1. Philharmonisches Konzert
Péter Eötvös (*1944)
Dialog mit Mozart – Da capo für Orchester
Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791)
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 23 A-Dur KV 488
1. Allegro
2. Adagio
3. Allegro assai
– Pause –
Max Reger (1873 – 1916)
Variationen und Fuge über ein Thema von Mozart op. 132
Zum 150. Geburtstag des Komponisten
Thema. Andante grazioso
Variation I. L’istesso tempo (quasi un poco più lento)
Variation II. Poco agitato (più mosso)
Variation III. Con moto
Variation IV. Vivace
Variation V. Quasi presto
Variation VI. Sostenuto (quasi adagietto)
Variation VII. Andante grazioso
Variation VIII. Molto sostenuto.
Fuge. Allegretto grazioso (wird nur in Stralsund und Greifswald gespielt)
Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791)
Sinfonie Nr. 38 D-Dur KV 504, „Prager Sinfonie“
1. Adagio – Allegro
2. Andante
3. Presto (wird nur in Putbus gespielt)
Solist: Dominic Chamot, Klavier
Philharmonisches Orchester Vorpommern
Dirigent: GMD Florian Csizmadia
23. & 24. August 2023, Theater Stralsund
26. August 2023, Theater Putbus
05. September 2023, Stadthalle Greifswald
OMINIC CHAMOT
Der Pianist wurde 1995 in Köln geboren. Er gewann bisher über dreißig Preise und Auszeichnungen und gehört damit zu den erfolgreichsten Pianisten seiner Generation. Zuletzt erhielt er den vierten Preis und einen Sonderpreis beim Maria-Canals-Wettbewerb 2023 in Barcelona.
Bereits als Jugendlicher startete er seine Karriere als „Nachwuchstalent“, indem er im Alter von nur zwölf Jahren in die Klasse von Prof. Sheila Arnold im PreCollege-Cologne der HfMT Köln aufgenommen wurde, die ihm entscheidende musikalische Impulse gab. Bald darauf folgten internationale Auszeichnungen in Berlin, Zwickau, Enschede, Weimar, Köln usw. sowie Auftritte in großen Sälen wie der Berliner und Kölner Philharmonie, dem Wiener Musikverein und der Laeiszhalle Hamburg.
Allerdings entschied Chamot, sich zunächst vom Konzertleben zurückzuziehen
und bei dem renommierten Pädagogen Claudio Martinez-Mehner in Basel zu studieren, um sein Spiel zu verfeinern. Sein Bachelor- und Masterstudium als Specialised Performance-Solist hat er jeweils mit Höchstnote und Auszeichnung abgeschlossen, und im Juni 2023 schloss er sein Studium in Pädagogik bei Zoltan Fejervari ab.
In dieser Zeit hat er sich einen Ruf als vielseitiger Künstler erworben, der ihn zu ständig wachsenden Engagements auf verschiedenen Gebieten geführt hat. So trat er zuletzt mehrfach in der Berliner Philharmonie auf, gewann einige der exklusivsten Stipendien der Schweiz und wurde vom WDR Sinfonieorchester als Solist in die Kölner Philharmonie eingeladen. Daraufhin folgten weitere Einladungen von Orchestern in ganz Deutschland. In New York begeisterte er das Publikum mit seinem Auftritt in der Steinway Hall im Rahmen des „Classical Bridge Festival“. Von 2011-2014 war Dominic Chamot Stipendiat der „Jürgen Ponto-Stiftung“ und der „Deutschen Stiftung Musikleben“. Von 2018-2020 erhielt er den Studienpreis des Migros-Kulturprozent, und 2020 wurde er für das Stipendium der Lieven Piano Foundation ausgewählt. Der Pianist und Kritiker Hannes Sonntag beschreibt ihn so: „Dominic Chamot erschafft jenes nachhaltige emotionale Erlebnis, um dessentwillen allein wir letztlich Musik machen oder hören!“
Liebe Gäste, wir möchten Sie darauf aufmerksam machen, dass Ton- und/oder Bildaufnahmen unserer Aufführungen aus urheberrechtlichen Gründen untersagt sind. Vielen Dank.
„Ein Gesicht ist in der Tat eine wunderbare Tastatur. Schon der Hauch eines Gedankens verändert die Linie der Lippen mit einer unglaublichen Genauigkeit des Ausdrucks.“
Sully Prudhomme
Dialog mit Mozart –Da capo für Orchester
lautet der lange, aber erhellende Titel der Auftaktkomposition zur neuen Konzertsaison. Die zweigeteilte Überschrift verweist dabei einerseits auf die Entstehungsgeschichte des Werkes, dem ein früheres Werk des Komponisten Péter Eötvös zugrunde liegt, als auch auf den Kern der Komposition, der tatsächlich ein Zwiegespräch, einen Dialog darstellt.
Beauftragt vom Leiter des gleichnamigen „Dialoge“-Festivals, einer Konzertreihe, die 2006 anlässlich des „Mozartjahres“ vom Salzburger Mozarteum ins Leben gerufen wurde, sollte der ungarische Komponist Péter Eötvös eine eigene Komposition beisteuern, um auf diese Weise mit der Musik Mozarts zu kommunizieren. Eötvös war zu diesem Zeitpunkt, 2014, bereits einer der renommiertesten zeitgenössischen Komponisten und Dirigenten. Als Schüler von Karlheinz Stockhausen und Bernd Alois Zimmermann ist seine Tonsprache durchaus anspruchsvoll. Gleichzeitig nimmt sich Eötvös aber auch die Freiheit, sich jeglicher stilistischer Einordnung zu entziehen. Für die Komposition von „Dialog mit Mozart“ bedeutet dies, dass seine Zielsetzung tatsächlich eine musikalische Auseinandersetzung mit thematischem Originalmaterial Mozarts ist. Matthias Schulz, der damalige Leiter des Mozarteums, präsentierte Eötvös
Mozart-Handschriften, die 63 fragmentarische Kompositionen enthielten, Werke, die zum Teil nie aufgeführt und alle nie beendet worden waren. Eötvös wählt für seine Komposition elf dieser Fragmente aus und tritt in Dialog mit ihnen, indem er sie mit eigenen Fragmenten verschränkt und verarbeitet. Dabei geht Eötvös meist von einem klar erkennbaren Mozart-Fragment aus, das er unmittelbar zu verarbeiten beginnt. Neunmal startet er so einen musikalischen Prozess – oder Dialog – der immer wieder beginnt, aber nie endet. Hier findet sich das titelgebende „Da-Capo-Prinzip“ wieder. Tatsächlich bewirkt der dialogische Charakter des Werkes auch eine musikalische Annäherung. „Ich versuchte nicht seinen Stil zu adoptieren, aber ich adaptierte manchmal seine Musik“, konstatierte Eötvös. Dies führte zu einem Werk, das manchen Apostel der Avantgarde ob seiner prinzipiellen Tonalität verwundern mag, gleichzeitig aber das Gros des Publikums erfreut.
Uraufgeführt wurde die Komposition 2014 unter dem Titel „Da capo (mit Fragmenten aus W. A. Mozarts Fragmenten)“
in der ersten Version für Cymbalom oder Marimba solo und Kammerensemble in Salzburg – „mit Fragmenten von Mozarts Fragmenten“, wie Eötvös selbst scherzhaft bemerkte. Anlässlich des 175-jährigen Bestehens des Mozar-
„Manchmal fragte ich Mozart, worauf er antwortete, manchmal war es andersherum.“
Péter Eötvös
teumorchesters Salzburg arbeitete er die Komposition 2016 noch einmal für dieses Ensemble um. Der ursprüngliche Solopart ging dabei im Orchesterklang auf.
„Anstelle einer Torte mit 175 Kerzen habe ich ein heiteres Stück mit einigen Fragmenten von Mozart komponiert, wobei ich auch an die virtuose Qualität des Orchesters gedacht habe. Und der Zuckerguss auf der Torte war, dass die Premiere in Salzburg stattfand.“ So wurde am 15. Dezember 2016 unter der Leitung von Mirga Gražinyte-Tyla der „Dialog mit Mozart – Da capo für Orchester“ aus der Taufe gehoben. Die Komposition beginnt mit einer Ouvertüre, die gleichsam von Mozart stammen könnte, aber tatsächlich ein Vorwort von Eötvös darstellt. Die eigentlichen Mozart-Zitate werden jeweils durch ein gut erkennbares CrotalesSignal eingeleitet, sodass die Zuhörer den Prozess der Weiterentwicklung und den thematischen Neubeginn eines der neun „Da Capos“ gut verfolgen können. Dann beginnt das jeweilige Zwiegespräch, in dessen Verlauf sich zwar Klassik und Moderne gut unterscheiden lassen, aber nicht wie unterschiedliche Welten aufeinanderprallen, sondern tatsächlich in Dialog miteinander treten. Das erste Mozartfragment, das auf die Ouvertüre folgt, ist der Beginn eines Kyrie. Eötvös erwähnte in einem Interview, dass sich unter den Fragmenten bemerkenswert viele Kyries befunden hätten. Seine launische Mutmaßung zu diesem Umstand war, dass Mozart möglicherweise viele seiner Auftragsmessen für die Sonntagsliturgie erst am Samstagabend begonnen habe zu komponieren und bisweilen nicht bis zum nächsten Morgen fertig geworden wäre. Eine kleine anekdotische Vermutung, die aber auch die verschwenderische Art,
mit der Mozart aus der Fülle seiner Einfälle schöpfte, erahnen lässt.
Jedes „Da Capo“, jeder Neuanfang mit einem Mozartfragment wird also durch das Crotales-Signal eingeleitet – der alte Gedanke verworfen, ein neuer ins Spiel gebracht.
Eine bemerkenswerte Episode stellt das Fragmentzitat zu Mozarts „Bardengesang auf Gibraltar“ dar, eine Komposition, geschrieben 1782 anlässlich der Befreiung der belagerten Garnison auf Gibraltar durch die Royal Navy, die ihren militärischen Background auch musikalisch nicht verhehlen kann.
Als finales Fragment hat Eötvös eine musikalische Besonderheit voller Witz und Einfallsreichtum gewählt: ein Jagdtrio für Streicher, dem Mozart einen Trommelpart für die „Schüsse“ hinzugefügt hat, wobei musikalisch auch etliche Querschläger zu verzeichnen sind. Eötvös erweitert die Szene orchestral, bleibt aber im Grundcharakter kammermusikalisch und vor allem dem Humor verpflichtet.
„Ein sehr unterhaltsamer Dialog, der auf 250 Jahre zurückblickt.“
Péter Eötvös
Wolfgang Amadeus Mozart
Wien, 2. März 1786. Wolfgang Amadeus Mozart trägt in sein selbst angelegtes „Verzeichnüß aller meiner Werke“ die Fertigstellung eines neuen Klavierkonzertes ein. Dieses unter der Köchelverzeichnisnummer 488 bekannte Werk in A-Dur wird heute einer Trias von Klavierkonzerten zugeordnet, die Mozart in zeitlicher und inhaltlicher Nähe in Wien vollendete, als Ausdruck einer äußerst produktiven Schaffensphase und nahezu zeitgleich mit dem Entstehen der Oper „Die Hochzeit des Figaro“. Zwar bemühte sich Mozart bald nach Fertigstellung der Partitur um einen Verkauf der Stimmen an den Fürsten Josef Maria Benedikt zu Donaueschingen, der das Konzert tatsächlich erwarb, doch hatte er das Werk nicht im Auftrag komponiert, sondern es aus einem rein persönlichen Antrieb heraus geschrieben, „für mich, oder für einen kleinen zirkel liebhaber und kenner“. Eine Bekenntnismusik also? Viel wurde schon in dieses Konzert – wie in die meisten Mozart-Kompositionen –hineininterpretiert und herausgelesen. Je später die Werke entstanden, desto
symbolischer scheint ihr Gehalt zu sein. Und doch ist es gerade die offene Unerklärlichkeit, die den Reiz von Mozarts Werken – und so auch dieses Klavierkonzertes – ausmachen.
Tatsache ist, dass die drei im Winter 1785/86 entstandenen Klavierkonzerte in Es-Dur, c-Moll und A-Dur nicht zuletzt durch ihre Instrumentation einen Zusammenhang erkennen lassen: In allen drei Konzerten kommen Klarinetten anstelle der Oboen zum Einsatz und somit findet eines von Mozarts Lieblingsinstrumenten hier Eingang in das musikalische Geschehen. Die ansonsten nahezu kammermusikalische Besetzung des Konzertes mit einer Flöte, zwei Klarinetten, zwei Fagotten, zwei Hörnern und Streichern sorgt für eine luftige Durchhörbarkeit des Werkes.
Als Sonatensatz angelegt, beginnt das Orchester im Allegro mit der Vorstellung des ersten, beschwingten Themas, das alsbald vom Klavier aufgenommen wird. Auch das zweite Thema steht noch in der Grundtonart. In der Durchführung gesellt sich ein drittes hinzu, diesmal in der Dominanttonart E-Dur. Das Solo-
instrument konzertiert dabei so virtuos wie spielerisch mit dem Orchester, das durch seine nicht allzu umfangreiche Besetzung einen ausgewogenen Partner des Klaviers darstellt. Eine große Solokandenz leitet den Schluss des Satzes ein.
Das nun folgende Adagio ist ein berückend schönes Siciliano. Überraschend ist hier nicht nur die für Mozart ungewöhnliche Wahl der Tonart fis-Moll, sondern auch die beinahe schon romantisch zu nennende Nachdenklichkeit, die den Satz bestimmt. Ausgehend von diesem zentralen Ruhepol des Konzertes könnte der Gegensatz zum anschließenden Allegro assai nicht größer sein. Das finale Rondo sprüht vor spielerischer Leichtigkeit, Ideenreichtum und einem temporeichen Fluss, der nicht einmal durch eine Solokadenz unterbrochen
wird. Fast drängt sich eine szenische Vorstellung des konzertanten Geschehens auf. Eine nicht ganz von der Hand zu weisende Idee, ist doch sowohl eine zeitliche als auch thematische Nähe zur zeitgleich entstandenen „Hochzeit des Figaro“ wahrnehmbar.
Rückblickend wird dieses Klavierkonzert oft mit Attributen wie Ebenmaß, Schönheit, Harmonie und Perfektion bedacht. Dabei wird bei aller Bewunderung vielleicht manchmal übersehen, dass es Mozart nie um absolute Ideale der Schönheit ging, sondern dass seine Musik aus dem Leben schöpft und dieses auch abbildet. Und so liegt das Faszinosum dieser als himmlisch empfundenen Musik genau in ihrem Gegenteil: dem überaus Irdischen, Lebendigen, ja absolut Menschlichen.
„Die Concerten sind eben das Mittelding zwischen zu schwer, und zu leicht –sind sehr Brillant – angenehm in die ohren – Natürlich, ohne in das leere zu fallen – hie und da – können auch kenner allein satisfaction erhalten – doch so – daß die nichtkenner damit zufrieden seyn müssen, ohne zu wissen warum.“
Wolfgang Amadeus MozartWien, 6. Dezember 1786. Ein paar Zeilen und gut neun Monate nach dem Eintrag zum Klavierkonzert notiert Mozart in seinem „Verzeichnüß aller meiner Werke“: „Eine Sinfonie. –2 Violini, 2 Viole, 2 flauti, 2 oboe, 2 Corni, 2 fagotti, 2 clarini, Tympany e Baßo.“ Tatsächlich hatte Mozart, der nicht selten an mehreren Werken simultan arbeitete, diese Sinfonie bereits im Frühjahr 1786 begonnen, sodass die ersten Überlegungen zu diesem Werk – namentlich der Finalsatz – in die Phase fallen, in der „Die Hochzeit des Figaro“ und die drei Klavierkonzerte entstanden. Allerdings ruhte die Arbeit dann offensichtlich mehrere Monate, sodass die Uraufführung erst in das Folgejahr fällt. Wahrscheinlich ist die Sinfonie Nr. 38 in D-Dur am 19. Januar 1787 in Prag aus der Taufe gehoben worden. Mozart war im Januar 1787 mit seiner Frau Constanze und einigen Freunden nach Prag gereist, einer Einladung der dortigen „Gesellschaft grosser kenner und Liebhaber“ folgend, die Aufführungen und Konzerte mit Mozarts Werken initiiert hatten. So wurde Mozart Zeuge des beispiellosen Erfolges, den sein „Figaro“ in Prag feierte, und gab des Weiteren Konzerte, bei denen er als Pianist auftrat und unter anderem die Uraufführung seiner Sinfonie KV 504 leitete.
„Die Sinfonien, die er für diese Gelegenheit setzte, sind wahre Meisterstücke des Instrumentalsatzes, voll überraschender Uebergänge und haben einen raschen, feurigen Gang, so, daß sie alsogleich die Seele zur Erwartung irgend etwas Erhabenen stimmen. Dieß gilt besonders von der großen Sinfonie in D-Dur“, berichtet der frühe Mozart-Biograf Franz Xaver Niemetschek.
Tatsächlich hat dieses Werk eine bisher nie gekannte dramatische Tragweite, was durch die zeitliche Nähe zur Entstehung des „Figaro“, und die daraus re-
sultierende thematische Verwandtschaft begründet werden kann. Selbst vorausdeutende Anklänge an den vielleicht schon angedachten „Don Giovanni“ sind hier schon zu vernehmen. Nach einer breit angelegten langsamen Einleitung mit teils scharfen, düsteren Einbrüchen scheint sich der Vorhang zu heben und das Spiel mit Themen, Stimmungen und Kontrasten freizugeben, den das folgende Allegro bereithält. Ein gekonnter aber freier Umgang mit einer kontrapunktischen Schreibweise lässt Mozart die kurz vorgestellten Themen unmittelbar in dramatische Durchführungen verwickeln und so einen Charakter von Dichte und Dramatik entstehen. Dem spielerisch temperamentvollen Allegro des ersten Satzes steht ein tiefgreifendes Adagio gegenüber, das passagenweise seine Verwandtschaft zum kurze Zeit später folgenden „Don Giovanni“ nicht verleugnet, sei es in der variantenreich auftretenden Vorwegnahme des „Andiam mio bene“-Motivs im Seitenthema des Satzes oder sei es in den beinahe jenseitig anmutenden Bläsereinwürfen.
Regulär würde an dieser Stelle ein Tanzsatz, ein Menuett, folgen. Mozart verzichtet jedoch in dieser Sinfonie darauf. Eine Abweichung von der Norm, die der Sinfonie auch die Bezeichnung „Sinfonie ohne Menuett“ einbrachte. Über die Gründe für dieses Vorgehen wird viel spekuliert. Am einleuchtendsten erscheint, dass für Mozart in den drei vorhandenen Sätzen bereits alles Notwendige gesagt ist.
Das abschließende Presto ist möglicherweise bereits Anfang 1796 entstanden und enthält entsprechend viele Querverweise zur „Hochzeit des Figaro", wie das zentrale Motiv des Satzes, das sich auch in dem Duettino „Aprite, presto, aprite“ aus dem zweiten Akt der Oper findet.
Das Prager Publikum feierte sowohl die „Hochzeit des Figaro“ als auch den ein halbes Jahr später dort uraufgeführten „Don Giovanni“ – ganz im Gegensatz zu Wien, das diesen Werken zunächst eher reserviert gegenüberstand – und
bejubelte gleichermaßen Mozarts D-Dur-Sinfonie, die, als sinfonisches Lieblingsstück der Prager, schon bald den Beinamen „Prager Sinfonie“ erhielt.
„Prag ist denn auch die Stadt, der man heute das Prädikat der Entdeckerin Mozarts zuerkennen möchte.“
Wolfgang HildesheimerVariationen und Fuge über ein Thema von Mozart
Max Reger gehört zu den schillerndsten Figuren der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts: Komponist, Dirigent, Pianist, Professor – und in all diesen Funktionen das, was man heute einen Workaholic nennt. Zu Lebzeiten einer der meistgespielten deutschen Komponisten und nicht selten für einen Skandal gut, wurde er nach seinem Tod zunehmend nur noch von einem kleinen Kreis von Anhängern wertgeschätzt, darunter die Komponisten der Zweiten Wiener Schule und einige wenige Dirigenten. Heute ist Reger im Konzertleben vornehmlich mit Orgelwerken vertreten, während seine zahlreichen Kammermusik- und Klavierwerke sowie die 13 Orchesterwerke nicht mehr in der Häufigkeit gespielt werden, die seinem Rang als einem der wichtigsten Komponisten seiner Zeit entsprechen. 2023 jährt sich sein Geburtstag zum 150. Mal, und aus diesem Anlass erklingt mit den Mozart-Variationen in unseren Konzerten eines seiner sinfonischen Hauptwerke.
Zu den von Reger bevorzugt verwendeten Kompositionstechniken gehört die Variation. In seinem Œuvre finden sich gut drei Dutzend Variationswerke, die sich auf fast alle von ihm bedienten Genres verteilen, und zwar sowohl als Einzelwerke als auch als Teile mehrsätziger Kompositionen. Variationen können
damit nicht nur als zentrales Medium in Regers Schaffen angesehen werden, sondern Reger ist damit schon rein zahlenmäßig einer der wichtigsten Beiträger zu dieser Gattung überhaupt, dessen Bedeutung aber auch unabhängig von der hohen Anzahl nicht überschätzt werden kann. Reger knüpft hier unübersehbar an Johannes Brahms an, dem er auch in vielen anderen musikalischen Parametern verbunden ist.
Wie enzyklopädisch Regers Zugang zu der Variationstechnik war, zeigt sich auch daran, dass sich bei ihm alle drei Möglichkeiten der Wahl eines Variationsthemas finden: das eigene oder sogenannte Originalthema, das Thema eines anderen Komponisten sowie die zum Volksgut gehörende Melodie (bei Reger nicht das Volkslied, sondern stets der Kirchenchoral). Im Fall von op. 132 findet sich, einmalig in Regers Schaffen, die Besonderheit, dass er ein Thema eines anderen Komponisten – hier Wolfgang Amadeus Mozart – wählte, das dieser selbst bereits als Grundlage zu Variationen genutzt hatte, die den ersten Satz der Klaviersonate A-Dur KV 331 (1783) bilden. Reger übernimmt von Mozart wohlgemerkt nur das Thema, während die Variationen für sein Werk keine Rolle spielen. Auch hier ist das Vorbild Brahms und konkret dessen HändelVariationen (1861) unübersehbar.
„Wir brauchen nötigst viel, viel Mozart!!!“
Max Reger
Die zweite Kompositionstechnik, die Reger wie kein weiterer Komponist seiner Zeit genutzt und geradezu wiederbelebt hat, ist die Fuge. Zahlreiche Variationswerke Regers kombinieren diese beiden Vorlieben und lassen auf die eigentliche Reihe von Variationen als Finale eine Fuge folgen, auf deren abschließendem Höhepunkt das Fugenthema mit dem originalen Variationsthema kombiniert wird. So verfährt Reger auch in seinen drei Variationswerken für Orchester: den Hiller-, Mozart- und Beethoven-Variationen.
Es scheint, als habe Reger das Medium der Orchestervariationen als eine Art Sinfonie-Ersatz gesehen. Mit der Sinfonie hat er sich (außer in unvollendeten bzw. nicht erhaltenen Versuchen) zweimal auseinandergesetzt: in der Sin fonietta (1905) und der in sinfonischen Dimensionen gearbeiteten Serenade (1906). Die zeitgenössische Entwicklung der Sinfonie sah Reger dabei kritisch: 1914, unmittelbar vor Beginn der Arbeit an den Mozart-Variationen, monierte er, seine Zeitgenossen könnten „gar nicht mehr einfach eine Symphonie schreiben wie die Alten, eine ‚Musiziersympho nie‘. Da muß gleich die ganze Weltan schauung u. Philosophie hinein“. Seine weiteren Ausführungen zielen, ohne den Namen zu nennen, eindeutig auf Gus tav Mahler. Regers Ideal war stattdes sen „etwas weniger Prätentiöses“ – und eben dies legte er mit den Mozart-Va riationen vor.
Das Werk entstand am Ende von Regers Zeit als Generalmusikdirektor der legen dären Meininger Hofkapelle und sollte dieser zur Erinnerung gewidmet wer den. Aufgrund einer Verstimmung zog der empfindliche Reger die Widmung schlussendlich zurück, aber dennoch kann die Bedeutung dieses Orchesters
für die Entstehung des Werkes nicht unterschätzt werden: Die drei Jahre, die Reger von 1911 bis 1914 mit einem der führenden Klangkörper Europas zusammenarbeitete, waren von entscheidender Bedeutung für die Ausprägung seines Instrumentationsstils, der in den Mozart-Variationen zu einem unüberbietbaren Höhepunkt geführt wird. Die Orchesterbesetzung ist kleiner als bei Reger sonst üblich und geht – im Gegensatz zu Mahler, Strauss oder den französischen Impressionisten – auf klassisches Maß zurück. Hinzugefügt ist eine Harfe, dafür sind aber Posaunen, Tuba und Schlagwerk ausgespart. Beibehalten ist Regers charakteristische Schreibweise für die Streicher, bei der die üblichen fünf Stimmen (1. und 2. Violinen, Bratschen, Celli und Kontrabässe) in jeweils zwei Gruppen geteilt sind, die
cherbesetzung als üblich, sondern Re ger rechnete damit, dass die einzelnen Gruppen damit numerisch vergleichsweise klein besetzt sind, was zu einem
besonders filigranen kammermusikalischen Klang führt. Die von uns verwendete Streicherbesetzung entspricht exakt derjenigen, die Reger nach seinem Meininger Amtsantritt 1911 gefordert hat. Die von Reger gewählte Orchesterbesetzung war jedoch nicht durch die Meininger Verhältnisse diktiert, sondern entsprach seinem künstlerischen Ideal
Fokussierung auf das musikalische Material, das transparent und plastisch zur Geltung kommen solle: „Die Idee bringt alleinig die Steigerung – nicht irgend welche Farbklexe!“ Dass ihm dies gelungen schien und er sein Ziel einer „Partitur voller Grazie […] – ohne alle Erdenschwere – ganz rein ohne irgendwelche ‚Ausbrüche‘“ erreicht sah, zeigen Briefe, in denen er sich zufrieden äußerte „über die absolute Klarheit dieser Musik“, in der „jedes Nötchen genauestens auf Klang ‚berechnet‘“ sei.
Reger selbst dirigierte die Uraufführung am 8. Januar 1915 in Wiesbaden, der in den ihm verbleibenden 16 Monaten seines Lebens 15 weitere von ihm geleitete Aufführungen in Deutschland und den Niederlanden folgten und zu denen parallel zahlreiche Aufführungen unter der Leitung der namhaftesten Dirigenten der damaligen Zeit in fast allen kontinentaleuropäischen Musikzentren und in New York kamen. Das Stück stand auf dem Programm des letzten Konzertes, das Reger in seinem Leben dirigierte, und bei seinem letzten öffentlichen Auftritt überhaupt spielte er, gemeinsam mit dem Dirigenten Fritz Busch, seine eigene Fassung des Werkes für zwei Klaviere. Am 11. Mai 1916 starb Reger überraschend im Alter von nur 43 Jahren. Die Mozart-Variationen galten bald als so etwas wie sein musikalisches Vermächtnis im Bereich der Orchestermusik und wurden mit dem Begriff „Spätwerk“ belegt. Auch wenn dies bei einem so jung verstorbenen Komponisten zunächst verwundern mag, so spricht doch einiges dafür, darunter insbesondere die Reduktion der Mittel, die Transparenz der Struktur und die vergleichsweise geringe Spieldauer von ca. einer halben Stunde, aber auch die heitere Gelöstheit, die Reger hier über mehr als ein Jahrhundert hinweg mit Mozart verbindet. Heute sind die Mozart-Variationen Regers wohl am häufigsten aufgeführtes Orchesterwerk, das in vielerlei Hinsicht die Quintessenz seines Schaffens enthält.
Reger beginnt das Variieren streng genommen bereits in der einleitenden Präsentation des Themas: Mozarts Thema besteht aus zwei Hälften, die jeweils wiederholt werden. Reger nutzt nicht nur die Möglichkeit, diese Wiederholungen mit den Mitteln der Instrumentation
gen vor, die er auch in den folgenden Variationen nebeneinander bestehen lässt. Die 1. Variation präsentiert Mozarts Thema in der originalen Gestalt und umspielt es mit einem impressionistischen Geflecht von Nebenstimmen. Anschließend beginnt Reger die eigentliche Verarbeitung, bei der das Thema immer weiter verfremdet wird und sich Parameter wie Tonart, Taktart und Harmonik sowie der grundsätzliche musikalische Charakter ändern. Nach einer sukzessiven Entfernung von Mozarts Original in den Variationen 2 - 5 wird der Prozess in den Variationen 6 - 7 umgekehrt: Die 7. Variation nähert sich – wenn auch in der „falschen“ Tonart – wieder sehr nah an Mozarts Thema an und wirkt fast wie eine Art Reprise, ehe die 8. Variation in jeder Hinsicht die denkbar weiteste Entfernung vom Original markiert. Sie wirkt in Ausdehnung und Gehalt wie der langsame Satz einer Sinfonie und gilt seit jeher als besonderes Juwel in Regers Orchesterschaffen. Als Finale folgt eine Fuge mit zwei Themen: Das bewegte erste Thema ist aus dem letzten Takt von Mozarts The-
ma und einer Umkehrung von dessen Beginn gewonnen; nach einer langen Steigerung erklingt das ruhigere zweite Thema (erstmals in Flöte und Oboe), das seinerseits sowohl mit dem Mozart-Thema als auch mit Regers erstem Fugenthema verwandt ist. Auf dem erwarteten Höhepunkt erklingen Mozarts Thema sowie beide Fugenthemen Regers simultan – ein handwerkliches Meisterstück, das durch Regers transparente Instrumentation für den Hörer unmittelbar durchhörbar wird und jeglichen Akademismus, der Fugen gelegentlich anhaftet, transzendiert. Es sei aber auch erwähnt, dass sich an dieser Apotheose bis heute immer wieder Kritik entzündet, weil sie in ihrem hymnischen Tonfall so gar nicht im Einklang zu stehen scheint mit der ursprünglichen Schlichtheit und Grazie des Mozartschen Themas.
In der Aufführungspraxis berücksichtigen wir einige wichtige historische Quellen: neben den Briefen Regers vor allem eine handschriftliche Skizze von 1913 zur Sitzordnung des Orchesters, auf der die ungewöhnliche Platzierung der Hörner basiert (auf der rechten statt auf der linken Seite der Holzbläser), sowie die Anmerkungen, die der erwähnte Fritz Busch fünf Jahre nach Regers Tod unter dem Titel „Zum Vortrag der Mozartvariationen von Max Reger“ veröffentlichte, und die authentische Informationen enthalten, die aus der Partitur nicht hervorgehen.
Vorschau
2. Philharmonisches Konzert
„Beethoven, Goethe, wandelnd Hand in Hand, ein Paar, wie ihr vereint wohl nie mehr schaut.“
Franz Grillparzer
Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 1 C-Dur op. 21
Musik zu Goethes Trauerspiel „Egmont“ op. 84
Solist*innen: Katharina Constanti, Sopran
Felix Meusel, Sprecher
Philharmonisches Orchester Vorpommern
Dirigent: GMD Florian Csizmadia
Öffentliche Generalprobe:
16.10.2023 / 19.00 Uhr, Greifswald
Konzerte:
17.10.2023 / 19.30 Uhr, Greifswald
18. & 19.10.2023 / 19.30 Uhr, Stralsund
23.10.2023 / 19.30 Uhr, Putbus
Weiterhin im Programm
KONZERT WERKE VON LUDWIG VAN BEETHOVEN
17.10.2023 Greifswald
18. & 19.10.2023 Stralsund
23.10.2023 Putbus
3. PHILHARMONISCHES KONZERT SIBELIUS-ZYKLUS VI WERKE VON JEAN SIBELIUS
15. & 16.11.2023 Stralsund
18.11.2023 Greifswald
KONZERT WERKE VON MOZART UND AHO
30.01.2024 Greifswald
31.01. & 01.02.2024 Stralsund
KONZERT SIBELIUS-ZYKLUS VII WERKE VON MENDELSSOHN, DVOŘÁK UND SIBELIUS
27.02.2024 Greifswald
28. & 29.02.2024 Stralsund
6.
WERKE VON SCHUMANN, WEBER UND HAYDN
26.03.2024 Greifswald
27. & 28.03.2024 Stralsund
31.03.2024 Putbus
KONZERT ANTON BRUCKNER: SINFONIE NR. 5 B-DUR
16.04.2024 Greifswald
17. & 18.04.2024 Stralsund
2. PHILHARMONISCHES 7. PHILHARMONISCHES 4. PHILHARMONISCHES 5. PHILHARMONISCHES PHILHARMONISCHES KONZERTLICHT!: Das neue (interaktive) Spielzeitheft 2023/24
Herausgeber:
Theater Vorpommern GmbH, Stralsund – Greifswald – Putbus, Spielzeit 2023/24
Geschäftsführung:
André Kretzschmar, Verwaltungsdirektor
Textnachweise:
Impressum
Redaktion: Katja Pfeifer
Gestaltung: giraffentoast
Bei den Texten zu den Werken von Péter Eötvös und Wolfgang Amadeus Mozart handelt es sich um Originalbeiträge von Katja Pfeifer für dieses Heft. Bei dem Text zu Max Reger handelt es sich um einen Originalbeitrag von Dr. Florian Csizmadia für dieses Heft. Literaturhinweise: www.eotvospeter.com; Wolfgang Hildesheimer: Mozart. Berlin 1993; Silke Leopold: Mozart-Handbuch. Stuttgart und Kassel 2005; Literatur (u.a.): Susanne Popp, Max Reger. Werk statt Leben, Wiesbaden 2016; diverse Editionen der Briefe von Max Reger.
Bildnachweise:
Bei den Fotos handelt es sich um gemeinfreie Bilder von Raamin Ka, Jorge Salvador, Nathan Dumlao, Alex Harvea, Xavi Cabrera, Rahabi Khan, S&B Vonlanthen auf unsplash.com; das Foto von Dominic Chamot ist aus Privatbesitz.