der herzerlfresser von Ferdinand Schmalz
der herzerlfresser von Ferdinand Schmalz
gangsterer andi
Philipp Staschull acker rudi
Markus Voigt
fauna florentina
Amelie Kriss-Heinrich pfeil herbert
fußpflegeirene
Inszenierung
Bühne & Kostüme
Olivier Günter
Susanne Kreckel
Niklas Ritter
Annegret Riediger Musik Ludger Nowak
Dramaturgie
Nadja Hess
Regieassistenz & Abendspielleitung Bénédicte Gourrin
Inspizienz
Soufflage
Mitarbeit Layout Bühne
Jürgen Meier
Elke Zeh
Fritz Räcke
Premiere in Stralsund , 23. März 2024, Gustav-Adolf-Saal
Premiere in Putbus , 10. April 2024
Premiere in Greifswald , 20. April 2024, Stadthalle / Rubenowsaal
Aufführungsdauer:
ca. 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause
Aufführungsrechte:
S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Ausstattungsleiterin: Eva Humburg / Technischer Direktor: Christof Schaaf / Licht: Raik Motczinski, Friedemann Drengk Bühnentechnische Einrichtung: Fred Schulz-Weingarten, Andreas Franke, Philipp Rimkus / Toneinrichtung: Samuel Zinnecker Leitung Bühnentechnik: Michael Schmidt, Robert Nicolaus / Leitung Beleuchtung: Kirsten Heitmann / Leitung Ton: Daniel Kelm / Leitung Requisite: Alexander Baki-Jewitsch, Christian Porm / Bühne & Werkstätten: Produktionsleiterin: Eva Humburg / Tischlerei: Stefan Schaldach, Bernd Dahlmann, Kristin Loleit / Schlosserei: Michael Treichel, Ingolf Burmeister / Malsaal: Anja Miranowitsch, Fernando Casas Garcia, Sven Greiner / Dekoration: Frank Metzner / Kostüm & Werkstätten: Leiter der Kostümabteilung: Peter Plaschek / Gewandmeisterinnen: Annegret Päßler, Carola Bartsch Modisterei: Elke Kricheldorf / Maske: Tali Rabea Breuer, Jill Dahm, Antje Kwiatkowski, Kateryna Maliarchuk, Ilka Stelter
acker rudi
fauna florentina
gangsterer andi
pfeil herbert
fußpflegeirene
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Das Theater Vorpommern wird getragen durch die Hansestadt Stralsund, die Universitäts- und Hansestadt Greifswald und den Landkreis Vorpommern-Rügen.
Es wird gefördert durch das Ministerium für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und EU-Angelegenheiten des Landes Mecklenburg-Vorpommern.
„in der enge unsrer herzen tragen wir die ganze liebe dieser welt, und könnten glücklich sein. wir könnten glücklich sein, wenn wir nur eine sprache hätten. eine sprache, diese liebe auch zu teilen. könnten wir die liebe nur in worte packen, pressen, stopfen, dann könnten wir sie mitteilbar durch worte machen, diese liebe, die da drinnen in der enge wütet. nur ist die sprache leider noch viel enger als die herzen. da passt buchstäblich nichts hinein. mit worten lässt sich nichts über die liebe sagen.“
pfeil herbert in „der herzerlfresser“ von Ferdinand Schmalz
Denkanstöße zu „der herzerlfresser“
Das neue Einkaufszentrum am Rand der Kleinstadt ist eine echte Herzensangelegenheit des Bürgermeisters acker rudi , denn für ihn ist es ein wichtiger Baustein für die Zukunft seiner Gemeinde. Dieses „zenter“ soll aber nicht nur Aufschwung und Lebensqualität bringen, sondern auch ein Ort der Begegnung für die Bürger*innen werden. Doch der Konsumtempel ist auf sumpfigem Grund gebaut und die autark draußen in der Natur lebende fauna florentina hat das Center von Anfang an für keine gute Idee gehalten. Kurz vor dem Eröffnungsfest drängt bereits braunes Moorwasser durch das Fundament. Als dann auch noch zwei Frauenleichen ohne Herz auf dem Gelände entdeckt werden, gerät der Bürgermeister ziemlich unter Druck. Kann fußpflegeirene ihm helfen, trittfest zu bleiben? Und wird der Wachmann gangsterer andi seiner neuen Aufgabe als verdeckter Ermittler gewachsen sein?
Auf den ersten Blick ist „der herzerlfresser“ ein Kriminalstück mit Schauer-Momenten dank einer historisch belegten Frauenmord-Serie Ende des 18. Jahrhunderts als Inspirationsquelle. Auf den zweiten Blick geht es um die Standort- und Entwicklungsprobleme strukturschwacher Regionen und die Visionen, die kleineren Städten das Überleben sichern sollen. Doch wie kann ein eher seelenloser Konsum-Ort auf der grünen Wiese zu einem warmherzigen Zentrum werden, wenn gleichzeitig die alte Ortsmitte verödet? Wird man im neuen „zenter“ tatsächlich das erhoffte Glück kaufen können? Und auf den dritten Blick wird dann klar, dass es vor allem um die Menschen geht, um die Menschen, die ihr inneres Zentrum, ihre Mitte verloren haben. Die leidvolle Erfahrung einer wachsenden emotionalen Einsamkeit und Vereinzelung ist ein Phänomen unserer Zeit. Die menschliche Ur-Sehnsucht nach einem Gegenüber, das Bedürfnis gesehen und geliebt zu werden bleiben in unserer durchökonomisierten Lebenswelt zunehmend unbefriedigt. Der Bürgermeister hat ein Gespür für diese Einsamkeit der Seelen. Doch womit werden die Kundinnen und Kunden die Leere ihrer Herzen füllen, wenn sie in das verheißungsvolle neue Einkaufscenter strömen? Mit den Waren aus der vielversprechenden Konsumwelt oder mit liebevollen zwischenmenschlichen Begegnungen an den Expresskassen? Und dann taucht da dieser Fremde auf, dieser pfeil herbert , der eine radikale Überwindung der Vereinzelung verspricht – ein Versprechen, das etwas Erlösendes und etwas Beängstigendes zugleich hat.
„Heutiges Schreiben muss sich mit dem Jetzt, in dem wir leben, in Bezug setzen und da auf leichtfüßige Weise neue Figuren auf die Bühne bringen oder eine neue Sprache, einen neuen Ton einbringen“ – so Ferdinand Schmalz in einem Interview. Beim Schreiben scheint er jedes Wort in der schillernden Vielfalt seiner Bedeutungen und Konnotationen zu betrachten und die Struktur jedes Satzes genau abzuwägen: „Ich versuche immer, eine Intensität oder Heftigkeit in der Sprache zu erzeugen. Das funktioniert viel über Umstellung der Satzstruktur über kleine Störungen über eine Rhythmisierung des Textes.“ Und dann entsteht ein Schmalz’sches
Kunstidiom, das dem bairisch-österreichischen Sprachraum ähnelt, aber definitiv kein Dialekt ist. Vielmehr will er mit seinen sprachlichen Bildern, den fein versponnenen Wortspielen, den Bruchstellen und dem Sprachgewebe aus Blankversen, chorischen Passagen und Kalauern Denkanstöße geben, „die zu rollen beginnen, die durch die glieder aller beteiligten zu rollen beginnen“ – auch durch die Köpfe und Körper der Zuschauenden.
das schreiben beginnt immer erst im kopf. auch wenn der erste anstoß von außen kommt. ein foto, ein bruchstück einer idee, eine uneindeutige geste, eine geschichte, die einem ein passagier während einer zugfahrt erzählt. wie dieser alte herr im zerschlissenen nadelstreifanzug, der mir gegenüber platz genommen hatte, der aus dem fenster deutete und meinte, da draußen hat er sein unwesen getrieben, er, der herzerlfresser. der dann begann, mir an meinem körper vorzuführen, wo man da reinschneiden müsste, um ans herz ranzukommen. von dem ich lange zeit dachte, er selbst sei der herzerlfresser. solche geschichten, die einen nicht loslassen, die einem immer wieder ins bewusstsein ragen. sind noch kein stück. da ist was dran. ja immer wieder kehrt das denken dann dorthin zurück. man geht, wie man zu sagen pflegt, hirnschwanger mit dem stoff. so eine hirnschwangerschaft kann jahre dauern, trägt man so eine geschichten da oben drin, dann mit sich rum. schwer liegen sie da drin im hirn. bis plötzlich sie sich wie aus dem nichts mit einer anderen idee, einer figur, oder einem setting wie von selbst verbinden. und ist man manchmal wie geschockt von dieser heftigkeit des aufeinandertreffens. im fall des herzerlfressers hat es mich in einem einkaufszentrum dann erwischt, da hab ich es begriffen, also es hat mich ein einfall ergriffen, nämlich, dass diese alte mär von dem paul reininger, der fünf frauenherzen aß, dass man die hier in eine shoppingwelt verpflanzen muss, in die postmoderne wüste eines solchen nicht-orts. und plötzlich rennt man dann wie ferngesteuert durch die gegend, verläuft sich da in diesem einkaufslabyrinth, weil da im hirn drin schon das schreiben angefangen hat. und fängt man an, sich dann ein nest zu bauen für das stück. das arbeitszimmer wuchert zu mit bildern und zitaten und mit wortrhizomen, wortfeldsuchen, die sich feinstverästelnd über alle wände ziehen. alles, was mit dem thema, mit den motiven in verbindung steht, wird rangeschafft, wird aufgesaugt in diese welt des stücks, die da gerade am entstehen ist. jeder fährte wird nachgegangen, sei sie auch noch so unscheinbar. bis man weiß, in welche ecke von dem kanon man das stück reinbaut. und natürlich könnte all das nur verzögerungstaktik sein, die man unbewusst gegen sich selbst ausspielt, aus angst davor, den ersten satz nun endlich aufs papier zu bringen. doch im endeffekt sind es diese produktiven umwege, die man guten stücken anmerkt. auch wenn nichts davon explizit im stücktext landet, formt es das denken und die sprache des selben.
Ferdinand SchmalzDer Herzlfresser Paul Reininger
Am 15. Januar 1786 verschwand die Dienstmagd und angehende Braut Magdalena Angerer auf dem Weg nach Hause. Ungefähr zwei Wochen später entdeckte man einige Kleiderreste und ihren Leichnam ohne Herz. Nur einen Monat später wurde der 32-jährige Knecht Paul Reininger des Mordes beschuldigt. In der Gegend um Kindberg in der österreichischen Steiermark war er bekannt für seinen lockeren Lebenswandel. Außerdem wusste man, dass er am Tag des Verschwindens der jungen Frau im Kindberger Gasthaus viel getrunken und sein gesamtes Geld verspielt hatte. Als man seine Habseligkeiten durchsuchte, fand man nicht nur die blutige Kleidung und den Brautkranz von Magdalena Angerer, sondern auch die Hälfte eines kleinen menschlichen Herzens. Beim Verhör gestand Paul Reininger fünf weitere Frauenmorde –der damals noch verbreitete Aberglaube, dass das Verspeisen menschlicher Herzen ihm Glück im Spiel bringen und ihn auch noch unsichtbar machen würde, hatte ihn zu den Taten veranlasst.
Am 24. April 1786 verurteilten ihn die Richter des Landgerichts zum Tod auf dem Rad. Doch Kaiser Josef II. änderte das Urteil ab zu je 100 Stockhieben an drei aufeinanderfolgenden Tagen und anschließendem Gefängnis auf Lebenszeit. Obwohl der Scharfrichter bei dem Vollzug der Strafe mehrere Stöcke zerbrach, überlebte Paul Reininger und starb schließlich am 11. November 1786 im Gefängnis. Heute erinnern der „Herzlfresserweg“, der vorbei an Schloss Oberkindberg zum Herzogberg führt, und das dort aufgestellte sogenannte „Herzlfresserkreuz“ an diese Mordtaten.
Ein Zenter & der Ausverkauf der Seele
In der Gesellschaft, in die der Wiedergänger des historischen Herzerlfressers einbricht, schlägt ein anderes Herz, als das, nach dem der Titelheld des Leibstücks von Ferdinand Schmalz sich verzehrt: das kalte Herz des Kapitalismus, das nur für den Konsum, nicht für den Mitmenschen klopft. Ihre Kathedralen sind Einkaufstempel, nach denen sich die Kundschaft, so beschreibt das Schmalz, in „sehnlichster erwartung“, sprechen wir es ruhig aus: verzehrt. Ein solcher Konsumtempel, das bereits erwähnte Einkaufszentrum ist Schauplatz des Stücks. Und den Konsumhunger, der die Menschen dort hinzieht, beschreibt der Autor als eine Art fehlgeleiteten Appetit, der aus ihrer „vielheit“ eine Einheit macht. Aus Individuen „unterschiedlichen alters“ eine letztlich anonyme Masse von Menschen mit austauschbaren Wünschen. Ferdinand Schmalz lässt die „kundenschaft“ wiederholt mit einer Stimme reden, im Chor. Wenn sie mit den Worten „o neue mitte, nimm uns auf, durch deine weiten pforten“ ins „zenter“ strömt, dann hat das etwas von einem kollektiven Stoßgebet und lässt an den Tanz ums Goldene Kalb denken.
Einstmals schlug das Herz dieses „gemeinschaftskörpers“ noch anderswo. Im Altstadtkern. Dagegen darf man sich das neue Einkaufs-Paradies (für nichts weniger als den Garten der Glückseligkeit halten es die Menschen) wohl an einer jener Umgehungsstraßen gelegen vorstellen, die an vielen Kleinstädten vorbeiführen wie Bypässe. Auf der grünen Wiese. Oder hier: in einem einstigen Sumpfgebiet. Daran, dass das Herz der Menschen dort nicht am rechten Fleck schlägt (obwohl der Bürgermeister „jeden tropfen herzblut“ dafür gegeben hat), lässt Ferdinand Schmalz keinen Zweifel. Weil der moorige Boden unter dem Gewerbepark nachgibt, klaffen Risse im Beton der schicken Shoppingmall, noch ehe sie eröffnet wird, um die innigsten Kaufwünsche der Kundschaft zu erfüllen. Die Natur wehrt sich.
der herzerlfresser ist dennoch kein Ökodrama über den Flächenfraß. Und auch kein kapitalismuskritisches Sozial- oder Wirtschaftsdrama über die Verödung der Innenstädte und die Verelendung der so genannten kleinen Leute und Kapitalismusverlierer, wie man das aus den Texten früherer Autor*innen-Generationen des kritischen Volkstheaters kennt, aus deren Tradition sich Schmalz durchaus nährt. Im herzerlfresser geht es um Grundsätzlicheres: um den Ausverkauf der Seele. Und doch predigt Herbert Pfeil Liebe. Aber eben eine radikale, rohe Liebe. Eine abgründige, unsagbare Liebe, die unsäglich anmutet, weil sie zu vernichten scheint, was sie begehrt. In Wahrheit geht es nicht um Vernichtung, sondern um Vereinigung. Um Eins-Werdung und Überwindung der Einsamkeit: „ein jeder sehnt sich doch nach einer anerkennung, nach aneignung durch einen anderen. im grunde unseres herzens sind wir doch alle allein“. Pfeil sucht nicht aufzugehen in der Masse der Konsumenten und der Ersatzbefriedung des Kaufrausches. Er sucht die Vereinigung, indem er sich seine Opfer einverleibt. Genauer: ihre Herzen. Denn „das macht ihr innerstes zu meinem innerst inneren“.
Christoph Leibold
Die Irrlichter unserer Zeit
In der Einsamkeit liegt so viel von einem Nichts, dass die innere Befindlichkeit, die sie beschreibt, kaum zu beschreiben ist. Sie gewinnt Konturen erst, wenn man sie als ein Verlust- und Entzugsgefühl erfasst. Einsamkeit ist das Gefühl eines grundsätzlichen Mangels, den einer erlebt: und zwar an allen Formen von Verbindungen. Unfreiwillige Einsamkeit ist die Folge der modernen Lebensart, der globalen Entwurzelung und Heimatlosigkeit. Diese Einsamkeit wird bewirkt durch die immer radikalere Auflösung von Gemeinschaftsformen, die man gemeinhin der traditionellen Welt zuordnet, und gleichermaßen durch die zunehmende Ich-Fokussierung, die der moderne Individualismus dem Einzelnen auferlegt.
Wo sich der Einzelne herausdreht, entfernt und distanziert vom Wir, um sein Ich zu finden und zu erleben, entsteht bald eine Kälte. Die Freiheit, die man errungen hat, ist immer irgendwie ungemütlich. Sie äußert sich in dem Bedürfnis zurückzukehren zum alten Wir, das aber unwiederbringlich verloren ist. Wo aus der IchAutonomie bald ein schmerzhaftes Gefühl der Isolierung wird, oder sie zumindest begleitet, ist die Sehnsucht nach einer Wiedervereinigung mit der warmen Masse geweckt.
Obwohl der Individualismus wie keine geistige Bewegung zuvor auf Eigeninitiative, Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen, auf den eigenen Weg setzt, hat es wohl noch nie eine Idee der richtigen Lebensführung gegeben, die so sehr angewiesen ist auf die Bestätigung durch die anderen. Der moderne Mensch will von der Gesellschaft für seine Individualität geschätzt werden, immer wieder und immer wieder neu. Aufmerksamkeit von möglichst Vielen scheint ihn auf die sichere Seite zu bringen.
Die reinste Legierung, das Gold der Anerkennung ist die Liebe, aber der moderne Individualist freut sich auch über das kleine Lob oder wenigstens die leise Beachtung. Der moderne Mensch ist isoliert – und gerade deswegen so sehr bedürftig nach Anerkennung, die für ihn zum seltenen Ersatz für die verlorenen Gemeinschaftserlebnisse wird und ihn wenigstens für ein paar Momente von seiner Einsamkeit erlöst.
Martin Hecht
Du bist nicht allein, wenn du träumst heute Abend
Du bist nicht allein, wenn du träumst von der Liebe
Es finden tausend junge Herzen heut’ keine Ruh’
Es haben tausend Menschen Sehnsucht genau wie du
Roy Black„die fußpflege weiß, wo der schuh im leben drückt.“
fußpflegeirene
Frau Janusch sieht mit ihren sechsundsiebzig Jahren noch immer hübsch aus, trotz der fein gefälteten Wangen. Wir unterhalten uns über BHs und blödeln über die Schwierigkeiten mit der richtigen Passform herum. Frau Janusch will sich nachher im Einkaufscenter „n paar schicke neue Teilchen“ zulegen. Als ich ihre Füße massiere, schließt sie die geröteten Augen, wird ruhig. Plötzlich ruckt sie, reißt die Augen auf, ruft: „Grüna Tody! Grüna Tody!“ Ich sehe sie erschrocken an. „Was?“, sage ich. „Na Grüna Tody, Mensch!“, ruft sie wieder begeistert, „Dit is son Vogel uff Jamaika! Dit Passwort von mein Mann sein Äppel! Seit Monaten zamarter ick ma dit Hirn!“ Ich lache mich schlapp, Frau Janusch lacht sich schlapp, wir lachen und lachen und lachen, über die Maßen glücklich, als sei das Passwort, das Frau Januschs Kopf nach elf Monaten endlich freigibt, nicht für einen Computer, sondern für etwas ganz anderes.
Flocke ordert per Handzeichen die dritte Runde Aperol Spritz, während ich mich aufschwinge zu einer Hymne über Marzahn und seine Bewohner, über diese Leute, die dort vor vierzig Jahren hingezogen sind und jetzt mit Rollator, Sauerstoffgerät und Mindestrente tapfer ihr Leben zu Ende bringen, die manchmal tagelang mit niemandem reden, die uns, wenn sie ins Studio kommen, ihre hungrigen Herzen ausschütten, jede Berührung dankbar aufsaugen und glücklich sind an diesem Ort, an dem sie nicht werden. Ich rufe: „Unsere Arbeit ist kostbar! Unsere Kundschaft ist Spitze! Marzahn, mon amour!“
Katja OskampDer Autor Ferdinand Schmalz
Ferdinand Schmalz (übrigens ein Pseudonym) wurde 1985 in Österreich in der Obersteiermark geboren. Nach seinem Studium der Theaterwissenschaft und Philosophie in Wien arbeitete er zunächst als Regieassistent am Schauspielhaus Wien und am Schauspielhaus Düsseldorf. Nach der Erkenntnis, dass Regie nichts für ihn sei, begann er zu schreiben und gewann mit seinem Debütstück „am beispiel der butter“ 2013 den Retzhofer Dramapreis. 2014 wurde das Stück am Schauspiel Leipzig uraufgeführt und im selben Jahr zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen. Von den renommierten Theaterkritiker*innen der Fachzeitschrift „Theater heute“ wurde er 2014 zum Nachwuchsdramatiker des Jahres gewählt und mit dem Wiener Dramatik Stipendium ausgezeichnet.
Sein zweites Stück „dosenfleisch“ eröffnete in einer Inszenierung des Burgtheaters Wien die Autorentheatertage am Deutschen Theater Berlin und wurde 2016 zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen. „der herzerlfresser“ erlebte 2015 seine Uraufführung am Schauspiel Leipzig und wurde von zahlreichen Theatern nachgespielt sowie vom RBB als Hörspiel produziert. Seitdem sind vier weitere Stücke entstanden. 2016 kam „der thermale Widerstand“ am Schauspielhaus Zürich heraus und 2018 folgte mit „jedermann (stirbt)“ seine Über- bzw. Fortschreibung von Hofmannsthals „Jedermann“ am Wiener Burgtheater –und der Nestroy-Theaterpreis in der Kategorie Bestes Stück. 2019 fand die Uraufführung von „der tempelherr“ am Deutschen Theater Berlin statt und zuletzt kam 2022 bei den Nibelungenfestspielen in Worms sein Stück „hildensaga. ein königinnendrama“ heraus. 2021 erschien sein erster Roman „Mein Lieblingstier heißt Winter“ – ein Text, für den er bereits 2017 mit dem Ingeborg-Bachmann-Literaturpreis ausgezeichnet wurde.
Darüber hinaus hat er 2018 auch den Ludwig-Mülheims-Theaterpreis, 2020 den Peter-Rosegger-Literaturpreis und zuletzt 2023 den Arthur-Schnitzler-Preis erhalten. Ferdinand Schmalz lebt und arbeitet in Wien.
Termine
Premiere in Stralsund , 23. März 2024, Gustav-Adolf-Saal
Premiere in Putbus , 10. April 2024
Premiere in Greifswald , 20. April 2024, Stadthalle / Rubenowsaal
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Theater Vorpommern
und wenn bei all dem das denken beginnt über die sprache zu stolpern, wenn die sprache beginnt über den körper zu stolpern, wenn der körper beginnt über das denken zu stolpern, finden wir unerwartetes, weil der körper und die sprache immer zum produktiven störfaktor werden. das theater kommt an diesen bruchstellen zu sich, verspricht sich, verspricht uns ergiebigste erkenntnismomente.
Ferdinand SchmalzHerausgeber:
Theater Vorpommern GmbH, Stralsund – Greifswald – Putbus, Spielzeit 2023/24
Geschäftsführung:
André Kretzschmar
Redaktion: Nadja Hess
Gestaltung: giraffentoast Impressum
Literaturnachweise: Die Texte auf den Seiten 6, 7 und 9 sind Originalbeiträge für dieses Heft von Nadja Hess – unter der Verwendung von: Ferdinand Schmalz im Gespräch mit Susanne Burkhardt: Was will und kann die Gegenwartsdramatik? vom 11.6.2022 unter: https://www.deutschlandfunkkultur.de, Bachmann-Preis für Ferdinand Schmalz, im Gespräch mit Eckhard Roelcke vom 9.7.2021 unter https://www.deutschlandfunkkultur.de; Black, Roy: Du bist nicht allein, unter: https://www.songtexte.com; Hecht, Martin: Die Einsamkeit des modernen Menschen. Wie das radikale Ich unsere Demokratie bedroht. Bonn 2021; Leibold, Christoph: Zur Lektüre von der herzerlfresser von Ferdinand Schmalz, In: Recherchen 167: Dramatisch lesen – Wie über neue Dramatik sprechen? Theater der Zeit. Berlin 2023; Oskamp, Katja: Marzahn mon amour. Geschichten einer Fußpflegerin. Berlin 2019; Schmalz, Ferdinand: der herzerlfresser. Frankfurt am Main 2018; Schmalz, Ferdinand: vom schreibkammerflimmern, In: von sprachpuppen und fadenspielen. Hamburger Poetikvorlesung 2018, unter: https://nachtkritik.de/portraet-reportage/die-hamburger-poetikvorlesung-des-dramatikers-ferdinand-schmalz.
Bildnachweise: Sämtliche Fotos stammen von Peter van Heesen und entstanden auf der Proben am 15. & 21. März 2024.