11. Jahrgang • 1/2010 • Nr. 36 (März) 7 EUR/10 SFr (Einzelpreis)
Jubilä um 10 Jah ! r THE RA e CE
Sünde
Pass auf kleines Auge, was du siehst
Bekennt einander eure Sünden Warum diese Aufforderung Sinn macht //Seite 14
Hinter Gittern Wie sehen Straffällige ihre Schuld?
//Seite 20
Spüren, was andere fühlen Hochsensibilität
//Seite 38
Dein Gesicht auf Seite 2
Was macht dich lebendig?
Michel, 27, Tailfingen Austausch mit echten Freunden.
Alex, 28, Waiblingen Morgens Kaffee. Und die kleinen Dinge im Leben, die unvorhergesehen gut oder schlecht laufen.
Laura, 24, Vinnica, Ukraine Essen und trinken! Sowohl geistliches als auch leckeres natürliches.
Sara, Tübingen, 23 Unsere Träume machen uns lebendig! Das kann ich für mich nur bestätigen.
Carina, 29, Rostock Ein Spaziergang mit Gott am Meer, den Wind im Gesicht, Wasser und Sand unter den Füßen.
Sonja, 31, Freudenstadt Zu erleben, dass Jesus handelt. Alarm im Kreißsaal. Vergebung.
Ute, 29, Gäufelden Gottes Reden in meinem Leben zu hören und wenn er mir offenbart, was er mit mir vorhat.
Marijana, 27, Split, Kroatien Schwimmen gehen, mit Freunden und Familie gutes Essen teilen, singen, tanzen und lachen.
Mirj, 24, Herrenberg Schwarztee mit Honig und ein Sonnenaufgang in den Bergen bei eisigen Temperaturen.
Silke, 31, Freudenstadt Spaziergänge mit meinem Freund Jesus und Psalm 139. Meine Wohngemeinschaft und LKW fahren.
Judi, 26, Tailfingen Lieder mit Tiefe von meinem iPod.
Traugott, 48, Geroldsweiler Die Hoffnung auf Unvergänglichkeit.
Brent, 37, Leubsdorf am Rhein Wenn ich einen guten Song spiele, der dem Publikum gefällt. Ein tolles Gefühl ...
Konny, 47, Geroldsweiler Wenn ich etwas vorhabe, das meine Aufmerksamkeit, meinen Einsatz und meine Ideen fordert.
Anna, 23, Bad Liebenzell Nicht nur von »gegen den Strom schwimmen« zu reden, sondern wirklich eine eigene Meinung zu haben.
Barti, 28, Nürnberg Jesus. Lobpreis. Meine Frau. Meine Tochter. Die Ebenbildband.
Martin, 32, Pfedelbach Damaris, 30, Erfurt Ein kühles Bier an einem Frei zu meiner Liebheißen Sommertag. lingsmusik zu tanzen! Genau das macht mich lebendig.
Susanne, 37, Berlin Wenn ich das tun kann, wo meine Leidenschaft ist: beraten, coachen und kreativ sein.
Thomas, 25, Rostock Kicker zocken, Bierchen trinken und ein netter Schnack mit guten Freunden.
Kalli, 48, DautphetalFriedensdorf Naomi und Joshua (neben mir auf dem Bild) – die Jüngsten unserer noch ganz jungen Gemeinde.
Anke, 29, Herrenberg Das Durchblättern von Dekozeitschriften. Weil es mich inspiriert!
Ina, 25, Sindelfingen Schönheit, Natur, Kunst und Kinder machen mich lebendig. Aber vor allem die Liebe lässt meinen Lebensgarten erblühen.
Timea, 38, Bonn Zu wissen, dass Gott einen guten Plan für mich hat und dass ich hier und heute leben darf.
Matthias, 46, ittendorf W Auf wundervolle Weise, die weit über meinen kleinen Verstand reicht, belebt mich »El Elohim Adonai«.
Simon, 21, Selbitz Der Glaube an etwas höheres, nach dem ich trachten kann.
Esther, 22, Dronten, Maret, 22, Rostock Niederlande Club Mate bei der Arbeit. Gott macht mich lebendig, aber ohne meinen Mann und meine Tochter würde mein Leben ganz leer sein.
State ment
Monika, 40, Bonn Gott zu lieben und ihm zu dienen.
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Friederike, 32, Kaltenhof Mit Seelenverwandten richtig ablachen und die bedingungslose Liebe meines himmlischen Papas.
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Sarah, 24, Vienenburg Die Gegenwart Gottes.
Anton, 42, Detroit Mit Brüdern und Schwestern Gemeinschaft zu haben.
Marion, 33, Freudenstadt All-die-Fülle-Tage, tanzen und Papazeit mit meinen WG-Schwestern.
Daniel, 28, Herrenberg Mit motivierten Leuten ein konkretes Ziel zu verfolgen.
Veit, 25, Tübingen Die Hoffnung auf Großes.
Marco, 37, Kaltenhof Die Freiheit zu haben, der zu sein, der ich bin – mit all meinen Stärken und Schwächen.
Katrin, 32, Neuendettelsau Unser neues Zuhause. Alles worüber ich lachen kann. Ärger so richtig Luft zu machen.
Anna, 20, Ostelsheim Nachts um halb eins Nudeln mit Tomatensoße kochen und genießen.
Schreib uns
Schreib uns eine kurze Antwort auf die Frage »Was war dein bester Kinderstreich?« und mit etwas Glück landest du auf der nächsten Seite 2! michael@therace-online.de
Editorial
Das Redaktionsteam von links nach rechts: Michael, Jörg, Anneke, Anne
Autsch Goodbye und 1000 Dank, Benny! Als Benjamin 2005 ein Teil von THE RACE wurde, hat er zunächst das Ressort »Politik« bedient. Ein Jahr später übernahm er zusammen mit Michael Zimmermann die Redaktionsleitung. Seine klare und erfrischende Art hat die Redaktion durchweg postiv geprägt. Sein weites Netzwerk war und ist für das Projekt von großer Bedeutung. Jetzt führt ihn sein Weg weiter. Wir wissen, dass wir dich als Freund behalten werden und wünschen dir bei allen deinen Vorhaben Erfolg und viel Segen! Ein Interview mit Benjamin findet ihr auf Seite 64. Ebenso einige Fragen an Jörg, der den Staffelstab in der Redaktionskoordination von Benny übernimmt.
in eigener Sache: Verlagsgründung Wir freuen uns, euch mitteilen zu können, dass wir seit dem 1. Januar 2010 die Herausgabe von THE RACE selbst in die Hand genommen haben. Dazu haben die zwei Redakteure Michael Zimmermann und Jörg Schellenberger eigens den oora verlag gegründet, der die offizielle Trägerschaft übernimmt. www.oora.de Mehr zur Verlagsgründung und dem neuen Leserservice auf Seite 65.
// Wir sitzen als Redaktionsteam im Wohnzimmer einer Ferienwohnung mit Blick auf die schönen Berge des Schwarzwaldes. Das hässliche Wort »Sünde« ist beim Brainstormen neuer Heftthemen gefallen. Es löst verschiedene Reaktionen bei uns aus: Zum einen verbinden wir mit »Sünde« das Diktiert-Sein durch Ge- und Verbote, in dem es das Ziel ist, keine Fehltritte zu leisten. Zum anderen merken wir aber auch, dass wir das Thema ziemlich an den Rand gedrückt haben, da wir andere Fragen an das Leben haben. Das erschreckt uns und wir merken, dass wir uns einen neuen Zugang zum Umgang mit Sünde wünschen. Um diesen zu bekommen, hilft es, durch andere Augen zu sehen. Aus dem Blickwinkel einer Gefängnisseelsorgerin zum Beispiel bekommen Schuld und Vergebung eine ganz andere Dimension (S. 20). Wenn sich Sünde nicht auf Ge- und Verbote reduzieren lässt – was ist sie denn dann? Eine Definition ist notwendig, um hier Näheres zu erfahren (S. 11). In der Auseinandersetzung mit Sünde kommt man auch schnell auf Beziehungen zu sprechen – der Rahmen, der häufig durch Sünde zerstört wird, aber auch die Stelle, an der man Heilung erfahren kann (S. 14). Das ist das Geniale und Wundervolle bei der Beschäftigung mit diesem Thema: Man stößt als Christ unweigerlich auf Heilung und Gnade. Mit Sünde haben wir immer zu tun, ob wir diese sehen oder nicht sehen wollen. Aber wenn wir sie sehen und bekennen, erfahren wir Gnade – auch wenn sich Gnade schwer mit Worten beschreiben lässt (S. 22). In dieser Ausgabe gibt es außerdem einiges zu feiern. THE RACE wird 10 Jahre alt und wir geben euch einen Überblick über unsere Geschichte, um euch an diesem Ereignis Teil haben zu lassen (S. 32). Eine weitere geniale Neuigkeit ist, dass wir in diesem Jahr einen eigenen Verlag gegründet haben. Nun haben wir als Redakteure komplett die Verantwortung für THE RACE übernommen und schaffen somit die Basis, die WEITERdenker -Zeitschrift weiter zu entwickeln (S. 64). Wir wünschen euch viele gute Impulse und neue Ideen beim Lesen dieser Ausgabe. Euer THE RACE Redaktionsteam
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Infos
QIM
Ratin g
QIM-Chart ArtikelRAting
Mit Hilfe unseres QIM.Charts kannst du auf einen Blick erkennen, was dich in einem Artikel erwartet: Geht es um das Q für qualifizierend, also das Vermitteln von Wissen, das dich hoffentlich schlauer macht? Oder ist der Artikel eher I für inspirierend, eine Horizonterweiterung, die dich lebendiger macht? Möglicherweise ist der Artikel auch M für mobilisierend, so dass du aktiver wirst? Alle Artikel haben Q, I und M. Aber durch die Übersicht der Gewichtung kann man vorab zuordnen, wo der Schwerpunkt des jeweiligen Artikels liegt. Die folgende Legende schlüsselt auf, wieviel QIM in einem Artikel vorhanden ist: 1 2 3 4 5 6 7 8
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so gut wie gar nicht kaum wenig durchschnittlich recht viel sehr viel außerordentlich viel fast nur
Achtung: Das Rating ist nicht als Benotung der Inhalte zu sehen, sondern als Hilfe, den Artikel schon vor dem Lesen tendentiell einzuordnen.
Schwerpunkt: Sünde // 6 Können Kinder Sünder sein? • Schuldempfinden bei
jungen Menschen Kinder wissen doch noch nicht was Sünde ist. Wirklich? Die Autorin hat es anders erlebt. // Kerstin Hack 8 Im Dunkeln darf gestohlen werden • Wie Kultur unser Sündenverständnis beeinflusst Die einen dürfen es – die anderen nicht. Tätowierung, Minirock und Zigaretten – was davon ist Sünde und was hat das Ganze mit Kultur zu tun? // Martin Preisendanz 11
Was ist Sünde?
Eine Definition zum Einstieg. // Martin Preisendanz
12 Wenn Vergeben nicht geht • Über Unversöhnlichkeit
und ihre Gründe Wie gehe ich damit um, wenn ich dem anderen nicht vergeben kann? // Ursula Hauer
Häufige Fragen
FAQ
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14 Bekennt einander eure Sünden • Warum diese Auffor-
derung Sinn macht Was soll die Forderung der Bibel, Sünde vor einem anderen zu bekennen, wo ich doch die Sache schnell und unproblematisch allein mit Jesus ausmachen kann? Eine ausführliche Antwort dazu findest du in diesem Artikel. // Markus S. Hoffmann 20 Hinter Gittern • Wie sehen Straffällige ihre Schuld? Eine Berliner Pfarrerin berichtet über ihre Erlebnisse als Gefängnisseelsorgerin. // Astrid Eichler 22 Ein Mann, der Gnade bitter nötig hatte • Über den Risikofaktor Gnade Der Autor lädt dich dazu ein, der Gnade ins Auge zu schauen. Eine Reise, die riskant, herausfordernd und wunderschön ist. // Harald SommeRfeld
26 Vergebung unauffindbar • Die Sünde gegen den Heili-
gen Geist Viele Christen fürchten sie und viele wissen gar nicht so genau, wie man sie begeht: die Sünde gegen den Heiligen Geist. Hier gibt’s K larheit. // Robert Schaefer 28 Mit erhobenem Zeigefinger • Sünde im Spannungsfeld von Gemeinde und Gesellschaft Was Sünde ist und was nicht, scheint zunächst einfach, entpuppt sich aber bei genauerem Hinsehen als gar nicht mehr so klar. // Günter J. Matthia
Inhalt
Quergedacht //
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Von der Wertlosigkeit des Menschen • Neues aus dem Hinterhof der Geistlichkeit
olumne. Was Herr Bohlen mit den Leuten in DSDS macht, ist total daneben. Aber was machen K wir eigentlich so in der Gemeinde? // AXEL BRANDHORST 38 Spüren, was andere fühlen • Hochsensibilität Was ist Hochsensibilität? Ist sie Gabe oder Last? Und wie kann man damit umgehen? // Christa Lüling
42 Breit gefächert • Unter der Oberfläche
K olumne. Ist doch genial, wenn man vielseitig interessiert und begabt ist, oder? Schon, aber diese Gabe bringt auch ihre ganz eigenen Probleme mit sich. // Linda Zimmermann 44 Der Ur-Designer am Werk • Kunst und du Ist Kunst nur christlich, wenn dabei ein Kreuz oder ein Fisch mit abgebildet wird? Nein, meint unsere Autorin und führt aus, dass der Schöpfer seinen gestalterischen Esprit in alle Menschen gelegt hat und das deshalb jede Kreativität Ausdruck von Gottes Größe sein kann. // Debora Ruppert 50 Untergrundstreifzug
Die Autorin ist in einer großstädtischen U-Bahn unterwegs. Und macht dort allzu typische Erfahrungen. // Franziska Arnold 52 Die Welt auf den Kopf stellen • Was passiert, wenn wir von den Beziehungen her denken Wir sind stark davon geprägt, vom autonomen Individuum aus zu denken. Der Autor nimmt dich mit hinein, Beziehung andersherum zu denken. // Daniel Ehniss 56 Machtlos? • Ganz down to earth K olumne. Manche Dinge scheinen uns zu überwältigen, im persönlichen Leben oder in unserem Umfeld. Doch wir sind ihnen nicht machtlos ausgeliefert, wir müssen sie nur angehen – Stück für Stück. // Kerstin Hack 58 Wie finde ich meinen brennenden Busch? • Was Berufung bedeutet Drei Leute aus völlig verschiedenen Hintergründen tauschen sich über dieses bedeutungsvolles Thema »Berufung« aus. // Kerstin Schellenberger 61 Bäcker Süpke • In meine Backwaren kommen nur Sachen, die man auch aussprechen kann Leser gestalten. Ein Portrait über einen Leser, der mit Leidenschaft anders bäckt. // Juliane Mandel 62 Wie ich anfing, Gott mit einem Baum zu preisen • Mein Freund Gott und ich Kolumne. Mickey besucht ein Seminar, das von ihm zunächst höchst fragwürdige Praktiken fordert. Aber sein Freund Gott hilft ihm mal wieder, ihm selbst darin zu begegnen und auch noch andere mit hinein zu nehmen. // Mickey Wiese
Details //
2 Dein Gesicht auf Seite 2: Was macht dich lebendig? 32 10 Jahre THE RACE – eine Retrospektive 64 Staffelstabübergabe in der Redaktionsleitung und Verlagsgründung
Fragen an Benjamin Finis und Jörg Schellenberger
66 IMPRESSUM • LESERBRIEFE
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Können Kinder Sünder sein? Oder: Schuldempfinden bei jungen Menschen Text: Kerstin Hack
// Als 10-Jährige fuhr ich meine jüngere Schwester im Kinderwagen aus. Ich war dabei unachtsam. Sie fiel heraus und stürzte mit dem Kopf auf eine Steinplatte. Und schrie wie am Spieß. Als meine Eltern mich anschließend fragten, warum sie so schrie, log ich sie an: »Ich weiß es nicht, vielleicht hat sie Hunger?« Ich schämte mich und schwor mir, nie wieder zu lügen. Als meine kleine Schwes ter in einer ähnlichen Situation von meinem Bett auf den Boden fiel, log ich jedoch trotzdem wieder. Dass es mir nicht gelungen war, die Wahrheit zu sagen, war für mich ein Schock. Ich realisierte: Ich bin nicht gut. Trotz aller guten Vorsätze schaffe ich es nicht, immer so zu handeln, wie ich es eigentlich will. Kurz darauf hörte und begriff ich zum ersten Mal das Evangelium, dass Gott als Mensch – Jesus – zu uns auf die Erde kam, um unsere Schuld zu tragen, uns zu entlasten, mit uns durchs Leben zu gehen und uns die innere Kraft zu geben, besser und liebevoller zu handeln. Für mich war schnell klar: »Das ist das, was ich will!« So schrieb ich an meine Eltern, erklärte die Situation und entschuldigte mich. Anschließend bat ich Gott in einem Gebet um Vergebung und entschied mich, von nun an in Verbindung mit ihm leben zu wollen. Ich spürte tiefe Erleichterung und explosive Freude. Kinderkram? Kann ein Kind überhaupt schon wissen, was Sünde ist? Vielleicht. Doch ich habe als Mitarbeiterin auf
christlichen Ferienlagern immer wieder erlebt: Kinder wissen sehr genau, dass manche ihrer Handlungen falsch sind – und sehnen sich nach Vergebung. Ich erinnere mich an ein Mädchen, das darunter litt, dass sie ihre Eltern auf die Frage hin, wer etwas angestellt hatte, belog. Das führte dazu, dass ihre unschuldige Schwester Prügel bekam. So wie sie können meiner Erfahrung nach viele Kinder schon in jungen Jahren benennen: An dieser einen Stelle habe ich etwas falsch gemacht und nicht so gehandelt, wie es gut und richtig gewesen wäre. In der Regel sind es nicht unendlich viele Vergehen, die sie belasten, sondern einige wenige Schlüsselsituationen, durch die sie erkennen: Mein Handeln ist nicht immer gut. Ich brauche Vergebung. In der Erzählung »Die Schuldkiste«, die in meiner Kindheit in christlichen Kreisen recht verbreitet war, wird von einem Jungen erzählt, der Gegenstände, die ihn an schuldhaftes Verhalten erinnerten, in eine Kiste verbannte und erst später den Weg zur Vergebung fand. Man braucht Kindern keine Schuld einzureden, wenn sie sie nicht klar empfinden. Das führt nur zu Verkrampfung und Unnatürlichkeit. Davon würde ich abraten. Doch viele Kinder wissen, wo sie definitiv falsch gehandelt haben. Sie erleben das Evangelium tatsächlich als frohe Botschaft: »Gott vergibt mir meine Schuld. Ich kann neu beginnen.« Unbeschwert. Kindlich. Froh. ///
Dass es mir nicht gelungen war, die Wahrheit zu sagen, war für mich ein Schock. Ich realisierte: Ich bin nicht gut.
Kerstin Hack (42) lebt und arbeitet in Berlin, der spannendsten Stadt Deutschlands, in der sich ständig etwas verändert. Als Autorin und Referentin inspiriert sie zu Veränderungsprozessen, als Coach unterstützt sie Menschen dabei, dass die Veränderungen auch gelingen.
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Sünde
Hinter Gittern
Wie sehen Straffällige ihre Schuld? Text: Astrid Eichler
// »Frau Pfarrer, sie werden merken, alle unschuldig, alles Justizopfer hier drinnen.« Mit diesem Satz wurde ich vielfältig von Bediensteten empfangen. Seit fünf Jahren arbeite ich im Gefängnis – und ich habe es noch nicht gemerkt. Die meisten, die zu mir zu einem Gespräch kommen, sagen irgendwann: »Ich habe Scheiße gemacht, deshalb sitze ich hier.« Oder »Ja, ich habe einen Fehler gemacht. Es ist okay, dass ich hier bin.« Von Sünde redet kaum einer. Und dann sitzen sie da – erleichtert, endlich einmal reden zu können – einfach so. Oder auch über das, was sie bedrängt. Meistens ist es die Situation mit ihren Leuten draußen, den Angehörigen, Eltern, Kindern, der Frau oder der
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Freundin. Sie alle leiden unter der Folge der Schuld. Schuld zieht immer Kreise. Unheilvolle Kreise in das Leben vieler, die betroffen sind. Zumindest das tut ihnen Leid. Sie leiden darunter, oft mehr unter den Folgen ihrer Schuld, als unter der Tatsache, dass sie schuldig geworden sind. Manche gestehen ihre Schuld ein und fügen sofort hinzu: »Aber ich habe niemandem geschadet!« Nur Versicherungen betrogen. »Schuld, ohne jemandem zu schaden. Das gibt es nicht!«, versuche ich zu erklären. »Betrug von einigen schadet allen, die Tarife steigen in die Höhe. Wir zahlen alle dafür.« »Hm, wenn man das so sieht ... Ja, dann ...« Andere erklären: »Ich brauchte Geld, ganz dringend – was sollte ich denn machen?«
Die Ausweglosigkeit des eigenen Lebens als Beginn der Schuld. In unzähligen Gesprächen merke ich, wie viele Anfänge von Schuld es gibt. Und könnte es bei mir nicht genauso anfangen? Sünde hat so viele Gesichter – und sie gebiert immer neue Sünden und bringt den Tod. »Der Sünde Sold ist der Tod« (Römer 6, 23a). Wie oft klingt dieses Wort in mir auf, wenn ich den Tod fast mit Händen greifen kann: Zerstörtes Leben der Opfer, zerstörtes Leben der Täter. Auch die Atmosphäre im Gefängnis trägt den Tod in sich. Da treffe ich einen Mann, 68 Jahre alt, der zählt seine Haftstrafen auf. Ich frage nach: »Wie viele Jahre waren sie in Haft?«
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Ich habe Scheiße gemacht, deshalb sitze ich hier. Sie alle leiden unter der Folge der Schuld. »Dreißig.« Er sagt es mit einem gewissen Stolz. Sein Leben – ein rein, raus, wieder rein, raus ... und wieder rein. So etwas gibt es – ja, wirklich! Ich frage nach, lasse mir erzählen: »Was war da früher mal? Was war zu Hause?« Und wie so oft entfaltet sich vor meinen Ohren eine chaotische Lebensgeschichte. Erfahrungen von Ablehnung, Gewalt, Heimerziehung, Ausbrüchen. Dramatisch und doch so gewöhnlich hinter diesen Mauern. Geschichten, manchmal kaum vorstellbar! Dann sitze ich mit einem Sexualstraftäter zusammen. Er gibt mir seine Lebensgeschichte zu lesen, voller Erfahrungen von Gewalt und Vergewaltigung. Der eigene Vater, der ihn missbrauchte. Die Mutter, die es nicht wahrnahm oder nicht wahr haben wollte. Und was wird aus dem Sohn? Ein Missbraucher und Vergewaltiger. Sünde gebiert Sünde. Und ich denke an den kleinen Jungen, von dem die Mutter, die »einen neuen Macker hat«, mir am Telefon erzählt: »Ich habe ihn gefragt, welchen Papa er lieber hat – den von früher oder den von jetzt?« Auswechselbare Väter. Was wird aus den Söhnen? Und doch: Es bleibt dabei – die Verantwortung liegt bei dem Einzelnen. Eine Geschichte kann erklären, aber nicht entschuldigen. Es gibt Gründe, Abgründe, aber keine Entschuldigung. Strafe muss sein und viele der Straftäter sehen das nicht anders. Aber es gibt auch die anderen. Die, die die Schuld nur bei den anderen sehen. Die im Gefängnis um ihr Recht kämp-
fen, obwohl sie es verwirkt haben und das Recht anderer mit Füßen getreten haben. Es gibt immer die einen und die anderen. Das ist da drinnen nicht anders als draußen. Und: Das war schon immer so. Schon damals, als Jesus am Kreuz hing. »Es war aber über ihm auch eine Aufschrift: Dies ist der Juden König. Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns! Da wies ihn der andere zurecht und sprach: Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein« (Lukas 23, 38-43). Es gab sie schon immer, die Einsichtigen und die Uneinsichtigen, die Spötter und die Beter. Es gibt sie heute auch, die, die mir hinterher rufen: »Wenn es Gott gibt, soll er mich hier rausholen!« und die, die ängstlich fragen: »Habe ich noch eine Chance?« Und die, die sich Jesus zuwenden, stehen unter seiner Barmherzigkeit. Unfassbar! Das habe ich in meinem Dienst im Gefängnis ganz neu begriffen. Wir bieten im Gefängnis einen Alphakurs an. Bei einem der Treffen haben wir Gebet angeboten. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter sind danach tief bewegt. Es sind Tränen geflossen – über die eigene Schuld. Es wurde um Vergebung gebetet und Vergebung empfangen.
In den Gottesdiensten im Gefängnis singen wir immer ein Lied von Albert Frey, das mir in meinem Dienst überaus kostbar geworden ist: »Es gibt bedingungslose Liebe, die alles trägt und nie vergeht. Es gibt Versöhnung selbst für Feinde und echten Frieden nach dem Streit, Vergebung für die schlimmsten Sünden, ein neuer Anfang jederzeit.« Im Gefängnis klingt es anders als in einer Gemeinde. Für mich klingt es im Gefängnis kräftiger, schöner, unglaublicher. Und deshalb so kostbar. Die Frage ist nur: Glauben wir das wirklich? Wenn ich mit den Männern zusammensitze, von ihnen höre und mit ihnen rede, fange ich an, es immer mehr zu glauben. Und darüber zu staunen. ///
Astrid Eichler (51), ursprünglich Krankenschwester, studierte von 1982 bis 1986 Theologie in Ost-Berlin. Danach war sie 16 Jahre lang Pfarrerin in kleinen Landgemeinden in der Prignitz. Seit 1996 ließ sie ihr Dienstverhältnis auf 50% eingeschränken, damit sie Freiraum für die Mitarbeit in verschiedenen Projekten, wie z. B. den Jesustag, hatte. Sie war 2000 Mitgründerin eines missionarischen Fußballvereins. Seit fünf Jahren ist sie in der Gefängnisseelsorge in einer Berliner Justizvollzugsanstalt tätig. www.forum-straffaelligenhilfe.de
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Sünde
Ein Mann, der Gnade bitter nötig hatte Über den Risikofaktor Gnade Text: Harald Sommerfeld
// In jeder Stadt gibt es ein paar Typen, die keiner mag. Der, um den es hier geht, war so einer. Er hatte die Leute ausgenommen, wo es nur ging, und war davon reich geworden. Vermutlich stellten die meisten sich nicht offen gegen ihn, denn sie wussten, dass ihre Geschäfte früher oder später über seinen Schreibtisch gehen würden. Aber im Grunde verurteilten ihn alle wegen seines Verhaltens, und zusätzlich verachteten sie ihn wegen seines äußeren Erscheinungsbildes. Vermutlich war es nur die übliche menschliche Neugierde, die den Mann eines Tages auf die Straße trieb. Ein Promi war unterwegs in seiner Stadt, und jeder wollte ihn gesehen haben. Aufgrund seiner biometrischen Daten war unser Mann allerdings benachteiligt: Alle, die vor ihm standen, überragten ihn, weil jeder in der Stadt größer war als er. So stieg der kleine Mann auf einen hohen Baum. Schon erkannt? Die Geschichte steht in der Bibel (Lukas 19). Der prominente Besucher war Jesus, der betrügerische Finanzmann Zachäus. Ihr Lebensmotto war so entgegengesetzt wie nur möglich. Von Jesus ist der Satz überliefert: »Geben ist seliger als Nehmen.« Von Zachäus ist die Praxis überliefert: »Nehmen ist seliger als Geben.« Wenn irgendetwas nicht zusammenging, dann die beiden. Und doch blieb Jesus gerade unter dem Baum, den Zachäus als Hochsitz erkoren hatte, stehen: »Zachäus, komm schnell runter, ich muss heute dein Gast sein.«
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Jesus behandelte ihn, als spräche nichts gegen ihn, als wäre er guter Umgang. Gastfreundschaft und gemeinsames Essen bedeuteten in jener Zeit und Kultur sehr viel: Man identifizierte und verband sich miteinander. Indem Jesus sich selbst bei Zachäus einlud, signalisierte er: »Du bist für mich okay.« (Womit Jesus auf einen Schlag für den Rest der Stadt nicht mehr okay war.) Gnade – denn so wird man nennen müssen, was Jesus hier zeigte – interveniert unerwartet, unvorbereitet und unverdient und stellt das Leben, so wie wir es kennen und für richtig halten, auf den Kopf. Gnade ist etwas von einem anderen Stern. Deshalb gibt es sie im vollen Sinne auch erst seit und durch Jesus. »Das Gesetz ist durch Mose gegeben; die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden« (Johannes 1, 17). Will heißen: Wir wissen auch ohne Jesus, was falsch ist und richtig wäre. Und dass man natürlich für das eine gerade stehen muss und für das andere Lohn verdient. »Falsch!«, sagt Jesus. »Nicht länger!«
Gnade vor Recht Den Schock, den die Gnade in Jericho erzeugte und den sie bis heute auslöst, wenn sie recht verstanden und nicht fromm verbrämt oder bürgerlich verharmlost wird, können wir am besten verstehen,
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Die Frage deckt etwas auf, das in uns steckt – ein tiefes Misstrauen gegen Gnade, nach der wir uns sehnen und die wir gleichzeitig fürchten. wenn wir sie mit der Gnadenpraxis unserer Gesellschaft vergleichen. Örtliche Justizbehörden erlassen eine Weihnachtsamnestie, der Bundespräsident hat das Recht zur Begnadigung. Aber man erwartet – wie Diskussionen der letzten Jahre gezeigt haben – eine gewisse »Berechtigung«, bevor jemandem Gnade vor Recht geschieht, sei es die geäußerte Reue, die günstige Prognose oder die minder schwere Schuld. Und außerdem ist an die Opfer zu denken und daran, ob ihnen die Begnadigung des Täters zumutbar ist. Bei Jesus ist Gnade viel radikaler (und riskanter). Zachäus hatte nichts bereut, nichts geändert, nichts versprochen. Jesus hatte nichts erwartet, nichts gescholten, kein Wort über Zachäus Opfer verloren. (Das wurde auch den Rest des Tages von Jesus nicht thematisiert!) Gnade geschah »einfach so«: »Ich komme zu dir. Ich esse mit dir aus derselben Schüssel.« In dieser einfachen Handlung lag viel mehr, als wir gemeinhin mit dem Begriff »Gnade« verbinden. Gnade übersieht nicht nur, was gegen einen Menschen spricht, sondern sie spricht für ihn. Jesus nennt Zachäus einen »Sohn Abrahams« – die positivste Wertschätzung, die in
diesem Kontext ausgesprochen werden konnte. Gnade tilgt nicht nur das Minus, sondern bringt ins Plus. Sie überwindet nicht nur Verurteilung, sondern auch Verachtung. Ihr Ziel ist nicht, reinen Tisch zu machen, sondern den Tisch zu decken. »Komm, Gauner, iss mit mir!« Darf Gnade das? Durfte Jesus, was er tat? Gefährdete er nicht die moralische Ordnung? Jesus ging es zunächst nicht um die moralische Ordnung, sondern um seinen Vater. »Wer mich sieht, sieht ihn«, erklärte er wiederholt. Und in der Tat wird von seinem Vater ähnlich Anstößiges berichtet. Paulus nennt ihn den Gott, »der die Gottlosen gerecht spricht« (Römer 4, 5). Gott erklärt also den Schuldigen für unschuldig. »Für mich bist du okay. Ich mag dich, ich bin mit dir, ich wirke durch dich. Und was du falsch gemacht hast oder falsch machen wirst, ist kein Thema mehr zwischen uns beiden.« Aber was ist dann mit der moralischen Weltordnung? Einfacher gefragt: »Warum soll ich mich anstrengen, wenn Gott sowieso für mich ist? Dann kann ich doch Scheiß bauen, so viel ich will. Ich habe ja nichts zu befürchten.« Eine gute Frage. Sie ist deshalb gut, weil sie zeigt, dass wir dem Evangelium auf
der Spur sind. Dieselbe Frage stellte sich auch den Lesern des Paulus: »Heißt das jetzt, dass wir einfach weiter sündigen können und die Gnade dadurch nur noch größer wird?« (Römer 6, 1) Wenn diese Frage aufkommt, ist das ein Hinweis darauf, dass wir das Evangelium (endlich) richtig zu verstehen beginnen. Solange Gnade etwas Bedingtes ist (das man nur unter bestimmten Voraussetzungen erhält) oder etwas Vorläufiges (das man auf Bewährung bekommt und wieder verlieren kann), stellt sie sich nicht. Und solange sie sich nicht stellt, hat man weder das Evangelium des Paulus noch das von Jesus in aller Radikalität begriffen. Die Frage deckt etwas auf, das in uns steckt – ein tiefes Misstrauen gegen Gnade, nach der wir uns sehnen und die wir gleichzeitig fürchten. Wir fürchten sie, weil wir Angst haben, sie könnte zum Freibrief werden. Aber ist diese Angst begründet? Vielleicht ja. Vielleicht birgt Gnade wirklich ein Risiko. Vielleicht gehört dieses Risiko zu der Chance, die die Gnade bietet – der Chance, die wir nicht
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Sünde
ein mann, der gnade bitter nötig hatte
Gnade ist die Gleichstellungsbeauftragte Gottes.
missen möchten und die sonst nichts bietet. Vielleicht hätte Zachäus den Besuch von Jesus nutzen können, um seinen Betrieb mit einem Erinnerungsstück des prominenten Gastes zu schmücken, um anschließend weiterzumachen wie bisher. Doch das ist Spekulation.
Gnade erleben Tatsache ist, dass Zachäus aus dieser Begegnung mit bedingungsloser Gnade verändert hervorgeht: »Die Hälfte meines Vermögens gebe ich den Armen, und wen ich betrogen habe, dem gebe ich das Vierfache zurück«. Gnade ist nicht die Antwort auf erste Schritte der Veränderung (eingestandene Schuld, gelobte Besserung, gefasster Vorsatz, mildernder Umstand, gesprochenes Übergabegebet). Gnade ist die Ursache der Veränderung. Die Begegnung mit Jesus weckte etwas in Zachäus, das vorher nicht in ihm geschlummert hatte. Er wurde ehrlich. Er machte wieder gut. Und nicht nur das. Solche Resultate bringt gelegentlich auch moralischer Druck (oder die Furcht vor dem Erwischt-werden) hervor. Zachäus fing an zu lieben. Zachäus gab denen, denen er nichts schuldig war. Er wurde selber »gnädig«, wenn man es so nennen darf, nämlich den Armen gegenüber. Die Gnade mag Anlass zur Sorge geben. Sie gibt jedoch mehr Anlass zur Hoffnung. Ich habe zu viele Christen kennengelernt, deren »christliches Leben« sich darum drehte, ob sie heilig oder hingegeben oder gesegnet genug waren, die ständig mit ihren Schuldgefühlen kämpften, weil sie nicht glauben konnten oder wollten, dass sie durch Jesus unschuldig waren, selbst wenn sie es vermasselt hatten. Meist habe ich festgestellt, dass bei allen Lippenbekenntnissen zur Gnade ihre Gottesbeziehung doch unter
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dem Leitthema »Meine Vorleistung und Gottes Gegenleistung« stand: »Was muss ich tun, damit …?« Ihre geistlichen Kapazitäten wurden so von ihrem Bemühen aufgebraucht, »gute Christen zu sein« und auferlegte Pflichten zu erfüllen, dass es kaum jemals zu enthusiastischen Ausbrüchen von Liebe und Freigebigkeit kommen konnte wie bei Zachäus. Woher auch? Hier sind wir an einem entscheidenden Punkt angekommen. »Gnade« ist kein Lehrbegriff, den man theoretisch vermit-
teln kann. »Gnade« ist ein Erfahrungsbegriff. Was Gnade ist, erkennt man, indem sie einem widerfährt. Und meist widerfährt sie einem, wenn man sie am wenigsten verdient hat. Schließlich war da noch dieser Morgen, an dem Peggy auf dem Fahrrad den restlichen Kilometer zur Arbeit gegen einen gewaltigen Orkan ankämpfen musste! Das gab ihr den Rest. Als sie nun so auf ihrem Fahrrad saß und sich fast die Lunge aus dem Leib strampelte, brannte ihr eine Sicherung durch, und sie schrie aus
sünde
Mit welcher Sünde kämpfst du und was hast du bereits unternommen? vollem Hals Gott an: »Da bin ich nun und will zur Arbeit fahren! Ich will dir dienen! Ich liebe diesen Taugenichts von einem Ehemann, den du mir beschert hast! Ich mach‘ die ganze Hausarbeit und nie hilft er mir! Und jetzt schickst du mir auch noch einen Sturm!« Dieser Ausbruch riss die Türen auf und nahm ihr das Steuer aus der Hand: All die aufgestauten Gefühle brachen aus Peggy heraus. Sie fluchte und schimpfte und wetterte, und schließlich schleuderte sie Gott auch noch Obszönitäten entgegen! Und was geschah? Kein Blitz kam vom Himmel, um sie zu vernichten. Kein Auto überfuhr sie, um sie zu strafen. Stattdessen überkam sie ein überwältigender Friede. Vom Himmel her wurde sie mit Segen und Liebe überschüttet! Genau dort mitten auf der Straße blieb sie stehen und weinte wie ein Baby. Zum ersten Mal in ihrem Leben wusste sie, dass jemand sie liebt — auch wenn sie Fehler macht. Das Evangelium ist schließlich bis in ihr ungläubiges Herz vorgedrungen.1 Gnade hat eine objektive Grundlage. Gott ist gnädig. »Gott rechnet Verfehlungen nicht an« (2. Korinther 5, 19). Aber das ändert oft noch wenig. Gnade braucht eine subjektive Kraft. Ein Mensch erlebt Gott als gnädig. Das ändert alles. Aber dafür müssen wir die Angst vor der Gnade verlieren und sie zulassen.
Gerecht aus Gnade Doch manchmal fürchten wir die Gnade auch, weil wir Angst haben, am Ende die Dummen zu sein. Die Bürger Jerichos waren schockiert und empört über Jesu Gnade. Sie hatten unzählige Male 1 John und Paula Sandford, Umgestaltung des inneren Menschen, Solingen 1991, Seite 64-65.
Silke (31) aus Freudenstadt Eine der Sünden, mit denen ich kämpfe, ist, dass ich schnell über andere Menschen urteile. Jesus zeigt mir dann oft, dass es genau die Dinge sind, mit denen ich früher selbst zu tun hatte – eine Schachtel Zigaretten pro Tag, Beziehungen, die nicht nach Gottes Sinn gelebt werden, Stolz, Lügen, etc. Dieses Urteilen versuche ich zu überwinden, indem ich mir bewusst mache: Ich sehe, was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an. Ich erinnere mich daran, wie viel Gnade und Geduld ich in Anspruch nehmen durfte. Auch Augustinus’ Aussage: »Gerechtigkeit fragt nach Tatsachen, Liebe fragt nach Ursachen.« hat mich an dem Punkt weitergebracht. Wenn ich mir vorstelle, dass diese Person womöglich ein viel aufrichtigeres Herz hat als ich, verschwinden diese Gedanken wieder. Trotzdem ist es immer wieder ein Kampf. Mit Jesu Hilfe möchte ich weitergehen, auch wenn noch ein langes Stück Weg vor uns liegt.
die Gnade Jahwes in ihren Gebeten angerufen und gepriesen. Doch solche Gnade wollten sie nicht. Was sie störte, war die »Unteilbarkeit« der Gnade: Man kann sie nicht für sich selbst empfangen und gleichzeitig andere von ihr ausschließen. Zachäus hatte das intuitiv verstanden. Wenn Gnade für ihn da war, war sie auch für jeden anderen da. Zum Beispiel für die Armen. Gnade ist die Gleichstellungsbeauftragte Gottes. Wer sie erlebt, entdeckt den Nächsten, und zwar immer als jemand, mit dem er auf ein und derselben Stufe steht. Die Bürger Jerichos hingegen wollten mit dieser umfassenden Gnade nichts zu tun haben. Wenn das galt, was Jesus tat, dann hatten sie mit ihrer Ehrbarkeit oder Frömmigkeit ja gar keinen Vorzug vor diesem Halsabschneider. Gott sollte
ihnen gnädig sein, aber mit diesem Typen wollten sie nichts zu tun haben. Jesus sagte: »Okay, dann habe ich halt nur mit diesem Typen etwas zu schaffen.« Wo der Baum steht, auf den du klettern müsstest, damit die Gnade bei dir einschlägt, kann ich dir nicht sagen. Doch wenn du einen Rat haben möchtest, wie du subjektiv mehr von dieser Gnade erleben kannst, hätte ich einen Vorschlag: Es wird immer jemanden geben, den du verurteilst, der dich stresst, den du verachtest. Wenn du ein Polizist bist, bete für die Autonomen. Wenn du ein Autonomer bist, bete für die Neonazis. Wenn du ein Neonazi bist, bete für die Asylanten. Wenn du ein Asylant bist, bete für … Du weißt, was ich meine. Ich kann verstehen, wenn dir mulmig wird. »Und wenn der sich nicht ändert? Bin ich dann nicht am Ende der Dumme?« Ich sehe, du hast verstanden. Gnade ist riskant. ///
Harald Sommerfeld (56), auch bekannt als Haso, ist verheiratet, Vater von vier erwachsenen Kindern und wohnt in Berlin. Er hat Mathematik und Theologie studiert und als Pastor und Dozent gearbeitet. Zuletzt war er im Rahmen des Netzwerkes »Gemeinsam für Berlin« als »Beauftragter für interkulturelle Beziehungen« tätig. Mehr dazu, wie man Gnade erleben und ohne Schuldgefühle leben kann, hat er in seinem Buch »No More Blues. Glauben ohne Schuldgefühle« geschrieben, das man unter www.down-to-earth.de bestellen kann.
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10 Jahre THE RACE Eine Retrospektive Erste Februarwoche: Großer Umzugstermin! THE RACE bezieht neue Räumlichkeiten in der Meininger Innenstadt; Befreiung aus dem Plattenbau – Erweiterung!
Es gibt etwas zu feiern: Mit dieser Ausgabe feiert THE RACE ihren 10. Geburtstag! Mancher Leser erinnert sich vielleicht noch an die Anfänge und mag mit uns einen Blick zurück werfen. Für alle anderen ist es sicher interessant mal zu sehen, wie THE RACE begonnen und sich entwickelt hat. THE RACE – eine Retrospektive:
Ab THE RACE Nr. 5: Änderung des Untertitels in »Kompromisslose Lehre für die junge Generation«. Februar, Mai, August, November: Die Ausgaben 5-8 erscheinen. Ermutigendes Feedback von Jugendlichen, Jugendleitern und Hauskreisleitern. Oktober: Anmietung eines 16-m²-Raumes als Büro in einem Plattenbau mit Original-PVC-Geruch.
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Fieberhafte Arbeit an der ersten Ausgabe. Februar: THE RACE Nr. 1 ist da. Claim ist »Run it! Win it! – Das neue Lehrheft für die junge Generation«. Die Ausgaben Nr. 2-4 gehen ins Land. Die Abozahlen steigen. Ende 1998 Überlegungen bei Marcus Splitt, ein Lehrheft für junge Christen zu machen, das mehr mit Inhalten überzeugt als mit bunten Bildchen. Eigentlich frech. Trägerkreisgründung Anfang 1999. Ein Redaktionsteam bildet sich aus Vertretern von vier Werken: Prayer Inter Net (ab 2004 Destiny Design): Marcus Splitt Jugend-, Missions- und Sozialwerk: Klaus-Peter Foßhag Christliches Trainingszentrum: Ben-Rainer Krause Glaubenszentrum Bad Gandersheim: Michael Puschke Redaktionstreffen mit gemeinsamen Brainstormings. Das eigentliche Doing liegt in den Händen von Marcus Splitt als Visionär sowie Johannes Sturm als brilliantem Umsetzer. Boris Kern als Grafiker legt viel Herzblut in das Projekt. Beten, planen, organisieren, Preise einholen ...
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Die Erscheinungstermine werden um jeweils einen Monat nach hinten verlegt. Die erste Ausgabe 2004, THE RACE Nr. 17 erscheint daher erst im März. Neuer Untertitel »Lehre, die dich weiterbringt«.
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2002 entpuppt sich zum Krisenjahr. Durch Fehler im Finanzmanagement steht THE RACE im August kurz vor dem Aus! Die Ausgabe Nr. 11 kann gerade so bezahlt werden. Die Redaktionsleitung, bestehend aus Marcus Splitt und Johannes Sturm, schreibt eine E-Mail an alle RACE-Abonnenten, in der die Lage beschrieben und um Verständnis und Hilfe gebeten wird. Nur der finanziellen Unterstützung der Leserschaft ist es zu verdanken, dass es THE RACE heute noch gibt. Herbst: Die Erstausgabe unserer Webseite wird live geschaltet. November: Die Ausgabe Nr. 12 geht ins Land – ohne weitere finanzielle Engpässe. Insgesamt kann das Jahr 2002 mit einem geringen Gewinn abgeschlossen werden – ein echtes Wunder.
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Januar: Destiny Design verändert sich. Erste Überlegungen kommen auf, THE RACE an jüngere Leute zu übergeben. Februar/März: Ein neues Team übernimmt das Ruder: Benjamin Finis und Michael Zimmermann übernehmen gemeinsam die Leitung von THE RACE. Unterstützt werden sie dabei von Daniel Trebien und Alja Renk. Das Jugend-, Missions- und Sozialwerk Altensteig wird offizieller Herausgeber.
Die Juli-Ausgabe zum Thema »Finanzen« (Nr. 25) ist die erste Ausgabe des neuen Teams.
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Der Relaunch: Neues Konzept und Design. Michael Zimmermann verstärkt das Redaktionsteam und erarbeitet ein neues Design. Darüber hinaus gibt es jetzt nur noch drei große Rubriken: Heftthema, Denken - Fühlen - Handeln und das Jahresthema. Der Untertitel wird ein weiteres Mal geändert. Diesmal auf »Qualifizieren. Inspirieren. Mobilisieren«. März: The RACE erscheint erstmals im neuen Look und wirkt aufgeräumter, geradliniger und reifer. Juli: Erstmals erscheint eine The RACE CD-ROM, die alle Abonnenten mit der Juli-Ausgabe erhalten. Die Reaktionen darauf sind jedoch verhalten.
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Juli/August: Der neue InternetAuftritt geht an den Start. Jörg Schellenberger und Nadja Gail steigen ins Redaktionsteam mit ein. Anke Philippi wird Redaktionsassistentin im Bereich Marketing.
April: Das Design wird weiterentwickelt, das Logo modifiziert.
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Januar: THE RACE wird selbstständig! Über den eigens dafür gegründeten oora verlag wird THE RACE ab jetzt erscheinen. Gründer des Verlags sind Michael Zimmermann und Jörg Schellenberger, Abo- und Finanzverwaltung übernimmt der Dienstleister »InTime Media Services«.
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Oktober: Jens Kiefer engagiert sich als Unterstützer für Sebastian Schenk in der Abo-Verwaltung.
Wir danken dem Jugend-, Missions- und Sozialwerk Altensteig für seine große und selbstlose Hilfe als Herausgeber in den letzten Jahren. Ohne euch hätten wir es nicht geschafft!
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Februar: Anneke Reinecker, zuvor schon Lektorin für THE RACE, wird Mitglied des Redaktionsteams. März: Rubriken werden umbenannt und das äußere Erscheinungsbild von THE RACE weiterentwickelt.
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März: Jens Kiefer übernimmt von Sebastian Schenk die komplette Abo-Verwaltung. Im Laufe des Jahres verlassen uns aus Gründen der Neuorientierung oder anders gelagerter Prioritäten Nadja Gail, Alja Renk und Daniel Trebien.
August: Kathrin Bürkle übergibt die Verantwortung für den Abonnenten-Service und die Bestellabwicklung von THE RACE an Sebastian Schenk. Oktober: Allen Teammitglieder wird in annähernd gleichem Umfang Verantwortung für die Inhalte gegeben und die Möglichkeit eingeräumt, Artikel von anderen zu kommentieren. So soll die Meinungsvielfalt innerhalb des Teams auch in der Zeitschrift abgebildet und das Profil von THE RACE als Zeitschrift zum WEITERdenken geschärft werden. Anne Coronel wird Mitglied des Redaktionsteams.
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Der Ur-Designer am Werk Kunst und du Text: Debora Ruppert
// Ich schlendere durch die Straßen New Yorks, über den Broadway, die schmalen Straßen von China Town, schnuppere hinein in die Designerläden in Soho und streife durch die Häuserblocks in Brooklyn. Mitten in Manhattan bleibe ich stehen und spüre den Rhythmus der Stadt. Es ist, als würden Pulsschläge durch New York gepumpt, wie Blut, das durch die Adern der Stadt fließt. Beats strömen in die Modeszene, fließen in die Clubs, vom Broadway auf die Bühnen der Welt. Designer lassen sich hier inspirieren, lange Menschenschlangen ergießen sich vor gläsernen Gebäuden auf dem Broadway: Models, Tänzer und Musiker stehen Schlange in der Hoffnung beim Casting entdeckt zu werden. Kunstgalerien finden sich in Szenespots und in verlassenen Hafengegenden. Die Stadt vibriert, rhythmische Beats wabbern in Mode-, Kunst-, und Musikszene. Ich bin zurück, heimgekehrt nach Berlin, der Stadt, die ich so sehr liebe. Ich schlendere durch die Straßen des Prenzlauer Berges mit den kleinen gemütlichen Cafes, laufe am »Kauf Dich Glücklich« vorbei, wo man auf weißlackierten, verschnörkelten Metallstühlen mit trashigen Kunstlederbezügen sitzend die leckersten Waffeln der Stadt verzehren kann, sich von den Sonnenstrahlen wärmen lässt, während die Spatzen frech auf den Tisch hüpfen und die Krümel der Waffeln aufpicken. Ich schlendere durch den Mauerpark mit seinen Straßenkünstlern und Drum-Zirkeln, der Karaoke im Freiluftauditorium, den Schmuckhändlern
mit ihren Bauchläden und den Pärchen, die im Gras chillen. In Berlin bin ich angekommen, hier bin ich Zuhause. Es ist, als sei ich in dieser Stadt wachgeküsst worden, als hätte Gott durch die Dynamik und Kreativität in dieser Stadt etwas in mir aufgeweckt, was vorher geschlummert hat. Als hätte die Kreativität, die durch die Straßen dieser Stadt fließt, auch die Kreativität in meinen Adern neu zum Schwingen gebracht und mein Herz aufgefordert zu einem Tanz.
Ein Entwurf zum Selbstverständnis der Kunst Kunst mit ihren verschiedenen Ausdrucksformen prägt uns. Wir sind eine visuelle Gesellschaft und werden tagtäglich mit unzähligen Bildeindrücken konfrontiert. Sie rauschen an uns vorüber: Clips in den U-Bahnen, Werbung bei MySpace und Facebook, Musikclips auf dem Handy. Eine Flut von Eindrücken prasselt fortwährend auf uns nieder. Die Kunst ist und war zu allen Zeiten ein Sprachrohr. Ein Sprachrohr, das visualisiert und verkündigt, oftmals auf Missstände hinweist, wie zum Beispiel Heinrich Zille, der in der Zeit des Wilhelminischen Kaiserreiches die soziale Unterschicht in den Berliner Hinterhöfen mit ein paar Pinselstrichen aufs Papier brachte und die Gesellschaft so bewusst mit ihrem Dasein konfrontierte. Kunst protestiert gegen zerstörerische Regime. Sie träumt von einer besseren Welt, wie beispielsweise in dem Gedicht »I have a dream« von Martin Luther King. Sie
zeigt Schönheit – man denke nur an das Gemälde »Mona Lisa« von Leonardo da Vinci. Auch Leid und Krankheit weicht sie nicht aus, selbst dem Tod blickt sie ins Gesicht. Dies wird einmal mehr in den Fotografien von Annie Leibovitz sichtbar, welche ihre Lebensgefährtin, die Journalistin Susan Sonntag, in ihrem langwierigen Krankheits- und Sterbeprozess mit der Kamera sensibel begleitete. Die Kunst konfrontiert politische und gesellschaftliche Strömungen und auch den Zeitgeist, wie in der Arbeit des Modefotografs F. C. Gundlach zu sehen ist. Gundlach dokumentiert diesen, spiegelt ihn wider, macht ihn begreifbar und hinterfragt dabei das Dargestellte. Kunst prägte und prägt die Gesellschaft ständig aufs Neue. Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist: Wer wiederum prägt und gestaltet die Kunst? Begeben wir uns auf eine Zeitreise, zurück zu den frühsten Anfängen der Kunst, so finden wir uns im Tohuwabohu und bei dem Urheber aller Kunst wieder. Demjenigen, dem die Urheberrechte dieses Planeten gehören. Sein einmaliges Design wird in jedem Kaktus, jedem Gletscher, jedem Oktopus und jedem Wetterleuchten sichtbar.
Der erste Designer Die Kreativität und das Potential Neues zu entwerfen und zu schaffen ist zutiefst göttlich. Der Designer des Universums begegnet uns in den ersten Zeilen der Heiligen Schrift als Künstler, der aus dem Nichts etwas erschafft und kreiert. Der aus dem Tohuwabohu Schönheit er-
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der ur-designer am werk
Der Designer des Universums begegnet uns in den ersten Zeilen der Heiligen Schrift als Künstler, der aus dem Nichts etwas erschafft und kreiert. weckt. Der in Vielfalt modelliert und erschafft. Er begegnet uns als Designer des Erdballs, der die Farben und Formenvielfalt entwickelt hat, der das Urheberrecht auf jedes Design hat, der aus Materie, aus Ton das Geschöpf, gemäß seiner eigenen DNA, entsprechend seines eigenen Designs, als Mann und Frau kreiert. Er, der Schöpfer, hat etwas von seiner schöpferischen Kraft, seiner Kreativität und Innovation in uns, seine Geschöpfe, gelegt. Das wird in Form von Fotografie, Malerei, Architektur, Tanz, Musik, Prosa, Design sichtbar. All dies sind Expressionen der Genialität des Schöpfers. Etwas von dieser Genialität wird in der Expression, dem künstlerischen Gestaltens seiner Geschöpfe, sichtbar.
Spüre den Rhythmus deiner Stadt Kunst, die etwas von dem kreativen Potential des Schöpfers aufblitzen lässt, ist nicht an das Label »christliche« Kunst gebunden. Damit in der Kunst etwas von dem Schöpfer sichtbar wird, ist es
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meiner Meinung nach nicht notwendig, ausschließlich Bibelverse zu zitieren. Allein dass ein Mensch künstlerisch tätig sein kann, dass er Neues entwerfen kann, ist ein Zeichen dafür, dass er in Gottes Ebenbild geschaffen ist. Diese Fähigkeit ist bereits in sich ein Sichtbar werden der Gottesebenbildlichkeit des Menschen. Gott der Schöpfer hat diese Gabe in jeden Menschen gelegt, unabhängig davon, ob derjenige in einer bewussten Beziehung zu Gott lebt oder nicht. Dies gilt es zunächst anzuerkennen und zu achten. Das bedeutet natürlich nicht, dass ich mit allen Inhalten jeglicher Form von Kunst übereinstimme oder sie befürworte, aber es gilt in Achtung, Wertschätzung und Respekt mit der Kunst eines anderen umzugehen. Sich auch aus einem eventuell verkürzten Denken, über »weltliche« und »christliche« Kunst heraus zu lösen und vielmehr anzuerkennen: »Alles ist durch ihn (Christus) und für ihn geschaffen« (Kolosser 1, 16b). So kann überall auf diesem Planeten und in den verschiedenen Aus-
drucksformen der Kunst etwas von Christus sichtbar werden, unabhängig davon ob Christen oder Nichtchristen sie entworfen haben. Vor einiger Zeit bin ich in Berlin über die Oberbaumbrücke vom Bezirk Friedrichshain in den Nachbarkiez Kreuzberg gelaufen und habe dort ein Street-Art-Bild entdeckt, auf dem eine Frau abgebildet ist, die ihren Mund weit geöffnet hat und leidenschaftlich schreit. Es ist ein Bild voller Intensität und Leidenschaft. Während ich weiter durch Kreuzberg lief, dachte ich über das Bild nach und empfand, dass es einen Teil dieses Stadtteils sehr gut zum Ausdruck brachte. Dann erinnerte ich mich an ein Zitat aus der Weisheitsliteratur in den Sprüchen Salomos, Kapitel 31, 8, wo es heißt: »Öffne deinen Mund für den Stummen und für den Rechtsanspruch aller Schwachen!« So erlebe ich Kreuzberg. Es ist ein Kiez, in dem viel demonstriert und protestiert wird, wo Menschen verschiedener Couleur ihren Mund für den Rechtsan-
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spruch der Schwachen öffnen und auf Unrecht aufmerksam machen und Ungerechtigkeit benennen. Gleichzeitig war ich an ein poetisches Zitat aus Psalm 9, 13b erinnert, wo es heißt: »Gott hat das Schreien der Elenden nicht vergessen.« Mit dieser Aussage des Psalmisten in meinen Gedanken bewegt es mich, Berlin-Kreuzberg zu sehen und zu wissen, dass Gott jeden Schrei, jede Demonstration, jedes »auf die Barrikaden gehen« gegen Ungerechtigkeit sieht. All diese Gedanken wurden inspiriert von diesem Street-Art-Bild. War der- oder diejenige, die es entworfen hatte, Christ? Ich
weiß es nicht, ich habe den Künstler nie kennengelernt. Aber unabhängig davon, ob er mit Gott in einer nahen, vertrauten Beziehung lebt oder nicht: Er hat dieser Stadt Berlin gelauscht, vielleicht ganz spezifisch dem Stadtteil Kreuzberg, und hat etwas von dessen Rhythmus aufgenommen und in eine Form gebracht. Allein darin wird etwas von Gottes Ebenbild sichtbar, sei es in dem kreativen Schaffen dieser Person oder in dem »Erkennen und Wahrnehmen« eines Stadtraumes oder der Menschen, die darin leben.
Das kreative Potential Die Frage, die für mich dadurch aufgeworfen wird, ist: Wie wird das künstlerische und gestalterische Potential im Menschen geweckt, sodass es sichtbar wird und eine Dynamik der Expansion entsteht? Es gibt eine Vielfalt von Arten und Weisen, wie Gottes Geist durch die Kunst weht. Ein Beispiel aus dem Bereich des Kunsthandwerkes vor vielen 1000 Jahren sei hier aufgeführt. In 2. Mose 35, 30-35 heißt es dazu nämlich: »Und Mose sprach zu den Israeliten: Sehet, der HERR hat mit Namen berufen den Bezalel (...) und hat ihn erfüllt
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der ur-designer am werk
Was sind die Orte, an denen du dich frei fühlst, zu leben, zu träumen und zu sein? mit dem Geist Gottes, dass er weise, verständig und geschickt sei zu jedem Werk, kunstreich zu arbeiten in Gold, Silber und Kupfer, Edelsteine zu schneiden und einzusetzen, Holz zu schnitzen, um jede kunstreiche Arbeit zu vollbringen. Und er hat ihm auch die Gabe zu unterweisen ins Herz gegeben, ihm und Oholiab(...). Er hat ihr Herz mit Weisheit erfüllt, zu machen alle Arbeiten des Goldschmieds und des Kunstwirkers und des Buntwirkers mit blauem und rotem Purpur, Scharlach und feiner Leinwand und des Webers, dass sie jedes Werk ausführen und kunstreiche Entwürfe ersinnen können.« Hier wird von einem künstlerisch begabten Handwerker berichtet, der im Zeitalter der Pharaonen in Ägypten lebte, und von dem es nach dem Auszug aus der Metropole Ägypten bei dem Bau der Stiftshütte heißt, dass der Geist Gottes auf ihm ruhte und er geschickt war zu jedem künstlerischen Werk. Hier wird beschrieben, wie Gottes Geist jemanden im Bereich der Kunst begabt und wie sich das Potential, das in diesem Menschen geschlummert hat, einen Weg nach außen bahnt. Dies ist im Bereich der Kunst nicht auf das Handwerk des Goldschmieds zu reduzieren, sondern auf alle weiteren künstlerischen Begabungen zu übertragen. Es gilt also, die eigenen Charismen, die Begabungen, durch die Gottes Geist wirken kann, zu entdecken. Ein guter Tipp, um die eigenen Gaben zu entdecken, können folgende Fragen sein: Wobei schlägt mein Herz schneller? Was bringt mich zum träumen? Was fasziniert und begeistert mich?
Was macht dich lebendig? Nicht jeder Mensch auf diesem Planeten befindet New York und Berlin als die schönsten Städte auf Gottes Erden. Jeder Mensch hat andere Orte, die ihn faszinie-
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ren, inspirieren und wo er sich dem Leben nahe fühlt. Für den einen ist es ein Leuchtturm am Meer, für den nächsten der Blick über eine Großstadt von einem Hügel in der Nacht, für den anderen seine Hängematte, für den nächsten sein Lieblingscafé. Was sind die Orte, an denen du dich frei fühlst, zu leben, zu träumen und zu sein? Was inspiriert, beflügelt und befreit dich? Was weckt und ruft das in dir hervor, was tief in dir schlummert? Was befreit dich zum Leben?
Der Fokus Aber entspricht es nicht einfach nur dem Zeitgeist unserer individualistischen Gesellschaft, sich, seine Stärken und sein Potential zu entdecken? Geht es als Christ nicht in erster Linie darum, zu dienen, demütig zu sein und anderen Menschen Gutes zu tun, beispielsweise als Krankenschwester oder als Lehrer? Ich persönlich bin der Überzeugung, dass es eine der tiefsten Arten der Anbetung des Schöpfers ist, wenn ich das Original, als das Gott mich kreiert hat, in mir entdecke. Damit erkenne ich Gott, seine souveräne Herrschaft und sein souveränes Design tiefgehend an. Und ich bete Gott als das Geschöpf, als das er mich geschaffen hat, an. Es gilt, dich und das einzigartige Design, mit dem Gott dich geschaffen hat, sowie die Leidenschaften, Befähigungen und Begabungen, die er in dich hineingelegt hat, zu entdecken. In 1. Korinther 12, 11 heißt es, dass der Geist Gottes die Gaben austeilt, wie er will. Es kann also sein, dass du eine Begabung als Künstler, Krankenschwester, Lehrer oder Astronaut auslebst und damit diesen Planeten beglückst. Es gilt, die anvertrauten Talente in die Waagschale zu werfen, sich
an ihnen zu freuen und dies alles zur Verehrung und zur Anbetung Gottes.
Aller Ruhm dem ewigen Designer »Was immer ihr tut, tut von Herzen unserem Herrn Jesus Christus« (frei übersetzt nach Kolosser 3, 3a). Ob du als Krankenschwester oder Lehrer in einem Entwicklungsland oder hier vor Ort arbeitest, ob du dich als Theologe gerade auf eine Gemeindegründung vorbereitest, als Schriftsteller an einem neuen Roman schreibst, als Tänzerin für eine Aufführung trainierst, als Fotograf in verschiedene Länder reist, als Designer an deinem innovativen Entwurf arbeitest – was immer du tust, tue zur Ehre und zum Lob des Herrn. Sich wahrhaft für diesen Planeten zu investieren und die Menschen dadurch zu beglücken, dass du das volle Potential ausschöpfst, das der Ur-Designer in dich hineingelegt hat, darin liegt Freiheit und Heilung für dich, für mich und diese Welt. ///
Debora Ruppert (28) liebt Berlin und wohnt dort im schönen Kiez Prenzlauer Berg. Dort gründet sie gerade eine Community mit dem Namen »Mosaik – Community of Arts«. Ansonsten studiert sie Theologie in Form eines Fernstudiums an einer Uni in Florida und fotografiert leidenschaftlich gerne www.menschkindberlin.de. In ihrer freien Zeit reist sie gerne, besucht Kunstausstellungen und liebt es, sich mit Freunden und Bekannten auf einen Kaffee mit nettem Plausch zu treffen.
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Die Welt auf den Kopf stellen
Was passiert, wenn wir von den Beziehungen her denken Text: Daniel Ehniss
// Von den Beziehungen her zu denken fühlt sich an, als ob wir die Welt auf den Kopf stellen würden. Mit einer Schneekugel ist es einfach, die Welt auf den Kopf zu stellen. Ich nehme sie in die Hand, hebe sie leicht von der Tischplatte an und drehe sie um. Die Schneeflocken fallen langsam nach oben und sammeln sich am Himmel. Wenn sich der ganze Schnee am Himmel gesammelt hat, stelle ich die Schneekugel vorsichtig auf den Tisch zurück und sehe dem Schnee dabei zu, wie er leise vor einer idyllischen Landschaft zu Boden rieselt.
Wir leben in einer Welt, die auf dem Kopf steht Hier stehen wir nun, bis zu den Knien im Schnee. Der Schnee liegt allerdings nicht auf dem Boden. Nein, wir stehen in der Himmelswölbung. Der Schnee hat sich hier angesammelt. Derjenige, der unsere Schneekugel in Händen hält, hat wohl vergessen sie wieder auf den Tisch zu stellen. Wir sind es gewohnt, von den Menschen, Personen oder Dingen her zu denken und Beziehungen als etwas Sekundäres zu verstehen. Auch wenn wir es oft nicht bewusst tun, so gehen wir in vielen unserer Handlungen von einer Personendefinition aus, die auf den Gedanken von Boëthius beruht. Für ihn lag das Besondere der Person vor allem in ihrer Unabhängigkeit und ihrer Rationalität. Das Ideal eines solchen Personenbildes ist das autonome Selbst. Es gründet seine Handlungen auf unabhängige rationale Entscheidungen. Die ideale Person wird als unabhängiges Individuum verstanden. Sie kommt alleine auf ihre guten Ideen und setzt diese ohne Hilfe anderer um. Sie weiß wer sie ist und kennt ihre Stärken. Di-
ese setzt sie sehr bewusst ein und erreicht ihre selbstgesteckten Ziele. Natürlich wird Teamfähigkeit immer wieder als wichtig bezeichnet, sie erscheint jedoch nur dann sinnvoll, wenn jede und jeder sich selbst genau kennt und auch alleine zurecht käme. Die Beziehung, das Team oder der Austausch stehen an zweiter Stelle. Und unbewusst erscheint uns derjenige, der auf Hilfe angewiesen ist, immer als schwächer. In der Himmelswölbung stehend, nehmen wir die Person, ihre Identität und somit das Subjekt als zentral wahr. Beziehungen gelten uns als sekundär und bilden eine nette Ergänzung. Die Schneekugel wird jedoch immer kippen, wenn wir versuchen, sie auf den Himmel zu stellen. Wir müssen sie dringend umdrehen, zurück auf den Boden.
Beziehungen wieder entdecken Einige Denkerinnen und Denker haben damit begonnen unsere Welt wieder zu drehen. In Soziologie, Philosophie und Theologie gibt es eine ganze Reihe von Menschen, die der Bedeutung von Beziehungen wieder einen höheren Stellenwert geben. Bei ihnen steht nicht mehr das Subjekt im Zentrum, sondern sie denken von den Beziehungen her. Erst kürzlich fand ich in einem Buch1 einen sehr guten Zugang zur Bedeutung von Beziehungen. Wenn wir es wagen, die Person vom Ereignis ihrer Entstehung her zu sehen, stellen wir fest, dass es ohne Beziehung keine Person gäbe. Eine Frau liebt einen Mann, dieser erwidert die Liebe der Frau und die beiden schlafen miteinander. Dabei verbindet sich 1 Ina Praetorius: »Gott dazwischen – eine unfertige Theologie«
ein Same des Mannes mit einer Eizelle der Frau, ein Mensch entsteht. Im Bauch der Frau wächst der Mensch heran. Die Eltern nehmen schon jetzt Kontakt mit ihrem Kind auf. Wenn der Säugling schließlich zur Welt kommt, ist er bereits in ein reiches Beziehungsgeflecht eingebunden. Wenn wir unser aller Geborensein in Erinnerung bewahren, dann relativiert sich schnell der Anspruch, dem autonomen Ideal entsprechen zu müssen und wir behalten unser Leben in Beziehungen im Blick. In der Soziologie wird die Angewiesenheit des Menschen auf Sozialisation thematisiert. Niemand von uns ist direkt nach seiner Geburt in der Lage selbstständig zu leben. Wir sind darauf angewiesen, dass sich unsere Eltern um uns kümmern. Sie betreuen uns und helfen uns dabei in dieser Welt zu leben. Wir sind nicht wie Tiere mit richtungsweisenden Trieben ausgestattet, vielmehr sind wir auf Kultur angewiesen, die es uns ermöglicht, im Alltag zurecht zu kommen. Wir erlernen die Kultur von unserem Umfeld und sind Zeit unseres Lebens daran beteiligt, unsere Kultur mit zu prägen. Martin Buber hat davon gesprochen, dass in der Begegnung mit dem Du das Ich entsteht. Die Beziehung zu unseren Bezugspersonen, gerade die in unseren ersten Jahren, machen deutlich, was Buber gemeint hat. Wir lernen, uns selbst durch die Begegnung mit unseren Bezugspersonen wahr zu nehmen. Das eigene Ich eines Säuglings wird diesem in der Begegnung mit seiner Mutter bewusst. Er beginnt langsam zu verstehen, dass seine Mutter und er zwei unterschiedliche Personen sind. Über andere findet er zu sich selbst und wird immer mehr dazu fähig in Beziehungen zu leben.
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die welt auf den kopf stellen
Wenn wir von den Beziehungen her denken, beginnen wir, unsere Identität dynamisch und nicht statisch zu verstehen. Unsere Identität ist uns nicht biologisch als Wesenskern mitgegeben, sie entwickelt sich in den Beziehungen. Diese Entwicklung geschieht in unseren ersten Jahren am auffälligsten, endet dort jedoch nicht. Wir stehen unser gesamtes Leben im Austausch mit unserem Umfeld. Dieses prägt uns, und auch wir prägen unser Umfeld. Unse-
klang des erlebten Handelns Gottes. Am Beispiel der Schöpfung ist meiner Ansicht nach sehr gut Gottes Handeln in Beziehung zu erkennen. Die dreieinige Gottesgemeinschaft öffnet sich und lädt ihre Schöpfung in ihre Gemeinschaft ein. Vater, Sohn und Geist sind beteiligt. Bei der Schöpfung handelt es sich um einen weiten Lebensraum für die Geschöpfe, der eine Fülle von Möglichkeiten des Lebens bietet. Die Gottesgemeinschaft
Die drei Personen handeln gemeinsam. Wenn wir von diesem gemeinsamen Handeln der Gottesgemeinschaft ausgehen, fällt es schwer von einem Wesen Gottes oder gar einer göttlichen Substanz, zu sprechen. Wir reden jedoch auch nicht von drei autonomen Göttern und bilden mit unseren Gedanken zur Gottesgemeinschaft keine Analogie zum griechischen Götterhimmel. Wir interpretieren aus dem Handeln eine lebendige liebende Gemein-
re Identität erreicht kein festes Stadium, in dem sie dann als abgeschlossen bezeichnet werden könnte, sondern verändert sich entsprechend unserer Geschichte weiter.
schafft auf Beziehung hin. Die Schöpfung geschieht in Gemeinschaft, die Geschöpfe sind in diese Gemeinschaft eingeladen und werden nicht als unabhängige Einzelwesen geschaffen. Ihre Fähigkeit, in Beziehungen zu leben, sowie die Beziehungsorientierung an sich, enden nicht an irgendeiner geschöpflichen Grenze, sondern ziehen sowohl die Beziehung zwischen Geschöpf und Gott, als auch unter den Geschöpfen mit ein. Schließlich ist die Einladung des Menschen in die Gottesgemeinschaft auch mit einer Einladung zur Partizipation verbunden. So wie alle Geschöpfe durch Fortpflanzung in den Schöpfungsprozess involviert sind, sind es auch die Menschen. Sie bekommen darüber hinaus eine Mitverantwortung gegenüber der Schöpfung zugesprochen und sind eingeladen, mit der Gottesgemeinschaft Verantwortung gegenüber der Schöpfung zu übernehmen und diese mit zu gestalten. In der Schöpfung sehen wir die Gottesgemeinschaft in hohem Maße beziehungsweise handeln.
schaft. Sie handeln gemeinsam, kommunizieren miteinander und einigen sich. Und dennoch handelt es sich nicht um eine abgeschlossene Gemeinschaft, sondern um eine Gemeinschaft, die sich in der Schöpfung auf die Geschöpfe hin öffnet und die se in ihre liebende Gemeinschaft einlädt.
Gott von den Beziehungen her denken Wie eben erwähnt, wird auch in der Theo logie die Bedeutung der Beziehungen wiederentdeckt. Der Begriff »Dreieinigkeit« begegnet uns in diesem Zusammenhang wieder häufiger und weist auf die Beziehung von Vater, Sohn und Geist hin. Nachdem wir uns zunächst mit einigen Gedanken zu Beziehungen unter Menschen beschäftigt haben, wollen wir nun einen Blick auf die Beziehungen der Gottesgemeinschaft werfen. Wir betrachten dazu die drei Verben »handeln«, »lieben« und »tanzen« bezogen auf Gott.
Gott handelt Wir erkennen Gott hauptsächlich durch sein Handeln. Das, was wir über Gott aussagen, interpretieren wir im Nach-
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Gott liebt In diesem Abschnitt betrachten wir die Aussage »Gott ist Liebe« ausgehend von 1. Johannes 3, 16 aus einer relationalen Perspektive. Ich entscheide mich für diese Stelle, da hier eine Interpretation von Gottes Handeln vorliegt. Die Gottesgemeinschaft liebt nicht mit einer romantischen Liebe, wie sie beispielsweise in Liebesliedern besungen wird. Es handelt sich dabei vielmehr um eine Liebe, die sich die Hände schmutzig macht. Nach 1. Johannes 3, 16 erkennen wir die Liebe Gottes darin, dass Jesus als Mensch auf diese Welt kam und hier sein Leben für uns gab.
quergedacht
In Jesu Menschwerdung wendet sich die Gottesgemeinschaft ihrer Schöpfung zu. In einer bedingungslosen Hinwendung zur gesamten Schöpfung lädt sie uns zu sich ein. Jesus gibt sich in die menschliche Sphäre hinein und nimmt neben einigen Einschränkungen auch eine extreme Leidenserfahrung auf sich. Wir verstehen Gottes liebevolles Handeln am besten in seinem rettenden Heilshandeln. Wenn wir dann weiterlesen, stellen wir fest, dass wir nicht nur über Gottes Liebe staunen dürfen, sondern dass wir eingeladen sind, unsere Hände schmutzig zu machen, an der rettenden und befreienden Liebe Gottes zu partizipieren. In der erneuten Hinwendung der Gottesgemeinschaft auf ihre Schöpfung hin, sehen wir, dass die Dreieinigkeit nicht auf sich selbst beschränkt ist. Der Vater sendet den Sohn, dieser geht und lebt, im Einklang mit dem Vater durch den Geist, in dieser Welt. Jesus umarmt die Schöpfung. In Jesus wird die mögliche Beziehung der Geschöpfe mit der Gottesgemeinschaft sichtbar. Er lebt ihnen liebevoll zugewandt, befreit die Schöpfung und begründet somit die Hoffnung der Schöpfung auf eine bevorstehende vollkommene Gemeinschaft.
Gott tanzt Bisher haben wir hauptsächlich über die Hinwendung der Gottesgemeinschaft zur Schöpfung gesprochen. Mit einem Bild aus der Ostkirche möchten wir abschließend noch einen Blick auf die Gottesgemeinschaft werfen. Mit dem Begriff »Perichorese« wird in der Ostkirche die Gottesgemeinschaft angedeutet. Dieser Begriff kommt aus dem Bereich des Tanzes. Hier stand er vor allem für das einander Umtanzen. Die drei Personen Gottes leben in einer Gemeinschaft. Karl Barth nahm diesen Begriff ebenfalls auf und verstand ihn als Ausdruck des Einigwerdens der Gottesgemeinschaft. Perichorese deutet die liebevolle Zuwendung innerhalb der Gemeinschaft an. Sie kommunizieren miteinander, gehen aufeinander zu und einigen sich. Keine der drei Personen beharrt auf seiner Position, sondern
öffnet sich auf den anderen hin. In diesem Tanz bleibt die jeweilige Besonderheit von Vater, Sohn und Geist gewahrt. Und trotz ihrer Besonderheiten lässt sich der Begriff »Gott« nicht auf eine der drei Personen begrenzen, sondern steht symbolisch für die Beziehung der drei Personen. Die Gottesgemeinschaft tanzt. Dieser Tanz findet jedoch nicht in geschlossener Gesellschaft statt. Die gesamte Schöpfung ist eingeladen. Wir sind eingeladen mit Gott zu kommunizieren, uns daran zu beteiligen was er tut und uns sowohl ihm als auch der Schöpfung liebevoll zuzuwenden.
Buchhinweis: Daniel Ehniss und Björn Wagner (Hrsg.)
Beziehungsweise Leben: Inspirationen zum Leben und Handeln im Einklang mit Gott und Menschen. Ein Sammelband, der sich leicht verständlich mit Spiritualität, Gerechtigkeit und gemeinsam gelebter Nachfolge beschäftigt. Stuart Hall
Kulturelle Identität und Globalisierung Seiten 393-441. (In: Karl H. Hörning und Rainer Winter (Hrsg.), Widerspenstige Kulturen: Cultural Studies als Herausforderung.) Ein Sammelband aus dem Bereich der Cultural Studies mit unterschiedlichsten Artikeln, die z. T. anspruchsvoll zu lesen sind.
Wir Menschen als Ebenbild Gottes In diesem Artikel sind wir von den Beziehungen unter Menschen ausgegangen, da es sich hierbei um gewohntes Terrain handelt, und haben erst dann über die Möglichkeiten gesprochen, Gott von den Beziehungen her zu denken. Nun kehren wir noch einmal zu den Beziehungen unter Menschen zurück. Wir Menschen sind im Ebenbild Gottes auf Beziehung hin geschaffen. Wir müssen daher nicht nach Unabhängigkeit streben und uns danach ausstrecken alles alleine geregelt zu bekommen. Wir dürfen uns der Tatsache, auf die Gottesgemeinschaft und unsere Mitmenschen angewiesen zu sein, bewusst bleiben und sind eingeladen in vielfältigen Beziehungen zu leben. Wir sind auf Beziehung hin geschaffen. Niemand ist ohne Gegenüber komplett. Auf die Frage »Wer bin ich ohne dich?« haben wir bereits weiter oben mit »ohne dich bin ich nicht« geantwortet. Die Auswirkungen dieser Gedanken möchte ich nun noch kurz auf unsere Nachfolge beziehen. Ein Leben in der Nachfolge verstehe ich als Leben in der Gottesgemeinschaft mit anderen Menschen. Das führt mich dazu, bewusst in Beziehungen nachzufolgen, das Leben zu teilen und voneinander zu lernen. In manchen Gemeinden oder Gemeinschaften findet das statt, allerdings braucht man dazu nicht zwingend eine Gemeinde im klassischen Verständnis und auch keine regelmäßigen Gottesdienste.
Jürgen Moltmann
Trinität und Reich Gottes: Zur Gotteslehre Ein sehr gutes Standardwerk aus der Theologie, in dem Gott von den Beziehungen her gedacht wird. Leonardo Boff
Kleine Trinitätslehre Eine gute und leicht zu lesende Einführung, um Gott von den Beziehungen her zu denken.
Ich wünsche mir, dass wir auch die Schneekugel unserer Nachfolge wieder auf den Tisch stellen und uns gemeinsam in den Situationen des Alltags an unser Leben in der Gottesgemeinschaft erinnern und einander dabei helfen an den liebevollen Handlungen Gottes in und an seiner Schöpfung mitzuwirken. ///
Daniel Ehniss (33) lebt mit seiner Familie in Karlsruhe. Dort ist er als Hausmann, Theologe und Webdesigner tätigt. Mit der Kubik-Gemeinschaft und im Rahmen von Emergent Deutschland beteiligt er sich an der Suche nach einer relationalen Nachfolge in unserer Zeit. Seinen Blog findest du auf www.danielehniss.de
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Staffelstabübergabe in der Redaktionsleitung Nachdem Benjamin Finis in den letzten vier Jahren als Koordinator ein sehr wichtiger Teil unseres Redaktionsteams war, übergibt er nun den Staffelstab an Jörg Schellenberger, der in Zukunft zusammen mit Michael Zimmermann die Redaktion leiten wird. Wir haben Benny und Jörg dazu ein paar Fragen gestellt:
Fragen an Benny Warum hörst du mit THE RACE auf und wie geht es für dich jetzt weiter? Ich habe mich dazu entschlossen aus dem Redaktionsteam auszusteigen, weil ich gemerkt habe, dass mein Herz zunehmend dafür schlägt in meinem direkten Umfeld zu prägen. Ich möchte mit den Jungs aus meiner FußballJugendmannschaft Zeit verbringen und ihnen ein Gegenüber sein. Ich will die Lokalpolitik aktiv mitgestalten und als Gemeinderat richtig Gas geben. Außerdem habe ich den Anspruch ein guter Ehemann und Freund zu sein und möchte immer wieder in meine Beziehungen investieren. Und da ich inzwischen auch noch berufstätig bin, musste ich Prioritäten setzen. Es ist einfach eine nächste Etappe in meinem Leben. Und diese führt mich stärker in die Ge-
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sellschaft und in Beziehungen hinein. Um die sich öffnenden Türen zu nutzen, brauche ich Zeit – und die will ich mir bewusst nehmen.
Was hat dir THE RACE persönlich gebracht? Zu Beginn hatte ich das Gefühl, aus Versehen zur falschen Zeit am falschen Ort die Hand gehoben zu haben. Im Rückblick kann ich jetzt sagen, dass es goldrichtig war, bei THE RACE einzusteigen und auch Verantwortung zu übernehmen, da die Arbeit meinen Horizont unheimlich erweitert hat. Die DNA von THE RACE war mir zu Beginn etwas suspekt: Die lieb gewonnenen Antworten ergebnisoffen hinterfragen, Grauzonen enttabuisieren, sich nicht mit dem Mainstream und 08/15 zufrieden geben. Das war für mich eine heftige Herausforderung, da ich aus einem Kontext komme, in dem viele Kopfnicker zu
Hause sind. Mich haben die vielen Impulse im Redaktionsteam geprägt, die zahlreichen Diskussionen, wie krass wir hinterfragen wollen und wo wir Grenzen definieren. Ich persönlich habe gelernt, meine Perspektive hinterfragen zu lassen und mich nicht hinter pauschalen Antworten zu verstecken. Wie viel Ehrlichkeit vertrage ich ganz persönlich? Und wie viel Ehrlichkeit können wir unserer Subkultur zumuten? THE RACE war aber auch eine neue Erfahrung im Hinblick auf Teamführung: Ein virtuelles Team, das über ganz Deutschland verstreut agiert, hat eine ganz eigene Dynamik – und wenn man sich nur zweimal im Jahr sieht und sich davor nicht kannte, ist das schon sehr spannend! Trotz der räumlichen Distanz habe ich Freunde gewonnen, die ich schätze und deren Impulse ich vermissen werde.
Verlagsgründung
Fragen an Jörg Du sagst, du hattest zu Beginn das Gefühl zur falschen Zeit am falschen Ort die Hand gehoben zu haben. Wie bist du denn überhaupt zu THE RACE gekommen? Marcus Splitt suchte einen Redakteur, der regelmäßig im Themenfeld Politik Artikel liefern könnte und sich inhaltlich einbringen würde. Nach einigen Telefonaten hatte er mich auch gleich zur Mitarbeit im Redaktionsteam überzeugt. Als kurze Zeit später klar war, dass Marcus aussteigt, wurde noch ein letztes Redaktionstreffen anberaumt, in dem wir prüfen wollten, wie es weitergeht. In der Sitzung (meiner ersten Redaktionssitzung überhaupt) war schnell klar, dass keiner ein Interesse daran hatte, die Hauptverantwortung für THE RACE zu übernehmen. Nur so ein Typ aus Berlin und ich wehrten uns gegen die »Beerdigung«. So machten wir eine Sitzungspause, in welcher der Berliner und ich uns kennenlernten und überlegten, ob wir gemeinsam weitermachen. Das Ergebnis kennt ihr: Michi und ich haben ein Team zusammengestellt und die nächste Phase für THE RACE eingeläutet.
Was begeistert dich nachhaltig an dem Projekt, wenn du auf die vier Jahre zurückblickst, in denen du dich bei THE RACE eingebracht hast? Wir haben uns konsequent unseren eigenen hohen Ansprüchen gestellt und es geschafft, mit einigen Mitstreitern ein Projekt am Leben zu erhalten. Egal wie viele Nachtschichten es gekostet hat – mit dem Ziel vor Augen und dem Zusammenhalt war fast alles möglich. Wir haben dabei inhaltlich und auch zahlenmäßig mächtig zugelegt. Das war und ist begeisternd. Mich begeistert außerdem der Pulsschlag, der in unseren Heften steckt – er ist nicht verdammend, sondern immer hinterfragend, um Neues zu schaffen und konstruktiv zu verändern. Diesen Ansatz möchte ich mir auch persönlich erhalten.
Was wünscht du dir für THE RACE in der Zukunft? Ich wünsche mir, dass THE RACE immer wieder in der Lage ist, positive Veränderungsprozesse in den Köpfen und Herzen der Leser auszulösen. Ich wünsche mir, dass auch in Zukunft Wert darauf gelegt wird, dass Themen aus der Gesellschaft aufgegriffen werden und kein reines Blatt für den theologischen Nachwuchs entsteht. Und ich wünsche mir, dass THE RACE als Projekt so richtig abhebt, coole neue Leute dazustoßen und ihr mit dem neu gegründeten Verlag Erfolg habt!
Danke, Benny. Wir werden dich vermissen.
Wie bist du eigentlich zu THE RACE gekommen? Ich hatte THE RACE abonniert und einen Leserbrief geschrieben, da ich in einigen Punkten eine andere Ansicht hatte. Ohne dass ich es erwartet hatte, hat mir Benny darauf ausführlich geantwortet, woraus eine längere Diskussion entstand. Fünf Monate später war ich dann beim Redaktionstreffen dabei.
Wo hast du vorher bereits Erfahrungen mit dem Publizieren von Texten gemacht? Erste Erfahrungen habe ich mit dem »Grillanzuendar« sammeln können: Mit Freunden hatte ich die Zeitschrift gegründet, die ursprünglich nur für Leute gedacht war, die gemeinsam auf der gleichen Jugendfreizeit gewesen waren. Aber dann hat sich der »Grillanzuendar« in unserer Region ziemlich schnell verbreitet.
Warum machst du bei THE RACE mit? Es ist meine Leidenschaft zu publizieren! Ganz besonders eine Zeitschrift, die keine Standardantworten liefert, sondern Themen ehrlich anschaut und wenn nötig hinterfragt. Ein weiterer Grund ist, dass THE RACE von seiner Struktur her viel von Beziehung und Vertrauen lebt. Wenn wir Redakteure nicht die Beziehung als Basis hätten, könnten wir uns in der krassen Unterschiedlichkeit unserer christlichen Hintergründe wohl nicht aushalten. Es ist auch immer schade wenn ein Redakteur aussteigt, weil man sich sehr schätzen gelernt hat.
Warum habt ihr gerade jetzt einen Verlag gegründet? In den letzten Jahren haben wir als Redaktion eigenständig innerhalb des Jugend-, Missionsund Sozialwerks Altensteig gearbeitet. THE RACE »gehörte« aber im Prinzip schon immer uns – JMS Altensteig hat uns dabei den rechtlichen und administrativen Rahmen geboten. Im letzten Jahr haben wir gemerkt, dass wir diesen Rahmen auch selber schaffen können und wagen es jetzt. Das hat ein bisschen was von erwachsen werden – so wie bei Kindern, die irgendwann von Zuhause ausziehen.
Bedeutet die Verlagsgründung im Grunde nicht eine Kommerzialisierung des Projektes? Die größte Veränderung, die ich durch den Wechsel vom Verein zum Unternehmen wahrnehme ist die, dass wir mehr Verantwortung haben. Wir gehen jetzt auch noch mal verantwortlicher mit dem Potential und den Ressourcen von THE RACE um. Zum Beispiel haben wir jetzt unseren ehrenamtlichen Mitarbeiter vom Versand entlas tet und bezahlen für diese Arbeit einen Mediendienstleister. Wir Redakteure arbeiten weiterhin ehrenamtlich für THE RACE.
Verlagsgründung zum Jubiläum Genau zehn Jahre und seitdem 36 Ausgaben ist es her, dass THE RACE das erste Mal erschienen ist. Pünktlich zum Jubiläum haben wir nun ein eigenen Verlag gegründet und seit dem 1. Januar 2010 offiziell die Herausgabe der Zeitschrift selbst in die Hand genommen. Dabei haben wir uns dabei den wohlklingenden Namen »oora verlag« gegeben. www.oora.de Dazu Rainer Taigel, Geschäftsführer von JMS Altensteig: »Als wir vor über drei Jahren die Trägerschaft von THE RACE übernommen haben, gab es mehrere Optionen für die Zukunft. Eine davon war, das Projekt mittelfristig in die Selbstständigkeit zu führen. Wir als Jugend-, Missionsund Sozialwerk sehen es als unsere Aufgabe, Menschen und interessante Projekte im Reich Gottes zu fördern. Es freut uns sehr, wenn die Projekte ›erwachsen‹ werden und auf eigenen Beinen stehen können. Dass ihr es jetzt wagt und mit dem eigens dafür gegründeten Verlag die Trägerschaft übernehmt, finden wir gigantisch. Macht weiter so und seid reich gesegnet!« Wir schauen dankbar auf die Zeit zurück, in der uns das Jugend-, Missions- und Sozialwerk Altensteig so selbstlos mit Buchhaltung, offizieller Trägerschaft und der Übernahme des finanziellen Risikos getragen hat. Gleichzeitig trauen wir uns nun zu, diese Trägerschaft und das finanzielle Risiko selbst zu übernehmen. Dieses zusätzliche Maß an Unabhängigkeit erfüllt uns mit Ehrfurcht und Respekt unseren Lesern und dem Reich Gottes gegenüber. Wie ihr vielleicht gemerkt habt: Wir sind selber noch ganz aufgeregt und schauen in eine extrem spannende Zukunft!
Neuer Leserservice Für die Aboverwaltung haben wir mit InTime Media Services einen Partner gefunden, der in Zukunft zeitnah und zuverlässig eure Bestellungen und Serviceanfragen bearbeiten wird. Solltest du also Fragen oder Mitteilungen haben, zum Beispiel wenn sich deine Adresse oder Bankverbindung geändert hat, kannst du unseren Leserservice von Montag bis Freitag zwischen 7.30 und 18.00 Uhr unter der Telefonnummer 089 / 858 53 552 erreichen. Also quasi den ganzen Tag. Oder du schreibst einfach eine E-Mail an service@therace-online.de. Das geht sogar in der Nacht.
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impressum
Leserbriefe Zu »Reichtum für alle« von Benjamin Finis, Ausgabe 3/2009 Nikolai Alber, Student der Politikwissenschaft, Berlin
Nummer 36 • 1/2010 ISSN 1864-2012 Herausgeber: oora verlag GbR Jörg Schellenberger und Michael Zimmermann, Pfarrstr. 12, 91522 Ansbach • www.oora.de Redaktionsleitung: Jörg Schellenberger, Michael Zimmermann (info@therace-online.de) Redaktionsteam: Anne Coronel, Anneke Reinecker, Jörg Schellenberger, Michael Zimmermann Redaktionsbeirat: Klaus-Peter Foßhag, Gerhard Kehl, Gernot Rettig, Stefan Waidelich Gestaltung: Büro Klaus, www.büroklaus.de Druck: rollerdruck, Turmfeldstraße 23, 72213 Altensteig Anzeigen: Anke Philippi (anke@therace-online.de) Erscheinungsweise: März, Juli, November Abonnement: Ein Abonnement verlängert sich automatisch um ein weiteres Bezugsjahr, wenn es nicht bis zum 30.11. gekündigt wurde. Das gilt nicht für Geschenk-Abos, die automatisch nach einem Bezugsjahr enden. Heftpreise: Abo THE RACE: 15,– € (D), 29,– SFr (CH), 19,– € (A). Einzelpreis: 7,– € bzw. 10,– SFr. Bei allen Preisangaben innerhalb dieser Ausgabe von THE RACE gilt: Änderung und Irrtum vorbehalten. Bankverbindung: Sparkasse Ansbach, BLZ 765 500 00, Konto-Nr. 836 89 38 • IBAN: DE18 76550000 0008 3689 38, BIC: BYLADEM1ANS Leserservice: THE RACE Leserservice, Postfach 1363, 82034 Deisenhofen Telefon: 089/858 53 - 552, Fax: 089/858 53 - 62 552 service@therace-online.de, www.therace-online.de © 2010 oora verlag GbR
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Liebe THE RACE, der Artikel über den »Verrat an der Sozialen Marktwirtschaft« (Ausgabe 03/09, S. 46) wirft viele gute Fragen auf. Auf Grund meines Studiums beschäftige ich mich intensiv mit politischer Theorie, die sich genau damit auseinandersetzt, wie wir Menschen zusammenleben sollen. Für meinen Teil sehe ich in einer durch Wettbewerb – und im globalen Kontext wirklich entfesselten Wettbewerb – gestalteten Welt keine Möglichkeit eines gerechten Zusammenlebens. Im globalen kapitalistischen System bestimmen die Interessen der Unternehmen und Wirtschaftseliten, wie der Hase läuft. Die Beine des Hasen, um in diesem Bild zu bleiben, müssen immer weiterlaufen um noch mehr Profit und Rendite zu erwirtschaften, da die Wirtschaftseinheiten sonst ganz einfach untergehen. Es gibt keinen Weltstaat, der sich um die soziale Verträglichkeit des Kapitalismus kümmert. So entsteht Ungleichheit und Ungerechtigkeit, die sich in unserer Welt an den enormen Unterschieden zwischen unserer »westlichen« und den anderen Teilen der Welt sichtbar machen. Ich als Christ kann dies nicht akzeptieren. Deshalb möchte ich auch in christlichen Kreisen über alternative Gesellschaftsentwürfe diskutieren, die ein menschenwürdiges Leben für alle – auch schon in dieser Welt – ermöglichen. Zum Weiterlesen empfehle ich Apostelgeschichte 2, 42 ff.
Allgemeines Feedback Frenne Bronner, Krankenschwester, Kaltenhof
Hallo liebes THE RACE -Team, ich möchte euch allen ein ganz großes Lob für eure Zeitschrift aussprechen! THE RACE ist für mich eine wahre »Fundgrube«; man kann über Wochen darin stöbern und findet immer etwas Neues. THE RACE ist kein »Einheitsbrei«, sondern jeder Artikel ist anders und steht für sich. Auch dass Dinge hinterfragt werden und Tabuthemen nicht ausgelassen werden, finde ich sehr gut und hilfreich. Ich wurde durch viele Artikel ermutigt oder herausgefordert, aber an erster Stelle spürt man: Wir sind alle gemeinsam auf dem Weg und dürfen eins sein, trotz oder gerade weil wir alle unterschiedlich sind. Danke für eure Arbeit und macht weiter so!
Leserbriefe bitte einsenden an
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