Vom Flirt mit dem Scheitern
Florentina Holzinger über Körper, Kampfsport und ihre Rolle in Kurdwin Ayubs neuem Film »Mond«
Florentina Holzinger über Körper, Kampfsport und ihre Rolle in Kurdwin Ayubs neuem Film »Mond«
Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber wenn die Nationalratswahl so ausgeht, wie alle Umfragen verkünden, dann steht uns wieder einmal eine düstere Periode in der österreichischen Politik bevor. Umso wichtiger, dass Kulturinstitutionen wie Theater hier weiterhin Freiräume bieten, in denen sich ideologischer Widerstand formieren kann.
Für unser Bühnenspecial haben wir Milo Rau von den Wiener Festwochen, Veronika Steinböck vom Kosmos Theater, Simon Meusburger vom Schubert Theater und die Theaterwissenschaftlerin Theresa Eisele deshalb die Frage gestellt: »Wie politisch muss Theater sein?« Anfangen muss diese Diskussion aber eigentlich, schon lange bevor rechte Regierungen drohen und lange bevor das Publikum alt genug fürs Wählen ist. Simon Pfeifer hat mit Intendantin Anna Horn darüber geredet, wie der Dschungel Wien es seit 20 Jahren schafft, Kinder und Jugendliche an schwierige gesellschaftliche Fragestellungen heranzuführen. Natürlich ist aber auch am Theater manches nur Fassade und längst nicht alles eitel Wonne – gerade hinter den Kulissen. Das hat auch Martin Zimmermann festgestellt, als er recherchiert hat, wie es um die Arbeitsbedingungen von Hospitant*innen und Assistent*innen an Wiens Theatern steht.
In der Coverstory gehen wir einen kleinen Schritt vom Theater weg und widmen der Tänzerin und Performancekünstlerin Florentina Holzinger ein Porträt – anlässlich ihrer Hauptrolle in Kurdwin Ayubs kommendem Film »Mond«. Unsere Autorin Susanne Gottlieb und unser Fotograf Alex Gotter haben Holzinger dafür durch Baustellen und Wasserspiele verfolgt.
Und nicht nur der Dschungel feiert aktuell sein 20-jähriges Jubiläum: Das kleine, aber feine Plattenlabel Rock Is Hell presst jetzt schon zwei Jahrzehnte alles Mögliche und Unmögliche auf Vinyl. Jochen Summer – der Mann dahinter – hat unserem ehemaligen Chefredakteur Sandro Nicolussi 20 dieser Releases als kleine Werkschau mitgebracht. Zu guter Letzt werfen wir auch wieder einen Blick auf die Wiener Clubszene, genauer gesagt, auf die kommende Konferenz Vienna After Dark. Dort wird das Thema 24-Stunden-Stadt eine große Rolle spielen und unser Redakteur Luca Niederdorfer hat sich angeschaut, ob in den frühen Morgenstunden wirklich Schluss mit Feiern sein muss.
Also: Auch wenn’s mal düster wird, der nächste Sonnenaufgang kommt bestimmt.
Bernhard Frena Chefredakteur • frena@thegap.at
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Herausgeber
Manuel Fronhofer, Thomas Heher
Chefredaktion
Bernhard Frena
Leitender Redakteur
Manfred Gram
Gestaltung
Markus Raffetseder
Autor*innen dieser Ausgabe
Victor Cos Ortega, Sandra Fleck, Barbara Fohringer, Susanne Gottlieb, Johanna T. Hellmich, Oliver Maus, Martin Mühl, Tobias Natter, Luca Niederdorfer, Sandro Nicolussi, Dominik Oswald, Simon Pfeifer, Mira Schneidereit, Jana Wachtmann, Martin Zimmermann
Kolumnist*innen
Josef Jöchl, Toni Patzak, Christoph Prenner
Fotograf*innen dieser Ausgabe
Alexander Galler, Alex Gotter
Coverfoto
Alex Gotter
Lektorat
Jana Wachtmann
Anzeigenverkauf
Herwig Bauer, Manuel Fronhofer (Leitung), Thomas Heher, Martin Mühl
Distribution
Wolfgang Grob
Druck
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Mičevečka ulica 7, 10000 Zagreb, Kroatien
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Die Redaktion von The Gap ist dem Ehrenkodex des Österreichischen Presserates verpflichtet.
020 »Bock hab’ ich oft keinen, aber ich mach’s trotzdem!« 20 Jahre Rock Is Hell in 20 Vinyl-Releases
026 Soll Wien Berlin werden? Was für und gegen die 24- Stunden-Stadt spricht
030 »Theater für junges Publikum kann risikobereiter sein« Anna Horn im Interview zu 20 Jahre Dschungel Wien
035 Wenn der Vorhang fällt Der (Alb-)Traum vom Beruf am Theater
Bühne Von Jugendtheatern, politischem Anspruch und maroden Strukturen
Seine Musik hört Martin gerne laut. Insofern hat er ein Faible für Genres, die sich dafür gut eignen und folglich häufig auf »Rock« enden: Punkrock, Psychedelic Rock, Indierock – selbst der sogenannte »Dad Rock« hat es ihm angetan. Für diese Ausgabe beschäftigt er sich aber trotzdem nicht mit Guns N’ Roses und Co, sondern mit dem Theater. Spätestens seit er während seiner Zeit als Publikumsdienst ein breites Spektrum an Produktionen miterleben durfte, hat er hierzu nämlich ebenso einen engen Bezug.
Für Luca gab es viele Gründe, nach Wien zu kommen, und inzwischen gibt es noch sehr viele mehr, hier zu bleiben. Nicht zuletzt gehört da sicherlich die Clubszene der Bundeshauptstadt dazu, über die er regelmäßig für The Gap berichtet. In dieser Ausgabe hat er sich angeschaut, wo die Entwicklung im Wiener Nachtleben zukünftig hingehen könnte. Ein Thema, das sein Interesse an sozialen und kulturellen Fragestellungen sowie seine Liebe zu Techno vor und hinter den Decks miteinander verbindet.
003 Editorial / Impressum
006 Comics aus Österreich: Nina Buchner
007 Charts
018 Golden Frame
038 Wortwechsel
040 Workstation
044 Gewinnen
045 Rezensionen
052 Termine
010 Gender Gap: Toni Patzak
060 Screen Lights: Christoph Prenner
066 Sex and the Lugner City: Josef Jöchl
Auf unserer Seite 6 zeigen Comickünstler*innen aus Österreich, was sie können. Diesmal konfrontiert Nina Buchner eine Nacktschnecke mit nackter Performanceart. ———— »Slackercomics« ist ein Label, das man durchaus auf Nina Buchners Arbeiten draufkleben könnte. Im doppelten Sinn, denn nicht nur ihre Figuren scheinen häufig durchs Leben zu lavieren, sondern auch ihr Stil mutet spontan, salopp, fast desinteressiert an. Wie so oft ist bei genauerem Blick allerdings alles komplexer: Den raschen Zeichnungen gehen ausgiebige Entwürfe voraus, damit das dann am Blatt wie in einem Zug durchgezeichnet aussehen kann. Akribischer Minimalismus getarnt als schnelle Skizze. Und auch die Nacktschnecke Slug, die als Protagonist*in »in den letzten Jahren besonders kleben geblieben ist«, lässt sich bei all ihrer Nonchalance gegenüber Kunst, Kultur und Gesellschaft doch als profunde Kritik sowohl an deren Exzessen als auch an ebenjener Unbekümmertheit lesen.
Nina Buchner treibt seit 2013 mit ihren selbstpublizierten Heften über allägliche Struggles ihr Unwesen im Wiener Comicuntergrund.
Die Rubrik »Comics aus Österreich« entsteht in Kooperation mit der Österreichischen Gesellschaft für Comics. www.oegec.com
TOP 10
Die besten Kindheitsfilme
01 »Shrek 2 – Der tollkühne Held kehrt zurück« (2004)
02 »Mulan« (1998)
03 »Findet Nemo« (2003)
04 »Matilda« (1996)
05 »Das Dschungelbuch« (1967)
06 »Prinzessin Mononoke« (1997)
07 »Das letzte Einhorn« (1982)
08 »10 Dinge, die ich an Dir hasse« (1999)
09 »Spirit – Der wilde Mustang« (2002)
10 »Harry Potter und der Gefangene von Askaban« (2004)
TOP 03
Underrated Movies
01 »Shrek 2 – Der tollkühne Held kehrt zurück« (2004)
02 »Das erstaunliche Leben des Walter Mitty« (2013)
03 »The Room« (2003)
Auch nicht schlecht:
Die Teile eins bis drei von »Sharknado« sowie der erste »Shrek«-Film
Elli Leeb und Zoe Borzi sind seit diesem Sommer das neue Leitungsduo von Cinema Next, der Plattform für jungen Film aus Österreich.
Die zehn besten Wohlfühlessen im Herbst in Wien
01 Rice Balls bei Die Fischerin
02 Ikapiri bei Mochi Ramen Bar
03 Tsunamayo Onigiri bei Matcha Komachi
04 Pizza Lecce bei Momo
05 Dumplings bei Tan Tan
06 Plant-based Burritos bei E Burro
07 Korean-fried Portobello Burger bei XO Grill
08 Vorspeisenplatte bei Made in Sud
09 Frische Pasta bei Caffe Bacco
10 Pita mit Karfiol bei Miznon
Die drei Essentials für den September 2024
01 Sonnencreme
02 Regenjacke
03 Sandsäcke
Auch nicht schlecht
Am 29. September wählen gehen, um Rechtsextreme in der Regierung zu verhindern.
Atelier Kamp ist ein Designstudio in Wien. Nora und Florian Kampelmühler arbeiten an Grafik- und Produktdesign für internationale Kund*innen.
Erste Details der Viennale 2024 sind bekannt. ———— Wie jedes Jahr steht die zweite Oktoberhälfte für filmaffine Wiener*innen wieder ganz im Zeichen der Viennale, diesmal in Form einer roten Meeresalge als Festivalsujet. Das – nach Besucher*innen – größte internationale Filmfestival in Österreich holt seit 1960 Spannendes, Ungewöhnliches und schlicht Sehenswertes in die Bundeshauptstadt. Nach dem überraschenden Tod des langjährigen Intendanten Hans Hurch übernahm Eva Sangiorgi 2018 die Geschicke des Festivals. Sie hielt klar an der Linie als Publikumsfestival fest, legte also ebenso keinen Fokus auf Wettbewerbe, Stargäste oder Industrie-Events. »Ich möchte kein Spektakel machen«, versicherte Sangiorgi letztes Jahr im Interview mit Der Standard.
Eröffnung und Abschluss
Die bislang bekannten Informationen über das diesjährige Programm spiegeln den Fokus auf ein breites Verständnis von Kino für ein breites Publikum wieder. Während der Eröffnungsfilm »C’est pas moi« von Regisseur Leos Carax in knackigen 42 Minuten einen essayistisch-autobiografischen Abriss des französischen Autor*innenkinos liefert, begleitet der Abschlussfilm »Dahomey« (Bild) von Mati Diop (siehe Interview Seite 58) die Repatriierung von 26 Kunstschätzen von Frankreich nach Benin.
Die Initiative Urheberrecht fordert neue Regelungen für generative KI. ———— Vor Kurzem präsentierte die Initiative Urheberrecht, ein seit 2022 bestehender Zusammenschluss aus Vertreter*innen aller Kultursparten, ihre Vorschläge zur Anpassung des österreichischen Urheber*innenrechts angesichts der jüngsten Entwicklungssprünge bei generativer KI. Der geschäftsführende Vorstand Gernot Schödl plädierte dafür, anstatt weitere Diskussion in EUGremien abzuwarten, nationale Verbesserungen anzustreben, die dann auch als Vorbild für transnationale Modelle gelten können – »wohlwissend, dass wir im isolierten Österreich hier vor einer vielschichtigen Problematik stehen, die am besten auf EU-Ebene gelöst werden sollte. Unser Ansatz ist, positiv zu agieren und konstruktive Lösungsvorschläge zu bringen.«
Kein Urheber*innenrecht für KI
Konkret schlägt die Initiative Urheberrecht eine Reihe von gesetzlichen Änderungen vor. Zunächst solle es einen Direktvergütungsanspruch für die Erstellung und Verwertung von KI-Systemen geben, den die Hersteller*innen dieser Systeme direkt leisten müssten –ähnlich der geltenden Datenträgerabgabe. Weiters sollte gesetzlich klargestellt werden, dass der Output von KI-Produkten nur dann urheber*innenrechtlich schützbar sei, wenn die KI »als bloßes Werkzeug« eingesetzt würde und beim Prompting eine kreative Leistung vorliege. Insbesondere sei wichtig, dass Missbrauch verhindert wird. Das betreffe Verletzungen der Persönlichkeitsrechte von imitierten Künstler*innen ebenso wie die Vortäuschung von KI-Produkten als von Menschen geschaffene Werke. Im November möchte die Initiative Urheberrecht ihre Forderungen als konkrete Gesetzesvorschläge präsentieren. Von der Politik erhoffe sie sich trotz Nationalratswahlen ein rasches Handeln. Bernhard Frena
Bernhard Frena
Auch neben dem Abschlussfilm ist abseits der internationalen Filme wieder einiges aus Österreich dabei. Etwa der Essayfilm »Henry Fonda for President« von Alexander Horwath, »Mond« von Kurdwin Ayub (siehe Coverstory Seite 12) oder »Peacock«, der neue Film von Bernhard Wenger. Selbst der Viennale-Trailer von Radu Jude mutet dank Strauss-Polka am Hackbrett sehr augenzwinkernd-lokalpatriotisch an. Darüber hinaus wird es eine Retrospektive zum filmischen Schaffen der Schauspielerin Helene Thimig geben, das im Gegensatz zu ihrer Bühnenarbeit bislang wenig Aufmerksamkeit bekommen hat. In Kooperation mit dem Korean Film Archive widmet sich eine weitere Rückschau unter dem Titel »Haunted by History« in 13 Filmen der japanischen Besetzung von Korea in den späten 1940er-Jahren.
Die Viennale 2024 findet von 17. bis 29. Oktober im Gartenbaukino, im Metro Kinokulturhaus, im Stadtkino, im Filmmuseum sowie in der Urania statt.
Am 14. November veranstaltet die Initiative Urheberrecht im Dachgeschoß des Österreichischen Genossenschaftsverbands in Wien ihre zweite jährliche Konferenz, bei der generative KI eines der zentralen Themen sein wird.
Der Air Jordan I, ein
morderner Klassiker
Sneakers sind everywhere. Selbst altehrwürdige Luxusmodehäuser wie Louis Vuitton stellen sie ins Zentrum ihrer Kollektionen. Begonnen hat alles aber wesentlich bescheidener. Wie kam es zum Siegeszug der Sneakers? Was macht die Faszination dieser Designikonen aus? Und warum sollte man sich am besten jedes Paar doppelt kaufen?
Wir schreiben das Jahr 1986. Run-DMC spielen im ausverkauften Madison Square Garden in New York. Als die Hitsingle »My Adidas« ertönt, gibt es für die Crowd kein Halten mehr. Unzählige Shelltoes werden von den Füßen gezogen und stolz in die Höhe gehalten. Spätestens mit diesem Moment sind Sneakers endgültig in der Popkultur angekommen.
Doch die Geschichte der leisen Treter – der Begriff kommt tatsächlich von »to sneak«, also schleichen – beginnt schon weit früher: bereits im 19. Jahrhundert. Damals kamen die ersten Kroquetschuhe mit Gummisohlen und Leinenobermaterial auf den Markt. Anfang des 20. Jahrhunderts sprangen dann immer mehr Hersteller*innen auf den Zug auf, wobei neben Fußballschuhen mit Stollen vor allem Basketball-»Stiefel« wie die bis heute beliebten Chucks von Converse eine große Rolle spielten.
Das Golden Age der Sneakers
Nachdem der erste Aufschwung jäh durch den Zweiten Weltkrieg gestoppt worden war, nahm der Erfolgslauf in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts so richtig Tempo auf. Als Walt »Clyde« Frazier in den 70ern als erster Baller seinen eigenen Signature-Schuh bekam, einen simplen Suede-Low-Top von Puma, verleibte sich die aufkommende Hip-Hop-Szene diesen schnell ein. In den 80ern begann dann das Golden Age der Sneakers mit dem Wettlauf der damals noch jungen Brands um die neuesten Technologien und die stylishsten Designs. Dank des Aerobic-Hypes hatte Reebok zunächst die Nase vorn, doch Nike holte mithilfe eines jungen Michael Jordan bald auf. Das Reglement der NBA schrieb damals überwiegend weiße Schuhe vor. Die Strafe für die vergleichsweise bunten Air Jordan I übernahm Nike. Spiel für Spiel.
Nach den immer noch prägenden 80ern und 90ern steht seit den Nullerjahren zunehmend der Hype im Mittelpunkt: Sneakers wurden vom Kleidungsstück zum Sammlerobjekt. So
sorgte Jeff Staple 2005 mit seinem Kollaborationsmodell des Nike Dunk SB namens NYC Pigeon für Aufruhr. Den ersten glücklichen Kund*innen, die damals mit einem Paar seinen New Yorker Laden verließen, wurde Selbiges gleich direkt davor wieder geraubt. Die Polizei musste mit einem Großaufgebot zum Schutz herbeieilen. Tags darauf titelte die New York Post: »Sneaker Frenzy – Hot Shoe Sparks Ruckus«. Bis heute sind Limited Editions regelmäßig für Ausnahmesituationen vor Stores und online verantwortlich – befeuert von geschickter Vermarktung durch Popstars und Mode-Ikonen wie Travis Scott oder Rihanna. Als Letztere etwa bei ihrem Super-BowlAuftritt 2023 die neuen MM6 Maison Margiela × Salomon Cross Low trug, stiegen die entsprechenden Suchanfragen allein bei Zalando in Österreich um satte 78 Prozent an.
One to rock, one to stock
Mittlerweile ist das Sneaker-Game zu einer globalen Kultur gereift, mit eigenen Codes und eigener Sprache. Sneakerheads verfolgen akribisch die neuesten Drops – beispielsweise über den Releasekalender von Zalando – oder vernetzen sich auf Messen, wo sie ihre »Grails« präsentieren. Geschäftstüchtige Reseller*innen machen daraus ein lukratives Business oder finanzieren zumindest ihre eigene Sammelleidenschaft. Turnschuhe sind Statussymbol, tragbare Kunstwerke, Sinnesgenuss, Geldanlage. Deshalb empfiehlt sich für den nächsten Sneakerkauf: one to rock, one to stock.
Sneakers sind genau dein Ding? Entdecke jetzt unter www.zalando.at unzählige Modelle von Brands wie Nike, Adidas Originals, Salomon, New Balance, Asics und mehr.
presented by
Toni Patzak
hakt dort nach, wo es wehtut
Ich bin Toni. Eigentlich heiße ich Antonia, aber ich liebe es, mich als Toni anzukündigen, um meine Mitmenschen zu verwirren, wenn dann anstatt eines Anton aus Tirol eine Schwarze Wienerin dasteht. Ich studiere Anthropologie und setze mich für Antirassismus und Gleichstellung ein. In der Kolumne »Gender Gap« werde ich mich ab jetzt mit größeren und kleineren Fragen rund um Geschlechtszugehörigkeit und Wertesysteme befassen, meinen Charme einfließen lassen und versuchen, Fakten und Alltagsgeschichten zu verbinden. Mein Ziel ist es, neue Antworten auf altbekannte Fragen zu finden und dort nachzubohren, wo es wehtut. Gerne auch mit Humor, weil komplizierte Themen so oft leichter bewältigbar sind. Gender ist da keine Ausnahme. Oft sind die Diskurse lähmend, sich wiederholend oder populistisch aufgebläht. Wie gendert man richtig? Wer darf eine Frau sein? Wie viele neue Toilettensymbole kann man noch entwerfen?
Dabei haben die meisten Menschen vermutlich schon einmal gehört, dass Gender ein soziales Konstrukt ist. Ob sie das jetzt akzeptieren oder nicht, ist eine andere Frage. Ich will hier aber nicht den tausendsten Text darüber schreiben, dass Geschlechterdiversität erstens nicht neu ist und zweitens nur dann zu einem Problem wird, wenn es andere Menschen dazu machen. Genügend schlauere Leute haben hierzu schon längere Texte mit mehr Fremdwörtern geschrieben. Stattdessen sollten wir einmal einen Schritt zurückgehen, das Ganze aus der Ferne betrachten und uns klarmachen, dass Gender eigentlich ziemlich deppat ist. Frauen sind von der Venus, Männer vom Mars, aber wer ist eigentlich von der Erde? Sind wir komplexe Wesen, die alles kategorisieren müssen, oder sind wir doch einfacher gestrickt, als wir uns eingestehen wollen? Wenn wir wirklich so gescheit sind, wieso las-
sen wir uns dann anhand eines Urteils, das bei unserer Geburt gefällt wurde, sagen, wie wir uns kleiden, verhalten und organisieren sollen? Einheitlich ist dieser ganze Genderdreck ja auch nicht. Was eine Frau in Tschechien ist, deckt sich nicht vollständig damit, was eine Frau in Sierra Leone ist. Männer verschiedener sozialer Klassen erleben Gender anders, ebenso wie Menschen verschiedener sexueller Orientierungen. Mehr als zwei Gender? Im Westen gerade ein heißes Thema, im Rest der Welt ein alter Hut. In Indien, Thailand, Nordamerika und Westafrika findet man seit jeher Geschlechtersysteme, die den Freiheitlichen einen Heulkrampf bescheren würden. Dieser Flickenteppich an Versuchen, Menschen in Gruppen zusammenzufassen, ist weder kohärent noch folgt er einer klaren Logik. Sind wir am Ende nur eine weitere Primatenart, die halt – statt Bananen zu essen und auf Ästen zu sitzen – sechs Euro für einen Fruchtsmoothie und 60 Euro für die Boulder-Monatskarte ausgibt? Doch auch in der Natur gibt es weit mehr Genderdiversität, als es sich fundamentalistische Glaubensordnungen gerne eingestehen würden. Nur geht es dann nicht um Regenbogenfamilien, schwangere Väter oder polyamouröse Familienstrukturen, sondern um Hyänen, Seepferdchen oder Bonobos.
Schuld ist Money
Im Zuge der Recherche für diesen Text habe ich gegoogelt, wem wir das Konzept Gender zu verdanken haben. Eine klare Antwort habe ich mir nicht erwartet, eher wollte ich meinen Frust den Google-Göttern kundtun. Doch sie waren gütig und haben mir überraschenderweise nicht nur einen Namen, sondern auch eine Jahreszahl genannt: Dr. John Money, 1955. Tatsächlich ist es wohl komplizierter. Jedenfalls heißt das nicht, dass wir vor 1955 in einer genderfreien Gesellschaft gelebt hätten. Nur weil es keine Bezeichnung für etwas
gab, bedeutet das ja nicht, dass es nicht immanenter Teil unseres Lebens gewesen wäre (siehe etwa die Entdeckung des Sauerstoffs im Jahr 1774). Aber: Wenn wir 1955 Gender angeblich »erfunden« haben, dann können wir es auch wieder »entfinden« oder – kürzer gesagt: Scheißen wir doch auf Gender und probieren wir es noch mal!
Einen Vorschlag für Ersatz hätte ich schon: Sternzeichen. Von denen halte ich nämlich mindestens so viel wie von Gendersystemen. Das sind auch nur Kategorien, die Leute unterteilen, um ihnen Verhaltensweisen nachzusagen. Nur finde ich Sternzeichen insofern sympathischer, als sie im Gegensatz zu Gender weit weniger ernst genommen werden. Statt in realpolitischen Diskursen zelebrieren sie ihren wöchentlichen Auftritt meist auf der letzten Seite von Lifestyle-Magazinen oder auf Fernsehschirmen im Fitnessclub.
Genau so sollte Gender auch abgehandelt werden. Mensch bekommt jede Woche am Montag vage Vorhersagen und allgemeine Tipps, wie man das Leben angehen sollte. Und wenn man wirklich will, kann einem das Genderorakel auch bestimmen, ob man zurzeit kurze oder lange Haare, Röcke oder Hosen tragen sollte. Am Ende der Woche werden die Karten dann neu gemischt. Wer jetzt wem die Tür aufhält, ist so jeden Montag aufs Neue spannend. Das ist genauso logisch wie unser jetziges Gendersystem, weniger invasiv für unser Leben und hat viel Potenzial für Humor. Holt dein Partner die Kinder vom Hort ab? Nein, ich bin Löwe! Schlagzeile: Immer mehr alleinerziehende Zwillinge. Toll! Unserer Fantasie sind keine Grenzen gesetzt und es gibt unendliche Möglichkeiten, andere Systeme für unser Zusammenleben zu etablieren. Warum sollen wir uns also mit Gender zufriedengeben? Ganz egal, ob man jetzt ein Schnabeltier, ein Mann oder doch eine Waage ist. patzak@thegap.at @tonilolasmile
Performancekünstlerin Florentina Holzinger fordert ihr Publikum gerne heraus. Nun tut sie das als Hauptdarstellerin in Kurdwin Ayubs neuem Film »Mond«. ———— Geschickt klettert Florentina Holzinger einen Bagger hinauf, turnt zwischen Schaufel und einem Haufen losen Asphalts hin und her. Wir sind auf der Wiedner Hauptstraße unterwegs, die Straßen sind mit Baustellen zugepflastert. Ob sie denn nicht mit ein paar Geräten posieren möchte? Herausforderung ist das für die Choreografin und Performancekünstlerin keine. Dank ihrer Versiertheit in Tanz und Kampfsport bewegt sie sich mit einer trügerischen Leichtfüßigkeit, dabei stets ein breites Grinsen auf den Lippen. »Die sind cool, weil man mit ihnen schwere Dinge heben kann«, meint sie zu dem Fuhrwerk unter sich. »Sie sind nicht dafür gemacht, Menschen zu heben. Deswegen arbeiten wir gerne mit denen.«
Wir, das sind sie und ihre sich stets wandelnde Tanzkompanie. Die Arbeit, damit sind ihre Performances gemeint. Einerseits die großen, spektakulären Bühnenshows, wie die Oper »Sancta«, die im Mai 2024 am Mecklenburgischen Staatstheater in Schwerin Premiere feierte und in der sie halbnackte Nonnen inlineskaten sowie von Kirchen-
glocken baumeln lässt. Andererseits auch ihre kleineren Performances, »Etüden«, wie Holzinger sie nennt. Erst im September hing sie dafür nackt von einem Helikopter über dem Bergener Hafen. So wie Fische? »Ich bin der Fisch«, lacht sie.
Das Repertoire ist reich bei Holzinger, die als eine der gefragtesten Choreograf*innen im deutschsprachigen Raum gilt. Jung, pro -
»Man sieht dem Körper sehr viel an. Er lügt nicht.«
— Florentina Holzinger
vokativ, gegen den Strich – solche Schlagwörter kommen einem bei ihren Shows in den Sinn. Aber dann ist sie doch wieder höchst penibel, was ihre Projekte angeht: »Natürlich bin ich sehr selektiv bei dem, was ich mir aussuche. Es interessiert mich besonders, wenn es etwas ist, das meinem Bereich fern
ist.« Fern war auch das Angebot, das eines Tages von der Filmemacherin Kurdwin Ayub hereingeflattert kam: ob sie die Hauptrolle in deren Film »Mond« übernehmen wolle –dem zweiten Teil in der »Sonne, Mond und Sterne«-Trilogie.
»Ich kannte Kurdwin natürlich, weil wir uns schon öfters über den Weg gelaufen sind«, erinnert sich Holzinger. »Auch ihre Arbeit kannte ich ein wenig. Daher war sie für mich eine Künstlerin, die man gerne unterstützt und deren Arbeit man respektiert. Die Idee, gemeinsam etwas zu machen, fand ich cool.« In die Zusammenarbeit sei Holzinger mit dem Grundvertrauen gestartet, dass letztendlich ein guter Film herausschauen würde.
In »Mond« spielt Holzinger die ExKampfsportlerin Sarah, die eine Anfrage aus Jordanien erhält, in einem reichen, abgelegenen Haushalt drei Mädchen in Kampfsport zu unterrichten. Bald merkt sie jedoch, dass die Mädchen nicht nur wenig Interesse an den Trainingsstunden haben, sondern auch, dass deren Lebenssituation im Haus einige Fragen aufwirft. Männliche Kontrolle, kein Handy, bei Widerspruch sofort Strafe. Sarah soll diese Dinge nicht sehen. Doch lange kann sie diesen Zustand
nicht ignorieren. »Mond« ist dabei keine Held*innengeschichte einer weißen Frau im Osten. Ayub zeigt erbarmungslos auf, wie unverrückbar manche Zustände sind.
Die Rolle der Frau im Nahen Osten ist ein wiederkehrendes Thema in der Filmografie Ayubs, sie behandelte sie schon im Vorgänger »Sonne« und in ihrer Doku »Paradies! Paradies!«. Holzinger: »Sie ist von ihrer Autobiografie inspiriert – zwischen zwei kulturellen Welten zu stehen und das aus einer feministischen Perspektive zu beleuchten.« Dies sei ihr in ihrer eigenen Arbeit zwar auch wichtig, den Mittleren Osten habe sie davor aber noch nicht aufgegriffen. »Ich komme nicht aus diesem Kontext«, erklärt die Künstlerin. »Aber damals hatte ich schon angefangen, an meiner Kirchenoper ›Sancta‹ zu arbeiten, und fand es super, mich parallel dann noch in einem muslimischen Kontext zu bewegen und das mit dem katholischen zu vergleichen.« Und auch wenn Jordanien nur knapp vier Stunden Flugzeit entfernt war, sei es schon eine andere Welt gewesen. »Wir mussten die Leute, mit denen wir dort gearbeitet haben, von meiner Performancearbeit fernhalten, um da nicht in irgendein Problem zu geraten.«
Fern in vier Stunden
Wozu Holzinger gleich einen persönlichen Bezug aufbauen konnte, war die Kampfsportausbildung ihrer Figur. »Natürlich hatte ich sofort so eine Hollywood-Fantasie, mich da hineinzusteigern, um diese Ex-Kampfsportlerin glaubhaft darzustellen«, besinnt sich Holzinger auf ihre Motivation, Ja zu sagen. »Sarah war ein interessanter Charakter, und für mich war es schön, mich wieder mehr mit Kampfsport auseinanderzusetzen.«
Ihre Begeisterung für diesen Sport kam kurz nach ihrem Choreografiestudium an der School for New Dance Development (SNDO) in Amsterdam. »Früher habe ich viel Kampfsport betrieben, auch eine Arbeit vor einigen Jahren hat sich sehr damit auseinandergesetzt«, erzählt sie. »Für den Film hatte ich ausnahmsweise Zeit in meiner Agenda und ich habe es genossen, mich wieder mehr damit zu beschäftigen.«
Dass Holzinger neben Kampfsport und zeitgenössischem Tanz auch gerne Anleihen bei klassischem Ballett in ihre Performances verpackt und sich so einer klaren künstlerischen Zuordnung verwehrt, hat wohl viel damit zu tun, dass sie erst spät ins Metier eingestiegen ist.
Ihre Familie sei nicht kulturell geprägt gewesen, erklärt sie. Oper, Ballett oder sonstige kulturelle Veranstaltungen seien kein familiärer Fixpunkt gewesen. Erst in ihrer
Mit Grenzen und deren Überschreitung spielt Florentina Holzinger in ihren Performances immer wieder.
Schulzeit sei sie damit in Kontakt gekommen. »Meine erste Tanzerfahrung war Ausdruckstanz«, erinnert sie sich. »Also etwas, bei dem niemand irgendwas vorschreibt und man sofort intuitiv arbeitet.« Seit 2011 tritt sie regelmäßig mit Soloprojekten sowie Ensembles auf, unter anderem verbindet sie noch aus ihrer Zeit an der SNDO eine enge Zusammenarbeit mit dem Tänzer Vincent Riebeek. 2012 gelang Holzinger der Durchbruch beim Wiener Tanz- und Performancefestival Impulstanz, als sie den Prix Jardin d’Europe für ihr Stück »Silk« gewann.
Seither gesellten sich ein Outstanding Artist Award des österreichischen Kulturministeriums, ein Nestroypreis in der Kategorie »Beste Regie« für »Tanz. Eine sylphidische Träumerei in Stunts«, der Österreichische
»Ich habe das Gefühl, ich kenne mich beim Scheitern aus.«
— Florentina Holzinger
Musiktheaterpreis für Tanz und der Deutsche Theaterpreis Der Faust für »Ophelia’s Got Talent« hinzu. Ziemlich beeindruckend, oder? »Ja, ich weiß nicht«, gibt sich Holzinger zurückhaltend. »Ich komme aus einem experimentellen Kontext. Insofern bedeutet, Preise zu erhalten, dass man im Kommerz angekommen ist. Deswegen ist das schon mit Vorsicht zu genießen.« Allerdings helfe es natürlich bei Förderungen und generiere auch eine gewisse Öffentlichkeit. »Wir genießen es, dass wir gefühlt nicht nur die Kunstbubble bei uns im Publikum sitzen haben. Da kommt mittlerweile sogar die Nachbarin von irgendwem, der das empfohlen hat, die noch nie im Theater war.«
Ehrlicher Körper
Die Kunstbubble zu durchbrechen, heißt auch, den Zuschauer*innen körperliche Grenzerfahrungen zu vermitteln und die Zurschaustellung von weiblicher Fetischisierung offensichtlich zu machen. Beides sind wiederkehrende Elemente im Œuvre Holzingers. Ein Fokus der auf ihre eigenen Erfahrungen zurückgehe, denn: »Ich musste lange daran arbeiten, mich
Alex Gotter
Für ihre Rolle in »Mond« konnte sich Florentina Holzinger wieder intensiver mit Kampfsport auseinandersetzen.
»Als Schauspielerin wird man für einen Monat irgendwo eingeflogen, eine andere Person sagt, was man machen soll, und einem wird Kaffee gebracht.«
— Florentina Holzinger
mit meinem postpubertären Körper anzufreunden.« Andererseits habe sie in ihrer Beschäftigung damit ein sehr konstruktives und untrügliches Ausdrucksmittel gefunden. »Man sieht dem Körper sehr viel an. Er lügt nicht.« Sie habe sich äußerst obsessiv damit auseinandergesetzt, mit dem Körper und seinen Grenzen zu experimentieren. »Als Tänzerin hatte ich schon immer einen großen Technikkomplex. Ich sehe mich nicht als eine virtuose oder technisch extrem versierte Tänzerin. Das war ein Konflikt für mich.« Letztendlich habe sie einen sehr spielerischen Umgang damit gefunden. »Weil das System, in dem der Körper operieren muss, eh scheiße ist.«
Feminismus ohne Schubladen Besonders »scheiße« sei das System auch für Frauen, deren Körper von der Gesellschaft genauer unter die Lupe genommen werden. »Man hat immer eine Art manipuliertes Selbstbild«, reflektiert Holzinger. »Solche Manipulationen beschäftigen mich und ich habe sie zur Technik erkoren.« Dass man sie als feministische Künstlerin bezeichnet, sei ihr
wichtig, aber es sei auch schnell pauschalisierend. »Meine Arbeit wird sowieso in zu viele Schubladen gesteckt.« Die Zuschreibung sei dennoch »ein willkommenes Nebenprodukt«. Hin und wieder, so verrät sie, landeten ihre Performances auch mal auf Pornoseiten. Ob sie das nicht störe? Wegen ihres Teams müsste sie da aufpassen, aber: »Mir selbst ist das scheißegal. Ich wünschte, ich könnte damit dann mehr Geld machen«, sagt sie mit einem belustigten Zwinkern. »Alle wollen ja ständig Sex sehen. Der ist noch immer ein Tabu. Deswegen beschäftige ich mich gerne mit solchen Themen, weil es den Leuten sehr schwerfällt, hier ehrlich Stellung zu beziehen.« Viele seien hilflos, wenn sie mit realen Körpern konfrontiert sind. »Das finde ich spannend. Das hat Potenzial.«
International ist Holzinger inzwischen auch schwer gefragt. Sie hat viele Shows in Deutschland gespielt. Ihre »Etüden« inszeniert sie in Ländern wie Norwegen, Polen oder auch schon mal Japan. Merkt sie denn einen kulturellen Unterschied in den Reaktionen? »Es wäre seltsam für mich zu sagen,
meine Arbeit sei österreichisch, weil ich ja extrem international arbeite, unter anderem auch mit den Leuten in meinem Cast«, setzt Holzinger an. »Aber natürlich habe ich das Gefühl, dass ich meinen kulturellen Hintergrund nicht ganz wegschalten kann. In Deutschland gilt meine Arbeit schon als spezifisch österreichisch. Deswegen kommt sie, glaube ich, dort so gut an.« Das Klischee, dass alles, was aus Österreich kommt, rotzig und charmant ist, hält sich eben hartnäckig.
Prekäres Scheitern
Inzwischen sind wir an den Baustellen vorbei zum Brunnen am Mozartplatz vorgedrungen. Über dem Wasserstrahl thronen die Figuren Pamina und Tamino aus »Die Zauberflöte«. Darunter verbiegt sich Holzinger, Haare und Kleidung bereits klatschnass. Wie kann sie sich bei den ganzen Erfolgen, die sie feiert, überhaupt in so eine Figur wie Sarah hineinfinden, die nach dem Karriereaus als Kämpferin mit sich selbst hadert? »Ich habe das Gefühl, ich kenne mich beim Scheitern aus«, sinniert sie. »Die Möglichkeit ist immer präsent und auch etwas, Alex Gotter
Auch wenn es mal nass wurde, beim Fotoshooting war Florentina Holzinger nicht zu bremsen.
mit dem ich gerne flirte.« Sarah sei einfach in einer prekären Lebenssituation. »Sie weiß einerseits überhaupt nicht, was sie machen soll. Andererseits lässt sie sich dann auch gerne auf das Angebot ein und überlegt nicht lange.«
Dieses Scheitern – und Ayubs Inszenierung – gefiel auch beim Filmfestival von Locarno, wo »Mond« seine Weltpremiere feierte: Der Film wurde mit dem Spezialpreis der Jury, dem Europa Cinemas Label Prize, dem Boccalino d’oro Prize der Independent Film Critics sowie einer Special Mention seitens der Ökumenischen Jury ausgezeichnet. Ist das nicht Motivation, im Fach Schauspiel noch weiter die Fühler auszustrecken? Vom Aufwand her, ja. »Es war extrem angenehm, dass ich selbst nicht die Verantwortung für das künstlerische Produkt hatte«, erinnert sich Holzinger an die Dreharbeiten. »Wenn ich an meinen eigenen Shows arbeite, dauert das schon mal zwei Jahre. Als Schauspielerin wird man für einen Monat irgendwo eingeflogen, eine andere Person sagt, was man machen soll, und einem wird Kaffee gebracht. Deswegen sage ich auch immer, dass sich das wie Urlaub angefühlt hat«, fügt sie grinsend hinzu.
Allerdings profitierte »Mond« eben davon, wie leicht Holzinger in ihre Figur fand. »Wer wird jemals wieder eine Rolle so auf mich zuschneidern, außer ich selbst?«, sagt sie schmunzelnd, bevor sie ernster wird: »Viele Leute haben mich schon gefragt, ob wir nicht eine Doku über meine Arbeit machen könnten.« Für sie sei das ein Albtraum, sie habe aber durchaus damit geliebäugelt, einmal einen Film zu drehen – »ob ich da selbst zu sehen sein werde, weiß ich nicht.«
Doch schon während wir uns verabschieden, ist es schwer vorzustellen, dass Holzinger nicht in irgendeiner Art und Weise in einer eigenen Filmarbeit auftreten würde. Immerhin hat die Künstlerin auch keine Absichten, der Bühne als Performerin jemals den Rücken zu kehren. »In meiner Arbeit sollen alle möglichen Körper präsent sein. Wenn wir alle 80 sind, wollen wir auch noch urarge Sachen machen. Der Körper verändert sich beständig. Aber das ist ja auch das Spannende daran.«
Susanne Gottlieb
»Mond« mit Florentina Holzinger in der Hauptrolle startet am 31. Oktober in den österreichischen Kinos. Am 14. November findet eine von The Gap präsentierte Sondervorstellung im Votiv Kino in Wien statt – inklusive anschließendem Publikumsgespräch mit Regisseurin Kurdwin Ayub. Wir verlosen Tickets unter www.thegap.at/gewinnen.
Jan Erbelding ist unterwegs in einer der verklärtesten Straßen der Welt in einer der verklärtesten Städte der Welt und denkt sich seinen Teil. Aufzeichnungen aus der Wall Street, New York. ———— »Jan Erbelding schreibt Sätze wie …« Das kann man so wahrscheinlich nicht sagen, aber dann doch eigentlich schon. Immerhin ist es eine Tatsache, dass Jan Erbelding das Folgende schon geschrieben hat: »Gertrudes Mutter Emilie Mediz-Pelikan gibt Gertrude vom Jenseits aus Zeichenunterricht.« Oder: »60 Wall Street – der gesamte Groundfloor öffentlich zugänglich, Privately Owned Public Space, eine Halle, ein Durchgang zwischen Wall und Pine Street, mit eigenem genauso öffentlichem U-Bahn-Eingang. Vielleicht war diese Zeit ein Moment, in dem das ganze Finanzding sich tatsächlich den Menschen hin öffnen wollte.« Und weil das so eine Art ist, mit Sprache umzugehen, die – so ganz für mich gesprochen – total überzeugend ist, weil sie keine Überzeugungen verspricht und immer tastend, aber doch sehr mutig, dem offensichtlich unbekannten Unerkannten mit einer oder vielmehr vielen Ahnungen entgegentritt, deshalb jetzt also dieser Text. Aus 2022 gibt es einen langen Abhandlung von Jan Erbelding über Simone Weil, von der man schon das eine oder andere gelesen haben sollte – denke ich mir. Aber immerhin habe ich jetzt dieses sein »Fanboi«-Fanzine gelesen, wo es klarerweise auch viel um Simone Weil geht. Aber es geht in seinen Texten halt auch nie nur um das oder den oder die ein*e oder ander*e, sondern immer auch um Jan Erbelding oder auch das Schreibende Andere (kursiv) und letztlich auch um alles (auch kursiv) oder, wie es online in einer Ausstellungsbeschreibung heißt: »Persönliche Erfahrungen und Ideen verbindet Erbelding mit historischen Fakten und Figuren, literarischen Referenzen sowie gesellschaftspolitischen Kommentaren zu poetischen Erzählungen.«
Von 2021 gibt es den »Gustav Landauer Fanboy Text«, von dem (Landauer) ich zumindest schon mal gehört haben sollte – denke ich mir. Aber ja, also nein. Und vor 2021 gibt es noch mehr Texte, die gerne auch von Jan Erbelding selbst in Performances vorgetragen wurden, ohne dass der Begriff Performance jetzt allzu gedehnt werden müsste. Aber zu diesen bin ich noch nicht gekommen, weil: nur nicht zu viel auf einmal. Ganz neu ist jetzt aber der Text »Financial Times. A Wall Street Journal«, also mal was (Wall Street) ganz anderes, aber natürlich auch überhaupt nicht, weil, die Wall Street, und also Kapitalismus (kursiv …), weiß eh jede*r was das ist … oder? Noch so ein unheimliches Wort, kann ich mir vorstellen, schreibt Jan Erbelding an der einen oder anderen Stelle dazu. Weil irgendwie ist »Wall Street« ja – zwischen den fixen Vorstellungen als Symbol dieser unserer superfiesen Gesellschaftsform, dem Zentrum der Welt, Leonardo DiCaprios in Nadelstreifen und wasweißich – auch ein realer Ort mit, wie Jan Erbelding feststellen muss, wenig bis gar keinen echten Leos in Nadelstreif auf der Straße. Aber dafür mit lauter losen oder auch überhaupt nicht losen Fäden aus der Geschichte und natürlich all der Geschichte, die nicht als Geschichte registriert wurde, Fäden, die alle zu Weltpolitik und zu ganz persönlicher Befindlichkeit und so zu unendlich vielen offenen Türen führen – oder halt auch nicht. Und dahinter geht es dann vielleicht in einen TK-Maxx-Store oder vielleicht barrierefrei in postmodern-eklektische amerikanisch-gigantische Hallen aus Stein, die zwar public / öffentlich, aber auch privately-owned / gar nicht öffentlich sind. Und das alles wird also von Jan Erbelding in Fotos und Text, zwischen Erinnerung und Erwartung herrlich inakkurat registriert: »Financial Times. A Wall Street Journal«. Victor Cos Ortega
Jan Erbelding lebt in München. Er arbeitet mit Text, aber auch fotografischinstallativperformativ. Mit Maria VMier und Leo Heinik betreibt er den Offspace Ruine München, der in »mehr oder weniger öffentlichen Räumen« agiert. Arbeiten von Erbelding sind bis 7. November in der Galerie House of Spouse in Wien zu sehen.
»Bock hab’ ich oft keinen, aber ich mach’s trotzdem!«
Das steirische Label Rock Is Hell feiert 20 jähriges Bestehen. Gründer und One Man Show Jochen Summer blickt mit uns beim Hören von 20 seiner Releases auf eine bewegte Zeit zurück. Ein bruchstückhaftes Gespräch über die verflossenen Bassisten der Melvins, einen ungebrochenen DIY Etho s und einen Haufen alternativer Musikgeschichte. ———— Am Anfang – Jochen Summer ist Mitte 20 und der Kalender schreibt 2004 – paarte sich Motivation mit Naivität. Mittlerweile kann der 46-Jährige sein impulsiv aus dem Boden gestampftes Label namens Rock Is Hell, ohne zu erröten, als etabliert bezeichnen. Obwohl er einst bei Katalognummer 100 Schluss machen wollte, zählt das steirische Label bereits 116 Releases von internationaler und lokaler Güte. Dadurch entstand über die Jahre ein extensiver Katalog, der im trauten Heim gar keinen Platz mehr findet, sondern am elterlichen Bauernhof gelagert werden muss. Darin verbunden sind Gesamtkunstwerke, die im Klang ziemlich laut und in
der Verpackung recht einzigartig anmuten. Seine Bands und Künstler*innen waren und sind dabei stets das Hauptanliegen, und wenn man einem Menschen unbedingte Prinzipientreue nachsagen kann, dann vermutlich ebenjenem Labelchef, der auch nach 20 Jahren sämtliche absurden Reseller-Angebote jenseits der Vierstelligkeit ohne nachzudenken abwinkt. Mittlerweile ist der Vinylhype vor allem für nischige DIY-Releases einigermaßen rum und über Rock Is Hell schon vieles gesagt. Trotzdem schleppte Jochen Summer sich und 20 besonders erinnerungsträchtige Releases für einen gemeinsamen Rückblick nach Wien. Sandro Nicolussi
Jochen Summers gesamten Katalog kann man sich unter www.rockishell.at zu Gemüte führen. Das diesjährige Jubiläum wird noch mit weiteren Releases und im Dezember mit dem zweiten Teil des »20 Jahre Rock Is Hell«Fests gefeiert. Details folgen.
RIP01: Bulbul »Rosl« (2004; zwei Five-Inches, Auflage: 498 Stück)
Während heute ein Klebebandabrollgerät für 666 Euro seinen Dienst beim Zusammenbauen von allerlei Plattenverpackungen leistet, kam bei RIP01 noch ein handelsüblicher Verpackungskarton als primitives Gatefold-Cover zum Einsatz. Zwei CD-Hüllen ins Innere geklebt, Dennis Tyfus’ Design siebgedruckt und fertig! Das Ganze nun nur noch 497-mal wiederholen. Eigentlich war das schon der zweite Release aus Summers Hand. Ein Melvins-Bootleg trug damals die Katalognummer RIH01. Aus Prinzipientreue musste dann natürlich eine neue 01 her, deshalb RIP. Der Linzer MasteringEngineer AJ (heads will know) fand die Lieder so »grottenschlecht«, dass »Ismirschlecht« anstelle seines Namens abgedruckt wurde.
RIP07: The Ohsees
»Grave Blockers EP« (2006/2007, Reissue 2010; Six-Inch-Lathe-Cut plus Three-Inch-CD-R, Auflage: insgesamt 520 Stück)
Der erste Streich mit The Ohsees (auch der erste Release unter diesem Namen) aka OCS aka Thee Oh Sees aka Osees für das steirische DIY-Label. In weiterer Folge werden sämtliche Verlustgeschäfte durch diese Band (und die Melvins, selbstverständlich) quersubventioniert. Außerdem wieder starker Netzwerkeffekt: Nate Denver spielte gemeinsam mit dem hier vertretenen John Dwyer (siehe RIP08) und empfahl das Handwerk von Rock Is Hell. Musikalisch wird es mit der »Grave Blockers EP« zum ersten Mal etwas gemütlicher. Eine notwendige Verschnaufpause.
RIP04: Nate Denver’s Neck »No One Is Coming to Help You« (2005; Twelve-Inch-LP, Auflage: 267 Stück) Nach Katalognummer 02, einer Split von XBXRX und Total Shutdown (RIP), schrieb Nate Denver – Feuerwehrmann in L. A. und Spezialist für musikalische Weirdness bei Total Shutdown – Summer wegen einer geplanten LP an. For fans of: Double-Bassdrums, Lagerfeuergitarre, Dämonen und Geschrei. An dieser Stelle räumt Summer bereits ein: »Die ganz wilden Sachen höre ich nach wie vor, aber lange nicht mehr so oft.« Wer es hier ebenfalls nur schwer aushält, bekommt die Genugtuung auf der B-Seite. Auf der ist nämlich keine Musik zu finden, sondern ein blumiger Siebdruck.
RIP08: Dig That Body Up, It’s Alive »A Corpse Is Forever« (2007; Twelve-Inch-LP, Auflage: 333 Stück) Hier geht zum ersten Mal das Tor zur Hölle auf. Die Death-Metal-Supergroup bestehend aus John Dwyer (Osees), Nate Denver (Total Shutdown) und Oran Canfield (Child Abuse) spielte dieses Album eigentlich für Tumult Records in L. A. ein, löste sich dann aber auf. Das ursprüngliche Label sprang ab und leitete an – Überraschung! – Summer weiter. Die Legende wurde bei dieser Produktion also gleich mitgepresst. Über ein Remaster wird nachgedacht. Mit John Dwyer besteht seither eine Freundschaft auf Distanz.
RIP14: Verschiedene Interpret*innen
»Rock Is Hell Singleclub« (2008; acht Seven-Inches, Auflage: 333 Stück) »Ich liebe Singles und kaufe sie mir nach wie vor«, meint der Labelhead, »bloß andere Leute halt nicht mehr wirklich.« Die Serie ist inspiriert von US-amerikanischen Mailorder-Singleclubs (quasi ein Abo für Seven-Inch-Releases). Darauf vertreten sind internationale Noiserock-All-Stars: Reflector, Bug, Fugu, Rokko Anal (vor Rokko’s Adventures!) und viele mehr. Die Singles kommen konsument*innenfreundlich als weiße Platten mit weißen Labels und keiner weiteren Beschriftung. Da muss man schon selbst hören!
RIP16: Bulbul »#6 !$*«
(2008; Twelve-Inch-LP, Auflage: inkl. Represses ca. 1.000 Stück)
Wer an Zufall glaubt, wenn dieser Release im Zuge unseres Rückblicks als Sechstes auf dem Plattenteller rotiert, irrt. 1996 von Manfred Engelmayr als Soloprojekt gegründet, spielen Bulbul mittlerweile – um Roland Rathmair und Didi Kern erweitert – als Trio. Seit 2004 landen sie immer wieder auf Rock Is Hell, denn: »Wann immer ich gefragt habe, Bulbul haben immer was zusammengebracht.« Zum Zeitpunkt des Schreibens gibt es auf Bandcamp noch ein Stück der finalen Pressung für schlanke 16 Euro. Better be quick!
RIP28: The Striggles »Disillusion« / Reflector »Sorry« (2009; Seven-Inch-Split, Auflage: 321 Stück) Eine ambitioniert geplante Split-Serie, bei der sich verschiedene Bands gegenseitig covern sollten. Das an Schnapskarten angelehnte Design lässt erahnen: 36-mal wollte man das ursprünglich zur Veröffentlichung bringen. Geblieben ist es dann bei diesem einen Mal. Aber hey, es ist ja sonst nicht nichts passiert. Die Platte gab’s damals für – und das muss man sich einmal vorstellen – 4,90 Euro. Zu diesem Zeitpunkt bereits involviert: Interstellar Records aus Graz und Noise Appeal aus Wien, ebenfalls zwei still-standing (DIY-)Labels.
RIP42: Mark Deutrom
»The Value of Decay« (2011; zwei Twelve-Inch-LPs, Auflage: 466 Stück)
Mark Deutrom ist ein verflossener MelvinsBassist, der irgendwann gegangen wurde. Er schätze ihn für sein Spiel im tiefen Register, so Summer, nach einem Soloalbum habe man aber nichts mehr von ihm gehört. Also? Genau: Anschreiben! Und dabei entstand »eine sehr gute Melvins-Platte«, wie Summer lachend meint. In der vorliegenden Edition –es gibt noch ca. zehn Stück davon – passen alle Songs auf drei Seiten. Die D-Seite zieren gekritzelte Aufzeichnungen des Studio-Gears und -Routings. Die klingen übrigens – don’t try this at home – recht perkussiv.
RIP44: Melvins
»Endless Residency 2011« (2011; acht Twelve-Inch-LPs im Boxset, Auflage: 520 Stück)
Nach sieben Jahren andauernden Nachfragens landet Summer endlich seinen persönlichen Hit: Die echten Melvins haben Bock, mit Rock Is Hell zu arbeiten. Das Live-Recording-Boxset kommt standesgemäß in einer bedruckten Pizzaschachtel, die LPs sind teilweise nur einseitig gepresst und auf der B-Seite besiebdruckt. Wunderschön für Auge und Ohr – und mittlerweile im Resell mit bis zu 1.000 Euro gehandelt. Für Summer kein Grund, die Platten ungeöffnet zu horten: »Für was kauf’ ich eine Platte? Natürlich, um sie zu hören!«
RIP50: Verschiedene Interpret*innen »It Can’t Get Worse Than This« (2013; Twelve-Inch-LP, Auflage: 420 Stück) Jubiläumsplatte! Summer übergibt sie mit den Worten: »Viel Spaß!« 50 Nummern befinden sich auf der Clear-Vinyl-Twelve-Inch. Die Vorgaben an die Bands auf der Compilation: Entweder fünf Sekunden, 50 Sekunden oder ein Loop. Fast alle Nummern enden in einer Endlosrille, müssen also händisch geskippt werden, manche Tracks sind Reverse Cuts, die die Nadel von innen nach außen bewegen. Eine genaue Aufzeichnung der Titel gibt es nicht. Ein Albtraum von Produktion bis Konsum. Auf diesem Release ebenfalls vertreten ist Summer selbst unter dem Alias No One.
RIP53V: Seawhores »Vier Bestrafungen«
(2013; vier Twelve-Inch-LPs im Boxset, Auflage: 111 Stück)
Adam Marx von den Seawhores ist Noisetüftler bei Death by Audio, einer Effektgerätefirma, die Freund*innen intensiver Lärmpegel bestens bekannt ist. Bei unserem Treffen trägt Summer ein Shirt, das von Marx designt wurde: »Universal Good Vibes« steht darauf. Cover und Inlay der LP-Box – ursprünglich als Vier-Kassetten-Holzbox erschienen – wurden von zwei Kindern aus Summers Familienumfeld gekritzelt. Titel und Texte (zum Beispiel »Riecht nach Altersdiabetes« sind im dadaistischen 2013er-Englisch-Deutsch-Translator-Stil verfasst.anstelle seines Namens abgedruckt wurde.
RIP58: The Striggles & Friends »Shiizo Box«
(2014; fünf Seven-Inches, Auflage: 285 Stück) Fünf Split-Singles mit je zwei Nummern der Striggles auf der einen Seite. Auf der anderen zwei Nummern von: Peter Ablinger, Kreisky, Bulbul, Bernhard Lang und Opcion. So weit, so normal. Der Twist dieser Produktion ist, dass die Tracks nicht nacheinander, sondern parallel in die Platte geschnitten sind. Einmal läuft eine davon auf 33 und die andere auf 45 Umdrehungen pro Minute, manchmal sind die beiden Tracks – bis auf die Lyrics in unterschiedlichen Sprachen – ident. Der Vorführeffekt wird hierbei allzu deutlich: »Wenn du willst, triffst du sicher nicht die richtige Rille.«
ab 26. September 2024 von Thomas Köck
RIP61: Spring and the Land »Can You Forgive Her?« (2014; Seven-Inch, Auflage: 320 Stück)
Der Release des Grazer Duos Jacques Bush und Marino Acapulco ist ausgepackt und aufgelegt augenscheinlich die herkömmlichste der vorliegenden 20 Produktionen. Die FolkPunk-Pop-Band veröffentlichte eigentlich auf dem Wiener Label Early Morning Melody. Während die Coverversion des Pet-ShopBoys-Songs erklingt, fällt der aufwendige Part auf: Die Tasche ist geprägt und eine haptische Besonderheit. Übrigens: Die Single »PJ Harvey« – nicht auf dieser Seven-Inch – landete irgendwann auch tatsächlich auf einer Playlist von PJ Harvey. How to Song Title 101.
RIP69: Bulbul »Hilfreich seit 1996« (2016; elf Seven-Inches plus Kassette im Boxset, Auflage: 20 Stück)
2016 gaben Bulbul zehn Konzerte im Rahmen einer Tour. Dazu gab es für jede Show eine eigene Seven-Inch, die man nur dort bekam. Zusätzlich gab es einen Stempelpass, mit dem bei der zehnten Show bewiesen werden konnte, dass man alle Releases gekauft hatte. Die elfte (Bonus-)Platte ging dann aufs Haus. Auf dieser befinden sich allerdings nur Loops, weil die Band geplant hatte, gemeinsam mit dem Publikum ein Lied zu komponieren – was am Ende eben nur für Loops reichte. Verpackt in eine Box vom Buchbinder. Das Label ist wie eine Pralinenschachtel.
RIP80: Melt Downer »Alter the Stunt« (2018; Seven-Inch plus Kassette im Boxset, Auflage: 140 Stück)
Auch Wolf Lehmann aka Wolfgang Möstl –von Summer »Wolfi« genannt – ist jemand, der öfter und in unterschiedlichen Konstellationen bei Rock Is Hell vertreten ist. Für diesen Release wurde mit dem Grazer Label Numavi kooperiert, das den digitalen Release übernahm. Naheliegend, spielt Numavis Mario Zangl doch selbst bei Melt Downer mit. Die 140 Holzboxen sind bis auf das Holz völlig DIY. Beim Kollegen gefräst, Inlay nach der Lohnarbeit in der Druckerei gestanzt, Siebdruck eh klar.
RIP88: Bulbul »Break!« (2019; Twelve-Inch plus Seven-Inch, Auflage: 303 Stück)
Moment … Das Internet spuckt zu diesem Release vier Tracks aus, die One-SidedLP umfasst aber nur drei Nummern. Track Nummer vier, »Going«, befindet sich auf einer hidden Seven-Inch, die in das Frontcover der Gatefold-Verpackung eingelassen ist und – durch Perforierung und Titel angedeutet – herausgebrochen werden muss. Ein charmanter Mittelfinger an all jene, die ihre Plattensammlung in »mint condition« halten wollen, was nun mal dem Ethos von Rock Is Hell widerspricht.
RIP 73: Hepa / Titus »Untitled« (2016; zwei Seven-Inches, Auflage: 217 Stück) Schon wieder ein ehemaliger Bassist der Melvins! Schon wieder ein »eigenwilliger Typ, mit dem man klarkommen muss«. Kevin Rutmanis nämlich, der ebenfalls aus freien Stücken auf Summer zukam. Und die beiden kamen offenbar relativ gut miteinander aus, von Hepa / Titus sind immerhin insgesamt sieben verschiedene Releases bei Rock Is Hell erschienen. Der vorliegende erste Streich namens »Untitled« kommt in einer Miniversion einer klassischen Gatefold-LP daher.
RIP93: Osees »Metamorphosed« (2020; Twelve-Inch-LP, bisher 7.000 verkaufte Exemplare) Hier ist er, der goldene Esel, der Summers Label wohl bis zum Artikel über das 25-jährige Bestehen quersubventionieren wird. 7.000 Verkaufte seien »natürlich ungewöhnlich für ein DIY-Label«, aber muss halt auch sein, wenn sämtliche anderen Ideen produktionskostentechnischen Ruin mit in die Rillen gepresst bekommen. In 18 verschiedenen Versionen kam »Metamorphosed« bisher raus, wobei sich musikalisch nichts veränderte. Für die begehrtesten Editionen legt man schnell die Monatsmiete eines WG-Zimmers hin.
RIP100: Verschiedene Interpret*innen »From Nowhere« (2021; neun Seven-Inches, Auflage: 100 Stück) Der 100. Label-Release muss natürlich in eine etwas aufwendigere Holzbox gebettet sein. Wer Musik zum Angreifen haben will, kann sich hier an vier Flügelmuttern erfreuen, die den Deckel auf der Box halten. Die neun einseitigen, transparenten Seven-Inches kommen mit einer gedruckten Label-Diskografie und einem Zine. Und die neun vertretenen Bands kommen – konsequent im Understatement bleibend – »From Nowhere« aka aus der Steiermark. Hella Comet, Muscle Tomcat Machine, Fugu, Macaque Revue, und wie sie alle heißen.
RIP113: Wolf Lehman »Human Art« (2024; vier Seven-Inches, Auflage: 101 Stück) Zum Abschluss: eines der vielen Highlights zum 20-Jahr-Jubiläum. Das neue Album von Wolfgang Lehmann, einer Person mit vielen Namen, noch mehr Aliassen und einer ewigen Liste an Kollaborationen, erscheint bei Rock Is Hell in Form von vier Seven-InchVinyls. Darauf finden sich einzelne Tracks wie »Come« von Wolf Lehmann und »Home« von Mile Me Deaf. Werden bestimmte Tracks gleichzeitig abgespielt, ergibt sich ein neuer. In obigem Beispiel eben »Come Home« von Wolf Lehmann und Mile Me Deaf. Siehe auch unsere Rezension in The Gap 206 beziehungsweise auf www.thegap.at.
Wie funktioniert eine Stadt, die niemals schläft?
Vienna After Dark, Wiens erste internationale Konferenz für Clubkultur, will auf diese Frage eine Antwort finden und orientiert sich dabei an internationalen Vorbildern. ———— »In Berlin ist immer Betrieb«, heißt es in einer Dokumentation aus dem Jahr 1984. Sie trägt den Titel »Die 24-Stunden-Stadt« und zeigt das ununterbrochene, bisweilen skurrile Treiben im Underground der deutschen Metropole. 40 Jahre später hat sich die Welt stark verändert und mit ihr auch Berlin. Das bunte Tag- und Nachtleben ist aber geblieben – wenngleich inzwischen weniger im Underground. Und dieses wäre sicherlich nicht dasselbe ohne die Berliner Technokultur, die die UNESCO inzwischen sogar zum immateriellen Weltkulturerbe ernannt hat. Die Szene sucht international ihresgleichen. Sie baut auf jahrzehntelanger Tradition, aber auch auf viel Arbeit und Einsatz auf.
Die Struktur und auch die Anerkennung von heute seien nicht immer gegeben gewesen, so Lutz Leichsenring, seit 15 Jahren Sprecher der Clubcommission Berlin: »Die Neunziger waren quasi der Wilde Westen. Es sind viele neue Räume entstanden, gerade da, wo die Mauer verlaufen ist. Und die wurden dann auch genutzt.« Seit ihrer Gründung im Jahr 2001 spielt die Clubcommission eine zentrale Rolle in der Organisation und Strukturierung der Berliner Clubkultur. Mittlerweile kann sie auf über 20 Jahre und eine lange Reihe an Erfolgen zurückblicken. Aus dem anfänglichen Wilden Westen wurde ein Paradebeispiel dafür, wie der Clubbetrieb in einer 24-StundenStadt in der Praxis funktionieren kann. Davon wollen andere lernen – zum Beispiel die 2020 gegründete Vienna Club Commission (VCC).
Vienna After Dark heißt die erste internationale Konferenz zu Clubkultur und Nachtleben in Wien. Von 14. bis 16. November werden Keynotes, Diskussionen und Workshops von und mit mehr als 120 Expert*innen aus zahlreichen Ländern abgehalten. Und auch Vienna After Dark hat ihren Ursprung in Berlin. Seit 2017 findet dort eine solche Konferenz statt.
Jedes zweite Jahr gibt es ein Partnerevent in einer anderen Stadt. Die Bemühungen, die Konferenz auch einmal nach Österreich zu holen, gehen einige Jahre zurück. 2020 stieß die VCC – zu jener Zeit gerade in ihrer Pilotphase – die Idee einer Konferenz in Wien an. Nach der Wahl im selben Jahr wurde sie
von der neuen Stadtregierung direkt ins Programm aufgenommen. Nun, vier Jahre später, wird Wien für ein Wochenende das Zentrum für Vernetzung in der europäischen Clubszene. Auch die Idee der 24-Stunden-Stadt wird im Rahmen der Konferenz eine Rolle spielen. Dabei soll sie aber nicht unbedingt eine Forderung der VCC darstellen, wie Martina Brunner, Geschäftsführerin der VCC, darlegt: »Wir wollen einen Anstoß geben, darüber nachzudenken, wie eine 24-Stunden-Stadt im Clubkontext funktionieren könnte. Welche Aspekte müssen aus sozialer, kultureller und ökonomischer Sicht mitgedacht werden und was wird in anderen Städten bereits umgesetzt?« Das Programm der Konferenz versucht, die Vielfalt und Tragweite dieser Gedanken abzubilden. »Das Ziel der Konferenz ist, dass Personen mit unterschiedlichen Perspektiven an einem Ort zusammenkommen – ausgehend von der Club- und Veranstaltungsszene bis hin zu Politik und Verwaltung; darüber hinaus auch Stimmen aus den Bereichen Tourismus, Gesundheit, Antidiskriminierung und Nachhaltigkeit. Sämtliche Themen, die mit Clubkultur zusammenhängen, sollen hier besprochen werden«, erläutert Brunner.
Die Zukunft einer Stadt
Der Begriff der 24-Stunden-Stadt geht also über die Clubkultur hinaus. Diese ist schließlich nur ein kleiner Teil der gesamten Maschinerie, die eine Stadt rund um die Uhr am Laufen hält. Allerdings ist sie elementar, um zu verstehen, wie eine Stadt generell tickt. Lutz Leichsenring: »Durch Clubs und Nachtkultur kann eine Stadt bis zu einem gewissen Grad gesteuert werden, weil es für viele Menschen
ein wichtiger Aspekt ihres Lebens ist. Tagsüber hat der Mensch eine Rolle in der Gesellschaft und muss liefern. Nachts kann sich diese Rolle verändern und man kann eine andere Identität finden.« In einigen Großstädten stoße die Relevanz des Nachtlebens und dessen Vielfalt auch in der Verwaltung auf immer mehr Verständnis. »Die Politik wird inzwischen von der Realität eingeholt, dass Leute aus Städten wegziehen, wenn es dort zu wenig Freiheiten und Kulturangebote gibt. Man will ja nicht, dass Leute, die hier leben, vielleicht eine Ausbildung gemacht haben, irgendwann wegziehen«, erklärt Leichsenring. Den Stellenwert der Clubkultur klar zu machen und zwischen Kulturschaffenden und der Verwaltung zu vermitteln, sei anfangs eine der wichtigsten Tätigkeiten der Clubcommission Berlin gewesen.
Ähnliches findet zurzeit auch in Wien statt. Nach wie vor gäbe es viele Missverständnisse und Vorurteile bei Entscheidungsträger*innen. »Es kommt natürlich auch darauf an, was man kennt oder wie man sozialisiert wurde«, meint Leichsenring. »Wenn jemand Clubkultur nur mit Alkohol und Party verbindet, ist es schwerer, den sozialen und kulturellen Wert davon zu erfassen. Wir versuchen, der Stadt diese Vorteile kultureller, aber auch wirtschaftlicher Natur zu vermitteln.«
Die Clubkultur ist nicht der einzige Aspekt, in dem sich das Nachtleben in Großstädten in Zukunft verändern wird: Die Auswirkungen des Klimawandels machen sich bereits jetzt in extremen Hitzewellen bemerkbar. In Wien wurden heuer so viele Hitzetage verzeichnet wie noch nie zuvor. Diese Veränderungen erschweren es vielen Leuten, ihrer Arbeit nachzugehen. Das Arbeitsleben wird sich also anpassen müssen. »In südlicheren Ländern gibt es ja jetzt schon ein anderes Nachtleben. Da geht es aber gar nicht nur um Partys, sondern einfach um ein gesellschaftliches Zusammen-
kommen, weil es tagsüber zu heiß ist. Bei uns wird es auch dazu kommen und immer mehr Tätigkeiten wie zum Beispiel Bauarbeiten werden in die Nacht verlegt werden müssen«, erläutert Leichsenring. »Die Arbeitswelt hat sich generell schon verändert. Menschen arbeiten viel flexibler, in internationalen Berufen wegen der Zeitverschiebung oft auch nachts. Städte müssen sich also mehr mit der Nacht und deswegen auch mit der Idee der 24-Stunden-Stadt auseinandersetzen.«
Wie so eine zukunftsfitte Stadt aussehen kann, soll bei Vienna After Dark vielseitig diskutiert werden. Der Fokus liege dabei auf Austausch von Erfahrungen. Martina Brunner: »Wir können nicht alles einfach von anderen Städten kopieren. Aber wir können uns anschauen, was dort funktioniert und was wir in Wien davon lernen können. Oder auch, was andere Städte von Wien lernen können.« Seit der ursprünglichen Idee der Gründung der VCC im Jahr 2017 habe sich in Wien nämlich schon viel getan. Erst kürzlich wurde die geplante Novelle des Wiener Veranstaltungsgesetzes vorgestellt. Darin sind zum Beispiel der Schutz von geschichtsträchtigen Locations wie der Arena oder ein verpflichtendes Awareness-Konzept für Veranstaltungen ab 300 Personen in Clubs oder bei Konzerten vorgesehen.
Janet Bakalarz, Awareness-Aktivistin in Wien, begrüßt diese Entwicklung. Sie hat langjährige Erfahrung mit AwarenessArbeit und wird als Teil des lokalen CoKurator*innen-Teams dem Thema bei der Konferenz eine Bühne geben. Der Idee eines Rundum-die-Uhr-Betriebs in Clubs steht sie kritisch gegenüber: »Die Sicherheit des Publikums steht im Fokus der Awareness-Arbeit. Um diese gewährleisten zu können, benötigen Awareness-Teams entsprechende Rahmenbedingungen. Ein ständiger Betrieb würde erschwerende Faktoren mit sich bringen.« Ein Problem liege dabei etwa in der Informationsweitergabe bei Schichtwechseln, um kontinuierlich den Überblick über Vorfälle und Personen zu bewahren. Bei vielen Festivals gebe es zwar bereits durchgehenden Betrieb und Awareness-Teams, dieser sei aber auf einen gewissen Zeitraum begrenzt und eben nicht die Regel. »Natürlich schaffen wir es auch bei 24-Stunden-Schichtbetrieb, uns weiterhin um das Publikum zu kümmern«, meint Bakalarz, »aber dann freuen wir uns schon, wenn einmal Feierabend ist.« Dass Awareness-Arbeit immer öfter auch als solche benannt und durch Bezahlung anerkannt wird, sieht sie als eine notwendige und wichtige Entwicklung für die Wiener Clubszene.
Neben Awareness-Teams sind auch Barpersonal, Securitys oder DJs immer wieder von prekären Arbeitsverhältnissen und -umständen betroffen, auf die sich ein 24-StundenBetrieb zusätzlich negativ auswirken könnte. Über den Horizont der Clubs hinaus, gibt es
noch viele andere Branchen, in denen das ebenfalls der Fall ist. Eine 24-Stunden-Stadt braucht mehr Flexibilität in fast allen Bereichen des alltäglichen Lebens – vom öffentlichen Verkehr bis hin zum Handel, wo die Diskussion über längere Öffnungszeiten regelmäßig aufs Neue aufkommt. Schicht- und Nachtbetrieb ist in einigen dieser Bereiche bereits jetzt der Standard, weswegen Gewerkschaften sich eher für strengere Regelungen einsetzen und eine Ausweitung ablehnen. Auch in der Clubszene setzen immer mehr Arbeitnehmer*innen auf die Macht der Gewerkschaft. Wie sich etwa in der 2021 gegründeten Fachgruppe für DJs, elektronische Musik und Clubkultur in der Teilgewerkschaft Younion zeigt.
Lutz Leichsenrin, Clubkommission Berlin
Im Bezug auf Arbeitsrecht und die mentale sowie körperliche Gesundheit von Publikum und Personal, wirft die Idee der 24-StundenStadt also viele Fragen auf, die noch nach Antworten verlangen. Im Rahmen von Vienna After Dark sollen Ideen entwickelt werden, um diesen Antworten ein Stück näherzukommen. Auf den Entwicklungen der letzten Jahre könne gut aufgebaut werden, so Martina Brunner: »Man merkt, dass der Wille der Stadt da ist, Clubkultur und den damit zusammenhängenden Themen einen größeren Stellenwert zu geben. Ich denke, die Konferenz wird das auf ein neues Level heben.« Luca Niederdorfer
Vienna After Dark, Wiens erste internationale Konferenz für Clubkultur, findet von 14. bis 16. November statt. Informationen zu Programm und Tickets gibt es demnächst unter www viennaafterdark.at.
Offenlegung: The-Gap-Mitherausgeber Thomas Heher ist in seiner Funktion als CoGeschäftsführer der Vienna Club Commission für deren kaufmännische Leitung verantwortlich. Die VCC und The Gap teilen sich Büroräumlichkeiten.
Seit Juli 2023 leitet Anna Horn die Geschicke des Dschungel Wien. Heuer wird das »Theaterhaus für junges Publikum« 20 Jahre alt. Im TheGap Interview spricht sie über die Geschichte der Spielstätte, Pläne für dessen Zukunft und die Bedeutung von Theater für junge Menschen.
Du bist seit einem Jahr die künstlerische Leiterin des Dschungel Wien. Was bedeutet dir persönlich dessen 20-jähriges Jubiläum und wo siehst du seine Zukunft?
anna horn: Aufgrund des Jubiläumsjahres beschäftigen wir uns auch mit den Erfolgen der Vergangenheit. Für mich persönlich erzeugt das tatsächlich einen gewissen Druck, weil mir dadurch bewusst wird, dass ich relativ neu da bin und dass das Haus eine lange, große Tradition hat. Der Dschungel Wien ist ein Koproduktionshaus, das sich die Künstler*innen der freien Szene vor 20 Jahren erstritten haben. Sie haben sich dafür stark gemacht, dass es dieses Haus für junge Menschen gibt – und das feiern wir mit dem aktuellen Jubiläum. Es ist eine große Freude, diese Arbeit fortzuführen; gleichzeitig müssen wir trotzdem frei bleiben und nicht nur rückblickend sagen, wie super das alles war, sondern uns überlegen, was wir damit jetzt machen. Es geht darum, die Erfolge der Vergangenheit zu würdigen, aber auch neue, aktuelle Positionen zu finden. Wo geht es hin? Was interessiert junge Menschen in Wien im Moment? Was ist wichtig? Wofür müssen wir uns stark machen?
Wie nimmst du die Entwicklung des Dschungel Wien seit seiner Gründung wahr? Hat sich aus deiner Sicht etwas besonders verändert?
Viele Punkte, die heute wichtig sind, waren schon von Anfang an wichtig: Einem jungen Publikum die unterschiedlichsten Genres zu zeigen sowie Vielfalt und Diversität auf die Bühne zu bringen – das war immer zentral. Theater für junges Publikum hat oft weniger wirtschaftlichen Druck und kann risikobereiter sein. Wir hatten schon immer mehr Quereinsteiger*innen und Menschen mit den unterschiedlichsten Herkünften, Körpern und Ausbildungen auf der Bühne. In zahlreichen Ensembles wird da ja jetzt stark darum gekämpft. Etwa darum, Menschen dabei zu haben, deren Muttersprache nicht unbedingt Deutsch ist und die trotzdem große Passagen auf der Bühne mit Akzent oder in anderen
Bereits seit den Nullerjahren inszeniert und programmiert Anna Horn Theater für ein junges Publikum.
Sprachen sprechen. Viele Kinder können da leichter connecten und sich wiedererkennen. Davon abgesehen hat es über die Jahre sicher verschiedene Schwerpunkte gegeben. Bei Corinne Eckenstein lag dieser mehr auf Tanz – wie auch, so glaube ich, bei Stefan Rabl. Aktuell sind Autor*innen stärker vertreten. Aber das sind wirklich nur leichte Verschiebungen.
Wie werden die Stücke ausgewählt, die aufgeführt werden? Gibt es besondere Themen, die dir am Herzen liegen? Wir haben im Jahr etwa 50 Produktionen, davon sind drei Eigenproduktionen. Eine ist die Nachwuchsproduktion von Magma, wo junge Autor*innen mit jungen Künstler*innen zusammenkommen und ein Projekt für den Dschungel Wien entwickeln. Eine wird in der Winterzeit gezeigt. Und eine ist etwas flexibler, um abzudecken, was über die anderen Produktionen nicht angeboten wird. Bei den Eigenproduktionen setzen wir selbst die Schwerpunkte. Letztes Jahr – und das wird auch so bleiben – waren es demokratische Prozesse und Themen wie Diskriminierung und Rassismus. In der kommenden Spielzeit zeigen wir zum Beispiel »Rosa Riedel« von Chris-
Geschichten und Perspektiven zeigen können und damit junge Menschen ermächtigen, aus diesen verschiedenen Ansichten eigene Ideen, eigene Ansichten zu entwickeln. Genau das macht mir Spaß: dass man dabei ist und unterstützt, wenn junge Menschen denken, sich entwickeln und überlegen, wo es hingehen soll. Gerade jetzt, da wir vor der Nationalratswahl stehen, sehen wir in vielen Ländern einen starken Rechtsruck. Junge Menschen erleben immer wieder, dass ihre Stimmen nicht gehört werden. Es ist wichtig, dass wir sie empowern, laut zu werden. Da gibt es mitunter Möglichkeiten für Veränderung, wenn junge Menschen rebellieren, ihre Meinungen laut sagen und Beachtung einfordern.
Welche Rolle spielt der Dschungel deiner Meinung nach für die kulturelle – oder, wie du gerade angesprochen hast, auch politische – Bildung von Kindern und Jugendlichen in Wien? Wie siehst du da die Connection mit Schulen?
Schulen und motivierende Lehrkräfte sind für uns extrem wichtig. Viele Kinder und Jugendliche würden sonst nicht ins Theater ge-
»Theater kann Dinge leisten, die im Schulsystem so nicht möglich sind.«
— Anna Horn
tine Nöstlinger, ein Stück über Gerechtigkeit und Zivilcourage für Kinder ab sechs Jahren. Die anderen Produktionen sind Koproduktionen und Kooperationen. Das sind meistens internationale Zusammenarbeiten mit anderen Theaterhäusern, um den Austausch untereinander zu stärken, und Produktionen gemeinsam mit den großen Festivals der Stadt, die auch ein Angebot für Kinder und Jugendliche machen wollen.
Was macht dir am meisten Freude bei deiner Arbeit und woraus ziehst du Energie? Ich glaube, es macht einen Unterschied, wenn Kinder und Jugendliche Theater erleben und selbst machen. Theater kann Dinge leisten, die im Schulsystem so nicht möglich sind. Der Dschungel Wien ist ein spannender Ort, weil wir in dieser Vielfalt von 50 Produktionen im Jahr sehr unterschiedliche
hen. Durch diese engagierten Pädagog*innen kommen sie oft zum ersten Mal ins Theater, erleben es zum ersten Mal für sich. Gleichzeitig bietet das Theater viel Raum für Fantasie, magische Momente und Utopien, in denen man das Denken öffnen kann für Sachen, die jetzt nicht nur bekannte Momente beschreiben, sondern tatsächlich mit Möglichkeiten spielen. Das Schulsystem, so wie es im Moment angelegt ist, kann gewisse strukturelle Ungerechtigkeiten nicht verändern und auch nicht sichtbar machen. Da ist es die Aufgabe von Kunst und Kultur, genau hinzuschauen und daran zu arbeiten, dass alle Kinder und Jugendlichen die gleichen Chancen für einen Start ins Leben haben. Simon Pfeifer
Das Programm für die Spielzeit 2024/25 des Dschungel Wien ist unter www.dschungelwien.at zu finden.
Von Kindern über Jugendliche bis hin zu jungen Erwachsenen will die Junge Volksoper mit ihrem Programm alle jüngeren Altersgruppen ansprechen. Sonntag gibt es vormittags die Familienmatineen, nachmittags familienfreundliche Produktionen. Für Jugendliche und junge Erwachsene gibt es spezielle Empfehlungen aus dem Programm. Für alle Theaterinteressierten zwischen 15 und 25 Jahren zudem das »Newcomer«-Programm, bei dem einmal im Monat gemeinsam eine Vorstellung zum vergünstigten Preis besucht wird – inklusive der Möglichkeit, mit verschiedenen Mitgliedern einer Produktion ins Gespräch zu kommen. Selbst aktiv werden können Interessierte in den zahlreichen Workshops der Jungen Volksoper. Diese sind altersmäßig gestaffelt und beginnen bei Erstkontakten im Alter von vier bis fünf Jahren und enden mit intensiveren Einblicken hinter die Kulissen für junge Erwachsene. Darüber hinaus gibt es auch sogenannte »Rätselvorstellungen«, bei denen mithilfe altersgerechter Fragebögen das genaue Hinschauen auf die Details einer Inszenierung geschult wird. Weiterführende Informationen sind unter www.volksoper.at/jungevolksoper zu finden.
Ab November kommt Theater für junge Menschen in fünf Wiener Außenbezirke: Liesing, Favoriten, Simmering, Donaustadt und Floridsdorf. In Spielstätten wie Volkshochschulen und Ankerzentren soll ein junges Publikum bis 22 Jahre angesprochen und der Zugang zu den darstellenden Künsten erleichtert werden. Nach dem Soft Opening des Projekts »Junge Theater Wien« im November wird die reguläre Spielzeit dann im September 2025 starten. Das Programm soll 30 bis 40 Produktionen pro Saison umfassen und Neuproduktionen sowie Wiederaufnahmen von etablierten Häusern bie ten, beispielsweise vom Dschungel Wien. In einer festivalartigen Struktur werden diese an vier bis acht Spieltagen dreimal pro Saison über die Bühne gehen. Dabei bleibt es nicht nur bei Sprechthea ter: Verschiedenste künstlerische Formen sollen hier Platz finden – von Puppentheater, Zirkus und Opern bis hin zu interdisziplinären Formen und digitaler Kunst. Weiterführende Informationen sind unter www.jungetheaterwien.at zu finden.
Burgtheater machen & verstehen
Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene spricht das Burgtheater in zwei grundlegenden Kate gorien an: »Theater machen« und »Theater verstehen«. Unter Ersteres fallen Theaterworkshops, -labore, -clubs und Community-Produktionen. Die Workshops mit dem Titel »Action« finden immer dienstagabends statt – kostenlos und ohne Anmeldung. Sie sind als erster Einstieg in die Theaterpra xis konzipiert. In den kostenpflichtigen Laboren kann diese Beschäftigung dann unter Anleitung ver schiedener Künstler*innen über länger andauernde Arbeit intensiviert werden. Für Kinder ab neun Jahren gibt es Labore in den Ferien. Für Jugendliche und junge Erwachsene wöchentliche Labore. Auch unter den Theaterclubs des Burgtheaters finden sich speziell auf Jugendliche zugeschnittene Angebote. Neben dieser praktischen Beschäftigung offeriert das Burgtheater – in der zweiten Über kategorie »Theater verstehen« – Führungen, Publikumsgespräche, Werkeinführungen und mehr. Weiterführende Informationen sind unter www.burgtheater.at/theatermachenverstehen zu finden.
Am 7. Dezember eröffnet die Neue Staatsoper, kurz Nest, ihre Spielstätte speziell für junges Publikum im Künstlerhaus am Karlsplatz. Die Staatsoper will hier Platz schaffen für ein umfangreiches Angebot für Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene und Familien. Neben eigenen Produktionen für dieses Zielpublikum gibt es auch die Möglichkeit, an Drop-in-Workshops, Tanz- und Opernlaboren teilzunehmen. Dabei soll sichtbar werden, wie Produktionen entstehen und was sich hinter der Bühne abspielt. Aber auch eigene Improvisation und eigenes Theaterspiel sind möglich. All das in neuen, speziell dafür ausgesuchten Räumlichkeiten. Damit baut die Staatsoper nicht nur das Publikum von morgen auf, sondern wird auch dem selbst gestellten Anspruch gerecht, jeder Generation einen Zugang zu Theater zu ermöglichen.
Weiterführende Informationen sind unter www.nest.at zu finden.
The-Gap-Leser*innen-Workshop: »Gauguin – unexpected«
Paul Gauguin gilt als Wegbereiter der Moderne, heute müssen wir dem Künstler aber auch vor dem Hintergrund eines zeitgemäßen Verständnisses von Exotik, Kolonialismus, Missbrauch Minderjähriger und kultureller Aneignung begegnen. In Kooperation mit Creative Human Rights und dem Kunstforum Wien laden wir zu einem Leser*innen-Workshop in die Ausstellung »Gauguin – unexpected«: »We invite you to immerse and reflect on chosen works by Gauguin through your personal, contemporary lens. In the process, you will learn to reflect on human rights in unusual terms such as accessibility, experience in daily life, and empathy.« In englischer Sprache!
Die Ausstellung »Gauguin – unexpected« ist von 3. Oktober 2024 bis 19. Jänner 2025 im Bank Austria Kunstforum Wien zu sehen. Unser Leser*innenWorkshop findet am 7. November von 17 Uhr bis 18:30 Uhr statt (inklusive Ausstellungsrundgang). Wir verlosen 25 Tickets unter www.thegap.at/gewinnen.
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Renovierungen braucht es am Theater vor allem im strukturellen Bereich hinter der Bühne.
Glanz und Glamour auf der Bühne, harte Arbeit und oftmals wenig Anerkennung dahinter. Junge Assistent*innen und Hospitant*innen am Theater kämpfen mit prekären Arbeitsbedingungen, Machtgefällen und Überforderung. Ein Blick hinter die Kulissen zeigt, dass dringender Reformbedarf besteht. ———— »In die Küche geschickt werden, Kaffee kochen und angemotzt werden, wenn man mit der vollen Kanne wieder reinkommt. Anderen den Dreck hinterherwischen und gerügt werden, weil der Staubsauger zu laut ist.« So beschreibt Hannah Helbig, Gewinnerin des Publikumspreises des Festivals Körber Studio Junge Regie 2024, in ihrer Performance »›Strukturen und Menschen‹ – Tagebuch einer Hospitantin 2.0« den Alltag als Regiehospitantin im deutschen Theaterkosmos.
Doch wie geht es an den Theatern in Wien zu? Wie steht es um die Arbeitsbedingungen, Aufgaben und den Alltag junger
Assistent*innen, Hospitant*innen und Co? The Gap wirft dafür einen Blick hinter die Kulissen und altehrwürdigen Mauern der Spielstätten. Manche der Gesprächspartner*innen möchten anonym bleiben, weil sie Probleme mit ihren Arbeitgeber*innen und für ihre Zukunft in der Theaterbranche vermeiden wollen. Denn auch wenn die Theaterwelt glamourös und glitzernd wirkt, so kann die Arbeitsrealität in einer oftmals streng hierarchisch geprägten Struktur doch ganz anders aussehen.
Viel Arbeit, wenig Anerkennung
Die heute 23-jährige Johanna war mit dieser harten Realität an einer traditionsreichen Wiener Bühne konfrontiert. Schon immer theateraffin, erzählt ihr eine Studienkollegin von einer offenen Stelle als Regiehospitant*in. Ausgeschrieben sind solche Stellen selten, Vitamin B ist, wie so oft in Österreich, das Stichwort. Bereits im ersten Telefonat mit
»Man sollte letzten Endes wirklich nur das machen, wofür man auch bezahlt wird.« — Jakob
»Alle wurden zu irgendeinem Zeitpunkt einmal angeschrien. Irgendwann war ich nervlich am Ende.« — Katharina
dem zuständigen Assistenten ist klar, was die Stelle mit sich bringen kann: »Viel Arbeit und wenig Anerkennung«, erinnert sich Johanna an das Gespräch. Diese Aussage bestätigt sich schnell. Zusammen mit dem Regieassistenten ist sie beispielsweise die einzige Person mit einem Schlüssel zum Proberaum. Wenn sich ihr Vorgesetzter verspätet, ist sie zuständig dafür, dass der Raum offen, versperrt oder gelüftet ist. Dafür muss sie viel erreichbar sein, was ihre Freizeitgestaltung deutlich einschränkt. Hinzu kommen zahlreiche weitere Aufgaben, die Johanna als eine »immense Anhäufung von kleinen Tätigkeiten« beschreibt.
Viel Arbeit, wenig Geld und dazu ganz unten in der Theaterhierarchie. Entlohnungen für Hospitant*innen, die in der Regel Vollzeit am Haus tätig sind, werden oftmals als »Taschengeld« bezeichnet. »Das waren um die 400 Euro«, berichtet Katharina (Name von der Redaktion geändert). Sie erzählt von ihrer Hospitanz in der Kostümabteilung eines großen Wiener Theaterhauses. In dieser Zeit lebt die junge Wienerin überwiegend von bereits im Vorfeld angespartem Geld. Denn ein zusätzliches Einkommen ist für die Hospitantin aus Zeitgründen nicht möglich und die 400 Euro reichen ohne finanzielle Unterstützung der Eltern nicht einmal für die Miete. »Ich habe hart gespart, damit ich quasi umsonst arbeiten kann«, meint sie kopfschüttelnd.
Katharinas Aufgabenbereiche sind umfangreich: Beschaffung von Kostümen und Materialien, Transport der Kostüme, Fotografie, Wäsche, Reparatur, aber auch Probenbeobachtung und Dokumentation. Oftmals sind es mehr als 40 Stunden in der Woche, die sie am Theater verbringt. Und ein Bestehen auf festgelegte Arbeitszeiten? »Man kann die Leute ja schlecht im Stich lassen«, so Katharina. Nach und nach wachsen ihre Anspannung und ihre Frustration. »Alle wurden zu irgendeinem Zeitpunkt einmal angeschrien.« Sie erzählt von einer Regisseurin und insbesondere einem Schauspieler. Der ältere Mann brüllte die junge Kostümhospitantin regelmäßig an – etwa wegen eines Knopfes, der ihm am Kragen geplatzt war. »Irgendwann war ich nervlich am Ende«, berichtet Katharina. Besagtem Theaterhaus kehrt sie nach Ende der Produktion den Rücken – auch aufgrund des prekären Arbeitsverhältnisses. Nach weiteren Tätigkeiten im Kostümbereich arbeitet Katharina nun seit mehreren Jahren in einem Bürojob. Zurück hinter die Bühne möchte sie nicht. Jakob hingegen hat den Traum von der großen Bühne nicht aufgegeben. Der 22-jährige Wiener studiert Regie am Max Reinhardt
Seminar und konnte bereits einige Erfahrungen unter anderem als Regieassistent sammeln. Von Anfang an hat er am Theater das Gefühl, er sei mitunter von Menschen umgeben, die die Kunst auch als »Ausgleich für persönliche Probleme sehen«. Er erzählt von einer festgelegten »Hackordnung«, in der etwa Regisseur*innen Wut und Anspannungen an den ihnen untergeordneten Assistent*innen auslassen. »Und das einzige Ventil, das den Assistent*innen dann bleibt, ist meistens die Hospitanz«, so seine Einschätzung des seit Langem bestehenden Systems hinter den Theaterkulissen. Denn obwohl höhergestellt als Hospitant*innen, ist auch der Job als Regieassistent*in alles andere als ein Zuckerschlecken. Das bestätigen Jakob und auch andere Personen, mit denen The Gap über ihre Arbeitserfahrungen gesprochen hat.
Es braucht Veränderung
Von seiner Arbeit an einem Wiener Theaterhaus ist Jakob zeitweise überfordert. Er gilt schnell als zentrale Schnittstelle zwischen einzelnen Abteilungen, ist dem Regisseur untergeben und erfährt viel Druck von allen Seiten. »Es kam dann oft zu der Situation, dass ich am Abend vielleicht mal mit jemandem was trinken war und plötzlich meldete sich um 22 Uhr die Dramaturgie und wollte was von mir.« Fixe Arbeitszeiten gebe es für die Assistent*innen trotz vertraglich festgelegtem Stundenkontingent nicht. Es werde erwartet, dass sie in den Hochphasen allzeit zur Verfügung stünden und stets bei der Sache seien. »Die Leute machen dann oft unglaublich viele Überstunden, von denen die meisten auch nicht bezahlt sind«, erinnert sich Jakob. Alles für die Produktion. Das Privatleben wird hintangestellt.
Ein Thema, das Jakob nicht unangesprochen lassen möchte, ist teils missbräuchliches Verhalten, das er als Assistent auch am eigenen Leib von Regisseur*innen erfahren musste. Eine Erfahrung, die seiner Einschätzung nach viele junge Leute anfangs am Theater machen, sei es, nach und nach fertiggemacht zu werden und jegliche Fähigkeiten abgesprochen zu bekommen. So verabschiedete sich ein Regisseur etwa nach einem langen Probentag von jeder Person im Team, außer von dem ihm direkt untergeordneten Assistenten. Man fühle sich isoliert, hilflos, ausgegrenzt. »Es gab eine Zeit, in der meine Gedanken waren, ob es nicht leichter wäre, sich umzubringen«, blickt Jakob heute auf seine teils niederschmetternde Zeit am Theater zurück. Was viele Assistent*innen und Hospitant*innen eint, ist das Kennenlernen und Definieren der eigenen Grenzen. Jakob, Katharina und Johanna – sie alle wuchsen
mit der Zeit daran. Heute steuert Jakob auf eine Karriere als Theaterregisseur zu. Seine negativen Erfahrungen haben ihn nicht von seinen Plänen abbringen können. Jenen, die im Theater Fuß fassen möchten, rät er, »nicht alles mit sich machen zu lassen. Man sollte letzten Endes wirklich nur das machen, wofür man auch bezahlt wird.«
Trotz aller Rückschläge, Stress und einer oft viel zu großen Belastung geht eines den meisten nicht verloren: die Leidenschaft fürs Theater, die Leidenschaft für die Kunst, die Leidenschaft für die Bühne. Das Arbeiten mit immer unterschiedlichen und oftmals interessanten und bekannten Personen kann eine große Bereicherung darstellen. Viele der Gesprächspartner*innen blicken positiv in die Zukunft und freuen sich auf neue Herausforderungen und Facetten, die die bunte Theaterwelt für sie noch zu bieten hat. Eine Welt, die am besten im Team funktioniert und in der ein Miteinander essenziell für ein gutes Endprodukt ist.
Die festgefahrenen Machtstrukturen und Verhältnisse müssen sich jedoch ändern, um Überforderung und Unrecht hinter den Kulissen entgegenzutreten. Zu Recht fordern Assistent *innen und Hospitant*innen faire Entlohnung, feste Arbeitszeiten und insbesondere mehr Wertschätzung. Allen unseren Gesprächspartner*innen ist der Abbau der strengen Hierarchien wichtig, die nach wie vor an vielen Spielstätten herrschen. Denn es sollte ja eigentlich nie darum gehen, wer wie viel Macht hat, »sondern darum, dass die Aufgaben unterschiedlich verteilt sind«, so Jakob. Von einer Theaterwelt, die frei von patriarchalen Strukturen und Machtgefällen ist, sind wir also auch in Österreich noch weit entfernt. Umso wichtiger ist es, denen zuzuhören, die oftmals ungesehen immens viel dazu beitragen, dass uns dieser verrückte Kosmos der Kultur auch in Zukunft noch lange erhalten bleibt. Martin Zimmermann
Die Arbeiterkammer bietet Informationen und Beratungen zu Arbeitsrecht an. In Krisenzeiten steht die Telefonseelsorge unter der Notrufnummer 142 rund um die Uhr unterstützend zur Seite.
Hinweis: Die vollständigen beziehungsweise richtigen Namen unserer Gesprächspartner*innen sind der Redaktion bekannt. Wie auch die konkreten Theaterhäuser, in denen sie ihre negativen Erfahrungen gemacht haben. Da wir die Situation als systemisches Problem der Theaterbranche verstehen, haben wir darauf verzichtet, einzelne Häuser zu nennen.
SIEBENSTERNGASSE 42 | 1070 WIEN | WWW.KOSMOSTHEATER.AT
Seit seinen Anfängen befindet sich Theater stets an der Grenze zwischen Unterhaltung und gesellschaftlicher Auseinandersetzung. Immer wieder wurden dort tagespolitische Themen der Zeit aufgegriffen und öffentlich verhandelt. Gleichzeitig bietet die Bühne aber auch die Möglichkeit, einen Freiraum abseits der alltäglichen Probleme und Diskurse zu schaffen. Welche Rolle soll Theater in der heutigen Gesellschaft einnehmen? Wie sehr muss sich Theater in politische Diskurse einmischen? Wen und was kann Theater bewegen? Darf Theater auch pure Unterhaltung sein?
Milo Rau
Intendant Wiener Festwochen
Theater mit Kante ———— Meine Stücke werden regelmäßig gerichtlich oder per Kampagne verfolgt – und das in Ländern wie der Schweiz, Deutschland, Taiwan, den USA, Brasilien, Russland oder Belgien. Die Argumente sind immer politisch, nämlich die Gesellschaft betreffend: Die Gefühle dieser oder jener Bevölkerungsanteile würden verletzt – wobei diese weder involviert oder auch nur informiert werden. In Paris etwa lancierte ein rechts-katholischer Minister eine Petition gegen eine meiner Aufführungen, ein poetisches Kinderstück zum Thema Missbrauch. 10.000 »beunruhigte Katholik*innen« unterschrieben den Brief, der in einigen Medien erschien. Am Abend der Premiere gab es einen Aufmarsch vor dem Theater, es wurden Farbbeutel geschmissen, das Publikum kam kaum in den Saal. Die Aufführung entkräftete jedoch alle Vorwürfe – die Poesie, der Humor, die Freiheit der Kinderdarsteller*innen. Ähnlich erging es den Putin-treuen Kosaken, die meine Aufführung der »Moskauer Prozesse« in Moskau stürmten. Sie wollten uns verprügeln, setzten sich dann aber verwirrt in die Zuschauer*innenreihen, als sie auf der Bühne orthodoxe Priester und ihren Lieblings-TV-Moderator mit Dissident*innen debattieren sahen.
Was ich damit sagen will: Theater »muss« nicht politisch sein, politisch ist es sowieso.
Manchmal – wie aktuell in der Slowakei, wo der Leiter des Nationaltheaters entlassen wurde – muss Kunst zur Waffe werden, die die eigene Freiheit verteidigt. Der Appell des Ensembles der »Burgtheater«-Produktion, der sich gegen das nationalistische, kunstfeindliche Wahlprogramm der FPÖ richtet, ist ein zivilgesellschaftlicher Hilfeschrei. Denn die Kunst muss frei, sprich komplex bleiben – divers und unangenehm, strahlend und verwirrend wie die Wirklichkeit selbst. Blasmusik und queere Performances, Tschechow und Florentina Holzingers Nacktperformances, das alles ist Theater. Denn Theater hat, wie alle Kunst, nie eine klare »Aussage«, es ist immer vieldeutig. Das politische Theater, das ich meine, zeigt klare Kante – und zwar gerade indem es sich zwischen alle Fronten begibt und grundlegende Fragen zu unserem Zusammenleben, unseren Glaubenssätzen, zur Darstellung der Welt stellt. Es ist ein Statement, im heutigen Moskau zu inszenieren – ein anderes ist es, das in Israel, Italien, Brasilien oder Österreich zu tun. Es ist zutiefst politisch, als Mensch auf eine Bühne zu treten. Denn es gibt immer eine politische oder gesellschaftliche Situation, auf die man reagiert, allein schon durch die Zuschauer*innen, die ihre eigenen Ansichten, Hoffnungen, Traumata auf die Darsteller*innen projizieren. Ich erinnere mich an eine Podiumsdiskussion vor einigen Jahren: Ich kritisierte das öde europäische Klassikerkaraoke, das ewige, kunstgewerblich aktualisierte Abspielen des immer gleichen Kanons. Eine Künstlerin aus dem Iran unterbrach mich und sagte: »Tschechow in Teheran zu spielen, ist eine Revolution, es bedeutet Freiheit! Nichts gegen Tschechow, bitte!« Und sie hatte recht.
Milo Rau ist Regisseur, Autor und Dozent. Seit 1. Juli 2023 leitet er die Wiener Festwochen als Intendant.
Veronika Steinböck
Künstlerische
Leitung Kosmos Theater
Keine Unterscheidung in E und U ———— »Man muss keine politischen Filme machen, sondern Filme politisch machen«, zitiere ich gern den Kinopionier Jean-Luc Godard und übertrage das auf das Theater.
Politisch Theater zu machen, beginnt bereits bei der innerbetrieblichen Struktur. Wie schaffen wir für Künstler*innen und Mitarbeiter*innen ein Arbeitsklima, das von Fairness getragen wird? Wie gestalten wir ein diskriminierungsfreies und wertschätzendes Umfeld? Wem wird die Bühne gegeben, um zu sprechen? Welche Sprache benutzen wir? Was ist das für ein Ort, der nicht nur durch seine Inhalte, sondern auch durch seine Umgangsformen, seinen Blick auf die Welt und durch seine Haltung zur Welt politisch wird?
Diese Fragen – und noch viele mehr – sind für mich das Fundament eines zeitgemäßen Theaters, dessen Türen ich weit öffnen will für ein Publikum, das sich versammelt, um gemeinsam Kunst zu erleben, um sich anregen oder irritieren zu lassen, um zu lachen oder weinen, um sich als Teil der Gesellschaft über diese selbst zu verständigen.
Theater ist Kunst und »muss« gar nichts sein. Es darf poetisch sein, versponnen und verspielt, es darf sich auch konkret dem Alltag zuwenden. Es darf sich einmischen in das Leben, in die Politik – nicht als Wiedergabe oder Verdoppelung tagespolitischer Diskursmotive, sondern als Unterbrechung des Politischen. Es darf hinterfragen, aufmerksam machen und Utopien in den Raum stellen. Theater ist immer heute und hat stets Bezug zu seiner Gegenwart. Die unmittelbar wahrgenommene ästhetische Handlung ist das Alleinstellungsmerkmal des Theaters, nicht die politische.
Einer Unterscheidung in E und U – wie dem Versuch, Musik in ernste und Unterhaltungsmusik zu klassifizieren – verwehre ich mich. Ohne E ist U flach und ohne U ist E fad. Wie Kunst wahrgenommen wird, lässt sich nicht bestimmen. Ob ich Wein lieber als schweren, teuren Rotwein oder als leichten Sommerspritzer genieße, ist genauso individuell, wie, ob ich an einem Abend das Bedürfnis habe, mich heraus- und überfordern zu lassen, oder an einem anderen Abend Sehnsucht nach Ablenkung. Beides ein legitimes Bedürfnis, im besten Fall gelingt an einem Theaterabend sogar beides gemeinsam.
Veronika Steinböck ist Schauspielerin, Regisseurin, Kuratorin. Seit 2018 ist sie künstlerische Leiterin des Kosmos Theaters.
Theresa Eisele Theaterwissenschaftlerin
Politiken des Theaterapparats ———— Theater – nicht nur als bürgerliches Kunstinstitut verstanden, sondern als soziale und kulturelle Praxis – lässt sich zunächst nicht vorschreiben, ob es Politik muss oder Unterhaltung darf. Es begegnet uns als eigenmächtige Situation, spontane Szene oder Versammlung. Theater ist da, wo etwas oder jemand aus den schnöden Alltagsroutinen heraustritt, etwas zur Schau stellt, verwandelt oder zeigt. Das kann Spaß machen, überraschend, sogar transformativ und vor allem politisch sein: Die postkoloniale Sapeur-Bewegung oder die Letzte Generation sind Beispiele dafür.
Abseits politischer Inhalte, die mit Theater verhandelt werden, interessiere ich mich besonders für die Politik des Phänomens und Apparats selbst: Wer blickt auf wen? Wer spricht, singt, tanzt – für wen und in welchem Setting? Kostet das Eintritt? Wie viel? Denn jeder Aufführung gehen Entscheidungen voraus, die explizit getroffen oder stillschweigend vollzogen werden. Hierin liegt der immanent politische Gehalt von Theater, der sich bis in die Aufführung hinein fortsetzt: Stimme ich zu? Bringe ich mich ein?
Umgekehrt ist das Verhältnis von Politik zu Theater ambivalent: Platon sieht in der Theatrokratie die Herrschaft einer anarchischen Masse verwirklicht, der er keine politische Vernunft zugesteht. Die Sozialutopien der Renaissance beschäftigen sich mit der Frage, ob ein Staat ohne Theater zu machen sei –unter uns: Wie fad wäre das? Hingegen ist das deutschsprachige Stadt- und Staatstheatersystem der Idee verpflichtet, mit Theater einen Staat bzw. wenigstens Staatsbürger*innen zu machen, diese nämlich zu politischer Urteilskraft zu befähigen. Politische Kritik legitimiert hier also die Institution, wenngleich die impliziten Politiken der bürgerlichen Institution selbst oft ausgeblendet sind.
Und so wird’s nun doch noch normativ: Müssen sich Menschen und Institutionen, die Inszenierungen verantworten, diesen impliziten und expliziten Politiken und den – gerade aktuell wieder patriarchalen – Machtverhältnissen von Theater stellen? Ja, unbedingt!
Theresa Eisele ist Theaterwissenschaftlerin an der Universität Wien. Mit einem kulturwissenschaftlichen Schwerpunkt beforscht sie auch theatrale Phänomene abseits eines bürgerlichen Theaterbegriffs.
Simon Meusburger
Direktor Schubert Theater
Die Bühne als neutraler Raum ———— Theater darf und muss alles sein! Wenn wir davon ausgehen, dass Theater der Ursprung aller Künste ist, wie es Darstellungen von steinzeitlichen Höhlenmalereien vermuten lassen, stellt sich aus meiner Sicht die Frage gar nicht, wie politisch Theater sein darf. Theater setzt sich immer mit gesellschaftsrelevanten Themen auseinander. Ob Boulevardstück, klassisches Sprechtheater oder performative Experimentalformen – sie alle sind von sich aus politisch, indem sie Themen des Menschseins behandeln. Wie tief und in welcher Form sich Theater mit Politik auseinandersetzt, bestimmen wir selbst. Das Publikum genauso, wie die Akteur*innen und alle Beteiligten. Ob tagespolitische Themen oder abstrakte jahrhundertealte Thematiken – welche Denkanstöße Theater für welches Publikum verhandeln soll, bleibt in der Verantwortung der Macher*innen. Die Grenze zwischen politischem Diskurs und einem unterhaltsamen Theaterabend kann dabei sehr verschwommen sein. Aus der Perspektive des Figurentheaters hat der politische Aspekt eine spezielle Geschichte. Eine Puppe hat in ihrer Abstraktion schon eine eigene Kommentarebene. Eine Puppe kann, muss aber nicht, wunderbare politische Kommentare abgeben, dabei unterhaltsam sein und getrennt von den eigentlichen Spieler*innen fast neutral und doch subjektiv frei nach Schnauze sprechen. Ganz in der Tradition von ursprünglichen Kasperltheateraufführungen, die auf äußerst direkte Art und Weise Kritik an der jeweiligen politischen Elite aus der Sicht des gemeinen Volkes artikulieren durften.
Soll Theater also gar Politik machen? Ich glaube nicht. Auch wenn manche Theaterperformances damit spielen, echte politische Entscheidungen zu verhandeln, liegt die tatsächliche Verantwortung natürlich in der Politik. Wir machen im Theater keine Gesetze, und das ist gut so. Die Bühne soll ein neutraler Raum für alle bleiben und darf auch mal gänzlich unpolitisch, absurd und völlig frei von rationalem Denken sein. Das ist gerade die Stärke des Theaters, aus seiner mystischen, sakralen Tradition ganz andere Zusammenhänge und Denkweisen aufzutun, eben diese Magie mit dem Rationalen zu verbinden und damit immer wieder etwas ganz Neues hervorzubringen. Etwas, das die Politik nicht kann – und das damit wiederum gesellschaftlich hoch relevant und eben politisch ist. Selbst wenn Theater nicht immer politisch sein will.
Regisseur Simon Meusburger ist seit 2007 Direktor des Schubert Theaters in Wien.
Abenddienst und Security
Wenn die meisten in den Feierabend gehen, fängt die Arbeit für Mario Zamar erst so richtig an. Der Inhaber der Firma Safe Solutions sorgt nämlich dafür, dass bei den diversen Events am Feierabend alles glatt läuft, wie zum Beispiel an diesem Tag beim Konzert von Dota: »Heute ist meine Rolle Abenddienst für das WUK. Da bin ich in Vertretung der Geschäftsleitung hier, führe die Veranstaltung und bin auch Ansprechpartner für Blaulichtorganisationen, Magistrat und so weiter. Ich arbeite aber genauso am Einlass, mache Zutrittskontrolle, scanne Tickets oder löse Kolleg*innen ab, die auf die Toilette müssen oder eine Rauchpause einlegen.« Safe Solutions stellt nicht nur die Haussecurity für das WUK, sondern hat hier auch seinen Firmensitz. Zudem betreut das Unternehmen eine Reihe weiterer Venues sowie den Kultursommer der Stadt Wien. Folglich schwillt das Team in der heißen Jahreszeit auf satte 120 Leute an. In den schwächeren Monaten bleiben es jedoch um die 50. Zamar sei es wichtig, möglichst viele Leute durchgehend zu beschäftigen, um die Qualität zu sichern: »Das funktioniert nur mit einer vernünftigen Bezahlung und einer fixen Anstellung.« Wünschen würde er sich mehr Wertschätzung für den Beruf: »Securitys rücken meistens erst ins Rampenlicht, wenn etwas Schlimmes passiert. Im Normalfall stehen wir im Hintergrund und werden eher als Störfaktor wahrgenommen. Dieses Bild muss sich ändern.«
»Wenn du in Wien eine größere Veranstaltung durchführst, dann musst du auch garantieren, einen angemessenen Sanitätsdienst bereitzustellen«, erklärt Astrid Hafner. Die Notfallsanitäterin ist seit fünf Jahren im Rettungsdienst tätig und arbeitet aktuell 15 Stunden in der Woche für den Ambulanzdienst des Roten Kreuzes. Dort stellt sie ebenjene angemessene Versorgung sicher – angefangen bei vergleichsweise kleineren Einsätzen, wie hier zu zweit bei der Vienna Fashion Week, bis hin zu Großaufgeboten bei Festivals und Stadionshows. »Ein Kollege von mir wäre im persönlichen Betreuungsteam von Taylor Swift gewesen«, erzählt Hafner mit einem wehmütigen Schmunzeln. Die Intensität ihrer Arbeit sei stark unterschiedlich. Manchmal bedeute das, viel zu warten, und dann gehe es wieder Schlag auf Schlag. Ursprünglich habe Hafner Spanisch und Russisch studiert: »Vokabel, Vokabel, Vokabel. Der Sanitätsberuf klang da interessant: medizinischer Bezug, Kontakt mit Menschen. Ein komplett neuer Bereich für mich. Ich habe keine Ärzt*innen in der Familie.« Mittlerweile studiert Hafner im zweiten Jahr Medizin. Aber sie betont, wie wichtig es ist, dass alle Menschen eine gewisse Ahnung haben, was im Notfall zu tun ist: »Man merkt als Sanitäter*in, wie wichtig es ist, dass gute Ersthelfer*innen vor Ort sind. Es wäre super, wenn die Leute einen Erste-Hilfe-Kurs machen. Wenn sie das Wissen frisch halten.«
Florentina Holzinger als ehemalige Kampfsportlerin Sarah, die im Nahen Osten drei Schwestern aus einer reichen Familie trainieren soll – doch die Situation vor Ort wirft einige Fragen auf. Regisseurin Kurdwin Ayub: »Es geht um Schwestern, egal woher sie kommen, und um Käfige, egal wo sie stehen. Käfige, die man verlassen möchte, und solche, in die man sich zurückwünscht.«
Wir verlosen 7 � 2 Tickets für die Sondervorstellung von »Mond« präsentiert von The Gap – inklusive anschließendem Regiegespräch mit Kurdwin Ayub.
Gewinnspielteilnahme bis 11. November 2024 unter www.thegap.at / gewinnen möglich.
1 Spibelt Original
Ob auf Reisen oder beim Sport: Mit den praktischen Laufgürteln und Hüfttaschen von Spibelt trägst du deine Essentials direkt am Körper. Dank des elastischen Materials bleiben Smartphone, Schlüssel, Ausweis und Geld an ihrem Platz, ohne nervig hin- und herzurutschen. Das Basismodell Spibelt Original gibt’s – ab 24,90 Euro – in zahlreichen Farbvarianten. Wir verlosen drei Exemplare.
2 »Branntweiner, Blue Box und Bermuda Dreieck«
»Unterwegs im Wien der 80er und 90er«, als Lokale wie die Blue Box, das U4 und das Chelsea etwas Farbe ins graue Wien brachten, ist Milena-Verlagsleiterin Vanessa Wieser mit diesem von ihr herausgegebenen Sammelband. In Erinnerungen schwelgen: Katja Gasser, Walter Gröbchen, Amina Handke, Christopher Just, Herbert Molin, Hans Platzgumer und viele mehr. Wir verlosen drei Exemplare.
3 Wolfgang Kos »Das Radio«
In diesem Band aus der Reihe »Dinge des Lebens« erzählt Wolfgang Kos von der Erfolgsgeschichte des Massenmediums Radio. Und zwar nicht nur aus der Perspektive des Kulturhistorikers, sondern auch als etablierter Radiogestalter und begeisterter Radiohörer, den – wie so viele andere – das »Ätherwellenfieber« erfasst hat. Mit Illustrationen von Hanna Zeckau. Wir verlosen drei Exemplare.
4 »1000 Things Erlebnisbücher«
In Kooperation mit
Teilnahmebedingungen: Die Gewinnspielteilnahme kann ausschließlich unter der angegebenen Adresse erfolgen. Die Gewinner*innen werden bis 12. November 2024 per E-Mail verständigt. Eine Ablöse des Gewinns in bar ist nicht möglich. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Mitarbeiter*innen des Verlags sind nicht teilnahmeberechtigt.
Wer sich über Freizeitaktivitäten in Wien (oder ganz Österreich) informiert, stößt früher oder später auf 1000 Things. Am 22. Oktober ergänzen zwei neue »Erlebnisbücher« das Angebot des Medienhauses: »Ausflüge rund um Wien 2025« und »Kulinarik in Wien 2025«. Klassiker wie Geheimtipps kompakt zusammengefasst und mit Gutscheinen aufgefettet. Wir verlosen ein Buchdoppelpack.
5 »Daydreams«
Im Original heißt Rachel Lamberts neuester Film »Sometimes I Think about Dying«, was die Schwere seiner Themen eher widerspiegelt als der »deutschsprachige« Titel. In der Hauptrolle: Daisy Ridley (»Star Wars«) als schüchterne Frau, die sich schwertut, die selbst gewählte Isolation zu überwinden und sich der Liebe zu öffnen. Wir verlosen zwei DVDs und zwei Blu-Rays.
The Other Sound of Music — Edition Hawara
Folgende Situation: Du fragst in Salzburg amerikanische Tourischwaden, ob sie den Film »The Sound of Music« geschaut haben. Zu 100 Prozent, sag ich dir, werden’s alle nicken – also zumindest, wenn du sie auf Englisch fragst. Stellst du den Ortsansässigen die gleiche Frage, verjaukt dich die vom Overtourism entnervte Lodendekadenz. Fragst du irgendwo in Österreich die Leute, ob sie den Falco, den Fendrich oder andere der großen heimischen Stars der 80er-Jahre kennen, wirst du sicher mehr Zeitzeug*innen finden, als wenn du nach Crumb, Appendix (im musikalischen Kontext) oder M-Convention fragst. Da findest du vielleicht ein, zwei Discogs-Nerds mit fettem Geldbörserl und/oder fiesen Abzockmaschen. Wie diese beiden Fragestellungen zusammengehören?
Die sehr, sehr feine Wiener Partie Edition Hawara, das Special-Interest-Label für genau dafür, veröffentlicht unter »The Other Sound of Music« ziemliche exquisite heimische Nuggets aus den 80ern. Wie so oft in diesen Fällen liebevoll zusammengetragen von Flohmärkten und aus modrigen Kellerlöchern. Aber man hört nicht, wie so oft in diesen Fällen, räudigen Garagenpunk oder experimentellen Wave, sondern hochgradig wunderbare Tanzmusik: Late Disco, Soul, Proto-House, manche würden auch Tropical oder gar Exotica sagen. Wie du es auch immer katalogisieren willst, die acht Stücke sind gleichsam Floorfiller für besonders sophisticated Boom Booms und Tracks für ganz entschleunigte Fahrten übers Land – oft beide Gefühlswelten in einem Song. Die Klanglandschaft ist trotz der vielen Artists überraschend homogen, was der Compilation eher den Anstrich eines Albums gibt. Und das ist so ziemlich das Beste, was einem Werk wie diesem passieren kann. Die Ausnahme stellt »Die Reise« von Appendix dar. Die B-Seite der einzigen Single dieser Wiener Band schielt nämlich doch etwas in Richtung NDW, aber mit ordentlich Funk. Wem die Promis fehlen, aufgemerkt: Neben Kottans Kapelle und Christian Kolonovits hört man etwa auch die US-Sängerin Linda Sharrock (als Teil von She and the Band). Aber ganz ehrlich: Wenn du nach Promis suchst, ist dieser Sampler nichts für dich. Ganz sicher jedoch für all die anderen. Auch die in Salzburg.
(VÖ: 15. November) Dominik Oswald
Edwin meldet sich mit seinem neuen Album »Garten Österreich« zurück aus dem Off. In diesem Garten sprießt definitiv die Blume aus dem Gemeindebau, denn auf der neuen Platte verbindet er gekonnt Austropop mit HipHop-G’schichten. Im Wiener Dialekt führt er uns durch die 13 Tracks und hält dabei die Essenz der österreichischen Existenz passend fest: vom Wiener Grant über das Leben im Kleingartenverein bis hin zum »Rütteln am Watschenbaum«.
So vielfältig wie Wien ist auch Edwins Sound auf dem neuen Album. Von kuscheligen Liebesballaden und frechen Austropop-Bangern, über rockige Gitarrennummern bis hin zu funkigen Beats vermischt sich hier alles zu einer Soundmelange, die Gusto auf mehr macht. Auch an Featuregästen wurde nicht gespart: Bei »Sommer 99« greifen Edwin die Rap-Legenden Kreiml & Samurai unter die Arme, erzählen von besseren Zeiten in Wien und versetzen uns in 90er-Jahre-Nostalgie. Sängerin Ængl singt auf der Platte zum ersten Mal auf Deutsch. Gitarrist und Sänger Ignaz Tschinön bringt funkige Vibes mit. Instrumental untermalt wird das Ganze von Diskojürgen und Tom Gnsr, die dem Album seinen speziellen Groove verleihen.
Edwin zeigt einmal mehr, wie gut Pop und Rap zusammenpassen. Das Album begeistert durchgehend mit ausgefeilten Melodien, die definitiv im Ohr bleiben. Für Melancholie ist dabei kein Platz – selbst bei Liebesliedern wie »Heute Nacht« oder »Perle«. Stattdessen gestaltet sich »Garten Österreich« als Upbeat-Album mit chilligen Vibes, die uns selbst im Herbst noch mal in Sommerlaune versetzen und Lust auf eine Citybike-Rundfahrt auf der Donauinsel machen.
Doch das Album ist viel mehr als eine Sammlung von Wohlfühlvibes. Es ist wie eine musikalische Map, die uns durch unterschiedliche Grätzl führt. Entlang der U1, dann zur Westbahnstraße, anschließend in die brennende Spittelau und schließlich ins Gartenbaukino. Es ist eine Liebeserklärung an Wien – mit all seinen Ecken und Kanten, Horváths und Mundls, Trottln und Strizzis.
(VÖ: 8. November) Mira Schneidereit
Live: 7. November, Wien, Schutzhaus
Musik, wie gemacht, um manche Eltern zu ärgern. Der unentschlossene Taumel zwischen Euphorie und Melancholie ist ein Vorrecht der Jungen und Junggebliebenen. Kenji Araki and Ybsole sind gemeinsam Enns und zelebrieren die Stärken ihrer Solotätigkeit, gehen zusammen aber auch für sie bislang eher unbeschrittene Wege. Schlagworte, um sich anzunähern, sind Post-2010s-Internet-Pop, Postpunk-Anspielungen und die experimentellen Clubsounds, für die sie bisher bekannt waren. Das Ergebnis ignoriert beinahe schon klischeehaft alle Ideen von Genres. Dass Nineties-Gitarren keine Tabu sind, hat Kenji Araki schon auf seinem Debütalbum »Leidenzwang« gezeigt, hier stehen sie streckenweise im Zentrum. Stimmungsmäßig geht es höchst emotional und offen zu, die Texte treffen situativ mit großer Klarheit und sind anschlussfähig, gerade weil sie nicht groß versuchen, Erklärungen und Zusammenhänge abzuliefern. Die von Trap und Cloudrap zelebrierten, oft verhuschten Melodien, Sounds und Satzteile vermischen sich mit gerade wieder im Aufwind befindlichen Punkansätzen sowie Clubsounds. Das lässt an Montell Fish und vielleicht auch an King Krule denken.
Was »Everyone’s Trying so Hard, It Breaks My Heart« auszeichnet ist die Meisterschaft, mit der das hier gelingt. Spontan Entstandenes und Ausgefeiltes vermengen sich und zeugen von großem Können – Dringlichkeit, Wissen und auch Handwerk finden zusammen. Im Umfeld von Affine, Kodomo Kuni und auch Ashida Park entsteht hier in Wien Musik, die komplett international ist – nicht nur weil das Englisch sitzt – und ganz groß sagt: Jetzt! Mit Vorhandenem wird gespielt, es gibt keinen Respekt vor Erwartungen, Zuordnungen oder gar (Genre-)Regeln. Wer derlei noch braucht, wird hier vielleicht nicht glücklich, ist vielleicht abgestoßen vom unsauberen, dabei so bewusst gewählten Klangbild und dem Stimmeinsatz. Dabei ist das, was hier gerade und immer wieder passiert, spannend, reichhaltig, technisch versiert und wunderbar emotional. Das funktioniert nicht nur für junge Menschen.
(VÖ: 8. November) Martin Mühl
Live: 8. November, Wien, B72
Sich einfach an einen hübschen und glücklichen Ort beamen? Im Song »100 Times« schafft die Band Friedberg das via Copy and Paste. Mit diesem und den weiteren neun Tracks gestaltet die Frauenband rund um die steirische Musikerin Anna F. eine Balance zwischen Rückzug und Vollgas. Das Debütalbum »Hardcore Workout Queen« erinnert mit seinen gleichförmigen Beats an den Sound der 70er, abgerundet von einer homogenen Klangfülle, wie man sie von Placebo kennt. Kein Wunder, dass Friedberg erst im August dieses Jahres als Vorband der Alternative-Rocker in der Wiener Arena auftraten. Diese musikalischen Bezüge kommen insbesondere im Song »Better Than We Are« zum Ausdruck. Aber auch die bereits erschienene Single »Hello« zeichnet sich durch den – spätestens jetzt als typisch zu identifizierenden – Friedberg-Sound aus: Ein unverwechselbares Schlagzeugspiel (Laura Williams) rollt nicht nur den Rhythmusteppich aus, sondern legt eine ganz eigene Klangwelt drauf. Dazu gesellt sich ein von Indie-Coolness geprägter Bass (Cheryl Pinero) und eine rockige Gitarre (Emily Linden). Alles zusammen wird von eleganten Synthiesounds umhüllt, die manchmal in solistische Raffinesse ausbrechen. Ganz melodiös und umfassend: die wohlig tiefe Stimme von Anna F., die als Anna Wappel in der österreichischen Stadt Friedberg geboren wurde. Als größte Schwäche könnte man dem Album – und seinem Produzenten Oli Bayston – nachsagen, dass durch das Verzerren der Stimme die englischen Lyrics teils schlecht verständlich sind. Außerdem liefert manch längerer Song gegen sein Ende hin nichts Neues mehr.
Das wird der Stimmung bei der kommenden Tour allerdings kaum Abbruch tun, drängt sich bei diesem vielschichtigen Indiepop ein Konzertbesuch doch geradezu auf. Ob live auf der Bühne, aufgelegt im Club, von der Anlage im eigenen Wohnzimmer oder als Ohrwurm zum Mitsummen unter der Dusche – es darf gleichermaßen geshaket wie geträumt werden. (VÖ: 8. November) Sandra Fleck
Live: 10. Dezember, Salzburg, Rockhouse — 11. Dezember, Dornbirn, Conrad Sohm — 12 . Dezember, Linz, Posthof — 13. Dezember, Graz, PPC — 14. Dezember, Wien, Flex
Es gibt so Momente, da hörst du ein neues Album und wärst gerne woanders – am sonnigen Strand, in einer einsamen Berghütte, in einem vollgepackten Club, auf der Couch. Auf der Couch? Ja! Denn manchmal hat es eine Platte verdient, dass du dich hinsetzt, das Handy ab- sowie die Anlage raufdrehst und 40 Minuten lang einmal nichts tust, außer zuzuhören, so richtig reinzukippen. »Flaws« von Gardens ist so ein Album. Jedes Mal, wenn die Melodie des Titeltracks und Openers einsetzt, würde ich mich am liebsten an die nächste Straßenecke setzen und im Alltag die Pausetaste drücken: »Have the times changed / Or is it just a thought that I had / When I changed my mind.«
Das Erstlingswerk des Wiener Viergespanns ist ein hypnotischer Genremix, angesiedelt irgendwo inmitten der weiten Indie-Galaxie. Rock, Pop, Folk, sogar Versatzstücke von Postpunk lassen sich heraushören, müssen aber nicht herausgehört werden. Denn alles klingt hier so tight und aus einem Guss, als hätte es eh schon immer genau so zusammengehört. Gardens haben keinen völlig neuen Sound gefunden, sondern ihren eigenen, der sich ungeniert am Soundbuffet bedient, ohne jemals nur abzukupfern.
Im bereits angesprochenen Opener »Flaws« steht Sängerin Luca Celine Müller lässig über dem vergleichsweise rockigen Grundgerüst. In »Turning Tables« quillt die Lethargie nur so aus den sonischen Poren. Besonders angetan hat es mir der vorletzte Track »Help«. Der stampfende Rhythmus von Drummer Patrick Stieger treibt Müllers Vocals auf der Suche nach Hilfe durch den Song: »I’m an island / But I want to build a bridge to the world.« Währenddessen steigert sich der Song bis er am Ende langsam in Stille ausläuft. Statt Stille drängen sich bei mir an dieser Stelle aber die Nebengeräusche der 5er-Straßenbahn in den Vordergrund. Denn die Couch muss ich mir herbeiwünschen, weil ich mir mittlerweile viel zu selten die Zeit nehme, ein Album in aller Ruhe und Konzentration zu hören. Dabei gäbe es viele gute Gründe, dies wieder öfter zu tun. »Flaws« ist einer davon.
(VÖ: 1. November) Bernhard Frena
Live: 8. November, Wien, Sargfabrik — 16. November, Linz, Schlot — 18. Dezember, Graz, Postgarage
Doppeldenk — Clouds Hill
Gewalt bleiben in Bewegung. Ihr Debütalbum »Paradies«, das 2021 erschien – nachdem die Band eigentlich angekündigt hatte, keine Alben zu machen –, war treffsicher, begeisternd und überfordernd. Die inhaltliche Wucht ließ mich übersehen, was hier musikalisch passierte. Was hier auf für Gewalt neue Weise in Songform herausgearbeitet wurde – und wie tanzbar das letztlich auch war.
»Doppeldenk« geht diesen Weg weiter, gerade weil es teilweise anders ist. Entstanden nach einer Phase mehrerer Aufnahmesessions, die verworfen wurden, und Versuchen, etwas zu entwickeln, mit dem man selbst zufrieden ist, ist »Doppeldenk« ein konzentriertes, dichtes Album, dem zuletzt ganz treffend das Label Wut-Wave-Sensation zugeschrieben wurde. »Schwarz Schwarz«, der Opener, überrascht mit einer an Daft Punk erinnernden Synthielinie und hat einen hervorragenden Patrick-Wagner-Text, der nach vielen prägnanten Zeilen im Refrain »Ich sehe die Welt schwarz schwarz« gipfelt. Mit »Ein Sonnensturm tobt über uns« gibt es in der Mitte des Albums eine Nummer, die – zumindest im Kontext der Band – einen zugänglichen Pophit inklusive Saxofon darstellt.
Andere Tracks thematisieren in aller Klarheit Grausamkeiten von Krieg und Befehlsketten oder die Ausweglosigkeit einer Drogensucht. »Trans« wiederum ist Teil des von Gewalt geschriebenen Soundtracks für Paul Poets neuen Film »Der Soldat Monika«. Eine aktuell produktive Zusammenarbeit. Und zum Abschluss wird in »Ne ne, alles gut« über fast schon entspanntem Kraut-Post-Rock mit vielen blödsinnigen Regeln von Eltern und anderen Besserwisser*innen abgerechnet. Jasmin Rilke, Helen Henfling und Patrick Wagner haben mit »Doppeldenk« ein großartiges Album geschaffen. Dass sie sich dabei selbst genauso wenig schenken wie den Hörer*innen, war nicht anders zu erwarten.
(VÖ: 4. Oktober) Martin Mühl
Live: 5. Dezember, Wien, Arena
Please, Save Yourself — Ink Music
Mira Lu Kovacs ist ein Fixstern am österreichischen Popfirmament. Mit Schmieds Puls veröffentlichte sie drei Alben im Trioformat. Bei der Experimental-Pop-Band 5K HD ist sie ebenso involviert wie bei der von manchen als Supergroup bezeichneten Formation My Ugly Clementine. 2021 erschien zum ersten Mal ein Album unter ihrem eigenen Namen. Jetzt folgt ein weiteres: »Please, Save Yourself«. Dabei handelt es sich um akribisch erarbeitete Singer-Songwriter-Kleinodien, die meist in warmen Farben gehalten sind. Kovacs’ Gesang ist seidenglatt. Ihre Geschichten sind von einer flüssigen, klaren, Bergbach-ähnlichen Melodik getragen, die durchaus imstande ist mitzureißen. »Please, Save Yourself« ist im Vortrag zart, erinnert an unsere Zerbrechlichkeit und ist dennoch kräftig in seiner pop-poetischen Intensität und Musikalität. »Shut the Fuck up and Let Go« wurde bereits als Single veröffentlicht. Aber auch jeder andere Song kann als Highlight betrachtet werden. In »I Care for You« kulminiert das Album indes. Ein Triumph ungefilterter Emotion. Der affektive Bombast und seine Bataillone der Liebe schreiben hier etwas nieder, das sich – mit der richtigen Dosis Theatralik ausgestattet – hart am Kitsch vorbeischrammend, im Windschatten des Pathos agierend, anfühlt, als ob etwas aus den Fugen geriete. Das Leben selbst ist es natürlich, das Kovacs beschreibt – auch hier mit exzellenter Unterstützung von Manu Mayr am Bass sowie Günther Paultisch am Schlagzeug. Kovacs’ ebenmäßige Stimme bekommt den Raum, den sie verlangt. Reduktion als Stilmittel schafft Weite, die wiederum von der musikalischen Präsenz des Trios ausgefüllt wird. Die minutiöse Arbeit an den leisen Liedern verleiht dem Album darüber hinaus einen präzisen Groove, der genau so viel Freude bereitet wie das instrumentale Gespür des Trios, mit dem es die Songs auf diesem Album unterstützt. Auf »Please, Save Yourself« finden sich zu Ornamenten geronnene Schönheiten, die es zu entdecken gilt.
(VÖ: 8. November)
Tobias Natter
Live: 6. November, Wien, Semmelweisklinik — 19. Februar 2025, Wien, Stadtsaal — 26. Februar 2025, Graz, Dom im Berg — 27. Februar 2025, Klagenfurt, Kammerlichtspiele
Es kann sein, dass alles endet
Metallarbeiter*innen weltweit können bezeugen: Man muss das Eisen schmieden, solange es heiß ist. Und die vermeintlichen Industry-Plants Leftovers wissen das natürlich auch: Du musst nachlegen, solange sie dich noch für den heißesten Scheiß halten. Und Letzteres tun die gefühlt Milliarden Fans der Wiener Krawallrocker, die riesige Hallen so schnell ausverkaufen, dass kein Dynamic Pricing auf den halsabschneiderischen Plattformen mehr mitkommt. Da ist es nur logisch, dass zwei Jahre nach dem Debüt bereits das dritte Album rausgeschmissen wird. Nach dem erbarmungslosen »Krach« und dem durchaus auch resignierenden »Müde« darf’s jetzt ein bisschen mehr sein. Gleich direkt rein ins schieche Wort vom »Erwachsenwerden«, direkt rein in den dazugehörigen Fatalismus. Größtenteils geht es wieder um generational Topics, um Weltuntergänge, um Lieder vom Ende des Kapitalismus, um diesen gottverdammten Nihilismus, auf dessen unzerstörbarer Kraft auch der Ruhm der Anfangzwanziger fußt. Immer mit dem genau austarierten Eitzerl edgy sind die Leftovers der wahrgewordene Bandtraum für all jene, die sich die Kante selbst nicht ganz so trauen. Ein Brückensprung in die Donau, nur halt als Band.
Was man neben all dem perfekt orchestrierten Auftritt, Image und Zielgruppenoptimierungsquatsch auch nicht vergessen darf – und das tun viele: Diese Band macht halt einfach gute Musik. Du kannst niemandem einen Lifestyle verkaufen, wenn das Produkt an sich scheiße ist. Richtig, auch auf diesem Album gibt’s mehr Hits als in einer durchschnittlichen Diskografie: zum Weinen, zum Grölen, zum An-die-Wände-Schmieren, für den Eskapismus im Kleinen. Trotz all dem Ethos sitzt da einfach alles, die Texte, die Klavierballaden, Stoner-Grunge, Punkrock. Zufälle sucht man vergeblich. Produziert von Georg Gabler (u. a. Fendrich, Wanda) und Sven Regener (OMG) ist die Scheibe erstmalig ein komplettes Bandprojekt. Alle schreiben, alle singen – wer wann ist längst egal. Denn live – und darum geht’s – singen sowieso alle in der Halle. Also die, die schnell genug waren.
(VÖ: 11. Oktober) Dominik Oswald
Live: 6. Dezember, Linz, Stadtwerkstatt — 7. Dezember, Graz, PPC — 16. Dezember, Wien, Arena
Die Arbeit von Zosia Hołubowska aka Mala Herba (aus Polen, lebt in Wien) dreht sich schon seit Längerem um Heilung als künstlerische und aktivistische Praxis. »Queering Archives« heißt das in der Selbstbeschreibung. Aus einem dreijährigen Prozess sowie einer Vielzahl von Kollaborationen ging schließlich die multisensorische A/V-Performance »Wounded Healer« hervor – entwickelt in Zusammenarbeit mit Alma Bektas und Joanna Zabielska. Als weiterer Meilenstein steht nun der Release in digitaler Form und als Zine an. Nach »Demonologia« aus 2021 ist »Wounded Healer« das zweite Album der Klangkünstlerin und Aktivistin Hołubowska. Der Archetyp der verwundeten Heiler*innen stammt aus der griechischen Mythologie, genauer aus der Geschichte des verwundeten, aber unsterblichen Kentauren Cheiron. Derzufolge bilden eigene Schmerz-, Trauma- und Heilerfahrungen jene Wissensbasis, aufgrund der anderen geholfen werden soll. Kollektivismus war der Ausgangspunkt auf dem Weg zum Album und wurde im Konzept entsprechend weitergeführt. Bei jedem Track kooperiert Mala Herba mit einer femme Klangkünstlerin. Etwa mit den lokalen Schreihälsen Enesi M. und Requiem, aber auch mit der Poetin Edka Jarząb und der Soundkünstlerin Aleksandra Słyż, beide aus Polen. Obwohl sie aus einem Guss sind, haben die zehn Nummern also alle ihren eigenen Klang. Laut Begleittext soll »Wounded Healer« für den Dancefloor produziert sein, was bei den ersten Nummern noch etwas diffus rüberkommt. Die Drum-Patterns wirken teils aufgesetzt, die Kick geht im Mix unter. Mit der nötigen Wucht, wie bei »Chleb«, funktioniert es dann aber doch. Getragen wird das Album allerdings letztendlich von jenen Kompositionen, bei denen die vielschichtigen Texturen Mala Herbas ohne perkussive Ablenkungen wirken können. Bei »Wiły« und »Rusaleczki« ist man direkt versucht, einem Kult beizutreten. Jedenfalls wird dabei verständlich, wie das Artist-Statement gemeint ist: »Healing is political and can only exist in a community.«
(VÖ: 11. Oktober)
Sandro Nicolussi
Live: 27. September, Graz, Steirischer Herbst — 28. September, Wien, Rhiz
Mehr Rituale, bitte! Diesmal geht es zurück ins Mittelalter.
Die neue Platte der Italo-Österreicherin Nicoletta Magalotti – besser bekannt als Nico Note – zieht Inspiration aus den Schriften der Universalgelehrten, Äbtissin und katholischen Heiligen Hildegard von Bingen. Zeit, um den 100-tägigen Duolingo-Streak tiefgehendst zu prüfen. Das Gerüst des Albums beziehungsweise die Performance, aus der es stammt, besteht bereits seit 2003. Immerhin macht Nico Note schon seit dem vergangenen Jahrhundert Musik. Zu den outerworldly Drones kamen schlussendlich Nico Notes Vokalisationen – hauptsächlich in italienischer Sprache. Erst bei der Schlussnummer, die mit »Licht Vision« als einziger Track einen Untertitel trägt und auch damit aus der Reihe tanzt, hört man eine deutschsprachige Interpretation.
Die neun Sätze des Albums spiegeln den Ritualismus der täglichen Praxis wider, indem die einzelnen Episoden – betitelt in römischen Ziffern von I bis IX – den üblichen Tagesablauf einer Nonne abbilden sollen. Auch ohne diesen im Detail zu kennen, lässt sich sagen, dass die Kompositionen auf »Regola« eine einhüllende Qualität haben. Von einer Erfahrung, die die Zeit aushebelt, spricht der Begleittext. Und tatsächlich wäre das möglich. Auf »Regola I« beginnt das rhythmisch pulsierend mit ansteigenden Basswellen. Der zweite Satz verwendet Field-Recordings und Spoken Word, »Regola III« lässt dem Ausklingen genug Luft, Nummer fünf und sechs gehen schon fast ins poppige, während man bei Track sieben den trippigen Höhepunkt empfangen darf.
Bloß: Auf eine Platte passen eben nur rund 40 Minuten. Aufgeteilt auf neun Stücke macht das eine Spielzeit von etwas um die vier bis fünf Minuten je Titel. Auch in Zeiten von Tiktok reicht das nicht wirklich, um in einen Zustand der Trance zu kippen – davor beginnt schon das nächste Gebet. Es fühlt sich ein bisschen an wie hektisches Blättern im Gotteslob, während die anderen schon die zweite Strophe singen.
(VÖ: 26. September) Sandro Nicolussi
Musik kann sehr viel (auslösen). In einem der besten Fälle, gelingt es, innere Zustände in Klang zu übersetzen, der beim Hören wiederum in Emotionen, in einen Zustand, an einen Ort versetzt. In vielen Fällen (westlicher) Musik hilft dabei der Text. Im Prinzip reicht aber eben auch der pure Klang – mehr oder weniger konkreter Sound wie einzelne Instrumente, aber auch unkonkreter, schwer fassbarer. Jan Sturm beschäftigt sich seit vielen Jahren mit melancholischen Klängen, mit Ambient, hat ein Label betrieben und macht selbst als Autodidakt Musik. Manchmal vertont er Gedichte, meist schafft er Musik, die man sich durchaus als Soundpoesie – als Lyrik in Klängen – vorstellen kann, falls es diesen Vergleich braucht. Sie versetzt an Orte, in Gedanken und Erinnerungen, die man selbst oder zumindest genau so nie hatte.
Sturms Musik ist dabei großartig eigentümlich: Minimal Music, Klavierspiel, elektronische Klänge, Field-Recordings und noch viel mehr. Jedes Mal, wenn man sie anders hört – auf einer anderen Anlage, digital oder analog, auf Kopfhörern, in der Küche, im Zug oder ganz konzentriert –, treten andere Details in den Vordergrund, die man mitunter noch gar nicht bewusst wahrgenommen hat. Hier passiert in gewisser Weise so wenig und gleichzeitig extrem viel. Ein Reichtum an Eindrücken, Bildern und Bewegung, nur hervorgerufen durch die Musik. Jan Sturm hat in den letzten Wochen auf Social-Media-Kanälen einen höchstpersönlichen Einblick in die Entstehung und Gedanken zu einigen der sechs Stücke seiner neuen EP »Deutschlandreise« gegeben. In Videos hat er von den einzelnen Songs erzählt, von Erinnerungen und Gefühlen, die er ausdrücken wollte oder an die er die Stücke angelehnt hat. Manches davon findet man auch in den Liner-Notes. Von der Ruhe, von seiner Stimme, von den Worten kann man schon an sich Fan werden. Das Erzählte wird zu einem weiteren Layer seiner Musik. »Deutschlandreise« ist wie schon Sturms 2023 erschienenes Album »Momentum« eine Feier der Emotionen und Geschichten, die Sound erzeugen kann. Im besten Wortsinn wunder- und sonderbar und einfach schwer fassbar schön. (VÖ: 11. Oktober) Martin Mühl
Mit »Hand im Gesicht« gelang Endless Wellness ein Song des Jahres 2023, mit »Was für ein Glück« ein frühes Album des Jahres 2024. Folkrock mit durchgedrücktem Fuzz-Pedal meets tanzbaren Indierock, dazu top Messages und Lines. 10. Oktober Krems, Kino Kesselhaus — 11. Oktober Oslip, Csello — 19. Oktober Linz, Posthof — 23. Oktober Salzburg, Rockhouse — 24. Oktober Innsbruck, Mariatheresia — 30. Oktober Graz, Dom im Berg — 31. Oktober Villach, Kulturkeller — 1. November Dornbirn, Spielboden — 12. Dezember Wien, Arena
Herzlichen Glückwunsch zum 20-Jahr-Jubiläum! Das von der Vienna Songwriting Association rund um den ehemaligen Musikjournalisten Klaus Totzler veranstaltete Blue Bird Festival bietet verlässlich ein auserlesenes Line-up. Die hohe Kunst des Songwritings ist dabei verbindendendes Element. Heuer gibt’s zum Beispiel Chansonpunk von Zinn (Bild), dunkel gefärbte, entrückt-poetische Lieder von Edna Million und – als Headliner – Wallis Bird, Dan Croll sowie Jessica Pratt. 21. bis 23. November Wien, Porgy & Bess
Der Indierock-Dreier mit Sitz in Wien gibt sich auf seinem Debü talbum »Common Life« relateable und mitsingbar. Jobs, die einen auslaugen, das Ende eines Lebensabschnitts und andere »gewöhn liche« Dinge verhandelt die Band zu druckvollem, gerne grungigem Gitarrensound. 18. Oktober
Chelsea — 15. November
Kufstein, Bau! — 6. Dezember
Im Mai schickten die Italo-Schlager-Legenden aus Augsburg ihr drittes Album in die Welt. »Kult« verzückte unseren Autor, der sich selbst als ihr »größter Fan« bezeichnet, auf ähnlichem Niveau wie die Vorgänger »Greatest Hits« und »Mille Grazie«. Dabei sollte man sich davor hüten, Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys ein Guilty Pleasure zu nennen: »Ich fühle mich nicht schuldig, ich bin einfach froh, es zu erleben.« 19. Oktober
Kaya Wilkins kann Albumtitel, das beweist auch ihr neuester: »Oh My God – That’s So Me«. Die norwegisch-amerikanische Musikerin streift mit ihren Songs bei Folk ebenso an wie bei Soul, Indie und menschenfreundlicher Elektronik, geht inhaltlich gerne tiefer und klingt dabei – nicht nur im Gesang – bittersüß bis entrückt. Kein Wunder, dass sie sich längst eine treue Fan gemeinde erspielt hat.
Nach ihrer flugs ausverkauften Show in der Grellen Forelle kehren The Last Dinner Party nun in ein volles Haus nach Wien zurück. Dieses Mal ist es ein wenig größer, aber offenbar immer noch zu klein für die Indie/Pop-Durchstarter*innen des Jahres. Mit ihrem Debütalbum »Prelude to Ecstasy« gewannen sie immerhin die pre stigeträchtige Auszeichnung »BBC Sound of 2024«. Wien, Museumsquartier, Halle E
»Crying Tiger« heißt das neue, zweite Album von Heiße-LuftLabelhead Jōshy. Gefeiert wird dessen Veröffentlichung am 25. Oktober bei einem halbgeheimen »Album Release Pop-up für Friends, Fans & Family«. Hip-Hop-Heads, die dabei sein wollen, sollten sich auf Jōshys Insta umschauen. Oder ihr kommt dann einfach zur offiziellen Release-Show im Rahmen der »7 Jahre Hei ße Luft«-Party ins B72. Wird sicher gut!
Freund*innen von Noise, Ambient, Avantgarde und Elektronik kommen alljährlich in Innsbruck bei diesem »Klassentreffen« zusammen. Heuer gibt’s dort beispielsweise zu erleben: 33Emybw, Chloe, Lord Spikeheart sowie eine Gesandtschaft des Labels Cheap Records. 10. bis 12. Oktober Innsbruck, Ferdinandeum
Mit »LCD Soundsystem spielt nicht in meinem Haus« haben Kommando Elefant eine neue EP am Start, deren Stilrichtung die Band als »Indie-Rumpel-Elektronik mit analogen Instrumenten« beschreibt – und die natürlich auch live vorgestellt werden will.
2 November Linz, Stadtwerkstatt — 28. November Wien, Chelsea
Die Band um Tobias Siebert, gern gebuchter Musikproduzent der deutschen Indie-Szene und RobertSmith-Lookalike, bringt ihren wavigdüsteren Postpunk – nach dem großartigen »Disintegration« erschien zuletzt »Erregung« – endlich wieder nach Wien. Support: Robert Stadlober. Count us in! 2. November Wien, Rhiz
Projektleitung
Super Bier Fest
Aus dem Craft Bier Fest wurde nun das Super Bier Fest. Was steckt hinter dem Namenswechsel?
In erster Linie wollten wir nach zehn Jahren unserem Auftritt einen frischen Anstrich verpassen. Außerdem war der Begriff »Craft« – so sehr er letztlich funktioniert hat – immer schon umstritten in seiner Aussagekraft. Nun gibt es wie immer Menschen, die die Änderung begrüßen, und andere, die sie ablehnen. Für uns war es wichtig, dass wir mit dem neuen Look, wieder etwas Frische in die Sache bringen.
Wie schätzt ihr als Craft-Bier-Pionier*innen die heimische Brauszene ein?
Es gibt in Österreich sehr viel fantastisches Bier von Brauereien jeder Größe und unternehmerischen Struktur. Das ist gut so, macht aber so manche Diskussion nicht einfacher. Es gibt in Österreich sehr viele engagierte Brauer*innen, von denen es viele aktuell nicht einfach haben. Wir sind von Anfang an angetreten, um ihnen sowie ihren Produkten eine Bühne zu bieten und gemeinsam etwas zu erreichen. Hinter Bier steht eine ganz andere Struktur als etwa hinter Wein. Gerade als vielfältiges Genussmittel bekommt es noch nicht die Aufmerksamkeit, die es verdient hätte. Das ist schade, aber Veränderung passiert hier leider sehr langsam. Ganz allgemein haben wir das Gefühl, dass sich immer mehr Menschen für die Vielfalt von Bier interessieren. Wir wollen – auch durch unser Auftreten – die Scheu nehmen. Craft-Bier ist nicht nur etwas für eine eingeschworene Gemeinschaft. Das Super Bier Fest soll in erster Linie auch zugänglich sein.
Männer trinken Bier, Frauen eher Wein: ein gängiges Klischee. Könnt ihr dieses entkräften?
Es gibt natürlich viele Frauen, die Bier trinken. Wir haben uns von Anfang an darum bemüht, hier zugänglich zu sein und uns immer gefreut, wenn wir den Eindruck hatten, dass auf unseren Festen auch viele Frauen sind – und alle anderen, die sich nicht als klassisch cis-männlich begreifen. Wahrscheinlich trinken Männer immer noch mehr Bier. Es kann umgekehrt aber auch nicht sein, dass wir Menschen, die kein Bier oder kein Craft-Bier wollen, etwas vorschreiben. Bier soll Genuss sein.
Super Bier Fest 8. bis 9. November Wien, Marx Halle
»Reduce, reuse, recycle.« Von den drei großen Rs zur Müllvermeidung bedient das Re:pair Festival gleich alle drei. Egal ob Kleidung, Möbel, Elektrogeräte, Instrumente oder Fahrräder: Indem der Fokus vom Konsumieren aufs Reparieren gelenkt wird, soll Gegenständen neues Leben eingehaucht werden, die sonst nur auf der Halde landen würden. In den sogenannten Ambulanzen wird hier gleich tatkräftig Hand angelegt und die alte Geige wieder zum Klingen sowie der Schaukelstuhl zum Wippen gebracht. Parallel dazu bieten Lectures sowie Ausstellungen Einblicke in die Strukturen, auf denen unsere Wegwerfgesellschaft fußt, und weisen den Weg für einen bewussteren Umgang mit unseren Ressourcen. 10. bis 27. Oktober Wien, Museumsquartier
Wenn die Partitur einer Aufführung ausschließlich die Worte »Make a salad« umfasst, dürfte klar sein, dass es sich hier nicht um ein gewöhnliches Konzert handelt. Wien Modern lotet seit 1988 die Grenzen dessen aus, was noch als Musik bezeichnet werden kann. Das Festival für Neue Musik bringt aber nicht nur das eingangs erwähnte Stück von Alison Knowles (bei freiem Eintritt und vermutlich Salat) ins Wiener Rathaus. Dieses Jahr steht vor allem Arnold Schönberg angesichts seines 150. Geburtstagsjubiläums im Fokus, wie etwa mit der Adaption von »Die Prinzessin« (Bild). 30. Oktober bis 30. November Wien, diverse Locations
Ende November wird Wels wieder zum Anziehungspunkt für alle medieninteressierten jungen Menschen. »Grundsätzlich finde ich es einfach wichtig, dass es nicht nur in den größeren Zentren ein vielfältiges Kulturprogramm gibt, weil das fürs Zusammenleben essenziell ist«, erklärt Co-Festivalleiterin Sophia Hochedlinger die Wichtigkeit von zeitgemäßen Kulturangeboten auch abseits der Landeshauptstädte. Mit Filmen, Konzerten, Talks und Workshops füllt Youki zumindest für eine Zeit genau diese Leerstelle. 19. bis 23. November Wels, Alter Schlachthof, Programmkino und Medien Kultur Haus
So viele Menschen sterben laut dem UN-Welternährungsprogramm pro Tag an Hunger, und das, obwohl rein grundsätzlich genug Nahrung für alle produziert werden könnte. Schuld ist wieder mal der Kapitalismus mit seiner Profitgier. Das Filmfestival Hunger Macht Profite wirft ein Scheinwerferlicht auf Hintergründe und Lösungsansätze dieser Katastrophe und tourt dabei mit seinem Programm durch ganz Österreich. 10. Oktober bis 28. November diverse Kinos
Jetzt mal ehrlich: Filme sind mittlerweile viel zu oft viel zu lang. Und das stimmt nicht nur, weil unsere Aufmerksamkeitsspannen von Tiktok ruiniert worden sind. Denn wofür sogenannte »Altmeister« wie Coppola oder Scorsese mehrere Stunden brauchen, schaffen andere in wenigen Minuten. Davon überzeugen könnt ihr euch beim Linz International Short Film Festival, wo die Crème de la Crème der Leinwandminiaturen durch den Projektor läuft. 9. bis 12. Oktober Linz, City Kino
Das Ziel war es 2008, anlässlich des 60. Jubiläums der Allgemeinen Deklaration der Menschenrechte, eine Plattform für ebendieses Thema in Wien zu entwickeln. 16 Jahre später kann der Versuch als gelungen bezeichnet werden. This Human World hat sich nicht nur einen fixen Platz im jährlichen Filmfestivalkalender der Stadt erkämpft, sondern auch einer Reihe von inhaltlich verwandten Festivals den Weg geebnet. 27. November bis 10. Dezember Wien, diverse Kinos
Das diesjährige Festival »an der Schnittstelle von sonischer, audiovisueller und transdisziplinärer Kunst« steht unter dem Motto »Breaking Free«. Ganz folgerichtig bricht auch das Festival selbst aus allen Schranken und kulminiert in einer zwölfstündigen »Experience« in der VHS Kulturgarage in Aspern. Außerdem erwähnenswert: das PerformanceHacklab, bei dem in einem kollaborativen Prozess neue künstlerische Formen erprobt werden können. 12. bis 16. November Wien, diverse Locations
Curated by Sie markieren alljährlich den Beginn eines neuen Zyklus: Die Galerienfestivals in den selbsternannten Kulturhauptstädten dieser Welt bündeln nach der Verschnaufpause der Sommerferien ihre Kräfte, um die neuen Impulse zu geben, nach denen die intellektuelle Elite gelechzt hat und von denen sich gleich beim Startschuss distanziert werden kann. Doch lässt sich das Rad nicht neu erfinden. Die Sprache –und vor allem das Vokabular –bleibt in weiten Teilen gleich. Der diesjährige Essay als Ankerpunkt des Wiener Galerienfestivals Curated by legt den Fokus auf Praxis und Theorie, Beschränkungen und Möglichkeiten von Archiven, Narrativen, Geschichten. Der Titel zeigt es an: »Untold Narratives« schaut auf die Stille, das Unerzählte, das noch zu Erzählende. bis 19. Oktober Wien, diverse Locations
Taraxacum koksaghyz, geläufiger unter dem Namen kasachischer oder russischer Löwenzahn, hat eine interessante Eigenschaft: Aus seinen Wurzeln kann Kautschuk gewonnen werden. Die Pflanze wurde deshalb in der Sowjetunion und in Nazideutschland kultiviert. Nach einigen Jahrzehnten der Vergessenheit rückt sie derzeit wieder in den Fokus der Wissenschaft. Eine Installation von Bethan Hughes zeichnet die Verwicklung der Pflanze in die von Ausbeutung geprägten Geschichten von Frauen in der Sowjetunion und Zwangsarbeiter*innen in Auschwitz nach. bis 18. Jänner 2025 Innsbruck, Kunstpavillon
Die obligatorische Klimaausstellung darf in dieser Liste nicht fehlen – und hier ist sie. »The Color of Energy« spannt das weite Feld der vielen Facetten der umfassendsten Krise der Zeit in seiner ganzen Breite auf. Acht Künstler*innen beleuchten Aspekte wie Kinderarbeit und Klimaangst, Kolonialismus und Bodenausbeutung. Eine Hausaufgabe für den Weg: Was macht eigentlich »gute« »Klimakunst« aus? Die Antwort hat jedenfalls Zeit, weil: Das Thema wird uns noch länger begleiten. bis 24. November Salzburg, Kunstverein
… und Entgrenzung« Unser Verhältnis zu Arbeit ist eines meiner Lieblingsthemen. Wirklich! Ich denke ständig darüber nach! Und manchmal denke ich, die Kunstwelt macht sich als Komplizin schuldig, wenn sie in Ausstellung um Ausstellung Armutstourismus mit bildungsbürgerlicher Empörung und einer Portion Selbstmitleid verbindet. Und danach lässt es sich dann gut, leicht emotionalisiert, politisch – in Ansätzen – mobilisiert, intellektuell angeschwitzt, also durchaus nicht unbefriedigt, wieder nach Hause gehen. bis 19. Jänner Graz, Kunsthaus
Es steht »Punk« drauf, es wird sich zeigen, was drinnen ist. Diese Gruppenausstellung versammelt Künstler*innen, deren besondere Gemeinsamkeit es ist, einen oder mehrere der 10.000 »Crypto Punks« zu besitzen, also jener Pixelbilder, die 2017 für einige Furore (und ordentliche Kapitalbewegung) sorgten. Klingt ein bisschen nach Klassentreffen. Und vielleicht auch ein bisschen nach Neureich-macht-jetzt-Kunst. Findet standesgemäß parallel im Metaverse Voxels statt. bis 26. Jänner Linz, Francisco Carolinum und Metaverse Voxels
Die erste Ausstellung der neuen künstlerischen Leiterin der Kunsthalle Wien ist da. Eine umfangreiche Soloshow der Künstlerin Aleksandra Domanović markiert den Beginn der Arbeit Michelle Cottons als zentrale Gestalterin der Institution mit Standorten im Museumsquartier und am Karlsplatz. Gezeigt werden Arbeiten der letzten 18 Jahre, in denen sich Domanović mit Geopolitik, Massenmedien, Technologie und Genderfragen auseinandersetzt. Donnerstags zwischen 17 und 21 Uhr ist der Eintritt frei! bis 26. Jänner Wien, Kunsthalle Museumsquartier
»Grob gesagt, ist mein Vorgehen stets: sich in einen Raum begeben, ihn auffüllen und den Druck erhöhen, bis etwas schiefgeht«, sagt Tuazon über seine Arbeit. Dieser »Raum« ist allerdings nicht allein physisch, sondern auch und vor allem sozial zu verstehen. Als Raum von Interaktion zwischen Menschen und mit (architektonischen) Objekten. Die Ausstellung »Words for Water« versammelt Arbeiten, die utopische Architekturen aus der Mitte des letzten Jahrhunderts und Wasser als umkämpfte Ressource verbinden. bis 2. Februar Wien, FJK3
»The Village Next to Paradise«
Dein Langfilmdebüt »The Village Next to Paradise« spielt in Somalia. Wie wird das Land deiner Meinung nach in den Medien gesehen?
Failed state – und das war’s. Die Themen, die der Film anspricht, werden meistens sehr oberflächlich und einseitig berichtet. Das ist lazy. Aber das betrifft nicht nur Somalia.
Welche Narrative wolltest du – eventuell im Gegensatz dazu – in deinem Film erzählen?
Gar keine Narrative, sondern ich wollte versuchen, tiefer zu gehen, und die Menschen zeigen, die mit all diesen Problemen konfrontiert sind. Was die Ursachen sind, wie das ihren Alltag, ihre Entscheidungen beeinflusst und wie sie damit umgehen. Also wie komplex das Ganze ist, aber so, dass die Menschen im Vordergrund stehen.
Du hast den Film größtenteils mit Lai*innen gedreht. Wie kompliziert war es, diese zu finden bzw. mit ihnen zu arbeiten?
Sie zu finden, hat gedauert, aber es war auch nicht so, dass wir sie durchgehend gesucht hätten. Ich war immer wieder in Somalia und habe hier und da Leute getroffen. Auf der letzten Reise vor der Vorproduktion, haben wir dann alle drei Schauspieler*innen fixiert. Es war sehr einfach und angenehm, mit ihnen zu arbeiten. Sie haben ihre Figuren verstanden und ich musste nur Momente erklären. Wir haben sehr viel Glück, sie gefunden zu haben beziehungsweise dass sie uns gefunden haben.
Der Film wurde circa drei Monate lang in Somalia gedreht. Gab es beim Dreh Dinge, die sich als einfacher oder schwieriger als erwartet herausgestellt haben?
Es war von Beginn an klar, dass der Film eine längere Drehzeit brauchen würde, als normalerweise. Wir wollten ein lokales Team, gleichzeitig wussten wir, was für eine Herausforderung das bedeutet, weil es in Somalia keine Filminfrastruktur und kaum Leute mit Film-Know-how gibt. Zum Glück hatten wir ein außerordentliches Team aus Somalia, Kenia, Uganda und Ägypten. Alle standen hinter dem Projekt und haben uns mit vollem Vertrauen unterstützt.
»The Village Next to Paradise« Start: 8. November
Regie: Harald Friedl Für Harald Friedl stellt die 24-Stunden-Betreuung eine typische Ausbeutung von Frauen aus ärmeren Ländern dar – und genau über diese Problematik hat er nun einen Film gemacht. In »24 Stunden« begleitet er die aus Rumänien stammende 24-Stunden-Betreuerin Sadina Lungu bei ihrer Arbeit. Gleich drei bis fünf Monate dauern ihre Einsätze bei uns – und sie ist nur eine von 62.000 osteuropäischen Frauen, die ihre Leben daheim (vorübergehend) zurücklassen, um in Österreich Menschen zu pflegen. Doch wie bewältigt sie ihr Leben fern der Heimat, ohne sich von dieser zu entfremden? »Das Thema, sein Stoff, die Geschichte betrifft uns alle. Über unsere Verwandten, die Pflege benötigen, und in Hinblick auf uns selbst, die wir sie eines Tages benötigen werden«, so Harald Friedl. Start: 11. Oktober
Regie: Eileen Byrne Der kleine Bruder der jungen Paula (Luna Wedler) ist in Triest im Meer ertrunken. Seither ist ihr Lebenswille erloschen, ihre Schuldgefühle sind groß. Auf dem Weg zum Unglücksstrand trifft sie auf den alten Griesgram Helmut (Edgar Selge), der mit der gestohlenen Urne seiner verstorbenen Frau ebenfalls auf dem Weg nach Triest ist. Paula trifft die Entscheidung, sich ihm anzuschließen – und so beginnt eine berührende Freundschaft zwischen zwei Menschen und Generationen. Ein Film über Verluste und Neuanfänge, der nicht zuletzt vom Zusammenspiel der beiden Hauptdarsteller*innen lebt. Diese Adaption des gleichnamigen, erfolgreichen Romans der Biologin, Autorin und Wissenschaftsjournalistin Jasmin Schreiber ist der erste Langspielfilm der aus Luxemburg stammenden Regisseurin und Drehbuchautorin Eileen Byrne .Start: 31. Oktober
Regie: Małgorzata Szumowska und Michał Englert ———— Aniela Wesoly (Malgorzata HajewskaKrzysztofik) lebt ein Leben als Mann. Doch es ist nur ein halbes Leben, denn sie ist sich ihrer eigentlichen Identität als Frau bewusst. Nichtsdestotrotz fügt sie sich dem Unverständnis ihrer Umgebung, heiratet eine Frau und bekommt mit ihr zwei Kinder. Doch sie weiß, dass sie ihr Leben ändern muss. Eine Geschichte über queere Selbstermächtigung und den Weg zu sich selbst. Start: 18. Oktober
Regie: Chris Nash ———— Hoppala! Der stumme Mörder Johnny (Ry Barrett) wird von einer Gruppe Jugendlicher (unabsichtlich) zum Leben erweckt – und sinnt nach Rache. Chris Nash präsentiert ein Genrehighlight in blutüberströmten Bildern – oft aus der Sicht des Mörders – und einer dichten, bedrohlichen Atmosphäre. Inspiration beziehe sein Film, so Nash, bei der mäandernden Bildsprache von Gus Van Sant und Terrence Malick. Start: 24.Oktober
Regie: Nora Fingscheidt ———— Basierend auf den Memoiren der Journalistin und Autorin Amy Liptrot erzählt »The Outrun« von Rona (Saoirse Ronan), die nach einem Entzug wieder auf die Farm ihrer Familie zurückkehrt. Hier, auf den abgeschiedenen Orkneyinseln, versucht sie, wieder zu sich selbst zu finden. Nach »Systemsprenger« präsentiert die Regisseurin abermals eine komplexe und unangepasste weibliche Hauptfigur. Start: 7. November
Regie: Joshua Margolin ———— Lustig wird’s bei »Thelma – Rache war nie süßer«: Die titelgebende 93-jährige Thelma (June Squibb) wird Opfer eines Internetbetrugs. Um ihrer Tochter Gail (Parker Posey) und deren Mann Alan (Clark Gregg) zu beweisen, dass sie noch gut alleine zurechtkommt, beschließt sie, das ihr gestohlene Geld auf eigene Faust zurückzuholen. »Mission Impossible« im Rentner*innenoutfit. Start: 21. November
Regie: Mati Diop ———— 1892 raubt die französische Armee Hunderte von Kunstschätzen aus dem Herrschaftspalast des afrikanischen Königreichs Dahomey. 2021 verlassen 26 davon Paris und kehren in ihr Herkunftsland, das heutige Benin, zurück. In ihrem Dokumentarfilm folgt Mati Diop dem gesamten Prozess. Wie werden diese geschichtsträchtigen Objekte in einem Land wiederaufgenommen, das sich seither stark verändert hat? Start: 22. November
Idee: Oliver Lansley und Zoltan Spirandelli Erstmals präsentiert Apple TV+ eine deutschsprachige Serie: In »Where’s Wanda?« sucht eine Familie (u. a. Heike Makatsch und Axel Stein) nach ihrer verschwundenen Tochter Wanda (Lea Drinda). Da die Polizei versagt, beschließen die Angehörigen, die Suche selbst in die Hand zu nehmen – und sie entdecken, dass ihre Nachbar*innen etwas verbergen. Was nach Krimi klingt, ist tatsächlich eher Komödie. ab 2. Oktober Apple TV+
Idee: Doron Wisotzky, Anneke Janssen und Michael Kenda In dieser Netflix-Serie, die auf den Kriminalromanen von Karsten Dusse basiert, wird die Geschichte des Anwalts Björn Diemel (Tom Schilling) erzählt, der – stressiger Job sei Dank – wenig Zeit hat für seine Frau Katharina (Emily Cox) und die gemeinsame Tochter Emily (Pamuk Pilavci). Ein Achtsamkeitsseminar für Führungskräfte bringt sein Leben dann komplett durcheinander. ab 31. Oktober Netflix
17.– 29. OKTOBER
PROGRAMM AB 8. OKTOBER TICKETS AB 12. OKTOBER VIENNALE.AT
bewegen bewegte Bilder – in diesem Kompendium zum gleichnamigen Podcast schreibt er drüber
Alles schien angerichtet, der Weg, den dieser kleine Text einschlagen sollte, leuchtete in bestechend scharfen Konturen. Nach der gewohnt gewissenhaften Themensuche – siehe letzte Kolumne – tauchte erneut in letzter Minute ein Objekt der filmischen Begierde auf, über das es sich doch bestimmt lohnen würde, ausführlich und angeregt zu fabulieren: »Megalopolis« von Francis Ford Coppola. Genau: DER legendäre Coppola, der in den 70er-Jahren mit den ersten zwei »Der Pate«-Teilen, »Apocalypse Now« und »Der Dialog« unverrückbare Meilensteine des Weltkinos setzte, hat sich mit Mitte 80 tatsächlich noch einmal aus seinem Schaukelstuhl im kalifornischen Sonoma County aufgeschwungen. Für ein Alterswerk, ein Herzensanliegen.
Seit Dekaden schwirrte die Idee zu »Megalopolis« im Kopf des Seniors des vielköpfigen Hollywood-Clans (Tochter: Sofia Coppola, Neffe: Nicolas Cage) herum, konnte aber nie auf Zelluloid gebannt werden. Um den Film nun doch noch zu realisieren, trennte sich Coppola schließlich sogar von einem Teil seiner lukrativen Weingüter. Ja, wenn einer der Größten seiner Zunft 120 Millionen Dollar aus der eigenen Schatulle in seinen wohl letzten Leinwandtrip steckt, sein eigenes Bonmot »Es bedarf keiner Fantasie, um im Rahmen seiner Mittel zu leben« nochmals mit Leben füllt, dann muss das doch Eins-a-Euphoriefutter für diese Kolumne hergeben, oder?
Trübungen im Vorfeld
Einige bedauerliche Begleitumstände haben die Vorfreude in den letzten Monaten allerdings schon frühzeitig etwas getrübt. Die heuer zur Weltpremiere von »Megalopolis« in Cannes verbreiteten Schilderungen vom Set etwa, in denen dem Regisseur von unprofessionellen Drehbedingungen bis hin zu unangemessenem Verhalten alles Mögliche vorgeworfen wurde. Oder auch der schwer verhunzte Trailer zum Film, der uns Coppola mit frei erfundenen Kritikzitaten als ein von der Presse seit jeher missverstandenes Genie verkaufen wollte. Problematisch, as they say. Aber gut, sehen wir uns das Ganze erst einmal selbst an. Die Stimme von Laurence
In der »Megalopolis« New Rome spitzt sich ein Konflikt zwischen Status quo und träumerischen Idealen zu.
Fishburne signalisiert gleich zu Beginn, dass es nicht an Gegenwartsbezug mangelt: »Unsere amerikanische Republik unterscheidet sich gar nicht so sehr vom alten Rom. Werden wir auch dem unersättlichen Machthunger einiger weniger zum Opfer fallen?« Coppola führt uns sodann durch die Tore von New Rome, einem Hybrid aus Comic-Kino-Moloch (mehr DC als Marvel), »Caligula« und »Metropolis«. Um das Schicksal der von Dekadenz und Tristesse gezeichneten Megacity ist ein Kampf zwischen dem genialischen Architekten Cesar Catilina (Adam Driver) und dem populistischen Bürgermeister Franklyn Cicero (Giancarlo Esposito) entbrannt. Letzterer will den Status quo bewahren, wohingegen Cesar seine nachhaltige Utopie einer Stadt verwirklichen will, die organisch mit ihren Bewohner*innen wächst. Ausgerechnet Ciceros Tochter Julia (Nathalie Emmanuel) ist davon angetan und wird bald zu Cesars Vertrauter. Der Bürgermeister ist naturgemäß wenig erfreut über diese Verbindung – und auch andere Feinde des Vordenkers bringen sich mit Intrigen in Stellung … Wird sich das Neue gegen das Alte, das Schöne gegen das Nützliche, das Morgen gegen das Heute durchsetzen können?
Megalomanische Visionen
Es braucht nicht viel Fantasie, um zu erkennen, auf welcher Seite Coppola in diesem Duell der Ideale steht: natürlich auf der des Träumers, der seinen Gestaltungswillen gegen jede vermeintliche Vernunft stellt. »Wenn wir uns ins Unbekannte stürzen, beweisen wir, dass wir frei sind«, heißt es dazu einmal im Film. Und was könnte ein wagemutigerer Sprung ins Ungewisse sein, als sein Vermögen auf eine Vision zu setzen, die in der Infragestellung des Zustands dieser Welt die einzige Möglichkeit sieht, ihren Untergang zu verhindern? Was wäre das Kino schließlich ohne seine Megalomanen, die es mit Hybris in neue Welten katapultieren, indem sie die Vorstellungen davon, was Unterhaltung sein kann, mit filmischen Fieberträumen gezielt unterlaufen? Wie aus den obigen Zeilen deutlich geworden sein sollte, hätte ich »Megalopolis« also
theoretisch sehr gerne genossen. Dass ein Film, der so viel zu erzählen hat, mitunter holprig, stellenweise unübersichtlich und in seiner Dialoglastigkeit auf Dauer ermüdend sein kann, war dabei durchaus eingepreist. Und ja: In der Tat geht es zweieinviertel Stunden lang entschieden schwatzhaft zu. Coppola zitiert ausschweifend Marc Aurel, Ovid und Shakespeare, lässt sein Ensemble (in dem speziell Aubrey Plaza sardonisch brilliert) in verquasten Monologen hochfliegende Reflexionen über Zeit und Macht deklamieren, die kaum je ohne Verweise auf Literatur, Philosophie und Geschichte auskommen. Verblüffend betörend
Die inhaltliche Überfrachtung dieses wilden Paarlaufs aus Politdrama, Science-Fiction, Noir und Satire findet ihr Pendant in einer ebenso intensiven visuellen Reizüberflutung. So schillernd und prachtvoll Coppolas digitale Bilderwelten auch sein wollen, sie wirken nicht selten auf jene kostspielige Weise billig, wie man es aus zahllosen ästhetisch verunglückten Netflix-Blockbustern kennt. Dennoch gelingt es dem Altmeister immer wieder – kurz bevor man genervt so etwas wie »Rebel Moon für Lateinprofs« in seinen Notizblock kritzeln wollte – mit nicht mehr erwarteten betörenden Sequenzen voll kühner Erfindungsgabe zu verblüffen.
Auch wenn es »Megalopolis« inhaltlich an Schärfe und ästhetisch an Finesse mangelt, bleibt man angesichts dieser ephemeren Geistesblitze immer neugierig, was Coppola als Nächstes noch aus dem Köcher zaubern wird. Das macht den unerklärlichen Reiz dieses letztlich unerklärlichen Werkes aus, das einem viel abverlangt – einen dabei aber auch nie gleichgültig lässt. Und das ist sicher mehr, als man dieser Tage von den meisten Produktionen mit neunstelligem Preisschild behaupten kann. prenner@thegap.at • @prennero
Christoph Prenner plaudert mit Lillian Moschen im Podcast »Screen Lights« zweimal monatlich über das aktuelle Film- und Seriengeschehen.
Welche Spuren hinterlässt der Mensch in virtuellen Räumen? In der performativen Virtual-Reality-Installation »[EOL]. End of Life – Eine virtuelle Ruinenlandschaft« des Künstler*innenduos Darum wird das Publikum mittels Virtual-Reality-Brille in ein verfallenes Metaverse 1.0 geschickt, um sich mit Fragen des digitalen Erbes und der Erinnerungskultur auseinanderzusetzen. Teilnehmer*innen treten die Rollen von »outsourced freelancers« eines fiktiven Konzerns an, die bestimmen, welche Inhalte in zukünftigen digitalen Welten erhalten bleiben und welche gelöscht werden. »[EOL]« setzt sich kritisch mit der Zukunft virtueller Welten und der Frage danach auseinander, wie wir nach dem Tod erinnert werden wollen. 26. September bis 6. Oktober Wien, Studio Brut
»Kugeln schwitzen zu Gymnastik, Köchinnen mischen Mondmilch, übergewichtige Papageien kämpfen um Gerechtigkeit und Klimacowboys schießen Ballons in den Himmel.« Josef Maria Krasanovskys neue Produktion bietet ein Kaleidoskop an absurden, temporeichen Bildern und er stellt darin klar, dass nicht nur die Ränder der Gesellschaft »unter die Räder kommen«, sondern alle Bereiche unserer Welt – Menschen, Tiere, Klima und sogar der Weltraum. Nach seiner Uraufführung in Bregenz, befindet sich das Stück auf Österreichtournee. 26. September bis 12. Oktober Klagenfurt, Theaterhalle 11 — 16. und 17. Oktober Linz, Phönix Theater — 14. und 15. Februar 2025 Salzburg, Schauspielhaus — 21. und 22. Februar 2025 Wien, Schauspielhaus — 28. Februar und 1. März 2025 Graz, Theater am Lend
In »Chronik der laufenden Entgleisungen (Austria Revisited)« reflektiert Thomas Köck angesichts des »Superwahljahres« 2024 den Rechtsruck in Österreich. Er protokolliert die politischen sowie medialen Entwicklungen des Landes und verbindet sie mit persönlichen Erinnerungen an seine von Klassismus geprägte Kindheit. Über die Beobachtung von Geldströmen und Fluchtrouten stellt er dabei lokale Ereignisse in einen globalen Kontext. bis 19. November Graz, Schauspielhaus — bis 16. November Wien, Schauspielhaus
Wie nahe liegen Glück und Leid beisammen? Basierend auf dokumentarischen Texten und Interviews erkunden vier ukrainische Künstler*innen die Entwicklungsstadien einer Frau und die Stereotype, die sie im Laufe ihres Lebens prägen. Die Aufführung wird in ukrainischer Sprache mit deutschen Untertiteln gezeigt. »I She Her« ist eine märchenhafte Collage aus Sprache und Bewegung, in der die Performer*innen die Reise der Hauptfigur erzählen sowie gemeinsam mit einer überlebensgroßen Stoffpuppe performen. 29. und 30 September Graz, Theater am Lend
Wie Alf bist du? Die Choreografin und Performerin Joana Tischkau widmet sich in »Yo Bro« gemeinsam mit ihrem Bruder Aljoscha dem Thema Familie und arbeitet dabei klassische Popkulturgüter auf – von »Eine schrecklich nette Familie« über die Kelly Family bis hin zu eben Alf. Bei einer der letzten Produktionen der Tangente St. Pölten dreht sich alles um jenes Konstrukt, das einerseits als allgemeingültiger Kern unserer Gesellschaft gelten möchte und andererseits marginalisierte Identitäten systematisch ausschließt. 4. und 5. Oktober St. Pölten, Festspielhaus
In einer Hommage an Maria Lassnig und andere weibliche Kunstikonen rückt »Alte Meisterin« die unsichtbaren, vergessenen Künstlerinnen der Geschichte ins Zentrum. Die Inszenierung zeigt, wie die tradierten Vorstellungen weiblicher Kunst herausgefordert werden können. Die Malerin Eva Beresin erschafft live ein Porträt von Lassnig. Dabei wird sie von anderen Künstler*innen aus den Bereichen Musik, Fotografie und Schauspiel begleitet. Gemeinsam erforschen sie weibliche Bildmotive und dekonstruieren die kanonische Kunstgeschichte. 16. bis 30. Oktober Wien, Kosmos Theater
Gewidmet all denjenigen, die beim Lesen auf die eine oder andere Wissenslücke gestoßen sind.
Ausdruckstanz ist eine Tanzform, bei der anstelle von normierten Schrittfolgen oder Figuren der künstlerische und emotionale Ausdruck der Tänzer*innen und Choreograf*innen im Vordergrund steht. »Hold on to Your Misery« ist eine Single von Cocknbullkid aka Anita Blay aus dem Jahr 2011. Darin besingt die britisch-ghanaische Sängerin ihren Unwillen, die eigenen Neurosen, Enttäuschungen und zynischen Einschätzungen einfach hinter sich zu lassen. Gustav Landauer (1879–1919) war einer der wichtigsten Vertreter des kommunistischen Anarchismus und des Anarchopazifismus im Deutschen Kaiserreich. Er war vehementer Gegner des Ersten Weltkriegs und Teil der Münchner Räterepublik. Das Gatefold-Cover ist heute wohl eine der gängigsten Formen von Plattencovers, wurde aber erst in den 1960er-Jahren populär und beschreibt ein Cover, das wie ein Buch aufgeschlagen werden kann und so mehr Platz für Bilder, Liner-Notes sowie eine weitere Platte bietet. Als immaterielles Kulturerbe werden von der UNESCO menschliche Traditionen, Praktiken, Rituale und Kunstformen bezeichnet, die sich nicht an dauerhaften, physischen Konstrukten festmachen lassen, sondern nur erhalten werden können, indem Menschen sie ausüben und weitergeben. Mit Politik ist mehr als die gängige Parteienpolitik gemeint. Stattdessen beschreibt Politik ganz generell die Regeln und Abmachungen, nach denen wir unser gesellschaftliches Zusammenleben strukturieren und organisieren. Daher auch der Leitspruch: »Das Private ist politisch.« Seven-Inch und Twelve-Inch sind die beiden gängigsten Größen von Vinylschallplatten. Klassisch finden SevenInches für Singles und Twelve-Inches (als Longplayer) für Alben Verwendung. Wall Street steht zwar stellvertretend für den gesamten finanziellen Sektor der Metropole, ist aber tatsächlich eine physische Straße in New York City zwischen Broadway und South Street. Simone Adolphine Weil (1909–1943) war eine französische Philosophin und politische Aktivistin – zum Beispiel im Spanischen Bürgerkrieg. Ausgehend von pazifistischen und anarchistischen Theorien wandte sie sich gegen Ende ihres Lebens zunehmend dem Mystizismus zu.
Neue Wanderer über dem Nebelmeer, Horror-Mash-ups und 20 Jahre FM4. ———— Fürs Cover unserer Ruin-PornAusgabe hat unser damaliger Grafikdesigner Erli Grünzweil mit Caspar David Friedrich zusammengearbeitet. Das suggeriert zumindest das Impressum. »Sind Urban Explorers die neuen ›Wanderer über dem Nebelmeer‹?«, fragten wir uns aber nicht nur in Bildform. Amira Ben Saoud kam in ihrer Coverstory zum Schluss, Bilder von Ruinen seien deshalb so spannend, »weil sich von politischem Mahnmal bis Shabby Chic, vom romantischen Sehnsuchtsort bis zum mahnenden Memento mori, von Pop bis Kultur, von Porno über Pädagogik bis Nachhaltigkeit alles aus ihnen heraus- und in sie hineinlesen lässt«. Damit seien sie perfekt geeignet für den einen großen Sehnsuchtsort unserer Generation: das Internet. Und sonst so in dieser Ausgabe? Ein Artikel über damals gerade boomende Horror-Mash-ups wie »American Horror Story«, Jessica Hausner im Interview zu ihrem Viennale-Eröffnungsfilm »Amour fou« sowie einige »Thesen, Beobachtungen und Feststellungen« anlässlich des 20. Geburtstags von Radio FM4. Seinen 30er feiert der Sender übrigens im Jänner. Mal schauen, was uns dann dazu einfällt.
Der Name Kurdirektion strahlt weit über das kleine Bad Ischl hinaus: Hier trifft ein ausgewähltes Literaturangebot auf ein breitgefächertes Kulturprogramm. Die Kurdirektion ist nämlich Buchhandlung und Veranstaltungsort in Lokalunion. Gleich ob Konzert von Modecenter, Podiumsgespräch über Gender-Pay-Gap oder Lesung von Barbara Rieger – hier ist für alle was dabei. Besonders erwähnenswert: das Kinotaxi, das einmal im Monat gratis von hier zum Kino Ebensee fährt. Bahnhofstraße 6, 4820 Bad Ischl
In den sogenannten Bruckner Studios in Linz lässt es sich als Studi schon leben: zentral gelegen, helle Apartments, zahlreiche Gemeinschaftsbereiche –und The Gap frei Haus. Peuerbachstraße 28, 4040 Linz
Wer Lust auf kreative, exzellent zubereitete Cocktails hat, aber ungern in düstere Kellerlokale geht, wird in dieser bunten Bar im sechsten Bezirk fündig. Esterházygasse 12, 1060 Wien
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Josef Jöchl
artikuliert hier ziemlich viele Feels
Manchmal tut man Dinge wider besseres Wissen. Oder, wenn man ich ist, mehrere solcher Dinge auf einmal. An einem einzigen Abend ging ich beispielsweise zum wiederholten Male bowlen, obwohl ich es hasse, hatte zwei Cola Zeros nach 20 Uhr und vertrieb mir meine Schlaflosigkeit mit etwas Doomscrolling. Kriege, Katastrophen, Klima: Ist irgendetwas eigentlich nicht im Arsch? Ich fühlte, wie das Leben teurer, alles kaputt und täglich hässlicher wird. Dabei sollten mich die letzten Jahre eigentlich ab gehärtet haben. Das Heraufdräuen vielfältiger Weltkrisen fühlt sich doch mittlerweile auch nicht schlimmer an als die Aussicht auf ein Wochenende mit schlechtem Wetter. Doch in diesem Sommer war es nicht so einfach, seine Ängste auf Armlänge zu halten. Die Zukunft wirkte immer mehr wie ein Vogel, der aus Versehen in dein Wohnzimmer geflogen ist und gar nicht mehr vorhat, es zu verlassen – weil es selbst den Vögeln zu heiß zum Fliegen ist bei 38 Grad.
Nach einer Dreiviertelstunde legte ich mein Handy aus der Hand. Der ermattete Screen schenkte meinen müden Augen etwas Entspannung. War er nicht das Instrument, auf dem ich pausenlos meinen eigenen Weltuntergang arrangierte? Ich konnte nicht umhin, mich zu wundern: Sollte ich an meiner Handynutzung etwas ändern?
Damit meinte ich natürlich nicht meine actual Handynutzung. Ich bin kein Arzt, aber ich denke, fünf Stunden und 20 Minuten am Tag sind gut und richtig. Appelle, von seinem Handy aufzublicken, sind ziemlich 2012. Selbst die erste Staffel »Black Mirror« würde heute niemanden mehr wachrütteln. Sie wirkt mittlerweile fast wie eine Dokumentation, die halt etwas aufwendiger produziert worden ist. Doch während ich mit dem Daumen den Doom vor mir herschob, fiel mir eines auf: Die Screenshots der sarkastischsten Tweets, der
traurigsten Memes und der verzweifeltsten Takes hatten eines gemeinsam: Sie wurden im Dunkelmodus erstellt. Jahrelang hatte ich mich gefragt, was das für Menschen sind, die ihr gesamtes Internet in Schwarz tauchen. Während sich Light-Mode-Leute wie ich von zu viel blauem Licht blenden ließen, verdüsterten die Dark-Mode-People ihre gesamte Weltwahrnehmung als die einsamen Saxofonspieler*innen des Internets, die sie sind. Das fand ich schon immer ein bisschen badass, irgendwie hackery, charmant edgy. Nun war auch ich so weit. Ich ging in meine I-Phone-Settings und tat den letzten Schritt. Erst auf »Anzeige & Helligkeit«, dann unter »Erscheinungsbild« einfach den blauen Haken bei »Dunkel« setzen. Vor mir lag eine völlig neue User Experience.
Finstergram und Whatsdawwn
Mir war nämlich nicht bewusst, wie stark der Schatten war, der sich auf mein digitales Leben legen würde. Dass mich X, vormals Twitter, in Schwarz noch mehr runterzog, war keine große Überraschung. (Wie lange werden wir eigentlich noch »X, vormals Twitter« schreiben?) Instagram ist sowieso nicht als Stimmungsaufheller bekannt, weil man dort immer sieht, was für tolle Dinge andere Menschen unternehmen. Als Finstergram jedoch transportierte jedes süße Welpen-Reel auf einmal auch den Subtext, dass auch dieser süße Welpe irgendwann einmal sterben wird. Whatsdawwn, vormals Whatsapp, färbte alle meine Messages in ein schlammiges, deprimierendes Olivgrün. Mein Youtube, mein CoStar, mein Kalender, mein Onlinebanking – in Schwarz nahm ich jeden Inhalt als ernster und bedrohlicher wahr. Nach fünf Stunden und 20 Minuten legte ich mein Handy beiseite. War ich bereit für den Dunkelmodus? Immerhin sind einige meiner besten Freunde*innen Dark-Mode-People. Ich beschloss, sie in einer schlaflosen Nacht zu treffen, an der dun-
kelsten Ecke des Internets, schwarz gekleidet, große Tassen schwarzen Kaffees in der Hand, und fragte sie: Wie haltet ihr das aus? »Josef«, antworteten sie einhellig, »Schwarz ist doch nicht negativ.«
Schwarz ist doch nicht negativ Zu meiner Verwunderung begründeten sie ihre Vorliebe ganz sachlich: Der Dark Mode sei akku- und somit auch umweltschonend, außerdem würden ihre Retinas weniger beansprucht. Das mache sie insgesamt sogar glücklicher, nicht das Gegenteil. In Sachen UX solle ich mir deshalb kein X für ein U vormachen. Wie deprimierend ich die Comments unter einem KicklPost wahrnehme, hänge doch nicht von meinen I-Phone-Settings ab. Dark-Mode-Leute hätten einfach andere ästhetische Vorlieben und kein besseres Rezept, die gegenwärtige Panik zu verdauen. Morgens blickte ich auf die noch unbelebte Straße, in der ich wohne. Das war also diese Welt, die so kaputt war. Plötzlich begriff ich: Es liegt nichts Erhabenes darin, sich von der Realität runterziehen zu lassen.
Unser individuelles Empfinden prallt hin und wieder auf die Hitzewand eines Feeds, der einem den Glauben an die Menschheit vergällt. Schlimme Dinge bleiben schlimm, egal wie badass, hackery oder edgy man sie liest. Es kommt drauf an, wie nah man sie an sich heranlässt. Als die Tiere, die wir sind, werden wir versuchen zu überleben. Das bedeutet auch, nur noch so viele Colas zu trinken, dass man noch auf den Schlafzug aufspringen kann, und nur noch bowlen zu gehen, wenn man für ein Teambuilding dazu gezwungen wird. Beides kann man lernen.
joechl@thegap.at • @knosef4lyfe
Josef Jöchl ist Comedian. Sein aktuelles Programm heißt »Erinnerungen haben keine Häuser«. Termine und weitere Details unter www.knosef.at.
Orgel Experimentell #3
Elisabeth Schimana, Ludwig Lusser, Andrii Pavilov, Black Page Orchestra