11. Jahrgang • 2/2010 • Nr. 37 (Juli) 7 EUR/10 SFr (Einzelpreis)
Die christliche Zeitschrift zum Weiterdenken
Kind
Sag mal, weinst du?
Hallo, Kleines
Schutzprogramm
Neue Wege gehen
Die Suche nach dem Kind in mir
Wie wir bedrohten Kindern im Mutterleib helfen können
Interview mit den Machern der Schuhmanufaktur »Lieblingsschuh«
// Seite 14
// Seite 28
// Seite 48
dein Gesicht auf Seite 2
Was war dein bester Kinderstreich?
Julia, 23, Berlin Ich habe jede erdenkliche Funktionalität sämtlicher MickyMaus-Scherzartikel gegen meinen Bruder gerichtet ... oder gegen meine Eltern :)
Verena, 24, Nürnberg Im Wohnwagenurlaub stopfte ich meiner Schwester, während sie schlief, den Mund voll Salzstangen. Glücklicherweise lebt sie noch.
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Karen, 35, Butzbach Ich habe mit Poliboys (Schuhcremetuben mit Schwamm) in verschiedenen Farben unsere Kellerwände getupft.
Harry, 31, Würzburg Ich wollte einer Henne beim Eierlegen helfen und holte das Ei aus ihrem Po. Kurz darauf starb sie.
Janina, 25, Bad Windsheim Ich habe meiner Katze einen Babyhut aufgesetzt und sie gezwungen sich im Kinderwagen spazieren fahren zu lassen.
Noah, 2, Ansbach Kinderstreich? Besteht nicht mein ganzes Leben daraus?
Klaus, 16, Ansbach Im Winter lag ein sehr großer Eisbrocken am Straßenrand. Ich legte ihn auf die Straße, um zu sehen, was passiert. Ein Auto kam, fuhr dagegen und die Stoßstange fiel ab.
Laura, 24, Pfedelbach Ich und andere Mädels schlichen uns in eine Jungs-Wohnung und vertauschten überall Sachen.
Viola, 41, Munster Wir haben bei Sonnenschein mit einer Lupe Gras angekokelt. Als wir es nicht mehr austreten konnten sind wir weggerannt und haben die Feuerwehr beim Löschen beobachtet.
Rebecca, 16, Ansbach Ich hab unseren Hund von Kopf bis Fuß mit Sonnencreme eingecremt – damit er keinen Sonnenbrand bekommt.
Philipp, 26, Berlin Schlafsäcke in nem Mädchenzelt zusammengebunden und oben an der Mittelstange aufgehängt.
Stephanie, 21, Nürnberg Meine Freunde und ich sind in Papiertonnen gestiegen und habe Leute erschreckt, wenn sie Papier weggeworfen haben.
Joe, 26, Ansbach Ich hatte ne kleine Super Soaker und ärgerte tagelang meine Mitschüler mit heimlichen Spritzern. Mein Nachbar wollte auch mal, machte den ersten Spritzer und bekam direkt nen Verweis.
Daniel, 28, Kamen In der Schule den Stecker vom Projektor nur so weit in die Steckdose gesteckt, dass es aussah, als wäre er drin, aber kein Strom floss. Habe mich dann gleich gemeldet, ein Ersatzgerät aus der Nachbarklasse zu holen, bei dem ich das gleiche gemacht habe. So gingen 15 Minuten rum und die Lehrerin musste alles an die Tafel malen.
Irene, 34, Ansbach Freundinnen und ich waren zu faul einen Leiterwagen zu ziehen und haben kurzerhand einen Hund davor gespannt.
Philomena, 11, Berlin-Grünau Ich hab noch NIE jemanden einen Streich gespielt :)
Rebekka, 26, Meiningen Eine Freundin und ich liefen 7 km heim, da uns der verspätete Bus unfairerweise aufgegabelt und zur Schule gebracht hat.
Miri, 22, Hamburg Meine Schwester und ich haben Vermessungspflöcke aus der Wiese gerissen, weil wir keine Straße vor unserem Haus wollten.
Enno, 75, Neustadt Wir haben den Organizer unseres Lehrers – mit Stundenplänen, Zensuren etc. – versteckt.
Lena, 22, Nürnberg Wir haben eine Leine über die Straße gespannt und die Autos nur gegen Geld oder Süßigkeiten durchgelassen.
Marianne, 53, Ansbach Ein Junge ärgerte mich immer wegen meiner Sommersprossen. Eines Tages passte ich ihn auf seinem Heimweg nach der Schule ab und warf ihn in das Silowasser.
Benno, 19, Ansbach In unserem Hof stopfte ich im Winter den Abfluss mit Kieselsteinen voll, damit das Wasser nicht abläuft, sondern gefriert und ich darauf Schlittschuh laufen kann.
Kezia, 13, Hamburg Wir haben die Uhr im Klassenraum verstellt, damit wir früher in die Pause konnten.
Johanna, 24, Ansbach Eine Freundin und ich sind in ein fertiges, noch unbezogenes Haus eingestiegen und haben uns ein bisschen umgeschaut.
Markus, 45, Butzbach Ich habe mit meinen Brüdern Gesangbücher von der Empore in der Kirche fallen lassen um den Knalleffekt zu testen.
Holger, 42, Hamburg Wir haben in der Eisdiele drei Tage hintereinander Eis gegessen und gesagt: »Vati zahlt nachher!«
Thenea, 13, Munster Bei heißem Wetter haben wir Stöcke in den weichen Asphalt gesteckt – quer über die Straße.
Julia, 26, Ansbach Ich öffnete den Liebesbrief, den meine ältere Schwester an ihren Freund schrieb und abschicken wollte, über Wasserdampf. Leider stand nichts Hochinteressantes darin.
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Ingmar, 40, Munster Wir haben bei einem Bauern einen alten Autoreifen angezündet.
Editorial
Das Team von links nach rechts: Jörg, Anneke, Anke, Michael, Anne
Bewegend // Ein Kind kann einen bewegen. Besonders wenn man sich auf es einlässt. Sich auf etwas einlassen bedeutet, sich auf unbekanntes Terrain zu begeben. Man weiß nicht genau was passiert und gibt somit ein Stück Kontrolle ab. Aber kann man das bei einem Kind machen? Was hat denn ein Kind zu geben? Es geht hier nicht nur um eine Eltern-Kind-Beziehung, sondern ganz allgemein um Begegnungen von uns Erwachsenen mit Kindern. Ein Straßenmusiker macht in der Fußgängerzone schöne Musik, ein kleines Mädchen fängt spontan an dazu zu tanzen. Urplötzlich bleiben, berührt von der Fröhlichkeit des Kindes, noch mehr Passanten stehen. Die Gesichter der teilweise gehetzten Passanten verwandeln sich schnell in freudestrahlende Gesichter. Dieses Mädchen hat in kurzer Zeit eine ganze Gruppe von Erwachsenen berührt. Bewegend ist auch die Geschichte über einen Clown, der dafür zuständig ist, andere zum Lachen zu bringen. Durch seinen Job hat er gelernt, selbst Herr über seine Regungen zu sein, bis er einem kleinen Jungen begegnet (S. 22). In einer anderen Geschichte bringt ein kleines Mädchen die Vorstellungen einer Gruppe von jungen Männern vollkommen durcheinander (S. 10). Diese Geschichten wirbeln auf. Sie bringen bisher Gedachtes durcheinander. Ähnlich wird es auch unsere Autorin ergangen sein, die für uns ein Kinderhospiz besucht hat (S. 19). Kinder können in uns einiges bewegen. Was können wir für die Kinder bewegen? Zum Beispiel können wir uns auf die vielen verlorenen Kinder einlassen. Was passiert, wenn wir nicht einfach nur gegen Abtreibung sind, sondern für etwas? Nämlich für das Leben. In diesen Perspektivwechsel nimmt uns der Autor hinein und zeigt ganz neue Ansatzpunkte auf (S. 28). Neben den Themen, die uns als Redaktion rund um das Kind bewegen, sind wir noch weiteren Themen auf der Spur: Viele Leute träumen davon, mit ihrer Leidenschaft oder ihrem Hobby Geld zu verdienen. Wir besuchen ein Ehepaar, das diesen Schritt mitten in Berlin-Prenzlauer Berg gewagt hat und hören, was sie bewegt (S. 48). Auf einen anderen Weg hat sich eine unserer Kolumnistinnen gemacht: Sie nimmt uns mit auf ihrer Reise aus dem christlichen Ghetto hinaus (S. 46). Wir wünschen euch, dass ihr nach dem Lesen dieser Ausgabe beschenkt seid. Beschenkt, wie jemand, der gerade einem Kind begegnet ist, und sich von dieser Begegnung hat mitreißen und bewegen lassen. Euer THE RACE Redaktionsteam
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INHALT
Schwerpunkt: Kind //
6 Jesus, der Kindernarr
Alle Kids sind V.i.P.s
Markus Schmidt + Jan Dück
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Wahre GröSSe
Reflexion eines Jüngers
Martin Preisendanz
12 Entdecke das Kind in dir
Inneres Kind
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Unser Leben ist nicht nur beschränkt auf das Erwachsensein. In jedem von uns lebt ein kleines Kind, das uns hilft, der grauen Welt von Verpflichtung und festgelegten Abläufen zu entkommen. In Hallo, Kleines werden wir in diese Gedanken mit hineingenommen und lernen Wege kennen, wie wir mit unserem inneren Kind in Kontakt kommen können.
ILLUSTRATION: Anja Brunsmann
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Hallo, Kleines
Die Suche nach dem Kind in mir
Axel Brandhorst
19 Mitten im Leben
Wenn alles anders kommt
Nicole Sturm
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Fröhliche Weihnachten, ihr Räuber
Vom Clown und dem kranken Jungen
Martin Käthler
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Kind sein woanders
Was in anderen Ländern nicht selbstverständlich ist
Anneke Reinecker
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Zart, zu zart
LYRIK: FRANZISKA ARNOLD
28 Schutzprogramm
Abtreibung
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Ein Schutzprogramm für die Tausenden von Kindern aufzustellen, deren Leben im Mutterleib gezielt beendet wird: Das ist der Traum von Ulf Schinke. In seinem Artikel stellt der studierte Politikwissenschaftler Überlegungen und Möglichkeiten vor, diesen Plan in die Tat umzusetzen.
Häufige Fragen Deine Adresse hat sich geändert? Bitte schicke uns sobald wie möglich deine neue Adresse und gib dabei deinen Namen, deine alte Anschrift und ergänzend auch deine Telefonnummer und dein Geburtsdatum mit an. Einfach an service@therace-online.de. Du möchtest, dass andere THE RACE kennen lernen? Wir senden dir gerne kostenlos THE RACE Flyer zu, die du weitergeben oder auslegen kannst. Nenne uns einfach die gewünschte Stückzahl und wie du sie loswerden willst. Du willst THE RACE abonnieren? Oder verschenken? Am besten du bestellst THE RACE direkt in
unserem Online-Shop auf www.therace-online.de/shop. Telefonisch unter 089/858 53 552 oder per E-Mail an 4
THE RACE 02/10
Wie wir bedrohten Kindern im Mutterleib helfen können
Ulf Schinke
32 Pastors Kinder, Müllers Vieh
Wie die Gemeinde mein Leben geprägt hat
Interview: Anneke Reinecker
36 Die Kinderstunde
Kinder mit Jesus bekannt machen
Frank Rütten
FAQ
bestellung@therace-online.de geht genauso. THE RACE erscheint dreimal im Jahr (März, Juli, November) und kostet insgesamt nur 16,50 EUR in Deutschland bzw. 22,50 EUR in anderen europäischen Ländern. Bei allen Preisen sind Mehrwertsteuer und Versandkosten bereits enthalten! Du willst mit einem der Autoren Kontakt aufnehmen? Unsere Autoren freuen sich über jedes Feedback. Schicke deine Nachricht an info@ therace-online.de und wir leiten diese gerne weiter. Du willst einen Artikel nachdrucken? Da gibt es leider ein paar rechtliche Dinge zu beachten: Das Kopieren/Ausdrucken/Nachdrucken eines Artikels ist bis zu einer Auflage von 15 Stück für nichtkommerzielle Zwecke
(z. B. Jugendgruppe oder Hauskreis) ausdrücklich gestattet, allerdings nur, wenn die Rechte beim oora verlag GbR liegen. Am Ende des kopierten Artikels muss dann jeweils der Quellennachweis (z. B. »aus THE RACE Nr. 37«) und das Copyright angegeben werden (© oora verlag GbR). Bitte sende uns eine Kopie des betreffenden Artikels mit allen zugehörigen Angaben: Wer hat den Artikel kopiert? Wie oft? Für welche Gruppe? Liegen die Rechte nicht bei oora verlag GbR, so ist direkt unter oder neben dem Artikel ein anderes Copyright angegeben. Hier musst du die Kopiergenehmigung beim Rechteinhaber selbst einholen. Wenn du dabei Hilfe brauchst, wende dich einfach an uns.
Inhalt
Quergedacht //
40 Wie lange lebst du?
Neues aus dem Hinterhof der Geistlichkeit
Kolumne: Axel Brandhorst
42 Traumhaft
Wenn Gott durch Träume spricht
Andreas Keller
46 Ich muss hier raus
Unter der Oberfläche
Kolumne: Linda Zimmermann
48 Neue Wege gehen
Interview mit Lieblingsschuh aka Nadine und Oliver Klein
Interview: Debora Ruppert
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Vulkane und der Ausbruch der Kreativität
Mal ehrlich
Kolumne: Kerstin Hack
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Traumdeutung
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Krisenbewältigung
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Träume sind in der Bibel scheinbar einer der bevorzugten Kanäle, über die Gott mit einzelnen Menschen kommuniziert. In Traumhaft berichtet Andreas Keller über eigene Erfahrungen und benennt erste Schritte, wie wir eigene Träume ernster nehmen und dann wohlmöglich auch deuten können.
Desillusioniert
Wie ich nach einer großen Enttäuschung am Leben bleibe
Gernot Rettig
62 Der städtische Jugendreferent
Leser gestalten: Martin Jakob
Cosima Stawenow
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Mein erstes Gebet auf einem Hochsitz
Mein Freund Gott und ich
Kolumne: Mickey Wiese
Details // 2 Dein Gesicht auf Seite 2: Was war dein bester Kinderstreich? 61 Hier und da lebt THE RACE
Der Entstehungsprozess dieser Ausgabe
Nach einer herben Enttäuschung fühlen wir uns nicht mehr so wie davor. Wir sind desillusioniert – eben nicht mehr in einer Illusion, sondern am harten Boden der Realität angekommen. Das ist schmerzhaft und gut zugleich. Was daran bitteschön gut sein soll und weitere praktische Anregungen für den Umgang mit Enttäuschungen finden sich in diesem Artikel.
66 Impressum • Leserbriefe
Abopreis Der Abopreis von THE RACE ist in den letzten Jahren immer stabil gewesen. In diesem Jahr sind allerdings insbesondere die Herstellungskosten ziemlich angestiegen. Unsere Druckerei schreibt auf unser Nachfragen dazu: »Schon im Frühjahr wurde uns die Knappheit auf Rohstoffmärkten vorausgesagt. Das starke Erdbeben in Chile hatte eine Zerstörung der Zellstoffwerke zur Folge, in Finnland streiken die Hafenarbeiter und in Schweden die Arbeiter der Papier- und Zellstoffindustrie. Spekulationsgeschäfte führten zur weiteren Verteuerung des Zellstoffs.« Wir finden es skurril, dass Turbulenzen auf dem globalen Markt jetzt tatsächlich und real messbar bei THE RACE ankommen.
Jedenfalls haben wir uns nicht zuletzt auch durch diese äußeren Einflüsse dazu aufgefordert gesehen, den Abopreis leicht anzuheben. So werden wir ab 2011 für ein normales THE RACE Abo statt 15,00 EUR jetzt 16,50 EUR berechnen. Abonnements, die in die Schweiz, nach Österreich oder in ein anderes EU-Land gehen, werden statt 19,00 EUR jetzt 22,50 EUR kosten. Wir hoffen dafür auf euer Verständnis.
Artikel, die mit dem Lautprecher gekennzeichnet sind, gibt es als Audioversion in iTunes und auf www.therace-online.de. Die vorgelesenen Artikel sind ideal für eine lange Autofahrt oder zum einfach nur Zuhören auf dem heimischen Sofa.
Lautsprechersymbol
Euer Team von THE RACE
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Kind
Wahre GröSSe Reflexion eines Jüngers Text: Martin Preisendanz
Wie die Anwesenheit eines kleinen Kindes die Diskussion von angesehenen geistlichen Leuten komplett auf den Kopf stellt. // Meine Freunde haben sich heute kräftig in die Haare gekriegt. Und mein Bruder Petrus war mittendrin. Er gehört mit Johannes und Jakobus zu den Lieblingen vom Rabbi. Klar, dass sie deshalb von uns Übrigen beäugt werden. Besonders Bartolomäus hat damit zu kämpfen, dass er nicht so von Jesus privilegiert wird, zumal er sich immer voll ins Zeug legt. Gestern erst wieder hat er sich ums Essen für die komplette Mannschaft gekümmert. Auch Judas konnte Jesus an diesem Punkt überhaupt nicht verstehen. Er meint zwar, dass Jesus das selber wissen muss, denn er sei der Chef und daher sei es sein gutes Recht, aber dass ausgerechnet Jakobus in den elitären Kreis des Meisters aufgenommen wurde ... Nachvollziehen konnte das von uns Elfen kaum einer, denn Jakobus hat eine ganz schön anstrengende, unvernünftige Art. Immerhin durfte Judas sich aber noch um die Kasse kümmern. Wir waren auf dem Weg nach Kapernaum, wo Jesus, der uns vorausgegangen war, uns erwartete, als Petrus wieder mal die Truppe mit einer unpassenden Bemerkung über seine Beliebtheit provozierte. Jesus hatte ihm am Abend zuvor eröffnet, dass er bei der nächsten Gelegenheit wieder predigen darf. Bei der letzten Predigt kam Petrus besonders gut bei den Menschen an. Die waren ziemlich beeindruckt von seiner Gelehrsamkeit; darauf bildete sich mein Bruder schon was ein und er ließ es uns alle spüren. Bartolomäus ist daraufhin aus der Haut gefahren und hat Petrus Arroganz vorgeworfen. Auch Thomas konnte sich eine bissige Bemerkung nicht verkneifen: »Hochmut kommt vor dem Fall.« Doch Jakobus stärkte Petrus noch den Rücken und spielte auf die Eifersucht von uns anderen an. »Ihr wärt doch auch
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Kind
gerne in unserer Position!« Philippus konnte schließlich mit seiner ruhigen Art die Gemüter wieder beruhigen und den Streit in eine konstruktive Diskussion lenken. Nach welchen Kriterien bekommt man im Reich des Rabbis seine Position? Zebedäus brachte ein, dass nicht die Vorlauten und die im Vordergrund-Stehenden unbedingt die Größten sein mussten. Johannes dagegen meinte, dass das Vertrauen, das Jesus ihm entgegen bringt, schon ein deutliches Zeichen für seinen Status sei.
Größe kann beim Meister nicht erarbeitet, erkämpft oder erschlichen werden, sie wird geschenkt. Du merkst schon, Status und Ansehen spielen bei uns eine wichtige Rolle. Normalerweise war die gesellschaftliche Stellung durch die Geburt vorgegeben oder man erlangte Ansehen durch besondere Gelehrsamkeit. Wir nun hatten es in den auserlesenen Kreis der Zwölf geschafft. Es herrschte Spannung unter uns, und als wir in Kapernaum im Haus meines Bruders angekommen waren hatte Jesus den Braten – wie sollte es anders sein – schon gerochen und konfrontierte uns gleich. Dass ihm unsere Diskussion nicht wirklich gefallen würde, war uns klar. Peinlich berührt übten wir uns in Schweigen. Und Jesus? Was jetzt kam, kränkte uns schon ein wenig. Unser Rabbi sah meine kleine Cousine, die vor ein paar Wochen gerade einmal ein Jahr alt geworden war, und rief sie liebevoll zu sich. Er nahm sie behutsam auf seinen Arm und nahm sie in unsere Mitte. »Wenn ihr nicht werdet wie dieses Kind, dann könnt ihr nicht einmal Teil meiner Bewegung sein«, sagte er be-
stimmt. Wenn wir nicht umkehren, dann können wir auch gleich gehen. Bäng, das saß! Werden wie ein Kind? Kinder waren vollkommen von ihren Eltern abhängig. Sie besaßen nach dem Gesetz keinerlei Rechte. Und so müssen wir sein, damit wir ihm nachfolgen können?! War es nicht erstrebenswert schnell erwachsen zu werden, für sich selbst sorgen zu können, Ansehen in der Gesellschaft zu erlangen, sich und seiner Familie einen guten Ruf zu verschaffen? Was ist daran so falsch? Nichts! Doch Jesus sieht in einem Kind nicht den späteren Erwachsenen, sondern im Erwachsenen das verlorene Kind. Und dann meinte er noch, dass wir die Größten sein würden, wenn wir so werden wie sie. Wie soll man das bitte verstehen? Er weiß doch, dass Kinder die einflusslosesten und rechtlosesten Mitglieder in unserer Welt sind. Status und Macht steigen automatisch mit dem Alter. Doch Jesus dreht mal wieder alles um. Größe ist nicht eine Frage des Status, sondern des Dienens, erklärte er uns. Wobei das Dienen nicht Mittel zum Zweck sein soll, um Status zu erlangen. Größe ist nicht eine Frage des Ansehens, sondern der Herzenshaltung. Wir haben mal wieder über die falsche Frage diskutiert. Wir hätten fragen sollen, wie wir Gott dienen können. Stattdessen haben wir um menschliche Ehre gekämpft. Größe kann beim Meister nicht erarbeitet, erkämpft oder erschlichen werden, sie wird geschenkt. Damit legte er seinen Finger auf einen entscheidenden Punkt. Leben mit Gott, mit Weisheit und Kraft von oben – wer möchte das nicht? Aber umkehren, die eigenen Verhaltensmuster hinterfragen, zurücklassen und neu anfangen – wie ein Kind, abhängig vom Vater im Himmel? Ist das nicht zu viel verlangt? Jesus auf jeden Fall stellt es uns als Bedingung. Und er setzte noch einen drauf, indem er uns sagte, wenn wir ein Kind adoptieren würden, würden wir ihn adoptieren. Aufnahme von Kindern ist bei uns
eine sehr achtbare Tat, gerade weil Kinder die Schwächsten in der Gesellschaft sind. Doch dass Jesus sich voll mit ihnen identifiziert, hat mich gewundert. Wenn ich noch mal darüber nachdenke, was da gestern passiert ist, merke ich, dass Jesus uns – die wir voller Ehrgeiz und zugegebenermaßen auch Eifersucht sind, die wir nach Größe, Stärke und Belohnung schielen und unser Leben immer noch nach eigenen Ambitionen orientieren – zeigen will, dass Zugehörigkeit zu ihm das Größte ist und sich nicht verdienen lässt. Bleibt noch die Frage, wie wir Kinder werden? Hört sich ganz einfach an und ist doch so schwer umzusetzen, weil wir umdenken und umhandeln müssen. Indem wir Gott als Vater annehmen, indem wir Abba (Papa) rufen, indem wir ihn unser Leben bestimmen lassen, indem wir alles von Gott und nichts von uns selbst erwarten, werden wir Kinder. Im Werden-wiedie-Kinder vollzieht sich die Umkehr, die unser Meister fordert. Das ist mir heute klar geworden. »Geld, Macht und Status sind vor allem Dinge, an denen andere glauben ablesen zu können, ob jemand Erfolg hat oder nicht. Nicht selten liegen sie damit auch richtig, weil es das ist, wonach viele Menschen streben.« – Jochen Mai ///
Martin Preisendanz (31) ist verheiratet mit Rebekka. Sie leben in der Theaterstadt Meiningen, haben zwar noch keine Kinder, dafür aber jahrelang mit Kindern in einer Plattenbausiedlung gearbeitet. Er ist Theologe, Studienleiter der Pionierakademie und kann als Prediger eingeladen werden. Er beschäftigt sich gerade mit der Frage, wie durch Geschichten Theologie vermittelt werden kann.
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Kind
as D e k c e D t n ! e r i D n i kinD
e t s i L O TO-D öhle q baue eine H as vorlesen q lass dir etw h weg q laufe einfac cken d spiele Verste q geh raus un Fingern q iss mit den rimassen q schneide G und Rutschen zum Schaukeln tz la lp ie Sp n q geh auf de a für deine Mam arben ein Bild rf se as W it m e q mal mm d einen Stauda q baue im Wal in Pfützen Gummistiefeln q springe mit m an n Zeichentrickfil q sieh dir eine ete Gestalten aus Kn q forme lustige rum der Wohnung q tobe wild in en deinen Freund enschlacht mit ss Ki ne ei he ac q m hichte ne Fantasiegesc ei m de an m je st q erzähle nicht bekomm wenn du etwas r, vo pe lip er nt U q schiebe die erten Auto nem ferngesteu q spiele mit ei alfarbe ter mit Fingerm ns Fe e di e al m q be rachen steigen q lass einen D u eine Modenscha q veranstalte ugummi e Blasen mit Ka q mache groß einen Baum q klettere auf d Verfolgungsjag q mache eine ch q verkleide di
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Wie Du (jun Wir g) b kli ist ch ? Kind
Bewerte auf der S kala von bis 10 (se 1 (kaum hr stark vorhand d a), wie v en) in deinem ie l Raum d Leben ha ie E ig t. enschaft
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© REHvolution/Anja Brunsmann
Wenn du mindestens vier Eigenschaften mit mehr als 5 bewertet hast, dann weiter so – du bist auf einem guten Weg. Wenn es weniger sind, dann probier doch wirklich einmal ein paar von den Dingen in der To-Do-Liste auf der anderen Seite aus.
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Fröhliche Weihnachten, ihr Räuber Vom Clown und dem kranken Jungen Text: Martin Käthler // Erzählung
Eine wunderschön traurige Geschichte über Fabian und den Profi-Clown.
// Ich bin Clown. Ich bringe Menschen zum Lachen, Jung und Alt, wie es so schön heißt. Ich bin Profi. Ich bringe einfach jeden zum Lachen. Das ist mein Job, dafür werde ich gut bezahlt. Mit meiner Frau Katja habe ich oft darüber gesprochen, immer habe ich gesagt, ich kann und will das nicht – und irgendwann war das Thema dann auch durch. Aber in dem Jahr, am ersten Advent, hat sie mich doch überredet.
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Als Profi begeistere ich sechs Abende die Woche Erwachsene. Als Teil einer DinnerEvent-Show bin ich irgendwo zwischen Hauptgericht und Trapeznummer an der Reihe. Etwas Slapstick, Akrobatik und Zauberei – zwanzig Minuten volle Konzentration, harte Arbeit. Es ist mein Job, wie schon gesagt, dafür werde ich bezahlt, gut bezahlt. Spaß macht er mir nicht. Nicht mehr. Angefangen habe ich als Clown in einem kleinen Wanderzirkus. Immer einen Blick in Dutzende strahlende Kindergesichter. Ich war glücklich und erfüllt, jeder Auftritt war ein Geschenk für die Mädchen
und Jungs – und für mich. Auch privat, denn irgendwann eines Tages kam Katja nach einer Vorstellung auf mich zu, noch schmunzelnd und glucksend. Sie hatte immer noch Bauchschmerzen vom Lachen und fragte, ob ich nicht bei der Weihnachtsfeier in ihrer Grundschule auftreten könne. Sie war mit ihrer 2. Klasse in unserem Zirkus gewesen. Die Weihnachtsfeier war toll, unsere Hochzeit ein Traum, nur dem Zirkus ging leider bald das Geld aus. »Bitte!«, sagte Katja, genau in dem Ton und mit dem Blick, bei dem ich nicht
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Nein sagen kann. »Weißt du noch, damals im Zirkus?« Katja hat mittlerweile wohl den schwersten Job, den man haben kann. Sie arbeitet in einem Kinderhospiz. Jeden Tag. Ich weiß nicht, wie sie das aushält. Vielleicht hält sie es ja auch gar nicht aus, wir reden selten darüber. Eigentlich gar nicht. Obwohl wir schon seit fünf Jahren verheiratet sind. »Fabian ist sieben und seit zwei Monaten bei uns, und ich habe nicht einmal einen Hauch von einem Lächeln gesehen, nicht mal ansatzweise. Ich habe schon alles probiert. Bitte!« Katja hatte mich früher oft gebeten, fast schon gedrängt, ich solle so etwas wie »Clown im Krankenhaus« machen, aber ich habe mich immer gesperrt. Ich war in ganz großer Kostümierung. Große Schuhe, buntes Clownskostüm, meine uralte Struwwelperücke und natürlich die rote Nase. Gegeben habe ich mein »Best of the Best« aus Zirkuszeiten, habe grimassiert und gezaubert. Fabian schaute mir mit großen Augen zu. Er fand vielleicht das ein oder andere, wie soll ich sagen, nicht in dem Sinne lustig, aber zumindest war da eine kleine Freude, die ich gesehen zu haben meine. Seine Augen wirkten nicht mehr so leer wie in dem Moment, als ich in das Zimmer kam. Nur verzaubern konnte ich ihn nicht, kein Lächeln auf seinem kleinen Gesicht. Ich setzte mich auf Fabians Bettkante, verärgert über Katja, über mich, nahm meine Perücke ab und auch meine rote Nase. Da mein Gesicht so doll geschminkt und ich auch ganz schön ins Schwitzen gekommen war, fielen Fabian meine Tränen nicht auf, die mir über die Wangen liefen und die ich verstohlen wegwischte. Auch das bilde ich mir zumindest ein. Es war bald Weihnachten, die zweite Kerze auf dem Kranz brannte an dem heu-
tigen Adventsabend. »Was wünschst du dir denn dieses Jahr vom Weihnachtsmann, Fabian?«, fragte ich, um wenigstens irgendetwas Aufmunterndes sagen zu können. »Nichts …«, sagte er nur ganz leise. »Nichts?«, fragte ich, fast ebenso leise – und überrascht. »Jeder Junge wünscht sich was zu Weihnachten!« »Katja hat zu Mama und Papa gesagt …« – »Du blöde, dumme Kuh …« (ich ahnte, was Fabian sagen würde) – »… dass ich zu Weihnachten …« – »… wie bescheuert bist du eigentlich?« – »… nicht mehr da sein werde.« – dachte ich voller Zorn auf Katja. Wahrscheinlich hatte sie gedacht, dass Fabian schläft und nichts hört. Fabian wirkte dabei völlig gefasst. Es war der zweite Advent, keine drei Wochen bis zum Heiligen Abend. Mir ging es jetzt noch schlechter. Ich senkte den Kopf. Fabian half mir. »Eine kleine schwarze Katze.« »Weißt du, was Weihnachten geschehen ist?«, fragte ich. »Das Christuskind ist geboren«, sagte Fabian ohne zu zögern. »Und weißt du, wer das Christuskind ist?« »Gottes Sohn?!?!« Es war etwas Fragendes in dieser Antwort. »Ja, richtig«, sagte ich. »Und weißt du was? – Gott hört uns jetzt gerade zu und ich bin sicher, dass er alles tun wird, was er kann, damit du deine kleine schwarze Katze zu Weihnachten bekommst, das verspreche ich dir.« Ich weinte. Fabian lächelte. Heute ist der zweite Advent. Es ist jetzt fünf Jahre her. Fabian starb am 20. Dezember, vier Tage vor Heiligabend. Ich sah es sofort in Katjas Augen, als ich an dem Abend nach der Show zur Tür herein kam. Unsere Umarmung schien endlos zu dauern. Ich denke oft an Fabian. Immer am zweiten Advent, immer am 20. Dezember. Manchmal auch ganz plötzlich, wenn ich zum Beispiel einen kleinen Jungen sehe, der Fabian ähnelt.
Wir haben Anna (5 Jahre) gefragt: Was ist Gemeinde? »Da kann man hingehen und fragen, wenn man was nicht so genau weiß und man kann Müllsäcke bekommen.« Und die andere Gemeinde, wo man Gottesdienst und so feiert? »Da betet und singt man ...« (Die erste Antwort war ihr auf jeden Fall naheliegender.)
Und immer, immer, wenn ich eine kleine schwarze Katze sehe, spielend auf der Straße, auf der Pirsch in einem Garten oder ruhend auf einer Fensterbank, schaue ich in den Himmel und sage ganz leise, aber noch laut genug, damit die zwei es in ihrem selbstvergessenen Spiel da oben hören können: »Fröhliche Weihnachten, ihr Räuber!« ///
Martin Käthler (42) ist verheiratet und lebt in Berlin. Als Diplom-Kaufmann unterstützt er strategisch und operativ Non-Profit-Organisationen u. a. in den Bereichen Kommuniktaion, Fundraising und Organisationsentwicklung. Sein Business: www.jungut.de
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Kind
Kind sein woanders
Was in anderen Ländern nicht selbstverständlich ist Text: Anneke Reinecker
Überall auf der Welt leben Kinder. Ihr Alltag unterscheidet sich von dem hiesiger Sprösslinge meist gravierend. Die Autorin schaut über den deutschen Tellerrand, um abzuwägen was Kinder brauchen und was nicht und wie viel Herausforderung man ihnen zumuten kann. // Kürzlich hörte ich im Radio eine Reportage über so genannte »Familienpaten«. Einfaches Prinzip: Leute mit Zeit (meist Frauen, deren Kinder aus dem Haus sind und die eine neue Aufgabe suchen) unterstützen Familien (meist solche in eher schwierigen Verhältnissen) im Alltag. Gute Sache. Natürlich wurde eine solche Patin mit »ihrer« Familie vorgestellt. Klassische Situation: Alleinerziehende Mutter, vier Kinder, völlig überfordert. Ab in die Schublade. Und dann kam der Satz: »Die beiden Söhne müssen sich ein Zimmer teilen.« Interessant, dachte ich. Was in meiner Generation oder ganz gewiss in der meiner Eltern noch völlig normal war, gehört heute (zumindest gefühlt) schon in die Kategorie »sozial schwach«. Wann kam eigentlich der Anspruch auf, dass man jedem Kind ein eigenes Zimmer zur Verfügung stellen muss? Anfang der 1990er? Ich will schon fast anfangen, mir darüber Gedanken zu machen, ob es zumutbar ist, meine Töchter in ein Kinderzimmer zu stecken, als ich mich entscheide, doch lieber einen Blick über den deutschen Tellerrand zu werfen. Nach Ecuador zum Beispiel. Dort wohnt Kevin (12). Kevin ist eins von sieben Kindern, wovon aber nur noch vier zu Hause leben. Kevin und seine ältere Schwester haben das Vorrecht auf ein technisches Gymnasium in der Provinzhauptstadt zu
gehen. Das kostet die Eltern allerdings pro Tag 5,30 Dollar Busgeld. Wen wundert da, dass bei 100 Dollar, die der Vater pro Woche für seine Familie heimbringt, nicht viel Geld für anderes bleibt. So teilt sich Kevin mit seinem jüngeren Bruder das untere Bett eines Stockbetts, seine beiden Schwestern schlafen oben. Das Bett steht in der Ein-Raum-Wohnung, die die Familie bewohnt. Elternbett und Kochnische haben irgendwie auch noch Platz. Kevin hat keine Spielsachen, keinen Fernseher oder Radio, geschweige denn einen Computer oder nur einen Schreibtisch. Mit seinen Freunden spielt er Fußball, Basketball oder Verstecken. Ist Kevin unglücklich? Nein, er wirkt zufrieden. Und will später mal Pilot werden. Eins ist sicher: Um später erfolgreich zu sein, ist das Erlernen von Verantwortung unerlässlich. So habe ich beschlossen, dass unsere 5-jährige Tochter ab jetzt ihr Bett selber machen darf, weil sie mir mehrfach bewiesen hat, dass sie das durchaus sehr gut kann. Manchmal tut sie es gern, manchmal murrt sie: »Warum muss ich das immer machen?« Ich frage mich, ob Regina (9) auch manchmal murrt. Regina lebt in Dar es Salaam, Tansania. Weil eine Spülmaschine nicht zur Standardausstattung einer tansanischen Küche gehört, ist das Spülen ihr Job, und den beherrscht sie gut. »Ist ja auch nicht soooo schwer.« Stimmt, hierzulande nicht. Aber wenn es keinen häuslichen Wasseranschluss gibt, man erstmal bis zu einer halben Stunde laufen und sich dann noch in eine lange Schlange stellen muss, um überhaupt Wasser zu bekommen, nimmt die Herausforderung für ein Kind andere Dimensionen an. Ich wage kaum zu erwäh-
nen, dass Regina ihre Wäsche selber wäscht, das Haus fegt und Einkäufe erledigt. Ach ja, und zur Schule geht sie natürlich auch noch. Dafür muss sie um 4 Uhr aufstehen, um pünktlich zum Unterrichtsbeginn um 7.30 Uhr da zu sein. Überhaupt, Schule, beziehungsweise der Weg dorthin: Als ich heute Morgen zeitig in der Stadt unterwegs war, sah ich eine Mutter, die ihren Sohn zur Schule brachte und dabei dessen Schulranzen über der Schulter trug. Vielleicht hat er ein Rückenproblem, dachte ich. Nachdem ich zwei weitere Ranzen tragende Mütter gesehen hatte, ahnte ich, dass sich seit meiner Schulzeit etwas verändert hat. Ich sehe Eltern, die ihre Kinder mit dem Auto zur Schule bringen, sobald der erste Tropfen vom Himmel fällt. Wohlgemerkt – wir wohnen in einem Dorf und die Distanzen sind überschaubar. Meine Gedanken schweifen ein paar Jahre zurück, als ich auf einem missionarischen Einsatz in Albanien war. Eines Morgens stand Unterricht in einem Gymnasium auf dem Programm. Also machten wir uns
Sie belohnen häusliche Mitarbeit nicht mit Süßigkeiten oder Geld, sie erwarten sie einfach. zu Fuß auf den Weg von unserem Dorf in jenen Ort, wo die Schule war. Durch die Berge. Durch den Matsch. Durch die Kälte. Die Strecke dauerte zwei Stunden – einfach. Ich war abends total platt. Die al-
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Kind
kind sein woanders
banischen Kinder des Dorfes machten das täglich. Albanien liegt übrigens mitten in Europa, gerade mal 2000 Kilometer von Deutschland entfernt. Und während hierzulande die vereinfachte Schreibschrift eingeführt wird (obwohl Schüler vorher auch nicht zu blöd waren, die andere zu lernen), Kinder in Gleitzeit in der Schule ankommen und erstmal spielen dürfen, um nicht überfordert zu werden, sich Eltern beschweren, weil ihr Kind angeblich ungerecht benotet wurde, ja, währenddessen bezieht Regina in Tansania Schläge von den Lehrern, wenn sie einen Fehler macht, muss Kevin in Ecuador täglich ein paar Dollar abdrücken, wenn er im Internetcafé etwas für die Schule recherchieren oder ausdrucken will und lernen in Indien schon 3-Jährige in Schuluniform das Alphabet. Heute las ich, dass sich der Anteil der übergewichtigen Mädchen in den letzten 20 Jahren verdreifacht habe. Wow. Krass. Die Wohlstandsgesellschaft wird immer kranker. Und ihre Kinder mit ihr. Beim Abnehmen soll nun ein Handy helfen, das Bewegung speichert und dem Kind einen realistischen Überblick geben soll, wie viel Sport es denn tatsächlich gemacht hat. Ich versuche mir Kevins Gesicht vorzustellen, wenn man ihm das erzählen würde. Ihm, für den nicht nur Sport selbstverständlich ist, sondern der auch hauptsächlich das serviert bekommt, was ums Haus herum wächst: Yuca, Kochbananen, manchmal Suppe oder ein Reisgericht. Auch für Regina ist es normal, hauptsächlich Reis und Gemüse, bzw. Maisbrei und Gemüse zu essen, dasselbe gilt bekanntlich für Indien: Hauptnahrungsmittel ist Reis. Mal ganz abgesehen davon, dass meine Kinder vermutlich streiken würden, wenn sie dreimal täglich Reis aufgetischt bekämen, würde ich mir als verantwortungsvolle deutsche Mutter schon wieder den Kopf darüber zerbrechen, wie ausgewogen man diese Ernährung wohl nennen kann. Wie war das noch mit den fünf lebenswichtigen Rohkostmahlzeiten pro Tag? Der allergrößte Prozentsatz an Müttern dieser Welt macht sich diese Gedanken
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nicht, denn sie haben sowieso keine Möglichkeit, ihren Kindern eine – zumindest aus unserer Sicht – ausgewogene Ernährung zu bieten. Sie schließen auch nicht alle möglichen ach so notwendigen Versicherungen für ihre Kinder ab oder kutschieren sie mit dem Auto von der Schule zum Sportverein, in die Musikschule und zum Nachhilfeunterricht um ihren Förderwahn zu befriedigen. Sie kaufen nicht für jedes Kind eine neue atmungsaktive Matratze für das DIN-genormte Kinderbett oder den ultra-leichten und ultrateuren Rücken schonenden Schulranzen, den sie dann selbst zur Schule tragen. Sie belohnen häusliche Mitarbeit nicht mit Süßigkeiten oder Geld – sie erwarten sie einfach. Ich will den Lebensstil in anderen Ländern nicht idealisieren. Ich habe zu viel Auslandserfahrung um dahingehend romantisch zu werden. Und in vielerlei Hinsicht bin ich dankbar, in deutschen Landen zu leben und auch meine Kinder mit allen Vorzügen, die sich hier bieten, großziehen zu können. Dennoch sträubt sich etwas in mir, andere – vor allem nicht so privilegierte – Länder nur als »ärmer« im weitesten Sinne zu bezeichnen. Der Blick nach außen hilft mir immer wieder, im Hinblick auf die Bedürfnisse meiner Kinder inmitten einer – so scheint es mir – immer verrückter werdenen Gesellschaft das rechte Maß und Gleichgewicht zu behalten. Denn vieles für das Leben Notwendige lernen Kinder vielmehr dort als hier. ///
Anneke Reinecker (33) ist verheiratet mit Martin und hat zwei Töchter. Von Herzen ist sie Vollzeit-Mama und begeistert von dem Vorrecht, nebenbei schreiben und redaktionell arbeiten zu können. Sie liebt Jesus, ihre Familie, Texte und inspirierende Begegnungen.
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#34 Mann/Frau (Wendeheft)
#33 Hunger
#32 Tabubruch
#31 Erweckung
#30 Karriere
#29 Toleranz
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Entt채uschungen passieren ja nur dort, wo ich einer T채uschung erlegen bin, die nun aufgedeckt wurde.
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Wie ich nach einer groSSen Enttäuschung am Leben bleibe Text: Gernot Rettig
Enttäuschungen gehören zum Leben, sind aber oft sehr schmerzhaft. Wie kann damit umgegangen werden und wie können praktische Schritte aussehen?
täuschungen passieren ja nur dort, wo ich einer Täuschung erlegen bin, die nun aufgedeckt wurde.
Meine Geschichte // Es macht mir Mut, über Schwächen schreiben zu dürfen. Meine Güte, wollen die Leute das wirklich wissen? Welche Enttäuschungen man hatte – und wie man am Leben blieb (als ob es um Leben oder Tod ginge). Zählt man da nicht gleich zu den Losern? Oder bedient man in exhibitionistischer Manier die voyeuristische Schaulust der Leser? Vielleicht sollte ich diesen Artikel unter einem Pseudonym veröffentlichen. Dann könnte man sich nach positivem Feedback outen oder es beim Pseudonym belassen.
Enttäuschung – das Ende einer Täuschung Durch die Auseinandersetzung mit dem Thema musste ich mir mal wieder die Zeit nehmen, mir klar zu machen, worum es eigentlich im Leben geht. Weil manches im (Geschäfts-)Alltag aus der richtigen Perspektive rutscht. Weil selbst willige, gutherzige Jesus-Nachfolger immer noch in Scharen dem Leistungsdruck dieser Welt, dem Karrieredenken und dem Wunsch nach Auszeichnungen nachjagen, als ob ihr Leben davon abhängen würde. Tut es ja auch – wenn es nicht irgendwo anders gestillt wird. Womit wir gleich beim Punkt wären. Ent-
Bis vor ein paar Jahren dachte ich noch, ich hätte eine wirklich gute Gottesbeziehung und das Bild von einem liebenden Vater wäre tief in meinem Herzen verwurzelt. Darüber habe ich gepredigt und wusste auch immer schlaue Antworten, falls es jemandem nicht so gut ging. Im März 2008 machte ich eine interessante Erfahrung. Ich bekam die Kündigung und wurde arbeitslos. Der Gang aufs Arbeitsamt war ein prägendes Erlebnis. Trostlos, hilflos, hoffnungslos – so würde ich meine Gefühle beschreiben, als ich das Gebäude der Arbeitsagentur verließ. Ich, der Versorger der Familie, der Studierte, der Pionier, hatte plötzlich Existenzangst. Gott schien endlos weit weg, und meine Frau wollte ich mit meinen Gefühlen nicht belasten. Ich fühlte mich ziemlich einsam – und enttäuscht. Vor allem von Gott. Hatte ich nicht einst meine sichere Anstellung für ihn aufgegeben? War ich nicht voll Glauben seinem Ruf gefolgt, in Rostock eine Gemeinde zu gründen, in der Überzeugung, dass er mich immer versorgen würde? Und jetzt das – arbeitslos. Das nagt am Selbstbewusstsein und am Glauben. Ich fühlte mich ganz unten. Heute weiß ich, dass Gott mich versorgt. Aber auf seine Art, nicht auf meine. Dazu ein paar Gedanken.
Warum trägt der Glaube nicht? Natürlich trägt der Glaube, das ist ja nicht der Punkt. Aber warum fühlt es sich manchmal so an, als ob er doch nicht tragen würde? Nehmen wir einmal die kognitive Seite unseres Glaubens. Wir sind überzeugt von Aussagen wie »Gott liebt mich«, »Gott steht immer zu mir«, »Gott trägt mich durch schwierige Zeiten«, »Gott enttäuscht mich nie«, »Gott ist mein liebevoller Vater«. Dem gegenüber gibt es aber eine emotionale Seite, die unterbewusst abläuft. »Meint Gott es wirklich gut mit mir?« »Ich habe einen Fehler gemacht, jetzt möchte Gott mich bestrafen.« »Gott lässt mich in dieser Situation allein, weil ich ungehorsam war.« Denn auch für diese Aussagen finden wir Bilder in der Bibel. Bilder vom zornigen Gott, dem gerechten Richter, dem Heiligen, dem weit entfernten Gott, dem Herrscher, dem Perfekten … Eine wichtige Frage lautet deshalb, wie ich unter Druck, nach einem Fehler oder eben nach einer Enttäuschung auf der emotionalen Ebene spüren und erkennen darf: Ich bin geliebt und getragen.
Gott definiert »gut« manchmal anders als wir Jede Generation ist geprägt vom Geist ihrer Zeit. Davon sind auch wir Christen beeinflusst. Zeitgeist prägt die Kultur. Es ist in unserer Zeit ja nicht zu übersehen, dass der Individualismus ein hohes Gut unserer Gesellschaft ist. Gesundheit,
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dessilusioniert
10 Praktische Tipps im Umgang mit Enttäuschungen 1. Etwas Trauriges ist gerade passiert. Nimm dir Zeit, zu trauern. Wenn du zu schnell darüber hinweg kommen möchtest, kann es gut sein, dass dich die Sache wieder einholt. Lies die Psalmen. David bringt den Umgang mit Enttäuschungen gut auf den Punkt. Notiere dir ein paar ermutigende Bibelverse auf Kärtchen und lies sie regelmäßig.
2. Rede darüber. Suche dir einen guten Freund, eine gute Freundin und sprich über deine Gefühle. Denke nicht, dass du alleine mit der Situation klar kommen musst. Häufig sind wir betriebsblind und deshalb unfähig, die Lösung zu sehen. Was macht dich traurig und wütend? Welche Gedanken löst das bei dir aus? Gott hat kein Problem mit deinen Aussagen und Anklagen.
3. Frage nach dem »Wozu?« Du wirst wahrscheinlich keine Antwort auf die Frage nach dem »Warum?« bekommen. Aber du kannst etwas aus der Situation lernen. Was nimmst du an (neuen) guten Erkenntnissen mit? 4. Mach dir deutlich: Wann war ich in einer ähnlichen Situation? Wie bin ich damals rausgekommen? Jeder Mensch hat seine eigenen Strategien, um Probleme zu lösen. Werde dir deiner Fähigkeiten bewusst!
5. Tue dir etwas Gutes. Mach einen besonderen Ausflug, geh Essen, kauf dir etwas Schönes. Grundsätzlich soll das keine Problemlösungsstrategie sein, weil es das Problem nur verschiebt. Aber als große Ausnahme kann es dir helfen.
6. Sei gnädig mit dir selbst. Es wird nicht das letzte Mal sein, dass du fällst. Vergib dir deine Fehler und dein Versagen. Mache dies am besten in Gegenwart eines Zeugen, dann kann er dich immer wieder daran erinnern.
7. Vergib anderen. Das Gegenteil von vergeben ist, etwas nachzutragen. Ich trage dabei dem anderen eine Last nach, die mir zu schaffen macht. Zu verzeihen heißt, diese Last abzulegen und es Jesus zu überlassen, was mit dem anderen passieren wird. Es heißt nicht, dem anderen Recht zu geben. 8. Mach dir klar, dass du dich auch in Zukunft nicht vor Enttäuschungen schützen kannst. Sie gehören zum Leben. Sonst kann es leicht sein, dass du eine Festlegung triffst und dein Herz hart und bitter wird.
9. Sei ein Ermutiger. Lerne, anderen in ihren Enttäuschungen zuzuhören. Es ist viel mehr das offene Ohr als der richtige Ratschlag gefragt. 10. Bringe deine Enttäuschung in die richtige Lebensperspektive. Gott liebt dich. Er steht in allen Fällen zu dir. Er ist bei dir – auch wenn du es nicht fühlen kannst. Wovor solltest du dich fürchten? Nichts kann dich von seiner Liebe trennen!
Wellness, Spaß, Freiheit, all das wird in unserer Gesellschaft propagiert. Und wenn etwas davon fehlt, wenn wir uns zu kurz gekommen fühlen, wenn andere von diesen Dingen mehr haben als wir – dann geht es uns nicht gut. Dabei ist »gut« in den Augen Gottes mit ganz anderen Aspekten gefüllt. So geht es Gott vor allem um unsere Beziehung zu ihm. Wenn unsere Beziehung zu Jesus nicht in Ordnung ist – wann das der Fall ist, muss
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jeder selbst wissen – dann ist das bei Gott nicht gut. Wir können gesund sein. Wir können Kohle haben. Wir können uns sozial engagieren. Wir können mit Menschen die Extra-Meile gehen oder uns selbst etwas vorenthalten, um uns zu disziplinieren. All das würden wir als »gut« bezeichnen. Aber wenn unsere Beziehung zu Gott nicht stimmt, dann macht das in den Augen Gottes in Bezug auf »gut« oder »schlecht« keinen Unterschied.
Von der anderen Seite betrachtet liegt darin aber eine ganz wichtige Wahrheit. Wenn meine Beziehung mit Gott in Ordnung ist, wenn ich der Überzeugung bin (und den Glauben habe), dass ich mit Gott im Reinen bin, dann spielen die Dinge, bei denen ich daneben liege oder versage, bei Gott keine Rolle. Er sieht mich durch die Augen Jesu: gerecht, heilig, rein, gut, okay … Dann werden mich auch keine Enttäuschungen aus der Bahn werfen. Meine Gottesbeziehung ist der Schlüssel Daraus ergibt sich für mich persönlich folgendes Lebensmotto: »Lieber mit Gott in der Wüste, als ohne Gott im Schlaraffenland!« Für mich hat der Umgang mit Enttäuschungen unabänderlich mit meiner Gottesbeziehung zu tun. Das ist es, was mich am Leben hält. Nicht, dass ich es schon ergriffen hätte, aber ich jage dem nach … Ich möchte festhalten an dem Bild des liebevollen, freundlichen Gottes, der es durch und durch gut mit mir meint. Ich möchte dieses Bild für immer in meinem Herzen verankern, jederzeit herausholen, betrachten, auftanken, festhalten. Meine Güte, als ich davon einmal in einer Hauskirche berichtet habe, waren andere … geschockt von mir. Sie halten bereits fest! Sie haben dieses Bild! Sie können es emotional abrufen und finden darin großen Halt und Trost. Es ist kein Kopfwissen bei diesen Leuten. Sie erleben das ständig. Wow, ich beneide euch! Ich gönne euch dieses Bild! Ich glaube, dieser Artikel hier ist nicht für euch geschrieben, sondern für alle die zweifeln, fallen, versagen und nach dem Bild suchen, das sie von ganzem Herzen »Abba, lieber Vater« sagen lässt. Dieses Bild, das festen Boden unter den Füßen schafft und aufrichtet.
Vom Kopf ins Herz? Wer kennt nicht den Spruch: »Der längste Weg auf dieser Welt ist der Weg vom Kopf ins Herz«? Damit ist gemeint, wie geistliche Wahrheiten (z. B. »Du bist immer von Gott geliebt«) uns vom Verstand her klar sind, wir aber immer wieder im Herzen daran zweifeln – vor allem, wenn
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es mal nicht so läuft. Ich weiß nicht, wie du diesen Spruch siehst, aber ich habe ihn bislang für wahr gehalten. Er wurde ja auch oft genug erwähnt. Bis mir dieser Bibelvers aufgefallen ist. Stelle dir mal vor, dieser Spruch (»Der längste Weg auf dieser Welt ist der Weg vom Kopf ins Herz«) ist falsch. Zum Beispiel könnte der Weg ganz kurz sein. Oder der Weg geht nicht vom Kopf ins Herz, sondern vom Herz in den Kopf. Woher kommt unser Verständnis, dass alle Wahrheit im Kopf beginnen muss? Weil wir intellektuell, kognitiv und nüchtern sind? Weil wir Vernunftmenschen sind? Weil wir in einer Gesellschaft leben,
die sehr stark Logik-geprägt ist und wir als Christen ebenfalls der Predigt (der Logik und Argumentation) großen Raum geben?
So gebe ich meinem Herzen Raum Ich möchte ein Jesus-Nachfolger sein, der auf sein Herz hört. Der sich vom Herzen lenken lässt. Der den Weg vom Herz zum Kopf sucht. Folgender Vers ist mir dabei besonders wichtig geworden: »… die Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden, denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben worden ist.« (Römer 5, 5) Was tun wir nicht alles, um von Herzen glauben zu können, dass wir bedingungs-
los geliebt sind; dass dies nicht nur eine Vernunftwahrheit ist, sondern in unserem Herzen Raum hat. Dabei ist die Liebe Gottes bereits ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist! Diese Liebe ist schon drin! All das, was mir Halt und Trost und Kraft und Leben gibt, all das wohnt schon in meinem Herzen. Aber mein Kopf möchte es manchmal nicht glauben. Mein Kopf möchte mir sagen, dass es so einfach nicht sein kann. Mein Kopf möchte etwas Logisches glauben und nicht einfach ein Geschenk akzeptieren. Und noch etwas ist in meinem Herzen: Eine ganz große Sehnsucht nach dem Va-
Natürlich trägt der Glaube, das ist ja nicht der Punkt. Aber warum fühlt es sich manchmal so an, als ob er doch nicht tragen würde?
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aber Gott will an unser Herz. Nur um das kurz klarzustellen: Gott macht uns keine Angst – aber er lässt sie zu, um etwas Gutes daraus entstehen zu lassen!
Ich ließ mich in Gott fallen
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Gottes Weg mit Enttäuschungen Warum denken wir, dass Enttäuschungen etwas Schlechtes sind? Viele von uns wollen doch nur ein freudiges Happy-clappy-Christsein, große Gefühle, großes Kino. Dabei sind es gerade die Wüstenzeiten, die Enttäuschungen, die dunkeln Stunden, die mich näher zum Vater bringen. Vom Coaching weiß ich, dass eine Veränderung erst einsetzt, wenn man auf der emotionalen Ebene an eine Sache rangegangen ist. Es geschieht ein Neu-Durchleben der Situation. Ein Umdeuten. Man entdeckt neue Aspekte, die emotional Kraft geben. So gebraucht der »Coach« Gott manchmal Enttäuschungen, Angst oder Versagen, um bei uns tiefer zu gehen. Denn vom Kopf her ist ja alles klar,
Gernot Rettig (40) ist Gemeindegründer, Coach und Redner. Er lebt mit seiner Frau Jenny und seinen drei Kindern seit 2005 in Rostock. Er liebt es, die Aussagen der Bibel aus neuen Blickwinkeln zu betrachten und versucht, mit einem Team in Rostock gesellschaftsrelevant Gemeinde zu bauen. www.aufwind-rostock.de
© Gernot Rettig
ter, der mich hält, der mich aufrichtet, der mich in meiner Enttäuschung tröstet. Dieser Vater, der Enttäuschungen zulässt, weil er damit etwas Gutes an mir tut, was ich aber vielleicht noch nicht so sehen kann. Da ist diese Sehnsucht nach einem Freund – Jesus – und seiner bedingungslosen Liebe. So gebe ich meinem Herzen Raum und lasse es zu, dass meine Logik zum Erliegen kommt. Mein Herz gewinnt Raum – seine Liebe ist da. Er meint es unendlich gut mit mir. Ich sage meinem Kopf, dass er aufhören kann, logisch sein zu wollen, weil mein Herz jetzt Oberhand gewinnt. Meine Sehnsucht nach Trost wird in seiner Liebe gestillt. Diese Liebe, die bereits ausgegossen ist. Seine Liebe, die einfach da ist, ohne etwas dafür zu tun.
Bei mir hat dieses »vom Herz in den Kopf« im Sommer 2008 begonnen. Heute kann ich sagen, Gott hat die Enttäuschung genutzt, um mich näher an sich heran zu ziehen. Wäre ich auch unter anderen Umständen bereit dazu gewesen? Ich für mich wage dies zu bezweifeln. Erst die plötzlichen Existenz- und Zukunftsängste haben mir deutlich gemacht, dass ich in meiner Beziehung zu Gott nicht dort stand, wo ich zu stehen dachte. Nach meinem Erlebnis beim Arbeitsamt fühlte ich mich beschämt. Ich machte mir über viele Dinge Sorgen. Das einzige, was mir scheinbar geblieben war, war ein letztes Fünkchen Hoffnung an einen liebevollen Gott. So ließ ich mich in Gott fallen. Ich suchte und wusste: Nur er kann mir helfen. Wird er tragen? Wird er mich aufrichten? In meiner großen Verzweiflung wurde mir klar, nur er kann es tun – und er tat es. Es hat ein paar Wochen gedauert. Dank guter Gespräche mit meiner Frau Jenny, dank guter Podcasts und einem Buch zur richtigen Zeit fand ich einen neuen Zugang zu meinem Vater. Er trägt. Er hält. Er heilt. So blieb ich am Leben. ///
THE RACE einblicke
Hier und da lebt THE RACE Der Entstehungsprozess dieser Ausgabe Das Projekt THE RACE hat keine eigenen Räume. Die Zeitschrift entsteht in einem virtuellen Verbund in verschiedenen Städten in Deutschland und der Schweiz, wie auf der nebenstehenden Karte zu sehen ist. Hier wird auch deutlich, wer bei dieser Ausgabe alles mitgewirkt hat: Die schwarzen Punkte und Namen markieren dabei die Autoren dieser Ausgabe, die roten weisen auf die Redaktion und die Produktions-Dienstleister Grafik, Druck und Versand hin. Wir treffen uns als Redaktionsteam zweimal im Jahr immer wieder mal an einem anderen Ort, so dass wir die einzelnen Wohnorte der Redaktionsmitglieder und ihr Umfeld einmal kennen lernen. So kommt es, dass wir schon in Berlin, Ansbach, Biberach und einmal sogar mitten im Schwarzwald auf einem Dorf waren. Kommenden September treffen wir uns in Nordhausen. Bei den Redaktionstreffen konzipieren und planen wir die Hefte und Artikel und teilen die Verantwortlichkeiten auf die einzelnen Redaktionsmitglieder auf. Jetzt werden Autoren angefragt oder Artikel selbst geschrieben. Zum Redaktionsschluss liegen dann hoffentlich alle Artikel vor, die nun redigiert und lektoriert werden, bevor sie dann gesammelt in die Grafik nach Wuppertal geschickt werden. Dort gestalten die Jungs vom Büro Klaus das Heft, bis es fertig gelayoutet im Computer vorliegt. Nach einer weiteren Endkorrektur geht es nach Altensteig in die Druckerei, von wo die fertigen Hefte nach München transportiert werden. Hier werden die einzelnen Exemplare mit euren Adressen beklebt und ab geht die Post. Bis in euren Briefkasten, wo es dann wie wild nach euch ruft und gelesen werden will. Für uns ist damit der Veröffentlichungs-Prozess allerdings noch nicht zu Ende. Von den etwa 18 Artikeln suchen wir nunmehr fünf heraus, die wir als Podcast einlesen und als PDF-Probeauszug ins Netz stellen. Jetzt geht auch die Phase los, in der wir eure Rückmeldungen sammeln und die Impulse weiterverarbeiten. Das macht uns immer besonders viel Spaß, weil wir dann merken, mit welchen Themen wir Impulse setzen konnten und was kontrovers ist.
Rostock
Autoren Redaktion + Produktion
Gernot Rettig
Bad Oldesloe Nicole Sturm
Berlin
Hannover
Franziska Arnold Kerstin Hack Martin Käthler Debora Ruppert Ulf Schinke
Markus Schmidt Jan Dück
Nordhausen Michael Zimmermann, Redaktionskoordination Linda Zimmermann
Wuppertal Johannes Schermuly und Jonas Lahme aka Büro Klaus, Grafik
Meiningen
Seelscheid
Martin Preisendanz
Frank Rütten
Fulda Anja Brunsmann, Illustration
Frankfurt Mickey Wiese
Heidelberg Cosima Stawenow
Ansbach Sitz oora verlag Jörg Schellenberger, Redaktionskoordination
Altensteig
Herrenberg
Rollerdruck, Druckerei
Anke Philippi, Anzeigen
Freudenstadt
Tübingen
Anneke Reinecker, Redaktion
Anne Coronel, Redaktion
München D+V Lugauer, Versand-Service
Oberhaching InTime Media Services, Abo-Service
Bützberg Schweiz
Winterthur Schweiz Andreas Keller
Axel Brandhorst
Das Förderabo
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Eine Möglichkeit uns zu unterstützen Mit dem Förderabo haben wir eine Möglichkeit geschaffen, mit der ihr uns dabei unterstützen könnt, den Weg als unabhängige Zeitschrift weiterzugehen. Unser finanzielles Fundament soll dabei wie bisher in erster Linie unsere Leserschaft sein. Das Förderabo ist ein reguläres Abo, bei dem wir das Komma um eine Stelle verschoben haben: Es kostet 165,00 EUR statt 16,50 EUR im Jahr. In diesem ersten Jahr unserer Unabhängigkeit wünschen wir uns 25 Förderer. Wenn du dein normales Abo in ein Förderabo umwandeln oder ein neues abschließen möchtest, dann schreib uns eine E-Mail an info@therace-online.de. Wir kümmern uns dann persönlich darum. Selbstverständlich kannst du – wenn sich beispielsweise deine finanzielle Situation ändert – das Förderabo wieder in ein reguläres Abo zurückwandeln.
Leser gestalten
Der st채dtische Jugendreferent Leserportrait Martin Jakob Text: Cosima Stawenow // Leser gestalten
estalten Leser GE RAC . E Leser, die gestalten Es gibt viele TH wir euch vor. Einige davon stellen
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Leser gestalten
Ein Portrait über Martin Jakob, den städtischen Jugendreferenten, der als Christ das Leben seiner Stadt Pfedelbach mitprägt. // Pfedelbach ist ein schwäbisches Musterstädtchen mit renoviertem RenaissanceSchloss, einem blitzblanken Rathaus mit viel Glas, beschaulichen Kreisverkehren. Alles liegt nah beieinander. Wenn Martin Jakob aus seinem Wohnzimmer blickt, das sich in den Türmen des Schlosses befindet, kann er alle zentralen Einrichtungen des Örtchens überblicken. Hier die katholische Kirche, dort die evangelische, Rathaus, Schule, Kindergarten. Martin Jakob ist der Gemeinde-Jugendreferent der Stadt Pfedelbach. Im Rathaus hat er sein Büro, im Keller der Grundund Werkrealschule ist sein Jugendtreff »Freetime«. Immer dienstags und mittwochs kommen an die dreißig Jugendliche zwischen 12 und 20 Jahren ins Freetime, die meisten sind Haupt- und Realschüler. Sie treffen sich zum Zocken, zum Abhängen, zu Koch- oder Radioworkshops. Martin ist Christ, aber er selbst kann wenig mit christlichen Gemeinden anfangen. Seine Geschichte handelt von dem Experiment, seinen Glauben in der Öffentlichkeit zu leben, dem Drahtseilakt, den fast jeder Christ und Aktive einer Kirchengemeinde auf die eine oder andere Weise zu meistern versucht. Martin hat schließlich das kirchliche gegen das städtische Gemeindeleben ausgetauscht. Eigentlich wollte Martin immer schon was mit Kindern machen, aber das hatte man ihm zunächst ausgeredet, nach dem Motto »wie willst du davon eine Familie ernähren?« Also absolvierte er eine Lehre zum Energieelektroniker, aber nur, um danach nie wieder mit Energieelektronik zu tun zu haben. Stattdessen machte er eine Ausbildung zum Erzieher und begann in einem Kinderdorf zu arbeiten. Nebenbei war er Jugendleiter in der Pfingstgemeinde, in der er von klein auf aktiv war. Als er 2004 im Jugendtreff »Freetime« anfing, leitete er eine Zeit lang
sowohl die Stadt- als auch die Gemeindejugend. Es wurde zu seinem persönlichen Projekt, diese beiden unterschiedlichen Welten, die sein Leben und seinen Beruf ausmachten, miteinander in Einklang zu bringen. So brachte er Freetime-Jugendliche in die Gemeinde mit, wo seine Integrationsversuche jedoch als Konfrontation verstanden wurden. 2006, als er städtischer Jugendrefernt von Pfedelbach wurde, trat Martin mit seiner Frau aus der Gemeinde aus. Zum Beten und Sinnieren über Gott trifft er sich heute nur in ganz kleinem Kreis, mit seiner Frau und einer Freundin. Kirchliches Gemeindeleben
Seine Geschichte handelt von dem Experiment, seinen Glauben in der Öffentlichkeit zu leben. vergleicht er mit einem Hamsterrad. »Wir haben uns aufgeopfert, um das System am Laufen zu halten«, sagt er, »anstatt rauszugehen zu den anderen.« Über den christlichen Tellerrand hinauszuschauen, in der Welt jenseits der Kirche zu leben, so fasst Martin seither den Missionsbefehl auf, über den er sich auch in seinem Theo logiestudium an der Pionierakademie in Meiningen Gedanken macht. Viele der Werte, die ihm auf seiner »klassischen« Gemeindelaufbahn vermittelt wurden, will er jedoch nicht missen. Zu seiner Idee von Glauben gehört auch, aus diesen Werten keinen Hehl zu machen. Doch was sind für ihn »christliche Werte«? Martin erklärt, es sei ihm zum Beispiel nicht egal, welche Musik im Jugendtreff läuft; die destruktiven Texte von »Aggro Berlin« haben für ihn dort nichts verloren. Und er erwartet konsequent, dass die Jugendlichen höflich zu ihm und untereinander sind. Was er nicht erwarten kann, ist, dass sie auch seine Moralvorstellungen teilen. Er erzählt amüsiert von einem Streitgespräch unter Jungs: Ob es okay sei, sieben Freundinnen ge-
habt zu haben, bevor man heiratet, oder ob man besser bei sechs Freundinnen Schluss machen solle. »Diese Werte neben meinen eigenen zu akzeptieren, das kostet viel Kraft«, sagt Martin. Vielleicht hält er diesen Spagat deshalb so gut aus, weil er auch sehr streng zu seinen jungen Mitmenschen sein kann. Er selbst nennt das Provozieren. Ein Beispiel: Einmal beobachtete er von seinem Büro im Rathaus aus, wie zwei 13-Jährige Bonbons auf die Straße warfen und weiterliefen, ohne sich zu bücken. Er riss umgehend das Fenster auf und wies sie an, die Süßigkeiten wieder aufzuheben. »Nö, kein Bock«, war die Reaktion, was Martin zur Weißglut trieb. »Wo sind die Grenzen?«, schrieb er daraufhin in seinen Blog, in dem er regelmäßig über den Mikrokosmos Pfedelbach berichtet. Das klingt noch harmlos, doch Pfedelbach ist nicht nur ein Musterstädtchen. Auch in einem beschaulichen Ort gibt es Vergehen wie Diebstahl und Sachbeschädigung. Oft bemerkt der Jugendreferent als erstes von allen Erwachsenen, wo es brennt, und steht daher mit Polizei und Jugendamt in engem Kontakt. Doch die meisten Jugendlichen wissen seine Ehrlichkeit und sein konsequentes Denken und Handeln zu schätzen und verhalten sich ihm gegenüber respektvoll. Sechs seiner »Zöglinge« sind nun freiwillige Mitarbeiter im Freetime. Auf die ist Martin sichtlich stolz, denn an ihnen sieht er, dass der Jugendclub über die Jahre seine Attraktivität nicht verloren hat. Martins Blog: www.pfedelbach.wordpress.com ///
Cosima Stawenow (28) ist verheiratet und Mutter einer Tochter. Sie wohnt in Heidelberg, wo sie romanistische und slavistische Literatur studiert hat und jetzt für Zeitungen und im Event-Management arbeitet.
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Mein erstes Gebet auf einem Hochsitz Mein Freund Gott und ich Text: Mickey Wiese // Kolumne
Mickey erzählt, wie er das erste Mal gebetet hat. Und wie schön Gott es findet, wenn er seine Stimme hört. // Als mein Freund Gott und ich anfingen miteinander zu kommunizieren, da dachte er sich die wildesten Dinge aus, nur um den Klang meiner Stimme zu hören. Manchmal gab er mir sogar einen ermutigenden Schubs. Und das kam so. Ein paar Stunden nach meinem ersten Jesus-Anvertrauungs-Gebet in der Benediktinerinnenabtei bin ich mit meinem damals besten Freund und einer jungen engagierten Christin, die heute eine bekannte Biologieprofessorin ist, spazieren gegangen. Ich fühlte mich verliebt, und gewisse Tiere in meinem Verdauungstrakt neigten dazu, aus mir ein flatterhaftes Wesen zu machen. Noch hatte ich niemandem davon erzählt, dass ich jetzt mit meinem Freund Gott »ging«. Äußerlich sah ich zwar noch so aus wie vor ein paar Stunden, aber innerlich hatte sich eine neue Welt aufgetan, und ich wusste noch nicht wie meine Umwelt auf mein neues Verhältnis reagieren würde und wie ich mich öffentlich in dieser Partnerschaft bewegen sollte. Als wir auf einem Hochsitz rasteten, schlug die junge Frau vor, gemeinsam zu beten. Mein »alter« Freund sagte, er würde zwar nicht mitmachen, weil er nicht glaube, aber er hätte ansonsten nichts dagegen. Ich selber blieb einfach erst mal wohlwollend still und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Die Professorin in spe begann auch gleich wild drauf los zu beten und ich dachte: »Cool, das lässt sich gut an, die betet für uns alle drei.« Doch genau
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in diesem Augenblick hörte sie plötzlich auf zu beten, hatte aber auch noch kein Amen gesagt und irgendwie hatte ich das schon mitbekommen, dass ein Gebet mit einem Amen zu enden hat. Es war also noch etwas offen. Und so war es auch. Mein »neuer« Freund Gott wollte meine Stimme hören. »Und du?«, richtete
die junge Frau derweil auf dem Hochsitz das Wort an mich, »Hast du dem Herrn nichts zu sagen?« »Äh, doch, doch, na klar hab ich dem Herrn auch was zu sagen. Ja also Herr ...« Ich weiß nicht mehr, was ich da mit hochrotem Kopf gebetet habe, aber ich weiß, dass ich mir hinterher meiner Beziehung zu meinem Freund Gott
quergedacht
Ja!
und meiner selbst in dieser Beziehung viel sicherer war, nachdem ich auf diesem Hochsitz zu meinem ersten Gebet sozusagen fast gezwungen worden war. Damit war ich allerdings immer noch besser dran als ein anderer Freund von mir, den man kurz nach seinem ersten JesusAnvertrauungs-Gebet herausforderte, auf einem vollen Fußballplatz lauthals in die Menge zu rufen: »Jesus Christus ist mein Herr!« »Das habe ich sehr gerne gehört. Es hat mir viel bedeutet.«, sagte mein Freund Gott mit einem versonnenen Lächeln auf den Lippen. »Und es war auch ganz schön mutig. Dafür war er sich aber auch all die Jahre danach seines Glaubens sehr gewiss.« Die Veröffentlichung einer Beziehung ist wichtig für den Fortbestand der Beziehung. Man muss lernen sich als »Paar« in der Gesellschaft zu bewegen. So ließ mein Freund Gott mich relativ schnell in Situationen geraten, in denen ich über ihn gesungen habe und er sich an meiner Stimme erfreut hat. Er ließ mich von sich erzählen in Jungscharen und Bibelkreisen und hörte ganz aufmerksam zu. Und dabei waren wir noch gar nicht lange liiert. Schlussendlich ließ mein Freund Gott zu, dass ich auf Rockkonzerten als Frontmann einer evangelistischen Band von unserer Liebesbeziehung schwärmte. Am liebsten aber hört er den Klang meiner Stimme im Gebet, weil ihn das immer wieder an den Anfang auf dem Hochsitz erinnert. Ich weiß noch genau, wie ich mir im Schülergebetskreis beim Rundbeten oft fast in die Hosen
»proseuchomai« an. Das ist das, was Jesus immer gemacht hat, z. B. in Markus 1, 35: »Und frühmorgens, als es noch sehr dunkel war, stand er auf und ging hinaus und ging fort an einen einsamen Ort und betete (proseuchomai) dort.« Proseuchomai ist das grundlegende »Programm« des Gebets, das Betriebssystem, ohne das man das Gebet zwar einschalten kann, aber ohne das die Programme nicht laufen. Ohne proseuchomai haben weder Gebetsmärsche, noch Strategisches Gebet oder FFF (Fasting for Fun) Leben. Proseucho-
Ich weiß noch genau, wie ich mir im Schülergebetskreis beim Rundbeten oft fast in die Hosen gemacht habe, wenn das Gebet immer näher kam und ich wusste, dass ich jetzt gleich an der Reihe war, aber das Gefühl hatte, dass die anderen schon alles Interessante weggebetet hatten. gemacht habe, wenn das Gebet immer näher kam und ich wusste, dass ich jetzt gleich an der Reihe war, aber das Gefühl hatte, dass die anderen schon alles Interessante weggebetet hatten. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum ich bis heute das Stundengebet der Benediktinerinnen liebe, weil man dort nichts leisten muss um besonders fromm und reif zu erscheinen, sondern einfach mit allen anderen zusammen vorgefertigte Gebete spricht. Ich hab’ allerdings noch nicht herausbekommen, wie mein Freund Gott aus all den vielen Stimmen meine beziehungsweise die Stimme eines jeden Geliebten heraushören kann. Der vertraute Klang der Stimme des Freundes in der Dunkelheit ist für uns beide jedoch wie ein Leuchtturm in der aufgepeitschten See. Vom tiefen Seufzer über das 24-Stunden-Gebet bis hin zum strategischen Städte-Freibeten geht es letztendlich im Kern immer »nur« um das Eine: um die Liebesbeziehungsaufnahme zweier Herzen, nämlich dem Herzen meines Freundes Gott und unserem Herzen. Das deutet das grundlegende Wort für Gebet im Neuen Testament
mai bezeichnet umfassend jede Art von in Verbindung treten mit Gott. Das hatten die Jünger bei Jesus gesehen, etwas, das über eine gewöhnliche Methode hinausging; und das war etwas, das sie auch lernen wollten, und so baten sie ihn eines Tages darum, als sie wieder einmal gesehen haben, wie glücklich Jesus im Gebet wirkte (Lukas 11, 1). Mein Freund Gott und ich sitzen jedenfalls bis heute gerne auf himmlischen Hochsitzen (Epheser 2, 6) und lassen verliebt die Seele baumeln. ///
Mickey Wiese (50) ist verheiratet mit einer Lobpreistänzerin, Vater von drei wunderbaren wilden Kerls und arbeitet als Event-Pastor und Lifecoach. Er hängt mit seinem Freund Gott in Frankfurt ab und versucht, die bedingungslose Liebe Jesu in den Alltag von Seelen aller Art zu übersetzen.
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Lothar Gulbins, Theologie-Student, Leipzig
Nummer 37 • 2/2010 ISSN 1864-2012 Herausgeber: oora verlag GbR Jörg Schellenberger und Michael Zimmermann, Pfarrstr. 12, 91522 Ansbach • www.oora.de Redaktionsleitung: Jörg Schellenberger, Michael Zimmermann (info@therace-online.de) Redaktionsteam: Anne Coronel, Anneke Reinecker, Jörg Schellenberger, Michael Zimmermann Anzeigen: Anke Philippi (anke@therace-online.de), Johanna Weiß (johanna@therace-online.de) Redaktionsbeirat: Klaus-Peter Foßhag, Gerhard Kehl, Gernot Rettig, Stefan Waidelich Gestaltung: Büro Klaus, www.büroklaus.de Druck: rollerdruck, Turmfeldstraße 23, 72213 Altensteig Abonnement: THE RACE erscheint dreimal im Jahr (März, Juli, November) und kostet 16,50 EUR in Deutschland bzw. 22,50 EUR in anderen europäischen Ländern. Darin sind Mehrwertsteuer und Versandkosten bereits enthalten! Das Abo kann immer bis sechs Wochen vor Bezugsjahresende gekündigt werden. Eine E-Mail an service@therace-online.de genügt. Das gilt nicht für Geschenk-Abos, die automatisch nach einem Bezugsjahr enden. Einzelpreis: 7 EUR/10 SFr. Bei allen Preisangaben innerhalb dieser Ausgabe von THE RACE gilt: Änderung und Irrtum vorbehalten. Bankverbindung: Sparkasse Ansbach, BLZ 765 500 00, Konto-Nr. 836 89 38 • IBAN: DE18 76550000 0008 3689 38, BIC: BYLADEM1ANS Leserservice: THE RACE Leserservice, Postfach 1363, 82034 Deisenhofen Telefon: 089/858 53 - 552, Fax: 089/858 53 - 62 552 service@therace-online.de, www.therace-online.de © 2010 oora verlag GbR
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Ich bin durch einen Blog-Beitrag auf THE RACE gestoßen. Angesprochen durch das Ziel »anders sein, alles hinterfragen, christlicher Hintergrund« wollte ich einfach mal ein Heft anschauen. Und nun bin ich, ehrlich gesagt, sehr enttäuscht. Nicht, weil die Beiträge schlecht oder oberflächlich sind. Nein, sondern weil THE RACE meiner Meinung nach dem eigenen Anspruch nicht gerecht wird. Anders sein, alles hinterfragen, das habe ich im aktuellen Heft nicht gefunden. Vielmehr habe ich fundierte Aufsätze und Betrachtungen zum Thema »Sünde« gefunden. Die Texte waren gut – keine Frage – aber eben nicht das, was ihr versprochen habt. Anmerkung: Danke für deine offenen Worte. Unser Anliegen ist nicht in erster Linie anders zu sein, sondern Dingen auf den Grund zu gehen und zu hinterfragen. Wir wollen zum Weiterdenken anregen und haben den Anspruch, keine vorgefertigten Antworten zu liefern. Die fundierten Artikel über Sünde haben wir bewusst ausgewählt, weil uns die Themen sehr interessierten und zum Weiterdenken anregen. Die Beschreibung, dass wir »anders sind« kommt hauptsächlich von Lesern.
Veit Rasselnbruch, Neuwürschnitz Meine Frau hat mich mit THE RACE angefixt. Nun lese ich sie regelmäßig, auch unser Freundeskreis. Dickes Lob für das Sünde-Special. Es war Augen öffnend und sehr gut zu lesen. Gerade in frommen Kreisen gibt es viele Tabus rund um das Thema Sünde. Jugendlichen zu vermitteln, dass Gott keine Strichliste führt, sie vielmehr liebt und alles getan hat, damit sie gerettet sein können, ist ein großes Amt. Vielen Dank noch mal. Euch viel Erfolg mit eurem Verlag!
Ronny Schulz, Produktionsleiter, Oßling Ich wollte euch mal danke sagen. Und solltet ihr in Zukunft den Abopreis auf
100 EUR anheben, mir egal! Mich werdet Ihr nicht los! Koste es was es wolle, diese Zeitungen muss ich alle haben! Anmerkung: Das ist doch mal eine Rückmeldung. Vielen Dank! Wir haben seit kurzem mit dem Förderabo tatsächlich eine Möglichkeit geschaffen, uns mit einem höheren Betrag zu unterstützen. Es ist ein reguläres Abo, bei dem wir das Komma um ein Stelle verschoben haben: Es kostet 165,00 Euro statt 16,50 Euro im Jahr und ihr findet es im Shop auf unserer Webseite.
Dr. Berthold Schwarz, Dozent für Systematische Theologie, Gießen Es ist nur wenige Monate her, da stolperte ich über die Zeitschrift THE RACE. Ich las ... und war sofort sehr positiv inspiriert und persönlich angesprochen! Konzept, Themen, Aufmachung, Struktur, persönliche Infos zu Autoren und zur Redaktion ... alles sehr ansprechend und weiterführend. Eine erfrischende Fundgrube christlicher Qualifizierung via Zeitschrift. Eine tolle Sache. Danke! Aber: Alle (positiven und negativen) Attribute des sogenannten »Postmodernismus« sind relativ. »Postmodernes« Verhalten gibt es nirgendwo in Reinkultur, weder in den USA, noch in mitteleuropäischen Großstädten, noch weniger auf dem »flachen Land« der Republik. Beachten Sie daher bitte, dass wahrscheinlich 80-90% der deutschen Bevölkerung (auch teilweise unter Jugendlichen) mental und vom Lebensstil her nach wie vor viel eher »traditionell« oder »modern-rationalistisch« oder »konservativ-fromm« oder noch ganz anders (multikulturell oder multi-religiös oder situations-ethisch dominiert) gestrickt ist. Postmodern als Bezeichnung ist soziologisch (oder philosophisch) sicherlich irgendwie »neutral« anwendbar, doch aus biblischer Perspektive ist das Postmoderne auch nur eine »Weltanschauung«, die sich prüfen lassen muss, ob und wie und wo sie der Offenbarung Gottes, wie die Welt anzuschauen ist, entspricht oder eben nicht.
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Also, wenn ihr von der Ausrichtung her authentisch, ehrlich, persönlich, beziehungsorientiert usw. arbeiten und publizieren einer i e b f n wollt, dann denkt bitte daran, dass »posto Koepldung vo! r p modern« nicht der Maßstab für »sachgeAnm ersonen recht« oder »richtig« oder »erstrebenswert« 3P sein muss, weil es eben noch viele »gute« andere säkulare und religiöse Lebens- und Weltanschauungen gibt, mit denen der Postmodernismus als Weltanschauung in unserer Kultur konkurriert. Und außerdem: biblisch zu denken – zu fühlen – anzuschauen – zu urteilen – zu leben – zu handeln – ist daher keineswegs und unbedingt mit »postmodern« zu identifizieren. Das Biblische steht manchmal einer postmodernen Weltanschauung völlig entgegen und muss ihr widersprechen. Daher gilt es von Fall zu Fall zu prüfen, was Sache ist. Auch das kompromisslose »Nein« des Wortes Gottes in Lehr- oder Lebensfragen ist prinzipiell authentisch, echt, wahr, ehrlich, beziehungsorientiert, lebensfördernd, oftmals bewusst ganz dem postmodernen Trend der Relativität entgegenzusetzen. Das Sowohl-als-auch, das in einigen THE RACE-Artikeln hier und da »durchschimmert«, kann deshalb mitunter ziemlich falsch sein. Nicht jede Art von angeblicher »Ausgewogenheit« ist korrekt. Biblisch geurteilt ist die Unterscheidung von »wahr« und »falsch«, von »Ja« und »Nein«, von Entweder-Oder ein Grundsatz menschlichen Le) 5) is ca. 35 bens vor Gott. Differenzieren bleibt wichtig, 7 bis ca. 3 .1 (ca.17 b a e (c t e u t e u Le nge L auch die Ausgewogenheit, die Sowohl-alshrt für ju a f z u e r auch als Ergebnis haben kann. Doch das elmeer-K el, Die Mitt b e H r Hebel, e k »Entweder-Oder« hat h ein zentrales biblischäc TorstennStrohhäcker roh , St r (u.a.) e it n m r e t ) e nd a göttliches Mandat, das unaufgebbar ist. e-B -Band) oy“ Kars ndlleW RotrlaaM r, „Mr.hJem. JesusHouse ü Anmerkung: Da haben sie sicher recht. Die (e Pe eTown“ & „Grac –Postmoderne ist ein Weltbild, durch das wir )– lowenien die Welt betrachten und stößt genauso an Koper (rSiechenland) – seine Grenzen, wie das moderne Weltbild. – – Ithaka (G – Korinth henland) – ) n d o n v la l n a e n c h So fällt uns auf, dass Christen es sich mit eic rie Ka – Athen (G – )Schwarz-Weiß-Malerei Piräus/ riechenland) an ner d verkürzten teilG ( s o m Pat weise zu einfach machen und wir stoßen auf atien) – plit (Kro S Themen, die bei näherem Betrachten nicht Sonderprospekt und Koper dig) ag Vene Infos unter: g) eindeutig als »richtig« oder »falsch« einzu(+ 1/2 T ordnen sind. Das ist zum Beispiel Dinge, Tel. 09123/13658 (Renate Stäbler) die wir durch die Brille der Postmoderne eMail: urlaub@cvjm-bayern.de Veranstalter: CVJM Bayern entdecken und als wertvoll empfinden.
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