8. Philharmonisches Konzert
Abschlusskonzert der PUTBUS-FESTSPIELE 2023
Georg Friedrich Händel (1685 – 1759)
Concerto grosso D-Dur op. 6 Nr. 5 HWV 323
Larghetto e staccato – Allegro
Presto
Largo
Allegro
Menuet. Un poco larghetto
„Silete venti“, Motette HWV 242
Symphonia. Largo staccato – Allegro
Rezitativ: Larghetto („Silete venti“)
Arie: Andante ma larghetto („Dulcis amor“)
Rezitativ („O fortunata anima“)
Arie: Andante („Date serta“)
Presto („Alleluia“)
– Pause –
Wassermusik HWV 348 und Concerto F-Dur HWV 331
1. Ouverture
2. Adagio
3. (ohne Bezeichnung)
4. Andante
5. Allegro (Minuet)
6. Air
7. Minuet
8. Bourrée
9. Hornpipe
10. (ohne Bezeichnung)
11. (ohne Bezeichnung)
12. Alla Hornpipe
Solistin: Katharina Constanti, Sopran
Philharmonisches Orchester Vorpommern
Musikalische Leitung: GMD Florian Csizmadia
Öffentliche Generalprobe:
27. Mai 2023, Stralsund (Großes Haus)
Konzerte:
29. Mai 2023, Putbus (Theater)
30. Mai 2023, Greifswald (Kaisersaal)
01. & 02. Juni 2023, Stralsund (Großes Haus)
Die Sopranistin Katharina Constanti studierte Schauspiel, Theatergesang und Sologesang in Gdingen und Danzig. Sie nahm an Meisterkursen bei Paul Esswood, Helen Donath, Janet Williams, Sylvia Koncza und Denis Combe-Castel teil. Von 2005-11 war sie am Musiktheater Gdingen engagiert. Während ihres Gesangsstudiums in Deutschland erweiterte sie ihr Repertoire um große Opernpartien. Katharina Constanti ist Stipendiatin des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur und erhielt 2015 den 2. Förderpreis der Stadt Perleberg bei der 18. Lotte Lehmann Woche.
Seit 2016 ist sie als Solistin am Theater Vorpommern engagiert, wo sie u. a. als Königin der Nacht in Mozarts „Die Zauberflöte“, Leonora in Verdis „Il Trovatore“, Musetta in Puccinis „La Bohème“, Morgana in Händels „Alcina“ und in der Titelpartie von Benjamin Staerns „Die Schneekönigin“ zu sehen und zu hören war. Derzeit ist sie als Violetta Valéry in der Verdi-Oper „La Traviata“ am Theater Vorpommern zu erleben. Darüber hinaus ist Katharina Constanti auch regelmäßig im Konzertfach tätig und sang in dieser Spielzeit im Rahmen des 3. Philharmonischen Konzerts die Sopranpartie in Verdis „Messa da Requiem“.
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Ein modernes Sinfoniekonzert, bestehend aus einer Ouvertüre, einem konzertanten Stück und einem sinfonischen Hauptwerk, nur mit Werken Händels zu bestreiten, ist gewissermaßen ein Anachronismus: Konzerte dieser Art gab es im 18. Jahrhundert noch nicht, sondern sie sind eine Entwicklung des späten 19. Jahrhunderts. Zudem hätte man zu
Händels Zeiten eine geistliche Motette nicht in einem säkularen Rahmen gespielt. Dennoch sind wir überzeugt, dass die heutige Programmzusammenstellung überzeugen kann – nicht zuletzt aufgrund der überragenden Qualität und Vielfarbigkeit von Händels Musik.
„Händel ist der größte Komponist, der je gelebt hat. Ich würde mein Haupt entblößen und an seinem Grabe niederknien.“
Ludwig van Beethoven
Concerto grosso
Am Beginn des Programms steht eines der Concerti grossi. Aus den mehr als 20 Werken dieser Art, die von Händel überliefert sind, haben wir aus Opus 6 das fünfte in D-Dur ausgewählt, das mit seinem feierlichen Beginn, der Charakteristika der französischen Ouvertüre anklingen lässt, gut geeignet scheint als Auftakt für ein abendfüllendes HändelProgramm.
Die zwölf Concerti grossi, die Händel unter der Opuszahl 6 veröffentlichte, stellen in seinem Schaffen eine Besonderheit dar: Sie wurden, anders als vergleichbare Werke aus seiner Feder, 1739 in wenigen Wochen als zusammengehörige Sammlung komponiert. Diese wurde 1740 unter dem Titel „Twelve Grand Concertos“, dem englischen Äquivalent zur Bezeichnung „Concerto grosso“, veröffentlicht und bezieht sich mit Sicherheit auf das Werk eines anderen Komponisten: die 12 Concerti grossi op. 6 des Italieners Arcangelo Corelli. Diese Beziehung ist aus mehreren Gründen naheliegend: Händel hatte in Italien Corelli persönlich kennengelernt, und dieser hatte in Rom die Uraufführungen der ersten beiden Oratorien Händels geleitet. Corellis Concerti grossi gehörten zudem zu den bekanntesten und beliebtesten Instrumentalwerken in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die geradezu „klassischen“ Status einnahmen. Dass Händel seine eigene Sammlung exakt für die auch von Corelli verwendete Besetzung schrieb, ebenfalls aus zwölf (statt der im Barock eher üblichen sechs) Einzelwerken bestehen ließ und dann unter derselben Opuszahl 6
veröffentlichte, legt nahe, dass er diesen Querbezug zu dem Werk seines älteren italienischen Zeitgenossen bewusst hergestellt hat.
Händels op. 6 ist jedoch keine Stilkopie Corellis, sondern zeigt ihn als innovativen Meister, der ein halbes Jahrhundert nach Corellis Werken nur noch die Besetzung und grundsätzliche Charakteristika übernimmt, ansonsten aber eigene Wege geht. Dies zeigt sich in Nr. 5 z. B. am Topos der französischen Ouvertüre, die kein Vorbild bei Corelli hat, der streng im italienischen Stil schrieb – anders als der Kosmopolit Händel, der auch andere Stileinflüsse aufnahm und weiterverarbeitete. Auch die Idee, Nr. 5 mit zwei fanfarenartigen Takten für Solovioline zu beginnen, ist ein höchst individueller Zug. Der erste Satz ist im Übrigen entlehnt aus Händels nur wenige Wochen zuvor abgeschlossener „Cäcilien-Ode“, die Sie in der kommenden Konzertsaison hören können. Die Concerti op. 6 waren ursprünglich für ein reines Streicherensemble gedacht, aus dem ein sogenanntes „Concertino“ hervortritt, das aus zwei Violinen, Cello und Cembalo besteht. Zu vier der zwölf Concerti, darunter auch zu Nr. 5, fügte Händel nachträglich Stimmen für Oboen hinzu, wohl, um bei einer Aufführung im Rahmen eines Oratoriums die dort stets besetzten Oboen mitspielen zu lassen. Wir führen das Werk heute in der ursprünglichen Fassung ohne Oboen auf, auch um einen Kontrast zum zweiten Konzertteil zu erzielen, in dem die Oboen sehr prominent eingesetzt sind.
Statt eines Instrumentalkonzerts erklingt als zweiter Programmpunkt eine Rarität: die äußerst selten aufgeführte und auch in der Händel-Forschung nur am Rande betrachtete Motette „Silete venti“. Das Werk ist undatiert, und ohne Zusatzinformationen würde man es unfraglich in Händels italienischen Jahren (1706–1710) verorten, in denen er zahlreiche Sakralwerke für den katholischen Kultus, darunter auch drei Motetten, geschrieben hat. Die moderne Forschung verfügt jedoch über weitere Möglichkeiten zur Datierung (z. B. Untersuchung des verwendeten Notenpapiers), und seit längerem ist bekannt, dass das Werk zweifelsfrei aus Händels Londoner Zeit stammt und auf ca. 1724 datiert werden kann. Damit steht man jedoch vor einem Rätsel: Für eine lateinische Motette hatte Händel im anglikanischen England keinerlei Verwendung. Von den Hypothesen zur Entstehung überzeugt vor allem diejenige des Händel-Forschers Hans Joachim Marx (2012), der davon ausgeht, dass das Werk geschrieben wurde für ein Gastspiel von Händels Londoner „Royal Academy of Music“ 1724 in Paris, in dessen Rahmen Händels Musik auch in einem Gottesdienst in Fontainebleau erklang. Dies würde auch erklären, warum das Werk mit einer französischen Ouvertüre beginnt, die für eine lateinische Motette untypisch ist, in Paris stilistisch aber natürlich besonders passend war.
Zudem wissen wir, dass an dem Pariser Gastspiel mit Francesca Cuzzoni eine der renommiertesten italienischen Sängerinnen der damaligen Zeit betei-
ligt war. Da die musikalischen und gesangstechnischen Anforderungen der Motette sehr hoch sind, ist es gut denkbar, dass Händel ihr „Silete venti“ gleichsam auf den Leib geschrieben hat. Händel bedient mit diesem Werk eine bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts in Italien beliebte Gattung geistlicher Musik: die Solo-Motette. Johann Joachim Quantz beschreibt sie 1752 als „lateinische geistliche Solocantate, welche aus zwoen Arien und zweyen Recitativen besteht, und sich mit einem Halleluja schließt, und welche […] von einem der besten Sänger gesungen wird“. Händels Werk folgt dieser Beschreibung exakt, wobei das erste Rezitativ („Silete venti“) nahtlos aus der Ouvertüre hervorgeht –ein Kunstgriff, der den Opernkomponisten verrät: Der zweite Teil der Ouvertüre (Allegro) stellt tonmalerisch den Wind dar, dem die Sopranistin („Schweigt, ihr Winde“) theatralisch Einhalt gebietet. Der Text eines anonymen Autors, für den bisher keine Vorbilder ausfindig gemacht werden konnten und der auf keine liturgischen Vorlagen zurückgeht, steht der katholischen Andachtslyrik nahe und meditiert über Jesus als Geliebten. Die Qualität der Dichtung ist zurecht als sprachlich wenig kunstvoll und reichlich schwülstig kritisiert worden, führt aber gekonnt die Metapher des Windes durch, der erst, als Naturphänomen verstanden, schweigen und sich dann in einem spirituellen Sinne wieder erheben soll, was Händel eine differenzierte musikalische Gestaltung und den wirkungsvollen Einsatz von Tonmalerei erlaubte.
Ein Gelegenheitswerk ist die Motette keineswegs. Dies zeigt sich schon daran, dass Händel – anders als sonst so oft – die Musik nicht aus früheren Werken entlehnte, sondern größtenteils neu komponierte. Lediglich der schnelle Teil der Ouvertüre und das abschließende Alleluia sind früheren Werken entnommen, letzteres (allerdings stark verändert) der Motette „Saeviat tellus“ (Rom 1707). Da Händel nach der mutmaßlichen Aufführung in Paris keine Verwendung mehr für das Werk hatte, übernahm er das gesamte Material in neue Werke, darunter das Alleluia unverändert in eine Neufassung seines Oratoriums „Esther“ (1732). Die übrigen Arien wurden dabei mit neuen italienischen bzw. englischen Texten versehen, die sich in wichtigen, für die musikalischen Affekte relevanten Punkten am lateinischen Original orientieren, ansonsten aber in veränderten dramaturgischen Kontexten stehen. Das Original geriet darüber in Vergessenheit und ist bis heute kaum je zu hören. Die Motette wurde erst 1873 im Rahmen der alten Händel-Gesamtausgabe veröffentlicht, und die publizistische Situation ist bis heute unbefriedigend (auch wir hatten Schwierigkeiten, für unsere Aufführung Orchestermaterial zu erhalten), obwohl es ein Autograph Händels gibt, das keine Fragen offenlässt. Die Vernachlässigung ist sicher auch zurückzuführen auf die exorbitanten Schwierigkeiten für die Solistin und die ungewöhnliche Länge: Das Werk ist mit einer Aufführungsdauer von ca. 30 Minuten die mit Abstand längste Motette Händels und wohl eine der längsten Solo-Motetten des Barock überhaupt. Im Gottesdienst wird man das Werk deshalb heute wohl nicht mehr aufführen können, aber für Konzertzwecke ist es denkbar gut geeignet.
„Ich freue mich und fühle mich geehrt, diese wunderschöne und zu Unrecht unbekannte Musik von Händel wiederbeleben zu dürfen.“
Katharina Constanti
Sinfonia e Recitativo
Silete venti, nolite murmurare, frondes, quia anima mea dulcedine requiescit.
Andante ma larghetto
Dulcis amor, Jesu care, quis non cupit te amare?
Veni, veni, transfige me. Si tu feris non sunt clades, tuae plagae sunt suaves, quia totus vivo in te.
Accompagnato
O fortunata anima, o jucundissimus triumphus, o felicissima laetitia.
Andante, Allegro
Date serta, date flores, me coronent vestri honores, date palmas nobiles. Surgant venti et beatae spirent almae fortunatae auras coeli fulgidas.
Presto Alleluia.
Schweigt, ihr Winde, murmelt nicht, ihr Zweige, denn meine Seele ruht in süßem Frieden.
Süße Liebe, teurer Jesus, wer wollte dich nicht lieben? Komm, durchdringe mich. Wenn du mich triffst, habe ich keine Verletzungen, deine Schläge sind süß, weil ich ganz in dir lebe.
O glückliche Seele, o freudenvollster Triumph, o überschwänglichste Freude.
Windet Kränze, schmückt sie mit Blumen, mögen sie mich mit deiner Ehre krönen, gebt edle Siegespalmen. Die Winde mögen sich erheben und die gesegneten, glückseligen Seelen mögen die strahlenden Brisen des Himmels kosten.
Halleluja.
Händel ist im Wesentlichen ein Komponist von Vokalmusik: Seine Opern, Oratorien sowie die katholische und anglikanische Kirchenmusik machen den überwältigenden Teil seines Schaffens aus; auch ein Großteil seiner Orchesterwerke, darunter die Concerti grossi und Orgelkonzerte, steht im Zusammenhang mit den Vokalwerken, da diese instrumentalen Werke entstanden, um als Einlagen und Zwischenspiele in Oratorien oder Konzerten mit Vokalmusik verwendet zu werden.
Nur zwei große Orchesterwerke wurden ohne Verbindung zu einem Vokalwerk geschrieben, und beide verdanken ihre Entstehung royalen FreiluftFestlichkeiten: 1749 entstand die Feuerwerksmusik zu den von König George II. veranlassten Festivitäten anlässlich des Aachener Friedens; auch dieses Werk können Sie in der kommenden Konzertsaison hören. Mehr als 30 Jahre zuvor, 1717, schrieb Händel die Musik zu einer Wasserpartie von König George I. Seit 1714 britischer Regent, war er der erste Monarch des Hauses Hannover, der als gebürtiger Deutscher in Großbritannien einen schweren Stand hatte: Abgesehen davon, dass er kein Englisch sprach, wurde seine mangelnde Präsenz in der Öffentlichkeit kritisiert. Die zahlreichen dokumentierten Wasserpartien, bei denen der König nebst Gefolge in offenen Barken von Whitehall nach Chelsea mit der Flut die Themse hinaufund anschließend mit der Ebbe wieder hinunterfuhr, dürfen sicher auch als öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen gewertet werden, mit denen der König sich seinem Volk zeigen wollte. Musik als
Begleitprogramm wird wohl immer eine Rolle gespielt haben, aber nur zu einer dieser Wasserpartien, derjenigen am 17. Juli 1717, ist verbürgt, dass das musikalische Programm von Händel gestaltet wurde. Hierfür komponierte er seine Wassermusik – oder besser gesagt: Er stellte sie zum Teil aus bereits vorhandener Musik zusammen. So ist die berühmte Hornpipe, mit der unser Konzert endet, die Bearbeitung einer Arie aus der Oper „Amadigi“ (1715), deren Textbeginn, „Sento la gioia, ch’in sen mi brilla“ („Ich spüre die Freude, die in meiner Brust strahlt“), wunderbar auch den Instrumentalsatz charakterisiert.
Nicht nur der Anlass selbst, sondern auch die Bedeutung des 32jährigen Händel, der seit 1710 in London lebte und beim Königshaus in hohem Ansehen stand, wurden als so wichtig angesehen, dass das Ereignis gut dokumentiert ist, wodurch wir über zahlreiche interessante Details informiert sind: Händel leitete sein Werk selbst (wahrscheinlich von der Violine aus), das von 50 Musikern auf einem eigenen Schiff gespielt wurde. Die Aufführung dauerte eine Stunde, und das Stück gefiel so gut, dass es auf Hin- und Rückfahrt insgesamt dreimal komplett gespielt werden musste, wobei möglicherweise noch weitere Musik hinzukam, über die wir nicht informiert sind. Die gesamte Veranstaltung dauerte von 8 Uhr abends bis 2 Uhr morgens.
„Am Mittwochabend, ungefähr um acht, begab sich der König bei Whitehall in eine offene Barke, in der die Herzogin von Bolton, die Herzogin von New Castle, die Gräfin von Godolphin, Madame Kilmasegg und der Graf von Orkney waren, auf eine Bootsfahrt. Und sie fuhren flussaufwärts nach Chelsea. Viele andere Barkassen mit Personen hohen Ranges nahmen daran teil, die Zahl der Boote war so groß, dass geradezu der ganze Fluss bedeckt war. In einem Schiff der Stadtgilde spielten die Musiker, die über 50 Instrumente jeglicher Art verfügten. Sie spielten den ganzen Weg von Lambeth (während die Boote mit der Strömung ohne Rudern nach Chelsea trieben) die schönsten, besonders für diesen Anlass von Mr. Händel komponierten Sinfonien, welche Seiner Majestät derart gefielen, dass sie auf dem Hin- und Rückweg dreimal wiederholt werden mussten.“
Händels Musik ist geprägt von einer überwältigenden Vielseitigkeit, einem auch heute noch bestechenden Melodienreichtum und der ihm eigenen Klangsinnlichkeit. Auffallend ist, dass er – anders als im Barock vielleicht zu erwarten – den Topos „Wasser“ nicht aufgegriffen hat: Anders als z. B. Antonio Vivaldis „La tempesta di mare“ („Der Sturm auf dem Meer“, 1720er Jahre) und Georg Philipp Telemanns Ouvertüre „Hamburger Ebb’ und Fluth“ (1723) weist Händels Wassermusik keinerlei musikalischen Bezug zum Titel auf, sondern reiht eine Folge von insgesamt 22 Tanzsätzen und nicht tanzgebundenen, freien Sätzen aneinander. Für den modernen Hörer keine Besonderheit mehr, war der prominente Einsatz der Hörner damals wahrscheinlich eine Überraschung.
Händel hat das Werk nach dieser Aufführung in der originalen FreiluftFassung wahrscheinlich nie wieder aufgeführt. Ob die wenigen verbürgten Aufführungen in einem Konzertsaal die komplette einstündige Fassung boten, ist unklar und eher zu bezweifeln. Die Musik erfreute sich dennoch großer Popularität und wurde in Ausschnitten als Schauspielmusik verwendet, einzelne Sätze wurden in textierter Form zu bekannten Liedern, und auch ein zeitgenössisches, nicht von Händel stammendes (und nicht sonderlich gelungenes)
Arrangement für Cembalo zeugt von der Beliebtheit des Werkes.
Händel selbst hat ca. 1722/23 zwei Sätze zu einem Concerto in F-Dur bearbeitet, das wir im heutigen Konzert mit einbeziehen. Sind im Barock dergleichen Bearbeitungen oftmals Alternativen, bei denen die verschiedenen Versionen gleichberechtigt nebeneinanderstehen können, so kann man bei dem genannten Concerto sagen, dass es sich um eine kompositorische Weiterentwicklung handelt, die den korrespondierenden Sätzen der Wassermusik überlegen ist.
Heute gehört die Wassermusik zu Händels bekanntesten Werken, sodass es verwundert, dass das Concerto nach Händels Tod eher stiefmütterlich behandelt wurde. Es handelt sich um eines der wenigen Werke, zu denen sich kein Autograph Händels erhalten hat, und wurde erst 1788, also fast 30 Jahre nach Händels Tod, in einer korrumpierten Fassung erstmals gedruckt. Im 19. Jahrhundert sah man in Händel vornehmlich den Komponisten großer Chorwerke; die Opern und auch die Instrumentalmusik wurden erst im 20. Jahrhundert wiederentdeckt, und auch die Wassermusik ist erst seit einigen Jahrzehnten wieder regelmäßiger Bestandteil des Repertoires. Eine an den frühesten Quellen orientierte Notenausgabe, die auch wir heute verwenden, existiert gar erst seit 2007.
Händels Besetzung mit 50 Instrumenten war der Tatsache geschuldet, dass es sich bei der Wassermusik um eine Freiluft-Aufführung handelte, und entstand durch mehrfache (wahrscheinlich zwei- bis dreifache) Besetzung der Bläserstimmen und eine entsprechend verstärkte Streicherbesetzung. Für unsere heutige Aufführung verwenden wir eine einfache Bläser- und eine an überlieferte Besetzungen der Händel-Zeit angelehnte Streicherbesetzung, die für unseren Raum völlig ausreichend ist.
Man geht davon aus, dass Händel aus Platz- und akustischen Gründen auf dem Schiff keine Continuo-Instrumente verwendet hat. Unsere Verwendung von zwei Cembali orientiert sich an der Besetzung der Opern, Oratorien und Concerti grossi Händels sowie auch an den akustischen Gegebenheiten unseres Hauses.
Betrachtet man die Wassermusik in ihrer Gesamtheit, so kann man nur staunen über die Vielseitigkeit und den Abwechslungsreichtum der Musik Händels, muss aber auch konstatieren, dass eine ungekürzte Konzertaufführung nicht unproblematisch ist und schließlich von Händel auch nicht intendiert war. Das Werk ist eindeutig konzipiert für eine Veranstaltung, bei der die Musik nicht im Mittelpunkt stand und das Publikum ihr mit Sicherheit nicht so konzentriert gelauscht hat, wie es (hoffentlich) der moderne Konzertbesucher tut. Wir haben uns deshalb dazu entschlossen, das Werk in eine Form zu bringen, die für moderne Konzertzwecke besser geeignet scheint: Es erklingen die ersten zehn Sätze der Wassermusik, gefolgt von den beiden zum Concerto F-Dur bearbeiteten Sätzen, die den Konzertabend ebenso feierlich wie schwungvoll beschließen.
„Lauter berühmte Noten, längst geflügelte Worte der Musikgeschichte, und doch ewig glitzernd und bewegend und ergreifend für jedes individuelle Gemüt –das ist der Glanz von Händels
überindividueller Musik.“
Jens Jessen (Die Zeit)
Weiterhin im Programm
9. Philharmonisches Konzert
05., 06. & 08.07. / 19.30 Uhr
Theater Stralsund: Großes Haus
09.07. / 18.00 Uhr
Theater Putbus
Die Werkstatt der Schmetterlinge
Ritter Rost
Außerdem
Der Diener zweier Herren
Theaterball mit Preisverleihung
Bleib auf dem Laufenden: JUNI LEPORELLO
Vorschau
9. Philharmonisches Konzert
„Was die jungen Musiker nach Leipzig zog, war … der Umgang mit in ihrer Kunst bedeutenden Männern und das ganze musikalische Leben und Treiben, was sie damals nirgends so entwickelt und so konzentriert fanden wie gerade in Leipzig.“
Alfred Richter
Felix Mendelssohn Bartholdy
Ouvertüre zu
„Ein Sommernachtstraum“ op. 21
Konzert für Klavier und Orchester a-Moll op. 54
Solist: Michail Lifits, Klavier
Arthur Sullivan
Sinfonie in E-Dur Deutsche Erstaufführung
Philharmonisches Orchester Vorpommern
Dirigent: GMD Florian Csizmadia
05. & 06.07.2023 , 19.30 Uhr, Stralsund (Großes Haus)
09.07.2023 , 18.00 Uhr, Putbus (Theater)
Herausgeber:
Theater Vorpommern GmbH, Stralsund – Greifswald – Putbus, Spielzeit 2022/23
Geschäftsführung:
Ralf Dörnen, Intendant
Peter van Slooten, Verwaltungsdirektor
Textnachweise:
Impressum
Redaktion: Stephanie Langenberg
Gestaltung: giraffentoast
Bei den Texten handelt es sich um Originalbeiträge für dieses Heft von Dr. Florian Csizmadia unter Zuhilfenahme u. a. folgender Quellen: Donald Burrows, Handel, Oxford 2012; Christopher Hogwood, Handel: Water Music and Music for the Royal Fireworks, Cambridge 2005; Hans Joachim Marx: „Händels lateinische Motette Silete venti (HWV 242) – Ein Auftragswerk für Paris?“, in: Hans Joachim Marx / Wolfgang Sandberger (Hrsg.), Göttinger Händel-Beiträge Bd. 14, Göttingen 2012, S. 153–165. Übersetzung von „Silete venti“: Katja Pfeifer.
Bildnachweise:
S. 3: Katharina Constanti © Peter van Heesen; S. 4: Gloria Cretu, unsplash.com, S. 6: Gautier Salles, unsplash.com, S. 8: Pignatta: Montmartre, pixabay.com; S. 10: Tower Bridge, freepick.com, S. 14: Erin Doering, unsplash.com.
Robert Schumann