9. Philharmonisches Konzert
Felix Mendelssohn Bartholdy (1809 – 1847)
Ouvertüre zu „Ein Sommernachtstraum“ op. 21
Allegro di molto
Robert Schumann (1810 – 1856)
Konzert für Klavier und Orchester a-Moll op. 54
1. Allegro affettuoso
2. Intermezzo
3. Allegro vivace
– Pause –
Arthur Sullivan (1842 – 1900)
Sinfonie in E
Deutsche Erstaufführung
1. Andante – Allegro, ma non troppo vivace
2. Andante espressivo
3. Allegretto
4. Allegro vivace e con brio
Solist: Michail Lifits, Klavier
Philharmonisches Orchester Vorpommern
Dirigent: GMD Florian Csizmadia
05. & 06. Juli 2023, Stralsund (Großes Haus)
09. Juli 2023, Putbus (Theater)
Michail Lifits studierte an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover in den Meisterklassen von Karl-Heinz Kämmerling und Bernd Goetzke. Prägende künstlerische Einflüsse erhielt er darüber hinaus im Aufbaustudiengang bei Boris Petrushansky an der Internationalen Klavierakademie Incontri col Maestro in Imola (Italien). Den Gewinner des 57. Internationalen Klavierwettbewerbs Ferrucio Busoni führten zahlreiche Konzerte in alle Welt. Er ist ein gern gesehener Gast auf namhaften internationalen Festivals: bei den BBC Proms, beim Festival d’Auvers-sur-Oise und dem Klavier-
Festival Ruhr, um nur einige zu nennen. Neben seiner solistischen Tätigkeit ist Michail Lifits ein ebenso leidenschaftlicher wie auch gefragter Kammermusiker. Seit 2011 ist er Exklusivkünstler bei DECCA. Im April 2022 wurde er zum Professor für Klavier an die Hochschule für Musik „Franz Liszt“ Weimar berufen. Nachdem Michail Lifits im Oktober 2021 im Rahmen des 2. Philharmonischen Konzertes mit Werken von George Gershwin am Theater Vorpommern gastierte, ist er hier nun erneut als Solist unter der Leitung von GMD Florian Csizmadia zu erleben.
Liebe Gäste, wir möchten Sie darauf aufmerksam machen, dass Ton- und/oder Bildaufnahmen unserer Aufführungen aus urheberrechtlichen Gründen untersagt sind. Vielen Dank.
Felix Mendelssohn Bartholdy: Ouvertüre zu
Mendelssohn in einem Brief an seine Schwester Fanny am 4. Juli 1826
Bei den berühmten „Sonntagsmusiken“ im Sommerhaus der Mendelssohns, wo die Familie regelmäßig mit Freunden zusammenkam, wurde nicht nur gerne musiziert, sondern auch viel gelesen, oftmals mit verteilten Rollen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren die deutschen Übersetzungen der Shakespearetexte von August Wilhelm Schlegel und Ludwig Tieck in aller Munde; allen voran an Beliebtheit übertrumpfend: „Der Sommernachtstraum“, der aus vielerlei Gründen mit seiner Gedankenwelt dem Geist der Berliner Romantiker entsprach. Die Nacht, der Wald und märchenhafte Stoffe waren es, die eine inspirierende Umgebung schufen bzw. ein Lebensgefühl transportierten, das ihren Vorstellungen und Idealen Ausdruck verlieh. In diesem Milieu, umgeben von interessanten Persönlichkeiten, Künstlern und Gelehrten, in dieser Sommeridylle aus Musik, Rollenspiel und Poesie hatte es sich der junge Mendelssohn zur Gewohnheit gemacht, im Garten lustwandelnd „zu träumen und zu komponieren“. Auch er war ein begeisterter Shakespeare-Fan und mit seinen 17 Jahren von einem unbeschreiblichen Shakespeare-
Fieber ergriffen, das ihn im Juli 1826 zu einer Komposition zum „Sommernachtstraum“ anregte. Innerhalb weniger Wochen schrieb er seine Konzertouvertüre nieder, zunächst in einer Fassung für Klavier zu vier Händen, dann in einer Orchesterfassung, welche erstmals in privatem Rahmen erklang. Der Schauspieler und Sänger Eduard Devrient, mit dem Mendelssohn befreundet war, wohnte diesen ersten Aufführungen bei: „Nachdem wir das Werk öfters vierhändig, dann auch im Gartensaale mit vollem Orchester gehört – das des Komponisten Intentionen erst vollständig ins Licht stellte –, erkannten alle Freunde den epochemachenden Wert dieser Schöpfung. Hier erschienen die lebendige Auffassung, das leise Gefühl, die feine Reizbarkeit für poetische Schönheit, die Empfindsamkeit und der anmutige Humor von Felixʼ Wesen auf einmal in vollem Reichtum. Alles Eigenschaften, welche erwiesen, dass er zur charakteristischen, zur dramatischen Musik vornehmlich berufen sei.“ Ein Geniestreich!
Am 20. Februar des folgenden Jahres fand bereits die erste öffentliche Aufführung der Konzertouvertüre op. 21 statt:
„Ein Sommernachtstraum“ op. 21
„Heute oder morgen will ich dort midsummer night’s dream zu träumen anfangen. Es ist aber eine grenzenlose Kühnheit!“
Am Dirigentenpult stand kein Geringerer als der Balladen-Komponist Carl Loewe, der das Werk mit großem Erfolg in Stettin aus der Taufe hob. Zwei Jahre darauf, am 24. Juni 1829, dirigierte Mendelssohn selbst sein Opus in London, wonach es im Jahr 1830 bereits in New York präsentiert wurde und sein Schöpfer in aller Welt zu Ruhm gelangte.
„Mit dieser Ouvertüre schuf der siebzehnjährige Jüngling ein durchaus eigenartiges Werk, welches kein anderer als eben er hätte schaffen können“, urteilte Carl Reinecke. Mendelssohn hatte eine neue Form entwickelt. Eine Ouvertüre, die nicht mehr als Einleitung verstanden wird, wonach etwas anderes folgt, keinen Auftakt also, sondern ein in sich geschlossenes, eigenständiges Werk, das eigens für den Rahmen einer konzertanten Aufführung gedacht ist. Dabei ist die programmbezogene Anlage der Musik deutlich hörbar und auch von Mendelssohn als solche konzipiert und intendiert: „Ich glaube, es würde genügen, zu erinnern, wie die Elfenkönige Oberon und Titania mit ihrem ganzen Volke fortwährend im Stücke erscheinen, bald hier, bald dort; dann kommt ein Herzog Theseus von Athen und geht mit seiner Braut in den Wald auf die Jagd, dann zwei zarte Liebespaare, die sich verlieren und wiederfinden, endlich ein Trupp täppischer, grober Handwerksgesellen, die ihren plumpen Spaß treiben, dann wieder die Elfen, die sie alle necken – und daraus baut sich eben das Stück. Wenn am Ende sich alles gut gelöst hat und die Hauptpersonen glücklich und in Freuden abgehen, so kommen die Elfen ihnen nach und segnen das Haus und verschwinden, wie es Morgen wird. So endigt das Stück und auch meine Ouvertüre.“
Formal der Sonatenform mit Exposition, Durchführung und veritabler Reprise folgend, lassen sich einzelne Motive als Darstellung bestimmter Figuren deuten – so beispielsweise die Eselsrufe mit den absteigenden Nonen –, doch ist es mitnichten Mendelssohns Anliegen, den Ablauf der Handlung musikalisch zu bebildern, als vielmehr die zauberhafte, magische Atmosphäre der Elfenwelt zu beschreiben, in die sich der Hörer hineinträumen kann. Mendelssohn bezeichnete seine Ouvertüre als den „besten Stücken[n]“ zugehörig, „die ich bis jetzt dem Publikum übergeben habe“, und als „eins meiner Lieblingsstücke“. Als er 17 Jahre nach der Vollendung seines Opus 21 von König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen den Auftrag erhielt, Musik für eine Schauspielaufführung vom „Sommernachtstraum“ zu schreiben, nahm Mendelssohn, der mittlerweile in Leipzig lebte, seine jugendfrische Partitur der Ouvertüre wieder zur Hand, stellte sie seinem Opus 61 voran und ergänzte sie um weitere Nummern zu einer stilistischen Einheit. Am 14. Oktober 1843 kam die Schauspielmusik im Neuen Palais in Potsdam zur Uraufführung, aus der vor allem das Scherzo und der Hochzeitsmarsch Weltruhm erlangten.
„Die Blüte der Jugend liegt über [die Ouvertüre] ausgegossen, wie kaum über ein anderes Werk des Komponisten, der fertige Meister tat in glücklichster Minute seinen ersten höchsten Flug.“
Robert SchumannRobert Schumann: Konzert für Klavier und Orchester a-Moll op. 54
„Verlieh dir der Himmel eine rege Fantasie, so wirst du in einsamen Stunden wohl oft wie festgebannt am Flügel sitzen, in Harmonien dein Inneres aussprechen wollen, und umso geheimnisvoller wirst du dich wie in magische Kreise gezogen fühlen, je unklarer dir vielleicht das Harmonienreich noch ist.“
Robert SchumannSchumann spricht aus Erfahrung. Es ist leicht sich vorzustellen, wie der Komponist viele Stunden seines Lebens selbstversunken am Klavier zugebracht haben mochte, in denen er nach der richtigen Form suchte, seinen Gefühlen musikalischen Ausdruck zu verleihen. „Mensch und Musiker versuchten sich immer gleichzeitig bei mir auszusprechen“, wie er sagte. Von den Zeitgenossen eher als „wortkarg“ beschrieben, bezieht sich Schumann hier wohl auf seine Musik, die nach außen gekehrte Innerlichkeit ist.
Die musikalische Intention Schumanns wird besonders deutlich, schaut man sich die Entstehungsgeschichte seines Klavierkonzerts a-Moll op. 54 an. Die Idee zu einem Klavierkonzert äußerte er bereits 1833 in einem Brief an seinen Klavierlehrer Friedrich Wieck: „Ich denke mir, das Klavierkonzert müsse aus C-Dur oder a-Moll gehen.“ Kurz zuvor hatte er seine Virtuosenlaufbahn als Pianist aufgeben müssen, da ein Selbstversuch, seinen schwächsten Finger zu trainieren, eine Lähmung desselben zur Folge hatte. Er konzentrierte sich seither auf das Komponieren, wobei er immer von seinem Instrument, dem Klavier, ausging. Nach seinem „Liederjahr“ 1840 widmete er sich schließlich der Komposition von Orchesterwerken. Eines der bedeutendsten Werke aus dieser Zeit war eine einsätzige „Fantasie für Klavier und Orchester“.
Entgegen dem Geschmack des damaligen Publikums verzichtete Schumann hier bewusst auf den Tastenzauber und die Effekthascherei der Pianoforte-Musiken, die in jedem Konzert zu hören waren und durch Bearbeitungen für den häuslichen Gebrauch für jeden Dilettanten „spielbar“ wurden. In Schumanns „Fantasie“ war der Solist neben dem
Orchester gleichberechtigt. Er hatte wenig Möglichkeiten, sich in den Vordergrund zu spielen und zu glänzen, was jedoch nicht bedeutet, dass Schumann gänzlich auf Virtuosität verzichtete –schließlich hatte er das Werk für eine Klavier-Virtuosin geschrieben: für seine Frau Clara. „Das Klavier ist auf das Feinste mit dem Orchester verwebt. Man kann sich das eine nicht denken ohne das andere“, konstatierte sie. Während Clara dieses Novum als eine spezifische Qualität des Werkes schätzte, standen die Musikverlage ihm eher skeptisch gegenüber. Einen geringen Absatz befürchtend, fand sich kein Verlag, der Schumanns Werk drucken wollte.
„Wir müssen getrost den Genius abwarten, der uns in neuer glänzender Weise zeigt, wie das Orchester mit dem Klavier zu verbinden sei “, meinte Robert Schumann. Vier Jahre später ergänzte er seine „Fantasie“ zunächst durch den dritten und dann durch den zweiten Satz zu einem Konzert. Mit Clara als Solistin und unter der musikalischen Leitung von Ferdinand Hiller erlebte das Klavierkonzert a-Moll op. 54 am 4. Dezember 1845 im „Hotel de Saxe“ in Dresden seine Uraufführung. Der Rezensent in der Dresdner Abendzeitung war begeistert:
„Wir gestehen offen, seit langem nicht eine so interessante Pianofortekomposition gehört zu haben, als dieses Konzert … gemütliche Zartheit und Innigkeit neben Energie und leidenschaftlicher Kraft, kenntnisreiche Verwendung der Effekte ohne Effekthascherei … [Die Sätze] sind aus einem Gusse, aus einer poetischen Idee entsprungen, und leicht ließe sich aus diesen Tönen heraus ein Stück Geschichte eines Menschenherzen schreiben!“
Schumann selbst sah sein Klavierkonzert als ein „Mittelding zwischen Sinfonie, Konzert und großer Sonate“. Anstelle einer langen orchestralen Einleitung bildet der Ton E, den das Orchester im Unisono anstimmt, den Auftakt für den Klaviereinsatz, der mit kraftvoll vorwärtsdrängenden Akkorden beginnt. Alsdann erklingt das lyrisch-träumerische Hauptthema, das zuerst von den Holzbläsern vorgetragen wird, bevor es das Klavier aufnimmt. Es ist durch die Tonfolge C - H - A - A gekennzeichnet, die für die italienische Form des Namens Clara steht: CHiArA. Aus diesem Tonmaterial, wobei das Seitenthema daselbst eine Variante des Hauptthemas darstellt, entwickelt Schumann den gesamten ersten Satz, der in einer grandiosen Kadenz gipfelt.
Der zweite Satz erinnert an einen weit ausgesponnenen Dialog. Es ist ein Zwiegespräch voller Innigkeit, ein zartes Wechselspiel zwischen Holzbläsern, Horn, Streichern und Soloinstrument. Es folgt der dritte Satz, den Schumann zunächst als Rondo konzipierte, zuletzt jedoch als Sonatensatz anlegte. Dieser Schlusssatz lebt aus dem reizvollen Kontrast zwischen dem markant rhythmisierenden Hauptthema im 3/4-Takt und dem hemiolischen Seitenthema, das zuerst von den Streichern vorgetragen wird. „Robert hat zu seiner Fantasie für Klavier und Orchester in a-Moll einen letzten schönen Satz gemacht, so dass es nun ein Konzert geworden ist “, schrieb Clara Schumann in ihr Tagebuch. „Ich freue mich sehr darüber, denn es fehlte mir immer an einem größeren Bravourstück von ihm.“
Das Klavierkonzert a-Moll repräsentiert einen neuen Konzerttyp, der zwar auf der klassischen Sonatenform basiert, diese jedoch frei behandelt, um der poetischen Idee Raum zu geben. Es eroberte schnell die Herzen des Publikums – Clara spielte es über einhundertmal öffentlich. Heute gehört es zu den meistaufgeführten Werken der Konzertliteratur.
„Wir haben alle Ursache, diese Komposition sehr hoch zu stellen und sie den besten des Tonsetzers anzureihen, namentlich auch deshalb, weil sie die gewöhnliche Monotonie der Gattung glücklich vermeidet und der vollständig obligaten, mit großer Liebe und Sorgfalt gearbeiteten Orchesterpartie, ohne den Eindruck der Pianoleistung zu beeinträchtigen, ihr volles Recht widerfahren lässt und beiden Teilen ihre Selbstständigkeit in schöner Verbindung zu wahren weiß.“
Bericht in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung vom 31.12.1841
Arthur Sullivan: Sinfonie in E
„Was die jungen Musiker nach Leipzig zog, war … der Umgang mit in ihrer Kunst bedeutenden Männern und das ganze musikalische Leben und Treiben, was sie damals nirgends so entwickelt und so konzentriert fanden wie gerade in Leipzig.“
Alfred RichterDie Geschichte von Arthur Sullivans einziger Sinfonie beginnt genau genommen in den 1830er und 40er Jahren: Felix Mendelssohn Bartholdy bereiste die Britischen Inseln insgesamt zehn Mal, konzertierte dort als Pianist, Organist und Dirigent und avancierte zu einem der meistgespielten Komponisten seiner Zeit. Höhepunkt seiner Reputation war, ein Jahr vor seinem frühen Tod, die Uraufführung des eigens für Birmingham geschriebenen Oratoriums „Elias“, das in Großbritannien zum meistaufgeführten Chorwerk des 19. Jahrhunderts wurde. Mendelssohns Musik prägte bis in die zweite Jahrhunderthälfte das britische Musikleben und den Musikgeschmack – mit der Schattenseite, dass der deutsche Komponist zu einer Art „Übervater“ wurde, dessen Einfluss das Schaffen britischer Komponisten lähmte. Erst ab den 1880er Jahren konnte sich eine jüngere Generation allmählich von Mendelssohns Einfluss lösen und zu mehr Eigenständigkeit finden. Eine der wenigen Ausnahmen für ein Werk, das sich zwar grundsätzlich in Mendelssohns Fahrwasser bewegt, aber so hohe Qualitäten besitzt, dass eine Wiederaufführung gerechtfertigt scheint, ist Arthur Sullivans Sinfonie von 1866. Nach Mendelssohns Tod wurde zu dessen Andenken in London das Mendelssohn-Stipendium ins Leben gerufen, das bis heute in unregelmäßigen Abständen vergeben wird und einem Studenten der Royal Academy of Music einen Studienaufenthalt am von Mendelssohn mitgegründeten Leipziger Konservatorium ermöglicht. Erster Empfänger dieses Stipendiums war 1856 der hochbegabte, erst 14-jährige Arthur Sullivan. Drei Jahre lang, 1858–61, studierte er in Leipzig Komposition (unter anderem bei Carl Reinecke, dessen Flötenkonzert wir kürz-
lich aufgeführt haben), Kontrapunkt und Klavier. Zu seinen Studienkollegen zählte der ein Jahr jüngere Edvard Grieg. Nach England zurückgekehrt, verdiente Sullivan seinen Lebensunterhalt zunächst als Organist; seine bis 1870 entstandenen Werke weisen unübersehbar darauf hin, dass er sich als Sinfoniker etablieren wollte: Außer der Sinfonie entstanden drei Konzertouvertüren und ein Cellokonzert. Trotz einer positiven Rezeption dieser Werke konnte sich Sullivan jedoch in einem Konzertleben, das exklusiv germanophil ausgerichtet war, nicht dauerhaft durchsetzen: Er war der sprichwörtliche Prophet, der im eigenen Land wenig gilt.
Ab 1871 entwickelte Sullivan in Zusammenarbeit mit dem Librettisten William Schwenck Gilbert eine individuelle Form der komischen Oper, mit der er im angloamerikanischen Sprachraum zum bis heute berühmtesten und meistgespielten britischen Komponisten des 19. Jahrhunderts wurde. „Gilbert & Sullivan“ (oft abgekürzt zu „G&S“) wurde zu einer Art Markenzeichen, was es mit sich brachte, dass man sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung als auch in der Musikgeschichtsschreibung Sullivan einseitig der leichten Muse zuordnete. Es sei aber erwähnt, dass Sullivan nach seiner Hinwendung zur komischen Oper die Arbeit für den Konzertsaal weitgehend aufgab und sich dadurch nicht dauerhaft als Sinfoniker etablieren konnte. Er beugte sich damit soziokulturellen und sicher auch ökonomischen Umständen. Wie die Geschichte der britischen Sinfonik verlaufen wäre, wenn er weitere Sinfonien komponiert hätte, muss Spekulation bleiben.
Sullivans Sinfonie wurde zwar zu Lebzeiten des Komponisten einige Male aus dem Manuskript aufgeführt, konnte sich aber nicht im Repertoire durchsetzen und wurde erst 1915, 15 Jahre nach dem Tod des Komponisten, gedruckt. Wiederentdeckt wurde sie 1968 im Rahmen einer Schallplattenaufnahme, der mittlerweile immerhin drei weitere Aufnahmen folgten; auch heute ist sie in England kein fester Bestandteil des Konzertrepertoires. In Deutschland hingegen wurde das Werk nach aktuellem Forschungsstand bislang noch nie gespielt und erlebt in unseren Konzerten seine Deutsche Erstaufführung . Sullivan hatte zwar 1867 versucht, eine Aufführung in Leipzig zustande zu bringen, und das legendäre Gewandhausorchester hat das Werk zumindest in einer Probe durchgespielt; zu einem öffentlichen Konzert war es jedoch nicht gekommen.
Sullivan begann die Arbeit an der Sinfonie 1863, zwei Jahre nach seinem Studienabschluss, und beendete sie 1866. In diesem Jahr brachte er sie auch – er war erst 24 Jahre alt – in London zur erfolgreichen Uraufführung. Wichtig ist eine korrekte musikhistorische Einordnung des Werks: Das Jahr der Uraufführung lag mitten in einem Zeitraum, der später oft als Übergangsperiode der Sinfonik angesehen wurde, zwischen der letzten Sinfonie von Robert Schumann (1851) und der ersten von Johannes Brahms (1876). Einen revolutionären Neuansatz darf man von Sullivan nicht erwarten, und die enge Anlehnung insbesondere an Mendelssohn mag man ihm posthum als Schwäche anrechnen. Weitere hörbare Einflüsse sind Schumann und Franz Schubert, dessen Große C-Dur-Sinfonie bei Sullivan im Finale fast zitathaft anklingt. Dennoch
schneidet Sullivans Werk in einem Vergleich mit anderen Sinfonien der damaligen Zeit, z. B. mit denen seiner exakten Generationsgenossen Antonín Dvořák (1. und 2. Sinfonie beide 1865) und Peter Tschaikowskij (1. Sinfonie 1866) oder auch dem 18 Jahre älteren Anton Bruckner (1. Sinfonie 1866), nicht nur nicht schlecht ab, sondern stellt sie sogar deutlich in den Schatten: In der Beherrschung von Form und Durchführung des Materials ist Sullivans Sinfonie um einiges gelungener und wirkt ungleich reifer. Besonders bemerkenswert ist die Instrumentation, die nicht nur ein makelloses Handwerk verrät, sondern von hoher Imaginationskraft und Virtuosität geprägt ist. Ein hervorstechendes Merkmal ist zudem die unerschöpfliche melodische Erfindungsgabe, die erkennen lässt, warum Sullivan prädestiniert war, erfolgreich für das Theater zu komponieren und mit seiner Musik ein breites Publikum zu begeistern.
Ein interessanter Zug ist die tonale Anlage: Der erste Satz steht in e-Moll, hat aber eine Einleitung in E-Dur, was äußerst ungewöhnlich ist und zu der Bezeichnung „Sinfonie in E“ geführt hat, d. h. ohne Angabe von Dur oder Moll. Meines Wissens das einzige Beispiel aus der bisherigen Sinfonik ist Mendelssohns Reformations-Sinfonie, die nach der Uraufführung vom Komponisten aber zurückgezogen worden war und zum Zeitpunkt der Komposition von Sullivans Sinfonie noch nicht gedruckt vorlag. Auch eine Passage in Sullivans Einleitung verweist auf diejenige von Mendelssohns Werk, konkret auf das dort zitierte sogenannte „Dresdner Amen“. Wenn es sich nicht um einen Zufall handelt, so kann dies nur bedeuten, dass Sullivan Mendelssohns Sinfonie in Leipzig im Manuskript studiert haben muss.
Der Hauptteil des ersten Satzes trägt echt romantischen Sturm-und-DrangCharakter: Das unruhige Hauptthema wird über repetierten Bläserakkorden exponiert, die an Mendelssohns „Italienische Sinfonie“ erinnern; das schwärmerische Seitenthema sorgt zwar für einen momentanen Kontrast, kann sich allerdings gegen das Hauptthema nicht durchsetzen, das den Charakter des Satzes fast durchweg prägt. Die dramatischen Konflikte werden bis zum Schluss nicht gelöst, und der Satz endet nach einem drängenden Schlussabschnitt mit wuchtigen Akkorden in Moll. Der zweite, langsame Satz ist ein tiefinnerliches „Lied ohne Worte“, dessen einziges Thema nach einer Einleitung in der aparten Kombination von Hörnern und Posaune vorgestellt wird. Das folgende Scherzo ist ungewöhnlicherweise als Marsch gestaltet und lässt die Oboe mehrmals quasi konzertant hervortreten. Das Finale mag der moderne Hörer, geprägt durch die Hörerfahrungen mit den späteren Sinfonien von Brahms, Bruckner oder Gustav Mahler, vielleicht als zu leichtgewichtig empfinden. Sullivan steht hier noch in der Tradition der Wiener Klassik und des frühen 19. Jahrhunderts, in der eine Sinfonie noch kein metaphysisches Kunstwerk war (einige Beispiele bei Beethoven ausgenommen). Das Drama findet im ersten Satz statt, während das Finale einen unbeschwerten, heiteren und virtuosen Kehraus darstellt, dessen zunehmend hymnischer Schwung von unwiderstehlich mitreißender Kraft ist und darin insbesondere an die Schlusssätze der Sinfonien von Schumann erinnert. Eine Erwähnung verdient der gelegentlich zu lesende Untertitel „Irische Sinfonie“, der dem Werk von Sullivan 1893 inoffiziell beigelegt wurde. Er behaup-
tete, der Titel sei bereits während der Kompositionsarbeit vorgesehen gewesen, er hätte von ihm jedoch Abstand genommen, weil er eine allzu große Nähe zu Mendelssohns „Schottischer Sinfonie“ suggeriert hätte. Als der britische Komponist Charles Villiers Stanford, auch er Reinecke-Schüler, 1887 seine 3. Sinfonie die „Irische“ nannte, schien Sullivan diese Vorsichtsmaßnahme obsolet. Allerdings wirkt Sullivans Darstellung nicht schlüssig: Der gebürtige Ire Stanford hatte seine Sinfonie die „Irische“ genannt, da er in ihr irische Volkslieder verarbeitet hatte, anders als Sullivan, der – obwohl ebenfalls irischer Abstammung – keine irischen Anklänge verwendet. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Sullivan seine Sinfonie durch einen Beinamen attraktiver machen wollte: Stanfords „Irische“ war um einiges erfolgreicher als Sullivans Sinfonie und wurde seinerzeit auch mehrfach in Deutschland aufgeführt.
Mit dem heutigen Programm stellen wir – nach einem ähnlich konzipierten Konzert 2018 (Sullivans „Macbeth“Ouvertüre, kombiniert mit Reinecke und Schumann) – ein weiteres Mal die musikhistorisch so wichtige Leipziger Schule ins Zentrum unserer Arbeit, wollen aber auch zeigen, dass es selbst aus einer so gut dokumentierten Epoche noch Werke wiederzuentdecken und vor allem -aufzuführen gibt.
Die Leipziger Notenspur – Musik auf Schritt und Tritt
Musik ist das Aushängeschild der Stadt Leipzig. Bei einem Stadtspaziergang auf der Leipziger Notenspur erlebt man Schritt für Schritt die Musik weltberühmter Komponist*innen an ihren Inspirationsorten. Infostelen, App, Edelstahlelemente im Boden, „Klangdusche“ und Hörbeispiele unterstützen bei der Entdeckungsreise.
Wir wünschen Ihnen eine musikalische Sommerzeit!
Vorschau
1. Philharmonisches Konzert
„Wir brauchen nötigst viel, viel Mozart!!!“
Max Reger
Peter Eötvös: Dialog mit Mozart – Da capo für Orchester
Wolfgang Amadeus Mozart: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 23 A-Dur KV 488
Max Reger:
Variationen und Fuge über ein Thema von Mozart op. 132 (nur in Stralsund und Greifswald)
Wolfgang Amadeus Mozart: Sinfonie Nr. 38 D-Dur KV 504, „Prager Sinfonie“ (nur in Putbus)
Solist: Dominic Chamot, Klavier
Philharmonisches Orchester Vorpommern
Dirigent: GMD Florian Csizmadia
23. & 24.08.2023, 19.30 Uhr, Stralsund (Großes Haus)
26.08.2023, 19.30 Uhr, Putbus (Theater)
05.09.2023, 19.30 Uhr, Greifswald (Stadthalle: Kaisersaal)
Vom 17.07. bis 15.08. sind das Theater Greifswald und das Theater Stralsund in den Ferien.
Auch die Theaterkassen und der Besucherservice sind in der Zeit geschlossen. Das Theater Putbus spielt aber weiterhin für Sie.
Wir wünschen Ihnen einen schönen Sommer!
Die Werkstatt der Schmetterlinge
Ritter Rost
Der Diener zweier Herren
Bleib auf dem Laufenden: THEATER PUTBUS
Der NEWSLETTER des Theaters Vorpommern
Herausgeber:
Theater Vorpommern GmbH, Stralsund – Greifswald – Putbus, Spielzeit 2022/23
Geschäftsführung:
Ralf Dörnen, Intendant
Peter van Slooten, Verwaltungsdirektor
Textnachweise:
Impressum
Redaktion: Stephanie Langenberg
Gestaltung: giraffentoast
Bei den Texten handelt es sich um Originalbeiträge für dieses Heft von Stephanie Langenberg (S. 4-9) und Dr. Florian Csizmadia (S. 10-13) unter Zuhilfenahme u. a. folgender Quellen: Christian Martin Schmidt: Vorwort zu Mendelssohns Konzert-Ouvertüre Nr. 1 „Ein Sommernachtstraum“, Urtext der Leipziger Mendelssohn-Ausgabe von Breitkopf & Härtel, Leipzig 2005; Hans Christoph Worbs: Artikel „Ein Sommernachtstraum“ von Felix Mendelssohn Bartholdy, in: Harenberg Konzertführer, Dortmund 1996, S. 524-525; Hans Christoph Worbs: Artikel „Klavierkonzert a-Moll op. 54“ von Robert Schumann, in: Harenberg Konzertführer, Dortmund 1996, S. 774; Joachim Draheim: Artikel zu Schumanns Klavierkonzert a-Moll op. 54, in: Schumann-Handbuch, hrsg. v. Ulrich Taddey, Stuttgart 2006, S. 379-385; Percy M. Young, Sir Arthur Sullivan, London 1971; Benedict Taylor: „Sullivan as Instrumental Composer: The Symphony & Orchestral Music“, in: Albert Gier/Meinhard Saremba/Benedict Taylor (Hrsg.), Sullivan Perspektiven, Essen 2012.
Bildnachweise:
S. 3: Michail Lifits, © Felix Broede; S. 6: Bösendorfer Klavier, © scholacantorum auf pixabay; S. 8/9: Innenhof Uni mit Paulinum und Augusteum Leipzig, © Philipp Kirschner/Leipziger Notenspur; S. 10: Neues Gewandhaus Leipzig, © Yair Haklai auf Wikimedia Commons; S. 14: Notenspur-Intarsie, © Philipp Kirschner/Leipziger Notenspur.
Wir danken dem Verein „Notenspur Leipzig e. V.“ für die Genehmigung der Verwendung der Fotos auf den Seiten 8/9 und 14 in diesem Heft. „Notenspur“ ist eine eingetragene Wortmarke. Markeninhaber ist der Notenspur Leipzig e. V., Urheber Prof. Dr. Werner Schneider.