stück Papier steht in vergilbter Schriftfarbe: Die Schale der Wassermelone heute nicht wegwerfen, morgen machen wir Glyko.
KINDERSPIEL
der Großvater faltet seine Hände, er spreizt seine Finger zu kleinen Flügeln, er krümmt seine Zeigefinger und lässt drachene Figuren aus ihnen erwachen. Der Vorhang, der im Raum die Schlafstelle von den anderen Ecken trennt, zieht eine ockerfarbene Wand durch die Luft. Auf der Fläche, die entsteht, wird eine Projektion sichtbar
Großvaters Schatten, die über Grenzen hinweg von hier und von dort
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PROSA — EVELYN BUBICH
Zur Person
Evelyn Bubich ist freie Autorin, Lektorin und Literaturvermittlerin. Zudem ist sie Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift Podium und Vorstandsmitglied der IG Autorinnen Autoren. Sie lebt in Wien und arbeitet zurzeit an einem Roman. Am 4. Juni wird eine Podium-Ausgabe mit dem Schwerpunkthema »KI in der Literatur« im Literaturhaus Wien präsentiert, am 13. Juni im Musil-Haus in Klagenfurt. Am 20. Juni liest die Autorin im Rahmen des Dicht-Fest in der Alten Schmiede in Wien.
NACH DEM WEG FRAGEN
nach dem Moment fragen, in dem jemand ahnt die Kindheit sei nun vorbei, jetzt vorbei jemand antwortet, war es der Blick in den Augen, als er im Traum nicht mehr fliegt Peter stand auf und zeigte es mir vor. Sich hineinlegen können, ein Gleiten später: unsre Köpfe gen Horizont gerichtet, das Abtauchen der Sonne hinter der Waldtapete die Flugzeuge am Himmel Kometen, schon bald würden sie auf die Erde fallen die Wolken, ganz schmal, Striche eilends, Tupfen aus Pink und Zaubervorstellung weiße Fensteraugen, brachte der Mann mit Stab sie dem Boden immer näher jetzt waren die Wolken Ufos, die landen würden auf der Erde dann alle Menschen gleich, alle Menschen unter Menschen, unter Bäumen; doch bald kein Grün mehr am Weg
einen Mann beobachten, der hielt seine beiden Kinder an jeweils einem Arm fest drehte sie im Kreis herum. Ein menschliches Karussell. Von weiter hinten hören wie eine Frau einem Kind etwas vorsingt. Erst spanische Lieder später: Creep, schon wieder sehen auf die Wolkenufos und die Kometenflugzeuge
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Dirk Novy
Ethnocineca und The Gap vergeben Schreibstipendium
Von 16. bis 22. Mai zeigt die Ethnocineca wieder aktuelles Dokumentarfilmschaffen aus Österreich und der ganzen Welt. In guter Tradition vergeben wir in Kooperation mit dem Festival auch heuer ein Schreib stipendium im Wert von 500 Euro.
Du interessierst dich für Film? Besonders für Dokumentarfilm? Außerdem möchtest du gerne in die journalistische Praxis eintauchen? In Kooperation mit dem Filmfestival Ethnocineca suchen wir Nachwuchsjournalist*innen, die auf thegap.at vom Festival berichten wollen.
Unser Schreibstipendium ist mit 500 Euro dotiert. Als Ergebnis sollen drei Texte entstehen, in denen Eindrücke vom Festivalgeschehen und den gezeigten Filmen in Form eines Ethnocineca-Tagebuchs verarbeitet werden. Für die Erstellung der Texte wird der*die Stipendiat*in von der The-GapRedaktion betreut und gecoacht.
Bewirb dich jetzt!
Du bist interessiert? Dann schick ein kurzes Motivationsschreiben samt allem, was wir über dich wissen sollten (max. 2.500 Zeichen) sowie eine Textprobe (gerne auch unveröffentlichtes Material) per E-Mail an office@thegap.at. Die Einreichfrist endet am 6. Mai 2024.
Über die Vergabe des Stipendiums wird bis 8. Mai durch eine Jury entschieden, die sich aus Vertreter*innen von Ethnocineca und The Gap zusammensetzt.
Das internationale Dokumentarfilmfestival Ethnocineca findet heuer zum 18. Mal statt. Das Festivalprogramm wird am 2. Mai veröffentlicht und ist von 16. bis 22. Mai im Votiv Kino und im Kino De France zu sehen. www.ethnocineca.at
1 Gmundner Keramik Bong
Den Anfang machte ein Scherz des Satireportals Die Tagespresse, der eine Neuheit aus dem Hause Gmundner Keramik ankündigte: »eine einzigartige Kreation, die die Tradition der handgefertigten Keramik mit modernem Lifestyle verbindet«. Die Keramikmanufaktur bewies Humor und Geschäftssinn – sie brachte die Bong tatsächlich auf den Markt. Wir verlosen ein Exemplar in der Ausführung »Grüngeflammt«.
2 »Red’n kaun ma boid«
Manche*r nennt Sigi Maron den wortgewaltigsten Protestliedsänger des letzten fünf Jahrzehnte. Im Mai wäre er 80 Jahre alt geworden. Herausgegeben von Margit Niederhuber und Walter Gröbchen versammelt dieses »Sigi-Maron-Lesebuch« Originalbeiträge, Erinnerungen, Schnappschüsse, Interviews, Songtexte, Schlaglichter und persönliche Anmerkungen. Wir verlosen drei Exemplare.
3 Toxische Pommes »Ein schönes Ausländerkind« Ihre satirischen Kurzvideos begleiten uns seit der Coronapandemie, 2022 folgte der Schritt auf die Kabarettbühne – und nun gibt es Toxische Pommes auch als Buch. Ihr Debütroman handelt von einer Familie, die vor dem Krieg in Jugoslawien flüchtet. In der neuen Heimat versucht die Tochter, die perfekte Migrantin zu werden. Absurd, rührend – Empfehlung! Wir verlosen drei Exemplare.
4 »The Straight Story – Eine wahre Geschichte«
Ein Roadtrip der langsamen Sorte: Als der 73-jährige Alvin Straight (Richard Farnsworth) erfährt, dass sein Bruder (Harry Dean Stanton) schwer erkrankt ist, macht er sich von Iowa nach Wisconsin auf, um einen alten Streit mit ihm beizulegen. Sein Fahrzeug: ein Rasenmähertraktor. Berührend inszeniert von David Lynch, nach einer wahren Begebenheit. Wir verlosen zwei Blu-Rays und eine 4K UHD.
5 »The Holdovers«
In seinem neuen Film, abermals eine warmherzige Komödie, lässt Alexander Payne (»Sideways«, »The Descendants«) eine ungleiche Schicksalsgemeinschaft die Weihnachtsfeiertage miteinander verbringen. Ein missmutiger Professor (Paul Giamatti), ein aufmüpfiger Schüler (Dominic Sessa) und eine kettenrauchende Schulköchin (Da’Vine Joy Randolph) finden zueinander. Wir verlosen zwei DVDs und zwei Blu-Rays.
Gewinnen thegap.at/gewinnen
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Aktuelles Dokumentarfilmkino beim Festival Ethnocineca
Maximilian Rosenberger
Rezensionen Musik
Ankathie Koi
Pikant — Faszinator Music
08 Ina
Es bestehen keinerlei Zweifel daran, dass Ankathie Kois musikalisches Schaffen von einer großen Unbeschwertheit geprägt ist. Für ihr neues Album »Pikant« gilt das gleich in zweifacher Hinsicht. Erstens: Sie beschwert sich nicht, auch dann nicht, wenn ihr der Tinder-Teufel dicht auf den Fersen ist. Zweitens spricht sie auch die ganz großen Wörter – wie etwa Liebe – so gelassen aus, dass man gar nicht umhinkommt, sich der von ihrer Musik verströmten Leichtigkeit hinzugeben. Unbeschwertheit sollte jedoch keinesfalls mit Oberflächlichkeit gleichgesetzt werden: Den Songs auf »Pikant« mangelt es nämlich nicht an Tiefgründigkeit. Ganz und gar nicht, denn Ankathie Koi taucht tief hinab in die menschliche Seele, tut das aber niemals, ohne dabei lustig blubbernde Luftblasen an die Oberfläche zu schicken. »Sprudelnd« könnte vielleicht eines jener Adjektive sein, die ihre neuen Songs, die sie nach vielen Jahren der Anglophilie auf Deutsch verfasst hat, gut auf einen Nenner bringen. Oder auch: »lebensbejahend«. Dies jedenfalls legt der Song »Nein, nein«, ein »trotziger Abgesang auf die Unentschlossenheit«, nahe.
Zur bereits angesprochenen Unbeschwertheit passen auch Songzeilen wie: »Jede Schwere mach ich leicht für dich / In jede dunkle Spalte werf ich Licht« (»Tiefer«). Auf den großen Erleuchtungsmoment ist Ankathie Koi jedoch nicht aus, vielmehr ist sie an tanzenden, bunten Discolichtern interessiert. Geht es um die Musik der in Oberbayern geborenen Wahlwienerin, ist Tanzen ohnehin ein wichtiges Stichwort, denn vielleicht wird damit ja alles viel leichter, wie es im Song »Tanz dich rein« heißt. Dem Pop der 80er hat sich Ankathie Koi nicht nur verschrieben, sie schreibt ihn in knallbunten Großbuchstaben in die graue Stadtlandschaft. Ob sie damit richtig liegt, sehen wir, wenn beim Hören von »Pikant« die flirrenden Discolichter im Kopf angehen. Und, so viel sei verraten: Das passiert sofort. Ja, ja. (VÖ: 26. April)
Sarah Wetzlmayr
Live: 27. April, Wien, Konzerthaus — 16. Mai, St. Pölten, Festspielhaus — 29. Mai, Salzburg, ARGE Kultur — 30. Mai, Hard, Kammgarn — 31. Mai, Ebensee, Kino
047
Aydogan
Rezensionen Musik
Hidden Gemz
The Gemz Mixtape — Ink Music
07
Happy Hip-Hop, Feelgood-Rock und funky Vibes: eine so guade Mischung wie Aperol mit Prosecco, die uns den Sommer förmlich schon schmecken lässt. Mit »The Gemz Mixtape« veröffentlicht die vierköpfige Band Hidden Gemz ihre Debüt-EP und hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Ganz so »hidden« sind diese Gemz der Musikszene aber gar nicht mehr: Vom Support auf der Bilderbuch-Tour hin zum Festival Waves Vienna haben die Wiener schon einige Bühnen bespielt. Auf ihrer ersten EP liefern sie den typischen Gemz-Genre-Mix aus Hip-Hop, Funk, R&B und Nineties-Alt-Rock-Elementen, der das gesamte Album über eine melodische Leichtigkeit transportiert, in die man gerne abtaucht. Insgesamt hüllt uns die Platte in Wohlgefühl und sonnige Sommervibes – ganz wie im Song »Sunset to Sunrise«. Beim Track »Outside« singt Vocalist Didier Kurazikubone »Got my homies all around me and I love what I see« und beschreibt damit ziemlich gut den musikalischen Mood. Auf smoothen Gitarrenbeats trägt sich die Stimmung weiter, steigert sich beim hypigen Partytrack »Chops« und mündet bei »Walk with That« in funkige Beats. Eine Sache wird da definitiv klar: Es sind alles meisterlich ausproduzierte Tracks. Hier versteht jemand sein Handwerk.
Die beinahe komplett selbstverständliche Verschmelzung verschiedener Genres schafft eine Soundkulisse, die einfach gut funktioniert. Einen musikalischen Hauptdarsteller gibt es allerdings definitiv noch immer: Hip-Hop. Natürlich vor allem festzumachen an den fantastischen Flows und R&B-Hooks. Einzig die textliche Tiefe wäre noch ausbaufähig. Gleichzeitig scheint das aber gar nicht der Anspruch des Albums zu sein: Es geht um den Wohlfühlvibe, philosophische Storyteller wären hier eh ein bissl fehl am Platz. »Ready for any weather man I don’t budge«, heißt es beim Abschlusstrack der EP und bekräftigt damit: Hidden Gemz sind mit allen Wassern gewaschen. Ein Geheimtipp werden sie wohl nicht lange bleiben. (VÖ: 19. April) Mira Schneidereit
Live: 20. April, Wien, Flex — 29. Juni, Linz, Lido Sounds
Kreiml & Samurai
Ranz oder gar nicht — Honigdachs
08
Das sechste Album von Kreiml & Samurai mit dem treffenden Titel »Ranz oder gar nicht« ist ein kraftvolles Statement, das die Hörer*innen auf eine bockige, teils vom Grant getriebene Fahrt mitnimmt. Doch keine Angst, denn der Humor und die treffsicheren Wortspiele im feinsten Wiener Dialekt kommen dabei keineswegs zu kurz. Im Gegenteil: Der Schweinehund zeigt uns eine musikalische Symbiose auf neuem Level. Beim Hören des Albums merkt man gleich die Verbundenheit und das blinde Vertrauen. Wir bekommen herrliche Parts, die sich wunderbar ergänzen, während die Künstler nebenher die Herausforderungen und den Wahnsinn der modernen Welt reflektieren. Dabei springen sie dem Zeitgeist mit allen Vieren voraus direkt ins Gesicht.
Die zwölf Tracks sind durchtränkt von einer unverfälschten Energie und einer starken, oft widerspenstigen Haltung. Kreiml & Samurai scheuen sich nicht, die Realitäten einer zunehmend teuren und verrückten Welt anzusprechen. Dies tun sie besonders bei Tracks wie »Preiselbeerkompott« oder »Oh du mein Österreich« mit einer Kombination aus scharfen Beobachtungen und unverblümter Direktheit. Oder bei Tracks wie »Fantasia« mit einer ordentlichen Portion Ironie. Die Nummern auf »Ranz oder gar nicht« glänzen durch melodische Intros, die zahlreiche Anspielungen und Samples enthalten. Nach einer sanften Einleitung bekommen wir aber meist harten Rap serviert. Für die Beats ist Honigdachs-Labelkollege Alligatorman verantwortlich. Dabei wurde er am Bass von Jürgen Schallauer (Franz Fuexe) unterstützt. Die Vielschichtigkeit ihres Sounds verleiht dem Album die nötige Kohärenz. Dabei lassen sich an »Ranz oder gar nicht« auch nach mehrmaligem Hören immer noch spannende neue Facetten entdecken – etwa die eine oder andere grandiose Gesangseinlage wie beim letzten Track »Leviathan«. (VÖ: 19. April)
Ghassan Seif-Wiesner
Live: 10. Mai, Wien, Arena — 11. Mai, Graz, PPC — 17. Mai, Salzburg, Rockhouse — 18. Mai, Steyr, Röda — 23. Mai, Innsbruck, PMK — 24. Mai, Lustenau, Carinisaal
Jannis Koehling, Fabian Fallend, Strizzico, Luna Rosa Ceto
048
Rezensionen Musik
Edna Million
Alltagsnummern — Strizzico
08 LD Smash
Irgendsoein Schlaumeier hat einmal gesagt: »Es gibt nur cool und uncool und wie man sich fühlt.« I wo! Eine der wichtigsten Errungenschaften der 2020er-Jahre ist nämlich die De-facto-Abschaffung des Dualismus’ von cool und uncool – quasi ein gepflegtes »Schleich dich!« für toxisches Gatekeeping und für das Guilty vor Pleasures; in ist, was dir gefällt, oder eben: was du fühlst. Man könnte jetzt natürlich davon ableiten, dass wir damit sagen wollen, dass »Alltagsnummern«, das Debüt des oberösterreichischen Songwriters LD Smash, von dieser Auflösung profitiert und noch ein paar years ago ziemlich uncool gewesen wäre. Das sagen wir aber nicht! Weil viel wichtiger ist – und das haben wir gerade gemeinsam gelernt –, dass man »es« fühlt. Und der Markt, wie man ja so sagt, der fühlt diese Art von Musik: stampfigen, hemdsärmeligen Dialektrock mit einem kleinen bisschen Edge, mit Ziehharmonikas im Folkrockgewand, mit lokalkolorierten Texten mit Identifikationspotenzial – schlag nach bei frühen Granada oder Wiener Blond oder von mir aus auch noch bei Folkshilfe oder Attwenger und wie sie alle heißen auf diesem doch sehr breiten Spektrum.
Zum Beispiel heißen sie eben auch LD Smash. Der ist spätestens im Coronajahr 2020 mit seiner Musik aufgefallen. Als erstes Signing beim Witwer-Label Strizzico, auf dem mittlerweile ja Ein Gespenst und zuletzt auch Lukas Antos ordentliche Erfolge gefeiert haben. Grundsätzlich spricht dagegen auch bei LD Smash recht wenig – da betätigen wir uns mal als Nostradami. Weil nämlich, erstens die Musik: Kann man wenig dagegen sagen, handwerklich toll gemacht, ganz gemütlicher Akustikgitarrenpop, schöne Melodien für Millionen. Es eckt zwar wenig an, bleibt aber genau deshalb auch eine runde Sache. Zweitens die Texte: die springenden Punkte für die so wichtige Identifikation. Dafür sorgen die ganzen eingängigen und selbst erlebten Geschichten von Saufen, Liebe, (Ver-)Lust und Verzweiflung, aber –und da kommt ein USP ins Spiel – es geht auch um soziales Gewissen, etwa in »Die Wöd geht vor die Hund«. Und das ist schon ziemlich cool. Wenn man das noch sagen kann. (VÖ: 3. Mai)
Dominik Oswald
The Pool — Medienmanufaktur Wien
08
Auf dem Debütalbum der Songwriterin Edna Million fällt als Erstes ihre sonore, dunkle Stimme auf. Man hat das Gefühl, hier erwartet einen etwas Großes. Das passt auch zur Tatsache, dass die Albumpräsentation im ehrwürdigen Wiener Porgy & Bess stattgefunden hat. Das Rätselhafte eines Leonard Cohen oder eines Tom Waits wird in Erinnerung gerufen. Entrisch und poetisch pirscht sich Edna Millions minimalistische Musik an. Auf düsteren Pfaden vereinen sich Gitarre und Wehmut zu einem sanften Galopp, der in eine unheimliche Parallelwelt führt. »A Place so Strange« oder »A Room That’s Not My Own« sind Titel, die davon künden. Wie die Songs selbst kreieren sie eine Atmosphäre, die beklemmend und befreiend zugleich sein kann. Die Mollamplituden sind im Schattigen angesiedelt und doch stets warm. Das Nachdenkliche bahnt sich seinen Weg durch einen Nebel des Imaginären. Auf der anderen Seite erscheinen Gedanken in Texte gezaubert, die – ähnlich mystisch wie Millions Musik – neugierig machen.
Auf »The Pool« gibt es keinen Zierrat, keinen Schmuck. Das Album bleibt monochromatisch und abgesehen von Nuancen der Reduktion verpflichtet. Der rote Faden ist straff gespannt. Nur dass er halt nicht rot, sondern schwarz ist. Die junge Musikerin aus Wien hat etwas von einer Illusionistin, die mit den Mitteln der Musik und der Worte arbeitet. Sie lässt Raum für Vorstellungen und Interpretationen. Ihre Geschichten dringen tief wie ihre Stimme. Die Reife der Songs beeindruckt auch, weil Edna Million ihre Debüt-EP erst 2022 veröffentlicht hat. Mit etwas Glück hört man noch viel von der talentierten Künstlerin. Heute wohnt sie übrigens in Göteborg. Ihrer Musik deswegen das Label »Skandinavische Melancholie« zuzuschreiben, wäre aber ein übles Klischee. Vielleicht wäre, »The Pool« als dunkles Nordlicht einzuordnen, das bessere üble Klischee. (VÖ: 29. März) Tobias Natter
Live: 18. Juni, Zwischenwasser, Hägi Wendels — 27. Juni, Linz, Tabakfabrik — 27. Juli, Kleinhöflein, Weingut Georg Toifl — 29. August, Wien, Theater am Spittelberg — 2. Oktober, Salzburg, ARGE Kultur
049
Rezensionen Musik
An dieser Stelle sind uns Superlative nicht gerade fremd. Beim selbstbetitelten Debütalbum der Gruppe Modecenter hatten wir etwa gefragt: »Gibt es ein besseres österreichisches Postpunk-Album?« – und siehe da, keine wütenden Anrufe von Eltern. Muss also was dran gewesen sein. In den drei Jahren seither hat sich selbige Frage bei keiner anderen Scheibe auf unseren Plattentellern mehr gestellt. Sonst hat sich aber natürlich einiges weitergedreht, vor allem bei der Band selbst. 2022 erscheint ein Minialbum. Insgesamt 50 Prozent der Gruppe tauschen sich im Laufe der Zeit aus (zwei raus, zwei rein), das macht schon was mit einem. Das Label wurde ebenfalls gewechselt, von Numavi zu Siluh. Sogar sprachlich fährt man Richtung Veränderung und singt jetzt auch deutsch.
Aber außerhalb hat sich gar nicht so viel verändert. Immer noch alles Arsch, Tendenz noch schlimmer. Wohl deswegen gibt der Wiener Vierer auf »Altes Glück« keinen Daumen nach oben für die Welt da draußen, sondern landet zielsicher beim übernächsten Finger. Für den nötigen Tritt in den Arsch schustern Modecenter erneut acht Stücke voller überzeugendem Postpunk härterer Spielart zusammen. Also mehr HC als NDW, mit allem, was man per Genredefinition so braucht. Das bedeutet ordentlich rhythmisches Geknüppel, wobei hier eher die Gitarren den Takt angeben. Da sind starke Fills und untypische Soli dabei.
08 Schmack In Love — Seayou Records
Schmack aus Linz zelebrieren auf »In Love«, ihrem zweiten Studioalbum, die (musikalische) Diversität. Unterstützt wird die Band dabei – wie zur Bekräftigung dieses Vorhabens – von hochkarätigen nationalen und internationalen Gaststimmen. Dementsprechend breit gefächert entfaltet sich der Longplayer den Rezipient*innen. Gravitätische Hip-Hop-Beats eröffnen den Reigen. Saxofon, Flöte, Schlagzeug, Keyboard und Bass sind in love mit einer bunten Palette menschlicher Emotionen sowie der Musik und deren künstlerischen Möglichkeiten. Loungiger Jazz, klangliche Extravaganzen und einprägsame Popmelodien vermengen sich auf bemerkenswert leichte Weise zu einem Statement, das vor Genregrenzen nicht zurückschreckt. Da artet das Unkonventionelle mal in wilde Jazzeskapaden aus, ergeht sich in kapriziös anmutenden Instrumentalsolos oder überrascht mit idiosynkratischen Arrangements.
Bei all dem Ohrenschlackern merkst du, dass wir der Band mit dem »schustern … zusammen« selbstverständlich mehr als Unrecht getan haben. Weil: Das ist – ganz on brand – alles ziemlich pointiert. Jeder Anschlag, jeder Kick, jedes Wort löst ungelogen gleich circa eintausend Gefühle aus. Apropos Gefühle, apropos Wort: Mal deutsch, mal englisch, aber immer höchst konzise getextet, da ist keine Silbe zu viel; gut überlegt, denk bevor du sprichst, also klares Abheben von den weltlichen Gegebenheiten. Interessanterweise rücken die Vocals trotz ihrer Wucht im Klangbild von Modecenter eher ins zweite Glied. Das ist schon schlau gemixt. Nur wer die Ohren spitzt, entlarvt Zeilen wie: »Ich hab nichts mehr zu tun / Weil ich so abgelenkt bin.« Bloß konsequent also, dass an »Altes Glück« nichts ablenkend ist, sondern alles ganz genau so gehört. (VÖ: 10. Mai) Dominik Oswald
Schmack haben Schmackes. »Fake Pop, Fake Jazz« nennen sie das mit einem Augenzwinkern selbst. Die Rhythmen sind mal hart, mal erratisch. Das Schlagzeug stampft im Stakkato oder steigt die Toms rauf und runter. Das Saxofon erzählt Geschichten aus einem 80er-Jahre-Film. Die Keys sind virtuos. Der Bass vibriert mal fett, mal balanciert oder paradiert den Gitarrenhals entlang. »In Love« hat etwas Experimentelles und ist akrobatisch in seiner Musikalität. Die vokalen Gastbeiträge der Rapper Mile und Fritz Fisherman sowie die soulige Darbietung des Wiener Sängers Romc sind Leuchttürme auf dem Album. Für das Songwriting auf »In Love« haben sich die Musiker aus Oberösterreich zum Teil auf eine abgelegene Hütte im Salzburger Lammertal zurückgezogen. In der Einsiedelei ist starker Tobak gelungen. Aufgenommen wurden die Kompositionen schließlich in Studios in Oberösterreich und Wien – wie bei Schmack üblich – gemeinsam und live eingespielt. Letzteres beeindruckt beim genauen Hinhören umso mehr. »In Love« ist Zeugnis versatiler Musikalität. (VÖ: 19. April)
Tobias Natter
Live: 19. April, Wien, Chelsea — 20. April, Linz, Stadtwerkstatt
Christian Fischer, Alex Gotter, Fritz Enzo Kargl, Lia Stummer
050
08 Modecenter
Altes Glück — Siluh Records
Rezensionen Musik
08 Siska Mess — Universal Music
Hyperpop trifft auf sanfte Emotionalität. Siskas DebütEP »Mess« ist eine wilde Mischung, genau wie es der Titel erahnen lässt. Trotzdem schafft es die Musikerin, das Gefühlschaos, über das sie in ihren Liedern singt und das sich in ihrer Musik widerspiegelt, zu einem harmonischen Ganzen zu formen. Das Thema eines emanzipierten Alleinseins zieht sich dabei als roter Faden durch die EP, wobei die Künstlerin sich nichts von typischen Genrenormen sagen lässt. So kreiert Siska Klangwelten, in die man sich am liebsten hineinwerfen möchte. Seien es experimentelle und wunderbar chaotische Songs wie »Mess« oder »Better off Alone«, bei denen der zarte Gesang der Sängerin von harten verzerrten Sounds und arrhythmischen Beats unterbrochen wird. Oder doch die sanft süßen Harmonien, mit denen sie in Titeln wie »No Good« oder »Holding On« arbeitet. Allesamt eben »happy-cute-y Bum Bum Songs«, wie die Oberösterreicherin ihre Musik selbst beschreibt.
Yatwa
Parallel Lines II — Las Vegas Records
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Zwischen Garage-Rock und New Wave tönt Yatwas zweites Album »Parallel Lines II«. Eine meist introvertiert wirkende Innenschau in die zerbrechlichen Seelengegenden des Menschseins und in dessen Kapriolen. Musikalische Renaissance findet keine statt. Die Wiener Kombo, die sich mit ihren elektrisierenden Konzerten einen Namen in der Wiener Szene erspielte, zitiert aus dem Weißbuch des Indierock und scheut den musikalischen Vergleich mit den Genregrößen oft zu Recht nicht. Wer da und dort einen Widerhall von The Strokes vernimmt, hat sich nicht verhört. Primäre Inspirationsquelle ist aber das Leben des jungen Erwachsenen. »Welcome to adulthood«, heißt es da mit einer fast als pragmatisch zu bezeichnenden Mischung aus Optimismus und Fatalismus. Der Realist erkennt die Wahrscheinlichkeiten und begegnet ihnen am besten mit Humor, wie etwa auf der erbaulichen Single »Marvin Morser« zu hören. Dort wird ein fiktiver Retter in der existenziellen Not besungen. Dabei darf dann auch eine Trompete dem Unglück seinen Marsch blasen.
Das Paradebeispiel dafür ist der letzte Track »Couldn’t Care Less«. Auf einer Wolke schwebend und von Seifenblasen umgeben, haucht die Musikerin ins Mikro, während sie mit lieblich leichtem Gesang allem Druck und allen Erwartungen den Mittelfinger zeigt. Damit liefert Siska die kleine Prise »Ach, fuck it!«, die jeder von uns hin und wieder braucht. Der Versuch, nicht immer alles so schwer zu nehmen, zeigt sich auch bei den anderen Songs der EP. Mehrstimmige Hintergrund-Vocals flüstern ermutigende Zeilen ins Ohr, während die Sängerin über ein gesundes Loslassen und Ins-Reine-Kommen singt. Um diese Themen auszudrücken, wird manchmal der Musik, manchmal den Lyrics mehr Raum gelassen. Auf der EP »Mess« verpackt Siska die Message »Free your mind« in elektronische Beats, Hyperpop-Sounds und wunderschön softe Gesangsparts. Was vor ein paar Jahren alleine am Laptop und Klavier startete, setzt sie auf ihrer Debüt-EP mit einem authentischen, sehr persönlichen Projekt mit Meaning und Tiefgang fort – jetzt nur eben in vielerlei Hinsicht gewachsen. (VÖ: 19. Apri) Luise Aymar
Die Widersprüchlichkeit des Lebens also. Hoffnung und »Fiebertraum« geben sich die Klinke in die Hand. Das Klangfarbenspektrum bewegt sich demnach zwischen grauen Schatten und lichten Momenten. Bei »Good at Dying«, dem ersten Song des Albums, verschränken sich laid-back Beats mit eben diesen schattigen sowie lichten Tönen. In »Fraud« findet der Weltschmerz seine tonale und textliche Manifestation. »A basement’s no place for a bird«, wird da gesungen. Traurig-schön klingt die instrumentale Unterlegung dieser Indie-Elegien. Minimalistisches Schlagzeug, sanfte Gitarren, im Keller des Songgebäudes wummern angenehm rhythmische Basslines. »Easier« dreht dann das Licht auf und versprüht tanzbare Hoffnung. Die Gitarren sind upbeat und frech, künden von melodiöser Zuversicht, auch wenn das Leben von hier an nicht unbedingt easier werden wird. Denn so ist es nun mal, das Leben. Hell und dunkel. Ganz wie »Parallel Lines II«. (VÖ: 19. April) Tobias Natter
Live: 4. Mai, Kritzendorf, Krido Festival — 10. Mai, Hallein, 10 Volt Festival — 16. Mai, Innsbruck, Mariatheresia — 17. Mai, Linz, Ann and Pat — 18. Mai, Wien, The Loft
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15.05.2024
Merkst du es?
Du liest gerade, was hier steht. Ja, sogar das Kleingedruckte! Und damit bist du nicht allein. Werbung in The Gap erreicht ein interessiertes und sehr musikaffines Publikum. Und das Beste daran: Für Bands und Musiker*innen bieten wir besondere Konditionen. Absolut leistbar, auf all unseren Kanälen und nah dran an einer jungen, aktiven Zielgruppe. Melde dich, wir beraten dich gerne! sales@thegap.at ���+++++++++++++++++++++++++++++++++ ���+++++++++++++++++++++++++++++++++ ���+++++++++++++++++++++++++++++++++ ���+++++++++++++++++++++++++++++++++ ���+++++++++++++++++++++++++++++++++ ���+++++++++++++++++++++++++++++++++ ���+++++++++++++++++++++++++++++++++ ���+++++++++++++++++++++++++++++++++ ���+++++++++++++++++++++++++++++++++
Alien Disko
Als Teil des Tangente-Festivals haben Markus und Micha Acher von The Notwist einen Abend im Festspielhaus in St. Pölten kuratiert. »›Alien Disko‹ ist eine Art Verstärker und Empfänger für komische, ungewöhnliche, außergewöhnliche, fremde, seltsame Sounds oder Ideen oder Musik«, erklären sie. Neben ihrer eigenen Band sind mit dabei: Fulu Miziki (Bild), So Sner, What Are People For?, Lime Crush und O’Summer Vacation. Davor und danach: Zusatzprogramm bei freiem Eintritt. 4. Mai St. Pölten, Festspielhaus
Hyperreality Festival
Das Otto-Wagner-Areal im 14. Wiener Gemeindebezirk soll, so die Pläne der Stadt, langfristig zum Wissenschafts-, Kultur- und Bildungsstandort werden. Bis dahin steht immer wieder Zwischennutzung auf dem Programm. Etwa mit dem Hyperreality Festival, das seinen Fokus auf experimentelle und elektronische Musik gerichtet hat. In der ehemaligen Industrieküche des Krankenhauskomplexes sind zu sehen: Aïsha Devi (Bild), ChuquimamaniCondori, Mala Herba, Octo Octa, Puke Puddle und viele mehr. 23. bis 25. Mai Wien, Otto-Wagner-Areal
Termine Musik
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ALICIA EDELWEISS © Vivi Dybowski ���+++++++++++++++++++++++++++++++++ ���+++++++++++++++++++++++++++++++++ ���+++++++++++++++++++++++++++++++++
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Termine Musik
Noise Appeal Fest
Da scheint jemand auf den Geschmack gekommen zu sein: Nach den Feierlichkeiten zum 20. Geburtstag des Labels im Vorjahr gibt es heuer jedenfalls gleich das nächste Noise-Appeal-Minifestival – mit acht Bands an zwei Tagen. Ihre Gitarren werden dabei Acts wie Dirty Talons, Flowers in Concrete, Tracker, Le Mol, Lehnen und Drive Moya (Bild) bearbeiten. 24. und 25. April Wien, Chelsea
Gold Panda
Wie man elektronischer Musik organische, ja geradezu emotionale Seiten abgewinnt, weiß Derwin Schlecker aka Gold Panda sehr gut. Mit dem nicht mehr ganz neuen, aber nach wie vor aktuellen (und leiwanden) Album »The Work« (2022) hat er das wieder einmal bewiesen. Verspielt und nachdenklich geben sich die Tracks, die zwischen Downtempo und experimentellem Techno angesiedelt sind. 2. Mai Wien, Flucc
Peaches
Der Begriff »Konzert« greift für diesen Abend wohl zu kurz: Im Rahmen von »Peaches Christ Superstar« performt die kanadische Künstlerin das Rockmusical »Jesus Christ Superstar« als Soloshow, nur begleitet von einem Klavier. Ein Tribut an einen Soundtrack, den Peaches seit ihrer Zeit als Teenager liebt – und mit ihrer Version gekonnt unterwandert. 8. Mai Wien, Volkstheater
Chastity Belt
»Live Laugh Love«, als motivierender Spruch auf so mancher Wohnungswand verewigt, sei als Titel für ihr neues Album nicht nur ein Scherz, sondern eben auch ernst gemeint, lassen uns Chastity Belt wissen. Trockener Humor, eine unaufgeregte Selbstsicherheit, das meisterliche Verbinden von Melancholie und Optimismus – schon sehr gut, was uns das Indie-Quartett da anbietet. 29. Mai Wien, Arena
Heart of Noise
Von psychoakustischen Soundwelten über alte Volksmusiken bis hin zum digitalen Beatgewitter hat beim Heart of Noise vieles Platz. »Praise the Loud! Subvert, Hedonize, Evolve!«, gibt das Festival als Motto aus. Acts wie Evicshen, Christopher Just, Abigail Toll, Pulsinger Tunakan, Ustad Noor Bakhsh und Tin Man (Bild) stehen auf dem Programm. 6. bis 8. Juni Innsbruck, Treibhaus und Musikpavillon
Anda Morts
Den Release seiner zweiten EP namens »Montage« feiert die Linzer Punk-Durchstarter mit einer Handvoll Konzerten. Eine authentische Standortbestimmung als Mittzwanziger und Musiker. 16. April Graz, PPC 17. April Innsbruck, Die Bäckerei 18. April Kirchdorf, Hildegard 26. April Wien, Flex
Potato Beach
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe Siluh Soirée (von Siluh Records) präsentieren Potato Beach ihr gelungenes Debütalbum »Dip In« in O tt akring. Die 60er-Jahre lassen freundlich grüßen! Den Abend komplettieren Gardens und Laundromat Chicks. Kein schlechtes Paket. 19. April Wien, Kollektiv Kaorle
Die Sterne
8 Singles aus über 30 Jahren Bandgeschichte plus ein bislang unveröffentlichtes Stück – das ist »Grandezza«, das neue Best-of-Album der Hamburger Musikinstitution Die Sterne. Die zugehörige Tour macht im Mai dreimal in Österreich Halt. 8. Mai Wien, WUK 9. Mai Steyr, Röda — 10. Mai Dornbirn, Spielboden
Manuel Fronhofer, Jana Wachtmann Fulu Miziki, Cristian Andersson, Thomas Schnötzlinger, Laura Lewis, Holger Talinski, Jena Feldman, Cristiano Tekirdali
Termine Festivals
3 Fragen an Tarun Kade
Kuratorischer Leiter
Tangente St. Pölten
Kannst du uns das künstlerische Konzept der Tangente St. Pölten grob skizzieren?
Die Tangente ist ein internationales Festival mit lokaler Verwurzelung. Im Zentrum des Programms stehen drei Themen: Ökologie, Erinnerung und Demokratie. In künstlerischen und diskursiven Vorschlägen geht es darum, unser Verhältnis zur Natur zu verändern – weg von Ausbeutung und hin zu einer Partner*innenschaft. Wir fragen: Welche Erinnerungen werden verdrängt oder vergessen? Wie muss Geschichte neu geschrieben werden für die Gegenwart? Und wie kann eine demokratische Teilhabe von verschiedensten Gesellschaftsgruppen aussehen – zum Beispiel von Jugendlichen, von Arbeiter*innen, von nicht Wahlberechtigten und ganz allgemein von einer Stadtgesellschaft?
Welche Bedeutung haben die »Stadtprojekte« und die freie Szene in St. Pölten für euch?
Es geht dabei um Teilhabe und um Nachhaltigkeit. Festivals kommen und gehen, aber die Bewohner*innen der Stadt sollen spürbar profitieren. Lokale Initiativen und Kulturvereine bespielen mit uns etwa gemeinsam den Löwinnenhof* und das Festivalzentrum in der Linzer Straße. Viele Projekte werden aus der und für die Stadt konzipiert, auch in Bezug auf die Arbeiter*innengeschichte der Stadt rund um die ehemalige Viskosefabrik Glanzstoff. Ich wünsche mir, dass die so geschaffenen Verknüpfungen und Strukturen nach der Tangente ein Eigenleben entwickeln.
Auch Jugendliche sind in die Gestaltung des Festivals eingebunden. In welcher Form?
Es gibt mehrere Schulprojekte, die in das Festival hineinwirken. Im Rahmen der Ausstellung »Blick in den Schatten – St. Pölten und der Nationalsozialismus« arbeiten Schulklassen gemeinsam mit Künstler*innen zu diesem Thema und den Kontinuitäten in die Gegenwart. Auch an der Klimakonferenz »Tipping Time« wird eine Schulklasse mitwirken. Die Jugend gestaltet die Welt der Zukunft und wir müssen dazu beitragen, dass ihr das auch möglich ist. In diesem Sinne ist der Titel einer von uns initiierten Jugendkundgebung auch »Listen Now!«.
Tangente St. Pölten 30. April bis 6. Oktober St. Pölten, diverse Locations
Crossing Europe
Im Kinosessel einmal quer durch Europa reisen – das verspricht das Linzer Filmfestival Crossing Europe auch heuer dem schaulustigen Publikum. An sechs Festivaltagen bietet es sowohl heimischen Filmfans als auch internationalen Gästen rund 130 Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme. Die Programmauswahl ist dabei der Vielseitigkeit des europäischen Kinos gewidmet und verspricht anspruchsvolle Produktionen sowie filmische Highlights der vergangenen Festivalsaison größerer europäischer Filmfestivals. Das Ziel dabei: jenen Filmen eine Leinwand zu bieten, denen diese aus ökonomischen Gründen im Kino oft verwehrt bleibt, und damit insbesondere die junge Generation europäischer Filmschaffender zu fördern. 30. April bis 5. Mai Linz, diverse Locations
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Termine Festivals
Vienna Shorts
Einreichrekord! Vienna Shorts kann sich über rund 6.000 Einreichungen von Kurzfilmen aus 125 Ländern freuen. Damit dreht sich auch die diesjährige, 21. Ausgabe des Festivals um Kurzfilme in all ihren bunten Variationen – ob Spiel- und Dokumentarfilm, Animation, Experimentalfilm oder Musikvideos. Das Festival gliedert sich dabei in eine Wettbewerbsschiene, thematische Programme, Liveformate sowie Branchen- und Vermittlungsprogramme. Allen Filmfans bietet Vienna Shorts außergewöhnliche, originelle Filmkunst in kurzer Form. 28. Mai bis 2. Juni Wien, diverse Locations
Wiener Festwochen
»Vorwärts zu den Anfängen – Zurück in die Zukunft!« Das schreiben sich die Wiener Festwochen dieses Jahr groß auf die Fahnen. Mit ihrem neuen Motto rufen sie – in einer Verbindung aus Kunst und Aktivismus – die Freie Republik Wien aus, eine Republik der Künste. Fünfeinhalb Wochen lang können Besucher*innen so in mehr als 30 Spielstätten an allen Ecken und Enden der Stadt Produktionen und künstlerische Projekte aus den Bereichen Sprechtheater, Oper, Musik, Tanz, Performance und bildende Kunst genießen. Es erwartet uns ein kämpferisches und vielseitiges Welttheater. 17. Mai bis 23. Juni Wien, diverse Locations
Ein verlängertes Wochenende bzw. drei Tage lang bietet die Fanzineist Vienna Ort und Möglichkeit, in die Welt des unabhängigen Publizierens einzutauchen und neue Künstler*innen und Autor*innen aus den Bereichen Kunst, Design, Literatur, Kultur und mehr zu entdecken. Zudem gibt es eine Vielzahl von Ausstellungen, Workshops und Vorträgen zu besuchen. Hier trifft sich die Zine-Szene aus der ganzen Welt. 10. bis 12. Mai Wien, Semperdepot
Slash ½
Auch heuer wieder huldigt das Slash Festival in einer Halbjahresausgabe dem fantastischen Film. Präsentiert werden spannungsgeladene Highlights des wilden und vor allem schaurig-schönen Genrekinos. Das Festival ist dabei eine Liebeserklärung an Filme, die den Regeln des Mainstreams trotzen. Perfekt für alle, die einen Hang zu irrwitzigem Kino haben. Das genaue Programm wird demnächst veröffentlicht. 9. bis 11. Mai Wien, Filmcasino
Salam Music
Mit spannenden Künstler*innen in die Kulturen und Kunstformen des arabischen Raums einzutauchen, ist seit über 20 Jahren das erklärte Ziel des Festivals Salam Music. Auch heuer bietet es ein vielfältiges Spektrum an Musik, bildender Kunst, Literatur, Tanz und Performance. So will das Festival eine Brücke in einer diversen Gesellschaft bauen: für eine gemeinsame Identität durch Kunst und Kultur. 12. bis 21. April Wien, diverse Locations
Red Lotus
13 abendfüllende, fulminante Filmprogramme, zahlreiche Gespräche mit Gästen aus der Filmbranche und eine festliche Eröffnungsgala – all das erwartet uns heuer beim Filmfestival Red Lotus. Es feiert nicht nur die asiatische Filmkultur, sondern schafft auch eine Plattform für die Kommunikation mit und zwischen den zahlreichen asiatischen Communitys in Wien und darüber hinaus. 25. bis 28. April Wien, Stadtkino im Künstlerhaus
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Luise Aymar Franz Weingartner, Lorenz Tröbinger, Yann Gonzales, Agrupacion Senor Serrano
Protest / Architektur
Holztürme, Baumhäuser, menschliche Megafone, Traktorblockaden, Zeltstädte, Holzwälle, Regenschirme, Laserpointer, Straßensperren: Vom Widerstand gegen das Atomlager Gorleben in den 1980er-Jahren über den Kampf um die Erhaltung der Lobau in Wien bis hin zu den Protestbewegungen in Hongkong, Kairo und Kyjiw beleuchtet die Ausstellung entlang von 13 Fallstudien verschiedene Formen von im öffentlichen Raum stattfindenden zivilen Protesten. Neben erfindungsreichen architektonischen Lösungen geraten dabei auch (utopische) Strukturen des Zusammenlebens (unter prekären Bedingungen) und des Protestierens in den Blick. Sollten zwei grimmige Männer mit Zeitung und Trenchcoat in der Ausstellung angetroffen werden, sind diese unbedingt zu konfrontieren. bis 25. August Wien, MAK
Termine Kunst
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Termine Kunst
Go to Work on an Egg
So ganz erschließt sich mir noch nicht, was die Frage nach der Alternativlosigkeit des Kapitalismus mit einem »microwave egg cooker« zu tun hat. Vielleicht auch ein Longshot, der irgendwie schiefgeht, kann ja passieren. Aber gehen wir mal davon aus, dass das, was die drei Künstler*innen sich da ausgedacht haben, schon Hand und Fuß haben wird. Und bei genauerem Hinsehen ist der Anfangsverdacht noch viel ärger, fragen die Drei doch nicht nach einer Alternative, sondern nach unserem Vermögen, uns eine Alternative zu wünschen. Ist es wirklich schon so weit? bis 2. Juni Graz, Neue Galerie Studio
Auf den Schultern von Riesinnen
Schon lange kämpfe ich damit, eine deutsche Übersetzung für den englischen Ausdruck »all female« zu finden, der gleich kurz, genau und flexibel ist – das nur am Rande, weil es hier mal wieder ganz gut zu gebrauchen wäre. Also: Die Ausstellung bringt explizit Künstlerinnen zusammen und denkt deren Arbeiten vor dem Hintergrund der Geschichte von Frauen gemachter Kunst (und wie diese verhindert wurde) bzw. blickt auf Resonanzen dieser Vorgängerinnen in den Werken zeitgenössischer Künstlerinnen. bis 9. Juni Wien, Künstlerhaus
Out of Sight, Seen
Erster Wiener Gemeindebezirk, Freyung 8, beste Lage: In den einstigen Tresorräumen im Keller des Hauses präsentiert das Kunstforum Wien neun künstlerische Positionen, die in den letzten zwei Jahren (von der Bank Austria) gefördert wurden. Passend zum Ort (Museum/Tresor) beschäftigt sich die Ausstellung mit Fragen und Implikationen des Aufbewahrens. Zu sehen sind Arbeiten von: S( )fia Braga, Karolin Braegger, Sarah Fripon, Jojo Gronostay, Camille Holowka, Katharina Hölzl, Bianca Phos, Sarah Rinderer und Julia Zastava. bis 30. Juni Wien, Kunstforum
Aaron Amar Bhamra: On Air
Wie man sieht, sieht man nichts. Die Fotogalerie Wien fügt ihren Räumen mit der Eröffnung von »Display Cabinet« eine weitere Ausstellungsmöglichkeit hinzu und hat Aaron Amar Bhamra ausgewählt, um hier als Erstes zu intervenieren. Das Element Luft ist grundlegend an so gut wie jeder Ausstellung beteiligt und erscheint daher einer genaueren Betrachtung wert. Textvorschläge befreundeter Künstler*innen zum Thema werden nach und nach im Büro der Fotogalerie ausliegen. Eine Lesung ist für 4. Juni geplant. bis 13. Juli Wien, Fotogalerie
Candice Breitz: Whiteface
Für ihre künstlerische Auseinandersetzung mit Rassismus wird Candice Breitz gerade von Institutionen geschätzt, die selbst nicht ganz vor der Reproduktion rassistischer Strukturen gefeit sind. Nun ist dieses Verhältnis aber angespannt, ihrer Äußerungen im Kontext der BDS-Bewegung und der Angriffe erst der Hamas, dann des israelischen Militärs wegen. Zum Druckschluss steht ihre Ausstellung in der Kunsthalle Krems noch, welche Perspektiven »weißer« Menschen auf »Weißsein« persifliert und entblößt. bis 22. September Krems, Kunsthalle
Preis der Kunsthalle Wien 2023
Come for the Party, stay for the Kunst. Oder umgekehrt. Hauptsache, ihr kommt. Die Kunsthalle fügt dem als Ausstellungstitel hinzu: »Come As You Are«. Hier die Liste der Gewinner*innen: Željka Aleksić, Mila Balzhieva, Luisa Berghammer, Daniel Fonatti, Valentin Hämmerle, Jusun Lee, Michael Reindel, Marielena Stark, Anne Schmidt, Marc Truckenbrodt. Und jetzt nochmal genau lesen und einprägen! Wenn ihr in 20 Jahren erzählt, wie früh ihr die schon kanntet, wisst ihr bei wem ihr euch zu bedanken habt. bis 1. September Wien, Kunsthalle
057 Victor Cos Ortega Wolfgang Eilmes / Pictur e-Alliance / DPA , Magdalena Kreinecker & Julia Haugeneder / Bildre cht, Hannes Böck, Alexi Pelekanos, Fotogalerie Wien, Museum Folkwang / Kunsthalle Baden-Baden, esel.a t / Joanna Pianka
Termine Filme & Serien
3 Fragen an Anja Salomonowitz
Regisseurin
»Mit einem Tiger schlafen«
Wann bist du das erste Mal mit Maria Lassnig und ihrer Kunst in Berührung gekommen? Was hast du an ihrer Person und vor allem an ihrem künstlerischen Werk interessant gefunden?
Ich bin über die Farben zu ihr gekommen. Die Farben ihrer Bilder sind sehr inspirierend. Diese mischte sie oft selbst und sie erfand dabei quasi eigene Farben mit Namen wie Verwesungs-, Eifersuchts- oder Neidfarbe. Über die Farben drückte sie ihre Gefühle aus.
Hat man bei einem Biopic manchmal die Angst, der Person nicht gerecht zu werden?
Ich habe Maria Lassnig nie kennengelernt, darüber bin ich aber froh, denn sonst hätte ich eventuell einen anderen Zugang gefunden. Dennoch denke ich, dass ich ihr gerecht geworden bin, weil ich mit wirklich vielen Menschen über sie gesprochen habe. Hans Werner Poschauko, ihr letzter Assistent, erzählte mir zahlreiche witzige Geschichten über sie, denn Maria Lassnig war extrem humorvoll. Sie erlebte ja auch einige Enttäuschungen, da konnte sie ihren Humor gut gebrauchen. Sie war eine sehr komplexe Persönlichkeit, die keine Kompromisse eingehen wollte und konnte, die für manche vielleicht schwierig war, aber ein großes Herz hatte – und das spürt man.
Du hast sowohl mit Lai*innen als auch mit professionellen Darsteller*innen gedreht. Warum?
Meine wahnsinnig tolle Casterin Lisa Oláh hat meine Entscheidung, mehrere Rollen mit »echten« Menschen zu besetzen, respektiert und gewürdigt. Die Laiendarsteller*innen spielen sich teilweise selbst. Sie repräsentieren quasi diese »echte Welt«. Die Leute wurden allerdings schon gecastet, damit wir uns anschauen konnten, inwiefern sie schauspielerisches Talent mitbringen. Maria Lassnig lebte sehr zurückgezogen und war in sich gekehrt. Ich denke, sie nahm daher die Welt ganz anders wahr, auch weil sie hochsensibel war – in Bezug auf Geräusche, Gefühle und ihren Körper. Dieser Abstand zwischen ihr und der Welt vergrößert sich nun im Film, wenn eine großartige Darstellerin wie Birgit Minichmayr neben Laiendarsteller*innen zu sehen ist.
»Mit einem Tiger schlafen« Start: 12. April
Wer wir einmal sein wollten
Regie: Özgür Anil Anna (Anna Suk) ist jung, das Leben liegt vor ihr und sie weiß, was sie will: Jus studieren und unabhängig werden. Doch um das zu erreichen, hat sie einen langen steinigen Weg vor sich. Die Schule hat sie abgebrochen, gerade holt sie ihren Abschluss nach und nebenbei arbeitet sie als Portierin in einer Schauspielschule. Dort hilft sie den Studierenden bei ihrem Abschlussstück. Als ihr Bruder Patrick (Augustin Groz) wieder in ihr Leben tritt, gerät ihre ohnehin bereits fragile Existenz ins Wanken. Özgür Anil studierte an der Filmakademie bei Michael Haneke, realisierte einige Kurzfilme und erhielt für einen davon (»Das Urteil im Fall K.«) den Diagonale-Preis für den besten Nachwuchsfilm. In seinem Debütlangfilm erzählt er nun von Zielen, Wünschen und einer jungen Frau auf der Suche nach sich selbst. Start: 24. Mai
Besuch im Bubenland
Regie: Katrin Schlösser Katrin Schlösser begab sich in ihrem letzten Dokumentarfilm »Szenen meiner Ehe« selbst vor die Kamera und sezierte mit ihrem Mann die gemeinsame Partnerschaft. Auch ihr neuer Film »Besuch im Bubenland« hat einen persönlichen Touch, schließlich wurde er im Burgenland, der zweiten Heimat der sonst in Berlin lebenden Filmemacherin gedreht. Als eine »filmische Feldforschung« beschreibt ihr Verleih die Doku. Schlösser setzt sich mit der Lebenswelt der Männer im Burgenland auseinander, mit ihren Hoffnungen und Ängsten. Über ihre Intention sagte die Regisseurin im Vorfeld: »Ich möchte einen Film über Männer machen – darüber, wie sie sind, wie sie ticken, was sie antreibt. Aber auch darüber, wie ich auf sie zugehe. Welche Verhaltensweisen ich ihnen überstülpe, wie ich auf sie reagiere.« Start: 30. Mai
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Barbara Fohringer Heribert Corn, Lukas Allmaier, Polyfilm Verleih, Amazon Content Services, HBO / Hopper S tone
Evil Does Not Exist
Regie: Ryusuke Hamaguchi ———— Wer ihn bei der letztjährigen Viennale verpasst hat, kann »Evil Does Not Exist« vom japanischen Regisseur Ryusuke Hamaguchi nun endlich nachholen. Erzählt wird die Geschichte von Takumi (Hitoshi Omika) und dessen Tochter Hana (Ryo Nishikawa). Die beiden leben in einem Dorf; alles ist idyllisch, bis eine Firma beschließt, in der Nähe einen Glampingplatz für gestresste Stadtbewohner*innen zu errichten. Start: 19. April
Robot Dreams
Regie: Pablo Berger ———— Animationsfilmfans dürfen sich auf »Robot Dreams« freuen: Völlig ohne gesprochene Dialoge schafft es Pablo Berger liebevoll die Freundschaft zwischen einem Hund und einem Roboter zu zelebrieren. Um seiner Einsamkeit zu entkommen, hat der Hund den Roboter per Teleshopping bestellt. Der Film basiert auf einer Graphic Novel von Sara Varon. Auch die Kritik war begeistert; ein »bittersüßes Animationswunder« schrieb etwa Indie Wire. Start: 9. Mai
Teaches of Peaches
Regie: Philipp Fussenegger, Judy Landkammer ———— Musikalisch wird es bei »Teaches of Peaches«, der neuen Dokumentation über Peaches. Der Film zeigt die Entwicklung der 1966 als Merrill Beth Nisker in Toronto geborenen Künstlerin. Anhand von privaten Aufnahmen, TV-Material, Backstage-Clips und mehr wird die mittlerweile 30-jährige Karriere der queeren Musikerin nachgezeichnet. Inklusive Wegbegleiter*innen wie Feist und Chilly Gonzales. Start: 17. Mai
Sparschwein
Regie: Christoph Schwarz ———— Mit »Sparschwein« präsentiert Christoph Schwarz eine amüsante Mockumentary: Der Filmemacher ist pleite und soll für den ORF eine Doku über Klimaschutz drehen, für die er 90.000 Euro erhält. Seine Frau möchte aber gerade ein Haus im Waldviertel kaufen. Wäre es da nicht besser, das Geld ins Haus zu stecken? Seine Idee: Ein Jahr ohne Einkommen auskommen und darüber einen Low-Budget-Film drehen. Start: 23. Mai
May December
Regie: Todd Haynes ———— Heftig diskutiert wurde zuletzt »May December«: Ist das noch Melodrama oder schon Camp? Gracie Atherton-Yoo (Julianne Moore) wird von der Schauspielerin Elizabeth Berry (Natalie Portman) besucht, weil diese sie in einem Film spielen soll. Der Hintergrund: In ihrer Zeit als Lehrerin hatte Gracie Sex mit dem damals 13-jährigen Joe Yoo (Charles Melton), wofür sie ins Gefängnis musste. Nun sind die beiden verheiratet und haben Kinder. Start: 30. Mai
Fallout
Idee: Jonathan Nolan, Lisa Joy Nach »The Last of Us« der nächste Versuch einer prestigeträchtigen Videospieladaption. In der Welt von »Fallout« wurde die USA von einem Atomkrieg zerstört. Nur ein paar wenige Menschen überlebten die Katastrophe, weil sie in einem Bunker Unterschlupf gesucht hatten. Nach und nach wagen sie sich wieder an die Oberfläche. Auch Lucy (Ella Purnell) möchte das Leben außerhalb des Bunkers erkunden. Ob das eine gute Idee ist? ab 12. April Amazon Prime
The Sympathizer
Idee: Park Chan-wook, Don McKellar Basierend auf dem gleichnamigen, mit einem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Roman von Viet Thanh Nguyen erzählt »The Sympathizer« die Geschichte eines kommunistischen Spions mit französisch-vietnamesischen Wurzeln. Der »Captain« (Hoa Xuande) landet während des Vietnamkriegs im US-Exil – und spioniert dort weiter für seine Heimat. Robert Downey Jr. spielt gleich vier Rollen. Zudem ist es eine A24Produktion. Also: must watch! ab 15. April Sky
viennashorts.com 21 st International Short Film Festival 28.5.—2.6.2024
Christoph Prenner
bewegen bewegte Bilder – in diesem Kompendium zum gleichnamigen Podcast schreibt er drüber
Screen Lights
Stadt ohne Maske
Das Wie ist immer wichtiger als das Was.« So lautet der Schlüsselsatz aus dem kanonischen Essay »Notes on Film Noir«, in dem Paul Schrader 1971 in seiner Auseinandersetzung mit der Genese und den Charakteristika dieser Bewegtbildgattung zum Schluss kommt, dass es darin gemeinhin mehr um den Stil als um den Inhalt gehe. Diese im Kern immer noch stichhaltige Beobachtung des legendären Drehbuchautors (»Taxi Driver«) und Regisseurs (»American Gigolo«), der seine Rezensionen mittlerweile recht launig und anlassbezogen via Social Media verbreitet, kam mir jüngst an einer entscheidenden Stelle der frischen Neo-Noir-Serie »Sugar« unvermittelt wieder in den Sinn.
Rasch wird bei dieser Produktion aus dem Hause Apple TV evident, dass sie sich nicht damit begnügt, nur tief in der Tradition des Film noir verwurzelt zu sein: Sie will auch selbstbewusst zeigen, dass dessen Meilensteine wie »Sunset Boulevard«, »The Killers« oder »The Big Heat« das Fundament bilden, auf dem sie ihre Geschichte um den Privatschnüffler John Sugar (Colin Farrell) aufbaut. So werden markante Szenen aus diesen und anderen Klassikern des Genres (das Schrader übrigens nicht als solches bezeichnet wissen will – I disagree) wiederholt in die fortlaufende Handlung geschnitten. Gegenwart und Vergangenheit treten gleichsam in einen Dialog. Geradezu, als wolle man die Gedankenwelt des Protagonisten erfahrbar machen, der nicht nur unverschämt cool und mit allen Wassern gewaschen ist wie Philip Marlowe und Sam Spade, sondern diese als »film buff« auch aktiv verehrt. Dass ihr Wiedergänger, dessen Domäne das Aufspüren vermisster Personen ist, Bibeln der Cinephilie wie Sight and Sound oder Cahiers du cinéma bei sich herumliegen hat, passt da nur allzu gut ins Bild.
Wie ein Zeitreisender aus längst vergangenen Tagen kurvt dieser Sugar nun in feinstem Zwirn in seinem Retro-Corvette-Cabrio durch die sonnengeküssten Hügel Hollywoods. Ja, dieser verblüffend sanftmütige und unzynische Antiheld ist der Aura der ewigen Traumfabrik Los Angeles unverkennbar erlegen – allen unübersehbaren Kehrseiten zum Trotz. So nimmt er, ohne zu zögern den Auftrag eines legendären Filmmoguls an, dessen verschwundene Enkelin ausfindig zu machen. Aber ist das in der Tradition des Film noir nicht vielleicht genau jener Auftrag, den er besser abgelehnt hätte? Immerhin weist die Geschichte der Vermissten Parallelen zu einem unterdrückten Ereignis aus seiner eigenen Vergangenheit auf. Und dann ist da noch ein rätselhaftes Nervenleiden, das ihm immer häufiger Schwindelanfälle und ein regelmäßig zitterndes Händchen beschert …
Die »Schwarze Serie«
Apropos Händchen: Sugars Verständnis für das Metier und seiner stilsicheren Eleganz wird erfreulicherweise auch die gestalterische Umsetzung der Show gerecht. Das Buch von Mark Protosevich besticht durch eine süchtig machende Story und geschliffene Dialoge. Die geschmeidige Inszenierung von u. a. Fernando Meirelles (»City of God«) transportiert mit schrägen Kameraperspektiven, verblüffenden Schnitten und vielen Close-ups eine Atmosphäre der Unsicherheit, die auch den Meisterwerken der »Schwarzen Serie« gut gestanden hätte. Anders als neulich die fatal fehlgeleitete Noir-Legenden-Wiederbelebung »Monsieur Spade« mit Clive Owen schafft es »Sugar« damit, das an sich reibungslos rollende Genrerad stilistisch integer und doch zeitgemäß auf die
Straße zu bringen, ohne es gleich neu erfinden zu wollen … zumindest so lange, bis das dann doch versucht wird.
Womit wir wieder bei der eingangs aufgestellten These wären, dass das Wie im Film noir immer wichtiger ist als das Was. Lässt sich diese Annahme auch dann noch aufrechterhalten, wenn dieses Was Seiten aufschlägt, die sich nicht mehr eindeutig dem Genre zuordnen lassen? Denn hinter all dem kunstvollen Wie von »Sugar« verbirgt sich wie bei jedem guten Noir selbstverständlich ein Was in Form eines größeren Geheimnisses, das mit allerlei raffinierten Ablenkungsmanövern gehütet wird – bis es sich schließlich durch eine ebenso raffinierte Wendung offenbart. Diese ereignet sich hier nach drei Vierteln der ersten Staffel und ist zweifellos geeignet, ungläubige »What the fuck?«-Rufe vor den Abspielgeräten zu provozieren. Dieser kühne, genresprengende Einfall dürfte ein faszinierendes Paradoxon bereithalten: Je nach individueller Stimmung und Lesart ist nach diesem Twist entweder nichts mehr so, wie es vorher war – oder es hat sich im Grunde nichts Wesentliches am (brillanten) zuvor Gesehenen geändert. Je nachdem, ob man dem Wie oder dem Was mehr Bedeutung beimisst eben. Ich für meinen Teil möchte mich der zweiten Lesart anschließen – und ich denke, dass der gute alte Mr. Schrader das auch so sehen könnte. Er wird es uns bestimmt demnächst wissen lassen. prenner@thegap.at • @prennero
Christoph Prenner plaudert mit Lillian Moschen im Podcast »Screen Lights« zweimal monatlich über das aktuelle Film- und Seriengeschehen.
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Luca Senoner, Apple TV+
Stilsicher cruist Colin Farrell in »Sugar« durch eine Hommage an den und durch eine Neuinterpretation des Film noir.
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Termine Bühne
Exótica
Als Hommage an vergessene Performer*innen of Colour, die zu ihren Lebzeiten beliebt waren, aber keinen Eingang in den Kanon der Tanzgeschichte fanden, reflektiert »Exótica« die lang anhaltende Praxis, die künstlerischen Ausdrucksformen dieser Performer*innen als »fremd« und sexuell aufgeladen zu etikettieren. Amanda Piña und ihr Ensemble Nadaproductions beleuchten dieses Phänomen, indem sie historische Künstler*innen, die in den 1920er-Jahren Erfolge in Europa feierten, in einer performativen Beschwörung wieder zum Leben erwecken. Eine Entlarvung des exotisierenden Blicks einer weißen Mehrheitsgesellschaft und eine Beschäftigung damit, wie Künstler*innen über alle Einschränkungen hinweg kreativ einzigartig arbeiteten. 26. und 27. April Wien, Tanzquartier
Nachsagungen
Sieben Femizide und 16 Fälle von versuchtem Mord beziehungsweise schwerer Gewalt an Frauen verzeichnete Österreich im ersten Quartal des Jahres. Über die vollen zwölf Monate sind es hierzulande im Schnitt 32 Femizide – in den meisten Fällen verübt von (Ex-)Partnern oder Familienmitgliedern. Ist Österreich also das Land der toten Frauen? Und falls ja, warum? Im Rahmen eines Schreibauftrags nimmt Marlene Streeruwitz sich dieser Thematik an. Dabei enttarnt sie die begünstigenden Strukturen hinter Femiziden als radikalste Ausformulierungen toxischer patriarchaler Denkmuster. Ein Geflecht aus Monologen wird als eine Art Livehörspiel inszeniert und Frauen das letzte Wort gegeben. 3. bis 11. Mai Wien, Kosmos Theater
Fairycoin
In »Fairycoin« verwebt Autorin Natalie Baudy die Realitäten des Finanzkapitalismus, der sich zunehmend ins Digitale verschiebt, mit der Welt der Märchen. Die Schriftstellerin nutzt im zugrundeliegenden Text surreale, humorvolle und lebendige Märchenszenarien, um die Geschichte von Personen zu erzählen, die von Gier getrieben sind, und von deren Mühe, Glück zu finden. Der Goldesel dient dabei als klassisches Märchensymbol für Wohlstand, aber auch als Metapher für die trügerischen Versprechen des Kapitalismus. 18. April bis 11. Mai Bregenz, Theater Kosmos
Blutbuch
Noch vor der Aufführung bei den diesjährigen Wiener Festwochen feiert die Bühnenadaption von Kim de l’Horizons Debütroman »Blutbuch« im Theater am Werk unter der Regie von Paul Spittler seine Österreichpremiere. Die Handlung dreht sich um das Aufwachsen als nicht binäre Person in einem Schweizer Vorort und um die Konfrontation mit der eigenen Herkunft, ausgelöst durch die Demenz der Großmutter. Ein Text über Geschlechter, Traumata und Klassenzugehörigkeiten. Laut Verlag ein »Befreiungsakt von den Dingen, die wir ungefragt weitertragen«. 26. April bis 7. Mai Wien, Theater am Werk
Der Rosa Winkel
Nach der letztjährigen Beschäftigung mit queeren Menschen, die im Wien zur Zeit des Nationalsozialismus systematisch verfolgt wurden, erzählt das Theaterkollektiv Nesterval in diesem Jahr die Geschichten ihrer Figuren in einer Stücküberarbeitung weiter. Auf dem Areal des Wiener Nordwestbahnhofs, wo 1938 die antisemitische Hassausstellung »Der ewige Jude« eröffnet wurde, wird in einer Vielzahl von Räumen ein Handlungsort aufgebaut, durch den sich das Publikum anschließend selbstbestimmt bewegt. 16. Mai bis 18. Juni Wien, Brut Nordwest
Im Glashäusl
Fünf Autor*innen untersuchen in einer Reihe von Kurzstücken die österreichische Gesellschaft und ihre aktuellen Herausforderungen. Die öffentliche Toilette unterm Stephansdom ist hier ebenso Bühne für tiefgreifende politische und soziale Fragen wie das Kanzleramt. Politische Verantwortung, kulturelle Identität, gesellschaftliche Konflikte und weitere Themen werden von der Regisseurin Anne Bader gemeinsam mit Schauspielstudierenden inszeniert, um aktuelle Perspektiven auf Österreich als »failed state« zu reflektieren. 23. bis 31. Mai Wien, Schauspielhaus
062
Oliver Maus Tammo Walter, Apollonia Theresa Bitzan
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Glossar
Gewidmet all denjenigen, die beim Lesen auf die eine oder andere Wissenslücke gestoßen sind.
Der Begriff berufliche Deformation oder Déformation professionnelle beschreibt, wenn berufliche Methoden auch abseits ihres eigentlichen Geltungsbereichs angewandt werden. Beispielsweise, wenn Lektor*innen akribisch private Nachrichten korrigieren oder wenn für den »Grenzschutz« eingesetzte Polizist*innen anschließend alle migrantisierten Personen wie Verbrecher*innen behandeln. Die Blockchain ist jene Technik, die hinter Kryptowährungen und NFTs steht. Banal heruntergebrochen ist es einfach eine lange Kette an Einträgen, die nie geändert werden können, sondern an die neue Informationen – höchst energieaufwendig – immer nur hinten angehängt werden. Booker*innen buchen Musiker*innen und Bands. Nahezu jede Venue, jedes Event und jeder Artist hat zumindest eine Person, die dafür zuständig ist. Linedancing ist eine aus den USA stammende Tanzform, bei der die Tänzer*innen in Reihen nebeneinander stehen und – meist zu Country – in einer synchronen Choreo das Tanzbein schwingen. Major-Labels gab es früher mal mehr, aber mittlerweile sind nur noch die »Big Three« übrig: Universal, Sony und Warner. Dank diverser Fusionen und Übernahmen kontrollieren die drei direkt oder indirekt über Sublabels einen Großteil des kommerziellen Musikmarktes. Nightliner ist zwar auch ein Bus, meint aber etwas anderes als das Wiener Nachtbusangebot. Stattdessen ist damit ein Tourbus gemeint, in dem eine Band mitsamt Equipment von Location zu Location tingelt – nicht selten über Nacht und mit Schlafmöglichkeit, daher der Name. Glyko Karpouzi ist ein Dessert griechischer/zypriotischer Abstammung, für das Wassermelonenschalen in Zuckersirup kandiert werden. Merken für den Sommer! Den Namen Phönizien trug im antiken Griechenland ein Küstenstreifen auf dem heutigen Gebiet Israels, Syriens und des Libanon. Das Wheel of Privilege and Power basiert auf einem Konzept von Sylvia Duckworth und visualisiert Privilegien als Rad mit Macht in der Mitte und marginalisierten Identitäten an den äußeren Rändern des Rades.
The Gap 143 Mai 2014
Listen, Quizzes, Katzen. Über virales Schreiben. ———— »Du wirst nicht glauben, was in unserer Covertory steht«, hieß es vor ziemlich genau zehn Jahren am Titelblatt von The Gap. Darunter: ein pixeliger Mittelfinger. Warum das? Die Headline müsse knallen und das Bild ebenso, erklärten wir das Prinzip dahinter in den »10 Geboten des Online-Journalismus«. Es ging also ums Schreiben im Netz, um »Listicles, Häppchen und emotionales Storytelling«, Tools, die wir bei The Gap 143 auch in Print anwendeten. 2024 klingt einiges davon überholt, anderes banal. Ein Gebot jedoch wirkt –im Hinblick auf die aktuellen Entwicklungen rund um KI – fast ein bisschen prophetisch: »Schreib wie ein Mensch, nicht wie eine Maschine.« Außerdem? The Artist formerly known as Wolfgang Möstl – der »Pharrell Williams des Noise-Rock« – im Porträt, genau wie Kurt Razelli, der uns mit »Youtube-Trash auf Österreichisch« unterhielt. Und in der Rubrik »Unbezahlter Anzeiger«: ein Butt-Plug mit Putin-Antlitz. Anlässlich der Annexion der Krim. Hm.
Wo gibt’s The Gap?
WUK Wien
Nach drei Jahren Umbauzeit erstrahlt das WUK endlich in neuem Glanz – und ist nun weitgehend barrierefrei. Das ehemals »wohlwollend geduldete« Kulturzentrum ist längst zu einer fixen Institution der Wiener Szene geworden. Neben Theaterperformances, Musikkonzerten und diversen anderen Projekten beheimatet das WUK auch das Statt-Beisl und einen Innenhof, der besonders im Sommer zum lauschigen Beisammensitzen einlädt. Dementsprechend freuen wir uns auch schon auf die anstehenden Feste.
Währinger Straße 59, 1090 Wien
Inandout Records Graz
Egal ob ihr Grazer*innen seid oder nur den Touri-Pflichtbesuch bei den lokalen Vinyl-Dealer*innen absolvieren möchtet: Bei Inandout Records seid ihr richtig.
Neutorgasse 47, 8010 Graz
Schikaneder Wien
Kino? Kneipe? Why not both?
Selbst der Kinosaal im Schikaneder wirkt so, als wolle er sich nicht ganz dazwischen entscheiden. Gemütlichkeitsfaktor 10/10.
Margaretenstraße 24, 1040 Wien
064
Wolfgang Thaler
143 143 Magazin für Glamour und Diskurs Stadtschrift. Matthew Barney. Kurt Razelli. Wolfgang Möstl. Fargo. SZA. Cro. Dame. Wild Boy. Christoph Seiler. Damon Albarn. Fluc. Nation Branding mit Fußball. Dark Souls. Viral Schreiben Du wirst nicht glauben, was in unsrer coverstory steht LETZTER ZEIT VIEL Auf REDDIT, uND ICH HAB MITTLERWEILE EIN ECHT GuTES GESPüR füR AWWW 143_001_Cover_KORR.indd
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auf!
Dreh
Josef Jöchl artikuliert hier ziemlich viele Feels
Sex and the Lugner City Kaffee ist kein Hobby
Wenn du wen kennenlernen willst, musst du ins Internet. Zugegeben, das ist für eine Datingkolumne im Jahr 2024 eine etwas banale Erkenntnis. Allerdings habe ich es eine Zeit lang ernsthaft offline versucht. Während ich im echten Leben »meine Augen offen hielt« aka nach zwei Bier zu viel mit suchendem Blick über die Tanzfläche stierte, kassierten meine Freunde jedoch ein Match nach dem anderen. Wenn sie sich dann später darüber beklagten, dass ihre Aufrisse unaufhörlich quatschten oder einen fragwürdigen Kleidungsstil pflegten, packte mich der schiere Neid. »Er hat nicht nur einen Trenchcoat getragen, sondern auch noch Crocs«, musste ich mir dann anhören. »Außerdem verwendete er ein altes Backrohr als Bücherregal.« »Wow, echt schlimm!«, entgegnete ich gespielt verständnisvoll, während sich zeitgleich meine Zehennägel vor lauter Sehnsucht einrollten. Wenigstens hatten sie überhaupt jemanden kennengelernt! Nur zu gerne würde ich jemanden daten, der ein ausrangiertes Haushaltsgerät einem neuen Verwendungszweck zuführt. Für solche Albernheiten von der Kunstuni habe ich nämlich eine kleine Schwäche. Aus diesen Gründen entschied ich mich vor ein paar Wochen für einen Re-Download von Tinder. Doch die App hatte sich stark verändert, seit ich sie zum letzten Mal verwendet hatte.
Zu schön für Wien
Dabei war Onlinedating schon immer eine oberflächliche Angelegenheit. Ein paar Zentimeter dazugeschummelt (»weil das hier anscheinend wichtig ist«), ein paar Filter drübergelegt, ein bisschen in den Salat gelacht, überhaupt eine Fotoauswahl, als handle es sich um das Freizeitangebot eines Magic Life Clubs. Deshalb sahen Menschen, die auf Dating-Apps erfolgreich waren, immer ein bisschen aus wie Models für Stockfotos. Eine jüngere Entwick-
lung ist jedoch, dass nicht wenige von ihnen tatsächlich Models für Stockfotos sind. Durch mein fortgeschrittenes Alter war ich nämlich ins Visier von sogenannten »Love Scammern« geraten, die sich über Fakeprofile den Weg in die Herzen und Geldbörsen von Partnersuchenden bahnen (das ZDF berichtete). Nicht mit mir! Jede Person, die zu gut aussah für Wien, wurde von mir gnadenlos nach links geswipt. Gut, dass wir in einer Stadt leben, in der praktisch alle irgendwas Schiefes im Gesicht haben. Doch die wahre Misere offenbarte sich im Profiltext unter den Profilbildern – in der sogenannten Bio. Tinder hatte in der Zwischenzeit ein neues Feature freigeschaltet: Bis zu fünf Hobbys konnte man in seiner Bio angeben. Seither liest man dort von so niederschmetternden Dingen wie »TV-Serien bingen« oder »Kaffee« – bevor man sich entscheidet, sein Leben doch lieber in Einsamkeit zu verbringen. Kaffee ist doch kein Hobby!
»Nichts Ernstes«
Aber es scheint ohnehin kaum jemand an Beziehungen interessiert zu sein. Die meisten setzen ihr Häkchen bei der Option »Nichts Ernstes«, wenn die App sie fragt, worum es ihnen eigentlich gehe. Ich konnte nicht umhin, mich zu wundern: Sind wir als urbane Singles mittlerweile komplett beziehungsunfähig geworden? Oder haben wir uns bloß von einem Ewigkeitsanspruch gelöst, der unserem Anbandeln seit jeher viel zu viel Druck auferlegte? Letzteres wäre nicht nur schlecht. Denn eigentlich zwingt uns 2024 keine Dampfmaschine mehr, die Reproduktionsarbeit einer Kernfamilie auszuführen. So entschied auch ich mich für »Nichts Ernstes«. Da ich allerdings zu knausrig für das Premiumangebot von Tinder war, zeigte mir die App fast ausschließlich Menschen an, die ich schon längst kannte. Deshalb tat ich, was jede
Person aus Wien tut, der ein bisschen langweilig ist: Ich verbrachte ein Wochenende in Berlin. Denn auch wenn vieles an der Spreemetropole nervt: Ihr Tinder ist awesome.
The odds are good but the goods are odd
Alle umweht dort ihr ureigener Flava. So lernte ich binnen zwölf Stunden mehr als eine Handvoll Personen kennen, die ein Backrohr als Bücherregal verwenden. Manche sogar eine ganze Küchenzeile. Ein wahres Paradies für Individualist*innen! Ich swipte durch so viele besondere Profile, dass ich immer größere Schwierigkeiten hatte zu unterscheiden, was noch Tinder war und was die Realität. Irgendwann stand ich in einer schummrigen Bar. Alle um mich herum trugen Trenchcoats und Crocs, allerdings nicht aus Stilgründen, sondern weil der Boden extrem klebrig war. Ganz hinten an der Bar sah ich einen süßen Typen, der in einen Salat lachte. Erst als ich mich näherte, erkannte ich, dass es sich um gar keinen Salat handelte, sondern um einen anderen Typen mit schlecht gefärbten grünen Haaren. Der süße Typ drehte sich zu mir um und blickte mir tief in die Augen. Dann richtete er seine Worte an mich: »Deine Ausstrahlung ist einzigartig. Ich kann spüren, dass ein reines Herz in deiner Brust schlägt, das bereit ist zu lieben. Deshalb möchte ich gerne mein restliches Leben mit dir verbringen.« Es ist unnötig zu erwähnen, dass er komplett auf Drogen war. Ich bestellte uns beiden einen Kaffee und swipte ihn nach rechts – will heißen: Ich gab ihm eine sachte Ohrfeige. Schließlich hörte er sich verdächtig nach einem Love Scammer an.
joechl@thegap.at • @knosef4lyfe
Josef Jöchl ist Comedian. Sein aktuelles Programm heißt »Die kleine Schwester von Nett«. Termine und mehr unter www.knosef.at.
066 Ari Y. Richter
KOI HVOB SALAMIRECORDER & THE HI-FI PHONOS ARLO PARKS FEVER RAY DOMPLATZ OPEN-AIR 07 JULI 2024
ANKATHIE
PRESENTS
DONNERSTAGGASTEINER INFINITY OPENING
KINGS OF LEON
THE KOOKS · MILKY CHANCE
COVERRUN · ACOUSTIC ELEMENT
FREITAG
PAROV STELAR · HOZIER
DEICHKIND
MARC REBILLET · GOSSIP
ROY BIANCO & DIE ABBRUNZATI BOYS
BENJAMIN CLEMENTINE · LEONIDEN
ANAÏS · TRÄNEN
OPENING ACT: TEXTA FEAT. ATTWENGER
SAMSTAG
KRAFTKLUB · K.I.Z
NINA CHUBA
MONTEZ · 01099 · BIBIZA· OG KEEMO
BUKAHARA · PAULA CAROLINA
IKKIMEL · HIDDEN GEMZ · COUSINES LIKE SHIT
SONNTAG
SAM SMITH
THE LIBERTINES · EDITORS · IDLES
THE STREETS · THE HIVES · SOAP&SKIN
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