Experimente mit Clubkultur
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N° 169
€ 0,—
AUSGABE JUNI / JULI 2018 — THE GAP IST KOSTENLOS UND ERSCHEINT ZWEIMONATLICH. VERLAGSPOSTAMT 1040 WIEN, P.B.B. | GZ 05Z036212 M
Fairey_Hilger_AD_Layout 1 08.05.18 15:17 Seite 1
Shepard Fairey 24.05. – 27.07.2018
Golden Future, 2017 · Silk screen and mixed media collage on paper, hand painted multiple · 85 × 121 cm
Shepard Fairey will be present at the opening of the exhibition with most recent works. He will paint a mural at the Vienna International Airport from May 23rd to 25th 2018. Galerie Ernst Hilger · 1010 Wien · Dorotheergasse 5 · T: (+43-1) 512 53 15 · www.hilger.at
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Editorial Dünne Luft
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www.thegap.at www.facebook.com / thegapmagazin @the_gap thegapmag the_gap
Herausgeber Manuel Fronhofer, Martin Mühl
Die Luft wird dünn. Mit Intro stirbt, kurz nach der Einstellung der Printausgabe des NME, das größte deutschsprachige Musikmagazin nach 26 Jahren. Im Juli erscheint noch ein letztes Heft, danach wird der Betrieb eingestellt. Das ist mehr als schade, aber durchaus verständlich. Fehlende Anzeigenkunden sind gerade für ein Gratismagazin nur schwer auszugleichen, der Ausbau einer professionelleren Onlineredaktion mit ohnehin schon weniger Geld schwierig umzusetzen, und die Veränderungen in der Musikbranche selbst tun ein Übriges.
Chefredakteurin Yasmin Vihaus
Genau um diese Veränderungen und um einen Shift Richtung Online, der MusikerInnen unabhängiger von der Musikindustrie, aber auch von uns JournalistInnen macht, geht es in unserer Coverstory, die sich mit neuen Formen von Clubkultur im Rahmen des Festivals Hyperreality auseinandersetzt. Der Begriff »Festival« setzt sich dann auch im ganzen Heft fort: In Verbindung mit Club etwa auch beim Porträt des StreamFestival-Kurators Markus Reindl, in Verbindung mit der Location Wiesen in einer Geschichte über den umkämpften Festivalmarkt und in Verbindung mit einer ganzen Reihe an Festivals natürlich in unserem alljährlichen Festivalkalender.
Anzeigenverkauf Herwig Bauer, Thomas Heher, Micky Klemsch, Martin Mühl, Clemens Reichholf, Thomas Weber (Leitung)
Abgesehen davon stellen wir das neue Album von Klitclique vor und widmen uns bei all den positiven Feierthemen auch der Krise, in Form eines Artikels über Krisenarchitektur, der uns beim Schreiben von der Printkrise abgelenkt hat.
Abonnement 10 Ausgaben; Euro 19,— www.thegap.at/abo
Yasmin Vihaus
vihaus@thegap.at • @yasmin_vihaus
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Gestaltung Michael Mickl, Lisa Weishäupl Autoren dieser Ausgabe Barbara Fohringer, Manfred Gram, Pia Gärtner, Viktoria Kirner, Michael Bela Kurz, Catherine Hazotte, Dominik Oswald, Michaela Pichler, Magdalena Reuss, Werner Schröttner, Victoria Szabó, Gabriel Roland, Sarah Wetzlmayr Kolumnisten Therese Kaiser, Gabriel Roland, Martin Mühl, Illbilly Fotografen dieser Ausgabe Erli Grünzweil (Cover), Fabian Gasperl, Alexander Gotter Lektorat Adalbert Gratzer, Katja Schifferegger
Distribution Martin Mühl Druck Ferdinand Berger & Söhne GmbH Pulverturmgasse 3, 1090 Wien Geschäftsführung Martin Mühl Produktion & Medieninhaberin Monopol GmbH, Wohllebengasse 16 / 6, 1040 Wien Kontakt The Gap c/o Monopol GmbH Wohllebengasse 16 / 6, 1040 Wien office@thegap.at — www.thegap.at Bankverbindung Monopol GmbH, Bank Austria, IBAN AT 54 1200 0515 8200 1929, BIC BKAUATWW
Heftpreis Euro 0,— Erscheinungsweise 6 Ausgaben pro Jahr; Erscheinungsort Wien; Verlagspostamt 1040 Wien Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Für den Inhalt von Inseraten haftet ausschließlich der Inserent. Für unaufgefordert zugesandtes Bildund Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Jegliche Reproduktion nur mit schriftlicher Genehmigung der Geschäftsführung.
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Magazin 012
Post-Internet, Post-Club Hyperreality zwischen Club und Clubkultur
020 »Unzerfickbar« Klitclique im Porträt 023 Konstruierte Krise Crisis Architecture 026 Lost in Linz Markus Reindl im Porträt 029 Metal-Industrie Napalm Records wird 25
034 After the Gold Rush Neues vom heimischen Festivalmarkt 036 Alles andere als eingerostet Wie das Rostfest Eisenerz belebt 040 Rein in die Comfortzone Glamping statt Camping 042 Festivalsommer Der große The-GapFestivalkalender
020
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042
Fabian Gasperl Liebt das Kino, Rennräder und natürlich die Fotografie. Wenn er nicht gerade Fotoreportagen macht, tobt er sich im Studio etwas künstlerischer aus, so wie beim Foto für unsere Modekolumne auf S. 8
Michael Mickl
Elsa Okazaki, Eric Pamies, Robert Maybach, Irina Zelewitz, privat
026
Gestaltet seit 1(9)61 mit am Gap und sieht sich nach langer Reise im Heimathafen angekommen. Mit Abstand good times.
Rubriken
Victoria Szabó
003 Editorial / Impressum 048 Workstation: Pendekar Puti Kaisar Mihara, Event-Safety Kreativkonglomerat Atzgerei 052 Prosa: Christina Dany 054 Gewinnen 055 Rezensionen 059 Termine
Werner Schröttner
Kolumnen 006 Lokaljournalismus: Martin Mühl 009 Einteiler: Gabriel Roland 010 Gender Gap: Therese Kaiser 066 Know-Nothing-Gesellschaft: Illbilly
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Ist Publizistik-Studentin mit großer Affinität zu Spritzwein, ästhetischer Kunst und harten Bässen. Aktuell ist sie als Praktikantin bei The Gap und hat sich für uns durch die Festivallandschaft textlich gefeiert/gequält.
Schreibt seit Ausgabe #24 für The Gap. Lebt und arbeitet in Wien. In der steirischen Provinz schon in früher Jugend mit Metal in Berührung gekommen. Erste Black MetalBestellungen bei Napalm Records in der ersten Hälfte der 90er. Ca. 25 Jahre später beschäftigt er sich für die aktuelle Ausgabe wieder mit dem Label.
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Martin Mühl isst sich durch Wien
Charts Oliver Maus TOP 10
Zitate aus »RuPaul's Drag Race« für den Alltagsgebrauch 01 Hello! Hello! Hello! 02 Hiiiiieeee! 03 Miss Vanjie... Miss.. Van-jie 04 Flazéda 05 Girl look how orange you fucking look gurl 06 Choices! 07 Absolutelyyyy (Gia Gunn Voice) 08 Party! 09 Okurrr 10 Sashay Away.
Lokaljournalismus Schutzhaus Laudonwiese
TOP 03
Coming-Of-Age Serien der (späten) 90er 01 My So-Called Life 02 Felicity 03 Freaks and Geeks
Oliver Maus ist im letzten Semester des trinationalen Masters »Medienkulturen im transnationalen Raum« und schreibt seine Abschlussarbeit über die Darstellung von AIDS im Film.
Charts Sarah Wetzlmayr TOP 10
Tocotronic-Songzeilen, die im Alltag gut einsetzbar sind 01 Talent borrows, genius steals (eigentlich von Oscar Wilde) 02 Pure Vernunft darf niemals siegen 03 Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit dafür 04 Im Zweifel für den Zweifel 05 Ich mag dich einfach nicht mehr so 06 Digital ist besser 07 Aber hier leben, nein danke 08 Was du auch machst, mach es nicht selbst 09 Ich will nüchtern für dich sein 10 Dein Gesicht ist eine Welt, deren Umriss mir gefällt
TOP 03
Gangarten beim Islandpferd 1. Tölt 2. Rennpass 3. Galopp Auch nicht schlecht: Gelungene Bohrlöcher in der Wand. Sarah Wetzlmayr ist Redakteurin, mag Sprache an sich, kann aber nicht flüstern. Pferdeflüsterin wäre sie aber trotzdem gern.
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Im Westen des Wolfersberg in Penzing liegt die Kleingartengenossenschaft Laudonwiese und in deren Zentrum ein Schutzhaus. Ein klassisch uriges Lokal, das fein in die dörflich wirkende Umgebung passt, mit einer ebenso vielfältigen Klientel. Gastronomisch gibt es hier in erster Linie Klassiker der sogenannten Wiener Küche. Man setzt aber unter anderem auch auf Biofisch – und samstags regelmäßig auf Themenabende in Form von Gastländern. Im Mai kommt hier noch Indien an die Reihe, bei unserem Besuch ist es Russland in Form eines 4-gängigen Menüs. Ein Kind in der Runde bestellte ein Kinderschnitzel, dessen Pommesbegleitung tendenziell aus der Gefriertruhe kam. Die Spargelsuppe erwies sich geschmacklich als ungut sauer und mit überraschenden Tomaten breit in der Gemüseauswahl. Das russische Menü selbst begann mit einem Borschtsch als Suppe und dünn in Sachen Einlagen. Die rote Rübe war hier angenehm dominant, das Kraut eher sparsam dosiert, der Lauch willkommen. Das darauf folgende Russische Ei mit Mayonnaise, Gemüse, Vollkorn-Pirogi und ein paar schwarzen Fischeiern, genannt Kaviar, war deftig. Zum Hauptgang gab es eine in Honig und Moosbeerensauce marinierte Wachtel, gelungen zubereitet und mit einer Art Gnocchi als Beilage. Zum Abschluss St. Erdbeeren Romanoff mit Eis, Schlag und einem Netz aus karamellisiertem Zucker. Gelungen war auch der gebratene Biofisch auf grünem Gemüsepüree mit Kartoffeln. Die Nachspeisen wie Bananasplit und Cremeschnitte fielen sehr üppig aus, während die Getränkekarte auf eine kleine Bierauswahl, Schankwein und saisonal etwa Marillen-Spritzer oder auch Erdbeerbowle reduziert ist. Auch wenn der Gesamteindruck zur Location passt und nicht alle Zutaten gleich edel waren, so überzeugt der Bio-Fisch in Qualität und Zubereitung, und das russische Menü passt in Preis (23,5 Euro) und Leistung. muehl@thegap.at • @muehlmartin Schutzhaus Laudonwiese, Friedhofstraße 19, 1140 Wien menue.laudonwiese.at
Preise: 3,4 bis 19,8 Euro
Andreas Jakwerth, Martin Mühl
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Auch nicht schlecht: Schöne Männer in Radlerhosen.
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FM4 INDIEKISTE MIT
SUPPORT: PARAMOUNT STYLES
25. JUNI 2018 ARENA OPEN AIR WIEN INTERPOLNYC.COM
ERMÄSSIGTE TICKETS FÜR 14-19 JÄHRIGE BEI JUGENDTICKET IM OETICKET-CENTER IM MUSEUMSQUARTIER.
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ERMÄSSIGTE TICKETS FÜR 14-19 JÄHRIGE BEI JUGENDTICKET IM OETICKET-CENTER IM MUSEUMSQUARTIER.
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F Ü R S TA D T H A L L E N - S H O W S A U C H : S TA D T H A L L E . C O M - T E L . 01 - 7 9 9 9 7 9
ARENA OPEN AIR WIEN
TICKETS: MUSICTICKET.AT | OETICKET.COM
29. AUGUST 2018
17.05.18 20:31
stART 2018
Szenisches Konzert mit 18 Uraufführungen
21. | 22. | 25. September WWW.ARGEKULTUR.AT T:+43-662-848784 | M:TICKETS@ARGEKULTUR.AT The Gap 169 002-013 Splitter.indd 8
fokus visuelle kommunikation
WWW.ARGEKULTUR.AT T:+43-662-848784 | M:TICKETS@ARGEKULTUR.AT
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Gabriel Roland
betrachtet die hiesige Modeszene Stück für Stück
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Sie haben Zollstocktaschen, reflektierende Streifen, Verstärkungen an strategischen Stellen und einen scheinbar festen Platz in der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Die Welt der Arbeitsbekleidungsstücke wirkt im Vergleich zu den Komplexitäten der Mode wie eine in sich geschlossene Idylle, wo ehrliche Lösungen für einfache Fragen gefunden werden und statt Oberflächlichkeit Substanz zählt. Gleichzeitig sind Dinge wie Kontrastnähte, aufgestickte Firmenlogos und farbkoordinierte Kombinationen eng mit Arbeitsbekleidung verbunden. Styles wie Jeans, Timberland-Stiefel oder Dickies-Pullover findet man längst nicht mehr nur auf Baustellen, auch wenn sie ihren Ursprung dort haben. Ihre Popularität baut auf eine Projektion von Authentizität, für die Funktionalität nichts anderes als ein Versatzstück image creation ist. Längst sind es nicht mehr nur Unternehmen, die auf den Look von offensichtlich zum Arbeiten entworfenen Kleidungsstücken setzen, um ihre Angestellten mit einer Aura von professioneller Autorität zu umgeben. Genauso wie Sport- und Outdoormarken aus ihrem Spezialgebiet ausgebrochen sind (Stichwort Athleisure) und momentan die Art, wie wir uns anziehen in vielerlei Hinsicht dominieren, lässt sich eine Bewegung der Arbeitsbekleidung in Richtung Freizeit beobachten. Der deutsche Hersteller Engelbert Strauss ist hier ein Wegbereiter. Dem Kolumnisten sind bereits Geschichten zugetragen worden, dass gewisse Handwerker Jacken der Marke bereits als »zu schön« für die Arbeit betrachten und sie stattdessen mit Stolz beim Ausgehen tragen. So wie Sneaker ihren Trägern einen aktiven Lebenswandel attestieren, auch wenn gerade kein Sport gemacht wird, verleiht die EngelbertStrauss-Jacke die Würde derer, die mit ihren Händen arbeiten – insbesondere in der Freizeit. Die nobelsten Beispiele von Arbeitskleidung sind freilich nicht aufwändig gearbeitete Stücke in modernen Schnitten und mit Neonreißverschlüssen, sondern einfache Varian-
ten in bescheidenem, blauem Baumwolltwill wie diese Jacke des Vorarlberger Herstellers Waibel. Aber vielleicht spricht da auch nur die bildungsbürgerlich-lächerliche Sehnsucht nach Authentizität. Schließlich eignet sich Arbeitskleidung auch ausgezeichnet dem Wunsch nach einfacheren Umständen Ausdruck zu geben. Zu Hemd und Seidenkrawatte getragen macht die Schlosserjacke die Welt aber wohl eher um ein hinreißendes Stück komplexer. Waibel erzeugt nicht nur die MasterSerie, zu der diese Arbeitsbluse gehört. Auf www.waibel.at findet man das ganze Sortiment, darunter auch viele freizeittaugliche Teile. roland@thegap.at • @wasichgsehnhab
Fabian Gasperl
fokus visuelle kommunikation
Einteiler Work Life Jacket
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Therese Kaiser
beschäftigt sich hier mit den großen und kleinen Fragen zu Feminismus.
Die Wege des Steuergelds sind quasi unergründlich, vor allem wenn es darum geht, herauszufinden, wie die Verteilung der Förderungen, Preise und Stipendien nach Geschlechtern aussieht. ———— Wer freischaffend im Kulturbereich arbeitet, ist meist auf Förderungen, Preise oder Stipendien angewiesen. Das gilt für die Filmbranche, für Musik und Musikwirtschaft, für darstellende Kunst oder für Literatur. Wer seine Alben nicht zusätzlich zur regulären Erwerbsarbeit produziert, seine Events nicht aus eigener Tasche finanziert oder fünf Wochen Urlaub zur Tour macht, gurkt entweder am Existenzminimum herum, gehört zu den wenigen, die erfolgreich genug sind, sich ökonomischen Zwängen entziehen zu d ü r f e n, verpulvert das Familienerbe oder begibt sich in die nervenaufreibende Welt der Fördergelder. Und wenn wir nicht von Einzelpersonen sprechen, sondern von budgetintensiven Projekten, Filmen, Ausstellungen oder langfristig angelegten Veranstaltungen, basierend auf unzähligen Arbeitsstunden unzähliger Beteiligter, dann sind Fördergelder überhaupt die Voraussetzung der Realisierbarkeit. Fördergelder, Preise und Stipendien entscheiden also über die Umsetzung von Projekten, können Jahresgehälter ganz ersetzen, oder zumindest persönlichen Ressourceneinsatz reduzieren. Steuergeld im Kulturbereich ist also super – zumindest für diejenigen, die darauf zugreifen können. In Österreich ist es ja so, dass unglaublich viele Stellen unzählige unterschiedliche Förderungen vergeben, und die Dokumentation darüber, wer von wem wann wie viel erhält, dabei keinen einheitlichen Standards folgt. Da gibt es gescannte Förderberichte, oder Webverzeichnisse, oder Jahresberichte, qualitativ variierend nach Bund, Land, Stadt oder Bezirk. Die Situation ist also – gelinde gesagt – unübersichtlich und zusätzlich höchst prekär dank Österreichs politischer Wetterlage. Wer überhaupt den Kulturbegriff in den einzelnen Bereichen definieren darf, ist gleich eine ganz andere Diskussion, und wie hoch diese Budgets angesetzt sind, sowieso. Bleiben wir beim Gender Gap: Wie viel Geld fließt an Männer, wie viel an Frauen? Diese Frage kann leider nur ebenso schwammig be-
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antwortet werden. Ea gibt aber die Vermutung, dass man bei gleichem Aufwand und professioneller Voraussetzung mit Penis wohl mehr und erfolgreicher Gelder lukriert, als ohne. Und das darf bitte nicht als plumpes Ausspielen der Geschlechter gegeneinander verstanden werden und ebenso wenig als Ausblenden aller existierenden Schieflagen im Kulturbereich, sondern als Problemaufriss in Sachen Verteilung. Ob Projekte überhaupt realisiert werden können, und unter welchen finanziellen Vorraussetzungen das geschieht, beeinflusst Karrieren und Existenzen im Kulturbereich maßgeblich. Wenn dann der Österreichische Film Gender Report veröffentlicht wird, der sich genau dieser Frage annimmt, und die Situation zwischen 2012 und 2016 skizziert (thegap.at/ film- gender-report-frauen-imoesterreichischen-film), dann hat man wenigstens Zahlen zum flauen Gefühl im Magen, mit denen sich doch politisch arbeiten lassen sollte. Wer nüchtern den gesamten Film Gender Report liest, wird schlussfolgern: Projekte mit Frauen in Stabsstellen stellen den geringeren Anteil der FörderungsempfängerInnen, Schlüsselpositionen in der Fördervergabe sind vor allem männlich besetzt. Männer entscheiden also häufiger, wer öffentliches Geld bekommt und Männer sind häufiger Empfänger öffentlicher Mittel als Frauen, zumindest in der Filmbranche. Nur in der Filmbranche? Wer sich detailliert auch abseits der Förderungen mit Sponsorings und auch Auftragsvergaben im öffentlichen Bereich auseinandersetzt, wird schnell merken, dass sich entsprechende Muster fast überall fortsetzen, das Symptom tritt mal freizügiger, mal verschleierter auf. Und Auftragsvergabe findet deshalb Erwähnung, weil einige Unternehmen und Institutionen im Kulturbereich ihre eigenen Projekte mit öffentlichen Aufträgen quasi gegenfinanzieren. Das soll nun kein pauschaler Verhaberungsvorwurf an die gesamte Kulturbranche sein, und den männlichen Empfängern öffentlichen Geldes auch nicht kollektiv absprechen, dass sie es sich nicht »verdient« hätten, gefördert zu werden. Und hier liegt die Crux der ganzen Geschichte: Wer hat sowieso irgendwas »verdient«, welche Projekte haben es »verdient«, einer brei-
ten Öffentlichkeit zugeführt zu werden, was hat Mehrwert? Wie ihr seht: Diese Fragen lassen sich nicht beantworten ohne philosophischpolitisch zu werden. Fairness-Fragen im Kulturkontext kratzen oft an einer Themaverfehlung oder holen aus, bis niemand mehr mitkommt. Ein Anfang wäre getan, würden wir uns nicht nur auf die Wege des Geldes konzentrieren, sondern die Lebensrealität von KünstlerInnen und Kulturschaffenden genauer beleuchten. Und zwar derart, dass der gefühlte Gender Bias so analysiert wird, dass klar wird, wie er in den einzelnen Branchen faktisch auftritt. Wo stehen Frauen mit Mitte 20, wo stehen sie mit Mitte 30, wie sieht die Situation von weiblichen* Kulturschaffenden mit 50, 60, 70 aus? Welche Zäsuren bestimmen Karrierewege, welche Preise haben wem welche Möglichkeiten eröffnet, welche Projekte haben sich mit öffentlichen Geldern realisieren lassen? Wer hat über Jahrzehnte prekäre Kulturarbeit geleistet, wer hat in frühen Phasen des eigenen Schaffens erfolgreich Finanzierungsstrukturen aufgebaut? Letztendlich bleibt die Frage nach der Henne und dem Ei: Wenn Förderstrukturen, Preise, Stipendien von Männern konzipiert werden, kann es nicht sein, dass sie gleichzeitig stereotyp »männlichen« Karriereverläufen und stereotyp »männlichen« Vorstellungen von Kulturarbeit folgen? Wenn der ungleichen Verteilung öffentlicher Gelder gekontert wird, es gäbe ja weniger Einreichungen von Frauen, oder ganz grundsätzlich weniger Frauen im Kulturbereich, stellen sich zwei Fragen: Wo sind eigentlich alle diese Frauen, seht ihr sie womöglich einfach nicht? Und kann es sein, dass sich hier eure eigenen Vorstellungen strukturell manifestieren und reproduzieren? Heißt der größte österreichische Musikpreis tatsächlich Amadeus Award und brauchen wir jetzt alle einen Penis, damit ihr uns Geld gebt? kaiser@thegap.at @thereseterror Therese Kaiser ist Co-Geschäftsführerin des feministischen Business Riot Festivals und ist vor allem auf Instagram anzutreffen. facebook.com / businessriot instagram.com / thereseterror
Pamela Rußmann
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Gender Gap It's all about the money
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Kunsthaus Bregenz David Claerbout 14 | 07 — 07 | 10 | 2018
Tacita Dean
Foto: Markus Tretter
20 | 10 | 2018 — 06 | 01 | 2019
Kunsthaus Bregenz www.kunsthaus-bregenz.at #kunsthausbregenz
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Erli GrĂźnzweil
Post-Internet, Post-Club The Gap 169 020-039 Story.indd 12
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Seit letztem Jahr, als Tomas Zierhofer-Kin gemeinsam mit Marlene Engel vom Donaufestival zu den Wiener Festwochen wanderte, hat Wien ein eigenes Festival für Clubkultur und damit nicht nur drei Clubnächte, die unterschiedlichste Strömungen experimenteller elektronischer Musik abdecken, sondern vor allem auch einen Raum für Entdeckungen und Diskurs. ———— Das Programm enthält nur vereinzelt Acts, die häufiger am Programm Wiener Clubs auftauchen und auch das transportierte Feeling ist nicht jenes, das unabhängig von den Acts jedes Wochenende zahlreiche Feiertouristen unabhängig von den auftretenden DJs zur Pilgerfahrt nach Berlin und damit näher Richtung Mekka Berghain treibt. Das hat einerseits sicher damit zu tun, dass Club im Rahmen der Wiener Festwochen bis zu einem gewissen Punkt hochkulturtauglich präsentiert werden muss, andererseits aber auch mit der unterschiedlichen Auffassung davon, was das Erlebnis Club nun ausmacht. Das ist keine neue Entwicklung und so sehr ein Club ein Freiraum für Erwachsene sein kann, in dem gesellschaftlich festgefahrene Normen dekonstruiert werden, so sehr ist es auch ein Ort, in dem Musik als Kunstform rezipiert wird. Und genauso wie es ein Zufluchtsort vor Ausgrenzung sein kann, ist es für einige letztendlich auch ein Spiel-
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Hyperreality zwischen Club und Clubkultur
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platz, der zumindest vorwiegend aus hedonistischen Motiven besucht wird, in dem erst in zweiter Linie und nur neben der Auseinandersetzung mit vielleicht ohnehin schon bekannten Musikformaten über heteronormative Geschlechterrollen und die Diskriminierung marginalisierter Gruppen nachgedacht wird – auch wenn man das nur ungern zugibt. Das muss und sollte man den ClubgängerInnen aber nicht wirklich ankreiden, denn es unterscheidet sie nicht wirklich vom Rest der Gesellschaft – ein Festival für Clubkultur, das im Rahmen der Wiener Festwochen hingegen fast die Aufgabe hat, Bekanntes ein Stück weit zu dekonstruieren, um einen Blick über den eigenen Spielplatz hinaus zu ermöglichen.
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Shiva Feshareki verbindet Clubsounds mit Neuer Musik. Bei Hyperreality spielt sie gemeinsam mit dem Organisten Kit Downes ein für den Kontext entwickeltes Set.
Hyper.Text.Markup.Language »Jeder Zeit ihre Musik, dem Club ihre Freiheit«, schreibt Hyperreality-Macherin Marlene Engel im Vorwort des Programmhefts zur Clubfestivalschiene der Wiener Festwochen. Dabei stellt sich unweigerlich die nicht ganz einfach zu beantwortende Frage: In welcher Zeit leben wir musikalisch gesehen nun eigentlich? Die Musikwirtschaft wurde, unabhängig davon welches Genre man betrachtet, in den letzten Jahren durch die zunehmende Digitalisierung, die dadurch einhergehende Beschleunigung und die Globalisierung vor Herausforderungen gestellt, hat vielerorts finanziell darunter gelitten, ist aber gleichzeitig sowohl im kreativen Prozess als auch im Bereich der Verbreitung ein Stück weit zusammengerückt. Klassische Streaming- und Austauschplattformen wie Soundcloud oder Mixcloud, Videoformate wie Boiler Room oder Internetradios machen es nicht nur den NutzerInnen einfacher, Musik zu entdecken, sondern helfen auch MusikerInnen ohne strukturelle Unterstützung durch Management und Labels, ein größeres Publikum zu erreichen. »If video killed the radio star, then digital streaming is dancing on its grave«, schreibt etwa Claire Considine in einem Artikel über den Onlineradiosender NTS4, der sich 2011 als Teil eines ganzen Netzwerks an neuen hyperlokalen Internetradiostationen wie Soho Radio, Berlin Community Radio oder Know Wave Radio ursprünglich zwischen BBC Radio 6 und DIY-Radio positioniert hatte und innerhalb kürzester Zeit eine unglaubliche Reichweite hatte. Mittlerweile hat der Sender über 200 Hosts und sendet monatlich live von über 30 Städten weltweit.
Hy.brid
Meuko! Meuko! bringt mit ihrer audiovisuellen Show einen Hauch der taiwanesischen Underground-Szene nach Wien.
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Von der durch die globale Vernetzung bescherten Unabhängigkeit von klassischen Vermarktungs- und Verbreitungskonzepten profitieren vor allem KünstlerInnen, deren Stil auf den ersten Blick vielleicht nicht in das Repertoire der Mainstream-Maschinerie passt, wie Shiva Feshareki, selbst Musikerin und Host bei Radio NTS, erklärt: »Gerade wenn wir von experimenteller Musik sprechen, hat das Internet massiv dabei geholfen, anspruchsvolle Musik einem Publikum näher zu bringen, das vielleicht, ohne es zu wissen, ohnehin nach dieser Art von Musik gesucht
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hat. Was einer breiten Hörerschaft zugänglich wird, ist nicht länger von Entscheidungen der Musikindustrie abhängig.« Feshareki, die eigentlich aus der klassischen Instrumentalmusik kommt und am Royal College Of Music in London promoviert hat, sieht in der ständigen Verfügbarkeit und der ständigen Möglichkeit, Neues zu entdecken, eine große Inspirationsquelle. Beim Hyperreality steht die britische Künstlerin gemeinsam mit dem Organisten Kit Downes auf der Bühne, abgesehen davon spielt sie in Clubs genauso wie in Galerien und Konzertsälen. Bei ihren Auftritten werden zwei, drei oder vier Turntables gewissermaßen zu eigenen Instrumenten, die live dekonstruieren und neu zusammensetzen, damit Genregrenzen obsolet machen und gleichzeitig Sub- und Hochkultur miteinander verknüpfen: »Es ist vor allem dieses Zusammenspiel vieler verschiedener Subkulturen, das mich besonders reizt. In meiner Arbeit nütze ich diese Wechselwirkungen, um mit Veränderungen gewissermaßen zu kommentieren. Das ist auch der Grund dafür, warum es in einem großen Teil meiner Arbeit darum geht, bereits aufgenommenes Material zu verändern – das gibt meiner Musik nicht nur eine gewisse Fluidität, sondern zeigt auch, wie sich Sound in so vielen verschiedenen Arten verändern kann und damit neue Perspektiven bietet.«
im Kopf, on- oder offline. Das hat diese Musik formal und inhaltlich weiter vorangetrieben und die Grenze zur experimentellen Musik verschwimmt dabei auch tendenziell.« Die Grenzen zur experimentellen Musik lotet die taiwanesische Soundkünstlerin Pon aus, die sich nach Erfolgen mit ihrer IndieBand Shine & Shine & Shine & Shine, mit der sie zum J-Pop-Star avancierte, nun mit ihrem Soloprojekt Meuko! Meuko! auf Musik konzentriert, die nicht dem Markt gefällt, sondern viel mehr sie selbst als Künstlerin repräsentiert. Auch sie hostet monatlich eine Sendung bei Radio NTS und profitiert von ihrer Onlinepräsenz auf Soundcloud und bei Live-Streamings ihrer Performances. »Dass ich auf einem Festival wie Hyperreality spielen kann, ist für mich eigentlich unvorstellbar. Mir ist manchmal gar nicht bewusst, wie Leute meine Musik entdecken«, erklärt sie fast schüchtern und zeigt damit, wie fern Europa wirkt, wenn das Internet nicht mehr als alles verbindendes Element fungiert. Für ihre Live-Shows experimentiert sie mit Vocals, aber auch mit dem Sound von modifizierten
Ben Ealovega, Ash Lin, Apollonia Theresa Bitzan
Hyper.dekonstruiert Dabei steht die Dekonstruktion von Genres vielleicht stellvertretend für eine Generation von MusikerInnen, die nicht mehr darauf angewiesen ist, ihre Musik für Medien und Industrie einzuordnen, um sie später an ein bestimmtes Publikum zu bringen und damit Bekanntheit zu erreichen und gleichzeitig nahezu alle technischen Möglichkeiten und eine unglaublich große Auswahl an Inspirationsquellen vorfindet. Das Wegfallen von klassischen Gatekeepern wie Industrie und Medien ermöglicht einen kontinuierlichen Austausch rund um den Globus und bringt Musik schnell – und durch diverse Algorithmen auch relativ zuverlässig – zu ihren HörerInnen. MusikerInnen brauchen heute als Ausgangspunkt nicht zwingend ein Label, nicht zwingend einen fixen Ort, ein Management oder ein Pressing, um Musik zu verbreiten. Diese Unabhängigkeit verändert auch die Musik, die dabei entsteht, wie Marlene Engel, Kuratorin vom Hyperreality erklärt: »Musik ist traditionell immer für bestimmte Räume komponiert worden. Die Frage, die sich stellt, ist, inwiefern das Post-Internet auch noch so stattfindet. Ich glaube, je weniger realen Raum es für Musik gibt, umso theoretischer wird Clubmusik. Man hat beim Produzieren weniger als früher einen bestimmten Raum
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»Ich glaube, je weniger realen Raum es für Musik gibt, umso theoretischer wird Clubmusik.« — Marlene Engel, Bürgerkurator
Spielzeugen, Samples von alten Tapes, oder Aufnahmen von Tiergeräuschen, bezieht ihr Publikum in ihre Show mit ein und macht damit aus ihrem Auftritt einen PerformanceAct. Die Musik, die dabei entsteht, ist auf den ersten Blick vielleicht ein Stück weit entfernt davon, was gemeinhin als tanzbar empfunden wird, hört man sich Kollaborationen mit dem japanischen Footwork-Artist Foodman an,
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wird klar, wie sehr mehr oder weniger abgegrenzte Genres von experimentellen Einflüssen profitieren und wie vieles dann doch im Club funktionieren kann.
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Hyper.anpassungsfähig Aber wie sieht dieser Club, als Raum, als Setting aus, der experimentelle Musik fördert und als verbindendes Element zwischen den Genres wirkt? Während verschiedene Subkulturen traditionellerweise in unterschiedlichen Umfeldern gefeiert haben, die man – wenn man an House und Warehouses in Chicago, Disco und Diskothek oder die Ballroom Community denkt – zum Teil sogar am Genre erraten konnte, stellt sich diese Frage bei der Vermischung derselben erneut. Eine klare einfache Antwort gibt es nicht, nicht zuletzt, weil Musik schneller abgewandelt und an das Setting angepasst werden kann und auch vermehrt die Bereitschaft der MusikerInnen dafür besteht, Musik als Gesamterlebnis immer wieder neu zu konzipieren. Jüngstes Beispiel dafür ist etwa das neue Album von Electric Indigo, das in Kombination mit der dazugehörigen visuellen Show fast atmosphärischen Kunstcharakter hat, in einer überarbeiteten Fassung aber auch auf eine Compilation des Techno-Labels Ostgut Ton passt. Ähnliches soll auch bei den Auftragsarbeiten vom Hyperreality möglich werden. So präsentiert Fauna ihr neues Album »Inferno« auf der Bühne mit einem Orchester, Stefan Juster verwandelt das Album seines Soloprojekts Jung an Tagen zu einer audiovisuellen Liveshow. Ob seine Musik nun eher in den Club oder eher in einen künstlerischen Hochkulturrahmen passt, will er nicht beantworten – letztendlich aber auch deshalb, weil sie eben je nach Raum adaptierbar ist, wie er erklärt: »Die Grenze ist die Kickdrum. Ich kann polyrhythmische Strukturen oder elektroakustische Texturen komponieren und in Konzerthäuser spielen, wenn ich dann eine Kickdrum hinzufüge, kann ich mit dem gleichen Material in einem Club auftreten.«
kaum Paradigmen vorherrschen, zu finden, ist schwer. Viele Clubs folgen in der Art, wie sie operieren und gebaut wurden, gewissen Merkmalen, die sich eher aus der kapitalistischen Vereinnahmung von Clubkultur ergeben haben«, so Marlene Engel, die für das Hyperreality mit dem Schloss Neugebäude im letzten Jahr und dem F23 in diesem Jahr ebenfalls Orte gewählt hat, die per se nicht im Clubkontext bekannt sind. Als generelles Konzept funktioniert das aber auch nur bedingt, denn gerade bei Off-Locations ist der logistische und finanzielle Aufwand, der betrieben werden muss, um behördlichen Auflagen zu entsprechen, nicht selten größer, als wenn man auf kleine Clubs ausweicht, die soundtechnisch aber wiederum oft selbst zu kämpfen haben. Beim Hyperreality befindet man sich gewissermaßen in einer privilegierten Situation, wie Marlene Engel zugibt: »Im Rahmen der Festwochen arbeiten wir mit
Hyper.Club
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Soundsystemen, die extrem hochwertig sind und auch unter gewissen Auflagen sehr gut klingen. Viele Clubs, die auch eine gute Programmierung hätten, können sich das nicht leisten und müssen Bassmusik unter Umständen präsentieren, die der Musik ihr Herzstück nimmt.« Letztendlich bietet das Festival aber vielleicht auch eine Grundlage für Diskurse rund um fehlende Räume und neue Raumansprüche, um hyperreal in real zu verwandeln.
Hyperreality findet vom 24. Mai bis 26. Mai im Rahmen der Wiener Festwochen statt.
Stefan Juster hat für Hyperreality ein audiovisuelles Live-Set konzipiert, bei dem er mit CERN Visualisierungen arbeitet.
Milica Balubdzic
So wandelbar experimentelle elektronische Musik auch sein mag und so unabhängig sie vom klassischen Clubkonzept scheint, letztendlich braucht sie dennoch einen Raum, um zu wirken. Sucht man nach diesen Räumen in Wien, wird man nur schwer fündig, wie auch Juster erkennt: »Ich gehe nicht oft aus und spiele auch selten in Wien. Was man aber schon merkt, ist, dass es seit einiger Zeit keine kohärente Subkultur mehr gibt. Das hat Vor- und Nachteile. Jedenfalls hat es meine Generation bis jetzt leider verabsäumt ihren eigenen Club aufzusperren.« Betrachtet man die Szene in Wien, findet man zwar etwa mit Ashida Park, Bliss, Common Contact, Utopia 3000 oder Struma & Idione zwar Labels, Veranstaltungskollektive und KünstlerInnen, die in genau diese experimentellere Kerbe schlagen, eine fixe Location haben sie dabei aber nicht. Die Gründe dafür könnten einerseits in einer viel diverseren Community, andererseits aber auch an den verfügbaren Locations liegen. »Wirkliche Freiräume, Orte an denen
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Nischen bis Pop
The Subways Cassius Alice Merton Eels Joan As Police Woman Ziggy Marley Shout Out Louds Hayden James Martin Kohlstedt
Fink Antilopen Gang White Lies Vintage Trouble Brian Jonestown Massacre Faber Seasick Steve Beartooth
Many More →
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Rania Mustafa Ali – »Ranias Odyssee« The Gap 169 020-039 Story.indd 19
Im Rahmen von »Ganymed Nature« im Kunsthistorischen Museum bespielt die Syrerin Rania Mustafa Ali eine Station mit »Ranias Odyssee«. ———— Eine junge Frau, ein alter Meister, zwei Leinwände. Saal 5 im Kunsthistorischen Museum zeigt biblische Motive auf Gemälden des 17. Jahrhunderts – er riecht nach Ehrfurcht, Erhabenheit, Kunst und Geschichte. Der Boden knarzt, sonst ist es still, Neugier setzt ein. Ein Blick ins Programmheft verrät, dass sich die bevorstehende Performance auf Orazio Gentileschis »Ruhe auf der Flucht nach Ägypten« bezieht. Der Blick schweift nach rechts: Die Farben des Gemäldes aus 1628 strahlen, der Inhalt ist ruhig und ausdrucksstark. In seiner Stille erzählt dieses Bild eine ganze Geschichte: die der Flucht der heiligen Familie vor Herodes nach Ägypten, in dieser Momentaufnahme erschöpft und auf der Suche nach etwas Erholung. Josef liegt auf dem Gepäcksack, Maria stillt Jesus; ein Moment des Innehaltens. Im Augenwinkel beginnt es zu flimmern. Rania Mustafa Ali steht in einem dunklen Kleid im Türstock, eine noch undefinierbare Videoprojektion spielt auf ihrem Körper. Dann beginnt sie zu sprechen. »Ich komme aus Kobane. So sieht es jetzt aus in Kobane.« Bei diesen Worten breitet sie ein Leinentuch vor sich aus, auf dem sich Szenen ihres Dokumentarfilms »Rania’s Odyssey« abspielen. »Für den Rest der Welt ist es eine Kriegszone, für mich ist es meine Heimat.« Mit ihrem Film, der bereits 2017 groß von der britischen Zeitung »The Guardian« ausgespielt wurde, zeigt sie ihre eigene Flucht aus Syrien, die in Wien endete. In ihrer Performance im Museum verbindet sie ihn nun auf sehr emotionale Weise mit einem der ältesten und bekanntesten Fluchtmotive, das die abendländische Kunstgeschichte zu bieten hat. Sie nimmt das Leinentuch wieder ab und erzählt weiter. Von der Kriegszone, dem Elend, der Aussichtslosigkeit. Von den wenigen Dingen, die sie mitgenommen hat, von der abenteuerlichen und lebensgefährlichen Reise und den vielen unmenschlichen Erfahrungen, die sie dabei sammeln musste. Immer wieder breitet sie dazwischen das Tuch aus und zeigt Szenen des Films. An der Grenze zu Mazedonien fand sie im Zeltlager einen Moment der Ruhe. Ruhe auf der Flucht aus Syrien. Einen Moment, um das Erlebte zu verarbeiten, zu sich zu kommen, Frieden zu finden. Genau wie Josef und Maria und Jesus. Rania Ali ist 22 Jahre alt und lebt nun seit eineinhalb Jahren in Wien. Sie engagiert sich aktiv für die Integration von Geflüchteten, auch im Rahmen international arbeitender NGOs. Ihre aktuelle Performance im Kunsthistorischen Museum ist ihr ein Anliegen: Sie möchte den BesucherInnen eine gewisse Normalität näherbringen und zeigen, dass die Leute aus Kriegsgebieten normale Menschen sind, die aus normalen, banalen Gründen fliehen. »Ich möchte in Dialog zu dem Gemälde unterstreichen, dass Flucht nichts Neues ist. Seit jeher sind Menschen vor Krieg und Verfolgung geflohen. Auch Religion spielt hier keine Rolle, es ist einfach etwas Menschliches.« Die Abende, an denen sie ihre Geschichte wieder und wieder erzählt, geben ihr Kraft. Manchmal kommen Tränen, manchmal tut es weh, doch es zeigt die menschliche Seite einer Geflüchteten, die ihre Träume mitgenommen hat und alles tut, um die Zukunft besser zu machen. Das Kunstwerk, das biblische Motiv, auf das sie sich bezieht, ist wie ein Spiegel – sie erkennt ihre eigenen Emotionen darin und den Horror, den Menschen auf der Flucht erleben müssen. Am Ende zieht sie das Leinentuch wieder glatt, der Film wird laut: Tränengasattacke auf eine Gruppe von Flüchtlingen. Und dann ein Moment des Friedens. Magdalena Reuss
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Rania Alis Ranias Odyssee: Ruhe auf der Flucht
»Ganymed Nature« findet noch bis 16. Juni 2018 im Kunsthistorischen Museum statt. Termine unter www.khm.at
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Unzerfickbar
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Das Lo-Fi-Rap-Duo Klitclique feiert im Juni ihr Albumdebüt. Über interdisziplinäre BackupCrews, Altersfreigaben auf Youtube und die Gretchenfrage nach dem Frauenanteil im Rap – auf ein Cola mit Klitclique. ———— »Ich bin der Feminist, aber dann habe ich mir die Beine abrasiert und mir Coco Chanel ins Gesicht geschmiert und auf der Akademie studiert« – wenn Klitclique zum Rundumschlag ausholen, machen sie auch vor ihren eigenen Privilegien nicht halt. Im Musikvideo zu ihrer ersten Single »Der Feminist F¤M1N1$T« zerlegen G-udit und $chwanger, die beide auf der Akademie der bildenden Künste in Wien studiert haben, mit perfekt sitzendem Lippenstift feministische Diskurse der letzten zwanzig Jahre. Klitclique sind mehr als ein Rapperinnen-Kollektiv im deutschsprachigen, männerdominierten Hip-Hop-Dschungel. Angefangen hat alles zwischen Graffitikunst und Freestyle-Diss: Ab 2005 machten Klitclique die hiesige Rapbattleszene unsicher – »To shake things up, a little bit«. Performances und Kunstinstallationen in Galerien, auf Partys, in Clubs und in Off-Spaces folgten, zwischen Publikumsbeschimpfung und der Vernebelung von Erwartungshaltungen lenkten die zwei Künstlerinnen, teilweise mit Masken verschleiert, die Aufmerksamkeit immer wieder auf sich. Irgendwann wurden schließlich auch feministische Institutionen wie das Frauencafé auf Klitclique aufmerksam. »Wir haben unsere Rolle eigentlich darin gesehen, als Graffiti-Weiber vor und mit Männern aufzutreten und diese dann zu beschimpfen. Am Anfang haben wir das zuerst gar nicht gecheckt, warum uns jetzt auf einmal Feministinnen cool finden.« Seit den Sprayertagen in den 2000er-Jahren scheint das KlitcliquePerformance-Portfolio zwischen Paris, Berlin, Stockholm und Wien alle Spaces abgegrast zu haben, die die urbane Kunstszene zu bieten hat. »Von White-Cube-Galerien bis zum Kindergeburtstag« lautet das Motto – auch am Donaufestival in Krems trifft man auf sie. 2017 erschien mit »Der Feminist F¤M1N1$T« schließlich das erste Musikvideo, beim Popfest bespielten sie im Rahmen einer FM4Session das Funkhaus Wien und supporteten im darauffolgenden Herbst Lit-Girl Stefanie Sargnagel bei ihrer deutschen Lesereise-Tour.
Jetzt veröffentlichen die beiden ihr Debütalbum »Schlecht im Bett Gut im Rap«, das ab 1. Juni kostenlos via klitclique.com zum Download bereit steht.
Gesamtkunstwerk, das (n.) Mit dem Erstlingswerk betreten Klitclique Gefilde, die sie eigentlich nie am Schirm hatten, wie sie erzählen: »Das Debüt ist irgendwie eine Geschichte über seine eigene Entstehung – wir hatten ursprünglich nie ein Album geplant, weil wir auch aus dem Freestyle kommen. Es ist deshalb viel eher aus sich selbst gewachsen.« Das Album folgt dabei dem Prinzip des konzeptuellen Eklektizismus, hinter jedem Track steckt ein anderes Konzept: Mit »Maria« huldigen Klitclique in Cloudrap-Manier Maria Lassnig (»Karrierebitch mit 90 / sie malt nur sich / jeder Pinselstrich / überlebt dich / inhaltlich«), Songs wie »LSDAP« oder »NCNP« sind teilweise aus stundenlangen Freestyle-Mitschnitten entstanden. Klitcliques meistgeklicktes Steckenpferd »Der Feminist F¤M1N1$T« ist eine Hommage an DJ Vadims »The Terrorist«. $chwanger und G-udit bedienen sich nach Lust und Laune
»Wir sind die ganze Zeit von extrem genialen Leuten umgeben.« wie in einem Süßigkeitenladen, picken sich von jedem Genre, jedem Medium und jedem Raum das Beste heraus und fügen oben drauf noch ein bisschen Streetcreds hinzu. An internationalem Cloudrap als Inspirationsquelle gefällt den beiden Rapperinnen beispielsweise die Auflockerung der doch sehr sperrigen, formalen Traditionen im Hip Hop. Ihren Sound beschreiben Klitclique übrigens mit dem Adjektiv lustig – »lustig und 1 Gesamtkunstwerk«. Denn wer bei Klitclique über den musikalischen Tellerrand blickt, wird neben fetten Rhymes schnell auf die Breitbandpalette
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Klitclique im Porträt
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Community, die (w.) Neben dem interdisziplinären Ansatz und dem eigenen multimedialen Verständnis von Kunstvermittlung wird im Klitclique-Kosmos noch ein weiterer Aspekt großgeschrieben,
nämlich die eigene Community. »Wir sind die ganze Zeit von extrem genialen Leuten umgeben.« Zur Klitclique-Gefolge-Gang zählen sich beispielsweise die Performance-Künstlerinnen Florentina Holzinger und Lilly Pfalzer (in den Musikvideos zu »Der Feminist F¤M1N1$T« oder »M« zu sehen), die Videokünstlerin und Regisseurin Jessyca R. Hauser oder Hyperreality-Kuratorin Marlene Engel. Gepushed von der eigenen Crew, die in den letzten Jahren um Klitclique gewachsen ist, sind sie nicht nur Fans von Off-Spaces, sondern auch von Open-Stages in jeder erdenklichen Form. »Es ist ganz egal, ob das Beatboxen, ein Rap-Battle oder eine Impro-Jazz-Session ist«, erklärt Gudit im Interview. »Es geht viel mehr um den Vibe dahinter.«
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an künstlerischen Output stoßen, in dem sich der Klit-Sound einbettet. Das Medium Musikvideo nimmt dabei einen besonderen Stellenwert im Repertoire der Wiener Künstlerinnen ein: In ihm kommen neben Art-Performances auch die bis ins kleinste Detail durchgestalteten Requisiten zur Geltung, wie beispielsweise das DIY-Mischpult Menstruator PMS 2000 aus lackiertem Karton. G-udit hat außerdem eine textile Schmuckkollektion zum goldigen Vulva-Größenvergleich entworfen. Zusätzlich zur visuellen Komponente ist das Klitclique-Gesamtkunstwerk außerdem von einem Bildungsauftrag der beiden Masterminds durchzogen, der in der Rezeption oft unter dem Stempel »Provokation« rangiert. Klitclique selbst würden ihre Kunst zwar als »nicht leicht verdaulich« bezeichnen, »provokativ finde ich es aber nicht«, wie MC $chwanger meint. »Es fällt einfach immer noch extrem stark auf, wenn Künstlerinnen Performances machen, die zwar irgendwie nach Pop klingen, aber inhaltlich dann etwas anderes vermitteln.« Dies trifft nicht nur auf die Musikszene zu, sondern vor allem auch auf den österreichischen Kunstbetrieb und seine marktorientierten Hierarchien, die Klitclique in ihren Performances immer wieder in die Mangel nehmen, wie im Track »D1G 1RG¤NDWA$« (»dein Galerist / ist er am Klo / und zieht 1 Line / ist er am Klo / und speibt ganz allein / zwölf Flaschen Wein«).
Feminismus, der (m.) Bei Künstlerinnen wie Klitclique, die mit goldenen Vagina-Blingblings in Musikvideos mit Altersbeschränkung über Feminismus kontern, stellt sich – leider immer noch – die Gretchenfrage nach der Frauenquote im Rap. Quoten-Bookings haben die zwei Rapperinnen immerhin selbst oft genug erlebt, wie bei der Geburtstagsparty von Erwin Wurm im Volksgarten, bei der Klitclique nach den ersten Minuten allerdings abgedreht wurden – sie würden die ganzen »schönen Damen« auf der Party verschrecken. Dabei wollten sie doch nur über einen Britney-Spears-Beat freestylen. $chwanger und G-udit beantworten die Frage nach den Frauen im Rap mit einem Plädoyer an gegenseitigen Support abseits heteronomer Konkurrenzkämpfe zwischen Künstlerinnen, und an Selbstbestimmung mit ganz viel »Scheiß-Drauf«-Attitüde. »Wie wir alle wissen, darf es in dieser Gesellschaft nur eine Queen Bee geben. Aber nur eine!« Jeglichem Selbstzweifel zum Trotz, der laut Klitclique viele Frauen daran hindere, ihre »Gusch endlich aufzukriegen« und sich selbst
»Es geht viel mehr um den Vibe dahinter.« auf die Bühne zu stellen – so wie sie selbst, einst in den glorreichen 00er-Jahren, auf den Wiener Freestyle-Bühnen. »Die Dudes, die sich damals bei Battles über uns und unsere Inhalte aufgeregt haben oder gemeint haben, wir hätten zu wenige Doppelreime, arbeiten jetzt im Endeffekt im Turnschuh-Verkauf. In der Zwischenzeit machen wir gemütlich unser erstes Album.« Michaela Pichler
»Schlecht im Bett Gut im Rap« erscheint am 1. Juni auf dem Eigenlabel Bad in Bed Records. Am 16. Juni wird der Release gemeinsam mit Bliss in der Nordbahnhalle in Wien gefeiert.
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Crisis Architecture Konstruierte Krise
An den Anblick solcher Poller hat man sich mittlerweile gewöhnt. Hin und wieder wird trotzdem noch versucht sie geschickt zu tarnen.
Betonpoller, die in der Weihnachtszeit in buntes Geschenkpapier verpackt werden, oder mittelalterlich anmutende Wassergräben – die Architektur findet ständig neue Antworten auf den Terror. ———— Während die Architektur selbst schon oft bis zum Hals in der Krise steckte, so dass sie nur noch müde röchelte und der Zeitgeist aus vielen neu gebauten Häusern auszog, um woanders zu spuken, scheint sich das nun umgedreht zu haben: Die Krise steckt in der Architektur und lenkt dort alles Richtung Hochsicherheitsbauweise und Anti-Terror-Maßnahmen. Während viele ArchitektInnen dieses Sicherheitsgefühl lange Zeit mit dem Vorschlaghammer zu vermitteln versuchten, bemüht man sich hier neuerdings mehr um Streicheleinheiten. Denn selbst die Amerikaner möchten ihre Gebäude nicht mehr hinter Stacheldraht, Betonmauern und schwer bewaffneten Militärs verstecken, sondern subtiler und offener bauen. Ziel ist es, mithilfe entsprechender Vorkehrungen, gegen alle möglichen Angriffe gewappnet zu sein, doch diese sollen im Idealfall unsichtbar bleiben. Aktuell bestes Beispiel für einen solchen Akt der Camouflage ist die neue US-Botschaft in London, die vom Architekturbüro KieranTimberlake gebaut wurde. Ihr Entwurf basiert auf der Abkehr von Abschottung und der Verweigerung stark nach
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»Sicherheit ist bei uns zwar ein Thema, soll aber nicht auffallen.« — Michael Zinganel, Architekt
außen sichtbarer Defensivmaßnahmen – hält aber gleichzeitig höchste Sicherheitsstandards und modernste Anti-Terror-Maßnahmen ein. »Offenheit und Transparenz« war das Credo des ArchitektInnenteams, mit dem er den Wettbewerb letztlich auch für sich entscheiden konnte. Die mittelalterliche Turmhügelburg diente den ArchitektInnen für ihren Botschafts-Entwurf als Vorbild, weshalb sie das Gebäude 30 Meter von der Straße zurücksetzen ließen und es mit einem Wassergraben – oder »Teich« – versahen. In Richtung Norden umgibt eine Hecke das Gelände – allerdings eine, die es in sich hat: Unter ihren Blättern verstecken sich zahlreiche Stahl- und Betonpoller. Diese sind so beschaffen, dass sie einen 7,5 Tonnen schweren LKW stoppen sollten. Gelänge es einem Fahrzeug dennoch, diese Vorkehrung zu überwinden, würde es auf eine Sitzmauer stoßen und dann auf jene 20 Meter breite Wasserfläche, hinter der sich das Botschaftsgebäude auf einem erhöhten Sockel befindet. Das Spiel mit Offenheit und Transparenz entspricht nämlich eigentlich einer geschlossenen Gesellschaft. Das spiegelt sich auch in der Außenfassade des mächtigen Gebäudes wider – der gestaucht wirkende Glaskubus ist nämlich nur scheinbar transparent. Eigentlich hat er genau dieselbe Farbe wie das beinahe angrenzende, trübe Themsenwasser. Die Glaswände des Gebäudes sind nicht nur 15 Zentimeter dick, sondern bestehen auch aus mehreren laminierten Platten, denen selbst wuchtigste Sprengsätze nichts ausmachen. Auch bei der 2008 neu eröffneten US-Botschaft in Berlin war Offenheit ein großes Thema, wenn auch in einem etwas anderen Sinn – hier wollte man nämlich offen und mit zahlreichen Pollern, Kameras und Lichtblenden zeigen, dass die Sicherheit des Gebäudes an oberster Stelle steht. Da der ursprüngliche Entwurf aus dem Jahr 1996 stammte, musste dieser, vor allem nach den Anschlägen des 11. September, stark angepasst werden. Nach ihrer Fertigstellung wurde die Botschaft, aufgrund der gut sichtbaren Sicherheitsmaßnahmen, kontrovers diskutiert und das Gebäude mit Titeln wie »Festung« oder »Bunker« versehen.
Versteckte Kontrolle Für ihren Entwurf der neuen US-Botschaft blickten KieranTimberlake jedoch nicht nur ins Mittelalter, sondern auch nach Mitteleuropa. »Bei der humanistischen Architekturausbildung am europäischen Festland wurde der Sicherheitsaspekt eigentlich so gut es ging verdrängt. Es gab lange Zeit kaum jemanden, der sich damit beschäftigt hat, weil man dadurch schnell in ein rechtes Eck gedrängt wurde. Es hat sicherlich auch mit der deutsch-österreichischen Faschismusgeschichte zu tun, dass ein Zuviel an Militarisierung an diese Zeiten erinnert. In Ländern ohne eine solche Geschichte haben die Architekten weniger Berührungsängste, und Hochsicherheit gehört mitunter sogar zum Alltag der Planung«, erklärt der Grazer Architekt und Architekturtheoretiker Michael Zinganel, der sich bereits 2003, in seinem Buch »Real Crime«, mit den Auswirkungen von Verbre-
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chen auf Architektur und Stadtplanung auseinandersetzte. Wie groß das Bedürfnis ist, Sicherheitsvorkehrungen wie Poller, Mauern, aber auch Kameras in hübschem Tarngewand zu verpacken, ist stark vom kulturellen Kontext abhängig. Dass die Amerikaner bisher nur wenig Hemmungen hatten, ihre defensiven Maßnamen offen auszustellen, lässt sich jedoch nicht den Gebäuden selbst ablesen, sondern wird auch anhand des allgemein hohen Aufgebots an bewaffnetem Securitypersonal, beispielsweise in Shopping Malls, deutlich. In Kontinentaleuropa sind weder Letztere, noch massive bauliche Abwehrmaßnahmen, gerne gesehen. »Ein Besuch des Wiener Parlamentsgebäudes, gemeinsam mit amerikanischen Studierenden, hat diese Kluft für mich deutlich gemacht. Bis ich ihnen erklärt habe, dass Sicherheitsvorkehrungen wie Bodyscreener hier gut hinter den schönen Altbaufassaden versteckt sind, waren sie sehr verwundert darüber, dass man hier das Parlament ›einfach so‹ betreten kann. Sicherheit ist bei uns zwar ein Thema, soll aber nicht auffallen. Das hat speziell in Österreich eine lange Tradition«, erklärt der Architekt. Als Paradebeispiel dafür erwähnt er den Wiener Millennium Tower, der zwar schon im Jahr 1999, aber ebenfalls zu einer Zeit, in der die Sicherheitsvorkehrungen für Hochhäuser extrem hochgeschraubt wurden, gebaut wurde: »Architekt Boris Podrecca hat gerade bei diesem Gebäude sehr darauf geachtet, dass mögliche Sicherheitsmaßnahmen unsichtbar bleiben. Im Eingangsbereich befindet sich eine hübsche Portiersloge, die frei steht. Dort muss man sich anmelden und bekommt eine Chipkarte. Diese sollte in keinem Fall nach Sicherheitsvorkehrung aussehen, sondern eher nach Hotel-Lobby. Betritt man das Gebäude, geht man außerdem zuerst durch Gates, wie am Flughafen, checkt quasi mit der Karte ein. Das Gate ist prinzipiell aber offen. Wenn aber jemand hingeht, der keine Karte hat, knallt es zu. Hat man eine Karte, bleibt es offen. Das ist für mich die hohe Kunst der Security, denn die Menschen, die ohnehin eine Karte besitzen, merken dadurch gar nicht, dass da überhaupt Gates sind.«
Ohne Sicherheit keine Architektur Dass Sicherheit aber nur dann zu einem wirklichen Sicherheitsgefühl wird, wenn die Rahmenbedingungen unsichtbar bleiben, schwappte, wie anhand der neuen US-Botschaft in London deutlich wird, auch bereits nach Amerika rüber. So gab es bereits vor KieranTimberlakes Entwürfen erste Gehversuche amerikani-
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scher ArchitektInnen, die außerhalb von Betonmauern, Pollern und Zäunen stattfanden. Scheinbar zumindest. Einer »Poetik der Sicherheit« folgend, entwarfen die Architekten Della Valle und Bernheimer den Vorplatz des Federal Building in San Francisco – eine geknickte Landschaft mit zahlreichen Bänken und Metallstangen, die Zinganel zufolge, nach äußerst ambitionierter Architektur oder einer Skatelandschaft aussieht, aber eigentlich nur der Sicherheit dienen soll. Diese Entwicklung ist jedoch keine einseitige, denn während in den USA das Versteckspiel vorangetrieben wird, hat man sich in zahlreichen europäischen Städten, wie Paris oder Brüssel, mit dem Anblick bewaffneter Militärs abgefunden. »Es ist normal geworden, dass Gruppen bewaffneter Militärs mit Maschinengewehren durch die Stadt patrouillieren. Subjektive Angst ist zu einer realen Gefahr geworden und der Ausnahmezustand deshalb oft auch einfach nicht mehr aufgehoben worden«, erklärt Zinganel. Obwohl ein solch stark ausgeprägter Sicherheitsgedanke einen dicken Betonwall um das kreative und künstlerische Potenzial der Architektur zu ziehen scheint, konstatiert Zinganel auch, dass die Architektur ohne diese Sicherheitsaspekte überhaupt nicht existieren würde. »Erste Städte wurden an militärstrategisch günstigen Orten gebaut. Ebenso auch an Plätzen, an denen man Handelsorte etablieren wollte, die sich leicht schützen lassen. Architektur und Stadt gehen aus einem Sicherheitsbedürfnis hervor, es ist ihnen grundlegend eingeschrieben.« Wie offen künftig mit diesem umgegangen wird und wie viel Verschlossenheit tatsächlich in der neuen Offenheit der amerikanischen ArchitektInnen Sarah Wetzlmayr steckt, wird sich noch zeigen.
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Die neue US-Botschaft in London orientiert sich stark an der Architektur mittelalterlicher Festungen. Besonders ins Auge sticht der als Teich getarnte Wassergraben.
»Architektur und Stadt gehen immer aus einem Sicherheitsbedürfnis hervor.«
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Im vergangenen Halbjahr wurde mit »Unten« eine Venue für Experimente rund um Clubkultur geschaffen, nun bekommt Linz ein vom Buzzword »Digitalisierung« geprägtes neues Festival. Hinter der Kuratierung steckt Markus Reindl, der seit Jahren die Linzer Szene prägt. ———— Knapp sechs Monate ist es her, dass Markus Reindl zum Kurator des neu ins Leben gerufenen Stream Festivals in Linz bestellt wurde, das künftig alle zwei Jahre stattfinden soll und thematisch gewissermaßen eine Brücke zum im Herbst stattfindenden Ars Electronica Festival schlägt. Im Gegensatz zum Linzfest, das ebenfalls von der Stadt finanziert wurde, aber musikalisch viel breiter aufgestellt war, will man sich mehr auf digitale Musik konzentrieren. Als Reindl vom Kulturquartier zur Stadt wechselte, hatte der von ihm in Zusammenarbeit mit Julia Ransmayr und Clemens Bauder konzipierte Pop-Up-Club »Unten« gerade erst aufgesperrt, die Vorbereitungszeit für das Festival war kurz, die Arbeit nebenbei nicht gerade wenig. Trotzdem wirkt er fast entspannt und durchaus zufrieden, wenn er über seine Arbeit spricht. Dass Projekte wie die beiden genannten trotz der politischen Veränderungen im Bundesland, die die Kulturszene in Oberösterreich andernorts fast ausbluten lassen, überhaupt umsetzbar sind, wirkt zunächst überraschend und hängt wohl nicht zuletzt auch an seiner Person.
»Wir haben dieses kleine Café fast zum Einstürzen gebracht.«
Robert Maybach, Florian Voggeneder
Im Rahmen des Stream Festivals finden auf der Linzer Donaulände wie auch beim Linzfest zwei Bühnen Platz. Zudem wird auch die Clubszene eingebunden, ein Konzept, das Markus Reindl schon länger im Kopf hatte.
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umgesetzt werden konnte, hängt stark mit der langjährigen Zusammenarbeit zwischen Reindl und dem Kulturquartier und letztendlich auch mit dem Erfolg des Solaris zusammen. »Dass Unten in der Form funktioniert hat, geht eigentlich auf zehn Jahre Arbeit zurück. In einer öffentlichen Einrichtung Clubkultur zu etablieren, funktioniert nur, wenn man immer wieder erklärt, dranbleibt und hart arbeitet«, erklärt Reindl. Während seines Studiums an der Linzer Kunstuniversität profitierte er gewissermaßen von einer LinzFreistadt-Kulturconnection, denn die BetreiberInnen der Local Bühne Freistadt, für die er recht früh viele Veranstaltungen organisierte, haben auch die Geschäftsführung im Programmkino Moviemento inne, das wiederum Teil des Linzer Kulturquartiers ist. Mit die-
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Markus Reindl im Porträt Lost in Linz
Vorarbeit für Clubkultur »Markus ist ein Mensch, der ein Ziel vor Augen hat, lange bevor irgendjemand weiß, ob man es überhaupt erreichen kann. Es hatte niemand geplant, dass das Solaris ein Club wird, aber er hat glaube ich schon lange vorher gewusst, was möglich ist und die Weichen gestellt«, erzählt Klara Pötscher, langjährige Mitarbeiterin im Solaris, die von Reindl später das Booking in der Bar im Offenen Kulturhaus übernahm. Dass ein Projekt wie »Unten«
sem Startbonus begann er ganz langsam und vorsichtig, Clubkultur in einer öffentlichen Einrichtung zu etablieren und bekam immer mehr Freiräume. Den Grundstein legte dabei das Solaris, das sich zum Kleinod für Freunde elektronischer Musik in Linz entwickelte und zu einem fixen Bestandteil der Linzer Fortgehszene wurde, der von Anfang an solch einen Andrang fand, dass man sich zunächst arrangieren musste. »Der Raum war eigentlich nie für einen clubähnlichen Betrieb ausgelegt. Wir haben dieses kleine Café innerhalb weniger Monate fast zum Einstürzen gebracht«, erinnert sich Reindl. Gemeinsam mit Florian Hackl bekam er mehr oder weniger freie Hand, was die Bespielung des Solaris betrifft, und das ambitionierte DJ-Line-up brachte dem Lokal schnell mehr Zuspruch als gedacht.
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Nach kurzer Zeit wurde das erste Mal nachgebessert, irgendwann eine größere und für eine Bar eigentlich überdimensionierte Anlage eingebaut. Beliebt war das Lokal nicht nur bei den Gästen, sondern auch bei DJs in ganz Österreich, obwohl man bei den Gagen mit größeren Clubs nur schwer mithalten konnte. Die Idee: Wenn sich die MusikerInnen wohl fühlen, fühlen sich auch die Gäste
er im Kulturverein mit ersten Gehversuchen als DJ, mit 17 organisierte er die ersten Veranstaltungen für einen Kulturverein in Freistadt, später bespielte er als DJ Aka Tell und mit der Elektro-Band A.G.-Trio (später Ages) zahlreiche österreichische Bühnen und betrieb mit »Etage Noir Special« einen Elektro-Ableger von Parov Stelars Eigenlabel. Für die Musik zog es ihn letztlich auch nach Wien, dabei hatte er aber immer eine gewisse Liebe für die oberösterreichische Hauptstadt, wie er erzählt: »Ich hatte immer eine enge Verbindung zu Linz. Die Weggeh-Szene ist viel persönlicher und es gibt mit der Kapu oder der Stadtwerkstatt eine unglaublich starke freie Szene. Man kann mit den Leuten viel machen, die lassen sich auf etwas ein, auch auf experimentelle Sachen. Das funktioniert in Wien auch, aber vielleicht eher über die Masse.« Gemeinsam mit Freund und DJ Jakob Bouchal rief er von Wien aus die Veranstaltungsreihe »Lost in Linz« im Solaris ins Leben, als »eine Art Fremdenverkehrswerbung für das Fortgehen in Linz«, wie er lachend erklärt. Werbung für Linz musste er auch bei seinem jüngsten Projekt, dem Stream Festival, machen. Als Reindl seinen Job als fixer Kurator im Kulturquartier aufgab und zum von der Stadt organisierten Stream Festival
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»Es gibt in Linz eine unglaublich starke freie Szene.« wohl. »Florian Hackl, der Barchef, und ich haben entschieden, dass es einfach kein Getränkelimit gibt. Das hat ganz gut funktioniert und uns einen gewissen Ruf beschert«, erklärt Reindl lachend. Dass elektronische Tanzmusik im Museumskontext gut funktioniert, war schnell klar – rund zwei Jahre später übernahm Reindl die Kuratierung der Veranstaltungsreihe »La’Do«, bei dem sich Museumsund Clubpublikum am letzten Donnerstag im Monat näherkommen können. Während der Museumsbetrieb bis kurz vor Mitternacht geöffnet bleibt, laden ein Club-Talk und eine DJLine am Mediendeck im obersten Stockwerk zur theoretischen und praktischen Auseinandersetzung mit Clubkultur ein.
wechselte, war noch sehr wenig auf Schiene, und das Line-Up für ein gänzlich neues Festival in nicht ganz sechs Monaten zu fixieren durchaus eine Herausforderung, wie er zugibt. Einerseits aufgrund des kurzen Zeithorizonts, andererseits weil die ein oder andere angefragte Band per se nicht spielen wollte, wie Reindl erzählt: »Es gab Musiker, die lieber einen Tag zwischen ihren Konzerten frei haben wollten, als bei uns zu spielen. Da ging es nicht mal ums Geld.« Mittlerweile sind Diskurs- und Musikprogramm fixiert, neben den beiden Bühnen auf der Donaulände wird gefühlt jede kleine und größere bespielbare Location der Stadt Teil des Festivals, und auch »Unten« wird ein letztes Mal seine Türen öffnen. Das Konzept für ein Stadtfestival, das neben einem Konzertteil auch eine Diskursund eine Clubreihe bietet, hatte Reindl schon länger im Kopf, nicht zuletzt »weil Linz sehr viel Potential hat, das oft übersehen wird«, wie Reindl abermals erwähnt. Genau dieses Potential will er nun in drei Tagen zeigen und den ein oder anderen dazu einladen, sich in der nicht großen, aber durchaus großartigen Hauptstadt nebst elektronischer Musik zu verlieren. Yasmin Vihaus
Das Stream Festival findet von 31. Mai bis 2. Juni in verschiedenen Locations in Linz statt, im Rahmen dessen öffnet auch der Pop-Up-Club »Unten« für einen Abend wieder seine Türen.
Verdientes Privileg
Eingebettet in das Linzer Kulturquartier wurden 24 Nächte zum Experiment rund um Clubkultur und Performance.
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Florian Voggeneder
Eine solche Auseinandersetzung erfolgte im letzten halben Jahr im Rahmen von »Unten«, einem Konzeptclub, der jedes Wochenende ein nicht nur für Linzer Verhältnisse ansehnliches Musik- und Performance-Programm bot. »Ich hatte im Vergleich zu einem kommerziellen Betrieb eine extreme Freiheit. Unten war praktisch vom Land Oberösterreich veranstaltet – das ist schon sehr privilegiert und würde in der Form, wenn wir heute starten würden, auch nicht funktionieren«, erklärt Reindl. Das Wort »Privileg« fällt in der Unterhaltung nicht selten und auch wenn er immer wieder betont, dass viel Überzeugungsarbeit hinter seinen Projekten steht, relativiert er immer wieder, dass auch andere hart arbeiten und mehr Anerkennung verdienen würden, aber die Situation im Kulturbereich eben schwierig sei. Man merkt ihm an, dass seine Position keine ganz einfache ist und er sich wahrscheinlich in der oberösterreichischen Kulturszene durch seinen Erfolg nicht nur Freunde gemacht hat. Dabei stammt Reindl selbst aus der freien Kulturszene in Freistadt, wo er seine Leidenschaft für elektronische Musik früh ausleben konnte. Mit 12 begann
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Metal-Industrie
Liu Kuhn
Ein Vierteljahrhundert im Zeichen der Teufelshörner: Napalm Records feiert Jubiläum – unter anderem am Metal On The Hill Festival in Graz.
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Im August feiert Napalm Records im Zuge des Metal On The Hill Festivals in Graz sein beachtliches 25-jähriges Bestehen. Trotz Büros in New York und Berlin ist der Firmensitz des Metal- und Rock-Labels nach wie vor im obersteirischen Eisenerz angesiedelt und dort ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor in einer krisengeschüttelten Region. ———— Der Ort Eisenerz ist außerhalb der Steiermark wohl den wenigsten ein Begriff. Bekannt sind höchstens der Erzberg, das auf diesem stattfindende Motocross-Rennen namens Erzbergrodeo, das Langlauf-/Biathlon-Zentrum oder die Tatsache, dass im Gemeinderat die KPÖ noch verhältnismäßig stark vertreten ist. Eisenerz war einmal – wie viele andere Städte und Dörfer im nahegelegenen Mur- und Mürztal – ein wichtiger Bergbau- und Industriestandort. Ab 1881 wurde der Erzberg im Etagenabbau richtiggehend abgetragen. Ein brutales Verfahren, bei dem von der Natur nur wenig übrig bleibt. Einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebte Eisenerz beginnend mit dem Zweiten Weltkrieg, der die Stadt mit Zwangsarbeitern, Todesmärschen und den Eisenerz-
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25 Jahre Napalm Records
(Kriegsverbrecher-)Prozessen aber auch in den Geschichtsbüchern verewigen sollte. Von 1939 bis 1981 zählte die Stadt über 10.000 Einwohner. Die Krise der Eisen- und Stahlindustrie ab den 1980er-Jahren führte schließlich – wie in der ganzen Obersteiermark – zu Bevölkerungsabwanderung und Überalterung. 2017 lebten laut Statistik Austria nur noch knapp über 4.100 Menschen in Eisenerz, 63,3% davon in der Altersgruppe 50 plus.
Ganz oder gar nicht Die jüngere Geschichte von Eisenerz ist natürlich auch jene von Markus Riedler. Der Gründer und CEO von Napalm Records, heute Mitte 40, ist in der Stadt aufgewachsen. Bereits als Schüler begann er CDs zu veröffentlichen und einen Vertrieb aufzubauen. Nach der Matura musste er sich entscheiden: »Ganz oder gar nicht«, wie er sich im Interview erinnert. Und er entschied sich für die Unternehmensgründung – ohne Fremdkapital, was ihn immer wieder vor »verzwickte Herausforderungen« stellte. Doch sein Großvater sei ihm, wenn es mal eng wurde, zur Seite gestanden, so Riedler.
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Markus Riedler (li.) und Thomas Caser, die beiden Geschäftsführer des Eisenerzer Metal-Imperiums Napalm Records.
Das ehemalige Ein-Personen-Unternehmen ist heute einer der Vorzeigebetriebe der Region: Insgesamt 37 MitarbeiterInnen in Eisenerz, Berlin und New York. Dazu noch viele Externe. Während in der Steiermark Logistik und Buchhaltung angesiedelt sind, seien Berlin und New York laut Riegler die »kreativen Zellen« von Napalm Records. Die Anfangstage des Labels sind jedenfalls nicht immer einfach gewesen: »Natürlich hat mich am Anfang keiner für voll genommen, aber wir leben halt in keinem Land der Visionäre, sondern in einer Gesellschaft voller Neid und Missgunst. Der Wohlstand hat unser Denken versaut.« Das Misstrauen in der Provinz lag auch in den zu Beginn veröffentlichten und vertriebenen Black-Metal-Bands begründet. Nach Kirchenbrandstiftungen und Morden in der berüchtigten Black-Metal-Szene Norwegens hatte das Genre einen zweifelhaften Ruf. Mit Abigor und Summoning wurden aber genau von Napalm Records zwei der etabliertesten österreichischen Szenevertreter aufgebaut und veröffentlicht. Mittlerweile hat sich die öffentliche Meinung geändert: Mit 15 Millionen Euro prognostiziertem Jahresumsatz für das Jahr 2018 zählt Napalm Records zu einem der wichtigsten Betriebe der Region. Laut Riedler sehe man die Firma dort nun als florierendes Unternehmen. Dadurch werde aber auch die Anzahl der Bittsteller immer größer. Das kann zu Enttäuschungen führen: »wenn es für den nächsten Trachtenverein keine Unterstützung gibt«, so Riedler. Grundsätzlich geht der CEO aber schon davon aus, »dass man uns wertschätzt, aber es ist halt noch immer der Berg, der das regionale Denken beeinflusst«. Innerhalb von 25 Jahren hat sich Napalm Records zu einem der international führenden Labels der Rock- und Metalszene entwickelt (alleine die Facebook-Page hat über 460.000 Likes). Und das in einer Zeit, in der die Musikindustrie eigentlich schwer zu kämpfen hat-
Ein weiterer Erfolgstreiber sei immer schon der Versandhandel gewesen: »Der physische Verkauf war sicher ein wichtiger Bestandteil für unser Wachstum. Vor allem sehe ich hier den D2C-Verkauf (Direct-to-Consumer, Anm. d. Red.) – direkt am Kunden zu sein, Wünsche und Bedürfnisse zu verstehen und Kaufverhalten zu analysieren.« Chefeinkäufer Christian Albers, früher beim VersandhandelKonkurrenten EMP tätig, kommt hier eine zentrale Rolle zu, wie Riedler ausführt: »Da
»Natürlich hat mich am Anfang keiner für voll genommen, aber wir leben halt in keinem Land der Visionäre, sondern in einer Gesellschaft voller Neid und Missgunst.« te. Nach den Anfangstagen als Black-/Pagan-/ Viking-Metal-Label, verbreiterte sich das Artist-Roster zunehmend. Von Mittelalter-Rock (Saltatio Mortis) über Dark-Rock (Lacrimas Profundere) bis hin zu Power-Metal (Powerwolf ) war alles dabei. Mittlerweile sind auch Größen des Metal-/Rock-Genres (Monster Magnet, W.A.S.P., Hammerfall, Alter Bridge) bei Napalm Records unter Vertrag, dessen Vertrieb über Universal Music läuft. Für Riedler ist ein derart breites Roster kein Problem: »Wir möchten uns selbst nicht mehr limitieren.«
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unsere Lagerkapazität begrenzt ist, brauchen auch wir schnelldrehende Produkte, die Umsatz bringen.« Die etablierte heimische Metal-Szene weiß das zum Imperium herangewachsene Unternehmen Napalm Records durchaus zu würdigen. Thomas Spiwak, Veranstalter des Extreme-Metal-Festivals Kaltenbach Open Air, sieht darin etwa das »mit Abstand größte und renommierteste Label Österreichs. Napalm Records ist definitiv ein wichtiger Bestandteil der heimischen Szene und man muss neidlos aner-
kennen, dass hier über die Jahre hinweg sehr gute Arbeit geleistet wurde.« Mike Seidinger vom Online-Magazin stormbringer.at schlägt in die gleiche Kerbe: »Natürlich ist Napalm Records heute ein Big Player, nicht nur am heimischen Markt – insofern ist es natürlich auch wichtig, Österreich als Musikmarkt international zu platzieren und zu repräsentieren.«
Trendige Nachmacherei Anders bei den für den Artikel befragten Vertretern des heimischen Metal-Undergrounds: Diese sehen teils mittlerweile so wenige Berührungspunkte zu Napalm Records, dass sie sich mit Interviewfragen zu dem »MainstreamLabel mit dem fürchterlichen Roster, bei dem kein roter Faden zu finden ist, der peinlichen – weil trendigen – Nachmacherei, samt deren Kapitalistenpreispolitik und beschissenen nationalistischen Clothing-Line« nicht näher beschäftigen wollen, weil der Bezug dazu einfach total fehle. Wofür das Label aber auch von dieser Seite sehr wohl gelobt wird, ist die Tatsache, dass – zumindest in den Anfangsjahren – viele österreichische Bands rausgebracht, aufgebaut, re-released und lizenziert wurden. Mit Russkaja, Kontrust, Drescher, The Sorrow oder etwa Summoning sind auch heute noch ein paar heimische Bands unter Vertrag. Überhaupt gibt sich Napalm Records auffällig patriotisch: Als Maskottchen wird ein Doppelkopfadler, teilweise mit österreichischer Flagge, verwendet. Laut Riedler mit Absicht: »Klar darf das auch ein wenig patriotisch wirken, Österreich ist ein wunderbares Land, welches international große Anerkennung findet. Das soll
Napalm Records
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15 Millionen Jahresumsatz
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auch zeigen, was von einem kleinen Land aus alles möglich ist: Ein Label, welches international rockt, gibt es nicht überall. Gerne könnte man es auch als Österreich-Werbung sehen.« Die Vorwürfe, dass in der Vergangenheit Tonträger von politisch bedenklichen Bands aus der rechten Black-Metal-Ecke im Webshop erhältlich waren, will Riedler gar nicht leugnen: »Bei über 50.000 Artikeln kann aber leider immer wieder mal der eine oder andere Artikel den Weg ins Programm finden. Wir versuchen unser Sortiment frei von irgendwelchen politischen Ideologien zu halten, Musik sehen wir als Unterhaltung und nicht als Plattform für Hetze und Hass – egal ob von rechts oder links. Natürlich kennen wir nicht von jedem Künstler, von jeder Band die politische Gesinnung, orientieren uns aber hier am Index und an anderen Informationsquellen. Im Prinzip erwarten wir schon von unseren Partnern, dass sie keine bedenklichen Künstler im Angebot haben. Die Einkäufer und Warenannahme prüfen aber noch mal auf etwaige Hinweise.«
Stefan Baumgartner
Keine Freundschaftspreise Das 25-jährige Label-Jubiläum kann im August auch am selbst veranstalteten Metal On The Hill Festival in Graz gefeiert werden. Mit Powerwolf, Epica, Eluveitie, Sodom, Ellende und anderen ist das Programm sehr breit gefächert. Verantwortlich für das Festival ist der zweite Napalm-Records-Geschäftsführer Thomas Caser, der das Booking dafür auch selbst erledigt, wie er erzählt: »Die Idee dazu wurde inhouse geboren und es wird auch inhouse organisiert. Wir setzen uns – außer finanziell – keine Limits beim Line-up. Die Bands müssen nicht unbedingt bei Napalm Records unter Vertrag sein. Wir stehen natürlich mit anderen Festivals in Konkurrenz, d. h. ›Freundschaftspreise‹ von hauseigenen Bands gibt es nicht, wir müssen wie alle anderen die Marktpreise bezahlen.« Dass das Festival genau in der Woche vor seinem Kaltenbach Open Air (von 23. bis 25. August in Spital am Semmering) stattfindet, ist für Thomas Spiwak kein Problem: »Definitiv nicht. Das Kaltenbach Open Air und Metal On The Hill arbeiten sehr eng und gut zusammen, und auch Napalm Records ist heuer wieder mit einem Merch-Stand bei uns vertreten. Unser Draht zu Napalm Records ist sehr gut und wir arbeiten gerne mit ihnen zu-
sammen, da hier freundliche und professionelle Leute am Werk sind.«
Wenn die Hütte brennt Der weltweite Erfolg von Napalm Records ist auch immer wieder Thema in den Medien. Die Zeit, die Kleine Zeitung oder Die Steirerin – sie alle haben die Firma im Schatten des Erzbergs bereits porträtiert. Riedler gibt sich auf die Nachfrage nach dem Interesse an seinem Lebenswerk bescheiden: »Natürlich ist es schön, wenn Leistung auch Anerkennung findet.« Gleichzeitig gibt er auch zu, dass das Feuer der Anfangstage, in denen es – ganz ohne Internet – »auf persönliche Kontakte, Fax und Briefe und viele Stunden am Telefon ankam«, einer Zeit, in der er »bei vielen Meetings und Besuchen bei Plattenfirmen, einiges lernen, sein Wissen
»Auch wir brauchen schnelldrehende Produkte, die Umsatz bringen.«
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B AC H E LO R erweitern durfte«, nicht mehr so stark brennt. »Es gibt Zeiten, da ist die Leidenschaft nur mehr auf kleiner Sparflamme, aber sobald der richtige Wind aufzieht, brennt die Hütte.« Napalm Records ist 2018 längst ein etabliertes Unternehmen und Teil des Metal-/ Rock-Mainstreams. Für die nächsten Monate ist ein Relaunch des Online-Shops geplant, für den viel Geld in die Hand genommen wurde, um das Einkaufen, so Riedler, »für unsere Kunden noch angenehmer zu gestalten«. Das Ziel ist jedenfalls klar: weiteres Wachstum. Vielleicht dominiert künftig dann ja nicht mehr nur der Berg das regionale Denken in Eisenerz. Werner Schröttner
Das Metal On The Hill Festival findet am 17. und 18. August 2018 am Schlossberg in Graz statt. Über das umfangreiche Angebot aus dem Hause Napalm Records kann man sich auf napalmrecords.com informieren.
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»Sobald der richtige Wind aufzieht, brennt die Hütte wieder.« – Markus Riedler zum Thema Leidenschaft ein Vierteljahrhundert nach Gründung von Napalm Records.
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THEMENSPECIAL
Festivals 034 Neues vom heimischen Festivalmarkt 036 Rostfest
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Die Festivallandschaft ist hart umkämpft. The Gap im Gespräch mit den Veranstaltern Barracuda und Arcadia.
Eisenerz ist der Ort mit den ältesten BewohnerInnen Österreichs. Das Rostfest belebt die kleine Stadt und sorgt für Austausch zwischen Alten und Jungen.
040 Glamping Für festivalliebende Anti-Camper gibt es mittlerweile genug Alternativen zum schnöden 2-Mann-Zelt.
042 Festivalkalender
Christian Hedel
Der Sommer steht bevor und damit auch eine ganze Reihe an Festivals. 23 Festivals, zwischen Evergreen & Geheimtipp.
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THEMENSPECIAL
Vor zwei, drei Jahren ist einiges in Bewegung geraten in der österreichischen Festivallandschaft. Doch mit der neuen Konkurrenz für den Veranstalterplatzhirsch Barracuda scheint es mangels Erfolgs schon wieder vorbei zu sein. Zum Status quo. ———— Es war ein ziemlicher Paukenschlag, als im September 2015 bekanntgegeben wurde, dass Arcadia Live für fünf Jahre exklusiv die Bespielung des Festivalgeländes der Familie Bogner im burgenländischen Wiesen übernehmen werde. Die Veranstaltungsagentur war erst wenige Monate zuvor als deutsch-österreichisches Joint Venture unter Beteiligung von FKP Scorpio, einem der führenden Konzert- und Festivalveranstalter Europas, gegründet worden. Mit seinen ambitionierten Plänen – etwa der Wiederbelebung des Nuke Festivals in Graz – schien es frischen Wind in den gerne als QuasiMonopol beschriebenen heimischen Veranstaltermarkt zu bringen. Bis dahin hatte in diesem Markt die Barracuda Holding die Zügel fest in der Hand. Deren Tochterfirmen wie Skalar, Musicnet oder Nova Music veranstalteten (und veranstalten nach wie vor) einige der größten Festivals des Landes – allen voran Nova Rock und Frequency – sowie überdies noch mehrere Hundert Einzelkonzerte pro Jahr, deren BesucherInnenzahlen jene der Festivals in Summe sogar übersteigen. Auch in Wiesen zeichnete die Gruppe jahrelang für das Programm verantwortlich. Doppelt brisant: Als Arcadia Live als neuer Wiesen-Partner bekanntgegeben wurde, hatte Barracuda-Gesellschafter Ewald Tatar eigentlich noch einen aufrechten Exklusivvertrag mit der Bogner Veranstaltungs GmbH.
das Indie-Boutique-Festival Out Of The Woods durften 2017 im Burgenland überhaupt in eine zweite Runde gehen. Potockis Resümee: »Manche Sachen kann ich mir bis heute nicht erklären, aber ich gestehe da auch Fehler in der Einschätzung von verschiedenen Faktoren ein – ob es jetzt das Line-up war oder die Attraktivität des Geländes. Es war ein Versuch, an vielen Ecken und Enden Sachen umzusetzen. Vielleicht waren wir auch mit manchem zu spät dran für die erste Saison, weil es neue Marken waren, bei denen man natürlich auch immer wieder erklären muss, worum es eigentlich geht.« Aber Arcadia Live war nicht das einzige Unternehmen, das zuletzt eher erfolglos probiert hat, am österreichischen Festivalmarkt zu reüssieren: Klotzen statt Kleckern dachte sich bei ihrem Versuch wohl die DEAG (kurz für Deutsche Entertainment Aktiengesellschaft), die 2015 das Rock In Vienna aus dem Boden der Donauinsel stampfte. Rock-Giganten wie Metallica im ersten und Rammstein im zweiten Jahr sollten aber nicht ausreichen, wie auch der wenig konsistente Versuch, das Line-up 2017 Richtung Hip-Hop und Pop zu öffnen. Wie auch immer es hier weitergehen sollte: Heuer wird es jedenfalls keine weitere Ausgabe des Festivals geben. Barracuda-Chef und Nova-Rock-Hauptverantwortlicher Ewald Tatar könnten diese gescheiterten Versuche der Konkurrenz freuen, doch von Genugtuung will er nichts wissen: »Ich bin jetzt einfach ein bisschen entspannter, weil sich auch der Markt ein bisschen entspannt hat. Wobei man dazusagen muss, dass die Konkurrenz in Österreich nicht unser größtes Problem war. Wir haben
Nova Music (2), Arcadia Live
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After the Gold Rush Neues vom heimischen Festivalmarkt
Zu viel gewollt Wie damals – Tatar verzichtete letztlich auf rechtliche Schritte – einigte man sich Ende vergangenen Jahres nun auch mit Arcadia Live auf eine vorzeitige Beendigung der Zusammenarbeit: unüberbrückbare Differenzen, wirtschaftliche Gründe. Die Wiesener Festivalsaisonen 2016 und 2017 waren nicht gerade glücklich verlaufen und die BesucherInnen bei vielen Veranstaltungen schlicht und einfach ausgeblieben. »Dass wir Wiesen zum 40-jährigen Jubiläum des Festivalgeländes bebuchen durften«, erinnert sich Arcadia-Geschäftsführer Filip Potocki, »habe ich als ziemlich breite Aufgabe gesehen, weil es einfach eine Historie hat. Im Nachhinein betrachtet wollten wir wahrscheinlich zu viel.« Von den sieben neuen Wiesener Festivalformaten mussten zwei abgesagt werden, ein Schicksal, das auch die zweite Ausgabe des Nuke Festivals ereilen sollte. Nur das Nu Forms (für Freunde der Bassmusik) und
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»Ein großer Headliner alleine reicht schon lange nicht mehr.« — Ewald Tatar, Barracuda Music
Die Pannonia Fields in Nickelsdorf beherbegen alljährlich Österreichs größtes Rockfestival, das Nova Rock aus dem Hause Barracuda Music.
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vor allem internationale Konkurrenz (insbesondere um zugkräftige Headliner; Anm. d. Red.). Es gibt kein Wochenende mehr, an dem nicht mindestens zwei, drei, vier große Festivals stattfinden.«
Definitiv ein Weckruf Dass es irgendwann einmal auch andere am heimischen Markt probieren würden, sei absehbar gewesen, und er glaube auch nicht, dass es damit nun wieder vollkommen vorbei sei, so Tatar, aber: »Das war definitiv ein Weckruf. Ich hab mir gedacht, ich kann das, was die anderen machen, eh nicht beeinflussen. Ich kann nur schauen, dass wir unsere Qualität halten oder steigern. Und ich glaube, das ist uns auch gelungen. Es ist bei unseren Festivals in den letzten beiden Jahren sehr viel passiert. Und ich will mich jetzt gar nicht so weit hinauslehnen und sagen, dass das sonst auch passiert wäre. Den Spruch ›Konkurrenz belebt das Geschäft‹ würde ich jedenfalls bestätigen.« Vor allem am Komfort – es fallen Stichworte wie Glamping, Green Camping und Zelthotel – sowie am Erscheinungsbild (etwa der Bühnen) habe man gearbeitet, um die eigenen Festivalmarken zu stärken und die BesucherInnenbindung zu erhöhen – »ein großer Headliner alleine reicht schon lange nicht mehr.« Dass der Markt schon einigermaßen gesättigt, in speziellen Nischen aber noch Platz sei, davon ist Filip Potocki von Arcadia Live nach wie vor überzeugt. Vorerst werde sich das Unternehmen aber – auch mangels Festivalgelände – auf den sich gut entwickelnden Bereich Touring konzentrieren, in dem man mit Bands wie Jessie J, The Naked And Famous oder Seeed zusammenarbeitet. Schon 2017 habe
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man ca. 400 Konzerte verbucht, und 200 davon auch selbst veranstaltet, wobei die Shows mit den Bands der Agentur kontinuierlich größer und auch mehr würden, so Potocki. Und wie geht es mit Wiesen weiter? Das Festivalgelände werde man für alle Veranstaltungswilligen öffnen, hat Juliane Bogner im Zuge der Trennung von Arcadia Live erklärt – ganz ohne Exklusivvertrag. Mit einem Erdbeerfest und einem World-Music-Wochenende besinnt man sich diesen Sommer auf den familiären und gleichzeitig weltoffenen Spirit der Location. Ob das langfristig ausreicht, ist allerdings fraglich. Beide ehemaligen Veranstaltungspartner Tatar und Potocki würden es dem Gelände jedenfalls wünschen, noch einmal vernünftig bespielt zu werden und wieder richtig aufzuleben. Nicht besonders wahrscheinlich freilich, dass sie das nach der ganzen Vorgeschichte selbst in die Manuel Fronhofer Hand nehmen.
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»Manche Sachen kann ich mir bis heute nicht erklären, aber ich gestehe da auch Fehler in der Einschätzung von verschiedenen Faktoren ein – ob es jetzt das Line-up war oder die Attraktivität des Geländes.« — Filip Potocki, Arcadia Live
Das Nova Rock Festival findet von 14. bis 17. Juni in Nickelsdorf statt, das Frequency von 16. bis 19. August in St. Pölten. Näheres zu den weiteren Festivals und Konzerten der Barracuda-Gruppe unter barracudamusic.at. Infos zu den Aktivitäten von Arcadia Live unter arcadia-live.com und zu jenen der Bogner Veranstaltungs GmbH unter wiesen.at.
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Alles andere als eingerostet Wie das Rostfest die älteste Stadt Österreichs belebt
Das umfangreiche Musik-, Kunstund Kulturprogramm erstreckt sich über ganz Eisenerz. Bespielt werden drei Open-Air-Bühnen, sowie einige Pop-Up-Locations.
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Im August lädt die Stadt mit den ältesten BewohnerInnen Österreichs zu einem postindustriellen Festival für Musik, Kunst und Literatur – und zum Frühschoppen. Wie das Rostfest eine totgeglaubte Stadt in neuem Glanz erstrahlen lässt. ———— Von der Semmeringschnellstraße weiter auf die Vordernbergerstraße nähern sich bedrohliche Berggipfel. Das Panorama, gesäumt von den Eisenerzer Alpen im Südwesten und dem Hochschwab im Nordosten, umrundet von den roten, stufenähnlichen Felsen des Erzbergs, wirkt trist und mächtig. Hinauf auf die Brücke, die Serpentinen hinunter, hinein in das vulkanähnliche Gebilde, bevor man, dem Pfad der Eisenstraße folgend, letztlich direkt in das weitläufige und friedliche Zentrum des Berges hineingespuckt wird: Willkommen in Eisenerz! Willkommen am Rostfest! Seit 2012 tummeln sich hier jährlich KünstlerInnen, MusikerInnen und zahlreiche FestivalbesucherInnen. Der gesamte Ortskern wird in Visuals des Kollektivs Ochoresotto getaucht, Open-Air-Bühnen werden mitten im Zentrum der geschichtsträchtigen Altstadt aus dem Boden gestampft, bereits aus der Ferne vernimmt man pulsierende Klänge, die aus örtlichen Kellergewölben dringen oder beobachtet, wie das ein oder andere Tretboot auf den sogenannten Schichtturm gezogen wird. Von der Nachmittagsperformance zur Vernissage, weiter zu den Konzerten, später in den Club, Schulter an Schulter mit StadtbewohnerInnen, mit denen man am nächsten Tag gemeinsam beim Frühschoppen ein Reparaturseidl trinkt – sounds like Rostfest. Klingt aber eigentlich so gar nicht nach Eisenerz. Denn die einst für ihr reiches Eisenvorkommen und das starke Wirtschaftswachstum bekannte Stadt im Norden der Steiermark erinnert heute an so manchen Tagen mehr an eine Geisterstadt. Die glorreiche Vergangen-
heit als Hochburg des Erzabbaus scheint Geschichte, ein Großteil der Minen ist stillgelegt, etliche der einst so zahlreich für die BergarbeiterInnen und ihre Familien errichteten Wohnungen stehen leer. Durch neue Technologien im Bergbau selbst, der Krise in der Eisen- und Stahlindustrie der 1980er-Jahre, aber auch durch das sich langsam dem Ende zuneigende Eisenvorkommen in der Region, hat sich zunehmend Perspektivenlosigkeit in der Bevölkerung breit gemacht. Heute ist Eisenerz nicht nur eine der am schnellsten schrumpfenden Städte Österreichs, sondern auch die älteste: Der/die durchschnittliche BewohnerIn von Eisenerz ist rund 56 Jahre alt. Ein Rekordwert. Die meisten jungen Menschen wandern aufgrund der raren Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten ab, die Ortsstruktur verändert sich, der Leerstand prägt das Straßenbild. Trotzdem ist Eisenerz, dank Veranstaltungen wie beispielsweise dem Erzberglauf oder dem Erzbergrodeo, vielen ein Begriff. Auch abseits von Sportgroßveranstaltungen, in den Bereichen Kunst und Kultur, ist man dem Stadtsterben zum Trotz seit geraumer Zeit bemüht, kreative und innovative Impulse zur Wiederbelebung der Stadt zu setzen: 2008 startete das Projekt »re-design Eisenerz«, in dem es neben der Aufwertung des historischen Ortszentrums vor allem um
Miriam Ranebuger, Bergschaf
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Der Ortskern von Eisenerz wird während dem Rostfest durch die Visuals von Ochoresotto bunter.
den Ausbau der Kulturarbeit und die Stärkung und Vernetzung lokaler Kunstschaffenden ging. Aus diesem Kulturentwicklungskonzept entstand 2010 schließlich das Programm »eisenerZ*ART« als jährliches Festivalformat und schließlich auch – initiiert durch Teile des »re-design-Eisenerz«Teams und dem Verein »Rostfrei« – das sogenannte »Rostfest«.
Das Rostfest zwischen Tradition, Tanz und Toleranz
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Nach einem Jahr Pause meldet sich das Festival für Musik, Kunst und Literatur mit einem neuen Konzept und üppigerem Programm zu-
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rück. Rund 50 KünstlerInnen werden heuer drei Open-Air-Bühnen und unterschiedliche Pop-Up- und Club-Bühnen bespielen. Gerechnet wird mit rund 10.000 BesucherInnen, insgesamt wird eine leerstehende Fläche von rund 8.500 Quadratmetern sinnvoll genutzt. So auch große Teile der heute verlassenen Gemeindewohnungen im Münichtal, in denen BesucherInnen im Rahmen des »Urban Campings« Tür an Tür mit den verbliebenen SiedlungsbewohnerInnen übernachten können.
Die Krise als Chance Alt neben jung, Heavy Metal neben Volksmusik, Underground neben Hitparade, Bilden-
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de Kunst trifft auf geschichtlichen Diskurs: Klingt nach einer wahr gewordenen Utopie vom Zusammenleben einer Gesellschaft an einem Ort wie Eisenerz – einem Ort nach dem Wachstum. Einem Ort, an dem man Neuem aufgeschlossen gegenüberstehen will, trotz eines für die BewohnerInnen vielleicht auf den ersten Blick ungewohnten äußeren Erscheinungsbildes des Festivalpublikums: »Jede/r freut sich auf die jungen und junggebliebenen FestivalbesucherInnen, auch wenn ihre Outfits vielleicht ein wenig anders sind als wir es hier gewohnt sind«, so die Bürgermeisterin von Eisenerz, Christine Holzweber. Es gehe um Begegnungen und Vernetzung zwischen Moderne und Tradition, vor allem aber darum, die Bedeutung von Diversität für die Entwicklung des ländlichen Raumes zu erkennen und zu nutzen, so Regionalentwickler und Freund des Rostfest-Teams, Luis Fidlschuster. »Statt einer Selbstgefälligkeit ist für die Entwicklung des ländlichen Raums Selbstbewusstsein und die Aufgeschlossenheit gegenüber Neuem gefragt.« Wichtig sei es außerdem »soziale Spielräume« und Orte zu schaffen, in denen BürgerInnen ihre Talente und Interessen entfalten und in die Entwicklung der Region einbringen können. Im Rahmen des Rostfests sollen daher heuer im sogenannten »Rostcamp« ortsansässige Jugendliche mit Kunst- und Kulturschaffen-
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Die fast schon traditionelle visuelle Bespielung des Erzbergs durch Ochoresotto wird in diesem Jahr unter anderem durch ein Gastspiel der Roboexotica in Eisenerz ergänzt.
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den aus dem Umfeld vernetzt werden, um in gemeinschaftlicher Arbeit selbst Interventionen und Projekte zu planen und umzusetzen.
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Möglich ist das alles nur, weil neben zahlreichen motivierten und engagierten Menschen aus der Kunst- und Musikszene auch die Bürgermeisterin und die EinwohnerInnen mitspielen. Die Community vor Ort wird von Anfang an miteinbezogen, viele sind Mitglied des veranstaltenden Vereins »Rostfrei«. Zusätzlich kooperiert man mit in Eisenerz beheimateten Institutionen, wie etwa der Feuerwehr oder örtlichen Sportvereinen. Das sei enorm wichtig, so Thomas Baumegger, einer der OrganisatorInnen des heurigen Rostfests. Statt Lärmbeschwerden und Missgunst gegenüber der feierwütigen »Jugend«, packe man so mit an und heiße Neuankömmlinge herzlich willkommen. »Durch die stetige Abwanderung vieler junger Leute freuen sich viele, dass mit den FestivalbesucherInnen wieder mehr Jugend in die Stadt einzieht«, so Baumegger. Sei es auch nur für ein paar Tage. »Erst kürzlich musste ich einer älteren Bewohnerin der Urban-CampingSiedlung versichern, dass heuer wieder ein Rostfest stattfindet. Auf die jungen NachbarInnen freue sie sich nämlich sehr.« Auch Joachim Mariacher, seit 50 Jahren Bewohner von Eisenerz, weiß, dass derartige Formate eine Belebung für die gesamte Stadt und wichtigen Input für die verbliebene Jugend bedeuten. Schlechte Erfahrungen habe er mit den BesucherInnen noch nie gemacht.
»Ein echter Ausnahmezustand im positiven Sinn« Eine wichtige Rolle spielt auch die sozialdemokratische Bürgermeisterin Christine Holzweber, die seit 2009 im Amt ist: »Bei den
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bisherigen Treffen mit der Bürgermeisterin hat man gemerkt, dass ihr positive Umsetzung des Rostfests wichtig ist«, sagt Baumegger. Spricht man mit Christine Holzweber selbst, wird schnell klar, dass sie auf die Entwicklung des Rostfests und dessen Mehrwert für Eisenerz stolz ist: »Ursprünglich gedacht als Aktion, um besondere Aufmerksamkeit auf Eisenerz zu lenken, ist das Rostfest heute ein ausgewachsenes, gut organisiertes Festival, bei dem die Grenzen zwischen EisenerzerInnen und NichteisenerzerInnen fließend verschwimmen. Ein echter Ausnahmezustand – im positiven Sinn.« Es gehe darum, die Lebensqualität für alle Generationen in Eisenerz zu heben und darum, die in Eisenerz vorhandenen Ressourcen wie Raum, Metall oder Natur, zu aktivieren und so das Potential des Ortes mit jenem der Kunst zu verknüpfen. Widerstand in der Bevölkerung gab es ihrer Erfahrung nach noch nie: »Das auch deshalb, weil diese jungen Menschen freundlich und höflich sind und immer wieder die ansässige Bevölkerung einladen, mit ihnen zu feiern. Unsere BewohnerInnen nehmen diese Ein-
ladung gerne an und bringen einfach kurzerhand Kuchen und Kaffee mit.«
»Man hat das Gefühl, hier geht was« Dass eine kleine Stadt Kunst- und Kulturprojekten derart offen gegenübersteht, ist nicht selbstverständlich. Baumegger, der auch Teil des Labels und Veranstaltungskollektivs »Numavi Records« ist, weiß, dass man bei derart großen Veranstaltungen andernorts häufig mit politischen und bürokratischen Hürden zu kämpfen hat, die einem den Eindruck vermitteln, die Stadt wolle eigentlich gar nicht, dass jemand etwas veranstaltet. Hier sei das aber anders: »Man hat das Gefühl, hier tut man etwas, dem Politik und EinwohnerInnen positiv gegenüber eingestellt sind. Man hat das Gefühl, in Eisenerz geht was.« Viktoria Kirner
Das Rostfest findet vom 16. bis 18. August mit Acts wie TENTS, Fuckaine, Crush, Racoon Rallye, Hinterland, Pulsinger & Irl, Chris Magerl und vielen mehr in Eisenerz statt. Tickets und Infos gibt es unter www.rostfest.at
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Jung an Tagen
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Crowdfunding mit der Bank Austria 2018 Sie möchten ein Kulturprojekt realisieren und benötigen dafür finanzielle Unterstützung? Die Lösung heißt Crowdfunding mit Unterstützung der Bank Austria: Auf diesem Weg stellt die Bank Austria insgesamt 100.000 Euro für die österreichische Kulturszene zur Verfügung! Starten Sie Ihre Crowdfunding-Kampagne über die Plattform „wemakeit“, die Bank Austria übernimmt dann ein Drittel des Finanzierungsbedarfs. Die Ausschreibungsdetails und Teilnahmebedingungen sind auf crowdfunding.bankaustria.at abrufbar.
Was? Wie? Wann? • Projekte aus den Bereichen: Architektur, Ausstellung, Bühne, Comics, Design, Festival, Film, Fotografie, Kongress/Konferenz, Konzert, Kunst, Kunstvermittlung, Literatur, Musik, Publikation, Tanz, Tonträger (Audio/Video), Tournee sowie die Verknüpfung von Kunst und Kultur mit sozialem Engagement. • Hilfe und Unterstützung mittels wemakeit-Tutorials: einfach eine E-Mail an hello@wemakeit.com schicken. • Start der Crowdfunding-Kampagnen ab dem 22. Mai 2018 möglich.
crowdfunding.bankaustria.at
Bank Austria Crowdfunding The Gap ET 22.5..indd 1
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Sommerzeit ist Festivalzeit. Die EVN wünscht euch viel Spaß beim Abfeiern mit euren Lieblingsbands.
Mehr auf facebook.com/evn
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Glamping
Rein in die Komfortzone Während einer regnerischen Nacht am Campingplatz eines Musikfestivals kann einem das Wasser schon mal im wortwörtlichen Sinn bis zum Hals stehen. Glamping ist die teurere Alternative zum normalen Zelten, die ein wenig biedermeierliche Geborgenheit aufs Festivalgelände bringt. ———— Nur Zelte machen es möglich, dass sich der Aggregatzustand des eigenen Körpers binnen weniger Stunden von steifgefroren in stark verflüssigend verändert. Fängt dann auch noch das Zelt selbst zu schwitzen an und greift man dann noch auf dem hastigen Weg nach draußen in eine volle Gulaschdose, geht die noch übrige Lebensenergie meistens für die Beantwortung der Frage drauf, warum zur Hölle man sich das eigentlich noch antut. Natürlich ist das eben beschriebene Szenario weder Ausnahme noch Regel, sondern eine jener Erfahrungen, die man als BesucherIn von Musikfestivals nun mal macht. Zweifelsfrei wurden auf Festival-Campingplätzen aber auch schon wunderschöne Geschichten geschrieben. Eben
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solche, die – dem bekannten Sprichwort folgend – das Leben schreibt. Auch wenn sie sich gefühlt manchmal irgendwo zwischen Leben und Tod abgespielt haben. Dieses Fünkchen Risiko, das in nostalgischer Verklärung danach oft in die Rubrik »Erleben« eigeordnet wird, ist für Festivalneulinge, wie auch für viele FestivalveteranInnen, einfach Teil des Festivalalltags. Andere befinden sich beim Thema Unterkunft wiederum sehr schnell an der Kreuzung zwischen Erleben und Lebensqualität – und würden sich dabei sehr gerne für Letzteres entscheiden können. Campingalternativen werden deshalb immer beliebter und häufig unter dem Kunstwort Glamping (glamouröses Campen) zusammengefasst. Seit letztem Jahr bietet auch das FM4 Frequency Festival solche Alternativen an. Diese reichen von unterschiedlich großen Bungalows bis
»Komfort wird Jahr für Jahr ein wichtigeres Thema auf Festivals.« — Gerald Hollerer, Barracuda Music
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Egal ob Beduinenzelt, Bungalow oder Podpad – beim Glamping besiegt der Komfort das Verlangen nach Abenteuer und »typischen« Festivalerfahrungen.
hin zum Beduinenzelt. »Nachdem unsere Glamping-Optionen zu Beginn noch belächelt und von ›FestivalveteranInnen‹ vehement abgelehnt wurden, war innerhalb kürzester Zeit bereits eine stark zunehmende Nachfrage nach verschiedenen Camping-Alternativen spürbar. Komfort wird von Jahr zu Jahr ein wichtigeres Thema auf Festivals – dafür sind BesucherInnen durchaus bereit ein bisschen mehr zu bezahlen. Die steigende Nachfrage spiegelt sich natürlich auch im bisherigen Ticketverkauf wider. So sind zwei der drei Glamping-Angebote bereits ausverkauft«, erklärt Gerald Hollerer vom Veranstalter Barracuda.
Bungalows, Beduinenzelte und Podpads Je nachdem, ob man sich beim diesjährigen Frequency für einen Bungalow – wahlweise für zwei oder fünf Personen – oder für ein Beduinenzelt entscheidet, sind diese unterschiedlich ausgestattet und dementsprechend auch in verschiedenen Preiskategorien an-
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gesiedelt. So kostet der Bungalow für zwei Personen, inklusive Bett, Bettwäsche, Hängeschrank, Kühlbox und vielem mehr, knapp 600 Euro. Dafür liegt man aber auch deutlich weicher als auf dem harten Wiesenboden. Auf englischen und deutschen Festivals sind die sogenannten Podpads schon ziemlich weit verbreitet. 2004 von einer Gruppe von Freunden entwickelt, die gemeinsam am Glastonbury Festival arbeiteten, breiteten sich die bunten Glamping-Hütten schnell in Richtung mitteleuropäische Festivallandschaft aus, etwa am Melt Festival oder am Sziget Festival. »Vor allem FestivalbesucherInnen, die etwas weiter reisen, wollen nicht immer Zelt, Schlafsack und Luftmatratze mitschleppen. Andere reisen zwar nicht so weit, wünschen sich aber ein wenig mehr Comfort und Luxus«, erklärt Lizzie, die bei Podpads arbeitet. Wie viel Luxus sich die FestivalbesucherInnen tatsächlich wünschen, hängt von Größe und Ausstattung des Podpads ab. Das größte seiner Art fasst acht Personen und überzeugt
mit Nachtkästchen, Bettwäsche und einer eigenen Terrasse. Für Gerald Hollerer ist es die immer beliebtere Verbindung von Festival und Urlaubsfeeling, die den GlampingOptionen ihre Berechtigung gibt: »Der/die klassische BesucherIn, für den/die die Bands und das Partyangebot im Vordergrund stehen, wurde um ein etwas anspruchsvolleres Publikum ergänzt, dem auch die Punkte Infrastruktur, Gemütlichkeit und eben Komfort äußerst wichtig sind.« Damit gilt nicht nur »komme was wolle« – egal ob Regen oder Schnee – sondern in noch stärkerem Maße als bisher auch »komme wer wolle.« Vorausgesetzt man kann es sich leisten. Sarah Wetzlmayr
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THEMENSPECIAL
F E S T I VA L S N AC H DAT U M MAI 2 9 .0 5 .–0 2 .0 6 . Lighthouse Festival Poreč H R V 2 9 .0 5 .–0 2 .0 6 . Stream Festival Linz (Story auf Seite 26) 3 1 .0 5 .–0 4 .0 6 . Primavera Barcelona E S P JUNI 0 1 .–0 2 .0 6 . 1 3 .–1 7 .0 6 . 1 4 .–1 7 .0 6 . 2 2 .–2 4 .0 6 .
Seewiesenfest Kleinreifling Springfestival Graz Nova Rock Nickelsdorf Donauinselfest Wien
SPRING FESTIVAL
JULI 0 6 .–0 8 .0 7 . Creepy Teepee Kutná Hora C Z E 0 6 .0 7 .–1 4 .0 8 . Poolbar Feldkirch 1 1 .0 7 . Ahoi! The Full Hit of Summer Linz 1 3 .–1 4 .0 7 . Rock im Dorf Schlierbach 1 3 .–1 5 .0 7 . Melt Gräfenhainichen G E R 1 4 .–1 5 .0 7 . Wetterleuchten Innsbruck 1 9 .–2 1 .0 7 . Acoustic Lakeside Sonnegger See 2 6 .–2 9 .0 7 . Popfest Wien
Das Springfestival verwandelt Graz auch dieses Jahr wieder in ein Zentrum für elektronische Musik und Kunst. Fünf Tage lang werden Locations wie der Dom im Berg, das Orpheum oder die Postagrage mit einem vielseitigen Line-up bespielt. Neu ist dieses Jahr die Open Air Stage im Augartenbad, bei der man sich zwischen Highlights wie ÂME , K R U D E R & D O R ME I ST E R , M AV I PH O ENIX und E L E KTR O GUZ Z I eine Pause gönnen kann. 13. bis 17. Juni Graz
AUGUST 0 8 .–1 5 .0 8 . Sziget Budapest H U N 1 6 .–1 8 .0 8 . Rostfest Eisenerz (Story auf Seite 36) 1 6 .–1 9 .0 8 . Frequency St. Pölten 2 2 .–2 6 .0 8 . Atonal Berlin G E R 2 3 .–2 7 .0 8 . Dekmantel Selektors Tisno H R V 2 4 .–2 8 .0 8 . Plötzlich am Meer Podczele P O L 2 9 .0 8 .–2 .0 9 . c/o Pop Köln G E R SEPT EMBER 0 1 .–0 2 .0 9 . Volksstimmefest Wien 1 9 .–2 2 .0 9 . Reeperbahn Hamburg G E R 2 8 .–3 0 .0 9 . Waves Wien
Stefan Leitner, Nasanin Dahaghin
Best of Festivals Festivalkalender 2018
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F E S T I VA L S N AC H K AT E G O R I E
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F E S T I VA L S
POPFEST Können eine Musikjournalistin und ein Musiker gemeinsam ein Festival veranstalten? Oh ja, sie können – Katharina Seidler kuratiert gemeinsam mit Nino Mandl, besser bekannt als »Der Nino aus Wien«, die neunte Ausgabe des Popfests. Wie jedes Jahr wird die barocke Karlskirche zum Mittelpunkt heimischer Popmusik. Eröffnet wird das viertägige Fest von der Indie-Rock-Band NAK E D LU NC H . Ganz oben im Line-up stehen außerdem D I V ES , M AV I PH O EN I X , K R E I S KY, und die Wiener Hip-Hop-Crew K R E I ML & SA M U RA I . Der Karlsplatz wird aber auch zur Bühne für Newcomer wie F E L I X K R AME R , A LI C I A ED ELWEI S S oder AL I C E D. Insgesamt 60 Künstlerinnen und Künstler der österreichischen Popmusikszene werden live auftreten, zusätzlich gibt es noch ein Rahmenprogramm in Form von Panels und Diskussionen. Das Wien Museum bietet eine Vinylbörse und stellt die Bühne der Popfest-Sessions. Das vollständige Programm des Gratisfestivals wird Ende Juni offiziell bekannt gegeben. 26. bis 29. Juli Wien
Simon Brugner, Hinrich Carstensen, Jonatah Braatsch
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STADT FESTIVALS Wer keine Lust auf Camping hat und dennoch Festivalluft einatmen möchte, kann auf Stadt- und Showcasefestivals nach dem Besuch verschiedenster Venues in Gehnähe zurück ins gemachte Bett fallen.
WAVES Das Club- und Showcase-Festival hat in den letzten zwei Jahren mit dem WUK das perfekte Festivalzentrum gefunden. Während der gemütliche Innenhof zum kommunikativen Austausch zwischen MusikerInnen und Menschen aus der Musikwirtschaft einlädt, bringt das WUK selbst gleich mehrere geeignete Konzertsäle mit und auch die anderen, zum Teil sehr kreativen Venues, wie etwa die Canisiuskirche, befinden sich in unmittelbarer Gehdistanz. Musikalisch konzentriert man sich auf die Indie- und Alternativeschiene und fördert dabei vor allem junge nationale und internationale KünstlerInnen, etwa durch Netzwerktreffen oder den seit letztem Jahr ins Leben gerufenen XA-Nachwuchsaward, der MusikerInnen am Karrierebeginn durch Preisgeld und mediale Aufmerksamkeit unterstützt. Die diesjährigen Gastländer, Portugal und Slowakei, folgen dem Motto »East meets West«, unter den ersten bestätigten Acts ist etwa die sechsköpfige Band G O ! T EAM, die Cheerleadergesang mit Gitarrenklängen und 70s Funk kombiniert, oder die österreichische Garage-Newcomer-Band DIVES, die kürzlich als Support Ilgen-Nur für Bilderbuch auf der Bühne stand. 28. bis 30. September 2017 Wien
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REEPERBAHN (G E R ) C/O POP
(G E R )
Das Showcase-Festival in der Rheinmetropole überzeugt auch in diesem Jahr mit einem sorgfältig ausgewählten Line-up aus Newcomern und bekannten Größen und einer Auswahl an unterschiedlichsten Locations in ganz Köln: Von der Eröffnung durch die B EGI NNER im Tanzbrunnen, über T H E NOT WI ST in der Kölner Philharmonie und die 25-Jahresfeier des Techno-Labels KO M PA KT in Clubatmosphäre bis hin zu zahlreichen Showcases und Indie-Label-Galas rund um die Festivalzentrale im Stadtgarten. 29. August bis 2. September Köln
Im Rahmen des Reeperbahn-Festivals wird der Hamburger Stadtteil St. Pauli jährlich im September zum Musikhotspot und bedient dabei Fans unterschiedlichster musikalischer Genres ebenso wie das Fachpublikum aus der Musikwirtschaft. An mehr als 90 zum Teil sehr außergewöhnlichen Locations, wie der St. Pauli Kirche, dem Schulmuseum oder der Elbphilharmonie spielen in diesem Jahr Künstler wie Y U KNO, W H OMAD E W H O oder K I D SI M I U S , zudem wird auch ein ausführliches Diskursund Kunstprogramm geboten. 19. bis 22. September Hamburg
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Michael Hametner, Paula Ďurinová, Christoph Weiermeier
THEMENSPECIAL
CREEPY TEEPEE (CZE )
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ACOU STIC L AKESIDE Ein See, drei Entenfamilien und vier Sommernächte voller akustischer Musik – das Acoustic Lakeside verspricht auch dieses Jahr wieder ein hochkarätiges Line-up in entspannter Atmosphäre. Die Zahl der Tickets für das idyllische Upplugged-Festival ist trotz großer Beliebtheit streng limitiert. Wer ein eines ergattert, kann sich auf Acts wie FA RE WEL L DEAR G HOST, FABER, T HE N A K E D AND FAMOUS und N ICK MULVEY freuen. 19. bis 21. Juli Sonnegger See
Etwa 40 Kilometer östlich von Prag bietet das mittlerweile weit über die tschechische Grenze bekannte Creepy Teepee Festival in seiner zehnten Ausgabe unter dem Mottoein diverses Line up von Punk über Grime und Hip-Hop und experimenteller elektronischer Musik auf zwei Bühnen in entspannter Atmosphäre. Auf dem Hof eines verlassenen Verwaltungsgebäudes spielen in diesem Jahr unter anderem die dänische Punkrock-Band I C E AGE und das queere Rap-Duo FA KA . 6. bis 8. Juli Kutná Hora
ROCK IM DORF Das kleine aber feine Festival im oberösterreichischen Schlierbach möchte, mit einer wohlselektierten Auswahl heimischer Acts, nicht nur den Ohren der FestivalbesucherInnen etwas Gutes tun, sondern holt in diesem Punkt viel weiter aus: Neben einer fairen Preisgestaltung steht auch die Verwendung regionaler Produkte an oberster Stelle. In diesem Jahr unter anderem mit: 5KH D, C I D R I M, D I VE S . 13. bis 14. Juli Schlierbach
KONZERT FESTIVALS Während das Poolbar-Festival Feldkirch fast den ganzen Sommer mit Konzerten bereichert, verwandelt Ahoi! The Full Hit Of Summer Linz zumindest einen Tag in eine Festivallocation.
POOLBAR FESTIVAL Sommer für Sommer ist Feldkirch in Vorarlberg in aller Munde. Nicht etwa wegen seiner schönen Altstadt, sondern weil sich hier, in den Monaten Juli und August, ein altes Hallenbad in eine Festivallocation verwandelt. Geht es um die Location, erfindet sich das Festival jeden Sommer neu, denn das Hallenbad erhält jedes Jahr ein anderes Gewand. Doch während sich das Setting des Festivals ständig ein wenig verändert, kann ohne Zweifel davon ausgegangen werden, dass hier in jedem Jahr sorgsam selektierter Musik unterschiedlicher Sparten Raum gegeben wird. Wer ein entspannendes und gleichzeitig inspirierendes Festival inmitten der schönen Vorarlberger Natur erleben möchte, ist hier richtig. Das Attribut »gute Luft« lässt sich, im metaphorischen Sinn, beim Poolbar Festival nämlich sehr gut auch auf die Atmosphäre übertragen. Wer Lust darauf hat seinen Musiksommer sowohl in Feldkirch einzuläuten als auch ausklingen zu lassen, kann das in diesem Jahr unter anderem mit FINK , YU NGB LU D und den S HO U T OUT LOUDS tun. 6. Juli bis 14. August Feldkirch
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WET TERLEUCHTEN
KLEIN , ABER … Ermöglicht durch eine starke freie Musikszene und viele Freiwillige wird die österreichische Festivallandschaft durch viele kleinere Festivals bereichert, die sich vor allem durch liebevolle Gestaltung, kluges Booking und die meist wunderbar idyllischen Venues auszeichnen.
Festivals auf leeren Feldern oder hartem Beton sind in Österreich mittlerweile Standard. Das Wetterleuchten ist dagegen mit einer Location auf 2000 Metern Höhe definitiv außergewöhnlich. Die Berge der Innsbrucker Nordkette werden zwei Tage lang mit elektronischer Musik zum Beben gebracht. Das höchste Festival Europas bietet eine Mischung aus Lagerfeuer-Camping und DJ-Sounds mit spektakulärem Ausblick. 14. bis 15. Juli Innsbruck/ Seegrube
VOLKSSTIMME FEST Auf der Jesuitenwiese des Wiener Prater veranstaltet – der Name lässt es erahnen – die KPÖ das tiefenentspannte »Pressefest« ihres mit Unterbrechungen seit stolzen 69 Jahren bestehenden Mediums »Volksstimme«. Das breite musikalische Angebot ist nur ein Teil des – mitunter mehr, mitunter weniger offensichtlich politischen – Informations-, Kunstund Unterhaltungsprogrammes dieses Volksfests. Bisher sind unter anderem AN K AT H I E KO I , D I V E S , S Q UAL LOS C OP E fixiert, das Line-up der vergangen Jahre lässt auf noch mehr hoffen. 1. bis 2. September Wien
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Martin Reiser, Volksstimmefest, seewiesenfest.at
F E S T I VA L S
SEE WIESENFEST
AHOI ! THE FULL HIT OF SUMMER Das Festival an der Linzer Donaulände präsentiert sich, wie aus den beiden vergangenen Jahren schon gewohnt, auch 2018 als Garant für große Namen. Gastierten im letzten Jahr Arcade Fire am Flussufer im Donaupark, sind es heuer T HE NATI O NA L und CH VRCHES die dafür sorgen werden, dass die österreichische Musikszene nach Linz schaut. Geheimtipp ist das isländisch-britische Trio DR EAM W I F E . 11. Juli Linz
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Matthias Rhomberg, Lauren Clifford
Chvrches
Nach einem Jahr Pause meldet sich das vom Kulturverein Frikulum organisierte Seewiesenfest zurück und feiert in seiner 23. Ausgabe gleich zwei Tage lang auf einer wunderschönen Blumenwiese in Kleinreifling. Das musikalische Programm, in diesem Jahr unter anderem mit Auftritten von LEYYA und I S O L AT I O N B ERLI N , wird durch Lesungen, Poetry Slams, feinem regionalem Essen und Lagerfeuer-Atmosphäre ergänzt. 1. bis 2. Juni Kleinreifling
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THEMENSPECIAL
LIGHTHOU SE FESTIVAL ( H RV )
Entstanden aus der illegalen Open-Air-Reihe »Plötzlich am See« in Berlin begeistert das »Plötzlich am Meer« direkt an der polnischen Küste auf einem ehemaligen Flughafengelände vor allem durch seine Bandbreite. Inspiriert von der Fusion setzt man neben elektronischer Musik auch auf aufwendige Deko, Installationskunst und ein vielfältigverrücktes Side-Programm von Mathematikolympiade über EcoCity-Workshops bis hin zu Massage. Bespielt werden die Bühnen direkt am Meer – in diesem Jahr unter anderem von Acts wie R O M A N F LÜGEL und DJ B O RI NG. 24. bis 28. August Podczele
NOVA ROCK
Wer nach elektronischen Musikfestivals abseits vom EDM-Mainstream sucht, wird zumindest im Sommer in Österreich nicht fündig. Diese vier Festivals sind dennoch einen verlängerten »Club«-Urlaub wert.
ATONAL
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Das »Festival für Experimente mit Ton und Licht« verbindet experimentelle elektronische Musik mit einer ganzen Reihe an visuellen Eindrücken. Schon die Location, ein stillgelegtes Heizkraftwerk in Berlin, beeindruckt durch seine Größe und seine Rohheit und ist damit – trotz oder vielleicht gerade aufgrund seiner akustisch schwierigen Bauweise – idealer Schauplatz für die Verknüpfung von Video-, Medienund Klangkunst. 22. bis 26. August Berlin
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DEKMANTEL SELECTORS ( H RV ) Der kleine Ableger des in Amsterdam stattfindenden Festivals für elektronische Musik lädt jährlich etwa 1500 Tanzfreudige auf eine kleine Anlage nach Tisno im südlichen Teil Kroatiens ein. Fünf Tage lang wird auf zwei Bühnen am Strand, im Club und am Boot gefeiert, das Line-up ist etwas houselastiger als das des »großen Bruders« und bietet den KünstlerInnen aufgrund längerer Slots mehr Möglichkeit sich auszutoben. 23. bis 27. August Tisno
Barracuda Music, Rockstarphotographers/Sandor Csudai, Heimo Spindler, Elisabeth Pollak, Johann Riggelsen, Eric Pamies
ELEK TRO
Richard Luerzer, Ekvidi/ flickr/ CC BY-NC 2.0 Camille Blake, Kasia Zacharko
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Die Ex-Pratersauna-Crew macht Urlaub und nimmt dabei jedes Jahr langjährige Freunde und Fans nach Kroatien mit. Unter dem Motto »electronic music on vacation« wird fünf Tage und Nächte am Meer, in einem alten Autodrom, im Wald oder im Club getanzt – dieses Jahr unter anderem mit MO ODYMAN, HVO B und ETAPP KYL IE . Nicht verpassen sollte man außerdem die mittlerweile fast legendäre PizzeriaParty mit WOL FRAM. 29. Mai bis 2. Juni Poreč
PLÖTZLICH AM MEER ( P O L )
Mit über 220.000 Besuchern ist und bleibt das Nova Rock eines der größten Festivals des Landes. Die Pannonia Fields im Burgenland werden heuer wieder für vier Tage zur Pilgerstätte für die Fans der etwas härteren Sounds. Neben den TOT EN H O S EN , MAR I LY N M A NS O N, T H E PR OD I GY und B I LLY I D O L wird mit Acts wie G ENT LEM A N, OK K I D und PAS S ENGER aber auch viel Abwechslung geboten. 14. bis 17. Juni Nickelsdorf
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Dieses Jahr wird das FrequencyVolk zum 10. Mal seine Zelte in St. Pölten aufschlagen, und das Gelände entlang der Traisen für vier Tage (und Nächte) belagern. Auch wenn die Location bleibt, können sich die Besucher auf einige optische Veränderungen des Festivalgeländes freuen. Die Green Stage und der Nightpark bekommen ein Make-Over, und eine weitere Open-Air Bühne feiert heuer ihr Debüt. Der Fokus vieler (hauptsächlich sehr jungen) Festivalbesucher liegt nicht unbedingt auf der Musik. Trotzdem kann sich das Line-Up durchaus sehen lassen, auch wenn viele der diesjährigen Headliner keine Frequency-Neulinge mehr sind. Verpassen sollte man auf keinen Fall die Shows von D I E A NT WO O RD und den G ORILL AZ . Neben vielen Pop- und Elektronik Acts ist die Auswahl an Künstlern aus dem Bereich Hip-Hop und Rap, wie unter anderem Y U NG H U RN, RA F CA M O RA & BON EZ MC, CAS PER, RI N, und T RET T M A NN in diesem Jahr auffällig groß. 16. bis 19. August St. Pölten
KL AS SIKER Wir müssen euch diese Festivals vermutlich nicht vorstellen, denn sie prägen seit Jahren die österreichische bzw. die europäische Festivallandschaft und sollten bereits im Kalender rot markiert sein. Während Frequency und Nova Rock beim Booking zuletzt etwas an Kreativität vermissen ließen, bringen Primavera, Melt und Sziget in ihrem jeweiligen Bereich eine ganze Reihe an großen Acts zur gleichen Zeit an den selben Ort.
SZIGET
DONAUIN SELFEST Jedes Jahr im Juni verwandelt sich die Wiener Donauinsel zu einer riesigen Festivallandschaft, die knapp drei Millionen BesucherInnen mit einem umfassenden Programm aus nationalen und internationalen Acts anzieht. Wer sich zurechtfinden möchte, sollte sich bereits vorab darüber informieren, welche Bühne dem eigenen Musikgeschmack entspricht. Zu den Highlights in diesem Jahr zählt etwa das Konzert von P O RT U GA L . TH E MAN oder der A NT ILOP E N GAN G auf der FM4/Planet.tt-Bühne. 22. bis 24. Juni Wien
(HUN)
Auf der Donauinsel in Budapest gelegen, wird das Sziget jährlich zur »Island of Freedom« und damit zum Treffpunkt von FestivalbesucherInnen aus der ganzen Welt. Neben einem umfangreichen musikalischen Programm mit Headlinern wie K ENDRICK L AMAR, L AN A D EL REY oder G ORIL L AZ überzeugt das Festival vor allem durch sein vielfältiges Sideprogramm von Open-Air-Kino über Theater-Workshops bis hin zu Bungeejumping und Volleyball und die einzelnen Camping-Dörfer, die ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Szitizens erzeugen. 8. bis 15. August Budapest
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F E S T I VA L S
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FREQ U ENCY
PRIMAVER A MELT
(G E R )
Beherbergt an einem See und auf einem ehemaligen Kohleabbaugebiet punktet das Melt Festival jährlich nicht nur mit einer guten musikalischen Selektion, sondern auch mit einem attraktiven Gelände. Nebst alten Baggern und Kränen spielen in diesem Jahr auf der Hauptbühne Acts wie T H E X X , FLO RENC E A ND T H E M AC H I NE oder F EV ER R AY, Freunde elektronischer Musik dürfen sich auf Sets von Technogrößen wie N I NA KRAV I Z oder B EN K LO C K freuen. 13. bis 15. Juli Gräfenhainichen
(ESP)
Das Primavera Festival ist seit jeher für sein starkes Booking bekannt, zudem kann die Festivallocation mit Blick auf die Skyline Barcelonas auf der einen und das Meer auf der anderen Seite durchaus punkten. Musikalisch setzt man wenig Grenzen, von R’n’B Größen wie F R AN K O C E AN über Indie-Klassiker wie A RCAD E FI R E bis hin zu Legenden elektronischer Musik wie A PH EX T WI N wird so ziemlich jedes Genre auf einer der insgesamt fünf Bühnen bedient. 31. Mai bis 4. Juni Barcelona
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Workstation Menschen am Arbeitsplatz Alexander Gotter
Pendekar Puti Kaisar Mihara, 31, Sicherheitskraft Gemeinsam mit Puti geht es weg von der Tanzfläche, raus vor die Tür. Die Teamleaderin und Trainerin bei Event-Safety liebt ihren abwechslungsreichen Beruf, bei dem es manchmal auch ganz schön gefährlich werden kann: »Heikle Situationen können von Frauen oft präventiv durch die richtige Kommunikation entschärft werden«, weiß Puti und erzählt aus dem Nähkästchen. Das Unternehmen von Roland Lehner ist seit über 22 Jahren spezialisiert auf Veranstaltungssicherheit auf allen großen Veranstaltungen wie dem Nuke Festival oder Waves Vienna. Derzeit arbeiten 18 Frauen im Unternehmen und die Nachfrage nach reinen Frauenteams steigt vor allem bei Konzert- und Musikveranstaltungen, erzählt uns Puti und freut sich über neuen Schwung in ihrem Berufsfeld. »Oft herrscht eine ganz andere Dynamik im Raum, wenn weibliche Sicherheitskräfte vor Ort sind«. Auch heuer werden Puti und ihr Team neben Veranstaltungen im WUK und der Grellen Forelle auch Catherine Hazotte viele Festivals im Blick behalten.
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Atzgerei, im besten Alter, Kreativ-Konglomerat Du liebst Musik und bist jedes Jahr auf mindestens einem Festival? Dann bist du sicherlich schon einige Male über die kreativen Umsetzungen der Atzgerei gestolpert. Das 2005 gegründete 8-köpfige Team ist, unter anderem, seit acht Jahren für das ständig wechselnde Erscheinungsbild des Donaufestivals in Krems zuständig. »Wir müssen jedes Jahr neue Umsetzungen für das Design finden, da sich das Programm immerzu verändert.« erzählen uns die Jungs bei einem Kaffee in ihrem »Studio Hyrtl« im 16. Wiener Gemeindebezirk. Hier werden sowohl analoge Projekte, digitale Produktionen als auch experimentelle Modellierungen umgesetzt. Designpreise wie der Joseph-Binder-Award oder auch die CCA Venus für eine FM4 Kampagne zeichneten die erfolgreichen Umsetzungen bisher aus. Wer heuer auf dem Donaufestival unterwegs ist, sollte auf jeden Fall einmal genauer hinschauen. Catherine Hazotte
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PROSA — CHRISTINA DANY
Summer Summarum Die Welt steckt voller Geräusche. Die Autorin Christina Dany sammelt sie »wie unsichtbare Schmetterlinge«. Wie das geht und was das alles mit dem Fluc zu tun hat, zeigt dieser Text zum Zu-, Auf- und vor allem Hineinhorchen.
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Die Sonne macht gehörig Krach Ich erinnere mich genau daran, als Kind einmal die Sterne summen gehört zu haben. Es war kein Summen im eigentlichen Sinn, nicht wie ein Bienenstock, nicht wie Hochspannungsleitungen aus der Nähe, nicht wie das merkwürdig monotone Summen meiner Großmutter, wenn sie die Ausgaben der Woche in ihr Haushaltsbuch eintrug. Aber in all den Jahren, Jahrzehnten, die seither vergangen sind, ist mir kein treffenderes Wort für das unvergleichliche Geräusch begegnet, das ich gegen halb zwei Uhr morgens am Ufer der Salzach vernahm. Ich war ausgebüxt von daheim, in einer schwülen Sommernacht, kaum zwölf Jahre alt, den Wohnungsschlüssel hatte ich unter den Fußabstreifer geschoben, die Haustür mit einem Haargummi am Zufallen gehindert. Es war nicht das erste Mal, dass ich mich nachts aus dem Haus schlich, um barfuß durch die ausgestorbenen Straßen der Stadt Salzburg zu streifen wie ein scheues Tier. Nie wurde ich erwischt, nie passierte mir etwas. Kurz vor Anbruch der Morgendämmerung war ich stets wieder daheim, wusch mir die Füße und schlüpfte ins Bett. In der Nacht der summenden Sterne war ich das letzte Mal so unterwegs, denn im Sommer darauf steckte ich mitten in der Pubertät, und die ging bei mir mit Ängstlichkeit einher, ich wagte die nächtlichen Ausflüge nicht mehr. Als ich die Sterne summen hörte, war ich zunächst skeptisch. Ich war ein seltsames, aber früh sehr rationales Kind. Ich hatte den Müllnersteg überquert und trabte auf der menschenleeren Kaipromenade in Richtung meiner Schule, die ich mir einmal bei Nacht besehen wollte. Auf halbem Wege fiel mir das Summen auf. Ich wurde langsamer, blieb schließlich stehen, und lauschte. Ich konnte die Richtung aus der es kam nicht festmachen. Es war leise, aber allgegenwärtig. Ich drehte mich um meine eigene Achse, neigte den Kopf konzentriert horchend abwechselnd zur linken und zur rechten Seite, dann sah ich nach oben. Und da war es ganz klar und überwältigend. Ich erinnere mich, wie ich dastand, den Kopf in den Nacken gelegt, den Mund leicht geöffnet, und es nicht fassen konnte.
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Es gab in diesem Moment keinen Zweifel. Ich wünschte mir später diese Gewissheit noch oft herbei, aber sie sollte sich nie mehr einstellen. Fast 40 Jahre danach höre ich mir im Internet Aufnahmen der elektromagnetischen Impulse an, die Planeten aussenden, und die von Astrophysikern in elektronische Klänge umgewandelt wurden. Je nachdem, in welcher Frequenz und Geschwindigkeit man diese Töne abspielt, ergeben sie ein Pulsieren, ein Dröhnen oder Knacken. Das Summen, das ich gehört habe, war anders, es war ein natürlicher Klang, ich wüsste heute nicht zu sagen, wie er mein Ohr erreicht haben sollte. Vielleicht habe ich auch nur das Geräusch der Erde wahrgenommen, die durch das Weltall rast, auch nicht unwahrscheinlicher. Nicht von Menschen gemachte Geräusche faszinieren mich seither, ich habe gelernt, auf sie zu achten und sammle sie in meinem Geräuschgedächtnis wie unsichtbare Schmetterlinge. Ich rede nicht allein von Tierlauten, dem heilkräftigen Schnurren der Katzen, dem komischen Tuten balzender Albatrosse, den vielgeliebten Walgesängen, sondern von Naturgeräuschen, die seltener und oft nur mit Glück oder einigem Aufwand zu erhaschen sind. Das Getrappel von Igelfüßchen auf den Natursteinplatten der Terrasse, das Knarzen hoher Föhrenstämme, die im Wind aneinander reiben, das flüsternde Knistern der Bachkiesel, die von der Strömung bewegt werden. Das Prasseln von Regentropfen auf einem Wellblechdach, das nahezu unhörbare Scharren der Ameisenlöwen, die ihren Trichter ausheben, das dumpfe »Plonk«, wenn sich ein Tropfen von einem Stalaktiten löst und in einen unterirdischen See fällt. Mit dem allergrößten Entzücken bin ich vor einigen Jahren auf einen jungen Londoner Musiker aufmerksam geworden, der Naturgeräusche in seine Lieder einbaut, zumeist elektronisch verfremdet, gelegentlich auch unverfälscht. Damals war der Name Cosmo Sheldrake in der hiesigen Musikszene noch nicht weithin bekannt, und ich wage zu behaupten, er ist es darüberhinaus auch
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privat
heute noch nicht, obwohl der 28-jährige, leicht schrullige Multi-Instrumentalist und Sänger meiner Überzeugung nach auf dem besten Weg zu größerer Berühmtheit ist. (Nicht zuletzt weil er, meines Wissens nach als erster Künstler, dem von Biologen ob seiner schier unglaublichen Überlebensfähigkeit sehr bewunderten Bärtierchen eine eigene Ballade gewidmet hat, den großartigen »Tardigrade Song«.) Sheldrake streift mit dem Aufnahmegerät durch die Gegend, nimmt das Blöken von Hochlandschafen auf, provoziert einen Wachhund zu wütendem Gebell, hält quiekenden Schweinen das Mikrofon hin, er sammelt Vogelstimmen und ist irgendwie sogar an das Geräusch kauender Fledermäuse gelangt. Ich liebe ihn. Rein akustisch. Hübsch ist er auch noch. Also bin ich unlängst zu seinem allerersten Wien-Konzert gegangen. Ich bin ja für Musikveranstaltungen in tunnelartigen, finsteren, über und über mit Graffiti beschmierten Konzert-Locations voller dampfender, tätowierter Leiber denkbar ungeeignet, das Fluc war für mich insofern also eine große Herausforderung. Eingekeilt in die rhythmisch wogende Menge kam ich hinter einem jener jungen specklockigen Männer zu stehen, die ihre dreckigen T-Shirts wahrscheinlich nur mit einer halben Waschnuss im Kurzwaschprogramm der versifften alten WG-Eudora durchschwappen lassen, dann in der Maschine vergessen, Stunden später zusammengeknüllt auf den Hänger werfen und noch leicht kernfeucht in die Lade mit den Geht-noch-Socken stopfen, um sie dann auf Veranstaltungen zu tragen, wo die bakteriengesättigte Baumwolle ihre volle olfaktorische Durchschlagskraft inmitten schwitzender Menschenmassen erst so richtig entfaltet. Gerüchen gegenüber bin ich im Gegensatz zu Geräuschen nicht so aufgeschlossen. Trotzdem habe ich das Konzert sehr genossen. Höhepunkt war für mich eine Nummer, in der Sheldrake das Geräusch der Sonne verwendet. Ich komme der Sache immer näher.
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Geboren 1967, aufgewachsen in Salzburg, Journalistin und freie Autorin. Lebt und arbeitet in Wien. Schule für Dichtung Mitte der Neunzigerjahre, prägende Begegnungen mit Inger Christensen, Wolfgang Bauer und H. C. Artmann. Staatsstipendium für Literatur. Christina Dany liebt Bärtierchen, sammelt Packerlsuppen, und betreibt seit vielen Jahren die Kunstform des heimlichen Zufügens von Dingen im öffentlichen und privaten Raum. Im Traum wurde sie einmal nach ihren Hobbies gefragt, da antwortete sie: Ballonfahren, Eisstockschießen und Goldwaschen. Nichts davon trifft im echten Leben zu.
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Christina Dany
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Gewinnen thegap.at/gewinnen Star Wars VIII: Die letzten Jedi Wir sind in der Mitte der aktuellen Trilogie angelangt: Luke Skywalker nimmt wieder eine zentralere Rolle ein und die Rebellen befinden sich in einem Rückzugsgefecht. Kylo Ren hat seine ganz eigenen Kämpfe auszutragen und auch Rey muss ihren Weg finden … Wir verlosen drei Blu-Rays.
Isle Of Dogs – Ataris Reise Der neue Animationsfilm von Wes Anderson erzählt die Geschichte des zwölfjährigen Atari, der sich auf die Suche nach seinem Hund Spot macht. Dieser ist mit anderen Hunden per Regierungserlass auf eine Müllinsel verbannt worden. Wir verlosen zwei Pakete bestehend aus Soundtrack und Screenplay.
Wir töten Stella Nach »Die Wand« ist »Wir töten Stella« Julian Roman Pölslers zweite Verfilmung eines Marlen-HaushoferRomans: Stella ist eine junge Frau, die in einer Affäre mit dem Vater einer gutbügerlichen Familie und deren Versuch den intakten Schein zu waren, aufgerieben wird. Wir verlosen zwei DVDs und eine Blu-Ray.
Your Name – Gestern, heute und für immer Der von Makoto Shinkai inszenierte Anime gilt als eines der erfolgreichsten Werke der letzten Jahre und erzählt von Mitsuha und Taki, die in spannenden Phasen ihres Lebens die Körper tauschen und miteinander in Kontakt treten. Wir verlosen zwei Fanpakate (DVD bzw. Blu-Ray, Poster und Notizbuch).
Manifesto Julian Rosefeldt hat diese Filminstallation in zwölf miteinander in Beziehung stehenden Episoden gedreht, in denen jeweils Cate Blanchett die Hauptrolle spielt. Grundlage der Arbeit sind verschiedene künstlerische Positionen und Manifeste aus dem 20. und 21. Jahrhundert. Wir verlosen 3 DVDs.
Twin Peaks – A Limited Event Series
AB 20. JULI NUR IM KINO!
Mehr als 25 Jahre nach den ersten beiden »Twin Peaks«-Staffeln hat David Lynch einen würdigen Nachfolger geschaffen. Die Schauplätze sind neu und die Charaktere haben ganz andere Aufgaben zu meistern – dennoch: geheimnisvoll und voller wunderbarer Ideen. Wir verlosen eine Blu-Ray und eine DVD.
Three Billboards Outside Ebbing, Missouri Martin McDonagh lässt seinen neuen Film im USHinterland spielen und in dieser dramatischen wie traurigen Geschichte seinen bösartigen Humor nicht zu kurz kommen. Im Zentrum der Handlung: Mildred, die daran verzweifelt, dass der Mord an ihrer Tochter nicht aufgeklärt wird. Wir verlosen drei DVDs.
WWW.CONSTANTINFILM.AT
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Rezensionen Musik
Inner Tongue
Tobias Pichler
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Der Wiener Musiker und Produzent Inner Tongue ist jemand, der sich nicht unbedingt in den Vordergrund drängt. Dabei müsste er sich mit seiner sanften Soulstimme wahrhaftig nicht hinter der Handvoll bis jetzt veröffentlichter Songs verstecken. Aber weder scheint Scheu der Grund dafür zu sein, noch kalkulierte PR. Es ist eher die selbstbewusst gewählte Zurückhaltung eines Künstlers, der auf sein Inneres hört, Inner Tongue eben, und deshalb auch keinen Lärm um seine Person machen muss. So entstand ein bisschen ein Mythos um den Musiker und Produzenten, vor allem nachdem letzten Sommer der äußerst ausgereifte Track »Dig Deeper« erschienen war – und Inner Tongue plötzlich mit James Blake und Sohn verglichen wurde. Wer ihn hörte, wollte mehr und bekommt das jetzt auch. Inner Tongue zeigt auf »Favours« mit gefühlvollem, experimentellem Pop, wofür er steht. Dem Geheimtippstatus entwächst er dabei auf alle Fälle. Das zweigeteilte »Lamac«, das als Opener und Closer fungiert, klingt wie ein einziges fettes Statement und gehört zum Spannendsten, was das Album zu bieten hat. Eine große Entwicklung seit den Popballaden der Anfangstage – deshalb verwundert es auch ein bisschen, dass diese ebenfalls auf »Favours« Platz finden. Um das alles, die Platte und ihren Zauber ein bisschen besser zu verstehen, sollte man allerdings die unglaubliche Vorgeschichte ihrer Entstehung kennen. Vor fünf Jahren erlitt der Musiker eine äußerst seltene Stimmstörung. Er verlor die Kontrolle über seine Stimme und musste sich einer schwierigen Operation unterziehen. In der Genesungsphase begann er – vorerst noch rein instrumental und nur für sich selbst – zu komponieren, um gegen die Stille anzukämpfen. Seine Stimme kam nämlich erst nach einiger Zeit zurück. Ein großes Glück für ihn und alle, die jetzt sein Debütalbum zu hören bekommen: Sie funktioniert in den verschiedensten Varianten von sphärisch (»Wallbreaker«) bis hin zu ziemlich cool (»Next Life«) und wirkt trotz ihrer Zartheit immer bestimmt und stark. An die Assoziationen mit großen Sängern – jetzt auch noch mit Rhye – muss sich Inner Tongue wohl gewöhnen. (VÖ: 25. Mai) Pia Gärtner
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Favours — Mount Silver Records
Live: 11. Juni Wien, Porgy & Bess
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Rezensionen Musik
Arctic Monkeys
Tents
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Tranquility Base Hotel + Casino — Domino Stars On The GPS Sky — Numavi
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»Tranquility Base Hotel + Casino« wird geliebt und gefeiert werden von jenen, die auch hören wollen. Jugendliche werden dazu gerne mal ihre ersten heißen Momente zelebrieren. Eine gute Grundlage für lange Liebe – zur Band und diesem verträumten Sound der großen Zitate. Und doch wird der Longplayer jene Hitmeister nicht tangieren, die dann erst recht wieder das treibende »I Bet You Look Good On The Dancefloor« einfordern. Im Ohr der Masse bleiben eben oft nur das einfache Hüpfvergnügen und die große Tränenballade. Alex Turner hätte aber genug Pathos mit Melancholie zu bieten. Ersonnen am Steinway, fein ziseliert als Band herausgearbeitet. Man verneigt sich vor den vibrierend sanften Momenten der klassisch geschulten 60er-Jahre, den weiten, psychedelischen Soundlandschaften oder der zerbrechlich großen Geste eines Bowie Mitte der 70er. Amüsant, dass es kurz davor Nic Cester von Jet ebenso in diese Richtung trieb, der dabei noch mehr auf Morricone machte. Sheffield gab bereits dem Elektropop der 80er wichtige Impulse, die Monkeys stellen sich nun – nicht ohne Gefahr – in die Reihe der Pulsgeber. Klar, viereinhalb Jahre nach »AM«, das angenehme fünf Millionen Abnehmer fand und damit Luft verschaffte, dreht Herr Turner wieder kräftig an der Ausrichtung und definiert seine Truppe neu. Ein ewiges Wagnis. Zurück mit den Gitarren in den Dienst des Gesamten. Hasche nicht nach der einfachen Lösung, sondern arbeite sie komplex zum Großen aus. Hau der Attitüde einen Finger mehr auf die Waage, zelebriere den lyrischen Moment, scheue nicht davor zurück, die Beatles atmen zu lassen. Da verliert sich der Hörer gerne in einer mysteriösen Sehnsucht, frönt einer Melancholie ohne Tagesplan oder schreibt der beständig vorbeifliegenden Taube Romantik zu. Ja, Studioalbum Nummer sechs der Arctic Monkeys hat seine betörenden Momente und sollte genossen werden. Ich geh jetzt mal jemanden suchen, der mit mir eklektisch verträumt schmutzig sein will. (VÖ: 12. Mai) Michael Bela Kurz Live: 22. Juni Neuhausen ob Eck (DE), Southside Festival — 24. Juni Scheeßel (DE), Hurricane Festival — 14. Juli Budapest (HU), Sziget Festival
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Ganz ehrlich: Es fehlt uns ja echt an nichts. Ganz besonders nicht an Ennui und vor allem nicht an Selbstbeweihräucherung. Alles ein bisschen »oasch« und alles ein bisschen »leiwand«, alles wie immer. Richtig überraschen kann einen eh nichts mehr. Man mag sogar meinen: Vor allem die sogenannte Indie-Szene überrascht einen fast gar nicht mehr. Ein paar gute einzelne Lieder hier und da, eine blitzsaubere EP von Dives, aber vor allem auf Albumlänge war wenig Überraschendes und auch nur wenig wirklich, wirklich Gutes dabei. Immer die gleichen Köche verderben sogar den Einheitsbrei. Die Ästhetik der 90er zieht nur mehr im TrashKontext, Post-Grunge ist nun endlich auch in Österreich tot. Die Ästhetik der 80er hingegen nicht so ganz. Da gibt es schon noch Ausnahmen, die aus der trägen Masse derjenigen, die immer gleich klingen, herausstechen. Wobei, eigentlich ist das ist auch nur eine Band – Tents nämlich. Dass die Wiener Gruppe erst jetzt ihr Langspieldebüt veröffentlicht, ist auch eine Überraschung. So lange werden Tents nun schon durchs Indie-Dorf getrieben – man könnte meinen, bereits ihr drittes Album vor sich zu haben. Aber gut, dass sie sich Zeit gelassen haben. Das Label Numavi Records, Grazer Szenekatalysator, trifft ja ohnehin selten schlechte Entscheidungen. Und bei so großen Fragen braucht man das richtige Händchen. Denn was Tents zu leisten imstande sind, ist ganz schön viel. Rauer und gleichzeitig wärmender Postpunk, zumindest national konkurrenzlos. Akzentuierte, manchmal aber enervierende Wiederholungen und ein genreuntypischer Sack voller (Post?-)Ironie, der aus dem Punk in der Genrebezeichnung auch gerne kitschigen, aber stets als »cool« dechiffrierbaren Pop macht. Vereinzelte Neonflächen, konzises Schlagwerk und himmelschreiende Gitarren bilden das Grundgerüst, etwaige Einsprengsel, die man früher tropical oder auch spacig genannt hätte, zeichnen ein waviges, überaus schickes, modernes Klangbild. »Stars On The GPS Sky« ist verspielt, treibend und drängend und bleibt dabei stets – da hätten wir es wieder – überraschend. (VÖ: 12. Mai) Dominik Oswald Live: 2. Juni Kleinreifling, Seewiesenfest — 29. Juni Salzburg, Dawn Festival
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Zackery Michael, Anna Breit, Rachael Pony Cassells, Universal Music
Rezensionen Musik
Mary Lattimore
Nazar
Hundreds Of Days — Ghostly International
Mosaik — Universal Music
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Vergleiche sind immer auch unzulängliche Kurzschlüsse – fallweise kommunizieren sie aber doch überraschend viel. Mary Lattimore kann man sich in mancherlei Hinsicht als amerikanische Version von Lukas Lauermann vorstellen. Nur eben als Frau und an der Harfe. Beide nutzen ihre Instrumente für alle möglichen Formen von Musik, sind klassisch ausgebildet, spielen in diversen Formationen, unterstützen diverse andere MusikerInnen und Aufnahmen und veröffentlichen eigene Platten, die zwischen allen Genres liegen. Mitte der Nullerjahre hat Mary Lattimore einige Zeit in Österreich und Wien verbracht und intensive Kontakte zur heimischen Musikszene und zu den Medien geknüpft. Aktuell hat die gebürtige US-Amerikanerin ihre Basis in Los Angeles, bewegt sich aber umtriebig durch die USA und darüber hinaus. So hat sie in den vergangenen Jahren neben wiederholten Zusammenarbeiten mit Jeff Zeigler unter anderem auf Alben von Thurston Moore, Jarvis Cocker, Kurt Vile, Steve Gunn oder auch Soundtracks mitgewirkt – ihre Reisen können dabei stets auch auf Facebook und Instagram mitverfolgt werden. »Hundreds Of Days« ist wie die meiste Musik Mary Lattimores geprägt von den Orten dieser Reisen und den Personen, denen sie begegnet und mit denen sie zusammenarbeitet. Lattimore hat dafür eine narrative musikalische Ausdrucksweise gefunden, in der sie sich wie in einer Sprache vermitteln kann. Und schon nach wenigen Hördurchläufen setzen sich die Töne fest, zeichnen sich vor dem geistigen Auge Situationen und Bewegungen ab, die durch Titel wie »Never Saw Him Again« oder »Their Faces Streaked With Light And Filled With Pity« beinahe unnötig explizit ausformuliert werden. Neben der Harfe gibt es Klavier, Gitarren, sanfte Schlaghölzer und wenige andere Instrumente zu hören – manchmal auch Lattimores Stimme, die auch hier ohne Worte auskommt. Wie oft liegt die Faszination dieser Musik zwischen der Abstraktion und dem Konkreten – ein intensives und großteils leises Album. Martin Mühl
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Wer Hip-Hop liebt, kommt an dem österreichischen Rapper Nazar nicht vorbei. Ein Major-Deal mit Universal Music, Goldstatus für seine letzten Alben und zwei Amadeus Awards sprechen für sich. Umso gespannter dürften Fans des Straßenraps auf das neue Album sein. Über ein Jahr Arbeit hat der Künstler in »Mosaik« gesteckt und den Titel seines neuesten Werks dabei wörtlich genommen: Er liefert dem Hörer mit seinem achten Studioalbum eine wild zusammengewürfelte Song-Mischung. »Intro 1984« eröffnet das Album mit sich theatralisch aufbauender Melodie und wütender Lyrik. Plötzlich befindet man sich als HörerIn in Nazars tobender und zornesroter Welt. Das Album kann mit fein abgemischten Tracks und glasklaren Beats punkten, doch ähneln einander die Hooks zu sehr und das Hitpotenzial bleibt leider größtenteils auf der Strecke. So recht will man dem Rapper Tracks wie »Plus Minus«, das thematisch seinem schwankenden Kontostand gewidmet ist, leider nicht abnehmen – zu oft sieht man seit Jahren Nazars Gesicht in Verbindung mit Werbedeals für Fast-Food-Restaurants und Drogerieketten. Realness sieht anders aus und solche Storyteller hat der Rapper eigentlich nicht mehr nötig. Nazar ist längst auf anderen Ebenen authentisch unterwegs. Lichtblick auf »Mosaik« ist der Kollabo-Track »Richard Lugner« mit Remoe. Ein unterhaltsamer Stimmungsmacher, der den Mörtelkönig aus Wien endgültig in die ewigen Sphären des Legendentums hebt. Das gefällt und macht Laune. Beim letzten Song ballert Nazar lyrischen »Gossip« auf seine Hörer. Die Kugeln der AK fliegen nur knapp an den Hatern vorbei: Besonders gut kommt bei diesem Song niemand weg – vor allem vor Journalisten und Influencern wird hier gewarnt. Inschallah passiert mir nichts nach dieser Album-Review! Nazar hat mit »Mosaik« eine extrem bunte Sammlung von Tracks abgeliefert, deren Grenzen ineinander verschwimmen und einen kleinen Teil seiner Geschichte abbilden. Die klare Aufforderung an die HörerInnen? Einen Schritt nach hinten zu treten, um mit etwas Abstand Nazars Story in ihrer Gänze erkennen zu können. Offen bleibt, ob sich die kleinen Mosaiksteinchen wirklich zu einem Gesamtkunstwerk zusammensetzen lassen. (VÖ: 15. Juni) Catherine Hazotte
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Tommy Hojsa & Bernhard Moshammer Konrad Bayer am elektrischen Stuhl — Eigenverlag
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Dass du in Wien erst sterben musst, damit sie dich hochleben lassen, ist in das Gedächtnis der vergilbten Patina dieser Stadt eingebrannt wie Cognak in die Hirnzellen der Bahnhofsdrangler. Es ist der einzige Trost für jene, die gerade was auf sich und ihre Angewandten-»Kunst« halten. Und für die SchriftstellerInnen gilt es ganz besonders. Konrad Bayer etwa, Wiens großer solipsistischer Literat und – selbstverständlich – Dandy. Die Gedichte des 1964 verstorbenen Bayer, der sich mit G’sichtern wie Oswald Wiener, dem echten H. C. und Friedrich Achleitner irgendwann als »Wiener Gruppe« als Schrecken gegen das Establishment des postnazistischen Österreich hervortat und damit noch idealistisch-naive DeutschmaturantInnen quält, gelten als philosophische Hauptwerke des literarischen Kollektivs. Was damals schon nicht schlecht war, ist bei einer ähnlichen gesellschaftlichen Grundstimmung erst recht gut. Wobei: Schon die Worried Men Skiffle Group wusste, dass man Bayers Werke avantgarde-musikalisch durch die Äther schmeißen konnte. Das lag bei »Glaubst i bin bled« wirklich auf der Hand. Nun wagen sich auch Tommy Hojsa und Bernhard Moshammer an das Gesamtwerk des guten Bayer. Zwei Herren, die sich bislang schon in ihrem Schaffen mit der Verquickung darstellender Künste auseinandersetzen und fürs Theater komponieren, selbst Literatur produzieren und mit dem Vorantreiben des neuen Wienerliedes beschäftigen – man denke da etwa an Moshammers »Oabeit« aus dem Soundtrack von »AMS – Mutris Welt«. Ja, »Konrad Bayer am elektrischen Stuhl« ist ein überaus ambitioniertes und avantgardistisches Wienerlied-Album, das im Theater funktioniert, ohne Rücksicht auf die üblichen Kontexte von Clubkonzerten. Ja, die Texte sind über 50 Jahre alt, sind dabei aber stets zeitlos und erschließen sich auch in modernen Grundstimmungen. Ja, es tönt meist sanft, fast geflüstert, aber es bricht auch ganz schön in sich zusammen und über dich herein, lässt dich aufstehen und niemals los. Auch wenn Dominik Oswald es alles von dir abverlangt.
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Pressyes On The Run — Ink Music
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»Grundsätzlich kann man auf drei verschiedene Arten in die Vergangenheit zurückschauen: Mit zwei weinenden Augen, mit zwei lachenden Augen oder – weil es das Sprichwort so will – auch mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Der frühere Velojet-Frontmann René Mühlberger hat sich bei seinem neuen Projekt Pressyes eindeutig für die zweite Variante entschieden. Das scheint sowohl für die private Musikgeschichte des Multiinstrumentalisten zu gelten als auch für ganze Teile der Musikgeschichte im Allgemeinen. Die musikalischen Spuren des Albums führen nämlich klar zu den psychedelischen Sounds der 60er und 70er zurück, werden aber mit Pop- und Hip-Hop-Einsprengseln in eine modernere Klangwelt überführt. Alles wird oder ist bereits gut – und alles ist bunt. Wie schon die Farben am Albumcover vermuten lassen, hat der Musiker bei der Arbeit an seinem Soloalbum die rosarote Brille also nur selten abgenommen. Allerdings hat er hierfür ein Modell mit klarer, schwarzer Fassung gewählt, die auch einem verträumten Album wie »On The Run« einen soliden Rahmen gibt. Innerhalb dieses Rahmens ist jedenfalls sehr viel los. In und zwischen Songs wie »Touch The Sky« und »Children Of The Sun« findet nämlich ein vollständiger, von der Auflösung der Band Velojet in Gang gesetzter Selbstfindungstrip statt – allerdings einer, der einen nicht einfach nur mit schwarzen Fußsohlen vom vielen Barfußlaufen zurücklässt, sondern einer, der es auch möglich macht, danach frische, starke Spuren zu hinterlassen. Das klingt jetzt vielleicht kitschig und überladen, hört sich tatsächlich aber gar nicht so an. Zwar möchte man zu dieser Musik durchaus barfuß durch eine Wiese laufen – aber man möchte es ehrlich tun und nicht weil es das Klischee so vorschreibt. Auch bei »On The Run« löst sich jedes anfangs vermutete Hippieklischee schnell in Luft auf. In pinke, nach Blumen duftende Luft zwar – aber genau das macht es einfach zum perfekten Sommeralbum. (VÖ: 11. Mai) Sarah Wetzlmayr
Victoria Szabó, Sarah Wetz-
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Rezensionen Musik
Live: 23. Mai Wien, B72 — 29. Juni Salzburg, Rockhouse — 27. Juli Mank, Beserlpark
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Termine Kunst
The Shape of Time
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Für »The Shape of Time« öffnet das Kunsthistorische Museum erstmals die Türen der Gemäldegalerie für zeitgenössische Kunst. In der Gruppenausstellung begegnen 19 ausgewählte Werke von modernen Künstlern wie Maria Lassnig alten Meistern wie Rubens. Durch den künstlerischen Dialog wird das Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart fokussiert und ein neuer Blickwinkel ermöglicht. Kurator Jasper Sharp beschreibt The Shape of Time als »eine Ausstellung über Ideen und darüber, woher sie kommen.« 6. März bis 8. Juli Wien, Kunsthistorisches Museum
Mika Rottenberg Enge, abgedunkelte Gänge, beklemmende Räume und Videos von Produktionsabläufen – Mika Rottenberg entführt die BesucherInnen des Kunsthaus Bregenz in eine Welt, die irgendwo zwischen Realität und Surrealismus liegt. Die Ausstellung beschäftigt sich mit den Kreisläufen der Warenproduktion und den Grundlagen von Arbeit. Nach zahlreichen internationalen Filminstallationen ist die Ausstellung im KUB die erste Einzelausstellung von Mika Rottenberg in Österreich. 21. April bis 1. Juli Bregenz, Kunsthaus
Höhenrausch Die Dächer von Linz werden beim Höhenrausch auch dieses Jahr wieder zu einem außergewöhnlichen Ausstellungsraum. Über einen Parcours aus zahlreiche Brücken, Treppen und Dachböden sind mehr als 40 Beiträge von internationalen KünstlerInnen zu sehen. Im Mittelpunkt des Höhenrausch steht heuer das Thema Wasser. Die ausgestellten Projekte auf der Dachlandschaft zeigen wie vielfältig und widersprüchlich das Element sein kann. Beim Höhenrausch kann man moderne Kunst erleben und gleichzeitig seine Höhenangst besiegen. 24. Mai bis 14. Oktober Linz
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Shepard Fairey Wer schon einmal die Wiener Absberggasse mit offenen Augen hinauf oder hinunter gefahren ist, war bereits, wenn möglicherweise auch nur für den Bruchteil einer Sekunde, mit dem Street Art-Künstler Shepard Fairey in Kontakt. Ebendort ziert nämlich eines seiner Murals einen Betonsilo. Doch auch sonst ist Fairey, der vielen vor allem unter seinem Pseudonym »Obey Giant« geläufig ist, kein Unbekannter – sein blau-rotes Obama-Poster mit dem Schriftzug »Hope« war eines der Schlüsselbilder im US-Wahlkampf 2008. Mit »Golden Future« präsentiert die Galerie Ernst Hilger die erste Einzelausstellung des Künstlers im deutschsprachigen Raum. Liest man den Ausstellungstitel als Überschrift für Begriffe wie Gründerzeit, Gold und Reichtum, läuft man Gefahr sich vom scheinbaren Optimismus des Künstlers täuschen zu lassen. Hinter den klaren, symbiotischen Farben und Linien liegen nämlich kritisch-differenzierte Auseinandersetzungen mit aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen. 24. Mai bis 27. Juli, Galerie Ernst Hilger
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Termine Musik
Rhye Milosh sollte mal jemand sagen, dass es ungut ist, Alben mit nackten, anonymisierten Frauenkörpern zu becovern, auch wenn das Visual zu »Blood« wohl sein neues Significant Other zeigt. Wenn man sich aber auf die Musik konzentriert, kramt die neue LP von Rhye unausweichlich eine sinnliche Persona in einem hervor, die man sonst nur mit ausgewählten Privatmenschen teilt. Slow R&B mit einer traurigen Leichtigkeit, die LiebhaberInnen eh schon seit »Open« und »The Fall« begleitet. 13. Juni Wien, Flex
Bilderbuch • Alle Farben • Kygo • Bastille • Milky Chance the kooks • Parov Stelar • Liam Gallagher • Lykke Li The War On Drugs • Nick Murphy fka Chet Faker • Asaf Avidan Borgore • børns • Fever Ray • Stormzy • MØ • Above & Beyond Gogol Bordello • Kaleo • Fink • Kettcar • Seasick Steve Little Dragon • don diablo • Goo Goo Dolls Nothing But Thieves • Cigarettes After Sex • joe goddard (live) LaBrassBanda • Shame •Wolf Alice • meute • Desiigner Slaves • Chefboss • u.v.m.
Tickets sind bei Reservix erhältlich
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Tocotronic Es gibt viele Gründe, auf ein Tocotronic-Konzert zu gehen: Melancholie, Tradition, weil alle außer man selbst schon auf einem waren, weil die eigene Musiksozialisation mit Dirk, Jan und Arne begonnen hat, weil man sich endlich mit Tocotronic beschäftigen will. So weit wie die Motivationen der KonzertbesucherInnen gehen auch die Meinungen zum jüngsten Spätwerk auseinander. Live sind Tocotronic aber bekanntermaßen für alle eine sichere Bank – und sicher bald ausverkauft. 28. Juli Wien, Arena
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Termine Musik Wolf Parade
highlights Sa. 26.05 // 20:00 Punkrock
Feine Sahne Fischfilet
Die lange Auszeit der Band haben die Fans noch nicht überwunden. Unter die fabelhaften Videos zu den neuen Songs wurde höchste Dankbarkeit kommentiert. Das wird den vier Kanadiern sicher auch über die Beziehungsprobe einer fünfmonatigen Tour hinweghelfen. 1. Juni Dornbirn, Conrad Sohm — 2. Juni Kleinreifling, Seewiesenfest — 7. Juni Graz, Orpheum — 8. Juni Wien, Flex
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Di. 29.05 // 20:00 Kabarett
BlöZinger ..................................................
Mi. 30.05. // 20:00 Vortrag / Diskussion
Stephan Schulmeister ..................................................
Sa. 02.06 // 20:00 Impro-Kabarett
Magda Leeb
5K HD
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Do. 07.06. // 20:00 HipHop
Die Wiener Szene ist nicht groß, aber mitunter großartig. Und so passiert es schon mal, dass Schmieds Puls’ Mira Lu Kovacs auf Kompost 3 trifft und bei dieser Jazz-Pop-Implosion 5K HD entsteht. Eine Zusammenarbeit von höchster musikalischer Expertise. 1. Juni Linz, Stream Festival — 7. Juni Wien, Porgy & Bess — 9. Juni Wörgl, Komma — 14. Juni St. Pölten, Cinema Paradiso
Ocean Wisdom / P.Tah & Testa ..................................................
Fr. 08.06. // 20:00 Kabarett
Science Busters
Theresa Ziegler
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Sa. 09.06. // 20:00 Pop
Eule
100 Blumen Eröffnungsfeier Tag der offenen Biere! Einer unserer Wiener Craft-Bier-Favoriten zeigt seine Brauerei her – inklusive Kinderschminken, Wuzelturnier und einem stabilen Line-up für abendliche Konzertfreuden. Neben Skero, Pablo Infernal, The Juke Joint Royals und Listen To Leena werden vor allem Playing Savage (Foto) für wilde Freilufttöne mit Attitüde sorgen. 9. Juni Wien, 100 Blumen Brauerei
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Di. 12.06. // 19:30 Pop / Swing
Bye Maxene ..................................................
Mi. 13.06. // 19:30 Songwriter / Pop
Da Billi Jean is ned mei Bua ..................................................
Sa. 16.06. // 20:00 Singer / Songwriter
Kris Kristofferson ..................................................
Mi. 11.07. // 14:00 Indie / Alternative
Arcade Fire Obwohl wie jedes Jahr alle großen Festivals wie verrückt um Arcade Fire buhlen, haben die gefühlt 50.000 Bandmitglieder in ihrem tighten Sommer-Schedule zwischen Southside, Hurricane und zig anderen Feldern und Wiesen anscheinend auch noch Platz für Indoorkonzerte gefunden. Bei Sonne, Wind und Wetter – everything now! 18. Juni Wien, Stadthalle
Interpol
Nick Cave
Kraftwerk
Interpol, Arena und Sommer – das hat letztes Jahr leider nicht ganz funktioniert. Ein Sturm hat das Set anlässlich des 15-jährigen Jubiläums des Indie-Klassikers und SignatureAlbums »Turn On The Bright Lights« abrupt beendet. Beim zweiten Versuch wollen sich Paul Banks und Kollegen mit Wien versöhnen. Wir sind eh nicht böse. 25. Juni Wien, Arena
Nur eine Woche nachdem Nickelback sie bespielten, wird Nick Cave mit den Bad Seeds die Bühne der Burg Clam wieder bereinigen. Vor der malerischen Waldkulisse wird das Konzert so einzigartig werden wie Caves Konzertfilm »Distant Sky«, der im April weltweit nur einmalig gezeigt wurde. 28. Juni Klam, Burg Clam
Okay, wir alle mussten uns nach diesen News erst mal sammeln. Jetzt, wo wir es langsam verarbeitet haben: Ja, Kraftwerk beballern mit ihrem 3D-Happening die Opernbühne im Burgenland. Wer sonst nichts Weltbewegendes vorhat, geht in jedem Fall dorthin. Von irgendwas müssen wir unseren Kindern ja mal erzählen. 22. Juli St. Margarethen, Steinbruch
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Ahoi! The Full Hit Of Summer 2018: The National / CHVRCHES / Moses Sumney / Young Fathers u. v. a.
Bild: Lauren Clifford
Neil Krug, Universal Music, Shane McCauley, Astrid Knie, Patricia Weisskirchner, Stefan Joham, Guy Aroch
Wir haben aufgehört zu zählen, wie oft wir die großartige Single »Libra« des Wiener Duos Dramas noch anhören dürfen, bis wir beim upcoming Release-Konzert zur Debüt-EP endlich mit weiterem harmonisiertem Herzschmerz beliefert werden. Viktoria Winter und Mario Wienerroither werden uns ausgesprochen Schönes und ungewöhnliche Akkordfolgen zaubern. 5. Juni Wien, Fluc
Bild: Ingo Pertramer
Dramas
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POSTHOF – Zeitkultur am Hafen, Posthofstraße 43, A – 4020 Linz Info + Tickets: 0732 / 78 18 00 kassa@posthof.at | www.posthof.at Weiterer VVK: LIVA Servicecenter im Brucknerhaus, Veritas Kartenbüro, oeticket und alle oberösterreichischen Raiffeisenbanken.
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Lesen Sie die Geschichten hinter den Schlagzeilen.
Menschen. Geschichten. Perspektiven.
DiePresse.com/Sonntagsabo
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Termine Festivals
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… KünstlerInnen aus Österreich und aller Welt gestalten im Rahmen des Soho-Festivals ein Programm zum Thema »Jenseits des Unbehagens – Vom Arbeiten an der Gemeinschaft«. Über zwei Wochen hinweg werden unter anderem Konzerte, Ausstellungen, Workshops, Filmscreenings und Diskussionsveranstaltungen for free geboten. Das SOHO findet rund um den Sandleitenhof in Ottakring statt und verbindet so Kunst mit Grätzlkultur. 2. bis 17. Juni Wien, verschiedene Locations
Impulstanz Kino unter Sternen Nachdem Wien letztes Jahr auf das Open-AirFestival verzichten musste, können sich FilmliebhaberInnen diesen Sommer wieder auf ein volles Programm freuen. Beim Kino unter Sternen stehen heimische Filme im Mittelpunkt. Zum diesjährigen Thema »Fremd« werden Spielfilme, Dokumentationen und andere Filmwerke auf der Leinwand vor der Karlskirche zu sehen sein. Zudem gibt es Diskussionen mit Filmschaffenden vor den einzelnen Vorstellungen. 29. Juni bis 21. Juli Wien, Karlsplatz
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Im Sommer wird Wien im Rahmen des Impulstanz-Festivals wieder zum Zentrum für zeitgenössischen Tanz. Nationale und internationale TänzerInnen, ChoreographInnen, DozentInnen und Newcomer der Szene haben fünf Wochen lang die Möglichkeit sich auszutauschen. Impulstanz ist damit eines der größten Tanz- und Performance-Festivals weltweit. Neben Forschungsprojekten und professionellen Performances stehen auch rund 200 Workshops auf dem Programm, bei denen auch AnfängerInnen die Chance bekommen Neues zu lernen. Wer dann noch immer nicht müde ist, kann auf einer der täglich stattfindenden Afterpartys den Dancefloor unsicher machen. 12. Juli bis 12. August Wien, verschiedene Locations
Victoria Szabó
Ali Tollervey, Karolina Miernik
Feschmarkt Die Wiener Ausgabe des Design-, Food- und Lifestyle-Festivals findet im Juni bereits zum 16. Mal statt, lässt sich seinen Spirit aber nicht nehmen. Neue und alte Gesichter der österreichischen Kreativszene machen die Ottakringer Brauerei wieder zum feschen Marktplatz. Das Festival schafft Raum für individuelles, junges Design mit Liebe zum Detail und sorgt immer wieder für frischen Wind abseits des Mainstreams. 15. bis 17. Juni Wien, Ottakringer Brauerei
Glatt und verkehrt VIS Vienna Shorts Als Studierendeninitiative gegründet zelebriert das VIS nun bereits zum 15. Mal Kino im Kurzformat. Das internationale Festival für Kurzfilm, Animation und Musikvideo zeigt eine Woche lang 109 Wettbewerbsfilme aus 27 Ländern, die in fünf Kategorien mit Preisgeldern, Residencys und drei Plätzen auf der Oscar-Longlist ausgezeichnet werden können. Dabei breitet sich das Festival über ganz Wien aus: Bespielt werden etwa das Gartenbaukino, das Filmcasino, das Museumsquartier und das Metro Kinokulturhaus, in dem auch das Festivalzentrum beheimatet ist. Im Fokus stehen heuer unter anderem Filme aus dem Archiv der Academy of Motion Picture Arts & Sciences. 29. Mai bis 4. Juni Wien, verschiedene Locations
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Auch dieses Jahr verwischen beim Glatt-und-verkehrt-Festival in Krems wieder kulturelle Grenzen durch musikalische Vielfalt. An drei Wochenenden teilen sich MusikerInnen aus allen Ecken und Enden der Welt eine Bühne mit nationalen Acts. Neben einem vollgepackten Programm gibt es auch eine Musikwerkstatt, in der Profis und Laien zusammen an neuen Sounds arbeiten können. Mit »Musik und Tanz« gibt es dieses Jahr außerdem einen zusätzlichen Schwerpunkt. 13. bis 29. Juli Krems, verschiedene Locations
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Termine Kino
System Error Regie: Florian Opitz ———— Der Frage, ob wir bereit sind, alles dem Kapitalismus unterzuordnen, geht der Regisseur Florian Opitz in seinem neuen Dokumentarfilm nach. Seine Protagonisten sind Finanzstrategen, HedgefondsManager, aber auch Soja- oder Fleischproduzenten und Wissenschaftler. Viele von ihnen können sich ein Ende des Kapitalismus nicht vorstellen. Start: 1. Juni
Ocean’s 8
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Tully Regie: Jason Reitman ———— Schwanger- und Mutterschaft scheinen Themen zu sein, die die Drehbuchautorin Diablo Cody beschäftigen. War es in »Juno« ein junges Mädchen (Ellen Page), das ungewollt schwanger wird, lebt Mavis Gary (wie in »Tully« übernahm auch hier Charlize Theron die Hauptrolle) in »Young Adult« als ewige Junggesellin, die das Babyglück ihres Exfreundes (Patrick Wilson) als Anlass dafür nimmt, ihn wieder zurückgewinnen zu wollen. In »Tully« spielt Theron nun Marlo, eine Mutter von drei Kindern, die am Rande des Nervenzusammenbruchs steht. Eine night nanny soll Abhilfe schaffen. Cody und ihr mehrfacher Kooperationspartner, Regisseur Jason Reitman, zeigen erneut eine komplexe Frau in der Krise und schaffen zugleich einen ehrlichen Diskurs über Freud und Leid der Mutterschaft. Start: 31. Mai
Regie: Gary Ross ———— Nun wird – ähnlich wie 2016 »Ghostbusters« – die »Ocean’s«-Reihe mit weiblichen Hauptdarstellern fortgesetzt. Und was für welchen. Etwa: Dakota Fanning! Cate Blanchett! Olivia Munn! Sandra Bullock! Anne Hathaway! Helena Bonham Carter! Katie Holmes! Mindy Kaling! Rihanna! Who run the world? Start: 22. Juni
Dolmetscher Regie: Martin Šulík ———— Der 80-jährige Ali Ungár (Jiří Menzel) kehrt nach Österreich zurück, um den mutmaßlichen Mörder seiner Eltern zu konfrontieren. Den findet er zwar nicht, dafür aber seinen Sohn Georg Graubner (Peter Simonischek). Die beiden begeben sich auf die Suche, fahren in die Slowakei und finden dabei auch näher zueinander. Start: 22. Juni
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The King Regie: Eugene Jarecki ———— Jarecki begibt sich in »The King« auf die Spuren des großen Stars und zeichnet dabei auch ein Bild der Vereinigen Staaten, eines Landes, das er kurz vor dem Kollaps sieht. Er leiht sich Elvis’ ehemaligen Rolls-Royce und fährt los. Mit ihm unterwegs sind Stars wie Alec Baldwin, Ethan Hawke und Ashton Kutcher. Start: 29. Juni
Regie: Stefano Sollima ———— Drogen und der war on drugs stellen ein nicht enden wollendes Thema für Bücher (z.B.: »Strobo«), Serien (z.B.: »Narcos«) oder eben Filme wie »Sicario 2« dar, stehen sie doch auch für Gefahr, Sucht, Devianz, Verderben, Tod – für den Stoff also, aus dem (mitunter) gute, weil spannende Geschichten gemacht sind. In Stefano Sollimas »Sicario 2« eskaliert der Drogenkrieg an der Grenze zwischen Mexiko und den USA. Als die Kartelle anfangen Terroristen über die US-Grenze zu schmuggeln, müssen die Agenten Matt Graver (Josh Brolin) und Alejandro Gillick (Benicio Del Toro) eingreifen: Von US-Seite aus soll ein Krieg zwischen den verfeindeten Kartellen angezettelt werden, weshalb versucht wird, Isabella Reyes (Isabella Moner), die Tochter eines Kartellbosses und Terroristenschleusers, zu entführen. Start: 20. Juli
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303 Regie: Hans Weingartner ———— Ein Mann, eine Frau, ein Auto, eine Reise. Jule (Mala Emde) und Jan (Anton Spieker) fahren und erfahren einander. Sie ist schwanger, er auf der Suche nach seinem Vater. Der Regisseur Hans Weingartner bezeichnet sein Roadmovie inklusive 303-Oldtimer-Wohnmobil und Indie-Soundtrack als »Anti-Tinder«-Film. Start: 20. Juli
Barbara Fohringer
Sicario 2
Regie: Susanna White ———— In diesem Historiendrama reist die Malerin Caroline Weldon (Jessica Chastain) nach Dakota, um ein Porträt von Sitting Bull (Michael Greyeyes) zu malen. Vor Ort wird sie in die Konflikte der dortigen Bevölkerung, die um ihr Land kämpft, hineingezogen. Der Film hatte Premiere auf dem Toronto International Film Festival. Start: 6. Juli
Studiocanal GmbH, Thimfilm
Woman Walks Ahead
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KINO UNTER STERNEN Open Air am Karlsplatz
29. Juni – 21. Juli 2018
www.kinountersternen.at Mit Unterstützung von
WE NEED TO DISAGREE
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15. Internationales Festival für Kurzfilm, Animation und Musikvideo The Gap 169 099-099 Termine1.indd 65
Screensessions Music Video Competition presented by
film still with kind permission of Boris Labbé
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29. Mai – 4. Juni 2018 viennashorts.com 17.05.18 20:36
I
Illbilly
frönt der hohen Kunst der tiefen Pointe. Umgekehrt wird aber auch kein Schuh draus
Ich weiß, dass ich mich jetzt weit aus dem Fenster lehne, aber ich muss etwas gestehen. Mir ist Musik nicht besonders wichtig. Gut, ich war in Kindertagen ein kleiner Virtuose auf der Blockflöte, weigerte mich aber den Unterricht zu besuchen, da der pädagogisch eher nicht so wahnsinnig gut geschulte Musiklehrer gerne viel Zwiebel und Knoblauch naschte und uns Kindern immer auf die Finger klopfte, wenn wir uns verspielten. Und auch ein passabler Schlagzeuger war ich in pubertären Zeiten. Aber der Freund meiner Schwester unterrichtete mich und tat dies zu sehr günstigem Preise, weshalb ich immer das Gefühl hatte, meine Schwester erfickte satte Rabatte, die meine Mutter für meine musikalische Erziehung dann bereitwillig einlöste. So dachte ich damals zumindest und auch wenn Trommellehrer und Schwester mittlerweile schon sehr lange verheiratet sind, es war jedenfalls nicht gerade ein fruchtbarer Boden, auf dem meine glückliche Musikerkarriere gedeihen hätte sollen. Mir war es unmöglich, ein kleiner Ringo Star oder gar Martin Grubinger zu werden. Der letztere Vergleich hinkt übrigens ein wenig, denn Percussionstar Grubinger ist um nicht viele, aber doch einige Jahre jünger als ich. (Drei oder so.) Wenn man mich also jetzt fragen würde eine Top-Ten-Liste mit Dingen, die mir wichtig sind und die mich ausmachen, anzufertigen, dann fände Musik darauf aller Voraussicht eher weiter hinten Eingang. Ich mag es nicht mit Kopfhörern durch die Gegend zu ziehen und ich bin auch nicht der Typ, der tausende Platten und CDs hortet und stundenlang über Bandbesetzungen und Aufnahmen referieren kann. Deswegen traue ich mich auch nicht in gut sortierte Plattenläden und kaufe Vinyl immer dort, wo man nicht soll. Beim Saturn zum Beispiel, weil die verschwitzten Mitarbeiter dort an der Kassa auf eine andere Weise verschwitzt sind und stinken als die Distinktionseinzeller im exquisiten Plattengeschäft. Ehrlich gesagt bin ich nämlich eher so der Typ, der gerne in den Zoo geht, um stunden-
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lang den Orang Utans beim Essen, Trinken und Chillen zuzusehen. Das Gehege und Treiben der orangenen Menschenaffen erinnert mich übrigens immer sehr an die Park- und Zeltplätze der Musikfestivals, nur ist bei den Affen im Zoo alles irgendwie gediegener. So oder so habe ich einen Crush on Orang Utans und muss gleich noch etwas gestehen: Eine Zeit lang war ich heimlich in die Orang Utan Lady Nonia verliebt. Das Affenweibchen, das heuer seinen 43. Geburtstag feierte und somit weit weg von den Digital Natives und Millennials ist und eigentlich der Generation X zugerechnet werden sollte, gelangte zu einiger Bekanntheit, da es als begnadete Malerin gilt. Nonia ist übrigens Linkshänderin und in Kombination mit ihrem wunderschönen kastanienroten Haar und dem Kunstkontext bedient sie gleich drei Fetische von mir, die ich eigentlich nicht so gerne breit ausgetreten weiß. Vor allem, da es durchaus verstörend für mich war, als ich feststellte, wie es mir jedes Mal vor der Glaswand des Affengeheges ein bisschen ein Festivalzelt in der Hose aufspannte. Ich pilgere deshalb auch nicht so oft wie früher in den Schönbrunner Zoo und schau mir Orang Utans lieber auf YouTube an. Zum Beispiel gibt es ein nettes Video, wie Nonia einen Fidget Spinner testet. Köstlich. Aber zurück zur Musik. Nur weil ich jetzt kein leidenschaftlicher Musikhörer bin, heißt das noch lange nicht, dass ich mich nicht für Musik interessiere. Dank der schönen App Shazam habe ich nämlich für mich einen Soundtrack der Alltagsbeschallung erstellt. Immer, wenn ich wo ein Lied höre, wird es shazamt. So kam über die Jahre eine erkleckliche Zahl an Songs zusammen. Es ist ein kruder Mix, weil ich alles shazame, auch die Sachen, die ich kenne. So habe ich etwa mittlerweile fünf Mal von Marvin Gaye »Let’s get it on« in meiner Liste, weil der Song vor allem in Filmen sehr gerne zum Einsatz kommt, wenn es zwischenmenschlich ans Eingemachte geht. Es ist eine der wenigen Paradeficknummern und spielt etwa in einer
Liga mit diesem Stöhnduett von Jane Birkin und Serge Gainsbourg. Die eingängige Melodie in den ersten Takten des Gaye-Hits scheint übrigens auch Werbefuzzis sehr gut gefallen zu haben. Für das Schoko-Dessert »Cremix« der Niederösterreichischen Molkerei AG, kurz NÖM, wurden die feinen Takte nämlich fast 1:1 abgekupfert. Fatal – vor allem für mich, weil ich natürlich jedes Mal an eine Paradeficknummer denken muss, wenn eine Schokocreme beworben wird. Und was soll ich sagen: Die NÖM hat gut gebucht und ist in Werbeblocks gut vertreten. Danke NÖM, du NÖM du, mit deinem tollen Schokobumsjoghurtdessert. Ich lerne aber dank Shazam übrigens auch viel Neues kennen. Unlängst in einem Bankfoyer etwa die Argentinierin Karen Souza, die mit einer völlig weichgespülten Easy-Listening-Jazz-Version von Radioheads »Creep« den Raum beschallte. Was irgendwie schon komisch war, wenn man sich gerade ein paar Fuffis aus dem Bankomaten lässt und dazu den Satz »But I‘m a creep, I‘m a weirdo. What the hell am I doing here?« hört. Ich denke dann nämlich zwangsläufig über das dräuende Ende des Bargelds nach und auch über Kryptowährungen und Blockchain. Und Shazam und geile NÖM-Schokobumscreme und Künstleraffen und, und, und. www.facebook.com / illbilly
Jakob Kirchmayr
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Know-Nothing-Gesellschaft Schokobumsdessert
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Cecilia Bengolea François Chaignaud & Nino Laisné Cie. Marie Chouinard Choy Ka Fai Anne Teresa De Keersmaeker / Rosas Ivo Dimchev Jan Fabre / Troubleyn Jule Flierl Clara Furey Christine Gaigg / 2nd nature Trajal Harrell Florentina Holzinger Silke Huysmans & Hannes Dereere Jamila Johnson-Small Thomas Köck & Andreas Spechtl Xavier Le Roy Liquid Loft Simon Mayer Dorothée Munyaneza Karin Pauer Shamel Pitts Eszter Salamon Dave St. Pierre Meg Stuart / Damaged Goods Akemi Takeya Elisabeth B. Tambwe AND MANY MORE
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