PGH _ 8. Philharmonisches Konzert

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8. PHILHARMONISCHES KONZERT

theater-vorpommern.de

8. Philharmonisches Konzert

Georg Friedrich Händel (1685 – 1759)

Music for the Royal Fireworks HWV 351 („Feuerwerksmusik“)

1. Ouverture

2. Bourrée

3. La Paix. Largo alla Siciliana

4. La Réjouissance. Allegro

5. Andante aus HWV 348/4

6. Menuet

– Pause –

Das Theater Vorpommern wird getragen durch die Hansestadt Stralsund, die Universitäts- und Hansestadt Greifswald und den Landkreis Vorpommern-Rügen.

Es wird gefördert durch das Ministerium für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und EU-Angelegenheiten des Landes Mecklenburg-Vorpommern.

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Song for St Cecilia’s Day HWV 76 („Cäcilien-Ode“)

Text: John Dryden

1. Ouverture – Menuet

2. Rezitativ (Tenor): „From harmony, from heav’nly harmony“

3. Accompagnato (Tenor): „When nature underneath a heap“

4. Chor: „From harmony, from heav’nly harmony“

5. Arie (Sopran): „What passion cannot Music raise and quell?“

6. Arie (Tenor) und Chor: „The trumpet’s loud clangour excites us to arms“

7. Arie (Sopran): „The soft complaining flute“

8. Arie (Tenor): „Sharp violins proclaim their jealous pangs“

9. Arie (Sopran): „But oh! what art can teach“

10. Arie (Sopran): „Orpheus could lead the savage race“

11. Accompagnato (Sopran): „But bright Cecilia raised the wonder higher“

12. Solo (Sopran) und Chor: „As from the pow’r of sacred lays“

Solist*innen:

Katharina Constanti, Sopran

Bassem Alkhouri, Tenor

Opernchor des Theaters Vorpommern

Einstudierung: Jörg Pitschmann

Philharmonisches Orchester Vorpommern

Instrumentalsolist*innen:

Claudia Otto, Flöte

José Ángel Toscano Fernández, Trompete

Arne Petersohn, Violoncello

Bastian Uhlig, Cembalo

Florian Csizmadia, Orgel

Musikalische Leitung: GMD Florian Csizmadia

Di 28.05.2024, Greifswald: Stadthalle / Kaisersaal

Mi 29. & Do 30.05.2024, Stralsund: Großes Haus

Fr 31.05.2024, Putbus: Theater

Liebe Gäste, wir möchten Sie darauf aufmerksam machen, dass Ton- und/oder Bildaufnahmen unserer Aufführungen aus urheberrechtlichen Gründen untersagt sind. Vielen Dank.

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KATHARINA CONSTANTI

Die Sopranistin Katharina Constanti studierte Schauspiel, Theater- und Sologesang in Gdingen und Danzig. Sie nahm an Meisterkursen bei Paul Esswood, Helen Donath, Janet Williams, Sylvia Koncza und Denis Combe-Castel teil. Von 2005-2011 war sie am Musiktheater Gdingen engagiert. Während ihres Gesangsstudiums in Deutschland erweiterte sie ihr Repertoire um große Opernpartien. Katharina Constanti ist Stipendiatin des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur und erhielt 2015 den 2. Förderpreis der Stadt Perleberg bei der 18. Lotte Lehmann Woche. Von 2016-2023 war sie als Solistin am Theater Vorpommern engagiert, wo sie u. a. als Königin der Nacht in Mozarts „Die Zauberflöte“, Leonora in Verdis „Il Trovatore“, Musetta in Puccinis „La Bohème“, Morgana in Händels „Alcina“, in der Titelpartie von Benjamin Staerns „Die Schneekönigin“ und als Violetta Valéry in der Verdi-Oper „La Traviata“ zu sehen und zu hören war. Darüber hinaus ist Katharina Constanti auch im Konzertfach tätig und bis heute regelmäßig in ausgewählten Konzerten als Gast am Theater Vorpommern zu erleben.

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BASSEM

ALKHOURI

Der in Damaskus geborene Bassem Alkhouri studierte Gesang am Königlichen Konservatorium in Den Haag sowie an der Akademie der Holländischen Nationaloper in Amsterdam. Sein Bühnendebüt als Opernsänger feierte er mit der Partie des Don José in George Bizets Oper „Carmen“. Gastengagements führten ihn an verschiedene Opernhäuser in den Niederlanden und in Frankreich sowie nach Syrien in seine Heimatstadt. Zu seinen Rollen gehören u. a. die Partie des Lensky aus Tschaikowskijs „Eugen Onegin“, Alfred aus Johann Strauß’ „Fledermaus“, Graf Almaviva aus Gioachino Rossinis „Barbiere di Siviglia“, Rodolfo aus Giuseppe Verdis „Luisa Miller“ und der Prinz aus Sergej Prokofjews „Liebe zu den drei Orangen“. Von seinem Festengagement am Staatstheater Kassel wechselte er zunächst in die Freiberuflichkeit. Seit der Spielzeit 2023/24 ist er festes Ensemblemitglied am Theater Vorpommern. Darüber hinaus trat er als Meister der syrischen Zither, des Kanun, sowohl solistisch in Konzerten mit dem Nationalen Syrischen Symphonieorchester auf und ist seit 2003 Teil des New Ensembles und des Atlas Ensembles in Amsterdam unter der Leitung von Ed Spanjaard, wo er zeitgenössische Musik spielt, die speziell für das Kanun geschrieben wurde. Neben seiner Operntätigkeit ist Bassem Alkhouri auch ein international gefragter Konzertsänger.

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Feuerwerksmusik

Händel ist im Wesentlichen ein Komponist von Vokalmusik: Seine Opern, Oratorien sowie die katholische und anglikanische Kirchenmusik machen den überwältigenden Teil seines Schaffens aus; auch ein Großteil seiner Orchesterwerke, darunter die Concerti grossi und Orgelkonzerte, steht im Zusammenhang mit den Vokalwerken, da diese instrumentalen Werke entstanden, um als Einlagen und Zwischenspiele in Oratorien oder Konzerten mit Vokalmusik verwendet zu werden.

Nur zwei große Orchesterwerke wurden ohne Verbindung zu einem Vokalwerk geschrieben, und beide verdanken ihre Entstehung royalen Freiluft-Festlichkeiten: 1717 hatte Händel mit der „Wassermusik“ die musikalische Umrahmung für eine Wasserpartie von König George I. geschaffen. Mehr als 30 Jahre später entstand zu den von König George II. veranlassten Festivitäten anlässlich des Friedens von Aachen (1748) eine Ouvertüre in D-Dur, die später unter dem nicht von Händel stammenden Namen „Music for the Royal Fireworks“ („Feuerwerksmusik“ ) bekannt wurde.

Der 64-jährige Händel war längst der „Grand Old Man“ der englischen Tonkunst, sodass der Auftrag an ihn fast schon selbstverständlich war. Dennoch scheint die „Feuerwerksmusik“ kein Selbstläufer gewesen zu sein: Der König war zunächst gegen eine musikalische Umrahmung der Veranstaltung; die Idee zu dem Auftrag an Händel scheint von einem seiner Minister ausgegangen zu sein. Auch wenn der König schließlich einlenkte, scheint es einen Dissens über die Orchesterbesetzung gegeben zu haben: George II. wünschte eine kriegerische Musik für Blasinstrumente und dezidiert ohne Beteiligung der Streicher. Die ursprünglich vorgesehene Bläserbesetzung lehnte Händel jedoch ab und reduzierte sie beträchtlich. Die autographe Partitur listet die Zahl der Instrumente genau auf, und hier kommt man in der Summe auf 55 Bläser, drei Paukenspieler und eine nicht spezifizierte Anzahl von Kleinen Trommeln (im Plural angegeben, also mehrfach besetzt). Die Besetzung entstand durch numerische Verstärkung der einzelnen Stimmen, was dem Zweck einer Open-Air-Aufführung geschuldet war. So ist beispielsweise vermerkt, dass die drei Hornstimmen von jeweils drei Hörnern gespielt werden sollen. Wenn wir in unserer Aufführung deutlich weniger Mitwirkende auf dem Podium präsentieren, so liegt dies nicht daran, dass wir etwas weglassen, sondern wir besetzen alle Stimmen jeweils einfach.

Händels Autograph enthält jedoch auch Stimmen für Streicher, die allerdings nicht unabhängig geführt sind, sondern die Bläser verdoppeln. Technisch denkbar ist also sowohl eine Aufführung mit als auch ohne Streicher. Interessanterweise berichtet die zeitgenössische Presse von 100 Mitwirkenden. Ob dies eine Übertreibung war, wie sie auch in anderen Details der Berichterstattung festzustellen ist, oder ob Händel sich über die königliche Anweisung hinweggesetzt hat und doch Streicher mitspielen ließ, kann nicht mehr ermittelt werden.

Erstmals erklang die „Feuerwerksmusik“ am 21. April 1749 bei einer öffentlichen Probe in den Londoner Vauxhall Gardens. Der bis heute tradierte Bericht, dass diese Veranstaltung von 12.000 Personen besucht wurde, was zu einem mehrstündigen Verkehrschaos führte, ist von modernen Historikern als maßlose Übertreibung entlarvt

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worden: Die Anwesenheit von 12.000 Menschen in den Vauxhall Gardens ist eine physische Unmöglichkeit, und wahrscheinlich enthält die Zahl eine Null zu viel. Und das Verkehrschaos scheint damals (wie heute) ein Dauerzustand in London gewesen zu sein … Die eigentliche Uraufführung erfolgte am 27. April im Green Park, wobei die Musikdarbietung dem Feuerwerk voranging. Der Fokus lag allerdings eindeutig nicht auf Händels Musik, die mit einer Spieldauer von ca. 20 Minuten einen verschwindend geringen Anteil an der insgesamt neunstündigen (!) Veranstaltung hatte. Wahrscheinlich erklang sie beim Einzug des Königshauses, wozu sie in ihrer unübertrefflichen und bis heute noch faszinierenden festlichen Atmosphäre, die Händels zeremonieller Musik (etwa den Krönungs-Oden) nahesteht, bestens gepasst haben dürfte.

Händel hat die „Feuerwerksmusik“ danach nur noch ein einziges Mal aufgeführt, und zwar am 27. Mai 1749 bei einem Benefizkonzert in der Kapelle des Londoner Foundling Hospital. Es ist davon auszugehen, dass bei diesem Konzert eine Orchesterbesetzung spielte, wie auch wir sie heute verwenden.

Die „Feuerwerksmusik“ ist Händels einziger Beitrag zur barocken Gattung der Ouvertüren-Suite, die ihren Ursprung im Frankreich des 17. Jahrhunderts hat und in Deutschland u. a. von Georg Philipp Telemann und Johann Sebastian Bach geprägt wurde. Auf die Ouvertüre, die stets der längste Satz des Werkes ist und gelegentlich bis zur Hälfte der Gesamtspieldauer einnimmt, folgt eine nicht festgelegte Anzahl von Tanzsätzen und/oder Charakterstücken.

Bei Händel erfährt diese Gattung anlassbezogen eine individuelle Deutung. Bereits die Ouvertüre geht eigene Wege: Der traditionelle langsame Beginn mit den charakteristischen rhythmischen Figuren der sogenannten „französischen Ouvertüre“ ist ersetzt durch einen festlichen Marsch; der darauffolgende Teil ist nicht, wie sonst üblich, fugiert gestaltet, sondern präsentiert eine fanfarenartige Motivik in einer gleichsam konzertanten Struktur, bei der die einzelnen Instrumentengruppen in antiphonaler (mehrchöriger) Weise einander gegenübergestellt sind. Tatsächlich basiert die Ouvertüre auf einer früheren, „Concerto“ betitelten Komposition, und auch im Autograph der „Feuerwerksmusik“ war dieser Satz ursprünglich mit „Concerto“ überschrieben. Ein Vergleich liegt nahe mit den „Concerti a due cori“, den „Konzerten für zwei (Instrumental-)Chöre“, die Händel Mitte der 1740er Jahre als Zwischenspiele für seine Oratorien geschrieben hat. Dies zeigt, dass er seinerzeit offenbar gerne mit dergleichen Klangwirkungen experimentierte.

Auf die Ouvertüre folgt mit der Bourrée ein schneller Tanzsatz, dem seinerseits zwei Charakterstücke folgen: „La Paix“ (Frieden) ist ein ruhiger Satz mit dem charakteristischen wiegenden Rhythmus des italienischen Siciliano und einer liedhaften Melodik. In „La Réjouissance“ (Freude, Jubel) kehrt Händel zum martialischen Charakter der Ouvertüre zurück. Dass bei einer Friedensfeier dergleichen kriegerische Musik erklang, mag den modernen Betrachter verwundern; im Barock hingegen erfreute sich die musikalische Tradition der sogenannten „Battaglia“ (Schlachtenmusik) großer Beliebtheit, gerade auch aufgrund des hohen Anteils an tonmalerischen Effekten. Die scheinbar ungewöhnliche Satzbezeichnung „Réjouissance“ findet sich im Barock übrigens häufiger, darunter auch in Bachs vierter Orchestersuite.

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An dieser Stelle folgt in unserer Aufführung als Ruhepol ein Andante aus Händels „Wassermusik“, das wiederum nach dem Concerto-Prinzip die Oboen den Streichern gegenüberstellt. Für das Menuett schrieb Händel, in individueller Interpretation des traditionellen Tanzes, dem Anlass entsprechend eine seiner feierlichsten Melodien, die das Werk mit einem hymnischen Ton beschließt.

Gemeinsam mit den übrigen Instrumentalwerken und den Opern wurde die „Feuerwerksmusik“ allmählich vergessen, da man insbesondere im 19. Jahrhundert in Händel vornehmlich den Komponisten großer Chorwerke sah. Eine Wiederentdeckung erfolgte erst Anfang des 20. Jahrhunderts, zunächst in Bearbeitungen für das moderne Orchester, später dann im originalen Klanggewand, wie auch wir es heute zu präsentieren versuchen. Wie so oft bei Barockmusik, so sind zahlreiche Entscheidungen vom Interpreten zu treffen, da der Notentext weniger deutlich fixiert ist als in späteren Epochen. In der „Feuerwerksmusik“ betrifft dies das Cembalo, über dessen Einsatz sich die Partitur ausschweigt und das bei der Freiluft-Aufführung klanglich sinnlos gewesen wäre, in einem Konzertsaal aber von guter Wirkung ist. Ein Rätsel gibt zudem die Verwendung der Kleinen Trommeln auf, die Händel zweimal ausdrücklich verbal fordert, für die er aber keine eigene Stimme vorsieht. Denkbar ist, dass sie den Part der Pauken verdoppelt haben; möglicherweise haben sie aber auch an den entsprechend bezeichneten Stellen improvisiert. Wir verwenden eine einzige Kleine Trommel, die eine eigens erstellte Stimme spielt, die versucht, den Mittelweg zwischen einer Verdopplung der Pauken und einer unabhängigen Partie zu gehen.

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Cäcilien-Ode

Die Geschichte der heiligen Cäcilia ist, wie so viele Heiligenlegenden, von Mythenbildung überlagert und hält einer kritischen Überprüfung, so diese nach so vielen Jahrhunderten überhaupt möglich ist, kaum stand. Erwiesen ist, dass die Heilige ihren jahrhundertealten Status dem verkürzten und sinnentstellenden Zitieren eines lateinischen Dokuments aus dem frühen 6. Jahrhundert verdankt, was aber ihrer Bedeutung für die Religion sowie Kunst- und Musikgeschichte keinen Abbruch tun konnte: Die heilige Cäcilia wird seit dem 15. Jahrhundert als Schutzpatronin des Berufsstandes der Musiker sowie der Musik im Allgemeinen und der Kirchenmusik im Besonderen verehrt. In der Ikonographie wird sie seit der Renaissance in der Regel mit Musikinstrumenten, zumeist der Orgel, dargestellt und hat zahlreiche Maler zu berühmten Gemälden inspiriert. Diese sind, nebenbei bemerkt, für die moderne Musikwissenschaft von großer Bedeutung, weil sie Rückschlüsse auf das Instrumentarium früherer Jahrhunderte zulassen. Daneben nimmt es nicht wunder, dass sich bis auf den heutigen Tag immer wieder Komponisten mit Cäcilia auseinandersetzen, wobei in der Regel nicht das Leben der Heiligen im Fokus steht, sondern ihre Funktion zum Anlass genommen wird, über Wesen und Bedeutung der Musik an sich zu reflektieren. Früher war es zeitweise üblich, den Gedenktag der Heiligen, den 22. November, mit musikalisch besonders ausgestalteten Gottesdiensten und Konzerten zu feiern. In England war dies von 1683 bis 1703 eine jährliche Tradition, wovon bis heute zahlreiche eigens für diesen Anlass geschaffene Kompositionen, u. a. von John Blow, Maurice Greene, Jeremiah Clarke und Henry Purcell, zeugen. Die Textvorlagen stammten dabei nicht selten von namhaften Dichtern; herausragend sind insbesondere die zwei Cäcilien-Oden von John Dryden (1631 – 1700), die später beide auch von Händel vertont wurden. Zu seiner Zeit gab es in England zwar keine regelmäßigen Cäcilien-Feiern mehr, aber ausgestorben war die Tradition noch nicht. Dass Händel an diese anknüpfte und mit den beiden Oden keine Gelegenheitsdichtungen, sondern literarisch hochstehende Texte vertonte, deren Autor zu den wichtigsten englischen Dichtern seiner Zeit zählt, ist zudem in einem anderen Licht zu sehen: Händel war 1710 nach London gekommen, um dort als Komponist italienischer Opern zu reüssieren. In den 1730er Jahren jedoch begann sein Stern zu sinken, sodass er sich auf das Komponieren in einer neuen und letztlich von ihm begründeten musikalischen Gattung verlegte: das englische Oratorium. Mit Ausnahme von „Israel in Egypt“ und „Messiah“ waren damit nicht exklusiv sakrale Werke gemeint, allerdings haben sie zumeist einen moralischen Unterton. Gemein war allen Werken, dass sie zwar im Theater, aber ohne szenische Realisierung aufgeführt und in englischer Sprache gesungen wurden.

In diesem historischen Kontext ist Händels Vertonung von Drydens CäcilienOde „Alexander’s Feast“ („Alexanderfest“) von 1736 anzusiedeln. Drydens allegorische Dichtung gab Händel die Möglichkeit, eine weitgehend opernhafte Struktur zu schaffen, die aber von Beginn an für Konzertzwecke gedacht war. Das Resultat hatte jedoch eine Schwäche: Das Werk war mit zwei Teilen und einer Spieldauer von circa zweieinhalb Stunden für damalige Verhältnisse zu kurz – ein Oratorium war stets

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dreiteilig, bzw. ein zweiteiliges Werk musste durch ein oder mehrere kürzere Werke ergänzt werden, um ein abendfüllendes Konzert zu ergeben.

Zu diesem Zweck ließ Händel drei Jahre später, 1739, eine Vertonung der zweiten Cäcilien-Ode von Dryden folgen: „Song for St Cecilia’s Day“ (so der originale Titel bei Dryden und Händel; die heute oft zu lesende Änderung von „Song“ zu „Ode“ ist nicht authentisch). Drydens Dichtung beschwört in bildhafter Sprache die Fähigkeiten, Eigenschaften und Kraft der Musik, was Händel die Möglichkeit bot, in einer kantatenartigen Folge von Rezitativen, Arien und Chören alle Register seiner musikalischen Charakterisierungskunst zu ziehen und ein weiteres Mal seine Erfahrung als Opernkomponist in ein für Konzertzwecke komponiertes Werk einfließen zu lassen.

Die Uraufführung fand am 22. November 1739, dem Cäcilientag, statt und markierte die Eröffnung der ersten englischsprachigen Oratorien-Saison Händels. Erstaunlicherweise führte Händel die Cäcilien-Ode in Kombination mit „Alexander’s Feast“ nur noch ein weiteres Mal auf, entschied sich dann aber aus nicht bekannten Gründen, die Werke fortan zu trennen. Die Cäcilien-Ode wurde bei den zwölf dokumentierten weiteren Aufführungen unter Händels Leitung entweder kombiniert mit „Acis and Galatea“ oder „L’Allegro ed il Penseroso“ – letzteres eine interessante Wahl, da dieses Werk ebenfalls auf einer hochrangigen literarischen Vorlage, einer Ode von John Milton, basiert.

Mit welcher Ouvertüre Händel die Cäcilien-Ode begann, ist nicht sicher und mag je nach Anlass variiert haben. Die von Händel bei Aufführungen verwendete sogenannte Direktionspartitur enthält keine Ouvertüre, allerdings ist es unwahrscheinlich, dass das Werk mit einem Rezitativ begonnen hat. Wir folgen Händels Autograph, das eine instrumentale Einleitung enthält, die aus der eigentlichen Ouvertüre und einem Menuett besteht, die Händel beide im wenig später komponierten Concerto grosso D-Dur op. 6/5 wiederverwendet hat.

Die anschließende Folge von Arien und Chören ist inhaltlich symmetrisch angelegt. Als Rahmen dienen Schöpfung und Jüngstes Gericht: Bei der Schöpfung entstand in Drydens Darstellung das Universum aus der Musik; beim Jüngsten Gericht erklingt die „letzte Posaune“ (im Englischen „last trumpet“, daher bei Händel die prominente Verwendung der Trompete), während die Musik in der Ewigkeit verklingt. Nächstfolgend finden sich Verweise auf Jubal (erste Nummer nach dem Eingangschor) und Orpheus (letzte Nummer vor dem Schlusschor): Jubal ist in biblischer Tradition der Urvater der Musiker, dem Dryden die Fähigkeit zuschreibt, durch Musik die Leidenschaften sowohl zu erwecken als auch zu dämpfen; statt der traditionellen Flöte oder Leier gibt Händel ihm das solistische Violoncello bei. Orpheus seinerseits besaß die Kraft, durch die Musik wilde Tiere zu zähmen. Biblische Überlieferung und antiker Mythos gehen hier Hand in Hand. Ein ausdrücklicher Verweis auf die heilige Cäcilia findet sich im Übrigen nur im kurzen Rezitativ vor dem Schlusschor, in dem ihr eine höhere Macht als selbst Jubal und Orpheus zugeschrieben wird.

Im Zentrum stehen in vier Sätzen fünf Charakterportraits von Musikinstrumenten: Der Schall der Trompete ruft zum Kampf; der klagende Klang der Flöte besingt Liebeskummer, während gleichzeitig die Laute (bei uns gespielt vom Cembalo) ein Grablied erklingen lässt. Eifersucht und Verzweiflung sind ausgedrückt durch die „schrille Violine“, bei Händel gespielt von sämtlichen Violinen des Orchesters im Ein-

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klang. Drydens Lob der Orgel als Instrument, das in Worten kaum zu preisen und gleichsam der Sphäre der Engel zuzuordnen ist, wird in Händels Vertonung zum Höhepunkt der Ode. Dabei ist der Orgelpart nur skizziert und lässt an drei Stellen Raum für Improvisation. Händel, gefeiert als einer der größten Organisten seiner Zeit, hat diesen Part mit Sicherheit selbst gespielt, wie dies auch für seine Orgelkonzerte verbürgt ist, die als Zwischenspiele seiner Oratorien fungierten.

Händel führte die Ode bis zu seinem Tod mit einiger Regelmäßigkeit auf; danach war sie bis zum Ende des 18. Jahrhunderts in London fast jährlich zu hören. Auf dem Kontinent wurde sie durch Wolfgang Amadeus Mozart bekannt, der sie 1790 gemeinsam mit „Alexander’s Feast“ (und wohl für eine kombinierte Aufführung) für das klassische Orchester neu instrumentiert hat. In dieser Fassung wurde die Cäcilien-Ode im 19. Jahrhundert oft aufgeführt, während das 20. Jahrhundert wieder zu Händels Original zurückkehrte. Heute scheint das Stück etwas im Schatten anderer oratorischer Werke Händels zu stehen, ist aber gerade aufgrund seiner überzeitlichen Thematik von Interesse und hat, wenn man Text und Musik eingehend reflektiert, sowohl den Ausführenden als auch dem musikliebenden Publikum etwas zu sagen.

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Tenor

From harmony, from heavenly harmony, This universal frame began. When nature underneath a heap Of jarring atoms lay, And could not heave her head, The tuneful voice was heard from high: „Arise ye more than dead!“

Then cold, and hot, and moist, and dry, In order to their stations leap, And Music’s pow‘r obey.

Chor

From harmony, from heavenly harmony, This universal frame began: From harmony to harmony

Through all the compass of the notes it ran, The diapason closing full in man.

Sopran

What passion cannot Music raise and quell?

When Jubal struck the chorded shell, His listening brethren stood around And, wondering, on their faces fell To worship that celestial sound:

Less than a God they thought there could not dwell Within the hollow of that shell, That spoke so sweetly, and so well. What passion cannot Music raise and quell?

Tenor

The trumpet’s loud clangour

Excites us to arms, With shrill notes of anger, And mortal alarms. The double double double beat Of the thundering drum

Cries „Hark the foes come; Charge, charge, ’tis too late to retreat!“

Sopran

The soft complaining flute, In dying notes, discovers The woes of hopeless lovers, Whose dirge is whisper’d by the warbling lute.

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Tenor

Aus Harmonie, aus himmlischer Harmonie entstand das riesige Weltall.

Als die Natur noch unter einer Masse ungeordneter Atome lag, nicht in der Lage, sich zu erheben, ertönte eine sonore Stimme aus der Höhe: „Erstarrte Welt, erwache!“ Kalt und Heiß, Feucht und Trocken begannen sich zu ordnen, der Kraft der Musik gehorchend.

Chor

Aus Harmonie, aus himmlischer Harmonie entstand das riesige Weltall. Von Harmonie zu Harmonie durchlief es aller Töne Kreis und fand seine Vollendung im Menschen.

Sopran

Welche Leidenschaft kann Musik nicht entfachen und besänftigen?

Als Jubal die besaitete Muschel anschlug, umgaben ihn seine Brüder lauschend und sanken vor Erstaunen nieder, um den himmlischen Klang anzubeten. Nichts Geringeres als ein Gott konnte im Inneren dieser Muschel wohnen. Zu süß und lieblich war seine Sprache. Welche Leidenschaft kann Musik nicht entfachen und besänftigen?

Tenor

Der laute Klang der Trompete ruft uns zu den Waffen, ihr schriller Ton verkündet Zorn und tödlichen Alarm.

Der Doppelschlag der donnernden Trommel ruft: „Hört, der Feind kommt! Auf, macht euch bereit, für einen Rückzug ist es zu spät!“

Sopran

Die sanft klagende Flöte entdeckt in ihren ersterbenden Klängen das Weh hoffnungslos Liebender, deren Klagegesang von den zitternden Klängen der Laute begleitet wird.

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Tenor

Sharp violins proclaim Their jealous pangs and desperation, Fury, frantic indignation, Depth of pains, and height of passion, For the fair, disdainful dame.

Sopran

But O, what art can teach, What human voice can reach, The sacred organ’s praise? Notes inspiring holy love, Notes that wing their heavenly ways To join the choirs above.

Sopran

Orpheus could lead the savage race; And trees unrooted left their place, Sequacious of the lyre;

But bright Cecilia raised the wonder higher: When to her organ vocal breath was given, An angel heard, and straight appeared Mistaking Earth for Heaven.

Sopran & Chor

As from the power of sacred lays The spheres began to move, And sung the great Creator’s praise To all the Blest above; So when the last and dreadful hour This crumbling pageant shall devour, The trumpet shall be heard on high.

Chor

The dead shall live, the living die, And music shall untune the sky.

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Tenor

Der schrille Klang der Geigen erzählt von beißender Eifersucht und Verzweiflung, von Wut, rasender Empörung, tiefsten Schmerzen und höchster Leidenschaft für die schöne, stolze Dame.

Sopran

Doch, o, was kann Kunst lehren, was kann eine menschliche Stimme erreichen, die heilige Orgel loben? Töne, die heilige Liebe inspirieren, Töne, die sich in himmlische Höhen aufschwingen, um in die himmlischen Chöre mit einzustimmen.

Sopran

Orpheus konnte wilde Tiere bezähmen, und Bäume entledigten sich der Sicherheit ihrer Wurzeln, um der Leier zu folgen.

Aber die strahlende Cäcilia wirkte noch höhere Wunder. Als ihrer Orgel der tönende Atem entströmte, hörte dies ein Engel und nahte sich –die Erde mit dem Himmel verwechselnd.

Sopran & Chor

So wie durch die Kraft heiliger Klänge sich die Sphären zu bewegen begannen und sie das Lob des großen Schöpfers sangen für all die Heiligen in der Höhe, so wird, wenn in der letzten schrecklichen Stunde das Weltall zu Staub zerfällt, der Trompete Schall in der Höhe erklingen.

Chor

Die Toten werden auferstehen, alles Lebendige wird sterben, und die Musik wird im All verwehen.

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Vorschau 9. Philharmonisches Konzert

„Ich kann diese Musik nicht anders als mit meinem ganzen Sein empfinden … Sie wirkt auf mich wie eine Naturgewalt.“ Joseph Joachim

Johannes Brahms: Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 77

Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73

Solistin: Irmina Trynkos Philharmonisches Orchester Vorpommern

Dirigent: GMD Florian Csizmadia

Öffentliche Generalprobe: Mo 10.06.2024, 19.00 Uhr, Greifswald: Stadthalle / Kaisersaal

Konzerte: Di 11.06.2024, 19.30 Uhr, Greifswald: Stadthalle / Kaisersaal Mi 12. & Do 13.06.2024, 19.30 Uhr, Stralsund: Großes Haus Fr 14.06.2024, Putbus: Theater

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Termine

28. Mai 2024 , Greifswald: Stadthalle / Kaisersaal

29. & 30. Mai 2024 , Stralsund: Großes Haus

31. Mai 2024, Putbus: Theater

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Das (interaktive) Spielzeitheft 2023/24 Außerdem im Programm REGENLIED / THE JULIET LETTERS NUR EIN TAG FREISTIL II
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Herausgeber:

Theater Vorpommern GmbH, Stralsund – Greifswald – Putbus, Spielzeit 2023/24

Geschäftsführung: André Kretzschmar

Redaktion: Stephanie Langenberg Gestaltung: giraffentoast Impressum

Textnachweise: Bei den Texten handelt es sich um Originalbeiträge für dieses Heft von Dr. Florian Csizmadia unter Zuhilfenahme u. a. folgender Quellen: Donald Burrows, Handel, Oxford 2012; Christopher Hogwood: Handel, New York 2017; Christopher Hogwood, Handel: Water Music and Music for the Royal Fireworks, Cambridge 2005; Hans Joachim Marx: Händels Oratorien, Oden und Serenaten. Ein Kompendium, Göttingen 1998. Die Übersetzung des Textes von John Dryden stammt von Katja Pfeifer.

Bildnachweise: Die Porträtfotos von Katharina Constanti und Bassem Alkhouri stammen von Peter van Heesen. Alle übrigen Fotos im Heft sind rechtefreie Bilder der Webseiten Pixabay, Unsplash, Freepik und Wikimedia Commons.

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